[Das Gericht vertagt sich bis
23. Juli 1946, 10.00 Uhr.]
Einhundertvierundachtzigster Tag.
Dienstag, 23. Juli 1946.
Vormittagssitzung.
DR. KUBUSCHOK: Ich war gestern an der Stelle stehengeblieben, in der ich schilderte, was Papen im Zuge der Maßnahmen des 30. Juni getan hatte. Ich hatte an seine Demission erinnert, an seine Weigerung jeder Mitwirkung. Ich lese weiter auf Seite 46 unten, letzter Absatz:
Positiv ist er bemüht, ein Einschreiten der Wehrmacht herbeizuführen. Er wendet sich an seinen Freund Generaloberst von Fritsch. An Blomberg ist bei dessen Einstellung nicht zu denken. Fritsch will ohne ausdrücklichen Befehl des Reichspräsidenten nicht handeln. Papen bemüht sich, nunmehr zu Hindenburg zu kommen. Die Umgebung Hindenburgs hält ihn fern. Alle Zugänge zu seinem Landsitz Neudeck sind durch SS-Posten abgesperrt. Papen schickt seinen Sekretär Ketteler zu dem Gutsnachbarn und alten Freund Hindenburgs, Herrn von Oldenburg, um auf diesem Wege Zugang zu bekommen. Auch dieser Versuch scheitert. Er muß zusehen, wie offensichtlich Hindenburg derartig beeinflußt worden ist, daß er dem Verhalten Hitlers am 30. Juni in einem öffentlichen Telegramm seine Anerkennung ausspricht.
Was sollte Papen nun wirklich tun, was auch nur einigermaßen Aussicht auf Erfolg versprach?
In Verhandlungen mit Hitler hatte er versucht, die Dinge auf eine legale Ebene zu bringen. Die Versuche, den einzigen Machtfaktor, die Wehrmacht, zu mobilisieren, waren gescheitert. Hindenburg nicht erreichbar, offensichtlich von seinen Ratgebern nach der gegnerischen Richtung hin beeinflußt.
Die Anklage meint, Papen hätte jetzt offen auf die verbrecherischen Ereignisse des 30. Juni hinweisen müssen, er hätte damit das ganze Nazi-System zum Einsturz bringen können. Diese Behauptung ist unhaltbar. Abgesehen davon, daß Papen die Möglichkeit zu einer solchen öffentlichen Äußerung, wie bewiesen, ja gar nicht mehr hatte, hat auch die weitere Entwicklung in Deutschland gezeigt, daß ein solcher Einzelprotest an der Machtposition Hitlers weder dem Inland noch dem Ausland gegenüber irgendeine Wirkung haben konnte. Das Prestige Hitlers war in Deutschland schon damals, und noch mehr später, so groß, daß ein solcher Protest, wenn er überhaupt an die Öffentlichkeit hätte dringen können, bestimmt in der Masse des Volkes keine Resonanz gefunden hätte. Die große Masse sah nur den wirtschaftlichen Aufstieg und die Stärkung der deutschen Position gegenüber dem Auslande, und nur eine zahlenmäßig geringere Schicht sah wirklich die Gefahren der Entwicklung. Das Ausland kannte die Vorgänge des 30. Juni größtenteils besser als das deutsche Volk. Ihm wären sie auch durch eine Äußerung Papens nicht klarer gemacht worden. Eine Konsequenz aus seiner Kenntnis hat das Ausland weder damals noch später gezogen.
Die Anklage ist sogar der Ansicht, daß ein solcher Schritt zur Wiederbesetzung des Rheinlandes durch die Franzosen hätte führen können. Es ist unerfindlich, woher die Anklage die Grundlage für diese Ansicht nimmt. Entgegen steht die Tatsache, daß später bei Ereignissen, die kein innerpolitischer Vorgang waren, sondern das Ausland stärkstens berührten – zum Beispiel bei der Einführung der Wehrpflicht und der Rheinlandbesetzung – keinerlei militärische Reaktion erfolgte.
Papen hat gegenüber der Öffentlichkeit mit seinem Rücktritt und der ostentativen Nichtbeteiligung an der Kabinetts- und Reichstagssitzung gezeigt, daß er der Entwicklung feindlich gegenüberstand. Sein Verhalten war ein öffentlicher Protest gegen die Maßnahmen des 30. Juni und gegen die Person des Ausführenden. Die Anklage kann über diese äußeren Erscheinungen, die ja historische Tatsachen sind, nicht hinweg. Sie versucht daher, eine Gegensätzlichkeit zwischen diesem seinem Verhalten und seiner inneren Einstellung zu konstruieren. Das einzige Hilfsmittel, das ihr dabei zur Verfügung steht, sind die von Papen im Juli an Hitler gerichteten Briefe. Selbst wenn nicht, wie es tatsächlich der Fall ist, der Kern der Briefe und ihr Zweck aus ihrem Inhalt klar erkenntlich wäre, so würde auch dieser Versuch mit einem seiner Natur nach unzulänglichen Mittel an den soeben festgestellten Tatsachen scheitern.
Ganz allgemein möchte ich zu dieser Frage hier folgendes erklären:
Aus welchem Grunde soll Papen während seiner Vizekanzlerschaft und während der Ereignisse des 30. Juni nach außen hin eine gegnerische Stellung zu Hitler eingenommen haben, in Wirklichkeit aber sein treuer Gefolgsmann gewesen sein? Aus welchem Grunde soll Hitler, der nach der Anklage mit Papen konspirierte – und dies wäre ja nur eine Folge der Konspiration – diese selbst gewünscht haben? Konnte es in dem Wunsche Hitlers liegen, daß Papen in seiner Marburger Rede die gesamten Schwächen und Mißstände des nazistischen Systems aufdeckte? Aus welchem Grunde soll Hitler es gewünscht haben, daß Papen sich so offensichtlich von den Unrechtsakten des 30. Juni distanzierte? Es hätte doch nur in seiner Linie liegen können, daß auch nach außen hin sein Vizekanzler eine einheitliche Linie mit dem Reichskanzler vertrat.
Wenn man dies bedenkt, so kann man nur zu einem Ergebnis kommen: Das, was die Anklage als innere Haltung Papens deuten zu können glaubt, entbehrt jeder Logik. Diese These einer bedingungslosen Gefolgschaft gegenüber Hitler trotz entgegenstehender, zu Tarnungszwecken bestimmter Tatsachen, wendet die Anklage dann wiederum auf die Annahme des Wiener Postens durch Papen an.
