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DR. KUBUSCHOK: Ich glaube, mit diesen Ausführungen genügend klargestellt zu haben, daß die Mitwirkung Papens bei der Bildung des Kabinetts vom 30. Januar sich von seiner Seite keinesfalls als ein Versuch darstellt, den Nationalsozialismus in eine ausschließliche Machtposition zu bringen. Das Gegenteil ist aus den Tatsachen bewiesen.

Im Sinne der Verteidigung bin ich dabei weit über das Maß hinausgegangen, was zur Verneinung eines Schuldspruches überhaupt erforderlich wäre. Selbst wenn jemand in diesem Stadium mitgewirkt hätte, um der Nationalsozialistischen Partei tatsächlich einen ausschließlichen Einfluß zu verschaffen, so würde damit noch nicht eine Vorbereitungshandlung für die unter Strafe gestellten Verbrechen im Sinne der Anklage zu erblicken sein.

Man kann an dem verbrieften Programm der Nationalsozialistischen Partei und an den mit Rücksicht auf die propagandistische Wirkung objektiv enger auszulegenden Erklärungen der Parteiführer aus der damaligen Zeit noch so viel deuteln und rückwirkend noch so viel später Erkennbares hineinlegen: man kann darin nicht den Weg zu dem in der Charte festgelegten Verbrechen sehen.

Die Anklage glaubt, in der Tätigkeit Papens als Vizekanzler in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis 30. Juni 1934 eine Fortsetzung seiner konspiratorischen Tätigkeit mit dem Ziele sehen zu können, den an die Macht gebrachten Nationalsozialismus in seiner Machtposition zu festigen. Sie legt in diesem Zusammenhange ihm die Mitwirkung an den verschiedenen, in diesem Zeitraume von der Regierung erlassenen Gesetzen zur Last, die nach ihrer Ansicht nur dem behaupteten Ziele gegolten hätten.

Ich werde demgegenüber dartun, wie sich die Tätigkeit des Angeklagten im einzelnen gestaltet hat, daß er auch insoweit seine bisherige Linie nicht verlassen hat.

Die Anklage behandelt aus der ersten Zeit des Kabinetts eine Anzahl Gesetze, die in ihrer politischen Gestaltung als ein Kompromiß anzusehen sind, ein Kompromiß zwischen den Forderungen der Nationalsozialisten und den bürgerlichen Anschauungen der übrigen Mitglieder des Kabinetts. Wir sehen Probleme angeschnitten, die der Nationalsozialismus seit Jahren in die Diskussion und in die Propaganda geworfen hatte. Die bürgerlichen Mitglieder des Kabinetts stehen jetzt vor folgender Situation:

Die stärkste Partei und der Reichskanzler können an diesen Fragen nicht restlos vorübergehen; in irgendeiner Form müssen sie gelöst werden.

Das Prinzip einer jeden Koalitionsregierung bringt ein Nachgeben für beide Teile mit sich. Der andere Teil braucht hierbei seine Gesinnung nicht ändern. Wenn zum Beispiel in einer Koalitionsregierung, in der eine Arbeiterpartei führend wird, das Programm der Arbeiterregierung, das vielleicht auf eine allgemeine Sozialisierung geht, praktisch durchgeführt werden soll, so wird die Mitarbeit der anderen Regierungsmitglieder darin bestehen, eine allgemeine Ausweitung dieser Maßnahmen zu verhindern und ihre Wirksamkeit nur auf die Fälle zu beschränken, die nach ihrer Ansicht mit dem geringsten Abweichen von der bisherigen Linie verbunden sind. Man kann von der stärksten Partei und ihrem Führer in der verfassungsmäßigen Position eines Reichskanzlers nicht erwarten, daß die Politik ihrer Vorgänger weiterbetrieben wird. Die anderen Koalitionsmitglieder müssen Opfer bringen, wenn überhaupt eine Regierungstätigkeit möglich sein soll.

Da wir im Rahmen dieser Gerichtsverhandlung nicht über politische Zweckmäßigkeitserwägungen, nicht einmal über moralische Anschauungen zu richten haben, sondern lediglich darüber, ob dasjenige, was geschehen ist, zum Zwecke eines Verbrechens im Sinne der Charte geschah, ist die für die Verteidigung gestellte Aufgabe verhältnismäßig einfach.

Wir sehen bei der Gesetzgebung die vom Nationalsozialismus aufgeworfenen weltanschaulichen Probleme auf Teilgebieten gelöst. Wir müssen den beteiligten nichtnationalsozialistischen Regierungsmitgliedern konzedieren, daß sie an eine abschließende Lösung und nicht an ein Zwischenstadium bei diesen Gesetzen dachten. Sie standen ja in ihrer Erfahrung auf der Vergangenheit, auf der Erfahrung des politischen Lebens aller Länder, daß ein gesetzlich zur Regelung gekommenes Problem normalerweise abgeschlossen ist. Es war nicht denkbar – da mit einer normalen Regierungstätigkeit und einer Wahrung der Autorität einer Legislative nicht vereinbar –, daß nach Erlaß eines Gesetzes in den folgenden Jahren in steter Folge immer wieder ein schon behandeltes Problem neu aufgenommen und einer jeweils radikaleren Lösung zugeführt würde. Papen hat bewiesen, daß er peinlich darauf bedacht war, die Konzessionen an die Gegenseite in einem noch einigermaßen erträglichen Rahmen zu halten. Die Tatsache, daß in den Gesetzen der damaligen Zeit noch selten und gemäßigt nationalsozialistische Doktrinen in Erscheinung treten, zeigt zur Genüge, daß die damalige personelle Zusammensetzung des Kabinetts ihren hemmenden Einfluß auf die Durchdringung nationalsozialistischer Ideen ausgeübt hat.

Ohne diesen Einfluß wäre es nicht zu verstehen, daß Hitler damit eine verhältnismäßig unpopuläre Beschränkung der vorher propagierten Parteiziele vorgenommen hätte.

Die hemmende und korrigierende Hand des Angeklagten bei der Gestaltung der einzelnen Gesetze ist klar erkenntlich. Das klassische Beispiel hierzu bieten seine Bemühungen beim Zustandekommen des Ermächtigungsgesetzes. Es war für die Gesetzgebung in der damaligen Krisenzeit eine technische Notwendigkeit. Die vorangegangenen Jahre hatten gezeigt, daß mit zeitraubenden Beschlußfassungen im Reichstage der meistenteils vorliegenden Dringlichkeit zum Erlaß von Gesetzen nicht Genüge getan war. Daher war schon zu Brünings Zeiten fast das gesamte Gesetzgebungsrecht dadurch praktisch in die Hand des Reichspräsidenten gelegt, daß die maßgeblichen Gesetze im Wege der Notverordnung durch einseitige Legislativakte des Reichspräsidenten erlassen wurden. Wenn man aus diesen zwingenden Gründen die Gesetzgebung praktisch nicht beim Reichstag lassen konnte, so bildete das auf das Kabinett verlegte Gesetzgebungsrecht einen mittleren Ausweg.

Dieser Erkenntnis haben sich, wie das Abstimmungsergebnis über das Ermächtigungsgesetz im Reichstage ergibt, sämtliche Parteien bis zum Zentrum nicht verschlossen. Es fragte sich nunmehr nur, ob das Recht des Kabinetts, in dem nach der Verfassung der Reichskanzler die Grundlinien der Politik zu bestimmen hatte, dadurch eingeschränkt würde, daß dem Reichspräsidenten das Verkündungsrecht der Gesetze vorbehalten wurde. Der eigene Staatssekretär des Reichspräsidenten hat in der Kabinettssitzung erklärt, daß er es nicht für erforderlich halte, Hindenburg durch das Verkündungsrecht mit der Verantwortung für die gesamte Gesetzgebung zu belasten. Die darauf erfolgte direkte Intervention Papens bei Hindenburg blieb erfolglos, wie der Zeuge Tschirschky bekundet hat.

Würde es, Herr Präsident, jetzt im Augenblick angenehm sein, daß ich den beantworteten Fragebogen Tschirschkys in den wesentlichen Punkten jetzt zum Vortrag bringe?

VORSITZENDER: Sie können das Dokument kommentieren, aber Sie wollen es doch nicht ganz verlesen, nicht wahr?

