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VORSITZENDER: Ich rufe Dr. Flächsner auf, den Verteidiger für den Angeklagten Speer.

DR. HANS FLÄCHSNER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SPEER: Herr Präsident, meine Herren Richter!

Die Anklage hat dem Angeklagten Speer Verstöße gegen alle vier Punkte der Anklage, die sich mit den Bestimmungen des Paragraphen 6 a bis c im wesentlichen decken, zur Last gelegt.

Die Französische Anklage, die die einzelnen Vorwürfe gegen den Angeklagten Speer mehr substanziert hat, verzichtet darauf, dem Angeklagten Speer einen Verstoß gegen die Strafbestimmung des Paragraph 6 a des Statuts zur Last zu legen und fordert gegen Speer lediglich die Anwendung der Paragraphen 6 b und c. Da aber in der mündlichen Verhandlung mehrfach gerade unter Verweisung auf die Person des Angeklagten Speer der Rechtsbegriff der Verschwörung beispielsmäßig erläutert worden ist und die Behauptung aufgestellt wurde, daß auch der Angeklagte Speer sich eines Verstoßes im Sinne der Strafbestimmungen der Ziffer 6 a des Statuts schuldig gemacht habe, muß vorsorglich darauf eingegangen werden.

Es wird ferner dem Angeklagten die Planung, Vorbereitung, Einleitung oder Führung eines Angriffskrieges oder eines Krieges unter Verletzung internationaler Verträge zur Last gelegt, und zwar dies, obwohl zu dem Zeitpunkt, als der Angeklagte das Amt des Ministers für die Heeresrüstung übernahm, das erst anderthalb Jahre später in ein Ministerium für Rüstung und Kriegsproduktion erweitert wurde, das Deutsche Reich sich bereits mit allen Staaten im Kriege befand, denen gegenüber es im Mai 1945 kapitulierte. Zur Zeit der Übernahme von Regierungsgeschäften durch den Angeklagten waren also die unter Paragraph 6 a des Statuts aufgeführten Tatbestände bereits restlos vollzogen, und die Tätigkeit des Angeklagten Speer änderte an dem einmal tatsächlich bestehenden Zustand nicht das geringste.

Der Angeklagte hatte zu der Herbeiführung dieses Zustandes nicht das geringste beigetragen. Seine Tätigkeit zuvor war die eines Architekten, der ausschließlich mit Friedensbauten beschäftigt war und durch seine Tätigkeit weder zur Vorbereitung noch zur Auslösung eines Krieges, welcher internationale Verträge verletzte, beigetragen hat. Ich verweise auf mein Dokumentenbuch, Seite 19, Dokument 1435-PS.

Wenn es sich bei den Tatbeständen, die Paragraph 6 a des Statuts materiell-rechtlich als strafrechtliche Handlungen kennzeichnet, um allgemein geltendes Völkerrecht handeln würde und die Einzelstrafbarkeit der diese Tatbestände erfüllenden Personen allgemein-völkerrechtlich anerkannt würde, so würde dennoch meines Erachtens den Angeklagten Speer eine Verantwortung für diese Tatbestände nicht treffen können, denn die Verhandlung hat bisher nicht das geringste dafür ergeben, daß Speer auch nur etwas zur Erfüllung dieser Tatbestände beigetragen hätte. Es ist hierbei zu berücksichtigen, daß zur Strafbarkeit eines Verhaltens gefordert werden muß, daß der Betreffende irgendwie an der Herbeiführung des für strafbar erklärten Tatbestandes mitgewirkt, das heißt, eine Ursache zur Herbeiführung des für strafbar erklärten Erfolges gesetzt haben muß. Wenn aber, wie im vorliegenden Falle, der Angeklagte Speer in die Regierung eingetreten ist, ohne daß er irgend etwas zu den sogenannten Verbrechen gegen den Frieden beigetragen hat, so kann ihm eine strafrechtliche Verantwortlichkeit hierfür auch nicht zur Last gelegt werden, selbst wenn andere Mitglieder der Regierung eine solche Verantwortlichkeit treffen sollte.