Lassen Sie mich der Erörterung dieses Komplexes kurz folgendes vorausschicken: Nach meiner Ansicht stellt auch die letzte Entwicklung in der österreichischen Frage, die nach der Abberufung Papens und zweifellos ohne sein Zutun erfolgt ist, der Einmarsch am 12. März 1938, nicht ein Verbrechen im Sinne der Charte dar. Die Charte setzt die Vorbereitung und Führung eines Angriffskrieges oder eines Krieges unter Verletzung internationaler Verträge unter Strafe. Sie hat in ihren drei Deliktspunkten sich lediglich darauf beschränkt, dasjenige zur Anklage zu stellen, was als schwerstes Verbrechen mit seinen ungeheuren, weiten Folgen in Erscheinung tritt. Den Angriffs- und verbotenen Krieg selbst und die Verbrechen gegen die Regeln des Krieges, die Verbrechen gegen die Humanität in ihrer krassesten Form, die unabsehbaren Folgen dieser schwerwiegenden Taten haben dieses ungewöhnliche Verfahren gerechtfertigt. Die Charte gibt nicht dem Tribunal den Auftrag, alles das zu bestrafen, was an Unrecht im Laufe der Entwicklung des Nazismus geschehen ist. Sie gibt insbesondere nicht den Auftrag, jede politische Maßnahme daraufhin zu prüfen, ob sie notwendig, ob sie erlaubt war. Eine derartige Aufgabe wäre im Rahmen dieses Gerichts schon aus zeitlichen und technischen Gründen nicht zu erfüllen. Aufgabe des Gerichts ist es nicht, zu prüfen, ob internationale Verträge eingehalten worden sind oder nicht. Diese Frage hat nur dann Bedeutung, wenn Kriege hervorgerufen wurden oder die näher zu bezeichnenden Gewaltverbrechen zu verantworten sind. Der Einmarsch in Österreich ist, so weit man auch völkerrechtlich diesen Begriff spannen will, kein Krieg. Hierfür ist die Tatsache allein entscheidend, daß keine Gewalt angewendet und auch nicht der geringste Widerstand geleistet worden ist, daß die Truppen im Gegenteil jubelnd empfangen wurden. Der Einmarsch in Österreich ist auch nicht im Zusammenhang mit den späteren Aggressionshandlungen zu betrachten. Es war ein Sonderfall, begründet auf die besondere Lage, die schon seit 1918 ihren Ausdruck darin fand, daß ein Anschluß des kaum lebensfähigen Staates Österreich an Deutschland in irgendeiner staatsrechtlichen Form sowohl von österreichischer als auch von deutscher Seite angestrebt wurde.
Die tatsächlichen Ereignisse sind daher losgelöst von den Kriegsplänen Hitlers oder auch nur militärischer Vorbereitungspläne, worauf ich später eingehen werde, als Lösung eines akut gewordenen staatspolitischen Problems anzusehen, dessen Ergebnis unabhängig von Hitler von beiden Seiten seit jeher gewünscht worden war.
Die Tätigkeit Papens in Wien wird eindeutig durch drei Momente charakterisiert: Durch die Umstände seiner Ernennung am 26. Juli 1934, seinen Brief an Hitler vom 16. Juli 1936 – Verteidigungsdokument Nummer 71 – nach Abschluß des Juliabkommens und durch seine Abberufung am 4. Februar 1938.
Seiner Ernennung lag folgende Lage zugrunde:
Ein akutes Ereignis war eingetreten. Dollfuß ist ermordet, die Beziehungen zwischen Deutschland und Österreich sind nicht nur gespannt, sondern auf einem äußerst gefährlichen Entwicklungspunkt angekommen. Die internationale Lage ist drohend. Italien marschiert am Brenner auf. Ein endgültiges Abweichen Österreichs nach einer der interessierten Mächtegruppen ist unmittelbar zu befürchten. Damit droht eine endgültige Situation, die eine Aufrechterhaltung auch nur tragbarer Beziehungen zwischen Deutschland und Österreich für immer unmöglich machen würde.
In dieser schwierigen Situation glaubt offensichtlich Hitler die Bedenken gegen die Person Papens zurückstellen und ihm die Mission in Wien anvertrauen zu müssen. Papen war für die Herbeiführung einer Politik zur Überwindung des durch die Ermordung von Dollfuß geschaffenen toten Punktes besonders geeignet. Papen hatte in den Fragen bezüglich Österreich im Kabinett stets für eine freundliche Entwicklung der Beziehungen das Wort geredet. Papen war international als ein Mann vernünftiger Verständigungspolitik bekannt.
Auf seiten Papens lagen natürlich äußerste Bedenken gegenüber der Übernahme des Postens vor. Seine Erfahrungen auf dem innerpolitischen Sektor der letzten Zeit, seine persönliche Einstellung über seine und seiner Mitarbeiter Behandlung am 30. Juni, seine Einstellung zur Ermordung von Dollfuß, zu dem er von seiner früheren Tätigkeit her durchaus freundschaftlich gestanden hatte, standen der Übernahme des Postens entgegen. Der Entschluß für Papen war daher sehr schwer. Die Überlegung jedoch, daß nur er allein in der Lage war, die Aufgabe im Rahmen einer echten Befriedung zu erfüllen, mußte alles überwiegen. Konnte er annehmen, daß irgendein anderer den festen Willen und auch die Möglichkeit hatte, die Einhaltung der jetzt eingeschlagenen Marschroute der Befriedung zu sichern? Die persönliche Unabhängigkeit, die er selbst hatte, konnte er weder bei einer Persönlichkeit des Auswärtigen Amtes noch viel weniger bei einem Manne der Partei voraussetzen. Papen brachte aus seiner Tätigkeit als Vizekanzler seine Erfahrungen mit. Er kannte die Schwierigkeiten, mit sachlichen Gründen nur in entsprechender Form bei Hitler durchzudringen. Er allein konnte hoffen, durch seine Bemühungen die Friedenspolitik entgegen radikalisierenden Ratgebern Hitlers auch wirklich in Zukunft konsequent durchzuführen. Andererseits hatten ihn seine Erfahrungen vorsichtig gemacht. Er stellt Bedingungen und verlangt Festlegung einer klaren Linie, untermauert durch Tatsachen. Er fordert die Aufgabe einer Beeinflussung der österreichischen Nazi-Bewegung, die von vornherein durch die Entlassung desjenigen Mannes gesichert werden mußte, der sich direkt oder indirekt an der Verbrechenstat beteiligt hatte, des Landesinspekteurs Habicht. Er verlangt seine eigene persönliche Unterstellung unter Hitler, um eine Innehaltung der von ihm vorgeschlagenen Bedingungen zu ermöglichen und deren Verwässerung im Instanzenwege verhindern zu können. Er erzwingt etwas sonst Unmögliches im Verkehr zum Staatsoberhaupt: Er läßt die Bedingungen, unter denen der Gesandte sein Amt antritt, schriftlich festlegen. Sie werden von Hitler unterzeichnet. Er will immer in der Lage sein, Hitler bei dem schriftlich gegebenen Wort zu packen.
Wir haben ein klares Bild über diese Vorgänge durch die Zeugenaussagen, insbesondere durch die Bekundung des Zeugen von Tschirschky erhalten, eines Mannes, der nach den Ausführungen der Staatsanwaltschaft wirklich nicht in dem Verdacht steht, die Dinge subjektiv günstig für den Angeklagten zu sehen.
Die Anklage behauptet, Papen habe sich aus reinstem Opportunismus als treuer Gefolgsmann der bereits bekannten Aggressionspläne Hitlers gern und willig zur Übernahme des Amtes bereit erklärt.
Kann demgegenüber diese Form der Beauftragung, diese bis zum äußersten gehende Vorsicht des Angeklagten nun wirklich in Zusammenhang mit einer derartigen Einstellung gebracht werden? Diese internen Verhandlungen, diese nicht veröffentlichte, in den Händen Papens zurückgebliebene, von Hitler unterschriebene Urkunde kann doch wirklich nicht – und das wäre die Konsequenz der Ansicht der Anklage – als Scheingefecht angesehen werden, um irgendeine Täuschung hervorzurufen. Diese Dinge waren ja nicht für die Öffentlichkeit bestimmt und sind auch nie an die Öffentlichkeit gebracht worden.