DR. KUBUSCHOK: Ich werde es summarisch vortragen, wenn es genehm ist.

VORSITZENDER: Jawohl.

DR. KUBUSCHOK: Es ist dies das Dokument 103, das ich vorhin überreicht habe.

Frage 1 habe ich bereits vorgelesen.

Frage 3 befaßt sich mit den eben erörterten Sicherungen. Der Zeuge erklärt hierzu, daß sie sicherlich bestimmt waren zu verhindern, daß Hitler und die NSDAP ihre Politik zur Durchführung brachten.

Der Zeuge bejaht in der nächsten Frage das diesseits behauptete Ziel des konservativen Blocks »Schwarz-Weiß-Rot«.

In Frage 5 bestätigt der Zeuge die im folgenden von mir noch vorzutragende Entwicklung zu einer Autoritätsregierung Hitlers.

Die Antwort auf Frage 7 ergibt, daß Papen im Kabinett erheblichen Widerstand in vielen Punkten gegen die vorgeschlagene Gesetzgebung vorgebracht hat.

Frage 10 betrifft die Stellung Papens zur Kirche. Insbesondere der letzte Satz ist wichtig:

»Von Papen glaubte durch den Abschluß des Konkor dats Hitler und die NSDAP unter so starke vertragliche Bindung zu bringen, daß der kirchenfeindlichen Einstellung ein Riegel vorgeschoben würde.«

Die nächste Antwort, 11:

»Ich halte es nicht für möglich, daß von Papen an der späteren Verletzung des Konkordats selbst teilgenommen oder daß er gar seine politische Überzeugung zu einem politischen Druck benützt hat.«

Frage 12 bestätigt dasjenige, was ich bezüglich der Marburger Rede noch vortragen werde.

Die Antwort auf Frage 14 ist bedeutungsvoll:

»Mir ist nicht bekannt, daß von Papen Gedanken geäußert hat, die dahin zielten, daß die Regierung Hitlers die außenpolitischen Ziele durch Krieg und Aggression lösen müsse. Solche Gedankengänge wären im Jahre 1933 und 1934 absurd gewesen.«

In der gleichen Richtung liegt die Antwort auf Frage 15.

Die Antwort auf Frage 18 bestätigt die Bemühung Papens, nach den Ereignissen des 30. Juni zu Hindenburg zu gelangen, um dort eine Wandlung der Dinge zu erreichen.

VORSITZENDER: In der Antwort zu Frage 14, beginnt diese Antwort »Es ist nicht bekannt«, oder »Es ist bekannt«?

DR. KUBUSCHOK: »Mir ist nicht bekannt...«

VORSITZENDER: In der Übersetzung heißt es: »Es ist bekannt...«

DR. KUBUSCHOK: Die Antwort auf Frage 16 bestätigt den Vortrag Papens, daß er den Rücktritt Deutschlands aus dem Völkerbund auf jeden Fall verhindern wollte.

Frage 18 habe ich bereits erläutert. Aus der Antwort zu 18 ergibt sich auch die konsequente Einstellung Papens nach dem 30. Juni: Rücksichtsloses Festhalten an seiner Demission.

Die Fragen 19 bis 23; hier besonders wichtig der zweite Satz der Antwort:

»Es stimmt, daß von Papen den Posten eines Botschafters in besonderer Mission in Wien nur deshalb angenommen hat, weil er hoffte, die Wahnsinnspolitik Hitlers und der NSDAP in Österreich zu verhindern. Es stimmt, daß Papen die Annahme des Wiener Auftrages von der Bedingung abhängig machte, daß Hitler sich verpflichtete, der Partei jede Einmischung in österreichische Angelegenheiten zu untersagen, den Gauleiter Habicht sofort abzuberufen und von jeder aggressiven Handlung abzusehen. Es stimmt, daß diese und noch andere Bedingungen nach längeren Kämpfen von Hitler angenommen und sodann schriftlich fixiert wurden.«

Mit der Antwort 25 bestätigt Tschirschky, daß an dieser Politik Papen während der Beobachtungszeit des Zeugen unverrückt festgehalten hat.

Die Antwort 26 ergibt eine Widerlegung des Inhalts des Messersmith-Affidavits: Nichtbefassung Papens mit einer aggressiven Politik in dem Südostraum.

Die Antwort 27, eine zusammenfassende Stellungnahme des Zeugen dahin, daß Papen nicht einen Anschluß angestrebt hat, der im Wege der Gewalt durchgerührt werden soll.

Ich darf auf Seite 22 fortfahren:

Wir sehen Papen dann wiederum im Vordergrund, als das Problem des Antisemitismus seinen ersten gesetzlichen Niederschlag fand. Die Lage war damals folgende:

Eine seit Jahren in dieser Zielrichtung bearbeitete Masse, eine überwiegende nationalsozialistische Fraktion, die einen konsequenten Antisemitismus als Programmpunkt hatte. Wir sehen Auswirkungen der Propaganda auf die Masse, die sich in den hier erörterten Einzelaktionen der ersten Wochen nach Begründung der Hitler-Regierung zeigen.

Die Folgerungen aus dieser Lage waren klar. Ein aufgerührtes Problem, das bereits seinen verderblichen Niederschlag in der Praxis fand, mußte zu einer gesetzlichen Regelung gebracht werden. Es war klar, daß in dieser Frage der Nationalsozialismus seinen Anhängern gegenüber in seiner überspannten Propaganda eine gewisse Verpflichtung übernommen hatte. Es war schwer, den Umfang der gesetzlichen Beschränkung, die für die verhetzten Männer immer eine Enttäuschung bleiben mußte, zu finden. Der Ausweg konnte nur ein Kompromiß sein. Die Regelung wurde abgestellt auf ein Gebiet, bei dem eine Änderung des bisherigen Zustandes am wenigsten hart erschien.

Wurden nach dem Inhalt des Berufsbeamtengesetzes lediglich diejenigen aus ihrer Stellung ausgeschieden, die nicht auf Grund sachlicher Qualifikation, sondern auf Grund parteipolitischer Zugehörigkeit in ihre Stellungen gekommen waren, so wurden darüber hinaus sämtliche jüdischen Beamten entlassen, die nach 1918 ernannt worden waren. Ein Pensionsanspruch wurde für die Regel aufrechterhalten. Die Auswirkungen auf die jüdischen Beteiligten zahlenmäßig zu beschränken, galt als das erfolgreiche Bemühen Papens. Er wurde bei Hindenburg vorstellig, der für den Gedanken des Schutzes von Kriegsteilnehmern besonders zugänglich war. Durch den persönlichen Einfluß Hindenburgs auf Hitler wurden dann die jüdischen Kriegsteilnehmer und die Angehörigen gefallener Kriegsteilnehmer von dem Gesetz ausgenommen.

Da ja ein überwiegender Anteil der seit 1914 angestellten jungen Beamten Kriegsteilnehmer war, wirkte sich diese Ausnahme zahlenmäßig sehr weitgehend aus. Besonders anschaulich tritt dies durch die Zahlen in Erscheinung, die über die Verhältnisse in der Rechtsanwaltschaft amtlich herausgegeben und im Verteidigungsdokument Nummer 33 vorgetragen worden sind.

Dem Angeklagten wird weiterhin das Vorgehen gegen die Gewerkschaften zum Vorwurf gemacht. Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, daß die Maßnahmen nicht durch reichsgesetzliche Regelung durchgeführt wurden. Wesentlich ist ferner, daß bei der Umgestaltung der Dinge die Aufrechterhaltung von Gewerkschaften sozialdemokratischer Prägnanz und gleichartigen Einflusses als ein Anachronismus erscheinen konnte.

Die Stellungnahme Papens zu dem gewerkschaftlichen Problem ergibt sich aus seiner Rede vom 4. März 1933, wiedergegeben im Verteidigungsdokument Nummer 10.

Auch hier ist zu berücksichtigen, daß man bei den damaligen Maßnahmen den Umfang der Weiterentwicklung nicht voraussehen konnte. Die Deutsche Arbeitsfront in der Zeit ihrer Gründung kann bei vielen recht gesunden Gedanken zur Regelung der Sozialfragen nicht die Beurteilung erhalten, die sie am Schlusse durch zahllose Maßnahmen des Zwanges verdient.