Die Anklage hat den Ausdruck gebraucht, durch seinen Eintritt in die Regierung hätte der Angeklagte die vorausgegangenen Verbrechen gegen den Frieden gebilligt beziehungsweise genehmigt. Eine solche der Privatrechtssphäre entnommene Begriffsform kann auf das Strafrecht keine Anwendung finden. Das Strafrecht umfaßt nur Tatbestände, welche aus Handlungen bestehen, die zur Erfüllung des für strafbar erklärten Tatbestandes dienen. Daran ändert auch die Einführung des Rechtsbegriffs der Verschwörung nichts. In dieser Beziehung kann verwiesen werden darauf, was Herr Dr. Stahmer über die Verschwörung im einzelnen vorgetragen hat. Die dort geäußerten Rechtsansichten werden auch zum Gegenstand des diesseitigen Vortrags gemacht. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird darauf, wie auch auf die Ausführungen des Herrn Professor Jahrreiss Bezug genommen. Es kann also festgestellt werden, daß dem Angeklagten Speer ein sogenanntes Verbrechen gegen den Frieden nicht zur Last gelegt werden kann.

Die persönliche Vernehmung des Angeklagten und das Kreuzverhör über seine Tätigkeit in der Partei haben ergeben, daß Speer auf Grund seiner Stellung als Architekt auch im Parteiapparat lediglich architektonisch-künstlerische Funktionen ausgeübt hat. Speer war Beauftragter für Bauen im Stabe Heß; es handelte sich dabei um eine rein technische Aufgabe, die mit irgendeiner Kriegsvorbereitung auch nicht das geringste zu tun hatte. Die Partei, welche die gesamten Lebensfunktionen des Volkes zu erfassen und zu beeinflussen suchte, hatte sich in dem Beauftragten für Bauen eine Stelle geschaffen, die die Bauten der Partei einheitlich ausrichten und gestalten sollte. Die Gauleiter und sonstigen Parteidienststellen sollten für ihre Bauvorhaben sich an diese Stelle zur Beratung wenden können, haben aber nur in geringstem Umfange Gebrauch davon gemacht.

VORSITZENDER: Dr. Flächsner! Der Gerichtshof glaubt, daß es angebracht wäre, wenn Sie sich an passender Stelle mit der Frage nach der Bedeutung der Worte »Führung eines Angriffskrieges« im Artikel 6 a beschäftigen würden. Ich möchte Sie nicht unterbrechen, damit Sie es jetzt tun, aber irgendwann, wenn es Ihnen paßt, würde der Gerichtshof gerne Ihre Auslegung des Begriffs »Führung eines Angriffskrieges« gemäß Artikel 6 a hören.

DR. FLÄCHSNER: Jawohl, Herr Präsident.

Ich darf vielleicht auf diesen Punkt nachher zurückkommen, Herr Präsident, wenn ich dieses Kapitel abgeschlossen habe.

Naturgemäß war dies eine rein künstlerische Aufgabe, wenn die Partei als Bauherr auftrat. Sie war bestrebt, ihren Bauten einen einheitlichen, repräsentativen Charakter zu verleihen. Bei der Besonderheit des architektonischen Gestaltungswillens ist es ja selbstverständlich, daß jeder Architekt bei der Lösung ihm gestellter Aufgaben eigene Absichten verfolgte. Die Tätigkeit des Angeklagten als Beauftragter für Bauen war daher relativ beschränkt und von untergeordneter Bedeutung, da er hierfür nicht einmal eine eigene Dienststelle zur Verfügung hatte. Aus ihr eine Mitwirkung des Angeklagten an irgendwelchen Verbrechen gegen den Frieden herleiten zu wollen, wäre verfehlt. Das gleiche gilt von den übrigen Funktionen des Angeklagten vor und während des Krieges bis zu seiner Übernahme als Minister.

