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[Pause von 10 Minuten.]

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird morgen nach 1.00 Uhr keine offene, sondern eine geschlossene Sitzung abhalten. Auch am Samstag wird keine offene Sitzung stattfinden. Der Gerichtshof wird Samstag vormittag in geschlossener Sitzung zusammentreten.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich sprach vor der Pause über die Möglichkeit einer Entwicklung des Seekriegsrechts.

Der amerikanische Ankläger, Richter Robert Jackson, hat sich zu diesem Problem in seinem Bericht an den Präsidenten der Vereinigten Staaten wie folgt geäußert:15

»Völkerrecht kann nicht im Wege der Gesetzgebung fortentwickelt werden, da es keine ständige internatio nale gesetzgebende Körperschaft gibt. Neuerungen und Abänderungen im Völkerrecht werden durch Regierungshandlungen herbeigeführt, die einer Änderung der Verhältnisse Rechnung tragen sollen. Das Völkerrecht entwickelt sich, wie früher das gemeine Recht, durch Entscheidungen, zu denen man von Zeit zu Zeit durch Anpassung feststehender Grundsätze an neue Situationen gelangt.«

Diese Worte bedeuten inhaltlich eine volle Rechtfertigung des von der Anklage beanstandeten Satzes in der Denkschrift der Seekriegsleitung, Und daß auch die Alliierten kriegsentscheidende Maßnahmen für zulässig erachteten, auch wenn sie den bisherigen Anschauungen des Völkerrechts widersprechen, dürfte durch die Anwendung der Atombombe gegen japanische Städte erwiesen sein.

Da mir daran liegt, die von der deutschen Seekriegführung getroffenen Maßnahmen sachlich zu rechtfertigen, habe ich mich nicht damit befaßt, wer von den beiden hier angeklagten Admiralen für die eine oder andere mehr oder weniger Verantwortung trägt. Formell liegt in fast allen Fällen ein Führerbefehl vor. Beide Admirale haben jedoch hier erklärt, daß sie sich vollverantwortlich fühlen für alle Befehle des Seekrieges, die sie erteilt oder die sie weitergeleitet haben. Ich möchte dem nur zwei Bemerkungen hinzufügen: Soweit in den Befehlen für den U-Bootkrieg politische Überlegungen entscheidend waren, hatte der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine darauf keinen Einfluß. Der Befehlshaber der U-Boote hatte von diesen Überlegungen nicht einmal Kenntnis erhalten, ebensowenig wie von der politischen Erledigung von Zwischenfällen, die durch U-Boote entstanden waren.

Meine zweite Bemerkung bezieht sich auf die Frage, wie weit man einen militärischen Befehlshaber verantwortlich machen kann für die Richtigkeit rechtlicher Überlegungen, die er nicht selbst anstellt, sondern die ihm von den ersten Experten seines Landes geliefert werden, die ja nicht gerade Kleinstadtadvokaten sind. Für den Befehlshaber der U-Boote kommt hinzu, daß er nur taktische Aufgaben hatte und sein Stab mit nur wenigen Offizieren besetzt war, von denen niemand die Fähigkeit besaß, völkerrechtliche Fragen von der hier erörterten Tragweite zu prüfen. Er mußte sich daher darauf verlassen, daß die von der Seekriegsleitung herausgegebenen Befehle rechtlich geprüft und in Ordnung waren. Das dürfte in jeder Marine der Welt so gehandhabt werden. Ein Berufsseemann ist nicht kompetent für Rechtsfragen; mit dieser Begründung hat das Tribunal eine Äußerung des Admirals Dönitz über eine Rechtsfrage abgeschnitten. Diesen Umstand muß man aber bei Anwendung des Grundsatzes berücksichtigen, den das deutsche Reichsgericht in den Kriegsverbrecherprozessen nach dem ersten Weltkrieg dahin formuliert hat:

»Dem Täter muß die Völkerrechtswidrigkeit seines Tuns bewußt sein.«

Das erscheint mir ebenso gerecht, wie ich es für unvereinbar mit den Geboten der Gerechtigkeit hielte, wenn man Soldaten mit einer kriminellen Verantwortung belasten wollte für die Entscheidung von Rechtsfragen, die auf internationalen Konferenzen nicht gelöst werden konnten und die in der Wissenschaft heiß umstritten sind.

In diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern, daß der Londoner Vertrag von 1930 aus der Root-Resolution von 1922 die strafrechtliche Verfolgung von Verletzungen der Regeln über den U-Bootkrieg nicht übernommen hat. Die fünf an diesen Konferenzen beteiligten Seemächte waren offensichtlich zu der Erkenntnis gekommen, daß sich die Probleme des Seekrieges nicht mit den Mitteln des Strafrechts lösen lassen. Und diese Erkenntnis trifft auch heute in vollem Umfange zu.

Ich wende mich nun zu dem zweiten Kernvorwurf der Anklage, dem der vorsätzlichen Tötung von Schiffbrüchigen. Er richtet sich allein gegen Admiral Dönitz, nicht gegen Admiral Raeder.

Die rechtliche Grundlage für die Behandlung der Schiffbrüchigen ist für solche Schiffe, denen der Schutz des Londoner Protokolls von 1936 zusteht, in diesem Protokoll selbst enthalten. Dort heißt es, daß vor der Versenkung Besatzungen und Passagiere in Sicherheit zu bringen sind. Das ist von deutscher Seite auch geschehen, und die Meinungsverschiedenheit mit der Anklage geht hier nur um die bereits behandelte Frage, welchen Schiffen der Protokollschutz zustand und welchen nicht.

Bei allen Schiffen, denen der Schutz des Londoner Protokolls nicht zustand, ist die Versenkung als eine militärische Kampfhandlung anzusehen. Rechtsgrundlage für die Behandlung der Schiffbrüchigen bildet daher für diese Fälle das Haager Abkommen betreffend die Anwendung der Grundsätze des Genfer Abkommens auf den Seekrieg vom 18. Oktober 1907, wenn es auch von Großbritannien nicht ratifiziert worden ist. Danach sollen nach jedem Kampf die beiden Kriegsparteien Vorkehrungen zum Aufsuchen der Schiffbrüchigen treffen, soweit es die militärischen Zwecke gestatten. Dementsprechend galt auch für die deutschen U-Boote der Grundsatz, den Schiffbrüchigen warnungslos versenkter Dampfer zu helfen, wenn dadurch

erstens: das Boot nicht gefährdet und

zweitens: die Durchführung der militärischen Aufgabe nicht beeinträchtigt wurde.

Diese Grundsätze sind allgemein anerkannt. Ich verweise dafür zum Beispiel auf den britischen Admiralitätsbefehl:

»Kein britisches Hochseehandelsschiff soll einem von einem U-Boot angegriffenen Schiff Hilfe leisten.«

Ich verweise ferner auf die eidesstattliche Erklärung des Admirals Rogge, nach der in zwei von ihm miterlebten Fällen ein britischer Kreuzer nichts unternahm zur Rettung der Schiffbrüchigen, weil er U- Boote in der Nähe vermutete, und zwar einmal mit Recht und einmal zu Unrecht. Für das U-Boot liegt eine Selbstgefährdung gegenüber anderen Schiffstypen in erhöhtem Maße vor wegen seiner besonderen Empfindlichkeit gegen Treffer.