Das Amnestiegesetz war, wie in der Beweisverhandlung dargetan, kein Novum. Auch im Jahre 1922 hat man bereits zur Beendigung einer Zeit politischer Unruhen ein Amnestiegesetz erlassen, das auch Straftaten, die mit der Todesstrafe bedroht waren, amnestierte. Die Einrichtung der Sondergerichte war eine Zweckmäßigkeitsmaßnahme zur schnelleren Aburteilung politischer Vergehen, da ein längerer normaler Instanzenweg das gewünschte Abschreckungsmoment nicht wahrte. Bezeichnend ist, daß die Verordnung über Gewaltverbrechen im Falle der Potempa-Mörder – Dokument 1, Seite 6 und 7 – während der Reichskanzlerschaft Papens erstmalig gegen Nationalsozialisten angewendet wurde. Es ist also abwegig, aus der Natur dieser Gesetze eine Anerkennung begangener Handlungen oder eine Förderung der nazistischen Idee zu erblicken.

Wenn die Anklage sich weiterhin in ihrer Kritik der gesetzgeberischen Mitarbeit Papens in dieser Zeit mit dem Gleichschaltungsgesetz der Länder vom 31. März 1933 befaßt, so trifft dieser Punkt zunächst einmal eine innerpolitische Frage, die wirklich fernab von einem Sachgebiet liegt, das eine Erörterung im Sinne der Anklage rechtfertigen könnte.

Wenn der Hinweis der Anklage lediglich den Zweck haben soll darzulegen, daß Papen einen früher einmal eingenommenen Standpunkt insoweit geändert hat, so sei demgegenüber darauf hingewiesen, daß politische Meinungen allgemein änderungsfähig und oft änderungsnotwendig sind und daß aus einer Ansichtsänderung hinsichtlich einer politischen Zweckmäßigkeitsmaßnahme in keiner Weise ein Schluß auf eine allgemeine Gesinnungsänderung gezogen werden kann. Tatsächlich war das erste Statthaltergesetz dazu geeignet, einen von Papen seit jeher als ungünstig empfundenen Dualismus zwischen Reich und Ländern zu beseitigen. Papen war schon immer, insbesondere bezüglich des Landes Preußen, für eine Lösung im Sinne der Bismarckschen Zeit eingetreten, als der Ministerpräsidentenposten in Preußen mit dem Reichskanzleramt in Personalunion verbunden war.

Es liegt also in dieser nur am Rande zu behandelnden Frage nicht einmal eine Ansichtsänderung, geschweige denn ein Indiz für eine Gesinnungsänderung.

Für die gesetzgeberische Arbeit im Kabinett wird in Bezug auf den Angeklagten von Papen folgendes zu berücksichtigen sein:

Seine Stellung als Vizekanzler war ohne Ressort. Der Einfluß auch in allgemeinen politischen Fragen, den der Letter eines Fachministeriums in den Kabinettssitzungen hatte, kam für Papen infolgedessen nicht in Betracht. Er konnte nur von allgemeinen Gesichtspunkten aus Bedenken und Widersprüche erheben, ohne sie mit Gründen aus dem Ressort untermauern zu können.

Mit Rücksicht auf die geringe Zahl der zur Verfügung stehenden Protokolle über die Kabinettssitzungen – die Herbeischaffung der restlichen ist mir trotz aller Bemühungen nicht gelungen – läßt sich der Umfang der Opposition Papens und der übrigen Minister nicht dokumentarisch nachweisen. Daß er seine gegensätzliche Meinung vorgebracht hat, ergibt die Beweisaufnahme. Zugegebenermaßen war der Erfolg jedoch gering. Es ist deshalb Pflicht der Verteidigung, einmal näher darauf einzugehen, aus welchen Gründen sich die Machtposition Hitlers allmählich verstärkte und der Einfluß der nichtnationalsozialistischen Minister geringer wurde, kurz, woran die bei der Gründung der Regierung am 30. Januar vorgesehenen Sicherungen scheiterten.

Im Anfang wich der Verlauf der Kabinettssitzungen vom Normalen nicht ab. Die auftretenden Fragen wurden in Rede und Gegenrede erörtert. Hitler versuchte nicht, begründet abgelehnte Gesetzesvorschläge unter allen Umständen durchzubringen. Eine anschauliche Darstellung hierüber gibt uns das Affidavit des früheren Ministers Hugenberg – Verteidigungsdokument Nummer 88.

Die Wahl vom 5. März mit dem überwiegenden Erfolg der Nationalsozialistischen Partei brachte eine wesentliche Änderung. Über ihre rein parlamentarischen Auswirkungen hinaus glaubte Hitler sich jetzt in dem Bewußtsein gestärkt, der Beauftragte des deutschen Volkes zu sein. Er glaubte nunmehr, der Zeitpunkt sei gekommen, ausschließlich auf sein Recht Bezug zu nehmen, das ihm Artikel 56 der Reichsverfassung einräumte, die Grundlinien der Politik als Reichskanzler auch bei Widerspruch der Minister zu bestimmen.

Bezüglich der verfassungsrechtlichen Lage verweise ich auf Dokument Nummer 22, aus dem sich ergibt, daß in Fragen der grundlegenden Politik auch ein Mehrheitsbeschluß der Minister gegen die Bestimmung des Reichskanzlers wirkungslos war. Hitler wurde Anregungen gegenüber nunmehr sehr verschlossen. Bei einem sachlichen Widerspruch im Kabinett glaubte er eine oppositionelle Phalanx gegen sich zu haben, und bald wurde es klar, daß Einwendungen im Kabinett nicht geeignet waren, Hitlers Haltung zu ändern. Man konnte, wie der Angeklagte von Neurath als Zeuge bekundet hat, höchstens hoffen, außerhalb des Kabinetts und in direkter Aussprache mit Hitler auf ihn einwirken zu können.

Die wesentlichsten Momente für die Entwicklung Hitlers zum Autokraten waren seine zunehmend gefestigte Stellung gegenüber Hindenburg und sein immer stärker werdender Einfluß auf den Reichswehrminister von Blomberg.

Die ersten Maßnahmen Hitlers, die in den Augen Hindenburgs seine Bemühungen zur Herbeiführung einer straffen Ordnung erkennen ließen, hatten das persönliche Verhältnis Hitlers zu Hindenburg immer mehr gebessert. Er hatte es verstanden, sich sehr geschickt auf die Persönlichkeit und Mentalität Hindenburgs einzustellen. Deshalb gelang es ihm auch sehr bald, die anfängliche Bestimmung über einen gemeinsamen Vortrag in Fortfall zu bringen. Damit war praktisch die hauptsächliche Einwirkungsmöglichkeit Papens bei Hindenburg aufgehoben.

Die Haltung des Kriegsministers von Blomberg war der zweite entscheidende Punkt für die Entwicklung Hitlers.

Die Wehrmacht war ein Machtfaktor. Hitler wußte, daß sie in ihrem Mannschafts- und Offiziersbestande im wesentlichen wohl unpolitisch, keinesfalls jedoch – besonders in ihrer Führung – nationalsozialistischen Ideen geneigt war. Ein weitgehender radikaler Regierungskurs mußte daher stets einen Widerstand der Wehrmacht befürchten lassen. Es kam hinzu, daß nach der Persönlichkeit Hindenburgs dieser für Vorstellungen aus militärischen Kreisen ein besonders offenes Ohr hatte. Solange daher Hitler nicht den Kriegsminister zu seinem Gefolgsmann hatte, mußte er an der Durchführung radikaler Ideen gehindert sein.

Es ist historisch heute noch kein klares Bild darüber zu gewinnen, wodurch die Einflußnahme Hitlers auf Blomberg sich erklären läßt. Wir halben jetzt lediglich die Tatsache festzustellen, daß Blomberg sehr bald ein glühender Bewunderer Hitlers wurde und daß von seiner Seite aus keinerlei Widerstand gegen eine noch so weitgehende radikale Entwicklung der Hitlerschen Politik zu erwarten war. Der 30. Juni 1934 sollte dies später mit größter Klarheit beweisen.