Wenn der Angeklagte beauftragt wurde, das Stadtbild der Städte Berlin und Nürnberg neu zu gestalten, so hatte diese Tätigkeit mit irgendwelchen Verbrechen gegen den Frieden nicht das geringste zu tun, im Gegenteil, sein Wirken war eher als eine Behinderung der Kriegsvorbereitungen anzusehen, da diese seine Aufgabe Rohstoffe und Materialien in großem Umfange in Anspruch nahm, die andernfalls vielleicht mittelbar oder unmittelbar der Aufrüstung hätten zugute kommen können.

Die Speer übertragenen Bauvorhaben waren überdies auf lange Sicht berechnet und geplant; sie konnten in Speer nur den Eindruck erwecken, daß Hitler mit einer langen Friedensperiode rechnete. Es kann also nicht davon gesprochen werden, daß der Angeklagte vor seiner Amtsübernahme als Reichsminister mittelbar oder unmittelbar an der Verwirklichung von Tatbeständen mitgearbeitet hätte, die nach Paragraph 6 a des Statuts als Verbrechen gegen den Frieden gekennzeichnet werden.

Auch die Tatsache, daß seit 1941 der Angeklagte Mitglied des Reichstags war, kann zur Stützung der Anklage nicht herangezogen werden, weil, wie die Anklage selbst hervorgehoben hat, im autoritären Regime der Reichstag zur völligen Bedeutungslosigkeit herabgesunken und lediglich zu einer Institution geworden war, die Entscheidungen des Führers entgegennahm und akklamierte.

Auch in dieser Hinsicht kann eine Verantwortung für die Schuld am Kriege nicht in Frage kommen, denn irgendeine Tätigkeit des Reichstags bei der Ausweitung des Krieges gegenüber der Sowjetunion und gegenüber der USA ist nicht erkennbar.

Die Französische spezialisierte Anklage hat somit mit Recht davon abgesehen, dem Angeklagten ein Vergehen gegen Paragraph 6 a des Statuts vorzuwerfen.

Die Anklage legt weiterhin dem Angeklagten Speer zur Last, sich beteiligt zu haben an Kriegsverbrechen, die während seiner Amtsführung dadurch begangen worden sind, daß Arbeitskräfte aus den besetzten Gebieten gegen ihren Willen nach Deutschland verbracht worden sind und hier zum Zwecke der Kriegführung oder zur Herstellung von Kriegsmaterial verwendet wurden. Hierzu ist folgendes zu sagen:

Die Anklage wirft dem Angeklagten insofern Verstöße gegen Artikel 52 der Haager Landkriegsordnung vor, wonach Dienstleistungen von Staatsangehörigen des besetzten Gebietes nur für die Bedürfnisse des Besatzungsheeres gefordert werden können, außerdem im Verhältnis zu den Hilfsquellen des Landes stehen müssen und nicht für die in Anspruch Genommenen die Verpflichtung enthalten dürfen, an Kriegsunternehmungen gegen ihr Vaterland teilzunehmen. Die Haager Landkriegsordnung setzt in Artikel 2 fest, daß alle am betreffenden Kriege beteiligten Staaten ihr beigetreten sein müssen, die sogenannte Allbeteiligungsklausel. Auf die durch den Krieg gegen die Sowjetunion geschaffenen Verhältnisse könnte die Landkriegsordnung, der die Sowjetunion nicht beigetreten ist, nur dann Anwendung finden, wenn insoweit die in ihr festgelegten Rechtsgrundsätze als allgemein gültiges Völkerrecht zu betrachten wären. Es ist also zunächst davon auszugehen, daß eine verschiedene rechtliche Beurteilung zur Anwendung zu kommen hat für die Gebiete, welche Staaten angehören, die Vertragspartner der Haager Landkriegsordnung waren und für solche Gebiete, deren Staaten nicht als Vertragspartner anzusehen sind. Bei der Prüfung der Frage ist davon auszugehen, ob eine Deportation von Arbeitskräften aus Gebieten, die während des Kriegszustandes von einer feindlichen Macht besetzt worden sind, auf Grund des Artikels 52 der Haager Landkriegsordnung gerechtfertigt werden kann. Artikel 52 stellt eine Einschränkung des Artikels 46 der Haager Landkriegsordnung dar, in der der Grundsatz niedergelegt ist, daß die Bevölkerung besetzter Gebiete und ihr Eigentum grundsätzlich vom Kriege so wenig in Mitleidenschaft gezogen werden sollen, wie die Kriegsnotwendigkeiten es gestatten. Von diesem Grundsatz ausgehend ist zu prüfen, ob dadurch eine Deportation zur Gewinnung von Arbeitskräften für die zur Kriegführung notwendige Wirtschaft eines im Kriege befindlichen Landes schlechthin verboten ist. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß es einen Unterschied macht, ob die Deportation von dem das Land besetzenden kriegführenden Staat vorgenommen wird in Übereinstimmung mit Abmachungen der Regierung des Landes, welches der Kriegführende besetzt hält. Die Anklage hat den Standpunkt vertreten, daß derartige Abmachungen der Rechtswirksamkeit entbehren, weil sie unter dem Druck der Besatzung erfolgt seien und weil die während der Besatzungszeit in Frankreich existierende Regierung nicht als Repräsentantin des französischen Volkes angesehen werden könne.