Diese Umstände bei Übernahme des Wiener Postens können nur den Schluß ergeben, daß es Papen wirklich ernst mit der Innehaltung der festgelegten Befriedungspolitik gewesen ist. Es ist auch ein Unding, hier von Opportunismus zu sprechen. Den Botschafterposten am Vatikan hatte Papen abgelehnt. Die Stellung eines Gesandten in Wien war wohl für einen früheren Reichskanzler und eben gewesenen Vizekanzler kein verlockender Ehrenposten. Die solide eigene wirtschaftliche Lage Papens schloß von vornherein irgendwelche materiellen Motive aus.
Der Brief Papens an Hitler vom 16. Juli 1936 ist die Erfolgsmeldung seiner langjährigen Bemühungen zur Herbeiführung ausgeglichener friedlicher Beziehungen zwischen beiden Ländern. Der Vertrag vom 11. Juli 1936 hatte dies besiegelt.
Dieses Dokument, über dessen Beweiswert auch nicht der geringste Zweifel bestehen kann, gibt einen klaren Aufschluß über die Papen gestellte Aufgabe und ihre Durchführung. Papen weist darauf hin, daß nunmehr das Ziel erreicht wäre, zu dessen Durchführung er am 26. Juli 1934 nach Wien berufen worden sei. Er sehe mit dem Abschluß des Vertrags seine Aufgabe als erfüllt an.
Klarer kann wohl nicht der Beweis für die Richtigkeit der Darstellung Papens über seine Aufgabe und deren Durchführung erbracht werden, als durch diesen Brief. Was hat man dagegen geglaubt, in mühsam zweifelhaften Andeutungen seiner Mission unterstellen zu müssen? Er habe als willfähriges Werkzeug der Aggressionspläne Hitlers die Aufgabe übernommen, eine gewaltsame Angliederung Österreichs vorzubereiten und durchzuführen. Er sei beauftragt worden, die Regierung Schuschnigg zu unterminieren und mit der illegalen Nazi-Bewegung Österreichs zu diesem Ziele zusammenzuarbeiten. Alles, was er zur Befriedung des beiderseitigen Verhältnisses getan hätte, sei Tarnung gewesen, damit er seine unterirdischen Pläne durchführen konnte.
Und hier der unverdächtige Rechenschaftsbericht an seinen Auftraggeber.
Soll auch dieser eine Tarnung sein und eine Darstellung geben, die im absoluten Gegensatz zu den Tatsachen steht? Dieser Brief, der von den alliierten Truppen im Geheimarchiv der Reichskanzlei gefunden und dankenswerterweise von der Staatsanwaltschaft jetzt der Verteidigung zur Verfügung gestellt worden ist?
Das dritte Moment, das die Tätigkeit Papens in Wien klar charakterisiert, ist seine Abberufung am 4. Februar 1938. Die zahlreichen Abberufungen und Ernennungen an diesem Tage zeigten deutlich eine Umgestaltung der wichtigsten militärischen und politischen Posten. Die Persönlichkeiten der abberufenen Militärs und Diplomaten sprechen eine klare Sprache dafür, welches der alleinige Grund für das damalige ungewöhnliche und umfangreiche Revirement gewesen ist. Wenn Hitler damals auch Papen, ohne daß sonst ein aktueller Grund hierfür vorgelegen hätte, völlig unvermutet und ohne Nennung eines Grundes von seinem Posten abberuft, so ist damit klar erwiesen, daß Hitler bei Beginn eines radikalen außenpolitischen Kurses in Papen für Wien nicht mehr den geeigneten Mann sah.
Diese drei Momente sind an sich geeignet, uns die friedliche Tätigkeit Papens während der gesamten Zeit seiner österreichischen Mission eindeutig und ausreichend zu bestätigen. Da die Anklage sich jedoch auch hier bemüht, einzelne Ereignisse zuungunsten von Papens zu deuten, will ich diese Zeit auch noch insoweit einer kurzen Betrachtung unterziehen.
Wir sehen Papen in ständigem Kampfe mit der illegalen Bewegung. Der Vorwurf, daß er mit ihr konspiriert hätte, wird am besten dadurch ad absurdum geführt, daß nach den von Außenminister Schmidt bestätigten Plänen der illegalen Bewegung Papen als Opfer eines Attentates dieser selben Illegalen ausersehen war. Ebenso eindeutig ist der dokumentarische Beweis aus den vorhandenen Berichten, die Papen an Hitler gesandt hat. Auch hier ein völlig klares Beweismittel, da die regelmäßig im Geschäftsgang erfolgten Berichte an Hitler ja wirklich eine Täuschungsabsicht für die Öffentlichkeit ausschließen. Es ist bedauerlich, daß nicht die gesamten Berichte gefunden werden konnten, um in ihrer Vollständigkeit ein klares, geschlossenes, historisches Bild von der Tätigkeit Papens geben zu können. Nur ein Bruchteil der Berichte liegt uns vor. Wenn aber Papen, wie die Beweisaufnahme ergeben hat, am Ende der Tätigkeit die Durchschläge seiner gesamten Berichte ins Ausland hat verbringen lassen, so kann er dies doch nur deswegen getan haben, um eine historische Rechtfertigung für seine Friedenspolitik zu haben. Es wird hiedurch mit voller Klarheit bewiesen, daß seine Politik, wiedergegeben in den lückenlosen Berichten, eine Politik gewesen sein muß, die im Gegensatz zu der Entwicklung gestanden hat, die im März 1938 von anderer Seite herbeigeführt wurde. Sämtliche Zeugen, die vor Gericht erschienen sind und über die österreichischen Verhältnisse Bekundungen machen konnten, haben unter Eid ausgesagt, daß Papen eine Politik der Befriedung geführt und jede Einmischung der illegalen Bewegung in das politische Geschehen bekämpft hat.
Was kann demgegenüber aus dem Vorbringen der Anklage hergeleitet werden?
Daß Papen entsprechend seiner Stellung als Deutscher Gesandter und entsprechend dem mit Österreich eingegangenen Staatsverträge einen gewissen äußeren Konnex zu Mitgliedern der österreichischen Nazi-Bewegung halten mußte? Einen Konnex, der in keiner Weise geheimgehalten wurde, der lediglich beobachtender Natur war, und der notwendig war, um der Verpflichtung nachzukommen, über die tatsächlichen Verhältnisse in Österreich nach Berlin zu berichten. Hätte er wirklich in der von der Anklage behaupteten Weise mit der illegalen Bewegung zusammengearbeitet, so wäre dies mit aller Sicherheit in seinen Berichten nach Berlin zum Ausdruck gekommen. Er schmiedet mit den Illegalen keine geheimen Pläne, wir sehen ihn vielmehr in offenen Verhandlungen mit der österreichischen Regierung über im Juli-Vertrag vereinbarte Beteiligung der nationalen Opposition an der Regierungsarbeit. Und wenn wir schließlich im Rainer- Bericht die Niederlegung der Geschichte der illegalen Bewegung vor uns haben, so sehen wir deren Tätigkeit in den damaligen Jahren ohne die geringste Mitarbeit oder Unterstützung Papens ablaufen.
Was kann zuungunsten des Angeklagten aus der Tatsache geschlossen werden, daß er an der Tätigkeit des österreichischen Freiheitsbundes interessiert war, wenn dargelegt ist, daß dieser Freiheitsbund sich als eine nicht-nazistische, gewerkschaftliche, österreichische Vereinigung darstellt, die man bereit hielt, für Schuschnigg zu gehen und dessen Kabinett zu stützen?