Nachträglich betrachtet wird die Folgerichtigkeit dieser Entwicklung klar. Hitler war nur durch die Tatsache der Macht zu beeindrucken. Die Wehrmacht in Ihrem damaligen Bestande war insbesondere in Verbindung mit der Stellung des Reichspräsidenten von Hindenburg ein Machtfaktor, dem anfangs auch Hitler und seine Partei bei einer Kraftprobe nicht gewachsen gewesen wäre. Daher das Bestreben Hitlers, das Vertrauen Hindenburgs zu gewinnen, daher in der Zeit bis zum Tode Hindenburgs ein verhältnismäßig vorsichtiges Operieren, das in keiner Weise eine weiter verstärkte Entwicklung vermuten ließ. Vom Zeitpunkte des Todes Hindenburgs ab erscheint Hitler als Diktator, der keine Rücksicht mehr kennt und zumindest auf innerpolitischem Gebiete seine rücksichtslose Machtpolitik erkennen läßt.

Außerhalb der Gesetzgebungstätigkeit des Kabinetts hat sich die Anklage mit der Frage beschäftigt, wieweit Papen für die Unterdrückung politischer Gegner und für manche Gewalttätigkeiten verantwortlich ist, die sich in der Zeit ereignet haben, die in der damaligen Terminologie als »nationale Revolution« bezeichnet wird.

Im Kreuzverhör ist Papen vorgehalten worden, ob er die Verhaftung und Mißhandlung einzelner namentlich aufgeführter kommunistischer und sozialdemokratischer Persönlichkeiten gekannt hätte. Papen hat diese Frage im wesentlichen verneint. Er wußte zwar, daß auf Grund der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat Maßnahmen ergriffen worden waren, die die persönliche Freiheit einer großen Anzahl linksgerichteter Persönlichkeiten aufhob.

Die Verordnung war vom Reichspräsidenten, also außerhalb der Verantwortlichkeit Papens, unter Aufhebung der in Betracht kommenden Verfassungsbestimmungen erlassen worden. Sie war unter dem Eindruck des Reichstagsbrandes geschaffen worden, eines Ereignisses, das mit aller Klarheit bis zum heutigen Tage noch nicht aufgeklärt ist, bei dem aber die amtliche Behauptung, kommunistische Kreise hätten die Brandstiftung veranlaßt, durchaus glaubhaft erschien, zumal die Durchsuchung des Liebknechthauses, des kommunistischen Hauptquartiers, nach Görings Angaben stark belastendes Material über geplante Akte gegen die Reichsregierung zutage gefördert hatte. Das Untersuchungsverfahren wurde von einem Richter des Reichsgerichts geführt, einer Persönlichkeit, die in ihrer Unparteilichkeit außer Zweifel stand. Papen konnte daher für die seitens der inneren Verwaltung für erforderlich gehaltenen gesetzlichen Sicherungsmaßnahmen Verständnis haben.

Mit der Kenntnis der Verhaftung dieser Politiker ist jedoch in keiner Weise eine solche über die Einzelheiten und den Umfang der damaligen Maßnahmen ohne weiteres verbunden.

Wir haben in den Jahren des nazistischen Regimes immer wieder die Erfahrung machen müssen, daß die Kenntnis von Gewalttätigkeiten auf einen engen Kreis der unmittelbar Beteiligten beschränkt blieb. Die Maßnahmen, die vor der Entlassung eines Häftlings ergriffen wurden, um ihn zum Schweigen zu bringen, waren offensichtlich erfolgreich. So sehen wir immer wieder einen nur kleinen Kreis Wissender, der sich aus dem unmittelbaren Anhang der aus der Haft Zurückgekommenen zusammensetzt. Die nachträglich manchmal erstaunlich anmutende Tatsache, daß weiteste Kreise über Art und Umfang der vorgekommenen Exzesse nicht unterrichtet waren, findet hierdurch ihre Erklärung. Es ist selbstverständlich, daß die näheren Angehörigen und Gesinnungsfreunde der in der damaligen Zeit verhafteten Politiker etwa Bescheid wußten von dem, was ihren Angehörigen geschehen war. Der Umfang der Geheimhaltung ergibt sich am besten aus der Tatsache, daß der Zeuge Gisevius eine allgemeine Kenntnis der Zustände in den Konzentrationslagern bei den Beamten der Gestapo erst vom Jahre 1935 ab annimmt.

So erscheint es mir durchaus erklärlich, daß Papen über die Maßnahmen, die in den ersten Monaten fast ausschließlich gegen politische Gegner des Nationalsozialismus aus Linkskreisen ergriffen wurden, sehr wenig Bescheid wußte, jedenfalls, daß seine Kenntnis nicht über die Tatsache hinausging, daß man im Zuge der »Verordnung zum Schutze von Volk und Staat« insoweit Verhaftungen vorgenommen hatte.

Anders lagen die Dinge allerdings bei den später aufgetretenen Übergriffen gegen kirchliche Stellen und Organisationen, die in großem Umfange sich an ihn wandten, und für die er sich dann auch sofort energisch eingesetzt hat. Dasselbe gilt für die Maßnahmen im Zusammenhang mit dem 30. Juni 1934, auf die später noch eingegangen wird.

Entscheidend ist jedoch in jedem Falle, daß die Maßnahmen, soweit sie außerhalb des Gesetzes lagen, der Zuständigkeit der Polizei und des Innenministeriums unterlagen. Das Gesetz selbst ist eine Notverordnung Hindenburgs. Sie ist legal zustandegekommen. Der weiter als bisher gefaßte Begriff der Schutzhaft beinhaltet in sich kein Verbrechen.

Hinsichtlich der Ausschreitungen gegen Juden ist Papen in der Anklage zum Vorwurf gemacht worden, daß er in einem Telegramm an die »New York Times« vom 25. März 1933 die Lage in Deutschland insoweit als ruhig hingestellt hätte und daß er darauf hingewiesen habe, daß Einzelaktionen wohl vorgekommen, jetzt aber durch Anordnung Hitlers verboten seien.

Papen hatte selbstverständlich auch aus den ihm zugänglichen Quellen von Ausschreitungen gehört, die sich einzelne SA-Leute in dieser Zeit noch nicht geklärter politischer Verhältnisse hatten zuschulden kommen lassen. Wenn Hitler am 12. März 1933 derartige Einzelaktionen kategorisch verboten und strengste Bestrafung der Täter für die Zukunft angeordnet hatte, so konnte er guten Gewissens annehmen, daß dieser Befehl von höchster Stelle auch in Zukunft befolgt werden würde.

Nicht uninteressant ist es im übrigen, auf eine Veröffentlichung des »Bundes jüdischer Frontsoldaten« vom 25. März 1933 hinzuweisen. In diesem Aufruf ist gleichfalls zum Ausdruck gebracht, daß die Lage bezüglich der jüdischen Bevölkerung im allgemeinen ruhig sei und sich Übergriffe auf Einzelaktionen beschränkt hätten, die nunmehr durch Befehl Hitlers verboten seien. Ich werde diese Veröffentlichung des Bundes in meinem Dokumentenbuch für die Reichsregierung vorlegen.

Auf den gleichen Standpunkt hatte sich eine Veröffentlichung der Amerikanischen Handelskammer in Köln vom 25. März 1933 gestellt, die ich gleichfalls im Beweisverfahren für die Reichsregierung unterbreiten werde.

Der Judenboykott, der einige Tage später angekündigt und am 1. April 1933 durchgeführt worden ist, war, entgegen der Ansicht der Anklage, keine Maßnahme der Regierung, sondern eine reine Parteimaßnahme, gegen die im Kabinett mit anderen auch Papen scharfen Widerspruch erhob. Die Veröffentlichung der »Times«, die mit Neurath-Verteidigungsdokument Nummer 9 überreicht worden ist, beweist, daß Papen darüber hinaus auch bei Hindenburg vorstellig geworden ist und dessen Intervention bei Hitler veranlaßt hat.

Es ist im übrigen zu berücksichtigen, daß der Judenboykott als ein zeitlich beschränktes, lediglich auf das Geschäftsleben sich erstreckendes Mittel der Gegenwehr angekündigt worden war. Es war auch ausdrücklich angeordnet worden, daß jede Gewaltanwendung verboten sei und daß durch entsprechende Maßnahmen Ausschreitungen verhindert werden sollten.