Der erste Gesichtspunkt kann den Standpunkt der Anklage nicht stützen. Völkerrechtliche Verträge werden immer ihrem Inhalt nach beeinflußt werden durch das Schwergewicht der vertragschließenden Parteien. In jedem Friedensvertrag, der zwischen einem siegreichen und einem besiegten Staat abgeschlossen wird, wird diese Gewichtsverteilung inhaltlich zum Ausdruck kommen. Trotzdem steht dies der Vertragsnatur nicht entgegen.

Der zweite Gesichtspunkt, weswegen die Anklage die Berufung auf die zwischen der Deutschen und der damaligen Französischen Regierung abgeschlossenen Abkommen hinsichtlich der Zurverfügungstellung von Arbeitskräften zurückweist, geht gleichfalls fehl. Die damals bestehende sogenannte Vichy-Regierung war die einzige Regierung, die auf französischem Staatsgebiet bestand; sie war die rechtmäßige Nachfolgerin der vor der Besetzung im Amt befindlichen Regierung und auch dadurch völkerrechtlich anerkannt, daß damals noch nicht im Kriege befindliche Staaten diplomatische Beziehungen mit ihr unterhielten.

Es ist auch nicht anzunehmen, daß der in den Abkommen zum Ausdruck gebrachte Wille der Französischen Regierung, mit dem damals kriegerisch erfolgreichen Deutschen Reich zusammenzuarbeiten, der wahren Volksmeinung des französischen Volkes widersprochen hätte. Es kann in dieser Hinsicht auf Dokument R-124, Seite 34 meines Dokumentenbuches hingewiesen werden. Besonders zu berücksichtigen ist hierbei die wirtschaftliche Lage, in der sich das besetzte Frankreich damals befand. Nach dem Ausscheiden Frankreichs aus den Kampfhandlungen war das gesamte europäische Frankreich in die totale Blockade einbezogen worden. Hieraus ergab sich, daß diejenigen Rohstoffe, die nicht in Frankreich selbst erzeugt wurden, nicht mehr anfielen und die Produktion zum Stillstand kam. Es waren somit wesentliche Teile der französischen Produktionskapazität einfach durch die Tatsache der totalen Blockade außer Funktion gesetzt und damit viele Arbeitskräfte brotlos geworden. Weiterhin hatte sich die Französische Regierung ja nicht unbedingt bereit erklärt, Arbeitskräfte nach Deutschland verbringen zu lassen, sondern die Verbringung von Gegenleistungen abhängig gemacht, zum Beispiel der Freilassung von Kriegsgefangenen und so weiter.