Was kann zuungunsten des Angeklagten aus der Tatsache geschlossen werden, daß er auch die Regierungsverhältnisse in Österreich beobachtete und hierüber nach Berlin berichtete? Und wenn hierbei der Wunsch zum Ausdruck kommt, daß diese oder jene Konstellation für die Etatwicklung eines freundschaftlichen Verhältnisses zu Österreich günstig sei?
Die Anklage hat im Kreuzverhör Berichte auswärtiger Stellen vorgelegt, die Papen nach Berlin weitergeleitet hat. Sie glaubt, daß Papen den Inhalt dieser Berichte sich zu eigen gemacht hätte. Diese Annahme muß unrichtig sein. Der Informationszweck der Übersendung von Berichten des ausländischen Geheimdienstes liegt klar zutage. Darüber hinaus ist hierbei auch noch folgendes festzustellen: Papen hat ganz besonders auch diejenigen der in seine Hände gelangten Berichte nach Berlin weitergereicht, die eine Kritik der deutschen Verhältnisse enthielten. Die Zeugen Gisevius und Lahousen haben darauf hingewiesen, daß Hitler durch seine engsten Mitarbeiter falsch oder unzureichend informiert worden sei. Die kritischen Berichte des Auslandes, die Papen auf direktem Wege Hitler zugehen ließ, konnten und sollten auch den Zweck erfüllen, Hitler auf Mißstände aufmerksam zu machen und zu deren Abstellung zu bewegen. Besonders oft ist dies der Fall bei Äußerungen über die kirchenfeindlichen Zustände in Deutschland. Auf derselben Linie liegt die Vorlage der im Kreuzverhör besonders erwähnten Berichte im Falle Tschirschky über die Tätigkeit der Gestapo. Die regelmäßigen Berichte Papens an Hitler befaßten sich auch teilweise mit den Zuständen in den Nachbarstaaten. Die Nachprüfung des Inhalts der Berichte ergibt, daß es sich hierbei lediglich um Probleme handelte, die unmittelbar im Zusammenhang mit der außenpolitischen Lage Österreichs im Balkan stehen und somit in den Aufgabenkreis des in Wien akkreditierten Gesandten fallen.
Letztlich ist noch auf die Affidavits Messersmith einzugehen. Er schildert die Ereignisse nach einem Zeitablauf von zehn Jahren, im Falle Papen anscheinend aus freier Erinnerung. Zeit und später erworbene Kenntnisse haben offensichtlich das Erinnerungsbild so restlos getrübt, daß wir zum Beispiel die Erklärungen Papens über seine Aufgaben im Südostraum in den beiden Affidavits mit einem grundlegend voneinander abweichenden Inhalt wiedergegeben sehen.
Meine Kritik kann sich im übrigen mit der Feststellung begnügen, daß der Inhalt der Affidavits im Widerspruch zu jeder Regel der Erfahrung und Logik steht. Ein Diplomat kann nicht dem ihm mit betonter Reserviertheit entgegentretenden Vertreter eines anderen Staates die geheimen Ziele seiner Politik offenbart haben. Es ist unmöglich, daß Papen, wie Messersmith an einer anderen Stelle sagt, nicht nur ihm, sondern sogar öffentlich seinen angeblichen Plan verkündet hat, Schuschnigg zu stürzen, bei dessen Regierung Papen selbst akkreditiert war. Es ist eine Unmöglichkeit, daß derartige Enthüllungen keinerlei Konsequenzen gehabt und erstmalig im Jahre 1945 ihren Niederschlag im Affidavit gefunden haben sollen.
Die beiden Affidavits können mithin keine Grundlage für eine Urteilsfindung sein, abgesehen davon, daß ihr Inhalt widerlegt ist durch die übrige Beweisaufnahme, die sowohl die Pläne als auch die Handlungen Papens umfaßt hat.
Ich komme jetzt noch einmal auf die gestrige Beantwortung des Fragebogens von Gabronski zurück. Es ist dies Dokument Papen 106. Eine vollständige Widerlegung des Messersmith-Affidavits bringt auch die Beantwortung des Fragebogens des Polnischen Gesandten Gabronski. Diese Zeugenaussage des Diplomaten eines Landes, mit dem Deutschland seit September 1939 im Kriege stand, scheint besonders bemerkenswert. Gabronski hatte Gelegenheit, während der gesamten Wiener Tätigkeit von 1934 bis 1938 Papen zu beobachten. Bei der Beantwortung des Fragebogens ist irrtümlich das Jahr 1937, nicht, wie es richtig heißen muß, das Jahr 1934 als Beginn der Tätigkeit Gabronskis in Wien angegeben. Alle von Messersmith erhobenen Vorwürfe, Zusammenarbeit Papens mit der illegalen Nazi-Bewegung, Intrigen und beabsichtigter Sturz des Regimes Schuschnigg, aggressive Politik im Südostraum, Aufteilung der Tschechoslowakei an Polen oder Ungarn, alles das wird durch die Zeugenaussage Gabronskis widerlegt.
Ich verweise weiterhin auf das gestern im Auszug verlesene Affidavit Rademacher von Unna. Wenn hier Papen sich weigert, eine geheime Verbindung mit einem österreichischen Minister einzugehen, so zeigt er damit wohl klar, daß er keinerlei subversive Tätigkeit ausgeübt hat, wenn er diese günstige und bequeme Möglichkeit für eine derartige Tätigkeit nicht in Anspruch nimmt.
Ich glaube, damit die Zeit genügend erörtert zu haben, in der Papen seine Tätigkeit als Außerordentlicher Gesandter in Wien ausübte.
Die Anklage hat darüber hinaus die Mitwirkung Papens an der Berchtesgadener Besprechung am 12. Februar in ihre Betrachtung gezogen.
Das Zustandekommen der Berchtesgadener Konferenz ist nicht das Anfangsstadium eines neuen Kurses, sondern das Ergebnis der vorherigen Entwicklung gewesen. Bereits Monate vorher hatten Papen und Schuschnigg in Besprechungen eine Zusammenkunft in näherer Zukunft zwischen den beiden Staatsmännern für wünschenswert angesehen. Der Juli-Vertrag hatte naturgemäß viele Differenzpunkte offengelassen. Die Aussage des Zeugen Guido Schmidt hat uns die Lage klar vor Augen geführt. Eine zahlenmäßig sehr mächtige, offiziell nicht erlaubte, aus den tatsächlichen Verhältnissen heraus jedoch stillschweigend geduldete oppositionelle Partei schaute weltanschaulich in vollem Umfange auf ihren zumindest ideellen Führer in Deutschland. Dort war der Führer dieser Partei gleichzeitig das Staatsoberhaupt. Außenpolitisch war eine Trennung der beiden Parteien in beiden Ländern erforderlich. Die innere ideologische Verbundenheit mußte aber immer wieder zwangsläufig zu Differenzen führen. Wir sehen daher bei der österreichischen Regierung eine verständliche Reserve und ein ständiges Bemühen, ein Anwachsen des Einflusses dieser Bewegung in Verwaltung und Regierung zu verhindern. Dieser Interessenlage entsprach auch in der Praxis die Behandlung der sich aus dem Juli-Vertrage ergebenden Fragen. Es war selbstverständlich, daß sich die österreichische Seite bemühte, die Bestimmungen des Vertrags restriktiv zu behandeln. Es war nur natürlich, daß auf deutscher Seite der Wunsch bestand, die Möglichkeiten aus dem Vertrage in vollem Umfange zu erschöpfen. Daher konnte eine direkte Fühlungnahme der verantwortlichen Spitzen der beiden Länder, die auf deutscher Seite gleichzeitig die Spitze der Partei war, nur als ein vernünftiges Erfordernis angesehen werden. Die Abberufung Papens am 4. Februar droht diese Entwicklung zu unterbrechen. Vielleicht würde bei Aufkommen des erwarteten verschärften Kurses eine derartige Zusammenkunft mit dem Zwecke der Ausräumung bestehender Schwierigkeiten für immer vertagt. Zumindest hätte sie später in einer gespannteren Atmosphäre unter Mitwirkung eines radikalen Nachfolgers sicherlich ein anderes Ergebnis erwarten lassen, als von Schuschnigg und Papen erhofft.