Die Anklage hat die innerpolitischen Dinge lediglich in dem Zusammenhange vorgebracht, daß durch die getroffenen Maßnahmen die Stellung der nationalsozialistischen Machtposition gefestigt werden sollte, um die Möglichkeit zu schaffen, dann zu den vorher festgelegten Zielen der auswärtigen Gewaltpolitik überzugehen. Noch wichtiger als die Erörterung der innerpolitischen Verhältnisse ist daher ein Eingehen auf die Außenpolitik des Reiches in der Zeit der Vizekanzlerschaft Papens.

Das Reservat Hindenburgs zur Bestimmung des Außenministers, die Beauftragung des bisherigen Außenministers von Neurath mit diesem Posten, eines Mannes, der nicht Nationalsozialist war, mußte eine Entwicklung der Außenpolitik im bisherigen Fahrwasser erwarten lassen.

Die ersten Maßnahmen Hitlers schienen diese Erwartung nicht nur zu rechtfertigen, sondern darüber hinauszugehen. Die erste außenpolitische Rede am 17. Mai 1933 befaßt sich mit dem Verhältnis Deutschlands zu Polen, das in der vorhergehenden Zeit nie zu einer klaren Befriedigung gekommen war. Die Angliederung großer, früher zum Deutschen Reich gehörender Gebiete an das neuerstandene Polen hatte eine latente Spannung zwischen diesen Staaten mit sich gebracht. Hitler war der erste, der an dieses Problem heranging und nach seiner Erklärung im Reichstage entschlossen war, durch eine Anerkennung des polnischen Staates und seiner Bedürfnisse eine Politik der Freundschaft mit diesem Land herbeizuführen. Wenn man berücksichtigt, daß der Gedanke des Verzichts auf eine Revision gegenüber Polen nicht nur allgemein unpopulär war, sondern auch in schroffem Gegensatz zu der bisherigen Propaganda stand, so konnte man unmöglich die Entwicklung der späteren Jahre voraussehen. Man mußte der Überzeugung sein, daß hier eine im Innern starke Regierung dieses innere Aufbauwerk mit einer Befriedungspolitik nach außen unterstützte.

Der Beitritt Deutschlands zum Viermächte-Pakt, das erneute Bekenntnis zu Locarno, mußten diese Überzeugung unterstreichen.

Auf einer anderen Linie liegt der außenpolitische Kampf um ideelle Werte. Die Frage der Beseitigung der Alleinschuldklausel des Versailler Vertrags und die Frage der Gleichberechtigung des großen Staates, der seit 1918 konsequent eine Friedenspolitik betrieben hatte, waren Forderungen, die einerseits der Gegenseite keinerlei untragbare Opfer aufzubürden schienen, andererseits aber geeignet waren, dem deutschen Volke eine als drückend angesehene ideelle Last zu nehmen.

Aus diesen Gesichtspunkten heraus ist der Austritt Deutschlands aus der Abrüstungskonferenz zu betrachten. Er erfolgte, nachdem langwierige Verhandlungen zu keinem positiven Ergebnis geführt hatten und in keiner Weise eine Neigung der Mächte zu ersehen war, in Zukunft eine Befriedigung der deutschen Forderungen herbeizuführen. Die Erklärung der Reichsregierung und Hindenburgs, daß dieser Schritt als ein taktischer Schritt anzusehen sei, bei Beibehaltung der gleichen Zielsetzung, nämlich der Aufrechterhaltung des Friedens unter Anerkennung der Gleichberechtigung, mußte daher glaubhaft und vernünftig erscheinen.

Auch Papen hat aus diesen Gesichtspunkten diesen Schritt gebilligt. Bei dem gleichzeitig erfolgten Austritt aus dem Völkerbund konnte die Beurteilung verschieden sein. Auch hier konnte man der Ansicht sein, daß der Austritt als Protestschritt notwendig war, und daß man durch tatsächliche Bemühungen in der Sache selbst unter Beweis stellen konnte, daß man an einer Politik des Friedens festhalten wolle.

Papen zählte zu denjenigen, die glaubten, von einem Austritt aus dem Völkerbund abraten zu müssen. Er hatte zwar selbst als Reichskanzler erlebt, daß die Verhandlungen in dem großen und vielgestaltigen Plenum des Völkerbundes für manche Fragen eine gewisse Beschwernis bedeuteten. Andererseits war er jedoch von der Institution des Völkerbundes als einem Instrument der Verständigung und der Erleichterung der technischen Möglichkeiten zu einer Verständigung so überzeugt, daß er den Austritt aus dem Völkerbund vermeiden wollte. Er setzt sich für diese seine Ansicht sehr aktiv ein. Da er Hitler in Berlin nicht überzeugen kann, reist er ihm nach München nach, um ihm dort kurz vor der Entscheidung seine begründete Ansicht vorzutragen. Wir sehen also hier Papen auf einem Gebiete, für das er in seiner Stellung als Vizekanzler an sich keine Verantwortung trägt, aktiv im Sinne einer Lösung arbeiten, die unter Zugrundelegung der Ansichten der Anklage über den Austritt aus dem Völkerbund nur als ein Friedensschritt angesehen werden kann.

Der erfolgte Austritt aus dem Völkerbund ist wegen der prinzipiellen Bedeutung dieser Maßnahme dem deutschen Volke in einem Volksentscheid zur Stellungnahme unterbreitet worden. Hitler, die Regierung und Hindenburg haben zu diesem Volksentscheid Aufrufe erlassen, die ausdrücklich betonten, daß dieser Schritt keine Änderung der Politik, sondern lediglich einen Wechsel der Methode bedeuten solle. Unter dieser Festlegung ist man auch an die Wahlvorbereitung zu diesem Volksentscheid gegangen.

Die Anklage wirft Papen vor, daß er hierbei in seiner Essener Rede die Regierungserfolge Hitlers verherrlicht und sich bedingungslos für die Bejahung der zum Volksentscheid gestellten Fragen eingesetzt hätte.

Wenn Papen letzteres getan hat, so sah er sich hierzu veranlaßt, weil die Entscheidung nun einmal gefallen und dem Auslande gegenüber zu rechtfertigen war. Wenn die verantwortlichen Leiter tatsächlich nichts anderes als einen Wechsel der Methode anstrebten, so konnte hiergegen an sich nichts eingewendet werden. Die Stellung der deutschen Außenpolitik wäre erschüttert worden, wenn bei der Abstimmung das Volk sich gegen die vollzogene Maßnahme gewandt hätte. Es war daher eine Selbstverständlichkeit, im Rahmen der feierlich abgegebenen Erklärung diese Politik in der Öffentlichkeit zu billigen. Es war ferner nicht zu übersehen, daß bei einer Volksabstimmung über die Maßnahmen der Regierung die Vertrauenserklärung an der inneren Politik nicht ganz vorübergehen konnte.

Wir müssen den Zeitpunkt dieser Rede betrachten. November 1933 war Hitler auf dem im Vordergrunde der Notwendigkeit und des Interesses stehenden Gebiete, der Linderung der wirtschaftlichen Not und der Beseitigung der Arbeitslosigkeit, ein gutes Stück vorwärts gekommen. Seine Maßnahmen waren großzügig und zeigten zunächst einen offensichtlichen Erfolg. Man kann auch hier nicht die Dinge mit dem Maßstabe messen, den man nach Kenntnis der Entwicklung heutigen Tages an die Dinge anlegt. Damals schien der insoweit eingeschlagene Kurs durch den Erfolg gerechtfertigt. Papen glaubte daher, in seiner Wahlrede, die zum Zwecke der Anerkennung einer außenpolitischen Maßnahme eine Vertrauenskundgebung für die Regierung erforderte, auf diese positive innerpolitische Entwicklung anerkennend hinweisen zu müssen.

Mr. Justice Jackson hat in seiner Einleitungsrede die geschilderten Verhältnisse im Jahre 1933 selbst mit folgenden Worten anerkannt:

»Im Jahre 1933 sehen wir das deutsche Volk nach den Rückschlägen des letzten Krieges sein Ansehen in Handel, Industrie und Kunst zurückgewinnen. Wir beobachten sein Vorankommen ohne Mißtrauen, ohne Arglist.«

Soweit die Worte von Mr. Justice Jackson.