Auch bei der zweiten Ausnahme von der Rettungspflicht, der Beeinträchtigung des militärischen Auftrags, unterliegt das U-Boot besonderen Bedingungen. Es hat keinen Platz, Gäste an Bord zu nehmen. Sein Vorrat an Verpflegung, Wasser und Brennstoff ist knapp bemessen, und jede wesentliche Abgabe schädigt den Kampfauftrag. Typisch für das U-Boot ist ferner, daß der Kampfauftrag auch im unbemerkten Angriff liegen kann und dadurch die Rettungspflicht ausschließt. Um auch hier ein Urteil über die Praxis der Gegenseite vorzulegen, zitiere ich aus der Aussage von Admiral Nimitz:

»Im allgemeinen haben die US-U-Boote feindliche Überlebende nicht gerettet, wenn es für das U-Boot eine ungewöhnliche zusätzliche Gefahr bedeutete, oder das U-Boot an einer weiteren Durchführung seiner Aufgabe gehindert wurde.«

Im Lichte dieser Grundsätze betrachte ich kurz die Rettungsmaßnahmen durch U-Boote bis zum Herbst 1942.

Der grundlegende Befehl erging von der Seekriegsleitung am 4. Oktober 1939 und befahl Rettung, wenn es militärisch möglich sei. Das wurde vorübergehend eingeschränkt in dem Ständigen Kriegsbefehl 154. Dieser im Dezember 1939 erlassene Befehl galt für die wenigen U-Boote, die damals unmittelbar unter der englischen Küste operierten. Wie sich aus dem Befehl selbst ergibt, behandelt er in allen Abschnitten den Kampf in Gegenwart feindlicher Sicherungsstreitkräfte. Der letzte Abschnitt behandelt also auch nur diese Kampflage und dient dem berechtigten Zweck, die U-Bootkommandanten vor den Gefahren zu schützen, denen sie ihre U-Boote durch Rettungsmaßnahmen unter den dort herrschenden Umständen in allen Fällen aussetzten. Als nach dem Norwegen-Feldzug die Tätigkeit der U-Boote allmählich in den freien Atlantik verlegt wurde, war der Befehl überholt und wurde im Herbst 1940 aufgehoben. In der Folgezeit trafen die deutschen Kommandanten Rettungsmaßnahmen, wenn sie es militärisch verantworten konnten. Das ist dem Tribunal aus zahlreichen, einzeln angeführten Beispielen bekannt, die sich aus den vorgelegten Erklärungen der Kommandanten, ebenso wie aus den Kriegstagebüchern ergeben. Diese Lage änderte sich durch den Befehl vom 17. September 1942, in dem Admiral Dönitz Rettungsmaßnahmen grundsätzlich verbot. Die entscheidenden Sätze lauten:

»Jeglicher Rettungsversuch von Angehörigen versenkter Schiffe hat zu unterbleiben. Rettung widerspricht den primitivsten Forderungen der Kriegführung nach Vernichtung feindlicher Schiffe und Besatzungen.«

Die Anklage bestreitet, daß es sich hier wirklich um ein Rettungsverbot handelt. Sie bezeichnet diesen Befehl als eine versteckte Aufforderung, die Schiffbrüchigen zu töten, und er ist als Mordbefehl durch die Presse der Welt gegangen. Wenn in diesem Verfahren überhaupt ein Vorwurf widerlegt ist, dann scheint es mir diese schmachvolle Auslegung des genannten Befehls zu sein.

Wie ist dieser Befehl zustande gekommen? Vom Juni 1942 an gingen die Verluste der deutschen U- Boote durch die alliierte Luftwaffe sprunghaft in die Höhe und schnellten von durchschnittlich vier bis fünf Booten monatlich im ersten Halbjahr 1942 auf monatlich 10, 11, 13 bis zu schließlich 38 Booten im Mai 1943 empor. In der U-Bootführung jagten sich die Befehle und Maßnahmen, um diesen Verlusten zu begegnen. Sie hatten keinen Erfolg, und jeder Tag brachte neue Meldungen über Fliegerangriffe und Verluste von Booten.

In dieser Lage wurde am 12. September die Torpedierung des schwerbewaffneten britischen Truppentransporters »Laconia« mit etwa 1500 italienischen Kriegsgefangenen und 1000 Mann alliierten Personals und einigen Frauen und Kindern an Bord gemeldet. Admiral Dönitz zog mehrere U-Boote aus den laufenden Operationen heraus, um die Schiffbrüchigen zu retten, und zwar ohne Unterschied zwischen Italienern und Alliierten. Dabei erfüllte ihn von vornherein die Sorge der feindlichen Luftgefahr. Während die U-Boote in den folgenden Tagen mit Hingabe retteten, Boote schleppten, Verpflegung abgaben und so weiter, erhielten sie von dem Befehlshaber nicht weniger als dreimal Mahnungen, vorsichtig zu sein, die Geretteten zu verteilen und auf alle Fälle tauchklar zu bleiben. Diese Ermahnungen hatten keinen Erfolg. Am 16. September wurde eines der U-Boote, das mit ausgelegter Rotkreuzflagge mehrere Rettungsboote schleppte, von einem alliierten Bomber angegriffen und erheblich beschädigt; ein Rettungsboot wurde getroffen und es traten Verluste unter den Schiffbrüchigen ein. Auf diese Meldungen machte der Befehlshaber im Laufe des nächsten Tages drei weitere Funksprüche mit dem Befehl, bei Gefahr sofort alarm-zu- tauchen und keinesfalls die eigene Sicherheit zu gefährden. Wieder ohne Erfolg. Am Abend dieses Tages, dem 17. September 1942, meldete das zweite der U-Boote, daß es bei der Rettungsaktion von einem Flugzeug überrascht und mit Bomben angegriffen worden ist.

Trotz dieser Erfahrungen und trotz ausdrücklichen Befehls aus dem Führerhauptquartier, keinesfalls Boote zu riskieren, ließ Admiral Dönitz die Rettungsmaßnahmen nicht abbrechen, sondern fortsetzen bis zur Aufnahme der Schiffbrüchigen durch die zur Hilfeleistung entsandten französischen Kriegsschiffe.

Dieser Vorfall war aber eine Lehre. Infolge der feindlichen Luftüberwachung des gesamten Seeraumes war es einfach nicht mehr möglich, Rettungsmaßnahmen durchzuführen, ohne das U-Boot aufs Spiel zu setzen. Es nützte nichts, den Kommandanten immer wieder zu befehlen, nur dann zu retten, wenn sie ihr Boot nicht gefährdeten. Das hatten schon frühere Erfahrungen gezeigt. Denn viele Kommandanten ließen sich, in dem menschlichen Bestreben zu helfen, dazu verleiten, die Luftgefahr zu unterschätzen. Ein U-Boot braucht aber bei klarem Deck mindestens eine Minute zum Alarmtauchen, eine Zeit, in der ein Flugzeug 6000 Meter zurücklegt. Das bedeutet praktisch, daß ein mit Rettungsmaßnahmen befaßtes U-Boot vor einem Flugzeug, das in seine Sichtweite kommt, nicht mehr rechtzeitig wegtauchen kann.

Das waren die Gründe, die Admiral Dönitz unmittelbar nach Abschluß des »Laconia«-Falles veranlaßten, Rettungsmaßnahmen grundsätzlich zu verbieten. Die Formulierung entsprang dem Bestreben, jede Ermessensfreiheit des Kommandanten auszuschalten und jeden Gedanken daran zu unterdrücken, daß er nun im Einzelfall die Luftgefahr doch noch überprüfen und dann gegebenenfalls retten könne.