Ob und inwieweit die Erwartungen, von denen die Französische Regierung bei Abschluß der Abkommen ausging, tatsächlich erfüllt worden sind oder nicht, ist für die Frage unerheblich, ob es sich bei den fraglichen vertraglichen Vereinbarungen um echte Vertragsabkommen gehandelt hat oder nicht. Der Vertragscharakter dieser Abkommen kann rechtlich nicht bezweifelt werden. Hiervon ausgehend kann der Vorwurf der Anklage, die Verbringung der Arbeiter aus dem besetzten französischen Gebiet sei wider ihren Willen und damit rechtswidrig erfolgt, nicht gestützt werden. Abkommen, wie sie zwischen den deutschen und französischen Regierungsstellen getroffen worden sind, können für die Beurteilung der Rechtsverhältnisse, soweit sie Arbeiter aus den Ländern Belgien und Holland betreffen, nicht herangezogen werden, da in diesen Ländern die Regierung das Land verlassen hatte und infolgedessen eine politische Instanz nicht vorhanden war, insbesondere die dort verbliebenen Generalsekretäre der Regierung nicht als Regierungsvertreter angesehen werden können und die Anordnungen, auf Grund derer die Verbringung der Arbeiter nach Deutschland erfolgte, auf Anweisung der Reichskommissare beziehungsweise des Militäroberbefehlshabers ergangen sind.

Daß für diese Länder und die aus ihnen vorgenommenen Arbeiterverschickungen besondere Regelungen zu gelten haben, hat Herr Dr. Steinbauer in seinem Vortrag, betreffend die Tätigkeit des Angeklagten Seyß-Inquart in Holland, näher ausgeführt. Um Wiederholungen zu vermeiden, nehme ich auf diese Ausführungen Bezug.

Was die östlichen Länder anbelangt, so ist hier davon auszugehen, daß die Sowjetunion nicht Vertragspartner der Haager Landkriegsordnung geworden ist. Es bleibt aber zu prüfen, ob der in Artikel 46 der Haager Landkriegsordnung niedergelegte Grundsatz, betreffend die Behandlung von Zivilpersonen im Kriege und im Falle der Besetzung einer kriegführenden Macht durch den Gegner, nicht als allgemein gültiges Völkerrecht anzusehen ist, welcher auch dann gilt, wenn der betreffende kriegführende Staat nicht ausdrücklich der Haager Landkriegsordnung beigetreten ist. Bei einer Betrachtung dieser Frage würde sich ergeben, daß die Deportation von Arbeitskräften aus besetzten Gebieten als rechtswidrig anzusehen ist, es sei denn, daß ein besonderes, die Rechtswidrigkeit ausschließendes Moment hinzutritt.

Als ein solches Moment kann der völkerrechtliche Notstand angesehen werden. Zwar ist in der Völkerrechtslehre umstritten ob und inwieweit ein solcher Notstand überhaupt eine an sich rechtswidrige Handlung rechtmäßig machen kann; die Zulässigkeit eines solchen Notstandes muß aber in den Fällen bejaht werden, in denen der Staat um seine nackte Existenz kämpft.

Nachdem als Kriegsziel der Alliierten die bedingungslose Kapitulation Deutschlands aufgestellt war, war für den deutschen Staat ein solcher Notstand anzunehmen, da damit über die Absicht des Gegners, den bestehenden deutschen Staat in seiner Grundstruktur zu zerschlagen, kein Zweifel mehr bestand.