Von allen außenpolitischen Problemen interessierte Papen vielleicht am meisten das deutsch-französische Verhältnis. Er hat in seiner eigenen Vernehmung dargelegt, welches seine Ansichten hierüber waren und wie er schon in den zwanziger Jahren in verschiedenen politischen beziehungsweise katholischen Gremien an dem Gedanken einer Verständigung und Annäherung Frankreichs zu Deutschland mitgearbeitet hat. Ich verweise hierbei auf das Dokument 92 und die darin geschilderte Begegnung Papens mit dem französischen Obersten Picot, die für die Einstellung Papens bezeichnend ist.

Auch in der neuen Regierung war Papen als Saarkommissar mit dieser Frage besonders befaßt. Wir sehen, wie er sich bemüht, auch in der Saarfrage alles zu vermeiden, was irgendwie die Beziehung zwischen den beiden Ländern auch nur vorübergehend trüben könnte. Daher sein Vorschlag auf Verzicht einer Abstimmung, die dem politischen Chauvinismus in beiden Ländern erneuten Auftrieb geben könnte. Hitler selbst hatte nicht nur schon früher, vor der Machtübernahme, sondern auch als Verantwortlicher Regierungschef immer wieder zum Ausdruck gebracht, daß Deutschland keine Absicht habe, die Frage Elsaß- Lothringen aufzuwerfen, sondern daß das einzige zwischen beiden Ländern noch zu regelnde Problem in der Saarfrage bestehe. Darin folgte er durchaus den auf eine friedliche Bereinigung hinzielenden Vorschlägen Papens.

Papen wird weiterhin zum Vorwurf gemacht, daß er durch Abschluß des Konkordats im Juli 1933 eine Täuschung des Vertragspartners, des Vatikans, herbeigeführt habe. Papen habe beabsichtigt, mit dem Abschluß des Konkordats lediglich die Machtposition Hitlers zu festigen und ihm in den Augen des Auslandes einen Kredit zu verschaffen.

Die Beweisaufnahme hat ergeben, daß das Konkordat auch in seiner Auswirkung ein doppelseitiger Vertrag gewesen ist und daß die rechtlichen Bindungen des Konkordats bei den bald folgenden Vertragsverletzungen von deutscher Seite auch dem verletzten Teile einen gewissen Rechtsschutz geboten haben.

Ich beziehe mich auf den Fragebogen des Erzbischofs Groeber; er befaßt sich mit dem Zustandekommen des Konkordats. Ich gestatte mir infolgedessen, auf das Dokument Nummer 104, das ich heute überreicht habe, hinzuweisen und summarisch folgendes vorzutragen:

Erzbischof Groeber ist der Überzeugung, daß der Abschluß des Konkordats einer Initiative Papens entsprach. Er bestätigt ferner, daß es Papen gelungen ist, bei Hitler die Bedingungen des Konkordats durchzusetzen. Er bestätigt in Antwort 4 insbesondere, daß die Handlungsweise Papens während des Abschlusses des Konkordats aus seinem Innern heraus von seiner positiven Einstellung gegenüber der Religion bestimmt war. Schließlich bestätigt er in Antwort 6, daß das Konkordat eine rechtliche Auffangstellung und Stütze gewesen ist gegenüber den späteren Verfolgungen der Kirche. Antwort 7 bestätigt, daß die »Arbeitsgemeinschaft Katholischer Deutscher«, über die ich mich später noch auslassen werde, keine Organisation war, die durch das Konkordat geschützt war.

In jedem Falle ist es völlig abwegig anzunehmen, daß Papen von beabsichtigten künftigen Verletzungen des Vertrags Kenntnis gehabt und in dieser Kenntnis den Abschluß herbeigeführt habe. Wenn er den Kredit Hitlers im Auslande stärken wollte, so wäre dieses Mittel ja wohl das denkbar ungeeignetste gewesen. Ein Kampf gegen die Kirche wäre ohne Konkordat eine zwar im Auslande ungünstig aufgenommene, aber immerhin innere deutsche Angelegenheit gewesen. Durch die Tatsache des zwischenstaatlichen Vertrags wurden diese Kirchenverfolgungen gleichzeitig eine Verletzung eines internationalen Vertrags mit den sich daraus ergebenden speziellen und prestigemäßigen Auswirkungen. Man kann nicht einen Vertrag zum Zwecke des Prestigegewinnes abschließen, wenn man alsbald nach Vertragsabschluß an die Verletzung des Vertrags herangeht.

Schon diese Überlegung bringt die Vermutung der Anklage zum Scheitern.

Der Anklagevorwurf ist darüber hinaus von symptomatischer Bedeutung. Jede Aktion Papens, die irgendwie in Erscheinung getreten ist, muß im Sinne der konspiratorischen Theorie zuungunsten Papens ausgedeutet werden, und das einfachste Rezept hierfür ist, die spätere Entwicklung in den Vordergrund zu stellen, diese Entwicklung in die Mitarbeit und Kenntnis Papens zu setzen und seine vorherigen gegenteiligen Gesinnungsäußerungen als eine Zweideutigkeit und Doppelzüngigkeit zu bezeichnen. Dieses Rezept ist einfach, wenn man die Kenntnis der späteren Entwicklung rückblickend als etwas Selbstverständliches ansieht, wenn man sich über die wahre, tatsächliche Lage in der damaligen Zeit kein Bild macht und sich vor allen Dingen nicht der Mühe unterzieht, die Logik in der behaupteten ursprünglichen Absicht und der weiteren Entwicklung nachzuprüfen. Nur auf diese Weise kann man wie hier zu einem Ergebnis kommen, das bei näherer Betrachtung eine Unsinnigkeit des damals Handelnden voraussetzt.

Aber ganz abgesehen von diesen Erwägungen verbietet die Einstellung des Angeklagten zu religiösen Dingen auch nur den leisesten Zweifel an der Lauterkeit seiner Absichten. Es ist im Beweisverfahren dargestellt worden, daß nicht nur seine engsten persönlichen Berater in kirchlichen Dingen sondern auch höchste kirchliche Würdenträger, die sowohl persönlich wie auch sachlich mit dem Angeklagten in diesen Dingen enge Verbindung gehabt haben, seine zu jeder Zeit absolut einwandfreie Haltung als Katholik betonen.

Mit der Widerlegung der Behauptung der Anklage, daß Papen das Konkordat durch Auflösung der »Arbeitsgemeinschaft Katholischer Deutscher« selber gebrochen habe – ich verweise hierbei auf die eindeutigen Aussagen des ehemaligen Geschäftsführers der »Arbeitsgemeinschaft Katholischer Deutscher«, Grafen Roderich Thun, Verteidigungsdokument Nummer 47 – ist eigentlich schon die Haltlosigkeit der ganzen Anklage zu den kirchlichen Fragen klargelegt.

Es muß aber festgestellt werden, daß Papen nicht nur mit Bedauern die nachträglichen Verletzungen des Konkordats durch das Reich sah, sondern daß er sich aktiv bemühte, denselben entgegenzutreten. Die ganze Tätigkeit der »Arbeitsgemeinschaft Katholischer Deutscher« bestand ja praktisch aus nichts anderem, als solche Konkordatsverletzungen festzustellen und Papen die Unterlagen für seine ständigen Interventionen bei Hitler zu schaffen. Mit dem Fortgang Papens nach Wien entfiel dann die praktische Möglichkeit solcher Interventionen.

Daß die von Papen versuchte Sicherung der Konfessionen nicht politischen Zweckmäßigkeitserwägungen des Tages, sondern einer religiösen Grundanschauung entsprang, geht auch aus allen seinen Reden hervor. Es gibt wohl keine Rede, in der er nicht zu diesem Problem Stellung genommen und immer wieder betont hätte, daß nur die christliche Weltanschauung – und damit die christlichen Konfessionen – das Fundament für eine geordnete Staatsrührung sein könnte. Er sah gerade in diesem christlichen Fundament den besten Schutz gegen die Tendenz der Partei, dem reinen Machtgedanken vor der Idee des Rechts immer mehr den Vorzug zu geben.

Hinsichtlich des im Kreuzverhör vorgelegten Berichts Papens an Hitler vom 27. Juli 1935 – 2248-PS – ist die Anklage einem offensichtlichen Mißverständnis zum Opfer gefallen.