Die praktische Auswirkung des Befehls ist schwer zu beurteilen. Von 1943 ab kämpften etwa 80 Prozent der U-Boote am Geleitzug, wo auch ohne diesen Befehl Rettungsmaßnahmen ausgeschlossen gewesen wären.

Ob in den übrigen Fällen ohne den Befehl der eine oder andere Kommandant es noch einmal riskiert hätte, sich mit den Rettungsbooten zu befassen, kann niemand mit Sicherheit sagen. Bekanntlich bestand seit Mitte 1942 der Befehl, wenn möglich Kapitäne und leitende Ingenieure als Gefangene einzubringen. Dieser Befehl ist in den fast drei Kriegsjahren, die folgten, noch nicht ein dutzendmal befolgt worden, ein Beweis dafür, wie hoch die Kommandanten in dieser Zeit von sich aus die Gefährdung des Bootes beim Auftauchen einschätzten. Auf der anderen Seite war den Besatzungen der torpedierten Schiffe nichts peinlicher, als wenn sie von einem U-Boot an Bord geholt werden sollten. Denn sie wußten natürlich genau, daß die Chance der Rettung in den Rettungsbooten viel größer war als auf einem U-Boot, das mit 50 und mehr Prozent Wahrscheinlichkeit nicht in seinen Stützpunkt zurückkehrte. Ich komme also mit Admiral Godt zu dem Ergebnis, daß der »Laconia«-Befehl ebenso einigen alliierten Seeleuten das Leben gekostet, wie er anderen das Leben gerettet haben mag. Wie dem auch sei, angesichts der ungeheueren Verluste durch die feindliche Luftwaffe war der Befehl als Rettungsverbot berechtigt. Er entsprach durchaus dem in allen Marinen herrschenden Grundsatz von dem Vorrang des eigenen Bootes und der eigenen Aufgabe, einem Grundsatz, den ich an Hand der britischen und amerikanischen Befehle und Praxis als allgemein gültig nachgewiesen zu haben glaube.

Wie kommt nun die Anklage darauf, in diesem Befehl einen »Mordbefehl« zu erblicken? Ihr Ausgangspunkt ist das Gespräch zwischen Hitler und dem Japanischen Botschafter Oshima vom Januar 1942, in dem Hitler einen Befehl an seine U-Boote in Aussicht stellt, die Überlebenden versenkter Schiffe zu töten. Diese Ankündigung, so folgert die Anklage, habe Hitler ohne Zweifel wahr gemacht und Admiral Dönitz habe sie mit dem »Laconia«-Befehl ausgeführt. In der Tat hat der Führer anläßlich eines Vortrags über U- Bootfragen, den die beiden Admirale im Mai 1942 zu halten hatten, die Anregung gegeben, gegen die Schiffbrüchigen künftig aktiv vorzugehen, das heißt sie abzuschießen; Admiral Dönitz hat ein derartiges Vorgehen sofort als völlig unmöglich abgelehnt und Großadmiral Raeder hat ihm darin uneingeschränkt zugestimmt. Beide Admirale bezeichneten als den einzig zulässigen Weg, die Verluste unter den Besatzungen zu erhöhen, die Verbesserung der Torpedos. Angesichte des Widerstandes der beiden Admirale ließ Adolf Hitler seinen Vorschlag fallen, und es ist im Anschluß an diesen Vortrag überhaupt kein Befehl über Schiffbrüchige, geschweige denn zur Erschießung von Schiffbrüchigen gegeben worden.

Die Vernichtung der Besatzungen durch verbesserte Wirkung der Torpedos ist ein Gedanke, der erstmalig in diesem Gespräch vom Mai 1942 auftaucht und in späteren Schriftstücken der Seekriegsleitung wiederkehrt. Ich muß mich daher zu der Rechtmäßigkeit einer solchen Tendenz äußern. Nach klassischem Völkerrecht war die Vernichtung von Kombattanten ein rechtmäßiges Ziel von Kriegshandlungen, die von Nichtkombattanten dagegen nicht.16 Bei der Entwicklung, die die letzten Kriege genommen haben, mag man zweifelhaft sein, ob diese klassische Lehre noch Geltung hat. Den ersten großen Einbruch in diese Lehre sehe ich in der Hungerblockade, die sich durch die Abschnürung aller Lebensmittel gegen die Zivilbevölkerung, also die Nichtkombattanten eines Landes richtet und deren Opfer im Weltkrieg auf 700000 Menschen geschätzt werden.17 Wenn diese Blockade auch vielfach als völkerrechtlich unzulässig angesehen wird,18 so hat sie sich doch in der Praxis durchgesetzt und bedeutet damit einen Einbruch in den Grundsatz vom Schutz der Nichtkombattanten vor Kriegsmaßnahmen.19

Den zweiten großen Einbruch hat der Luftkrieg mit sich gebracht. Ich will hier nicht die unlösbare Frage erörtern, wer angefangen hat, sondern nur die Tatsache feststellen, daß sich der Luftkrieg mindestens in den letzten zwei Jahren gegen die Zivilbevölkerung richtete.

Wenn bei Dutzenden von Angriffen auf die Wohnviertel deutscher Städte nach dem Angriff Tausende oder Zehntausende von Zivilpersonen zu den Opfern zählten und nur einige Dutzende oder einige hundert Soldaten, dann wird niemand die Behauptung vertreten können, daß hier nicht die Zivilbevölkerung mit ein Ziel des Angriffs gewesen sei. Der Flächenabwurf von Spreng- und Brandbomben läßt daran keinen Zweifel zu, und auch hier hat die Verwendung der Atombombe die letzte Klarheit gebracht.

Bei den Hunderttausenden von Frauen und Kindern, die auf diese Weise in ihren Häusern jämmerlich ums Leben gekommen, verschüttet, erstickt oder verbrannt sind, muß ich mich über die Entrüstung wundern, die die Anklage bekundet über den Verlust von etwa 30000 Männern, die im Kriegsgebiet den Tod fanden auf Schiffen, die bewaffnet waren und die Kriegsmaterial fuhren und oft genug Bomben, die für den Angriff auf deutsche Städte bestimmt waren. Von diesen Männern fielen überdies die meisten durch Kampfhandlungen, die auch nach britischer Auffassung rechtmäßig waren, nämlich durch Minen, Flugzeuge und besonders bei Angriffen auf Geleitzüge.

Die deutsche Seekriegsleitung betrachtete diese Männer als Kombattanten. Die britische Admiralität nimmt in dem Befehl für die Handelsschiffahrt den gegenteiligen Standpunkt ein. Dabei hatte der bekannteste englische Völkerrechtler Oppenheim vor Ausbruch des ersten Weltkrieges noch die These verfochten, daß die Besatzung den Kombattanten gleichzusetzen sei.20 Er weist auf die jahrhundertealte und gerade von England festgehaltene Praxis hin, die Matrosen von Handelsschiffen zu Kriegsgefangenen zu machen. Er findet diesen Grundsatz bestätigt im 11. Haager Abkommen von 1907 und sieht in den Matrosen der Handelsmarine potentielle Mitglieder der Kriegsmarine. Ihre Rechtslage bei Verteidigung gegen ein Kriegsschiff bezeichnet er als »ganz analog der Lage der Bevölkerung eines nicht besetzten Gebietes, die zu den Waffen greift, um eindringende Truppen zu bekämpfen«.