Es kann aber dieser Notstand schon zu einem früheren Zeitpunkt als gegeben angenommen werden, nachdem man sich klar darüber geworden war, daß der Krieg nicht mehr ein Krieg im Sinne der Haager Landkriegsordnung, das heißt eine Auseinandersetzung zwischen zwei Staaten, sondern ein Krieg geworden war, der nicht nur die Streitkräfte der Kriegführenden, sondern in erster Linie die Wirtschaftskräfte der kriegführenden Völker und damit auch das sogenannte Kriegspotential treffen wollte. Die Haager Landkriegsordnung geht von einer Kriegsvorstellung aus, die schon im ersten Weltkrieg und viel mehr noch im zweiten Weltkrieg überholt wurde. Suchten schon im ersten Weltkrieg die Kriegführenden einander durch Blockade und Gegenblockade in ihrer Wirtschaft zu treffen, so viel mehr im zweiten Weltkrieg, in dem zu der mehr indirekten Wirkung der Blockade die direkte Bekämpfung des Gegners durch Vernichtung seiner Produktionsstätten mittels des Luftkrieges trat. Gegenüber der Vorstellung vom Kriege, dir der Haager Landkriegsordnung zugrunde lag, ist ein völliger Wandel eingetreten. Ausgehend von der Erwägung, daß ein Land nur dann in der Lage ist, einem technisch hochgerüsteten Gegner kriegerisch Widerstand zu leisten, wenn es selbst über eine wirtschaftlich ungebrochene Produktionskraft verfügt, war das Ziel dieses Krieges in erster Linie, diese Produktionskraft des Gegners zu vernichten. Diesem Zwecke diente die britische Blockade nicht nur Deutschlands, sondern aller Länder, die in der deutschen Einflußsphäre standen.

Über die damit zusammenhängenden Fragen hat sich Herr Dr. Kranzbühler bereits geäußert. Auf seinen Vortrag wird insoweit Bezug genommen.

Unter diesem Gesichtspunkt wurde aber auch der Luftkrieg geführt, in erster Linie nicht nur, um die zum deutschen Staatsgebiet gehörigen Teile zu erfassen, sondern auch die in den besetzten Gebieten vorhandenen Produktionskräfte und -möglichkeiten zu zerstören. Der Luftkrieg richtete sich mit fortlaufenden Fliegerangriffen auf Wirtschaftsziele in Frankreich, Belgien, Holland, der Tschechei, Polen, Österreich und hatte zum Ziel fernerhin die Stillegung und Ausschaltung des gesamten Verkehrsnetzes nicht nur an und unmittelbar hinter den Fronten, sondern auch Hunderte von Kilometern dahinter, um die Lebensfunktionen des Gegners lahmzulegen. Die Luftoffensive der Alliierten gegenüber Japan zeigte dies besonders deutlich. Dieser Krieg ging über die Grenzen der Haager Landkriegsordnung hinaus. Er macht keinen Unterschied mehr zwischen dem Staatsgebiet des Gegners und den besetzten Gebieten, die von der gegnerischen Blockade in gleicher Weise erfaßt wurden. In diesem, Krieg, der sich zum Ziel setzte, nicht nur die staatliche Existenz, sondern die wirtschaftliche Produktionsfähigkeit des Gegners zu zerstören, kann man von einem echten Staatsnotstand sprechen.

Als der Angeklagte Speer zum Minister ernannt wurde, war der Wirtschaftskrieg, wie er vorstehend geschildert wurde, von beiden Seiten her bereits in vollem Gange. Das Speer-Ministerium hatte ja gerade die Aufgabe, die daraus für die Produktion resultierenden Probleme zu lösen. So wurde Speer mitten in diesen Wirtschaftskrieg gestellt. Es ist nun weiterhin zu prüfen, ob und inwieweit die deutscherseits getroffenen Maßnahmen geeignet waren, die Notstandslage zu beheben.

VORSITZENDER: Dr. Flächsner! Ich möchte Sie folgendes fragen: Gibt es seit dem Kriege 1914/1918 irgendwelche Verhandlungen zwischen den Staaten, sei es beim Völkerbund oder sonstwo, die darauf hindeuten, daß die Regeln der Haager Landkriegsordung nicht mehr anwendbar wären? Vielleicht werden Sie diese Frage in Betracht ziehen und sie dann, wenn es Ihnen paßt, beantworten?