Papen weist hier auf die günstigen außenpolitischen Folgen hin, wenn es gelänge, den politischen Katholizismus zwar auszuschalten, dabei aber das christliche Fundament des Staates nicht anzurühren. Papen beurteilt hierbei nicht die vergangene und gegenwärtige Situation, sondern er gibt einen Ratschlag für die Zukunft. Der Inhalt dieses Ratschlages ist im kirchlichen Sinne durchaus positiv. Er besagt: Man kann wohl den politischen Katholizismus ausschalten, unangetastet aber müssen die rein kirchlichen Belange selbst, das christliche Fundament des Staates, bleiben. In diesen für die Zukunft bestimmten Richtlinien liegt offensichtlich auch eine Kritik der Vergangenheit. Wir sehen hier, wie in Verbindung mit der außenpolitischen Tätigkeit Dinge erörtert und an Hitler herangebracht werden konnten, die an sich auf einem anderen Sektor liegen.

Papen hat in seiner eigenen Aussage zu dem Vorwurf der Anklage Stellung genommen, daß er nach dem Erlaß der päpstlichen Encyklika »Mit brennender Sorge« vom 14. März 1937 als guter Katholik hätte zurücktreten müssen. Papen konnte hier ohne jede Kritik und mit voller Billigung auf den Standpunkt der Kirche selbst verweisen, die immer der Ansicht gewesen sei, man müsse eine Position so lange halten, als sie noch die geringste Möglichkeit einer positiven Tätigkeit biete. Die Kirche hat bis zum Schluß aus dieser weisen Einstellung heraus und im Gefühl ihrer Fürsorge für die deutschen Katholiken keinen vollständigen Bruch mit dem Dritten Reich vollzogen. Man wird nicht von einem einzelnen Katholiken verlangen können, daß er hier einen anderen Standpunkt einnimmt. Dies um so weniger, als Papen ja in seiner rein außenpolitischen Tätigkeit in keiner Weise irgendwie mit seinem katholischen Gewissen in Konflikt kam.

Auch der Vorwurf, daß er im Herbst 1938 gegen die Behandlung des Kardinals Innitzer bei Hitler hätte protestieren müssen, entbehrt wohl jeglicher Grundlage. Papen selbst kann sich heute nicht mehr entsinnen, wann und in welcher Form er von diesen Vorgängen überhaupt gehört hat. Die deutsche Presse hat darüber nichts gebracht und auf innerkirchlichem Weg drangen solche Dinge keinesfalls, wie die Anklage es annimmt, in die Öffentlichkeit. Jedenfalls hatte Papen damals als reiner Privatmann, der zudem noch in diesem Moment ein sehr schlechtes Verhältnis zu Hitler hatte, keinerlei Möglichkeit zu intervenieren.

Die Entwicklung Hitlers zum Autokraten habe ich bereits behandelt. Der Einfluß Papens war nach Wegfall des gemeinsamen Vortrags bei Hindenburg auf ein Minimum gesunken. Proteste in den Kabinettssitzungen seitens eines Mannes, der diese Proteste nicht mit den Notwendigkeiten aus seinem eigenen Ressort untermauern konnte, waren rein deklaratorischer Natur. Inzwischen schloß sich der Kreis der Anwendung nazistischer Doktrinen in der Praxis immer mehr. Es wurde klar, daß die Kompromißbereitschaft der ersten Zeit, daß die Anerkennung einer mitbestimmenden Koalition langsam hinfällig wurde und daß sich die nationalsozialistische Idee auf allen Gebieten immer mehr durchsetzte.

Für Papen war es klar, daß er diesen Kurs nicht mitmachen konnte. Daß er im Rahmen seiner amtlichen Stellung, abgesehen von vieler Hilfe in Einzelfällen, an der allgemeinen Linie nichts ändern konnte, war ebenfalls klar. Andererseits gab ihm seine noch bestehende äußere Stellung als Vizekanzler in der Öffentlichkeit eine gewisse Bedeutung. Es trat daher für ihn die Frage auf, ob er mit einer öffentlichen Kritik an all den vorhandenen Mißständen heraustreten sollte, um den letzten Versuch zu machen, auf Grund der öffentlichen Erörterungen der Probleme einen Einfluß auf die Entwicklung zu nehmen. Sollte dies nicht gelingen, so war wenigstens damit erreicht, daß von verantwortlicher Seite diese Mißstände öffentlich gebrandmarkt waren, selbst wenn als natürliche Konsequenz Papen dann seine Stellung aufgeben mußte und insoweit nicht mehr in der Lage war, in Einzelfällen für viele ein Helfer zu sein.

In seiner Marburger Rede am 17. Juni 1934 hat Papen alle Mißstände, die bis dahin in Erscheinung getreten waren, klar gebrandmarkt. Eine derartige umfassende Kritik ist in der Geschichte des Dritten Reiches einmalig geblieben.

Er hatte erkannt, daß die Gefährlichkeit des Nazismus auf der Tatsache beruhte, daß die Anwendung der einzelnen Doktrinen sich ineinander verzahnte und einen geschlossenen äußeren Ring der Unterdrückung des gesamten öffentlichen Lebens bildete. Wenn auch nur eine Stelle dieses Ringes durchbrochen wurde, so wäre die Gefährlichkeit des gesamten Systems hinfällig geworden. Wäre nur einer der angeschnittenen Punkte im günstigen Sinne zur praktischen Durchführung gekommen, so hätte dies eine völlige Umgestaltung der Verhältnisse dargestellt. Das beanstandete System läßt sich nicht einen Tag aufrechterhalten, wenn die von Papen geforderte Freiheit der Meinungsäußerung gegeben ist. Es läßt sich nicht aufrechterhalten, wenn der Gesichtspunkt der Gesetzlichkeit und die Gleichheit vor dem Gesetz anerkannt wird. Es läßt sich nicht aufrechterhalten, wenn die Freiheit der Religion gewährleistet ist. Eine marxistische Massenlehre läßt sich nicht aufrechterhalten, wenn man die allen Konfessionen gemeinsame Maxime der Gleichheit des Individuums verficht.

Jeder dieser Angriffe Papens in seiner Marburger Rede – bezüglich der Rassenfrage hatte er sich bereits in seiner Gleiwitzer Rede geäußert – war ein Angriff gegen die sich entwickelnde nazistische Gesamtdoktrin an sich. Dem Hörer wurde hier von führender opponierender Regierungsseite klargelegt, aus welchen Punkten sich die Gesamtheit der Übelstände ergeben hatte. Die von vornherein übernommene Konsequenz für Papen war klar. Entweder Hitler berücksichtigte die Dinge, nachdem sie nun einmal in eine öffentliche, klärende Diskussion gekommen waren, oder Papen nahm seine Demission, da er eine Weiterarbeit auf dem von Hitler eingeschlagenen Wege mit seinen Anschauungen nicht mehr in Übereinstimmung bringen konnte.

Hitler glaubte in seiner damaligen Position offensichtlich, der öffentlichen Meinung nicht das Opfer eines Abgehens von seiner Linie bringen zu brauchen. Er versuchte, die Opposition tot zu machen, indem er die Veröffentlichung der Rede verbot und deren Verbreiter bestrafen ließ. Papen demissionierte. Hitler akzeptierte diese Demission noch nicht sofort, da er offensichtlich auf Hindenburg Rücksicht nehmen und erst bei ihm die Lage insoweit klären wollte.

Inzwischen kamen die Ereignisse des 30. Juni.

Was ursprünglich für Papen im Zuge dieser Maßnahmen bestimmt war, wird sich wohl nie vollständig klären lassen. Es wird sich insbesondere nicht klären lassen, ob hier von verschiedenen Personen verschiedenes beabsichtigt war.

Die Improvisation der Aktionen tritt am besten in der Art der Durchführung gegenüber dem Vizekanzleramt in Erscheinung. Bose ist das erste Opfer in den Räumen der Vizekanzlei selbst. Jung, der außerhalb Berlins verhaftet worden war, wird gleichfalls erschossen. Sein Schicksal ist Papen und der Öffentlichkeit allerdings erst viel später bekanntgeworden, da man ursprünglich der Hoffnung war, daß er, durch die Maßnahmen der Marburger Rede gewarnt, nicht nur Berlin verlassen, sondern sich in die Schweiz begeben hätte. Andere Mitglieder des Stabes, deren man habhaft werden konnte, werden in Polizeigewahrsam genommen und später in ein Konzentrationslager gebracht. Bei Papen selbst zögerte man offensichtlich mit einer endgültigen klaren Entscheidung. Seine enge Verbindung mit Hindenburg konnte es doch wohl ratsam erscheinen lassen, die Liste der Opfer des 30. Juni nicht noch mit diesem prominenten Namen zu belasten, nachdem die Belastung gegenüber Hindenburg durch das allerdings als Notwehrhandlung getarnte Verbrechen gegenüber Schleicher schon groß genug war.