Diese rechnet nach Artikel 2 des Haager Abkommens über den Landkrieg bekanntlich zu den Kombattanten, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob der einzelne von der Waffe auch wirklich Gebrauch macht. Oppenheim lehnt daher auch jede Unterscheidung unter den Besatzungsmitgliedern ab, zwischen solchen, die in die feindliche Kriegsmarine eingereiht sind, und solchen, die es nicht sind.

Galt diese Auffassung bereits vor dem ersten Weltkrieg, so war sie bestimmt unangreifbar im Jahre 1942, wo es längst keine unbewaffneten feindlichen Schiffe mehr gab, und wo die Neutralen, die überhaupt in das Operationsgebiet hineinfuhren, sich ausschließlich im feindlichen Geleit bewegten und damit ebenso wie die feindlichen Schiffe fest eingegliedert waren in das militärische System der feindlichen Streitkräfte. Sie alle hatten den friedlichen Charakter verloren und galten als schuldig des aktiven Widerstandes. Aktiver Widerstand gegen Kriegshandlungen ist im Landkrieg keinem Nichtkombattanten gestattet und führt zur Bestrafung als Freischärler. Im Seekrieg dagegen sollte eine Schiffsbesatzung die Vorrechte des Kämpfers beanspruchen können, ohne auch die Nachteile in Kauf zu nehmen? Sie sollte an allen erdenklichen Kriegshandlungen teilnehmen können bis zur Bedienung von Kanonen und Wasserbomben und trotzdem Nichtkombattant bleiben? Eine solche Auffassung macht den ganzen Begriff des Nichtkombattanten illusorisch. Es kann auch keinen Unterschied machen, daß nur ein Teil der Schiffsbesatzung mit der Bedienung der Waffen zu tun hat. Das Schiff als Ganzes stellt die Kampfeinheit dar, und auf einem Handelsschiff hatten tatsächlich mehr Menschen mit der Bedienung der Waffen zu tun als auf einem U-Boot. Diese Männer waren ausgebildet unter militärischer Aufsicht, sie standen an den Geschützen gemeinsam mit Kanonieren der Marine und der Einsatz ihrer Waffen richtete sich nach den Befehlen der Admiralität.21 Die Schiffsbesatzungen waren demnach Kombattanten, und so war es ein rechtmäßiges Ziel von Kriegshandlungen, sie durch Waffenwirkung zu vernichten.

Damit erklärt sich zugleich der Satz über die Vernichtung von Schiffen und Besatzungen, in dem die Anklage ein besonderes Indiz für den Charakter des »Laconia«-Befehls als Mordbefehl sieht. Über den Sinn dieses Satzes als Begründung des Rettungsverbotes ist genug gesprochen worden. Er mag, aus dem Zusammenhang gerissen, mißverständlich sein. Wer sich aber die Mühe macht, den ganzen Befehl zu lesen, kann ihn nicht mißverstehen. Entscheidend scheint mir aber zu sein, daß er nach seiner Entstehung niemals als Mordbefehl gemeint war und von den Kommandanten auch nicht so verstanden worden ist. Das ist durch die Aussagen und Erklärungen von Dutzenden von U-Bootkommandanten bewiesen. Er konnte auch nach dem Zusammenhang gar nicht als Mordbefehl verstanden werden. Denn in den folgenden Ziffern war ausdrücklich angeordnet, daß nach Möglichkeit bestimmte Besatzungsangehörige als Gefangene mitzubringen seien. Man muß einer militärischen Führung aber wohl so viel Verstand zutrauen, daß, wenn sie überhaupt einen derartigen Mordbefehl erteilt, sie nicht gleichzeitig befiehlt, ein paar Zeugen ihres Verbrechens zu konservieren.

Im Gegensatz zur Anklage hat die britische Admiralität offensichtlich an einen solchen Mordbefehl nicht geglaubt. Denn sonst hätte sie ihren Kapitänen und leitenden Ingenieuren nicht befohlen, sich im Rettungsboot durch Tarnung als einfacher Seemann der Gefangennahme deutscher U-Boote zu entziehen. Ein solcher Befehl hätte nach Auffassung der Anklage ja bedeutet, daß nunmehr der Kapitän mit allen anderen Besatzungsmitgliedern durch das U-Boot zusammengeschossen worden wäre.

Die Anklage hat weiter den Befehl zum Angriff auf sogenannte »Rescue-Ships« als Beweis für die Absicht angeführt, Schiffbrüchige umzubringen. Schiffbrüchig ist aber nur, wer sich im Wasser oder im Rettungsboot befindet. Ein schiffbrüchiger Kombattant, der wieder an Bord eines Schiffes ist, ist nichts als Kombattant und damit rechtmäßiges Ziel eines Angriffes. Ich habe schon in der Beweisaufnahme auf das Abschießen der deutschen Seenotflugzeuge zwecks Vernichtung der aufgefischten Flieger hingewiesen, um zu zeigen, daß die feindliche Führung nach genau der gleichen Auffassung handelte.

Auf die Zeugenaussagen, auf die die Anklage ihre Auslegung des »Laconia«-Befehls zu stützen sucht, will ich so kurz wie möglich eingehen. Die Aussage des Oberleutnants zur See Heisig ist meines Erachtens, so wie er sie hier vor Gericht gemacht hat, unerheblich.

Sein früheres Affidavit war unrichtig und wir wissen von dem Zeugen Wagner warum. Hier vor dem Tribunal hat Heisig ausdrücklich verneint, daß in der Ansprache von Großadmiral Dönitz vor den Fähnrichen der U-Bootschule im September 1942 irgendwie die Rede davon war, daß auf Schiffbrüchige geschossen werden sollte. Er hat vielmehr persönlich eine derartige Schlußfolgerung aus den Worten gezogen, daß der totale Krieg gegen Schiff und Besatzung geführt werden müsse, und durch den Hinweis auf den Bombenkrieg. Da er damals unter dem frischen Eindruck des Bombenangriffs auf Lübeck stand, den er gerade miterlebt hatte, mag so seine Auslegung zu erklären sein. Die anderen Zuhörer teilten die Auslegung nicht, ja sie sind gar nicht auf sie gekommen. Das steht nach den Aussagen von drei Teilnehmern an der Rede fest. Die weitere Behauptung von Heisig, er sei von einem ihm unbekannten Offizier bei unbekannter Gelegenheit belehrt worden, daß man bei der Vernichtung von Schiffbrüchigen die Mannschaften unter Deck schicken müsse, halte ich für eine Improvisation seiner offenbar leicht erregbaren Phantasie. Wenn so etwas wirklich der Fall gewesen wäre, dann hätte ein derartig erstaunlicher und allen Erziehungsgrundsätzen der Kriegsmarine widersprechender Vorgang sich einem jungen Offizier doch wohl so einprägen müssen, daß er irgendeine Erinnerung an die näheren Umstände einer solchen Belehrung behalten hätte.

Wesentlich ernster ist die Aussage des Korvettenkapitäns Möhle zu nehmen. Denn dieser hat – darüber besteht kein Zweifel – einigen U-Bootkommandanten gegenüber zum mindesten angedeutet, der »Laconia«- Befehl verlange und billige wenigstens die Tötung von Schiffbrüchigen. Möhle hatte diese Auslegung weder von Admiral Dönitz selbst, noch von dem Chef des Stabes, noch von dem ersten Mitarbeiter, Fregattenkapitän Heßler, also den einzigen Offizieren, die dazu qualifiziert gewesen wären, dem Chef einer Flottille eine derartige Auslegung zu übermitteln.