Es ist daher durchaus verständlich, daß Papen bei seinem Abschiedsbesuch bei Hitler am 5. Februar, als man auf die Dinge zu sprechen kam, auch nach seiner Abberufung noch den Auftrag annahm, die beabsichtigte Besprechung festzulegen und die österreichische Delegation zu diesem Zweck nach Berchtesgaden zu begleiten. Die Anklage wirft Papen vor, daß damals bereits das spätere Gesprächsprogramm festgelegt worden wäre. Papen hat dagegen in seiner Vernehmung bekundet, daß er lediglich den Auftrag erhalten hätte, die Besprechung zum Zwecke der Bereinigung sämtlicher Differenzpunkte auf der Basis des Juli- Vertrags zu vereinbaren. Für ihre gegenteilige Behauptung ist die Anklage den Beweis schuldig geblieben. Aus demjenigen, was am 12. Februar geschehen ist, läßt sich bei der Persönlichkeit Hitlers noch keinesfalls rückschließen, was er selbst bei der ersten Erwähnung einer derartigen Besprechung am 5. Februar gedacht, noch viel weniger, was er von seinen Plänen mitgeteilt hat. Die Beweisaufnahme hat festgestellt, daß die von Hitler am 12. Februar erörterten Punkte identisch sind mit denjenigen Forderungen, die die österreichischen Nationalsozialisten unmittelbar vor der Besprechung aufgestellt und in ihrem eigenen Kanal Hitler übermittelt hatten. Hieraus ergibt sich, daß das von Hitler in der Besprechung vom 12. Februar gewählte Gesprächsthema zumindest substantiiert noch nicht am 5. Februar vorgelegen haben kann. Wenn die österreichischen Nazis mit ihren Forderungen Papen nach Berchtesgaden vorauseilten, so wird damit die Ansicht der Anklage widerlegt, daß Papen mit Hitler und der österreichischen Partei konspiriert habe. In diesem Falle wäre er dann wohl selbst der beste Verbindungsmann zwischen den Wünschen der Partei und Hitler gewesen. Unterstrichen wird dies auch durch die Bekundung der Zeugen Seyß-Inquart und Rainer, die klargelegt haben, daß sie mit Papen während dieser Zeit keine Fühlung gehabt haben. Rainer weist auch in seinem Bericht darauf hin, daß Papen der Ansicht gewesen sei, die Tatsache der verabredeten Besprechung sei von der österreichischen Partei geheim geblieben.
Die Anklage hat zu Lasten Papens die Behauptung ferner gewertet, er habe beim Empfang der österreichischen Delegation an der deutsch-österreichischen Grenze Schuschnigg auf die Anwesenheit von Generalen aufmerksam gemacht. Ob dies wirklich den Tatsachen entspricht, hat die Beweisaufnahme nicht ergeben. Das alleinige hierfür verwendbare Beweismittel ist die Aussage Schmidts. Dieser konnte nicht mehr genau bekunden, ob Papen von einem General, nämlich Keitel, der sich ja erfahrungsgemäß nach Übernahme seines neuen Amtes in ständiger Umgebung Hitlers aufhielt, oder von mehreren Generalen gesprochen habe. Papen selbst weiß heute nicht mehr, ob und in welcher Form er damals zu Schuschnigg eine derartige Äußerung gemacht hat. Er weiß auch nicht, ob er damals überhaupt von der Anwesenheit von Generalen Kenntnis gehabt hat. Es ist durchaus möglich, daß er sie bei der Übernachtung in Salzburg, wo er sich in einem anderen Hotel als die österreichische Delegation aufgehalten hatte, erfahren hat. In jedem Falle kann man aber nie die Tatsache übersehen, daß, selbst wenn Papen die von der Anklage behauptete Äußerung getan hat, diese Mitteilung vor dem Besuche erfolgte, er also nie an einem auf das Überraschungsmoment eingestellten Einschüchterungsversuch gegenüber der österreichischen Delegation teilgenommen hat.
Seine Mitwirkung bei der Besprechung ist durch die Beweisaufnahme geklärt. Führend war allein Hitler, der in einer auch seine Kenner überraschenden brutalen Weise Schuschnigg zu beeindrucken versuchte. Über die technischen Einzelheiten wurde mit Ribbentrop verhandelt. Papen hat mehr oder weniger als Zuschauer mitgewirkt, was ja auch der Tatsache entsprach, daß er eine amtliche Stellung nicht mehr bekleidete. Er hat nach den einheitlichen Bekundungen der Beteiligten seine durch die Gegebenheiten gestellte Aufgabe nur darin gesehen, beruhigend mitzuwirken.
Man muß sich seine Lage vorstellen: Er sieht sein Vorhaben durch das von keinem vernünftigen Menschen erwartete Verhalten Hitlers gescheitert. Er sieht, wie ein von Natur jähzorniger Mensch in seiner Erregung alles das vermissen läßt, was zu einer vernünftigen Erörterung im Rahmen einer Staatsmännerkonferenz erforderlich ist. Er hört die Drohungen Hitlers und muß ihn für entschlossen halten, bei abruptem Scheitern der Verhandlungen die Dinge einen irreparablen Weg gehen zu lassen.
Im Rahmen dieser Situation war daher das Erreichen gewisser Konzessionen – auf dem Gebiete des Heeresministeriums und der wirtschaftlichen Forderungen gab Hitler nach – und die nach langem Kampfe erreichte Verschiebung des endgültigen Abschlusses auf die Genehmigung durch die österreichische Regierung und den Bundespräsidenten die optimale Lösung der gefährlichen Situation.
Wenn Papen in diesem Punkte mit den österreichischen Staatsmännern übereinstimmte, die zweifellos auch nur bei vernünftiger Wahrung der Belange ihres Staates aus diesen gegebenen Verhältnissen sich zur provisorischen Unterschrift bereit fanden, so kann man gegen Papen nicht den Vorwurf erheben, daß er das Ergebnis von vorneherein gebilligt und beabsichtigt hätte.
Wie die vorherige Tätigkeit Papens in Österreich und seine Teilnahme an der Berchtesgadener Konferenz von Hitler beurteilt worden ist, ergibt am besten die Tatsache, daß er nachher in keiner Weise mehr irgendeine amtliche Tätigkeit in Wien übertragen erhalten hat. Den innerlich und tatsächlich an dem Ergebnis von Berchtesgaden Beteiligten hätte Hitler in der nun kommenden entscheidenden Entwicklung wohl nicht ohne Aufgabe gelassen. Man hätte seine Person nicht durch neue Leute aus Berlin ersetzt und hätte in der jetzt ja noch schwieriger gewordenen diplomatischen Situation auf die Arbeit desjenigen Mannes nicht verzichtet, der ja mit den gesamten Verhältnissen aus seiner jahrelangen Tätigkeit aufs engste vertraut war. Man hätte zweifellos auf seine persönlichen Beziehungen zu den österreichischen Staatsmännern zurückgegriffen, die ihn bevorzugt befähigt hätten, die Pläne Hitlers weiterzuspinnen. Wenn man im Sinne der Anklage die Ausgleichsbemühungen Papens bei der Besprechung in Berchtesgaden als Täuschungsmanöver ansieht, so hätte man doch zweifellos Papen in diesem Sinne weiterwirken lassen und hätte nicht nach Ersatz seiner Person neue Leute radikaleren Kurses die Dinge weiter behandeln lassen.