Für die Betrachtung im Rahmen der Anklage genügt es, in jedem Fall festzustellen, daß, wie immer auch am Schlusse das Schicksal Papens war, die gegen ihn und die Seinen ergriffenen Maßnahmen seinen absoluten Gegensatz zu Hitler und der Nazi-Politik dokumentieren.

Die Anklage hat im Kreuzverhör Papen Briefe vorgelegt, die ihrem äußeren Anschein nach zunächst eine gewisse Divergenz zu seiner sonstigen Haltung ergeben.

Papen versichert in diesen Briefen Hitler seiner Anhänglichkeit und Treue, und er hüllt sein wirkliches und materielles Begehren in diesen Briefen in eine bei ihm sonst im Verkehr mit Hitler keineswegs übliche Höflichkeitsform. Es mag verwunderlich erscheinen, daß ein Mann oppositioneller Gesinnung, der auf Grund seiner Einstellung verfolgt, dem insbesondere in der Person seiner Mitarbeiter so Unglaubliches angetan war, diese Form eines Briefes wählt. Zur richtigen Beurteilung ist jedoch ein Verständnis der damaligen Lage erforderlich. Es bestand ein Zustand der Rechtlosigkeit. Die Gelegenheit war günstig, sich im Zuge dieser Maßnahme lästiger Gegner zu entledigen. Das Beispiel Schleichers und Klausners und anderer hatte dies zur Genüge gezeigt. In keiner Weise war erkenntlich, wann und in welcher Art die Maßnahmen gegen die in die Dinge bereits verwickelten Personen ein Ende finden würden. Fast hysterisch glaubte man, in jedem Menschen gegnerischer Gesinnung einen Konspirator mit den SA-Kreisen zu sehen, die wohl früher oder später wirklich zu einer Revolte gegen Hitler sich hatten erheben wollen.

Wie weit tatsächlich auch Leute der Rechten aus ihrer oppositionellen Einstellung heraus sich mit Leuten der damals einen großen Machtfaktor darstellenden SA verbunden hatten, ist bis heute wohl noch nicht einwandfrei festgestellt worden. Jedenfalls ließ sich damals nicht überblicken, ob die Behauptungen Hitlers hinsichtlich der nicht der SA angehörenden Persönlichkeiten richtig waren oder nicht.

Für Papen war die Lage damals folgende: Er wußte von der Ermordung Boses, das Schicksal von Jung war ihm damals noch nicht bekannt. Er hoffte, er sei entkommen. Drei seiner Mitarbeiter waren im Konzentrationslager. Diese mußten zunächst aus dieser Lage gerettet werden. Und auch für die Zukunft mußte der Argwohn genommen werden, daß irgendeiner von ihnen und auch Papen selbst mit den revoltierenden SA-Kreisen in Verbindung gestanden hätte. Wollte Papen daher irgendwelche Vorstellungen bei Hitler erheben, so war erstes Erfordernis für einen überhaupt nur möglichen Erfolg die Distanzierung von diesen SA-Kreisen. Papen hat daher sich veranlaßt gesehen, in diesen Briefen Hitler seiner Loyalität und Treue zu versichern.

Zudem war Papen Jahre hindurch überzeugt, daß hinter dem Anschlag auf ihn und die Vizekanzlei Himmler und Goebbels standen, daß speziell Himmler ihn beseitigen wollte und nur durch Göring daran gehindert worden war und daß es daher, um sich gegen diese beiden zu sichern, nötig sei, Hitler gegenüber seine einwandfreie Haltung zu versichern.

Wesentlich für die Beurteilung dieser Briefe ist nicht die Form, sondern der Inhalt. Das A und O dieser Briefe ist das Verlangen einer Rehabilitierung für seine eigene Person und die seiner Mitarbeiter. Er verlangt ein Gerichtsverfahren. Er rät Hitler, aus dem von diesem beabsichtigten Rechtfertigungsgesetz diejenigen Aktionen auszunehmen, die sich gegen Personen außerhalb des SA-Kreises gerichtet haben.

Was bedeuten denn diese Forderungen Papens? Sie bedeuten tatsächlich das Festhalten am Legalen gegenüber den illegalen Akten des 30. Juni. Er fordert objektive richterliche Aufklärung über dasjenige, was am 30. Juni zu verurteilen ist. Zu bedenken ist bei Betrachtung der Vorgänge des 30. Juni ja immer, daß sie in zwei Teile zerfielen. Einmal die Maßnahme gegen die SA-Führer, deren Radikalismus seit jeher bekannt war, die immer wieder mit den Gewalttaten und Einzelaktionen in Verbindung zu bringen waren, die man in der Vergangenheit zu verurteilen gehabt hätte. Ein Einschreiten gegen diese Leute ließ sich als Staatsnotwehrakt gegen gefährliche und zur Revolte bereite Kräfte erklären.

Der andere Teil bestand in den Maßnahmen gegen Persönlichkeiten, die außerhalb des Kreises der SA standen. Eine gerichtliche Untersuchung hätte die Klärung dieser Vorfälle und die Verurteilung der dafür Verantwortlichen zur Folge haben müssen.

Ich glaube, wenn man in kühler Kritik der damaligen Vorgänge sich dies vergegenwärtigt, so kann man nur zu der Überzeugung kommen, daß in den Briefen Papens tatsächlich nichts anderes angestrebt wurde als dasjenige, was er Hitler vorgeschlagen hatte, eine Rehabilitierung der unrechtmäßig Verfolgten im Wege eines gerichtlichen Verfahrens und Abstandnahme von einer pauschalen Rechtfertigung der getroffenen Maßnahmen durch ein Gesetz.

Kommt man so auf den Kern der Sache und auf das tatsächlich Angestrebte, so kann man der Form der Briefe keinesfalls den Sinn geben, den ihnen die Anklage zuschreibt.

Daß diese Form insbesondere keine Anerkennung der Maßnahmen des 30. Juni gewesen ist, sondern daß sie lediglich durch den erörterten Zweck bestimmt wurde, ergibt am besten die Betrachtung des Briefes vom 17. Juli. Zu diesem Zeitpunkt hatte Papen zwar die Entlassung seiner Mitarbeiter aus dem Konzentrationslager erreicht, seinen weiteren Forderungen war Hitler aber nicht nachgekommen. Wir sehen jetzt ein auch die bescheidenste Höflichkeitsform vermissen lassendes Sehreiben. Lediglich sachliche Feststellungen und sachlicher Begehr. Ein Schreiben, das nur mit dem Namen Papen unterzeichnet ist, unter Weglassung auch jeder Schlußformel.

In der Sache selbst geht Papen in keinem Moment von seiner Linie ab. Er hält an seiner Demission fest und fordert deren unverzügliche Vollziehung, wie der Brief vom 10. Juli 1934 ergibt, Dokument D-715. Er weigert sich, an der Regierungstätigkeit weiterhin irgendwie teilzunehmen. Er verläßt Hitler sofort, nachdem er ihn aus der Kabinettssitzung vom 3. Juli herausgebeten hatte. Er bleibt der Reichstagssitzung fern, in der das Rechtfertigungsgesetz beschlossen wird. Er weist brüsk das Anerbieten zurück, den bequemen Botschafterposten beim Vatikan anzunehmen. Das seine negative Haltung.

Positiv ist er bemüht, ein Einschreiten der Wehrmacht herbeizuführen. Er wendet sich an seinen Freund Generaloberst von Fritsch. An Blomberg ist bei dessen Einstellung nicht zu denken. Fritsch will ohne ausdrücklichen Befehl des Reichspräsidenten nicht handeln. Papen bemüht sich nunmehr, zu Hindenburg zu kommen. Die Umgebung Hindenburgs hält ihn fern.

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