Wie Möhle eigentlich zu seiner Auslegung gelangt ist, scheint mir durch dieses Verfahren nicht geklärt zu sein. Er behauptet, dadurch, daß ihm der Korvettenkapitän Kuppisch aus dem Stabe des Befehlshabers der U-Boote die Geschichte von »U-386« erzählt habe, einem Boot, dessen Kommandant nach der Rückkehr von seinen Operationen im BdU-Stab dafür getadelt worden sei, daß er im Schlauchboot treibende alliierte Flieger nicht abgeschossen habe.

Diese Darstellung Möhles kann nicht zutreffen. Es ist eindeutig durch das Kriegstagebuch und durch Zeugen belegt, daß der Kommandant von »U-386« getadelt worden ist, weil er die betreffenden Flieger nicht an Bord genommen und mitgebracht hat. Die ganze Geschichte mit »U-386« fand überdies erst ein Jahr nach dem »Laconia«-Fall im September 1943 statt und der Korvettenkapitän Kuppisch, der sie angeblich erzählt haben soll, war bereits im August 1943 als U-Bootkommandant gefallen. Es ist nicht meine Aufgabe, Erwägungen darüber anzustellen, wie Möhle nun tatsächlich zu seiner Belehrung über den »Laconia«-Befehl gekommen ist. Eines ist jedenfalls erwiesen, Admiral Dönitz und sein Stab haben diese Belehrung weder veranlaßt, noch das geringste von ihr gewußt. Bei den häufigen persönlichen Berührungen, die zwischen den U-Bootkommandanten und dem Stabe des Befehlshabers der U-Boote stattfanden, ist das nur so zu erklären, daß die wenigen Kommandanten, die Möhle in dieser Weise belehrte, seine Worte nicht ernst nahmen.

Ist nun Admiral Dönitz für diese Auslegung des »Laconia«-Befehls durch Möhle verantwortlich? Die kriminelle Verantwortung setzt zunächst einmal eine Schuld voraus, das heißt eine Vorhersehbarkeit des Erfolges. Bei dem engen Kontakt mit seinen Flottillenchefs und Kommandanten, für die der »Laconia«- Befehl ja allein bestimmt war, konnte Admiral Dönitz aber nicht voraussehen, daß ein Flottillenchef dem Befehl eine solche Auslegung geben werde, ohne irgendeinen Versuch der Klärung beim Befehlshaber der U-Boote zu machen. Ein solches Verhalten liegt außerhalb jeder vernünftigen Erwartung.

Damit entfällt aber die Schuld. Zur kriminellen Verantwortung gehört aber auch noch ein anderes Merkmal, nämlich der nachgewiesene Erfolg. Auch daran fehlt es vollständig. Die Anklage hat kaum den ernsthaften Versuch gemacht nachzuweisen, daß einer der von Möhle in dem genannten Sinn belehrten Kommandanten tatsächlich einmal auf Schiffbrüchige geschossen habe. Soweit wir unterrichtet sind, ist in diesem Kriege auf deutscher Seite überhaupt nur ein Fall dieser Art vorgekommen, der des Kapitänleutnants Eck. Und es ist bezeichnend, daß dieser Fall nicht von der Anklage vorgelegt worden ist, sondern von der Verteidigung. Denn das Verhalten von Eck hat mit dem »Laconia«-Befehl, so wie ihn die Anklage verstehen will, nicht das mindeste zu tun. Ihm ging es nicht um Menschenvernichtung, sondern um Beseitigung von Wrackteilen und Flößen, aus denen die alliierten Flugzeuge auf die Anwesenheit eines deutschen U-Bootes in diesem Seegebiet hätten schließen können. Für dieses Verhalten sind mit ihm zwei seiner Offiziere zum Tode verurteilt und dadurch mit einer Härte bestraft worden, die weniger erregte Zeiten nicht mehr begreifen werden.

Die beiden von der Anklage vorgelegten Fälle, in denen angeblich auf Schiffbrüchige geschossen worden ist, sind so offensichtlich ungeeignet, diesen Vorwurf zu beweisen, daß ich mich nicht weiter mit ihnen zu befassen brauche. Die Aussage über die Versenkung der »Noreen Mary« trägt in verschiedenen Punkten den Stempel der Phantasie, und bei dem Angriff auf die »Antonico« ist schon wegen der nur zwanzigminütigen Dauer in dunkler Nacht eine Absicht, Schiffbrüchige zu vernichten, ausgeschlossen. Ich konnte dem Tribunal glücklicherweise eine Zusammenstellung der Seekriegsleitung vorlegen über ein Dutzend Fälle, in denen angeblich alliierte Streitkräfte auf deutsche Schiffbrüchige geschossen hatten. Mir scheint jedes dieser Beispiele besser zu sein als die der Anklage und manche ziemlich überzeugend. Um so mehr Wert lege ich auf die nüchterne Haltung, die die Seekriegsleitung in der Wertung dieser Fälle gegenüber dem Führerhauptquartier einnimmt. Sie weist nämlich darauf hin, daß erstens: ein Teil der Vorfälle im Verlauf von Kampfhandlungen stattgefunden hat, zweitens: im Wasser schwimmende Schiffbrüchige für andere Ziele bestimmte Fehlschüsse leicht auf sich beziehen, drittens: bisher von keiner Stelle ein schriftlicher oder mündlicher Befehl zum Waffeneinsatz gegen Schiffbrüchige nachweisbar ist.

Ich kann nur bitten, diese Grundsätze auch auf die von der Anklage vorgelegten Beispiele anzuwenden.

In der gleichen Stellungnahme lehnt die Seekriegsleitung gegenüber dem Führerhauptquartier Repressalien durch Vernichtung feindlicher Schiffbrüchiger ab, und zwar am 14. September 1942, also drei Tage vor dem »Laconia«-Befehl. Da dieser als Funkbefehl der Seekriegsleitung zur Kenntnis gekommen ist, wäre er nach der gerade vorangegangenen entgegengesetzten Stellungnahme gegenüber dem Führerhauptquartier ohne Zweifel aufgehoben worden, wenn er als Befehl zur Tötung der Schiffbrüchigen verstanden worden wäre.

Und damit komme ich zu den positiven Gegenbeweisen gegen die Auffassung der Anklage. Sie liegen zunächst in der Zahl der geretteten alliierten Seeleute. Diese betrug nach einer Feststellung des britischen Transportministers im Jahre 1943 87 Prozent der Besatzungen. Ein solches Resultat ist mit einem solchen Vernichtungsbefehl schlechthin unvereinbar.

Es steht ferner fest, daß Großadmiral Dönitz im Jahre 1943, also nach dem »Laconia«-Befehl, alle Erwägungen, gegen Schiffbrüchige vorzugehen, abgelehnt hat.

In einer Stellungnahme gegenüber dem Auswärtigen Amt vom 4. April 1943 wird eine Weisung an die U-Boote zum Vorgehen gegen Rettungsboote oder Schiffbrüchige von der Seekriegsleitung als untragbar bezeichnet, weil das dem innersten Gefühl jedes Seemannes widerspricht. Im Juni 1943 lehnt der Großadmiral gegenüber dem Korvettenkapitän Witt, der ihm über Angriffe britischer Flieger auf Schiffbrüchige deutscher U-Boote berichtet, den Gedanken, den im Kampf wehrlos gewordenen Gegner weiter anzugreifen, auf das schärfste ab; er sei mit unserer Kriegführung unvereinbar.