Aufschlußreich ist die Notiz Papens über seinen Abschiedsbesuch beim Bundeskanzler. Ein Mann, der die Auffassung Schuschniggs, daß er in Berchtesgaden unter gewissem Zwang gehandelt hätte, in seinem eigenen Kommentar als »beachtlich« nach Berlin weitergibt, wird nicht ein Beteiligter an den Zwangshandlungen gewesen sein. Die Beweisaufnahme hat ergeben, daß Papen in der nächsten Zeit keinerlei amtliche Tätigkeit mehr ausgeübt hat.
Die Führung der Gesandtschaft übernahm der neue Geschäftsträger Freiherr von Stein, ein prononcierter Nationalsozialist. Er wurde unterstützt durch Keppler, einen engen Vertrauten Hitlers. Papen dagegen erledigt seine Abschiedsbesuche und nimmt seinen Wintersportaufenthalt in Kitzbühel.
Inzwischen spitzen sich die Verhältnisse immer mehr zu. Der von Schuschnigg angekündigte Volksentscheid bringt die Dinge zu einer Entwicklung, die in diesem Ausmaße vielleicht auch nicht einmal von Hitler beabsichtigt sind. Der Besuch von Seyß-Inquart und Rainer bei Papen am 9. März war eine zufällige Begegnung, ohne daß hierbei irgendwelche Beratungen gepflogen oder Beschlüsse gefaßt worden wären. Wenn Papen, was Rainer bekundet, sogar die Ansicht vertreten hat, daß bei der Formulierung der Fragenstellung des Volksentscheides ein anständiger Österreicher nicht »Nein« sagen könne, der Parole Schuschniggs also folgen müsse, so ergibt sich daraus schon der Gegensatz Papens zu den Ansichten der österreichischen Nationalsozialisten und den später in Erscheinung getretenen Berliner Absichten.
Wenn ich zum Schluß noch auf die Anwesenheit Papens am 11. März in Berlin eingehen darf, so kann ich eine Erklärung für den Wunsch Hitlers, Papen in Berlin zu wissen, auch bei rückschauender Betrachtung der Dinge in aller Klarheit nicht geben. Die Gründe können vielgestaltiger Natur gewesen sein. Wenn Hitler, worin immerhin Zweifel bestehen können, damals bereits entschlossen war, zu der später erfolgten Lösung zu treiben, so konnte der Grund immerhin darin liegen, daß er dem in Wien anwesenden Mann der Befriedungspolitik nicht traute, daß er vielleicht annahm, daß die österreichischen Regierungsstellen in ihrer verzweifelten Situation sich an ihn wenden könnten und daß unter der Mitwirkung Papens vielleicht Einigungsvorschläge gemacht werden könnten.
Ich erinnere hierbei an eine ähnliche Situation vor Beginn des Polenfeldzuges, wo Hitler befürchtete, daß »in letzter Minute noch irgendein Schweinehund einen Vermittlungsvorschlag machen würde«. Andererseits ist auch durchaus denkbar, daß die Berufung Papens nach Berlin den Wünschen Hitlers entsprach, für den möglichen Fall eines Einlenkens der österreichischen Regierung den Rat Papens als eines Kenners der Verhältnisse nicht zu missen.
Es ist im Rahmen der notwendigen Betrachtungen zu der Anklage jedoch überflüssig, sich die Mühe zu geben, auf den wirklichen inneren Grund Hitlers zu kommen. Entscheidend ist ja schließlich lediglich dasjenige, was Papen während seiner Anwesenheit in der Reichskanzlei getan hat.
Er hat bei seinem Eintreffen Hitler den Wunsch zum Ausdruck gebracht, daß durch eine Vertagung des Volksentscheides eine Entspannung herbeigeführt werden müsse. Seine Einstellung zu den weiteren Vorgängen hat Papen durch seine Stellungnahme zu den militärischen Vorbereitungen beziehungsweise bei Aufhebung des Einmarschbefehls dokumentiert. Eine plastische Darstellung von den Vorgängen in der Reichskanzlei haben wir durch die Stenogramme der von Göring geführten Telephongespräche erhalten. In Verbindung mit seiner Aussage ergibt sich daraus das Bild, daß er im wesentlichen die treibende Kraft gewesen und teilweise sicherlich sogar über die Absichten Hitlers hinausgegangen ist. Er hat betont, daß er seine Lösung von jeher konsequent angestrebt habe, zu seiner Entscheidung brauchte er jetzt keine Überlegung und keine Beratung. Schließlich gibt das Affidavit Seherr-Thoss die Einstellung Papens am Abend des fraglichen Tages wieder. Er äußerte im vertrauten Kreise, daß er von dem Einmarsch abgeraten, Hitler jedoch entgegen seinem Rat soeben »den Wahnsinn begangen habe, den Einmarschbefehl zu erteilen«.
In letzter Linie haben wir noch eine klare Stellungnahme Papens hierzu in dem Gespräch mit dem Zeugen Guido Schmidt, das Jahre später stattfand.
Damals war die Einverleibung Österreichs bereits seit langem eine historische Tatsache und von den meisten Deutschen als großer politischer Erfolg angesehen. Papen dagegen verurteilt aufs schärfste die von Hitler angewandte Methode und bekennt sich erneut zum Grundsatz der Legalität und Vertragstreue, der hier, auf weite Sicht gesehen, zum Schaden Deutschlands verlassen worden sei.
Ich komme zu dem Ergebnis, daß – unabhängig von der Rechtsfrage, ob der Fall Österreich im Rahmen der durch die Charte gezogenen Begrenzung überhaupt erörterungsfähig ist – in Erschöpfung der Verteidigung des Angeklagten der Gegenbeweis dafür erbracht worden ist, daß Papen den Einmarsch in Österreich weder selbst mit herbeigeführt noch durch eine dahin ausgerichtete Politik vorbereitet hat, daß seine Tätigkeit in Österreich ausschließlich dem Ziele gegolten hat, das er mit seiner Beauftragung am 26. Juli 1934 übernahm: Einer Politik, die der Wiederherstellung friedlicher Beziehungen zwischen den beiden Ländern diente, ein legales Ziel, das mit einer speziellen oder allgemeinen Aggressionspolitik nicht das geringste zu tun hat.