Zusammenfassend bin ich davon überzeugt, daß die Behauptung der Anklage, den deutschen U-Booten sei ein Befehl zur Ermordung von Schiffbrüchigen erteilt worden, schlagend widerlegt ist. Der Großadmiral Dönitz hat hier erklärt, er hätte es niemals zugelassen, den Geist seiner U-Bootmänner durch niedrige Maßnahmen zu gefährden. Bei Verlusten von 70 bis 80 Prozent konnte er seine Truppe nur dann aus Freiwilligen ergänzen, wenn er ihren Kampf bei aller Härte sauber hielt. Und wenn sich das Tribunal an die Erklärung der 67 in britischer Gefangenschaft befindlichen Kommandanten erinnert, wird es zugeben müssen, daß er bei seinen Männern eine Haltung und einen Geist geschaffen hat, die auch den Zusammenbruch überdauerten.

Ich habe mich bemüht, dem Tribunal die notwendigsten Tatsachen und einige rechtliche Erwägungen über den Seekrieg vorzutragen, um von seiten der Verteidigung die wichtigsten Probleme zu beleuchten, die hier zur Debatte stehen. Es handelt sich um die Beurteilung des Verhaltens von Admiralen im Seekrieg, und die Frage des völkerrechtlich Berechtigten ist hier aufs engste verknüpft mit der des militärisch Notwendigen. Ich muß es daher gerade bei der Beurteilung dieses Punktes der Anklage besonders bedauern, daß das Statut dieses Tribunals den angeklagten Offizieren ein Recht entzieht, das ihnen als Kriegsgefangenen durch die Genfer Konvention garantiert ist, nämlich die Aburteilung durch ein Kriegsgericht entsprechend den für die eigenen Offiziere gültigen Gesetzen und Bestimmungen. Nach Artikel 3 des Statuts ist es mir verwehrt, die Unzuständigkeit dieses Tribunals geltend zu machen. Ich kann daher das Tribunal nur bitten, die Unbilligkeit, die ich in der genannten Bestimmung des Statuts erblicke, dadurch selbst auszugleichen, daß es bei der Frage der militärischen Wertung und der moralischen Rechtfertigung den Handlungen dieser deutschen Admirale diejenigen Maßstäbe anlegt, die die Admirale ihres eigenen Landes anlegen würden. Der Soldat hat aus der praktischen Kenntnis der Kriegshandlungen, und zwar der eigenen wie der des Gegners, ein feines Empfinden dafür, wo der Kampf aufhört und das Kriegsverbrechen beginnt. Er weiß, daß die völkerrechtlichen Auffassungen über das, was im Seekrieg erlaubt oder verboten ist, entscheidend bestimmt werden durch die Interessen seines Landes. Eine Inselmacht wie Großbritannien mit langen und empfindlichen Seeverbindungen hat diese Fragen von jeher anders betrachtet als die kontinentalen Mächte. Die Haltung der Vereinigten Staaten vom Verzicht auf U-Bootkrieg durch die Root-Resolution des Jahres 1922 bis zum uneingeschränkten U-Bootkrieg gegen Japan im Jahre 1941 zeigt, wie eine veränderte seestrategische Lage auch veränderte rechtliche Wertungen mit sich bringt. Niemand kann wissen, wie eine veränderte seestrategische Lage auch veränderte rechtliche Wertungen mit sich bringt. Niemand kann wissen, wie weit die Entwicklung der Luftwaffe mit der Bombenwirkung mehr und mehr die Kriegsflotten unter Wasser drückt und alle bisherigen Auffassungen über den Unterseebootkrieg obsolet macht.22 Für den Seeoffizier sind das selbstverständliche Überlegungen, und sie sollten den Juristen davon abhalten, Streitfragen des Seekriegsrechts und der Seekriegspolitik auf dem Rücken derjenigen auszutragen, deren Berufspflicht es ist, Flotten zu führen.

Im ersten Weltkrieg war der deutsche U-Bootkrieg von einem Sturm der Empörung begleitet gewesen. Mir erscheint gerade heute wieder bedeutsam, wie der englische Historiker Bell in einer offiziellen, nur für den Dienstgebrauch des Foreign Office bestimmten Schrift die Berechtigung dieser Empörung beurteilt. Ich zitiere:

»Es ist eine alte Regel militärischer Ehre, niemals die Taten eines Feindes, der hart und tapfer gekämpft hat, zu verkleinern. Wenn diese Regel in England befolgt worden wäre, würde die Öffentlichkeit den Platz, den der U-Boot-Handelskrieg in der Geschichte der Strategie und des Krieges einnehmen wird, besser würdigen. Unglücklicherweise sind die Schreckensschreie, sowie die unangebrachten Beschimpfungen der Presseleute von verantwortlicher Seite aus wiederholt worden mit dem Ergebnis, daß die Schlagworte von Piraterie und Mord in den Sprachschatz übergegangen sind und in den Herzen des Volkes entsprechende Gefühle ausgelöst haben.«23

Ich muß mich nun noch mit den weiteren Punkten der Anklage gegen den Großadmiral Dönitz befassen, die nicht den Seekrieg betreffen.

Es handelt sich zunächst um den Vorwurf der Vorbereitung von Angriffskriegen. Es ist bekannt, wie sehr gerade dieser Vorwurf bei den Berufsoffizieren wohl aller alliierten Länder Widerspruch gefunden hat. In Erwiderung auf derartige Angriffe in der Öffentlichkeit hat Justice Jackson die Gedanken der Anklage zu diesem Punkt gegenüber der Presse am 4. Dezember 194524 wie folgt formuliert:

»Ich habe es klar gemacht, daß wir diese Militaristen nicht verfolgen, weil sie ihrem Lande gedient, sondern weil sie es beherrscht und in den Krieg geführt haben; nicht weil sie den Krieg geführt, sondern weil sie zum Krieg getrieben haben.«

Wenn man diesen Maßstab der Anklage zugrunde legt, dann brauche ich zur Verteidigung des Großadmirals Dönitz gegen den Vorwurf der Vorbereitung von Angriffskriegen nur auf das Ergebnis der Beweisaufnahme zu verweisen. Er war zu Kriegsbeginn ein verhältnismäßig junger Befehlshaber; seine einzige Aufgabe war die Ausbildung und Führung der U- Boote; er gehörte nicht zum Generalstab im Sinne der Anklage und hat an keiner der Ansprachen teilgenommen, die hier als Beweis für Kriegsabsichten vorgelegt worden sind. Der Vorwurf, er habe die Besetzung von U-Bootstützpunkten in Norwegen angeregt, ist ebenfalls widerlegt. Das gleiche gilt von der Behauptung, er habe 1943 einen Angriff auf Spanien vorgeschlagen, um so Gibraltar zu erobern. Die Eroberung Gibraltars gegen den Willen Spaniens war während des ganzen Krieges und erst recht im Jahre 1943 außerhalb jeder Möglichkeit und Diskussion.

Als Admiral Dönitz am 1. Februar 1943 zum Oberbefehlshaber der Kriegsmarine ernannt wurde, befand sich der Krieg für Deutschland im Stadium der Defensive, ja gefährlicher Rückschläge auf allen Fronten. Diese Tatsache mag bedeutsam sein für die Teilnahme an der sogenannten Verschwörung. Die Anklage ist nicht gerade klar über den Zeitpunkt, in dem sie diese Teilnahme beginnen lassen will. In der Einzelanklage ist von intimen Beziehungen zu Hitler seit 1932 die Rede. Das ist jedoch ein offensichtlicher Irrtum. Admiral Dönitz hat den Führer erst im Herbst 1934 bei einer militärischen Meldung kennengelernt und in den folgenden Jahren insgesamt achtmal kurz gesprochen, immer nur über militärische Fragen und niemals allein. Da der Angeklagte außerdem keiner Organisation angehört hat, die von der Anklage der Verschwörung beschuldigt wird, sehe ich vor dem 1. Februar 1943 keinerlei Beziehung zu dieser Verschwörung.

Um so bedeutsamer ist hier die Frage der Rückwirkung des Beitritts zur Verschwörung, wie sie der Herr britische Ankläger an dem Beispiel von Eisenbahnattentätern erläutert hat. Dieser Gedanke einer Schuld, die zurückwirkt auf vergangene Ereignisse, ist dem deutschen Juristen schwer begreiflich zu machen. Die kontinentale Rechtsauffassung spiegelt sich in der Formulierung von Hugo Grotius wider. Ich zitiere:

»Zur Teilnahme an einem Verbrechen gehört die Kenntnis davon und die Möglichkeit, es zu verhindern«25

Ist schön der ganze Rechtsbegriff der Verschwörung in unseren Augen eine Sonderschöpfung des angelsächsischen Rechts, so gilt das erst recht für die Rückwirkung der sogenannten Verschwörung. Ein Urteil, das internationale Geltung beansprucht und das auch von den Völkern Europas, insbesondere den Deutschen verstanden werden soll, muß auf allgemein anerkannten Rechtsbegriffen beruhen. Das trifft aber gerade für eine rückwirkende Schuld auf keinen Fall zu.

Mag eine derartige rechtliche Konstruktion zweckmäßig sein für die Bekämpfung gewisser typischer Verbrechensformen, so scheint sie mir völlig unanwendbar bei der Beurteilung der Vorgänge, die hier zur Debatte stehen.

Admiral Dönitz wurde im Zuge einer normalen und gänzlich unpolitischen militärischen Laufbahn zum Oberbefehlshaber der Kriegsmarine ernannt. Die Ernennung beruhte auf dem Vorschlag seines Vorgängers, Großadmiral Raeder, für den die in der Führung des U-Bootkrieges bewiesenen Fähigkeiten allein maßgebend waren. Einer Annahme bedurfte die Ernennung ebensowenig, wie irgendeine andere militärische Stellenbesetzung. Admiral Dönitz hatte damals nur die Gedanken, die wohl jeder Offizier in der gleichen Lage gehabt hätte, nämlich die Frage, ob er dieser Aufgabe gewachsen sein werde und ob er sie zum Nutzen der Marine und des Volkes erfüllen könne. Alle anderen Erwägungen, die die Anklage in diesem Zeitpunkt von ihm anscheinend erwartete, nämlich über die Rechtmäßigkeit des Parteiprogramms und der Parteipolitik seit 1922, sowie der deutschen Innen- und Außenpolitik seit 1933, können nur Fiktionen sein; mit den Tatsachen haben sie nichts zu tun. Derartige Fiktionen sind ohne zeitliche und sachliche Grenzen. Soll sich etwa die Verantwortung für vergangene Maßnahmen bei Übernahme einer hohen Position nur auf die Handlungen des amtierenden Kabinetts oder auch auf frühere Kabinette erstrecken und bis zu welchem Zeitpunkt? Soll sie nur die Innen- und Außenpolitik des eigenen Landes umfassen oder auch die der Verbündeten? Derartige Überlegungen sind logisch nicht zu widerlegen, sie führen aber zu unannehmbaren Ergebnissen und zeigen die praktische Unbrauchbarkeit des Gedankens einer Rückwirkung der sogenannten Verschwörung.

Es ist schon schwer genug, auch nur die Mitwirkung an einer solchen Verschwörung mit exakten Maßstäben zu messen, wenn es sich um Vorgänge handelt, die nicht krimineller, sondern militärischer oder politischer Natur sind. Was bedeuten Begriffe wie »Freiwilligkeit des Beitritts« und »Kenntnis des verbrecherischen Planes«, wenn ein Offizier in Zeiten höchster Not die Aufgabe übernimmt, den Seekrieg vor dem Zusammenbruch zu bewahren?

Auch die Anklage scheint das einzusehen; denn sie versucht, entsprechend ihrer allgemeinen Idee, Admiral Dönitz auf dem politischen Wege mit der Verschwörung zu verkoppeln. Das geschieht mit der Behauptung, er sei durch die Ernennung zum Oberbefehlshaber der Kriegsmarine Mitglied der Reichsregierung geworden. Grundlage der Behauptung bildet die Verordnung, wonach die Oberbefehlshaber des Heeres und der Kriegsmarine den Rang von Reichsministern erhalten und auf Anordnung des Führers an Kabinettssitzungen teilzunehmen haben.

Es liegt auf der Hand, daß jemand, der nur den Rang eines Reichsministers bekommt, nicht wirklich ein Reichsminister ist. Er ist auch nicht Mitglied des Kabinetts, wenn er nur auf besondere Anordnung daran teilnehmen darf. Gerade das zeigt, daß er nur in fachlichen Fragen gehört werden sollte, aber niemals die Befugnis besaß, sich über die anderen Ressorts zu unterrichten, geschweige denn darüber mitzureden. Ohne diese Befugnis kann man jedoch von einer politischen Aufgabe und Verantwortung nicht sprechen. Für eine Tätigkeit als Minister fehlt auch jede gesetzliche Grundlage. Nach dem deutschen Wehrgesetz gab es für die Gesamtwehrmacht nur einen Minister, den Reichskriegsminister. Dessen Stelle blieb nach Verabschiedung des Generalfeldmarschalls von Blomberg unbesetzt. Die Geschäfte des Ministeriums nahm der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht wahr. Weder für das Heer, noch für die Marine wurde ein neues Ministerium geschaffen. Die Oberbefehlshaber des Heeres und der Kriegsmarine hätten somit Minister ohne Geschäftsbereich sein müssen. Da sie jedoch jeder einen Geschäftsbereich hatten, nämlich das Heer und die Marine, wäre eine derartige Ernennung ein Widerspruch zu allen staatsrechtlichen Gepflogenheiten. Als grundlegendes Merkmal jeder Ministertätigkeit muß die Aufgabe angesehen werden, solche Gesetze gegenzuzeichnen, an denen der Minister sachlich beteiligt ist. Es gibt kein einziges Gesetz, das vom Oberbefehlshaber der Kriegsmarine gegengezeichnet wäre. Ich habe dem Tribunal das an dem Beispiel der Prisenordnung gezeigt. Also auch und gerade bei Anlegung der rechtlichen Maßstäbe eines demokratischen Systems kann der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine nicht als Mitglied der Reichsregierung bezeichnet werden, weil ihm jede Mitwirkungsbefugnis bei den Akten der Gesetzgebung und jede Gesamtverantwortung für die Politik fehlte. Seine Aufgabe war eine militärische und sie blieb eine militärische, auch wenn man ihn aus Gründen der Etikette im Rang den Reichsministern gleichstellte.