Außerhalb meines Manuskripts möchte ich noch auf folgendes hinweisen. Mit diesem von ihm übernommenen Ziele steht auch nicht im Widerspruch, was Papen ebenso wie die überwältigende Mehrheit aller Deutschen und Österreicher sich seit 1918 als Endpunkt einer normalen Entwicklung erhofften, das Zusammenkommen beider Völker in irgendeinem engen staatsrechtlichen Kontakt. Daß hierbei im Hinblick auf die bestehenden Schranken der Friedensverträge noch manche Schwierigkeit zu überwinden sein würde, war klar. Konnte nicht aber Papen nach bestem Gewissen annehmen, daß die Vertragsparteien einem Wunsch der beiden Völker ihre Anerkennung nicht versagen würden, einem Wunsch, der auch unterstrichen war durch die politische und wirtschaftliche Unmöglichkeit der Aufrechterhaltung des bisherigen Zustandes. Galt es nicht, hier das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu verwirklichen, das große Prinzip des 20. Jahrhunderts? Die vielen Stimmen des Auslandes aus der damaligen Zeit, sein Gespräch mit Botschafter Sir Nevile Henderson, das in dem Bericht Papens vom 1. Juni 1937, Verteidigungsdokument Nummer 74, erwähnt ist, die Stellungnahme der Nachbarländer, die sich gleichfalls aus dem Bericht ergibt, und schließlich auch die Erfüllungen bei Behandlung der Reparationsfragen konnten ihn hoffen lassen, daß die Lösung einmal in einer internationalen Verständigung gefunden werden könne. Hierfür war erste Voraussetzung die Initiative einer souveränen und unabhängigen österreichischen Regierung. Dies konnte nur als Ausgangspunkt ein wirklich freundschaftliches Verhältnis zu Deutschland haben. Papens Aufgabe konnte daher eine Grundlage sein für die Erfüllung der seither in beiden Staaten öffentlich geäußerten nationalen Wünsche.
Ich fahre nun wieder in meinem Manuskript fort.
Die nun folgende Zeit wird von der Anklage nicht in die Erörterung gezogen. Die Verteidigung muß jedoch zur Gegenbeweisführung auf sie eingehen. Es ist leicht, mit Feststellungen aus dieser Zeit den Beweis dafür zu führen, daß die Anklagebehauptungen aus der früheren Zeit unrichtig sein müssen.
Die Anklage verläßt Papen mit der Beendigung seiner Wiener Tätigkeit, und sie gibt keine Erklärung dafür ab, worauf die jetzige Inaktivität Papens zurückzuführen sein kann. Kein Grund, kein Ereignis liegt vor, das den angeblichen Konspirator zu diesem Wandel veranlaßt haben könnte. Wir kommen jetzt zu der Zeit der unmittelbaren Kriegsvorbereitungen und dem Ausbruch des Krieges.
Der frühere Konspirator Papen hat nach der Annahme der Anklage in dieser Zeit nunmehr trotz zweifellos vorhandener Möglichkeiten die bisherige Bahn verlassen. Diese Wandlung hätte die Anklage irgendwie klären müssen, wenn man nicht von vorneherein die Ausdeutung der Handlungen aus der früheren Zeit im Sinne der kriminellen Zielrichtung als unschlüssig betrachten muß.
Papen hat sich nach der Einverleibung Österreichs aufs Land zurückgezogen, wo er über ein Jahr lang, bis April 1939, sich vom öffentlichen Leben fernhielt.
Diese Tatsache ist wichtig, wenn man die damalige Situation betrachtet. Der 4. Februar 1938 hatte zweifellos einen verschärften Kurs der deutschen Außenpolitik gebracht. Papen soll, nach Ansicht der Anklage, Hitlers williges Werkzeug zur ersten Vorbereitungshandlung für diese Politik gewesen sein. Würde dies zutreffen, so würde man bei dem erzielten Ergebnis Papen als den hundertprozentig erfolgreichen Diplomaten ansehen müssen. Dieser so erfolgreiche Diplomat und Konspirator geht nun nicht etwa an einen Platz, wo er diese Tätigkeit weiter fortsetzen kann, wo in ähnlicher Weise, zum Beispiel im Sudetenland, Vorbereitungen zu treffen wären. Er wird nicht an einen Platz gesetzt, wo die großen europäischen politischen Fäden zusammenlaufen, nach Paris, London oder Moskau, wo er auf Grund seines internationalen Kredits Ja zweifellos als der geeignete Mann zur Unterstützung der Hitlerschen Politik erscheinen könnte. Dieser Mann zieht sich aus dem öffentlichen Leben zurück zu einer Zeit, wo die gesamte auswärtige Politik Hitlers, wo die Sudetenkrise, die Einverleibung der Tschechoslowakei und die Vorbereitungen des Polenkrieges eine Zeit hochgespannter politischer Atmosphäre schafften. Wenn damals Hitler seine Dienste gar nicht in Erwägung gezogen hat, so ergibt sich hieraus allein schon klar, daß Papen nicht der Konspirator, nicht einmal der Gefolgsmann Hitlers und nicht einmal der Herbeiführer des ersten Erfolges im Sinne Hitlerscher Politik, der Einverleibung Österreichs, gewesen ist.
Auch in diesem Sinne ist es bezeichnend, daß Papen erst berufen wird in einer Situation, bei der es nicht galt, ein Land zu besetzen oder für beabsichtigte Aktionen Vorbereitungen zu treffen. Papen wird gerufen, als die Expansionspolitik des italienischen Bundesgenossen auf Albanien Schwierigkeiten hervorrief und Verwicklungen mit der Türkei befürchten ließ. Hier also eine klare Aufgabe, den Friedenszustand aufrechtzuerhalten.
Wenn die Anklage die Tätigkeit in Ankara selbst zu ihrer Stützung nicht heranziehen kann, so versagt sie es sich doch nicht, die Annahme des Postens durch Papen ungünstig zu beurteilen. Es muß daher auch auf diesen Punkt eingegangen werden.
Papen war auch bei dieser neuen Berufung sehr zögernd. Zweimal, zu ruhigeren Zeiten, hatte er aus allgemeinen Erwägungen, weil er überhaupt nicht mehr in einer amtlichen Stellung tätig sein wollte, die Berufung abgelehnt. Jetzt sieht er Gründe, denen er sich nicht mehr verschließen kann. Er sieht eine neue Aufgabe, für die er glaubt, sich einsetzen zu müssen.
Die gesamte politische Lage war seit dem März 1939 äußerst gespannt. Auch von einer Nebenseite her konnte leicht der Funke auf das Pulverfaß fallen. Ein Konflikt Italiens mit der Türkei konnte in Erfüllung der bestehenden Verträge einen allgemeinen Krieg hervorrufen. Wenn er durch seine Tätigkeit wenigstens insoweit eine Kriegsmöglichkeit ausschließen konnte, mußte Papen für die Übernahme des Auftrags seine innere Rechtfertigung finden. Er stand vor dem Problem, vor dem alle stehen, die zur Mitarbeit im Rahmen eines von ihnen nicht gebilligten Systems berufen sind. Ein Beiseitestehen, ein völlig passives Verhalten ist freilich der bequemere Weg, zumal wenn irgendwelche sonstigen Gründe den Betreffenden nicht zur Übernahme des Amtes treiben. Der schwierigere Weg ist, im Rahmen einer nicht gebilligten Gesamtpolitik eine Aufgabe zu übernehmen, die auf ihrem Teilgebiet ein erstrebenswertes Ziel bietet. Und wenn dieses Teilgebiet von einer solchen Wichtigkeit ist, daß hiervon die Ausschließung eines möglichen Krieges abhängt, so kann die Entscheidung zur Übernahme eines solchen Auftrags nur erklärlich und billigenswert sein. Wenn überhaupt nur im entferntesten die Möglichkeit besteht, ein solches Ziel zu erreichen, so müssen private Interessen zurücktreten.
Wenn man zusammenfassend dasjenige betrachtet, was Papen wirklich nach Übernahme dieses Ankaraner Auftrags getan hat, wenn man sieht, daß durch sein Eintreten im Frühjahr 1939 die Italiener von deutscher Seite her gemäßigt und kriegerische Verwicklungen vermieden wurden, wenn man berücksichtigt, daß Papen es später erfolgreich verstanden hat, die Ausdehnung des Krieges auf die Türkei und die weiteren südöstlichen Gebiete zu verhindern, so kann man rückblickend nur sagen, daß die Übernahme des Auftrags entgegen der persönlichen Neigung eine richtige Entscheidung gewesen ist.