Die Anklage hat nun selbst erkannt, daß die Reichsregierung in verfassungsrechtlichem Sinne während des Krieges nicht mehr bestand, und sie behauptet daher, daß die tatsächliche Regierung von denjenigen ausgeübt worden sei, die an den Lagebesprechungen im Führerhauptquartier teilgenommen hätten.

Wie alle hier vernommenen Zeugen bekundet haben, handelt es sich dabei um ein ausschließlich militärisches Ereignis, bei dem die eingegangenen Meldungen vorgetragen, militärische Maßnahmen besprochen und militärische Befehle erlassen wurden. Fragen der Außenpolitik wurden ausnahmsweise einmal erwähnt, wenn sie mit militärischen Fragen im Zusammenhang standen, aber vorgetragen und entschieden wurden sie in dieser Führerlage nie. Die Innenpolitik einschließlich des Sicherheitswesens stand überhaupt nicht zur Diskussion. Soweit Nicht-Soldaten daran teilnahmen, waren sie Zuhörer, die sich für ihre Ressorts informierten. Der Reichsführer-SS oder sein Vertreter waren zugegen für das Kommando der Waffen-SS, im letzten Kriegsjahr auch für das Ersatzheer.

An dieser Führerlage hat der Großadmiral immer teilgenommen, wenn er im Führerhauptquartier war. Über alle Zusammenkünfte und Besprechungen des Oberbefehlshabers hat sein jeweiliger Begleiter Niederschriften angefertigt, und sie sind alle im Besitze der Anklage. Da sie nicht eine einzige Niederschrift vorgelegt hat, nach der der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine am Vortrag oder an der Entscheidung politischer Angelegenheiten beteiligt war, darf man wohl annehmen, daß derartige Niederschriften auch nicht existieren. Damit sind aber die Zeugenaussagen bestätigt, daß nämlich die Führerlage mit einer Regierung im politischen Sinne nicht das mindeste zu tun hatte, sondern ausschließlich ein Instrument der militärischen Führung war.

Somit besteht keinesfalls eine Gesamtverantwortung des Großadmirals für alle Vorgänge und Ereignisse seit 1943, die im Laufe dieses Verfahrens als verbrecherisch bezeichnet worden sind. Ich beschäftige mich daher nur mit denjenigen einzelnen Behauptungen, mit denen die Anklage Admiral Dönitz unmittelbar in Verbindung mit der Verschwörung zu bringen sucht. Dazu glaube ich mich um so mehr berechtigt, als das Tribunal hier vor kurzem eine Befragung von Zeugen über den Fall Katyn abgelehnt hat mit der Begründung, daß ja niemand dem Admiral Dönitz den Fall Katyn zur Last lege. Ich schließe daraus, daß ihm jedenfalls in den Augen des Tribunals nur solche Fälle zur Last gelegt werden, an denen seine direkte Beteiligung behauptet wird.

Das trifft zunächst nicht zu bei dem Führerbefehl zur Vernichtung von Sabotagetrupps vom 18. Oktober 1942. Die Anklage hat nachzuweisen versucht, daß dieser Befehl Admiral Dönitz kurz nach Dienstantritt als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine ausführlich mit allen gegen ihn möglichen Bedenken vorgetragen worden wäre. Dieser Nachweis ist mißlungen. Tatsächlich hat er ihn, wie er selbst zugibt, im Herbst 1942 als Befehlshaber der U-Boote gelesen oder vorgetragen erhalten, und zwar in der Form, in der ihn die Frontbefehlshaber erhielten. Ich will hier nicht von den Umständen reden, die im Oberkommando der Wehrmacht zu Bedenken gegen diesen Befehl geführt haben. Denn alle diese Umstände waren für den Empfänger dieses Befehls an der Front nicht erkennbar. Für ihn handelte es sich um eine Repressalie gegen Saboteure, die nur dem äußeren Anschein nach Soldaten waren, aber nicht nach den für Soldaten geltenden Grundsätzen kämpften. Ob eine derartige Repressalie nach der Genfer Konvention überhaupt zulässig war und in welchem Umfang, entzog sich sowohl der Beurteilung wie der Zuständigkeit des Empfängers. Daß der Befehl, keinen Pardon zu geben und solche Männer in bestimmten Fällen dem SD zu überantworten, an sich gegen das Kriegsrecht verstieß, wird zum mindesten jeder höhere Offizier erkannt haben. Da aber das Wesen jeder Repressalie ist, daß sie ein Unrecht des Gegners mit eigenem Unrecht vergilt, besagt diese Erkenntnis nichts für die Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit der befohlenen Repressalie. Wenn niemand anders befugt ist, Repressalien anzuordnen als die Staatsführung, dann kann man heute nicht von Hunderten oder Tausenden deutscher Offiziere verlangen, daß sie sich ebenfalls als zuständig ansahen und sich anmaßten, Befehle nachzuprüfen, deren tatsächliche und rechtliche Grundlagen ihnen völlig unbekannt waren. Hier gilt für den Frontbefehlshaber zumindest der Grundsatz, daß sich der Untergebene im Zweifel auf den erteilten Befehl verlassen kann.26

Die Anklage meint nun wohl, Admiral Dönitz hätte einige Monate später, als er Oberbefehlshaber der Marine war, die Möglichkeit und auch die Verpflichtung gehabt, sich über die Grundlagen des Kommandobefehls zu unterrichten. Diese Forderung verkennt die Aufgaben eines Oberbefehlshabers der Kriegsmarine. Dieser hat Seekrieg zu führen. Der gesamte deutsche Seekrieg, insbesondere der U-Bootkrieg stand aber im Frühjahr 1943 infolge der ungeheueren Verluste durch die feindliche Luftwaffe vor dem Zusammenbruch. Das waren die Sorgen, mit denen sich der neue Befehlshaber zu befassen hatte neben der Fülle der anderen neu an ihn herantretenden Fragen, die die Kriegsmarine betrafen. Wie kann man von einem solchen Mann verlangen, daß er sich, wie in den ruhigsten Zeiten, mit einem zurückliegenden Befehl befaßte, der mit dem Seekrieg nicht das mindeste zu tun hatte. Im Gegenteil, im Seekrieg gemachte Gefangene waren in einer besonderen Ziffer von dem Befehl ausdrücklich ausgenommen.

Ich muß hier etwas über die Befehlsverhältnisse einfügen. Die Einheiten der Kriegsmarine unterstanden der Seekriegsleitung nur in den Fragen, die Aufgabe der Marine waren, das heißt Krieg zur See und artilleristische Verteidigung der Küste. In den sogenannten territorialen Fragen unterstanden sie nicht der Seekriegsleitung, sondern dem Wehrmachtbefehlshaber des betreffenden Kriegsschauplatzes, in dem sich ihre Basis befand. Befehle über derartige Kriegsmaßnahmen an Land ergingen ohne Mitwirkung der Seekriegsleitung, und ihre Ausführung wurde der Seekriegsleitung auch nicht gemeldet. So wenig jemand im Ernst daran denken kann, einen General verantwortlich zu machen für den deutschen U-Bootkrieg, so wenig scheint es mir berechtigt, einem Admiral die Verantwortung auferlegen zu wollen für Befehle des Landkrieges.

Herr Präsident! Ich bin am Ende eines Abschnittes.

VORSITZENDER: Gewiß, wir vertagen uns nun.