Wenn wir in der Beweisaufnahme gesehen haben, in welch umfassender Weise Papen von Beginn an schon im Jahr 1939 Bemühungen zum Herbeiführen eines Verzichtfriedens unternommen hat, so müssen wir die Annahme des Auftrags auch aus diesem Grunde billigen, unabhängig davon, welch schließlicher Erfolg seinen Bemühungen beschieden war, wenn auch nur mit einer ganz verschwindenden Möglichkeit zu rechnen gewesen wäre, das erstrebte Ziel zu erreichen.
Schließlich wäre die Übernahme eines derartigen Postens moralisch auch schon dann gerechtfertigt, wenn ihm auch nur ein einziger Teilerfolg beschieden gewesen wäre, wie zum Beispiel die Errettung von 10 000 Juden vor ihrer Deportation nach Polen, die durch das Affidavit Marchionini bestätigt worden ist.
In diesem Zusammenhange möchte ich auf ein Mißverständnis eingehen, das auf Grund der richterlichen Befragung über dieses Affidavit entstehen könnte.
Marchionini weist in seinem Affidavit darauf hin, daß den betreffenden Juden natürlich durch die Intervention Papens das Leben gerettet worden ist. Papen hat auf Befragung die Richtigkeit des Affidavits bestätigt. Diese Bestätigung stimmt auch mit den Tatsachen überein. Daraus ergibt sich jedoch noch nicht, daß die Bedeutung der Aktion, wie sie heute Marchionini bekannt ist, und die er deshalb in dem Affidavit erwähnt, damals bereits bekannt war. Papen wußte selbstverständlich, daß die Deportation mit einem unbekannten Zweck und unbekannten Ziel nach Polen etwas sehr Schwerwiegendes war. Deshalb auch sein Eingreifen. Erst heute weiß er, wie sicherlich es auch Marchionini erst heute in aller Deutlichkeit weiß, daß der Weg dieser Menschen nicht in eine Deportationsarbeit, sondern direkt in die Gaskammern führen sollte.
Ich möchte noch auf das Dokument Nummer 105 hinweisen, der beantwortete Fragebogen des letzten Apostolischen Nuntius in Paris, Roncalli, der das Eintreten Papens in kirchliche Dinge und seine Haltung insoweit aus persönlichster Kenntnis eingehend bekundet.
Die Tätigkeit in Ankara ist von den Zeugen Kroll und Freiherrn von Lersner eingehend dargestellt worden. Sie ergibt klar eine einheitliche Friedenspolitik, eine Friedenspolitik, die, unabhängig von der jeweiligen militärischen und politischen Lage, auch zur Zeit des Höhepunkts des deutschen Sieges einen Verzichtsfrieden angestrebt hat. Papen war nach der Bekundung Rose und Kroll von dem Ausbruch des Polenkrieges erschüttert und hat ihn von vornherein verdammt.
Wie läßt sich eine solche Einstellung und eine solche Tätigkeit mit den Behauptungen der Anklage in Übereinstimmung bringen? Papen soll in Konspiration mit Hitler den Krieg herbeigeführt haben. Die kriminelle Handlung glaubt die Anklage aus seinem Verhalten Jahre vor Ausbruch des Krieges deuten zu können. Es ist keine Tatsache dafür erbracht, was den Konspirator Papen zum Befürworter des Friedens gemacht haben soll. Sie hat ihre Beschuldigung auf dem schwankenden Boden von Ausdeutungen aufgebaut und es unterlassen, die Frage zu prüfen, ob die Anklagebehauptungen auch nur irgendwie mit der Gesamtpersönlichkeit des Angeklagten in Übereinstimmung zu bringen sind. Bei der Natur der Anklage kann man sich nicht damit begnügen, das Problem damit zu lösen, daß man eine Zwiespältigkeit des Charakters und eine opportunistische Einstellung behauptet. Die Anklage umfaßt Verbrechen ungeheuerlichen Ausmaßes. Eine solche Anklage muß auch in der Person des Täters fundiert sein. Die Beteiligung an einer solchen Verschwörung ist nur denkbar in einem völligen Aufgehen in den im Verfahren erörterten, mit »Nazismus« bezeichneten Doktrinen in ihrer äußersten Konsequenz. Ein Konspirator im Sinne der Anklage kann nur ein Mann sein, der sich restlos mit seiner ganzen Persönlichkeit diesem Ziele verschrieben hat. Es muß ein Mann sein, bei dem auch die letzten moralischen Bindungen in Fortfall gekommen sind. Eine solche Persönlichkeit kann nicht eine kurze Zeiterscheinung sein; die Bereitschaft zu einem solchen Verbrechen muß in der Person des Täters liegen.
Gegenüber dem charakterlichen Zerrbild, das die Anklage von Papen gezeichnet hat, hat sich uns seine wahre Persönlichkeit mit aller Deutlichkeit in diesem Verfahren gezeigt. Wir sehen einen Mann, der nach Herkommen und Erziehung in Tradition und konservativem Denken wurzelt, einen Mann verantwortungsbewußten Nationalgefühls, dem gerade hieraus die Achtung des anderen selbstverständlich ist.
Seine persönlichen Bindungen zum westlichen Nachbarlande, seine Kenntnis der Welt schließen es von vornherein aus, daß er die Dinge nur einseitig nach den eigenen nationalen Wünschen sieht. Er weiß, daß das Leben eine Verständigung und eine Verständigungsbereitschaft erfordert. Er weiß, daß auch das internationale Leben auf Treu und Glauben aufgebaut ist und daß man zu seinem Worte stehen muß.
Vor uns steht ein Mann, der aus seiner tiefen Religiosität heraus, die er immer zum Grundprinzip seines Handelns macht, zwangsläufig im Gegensatz zu den weltanschaulichen Doktrinen des Nationalsozialismus stehen muß. Wir haben seine politische Laufbahn verfolgt und gesehen, daß er an seiner auf diesen Elementen aufgebauten politischen Grundlinie in allen Abschnitten seiner Tätigkeit festgehalten hat.
Aus dieser Grundhaltung heraus hat er verantwortungsbewußt sich den ihm gestellten Aufgaben nicht entzogen. Wenn wir auch am Ende den Zusammenbruch seiner Hoffnungen und Bestrebungen sehen, so kann dies nicht der Prüfstein für die Lauterkeit seiner Gesinnung sein.
Einen solchen Mann überhaupt unter die Anklage eines Verbrechens im Sinne des in der Charte festgelegten Tatbestandes zu bringen, dürfte wohl auch nur möglich gewesen sein auf Grund der rechtlichen Erleichterungen, die eine Konspirationsanklage für den Ankläger mit sich bringt. Beim Tatbestand gegen Papen mußte auch diese Konstruktion versagen.
Die Anklage hat nicht beweisen können, daß Papen sich in irgendeinem Zeitpunkt der behaupteten Konspiration verbunden hat. Ihr gegenüber steht die Wirklichkeit. Im Gegenbeweis sind die Tatsachen festgestellt, die eine Verbindung seiner Person auch nur mit der Idee des Anklagetatbestandes unmöglich machen.
Die Schlußfolgerung ist klar gegeben:
Franz von Papen ist der gegen ihn erhobenen Anklage nicht schuldig.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich vertagen.