DR. FLÄCHSNER: Herr Präsident! Diese Frage kann ich jetzt schon verneinen. Man hat in der Zwischenzeit, die zwischen den beiden Kriegen verstrichen ist, sich über diese Probleme nur ganz am Rande unterhalten, und zwar soweit ich die Verhältnisse überblicke, einmal auf dem Gebiete des Seekrieges und dann auf dem Gebiete des Landkrieges, soweit es sich um die Behandlung der Kriegsgefangenen handelt. Die Haager Landkriegsordnung selbst hat – abgesehen von einzelnen Abkommen, die besondere Arten der Kriegführung betreffen – überhaupt keine Amendements oder Zusätze erhalten. Als Zusatz könnte ich jetzt darlegen, daß bestimmte Kampfarten durch Verträge zwischenzeitlich ausgeschlossen sind. Aber in den Grundsätzen – davon gehe ich auch aus – in den Grundsätzen, wie sie in der Haager Landkriegsordnung fest gelegt sind, sind durch zwischenzeitliche Abkommen keine Änderungen eingetreten.

VORSITZENDER: Ich verstehe Sie also dahin, daß seit dem Kriege von 1914/1918 keine Verhandlungen stattfanden, die darauf schließen lassen, daß die Regeln der Haager Landkriegsordnung nicht mehr anwendbar wären.

DR. FLÄCHSNER: Ja, richtig.

Weiterhin muß untersucht werden, ob und in welchem Ausmaße die Maßnahmen, die Deutschland trafen, wirksam waren, um diesen Notzustand zu beheben.

Es ist im Laufe der Verhandlung von der Anklagebehörde mehrfach vorgetragen worden, daß die eingeführten Arbeitskräfte dazu bestimmt gewesen seien, Arbeitskräfte für den Frontdienst freizustellen. Gewiß ist dies einer der Gesichtspunkte gewesen, der Veranlassung gab, auf ausländische Arbeitskräfte zurückzugreifen er ist aber zweifelsohne nicht der allein maßgebliche, ja nicht einmal der überwiegend ausschlaggebende gewesen. Es ist eine Tatsache daß die von den Gegnern durchgeführte absolute Blockade das Deutsche Reich immer mehr dazu zwang, Produktionsstätten für Ersatzstoffe zu bauen, um den Krieg in seiner technisierten Form die er nun einmal angenommen hatte, durchzuführen. Es ist ferner eine Tatsache, daß die durch die Luftkriegführung verursachter Störungen des Wirtschaftslebens zum verstärkten Einsatz vor. Arbeitskräften zwang. Es sei hier nur beispielsweise erwähnt wieviel Mehrbedarf an Arbeitskräften die Beseitigung der sogenannten Fliegerschäden erforderte. Bei dieser Sachlage wird man insofern von einem echten Notstand sprechen können, da ohne Errichtung derartiger weiterer Produktionsstätten die Führung des Krieges zur Selbsterhaltung nicht mehr möglich gewesen wäre.

Wenn man dem entgegenhalten wollte, von einem die Völkerrechtswidrigkeit der Handlungen ausschließenden Notstand könne aus dem Grunde nicht gesprochen werden, weil der Krieg als Angriffskrieg begonnen und daher von vorneherein rechtswidrig gewesen sei, so ist demgegenüber – was den Angeklagten Speer anlangt – zumindest zugute zu halten, daß er an einen solchen Notstand glaubte und daran glauben konnte. Die Beweisaufnahme hat ergeben, daß die Hintergründe der Entstehung des Krieges, soweit sie hier von der Anklage dargestellt worden sind, den Angeklagten zum großen Teil, zumindest aber dem Angeklagten Speer, unbekannt geblieben sind.

Insoweit es sich bei der Überführung fremder Arbeitskräfte in das Reich um eine objektive völkerrechtswidrige Maßnahme handelt, ist zu prüfen, welches Maß der Beteiligung dem Angeklagten Speer zur Last zu legen ist. Der Angeklagte Speer hat bei seiner Vernehmung vor Beginn des Prozesses am 18. Oktober 1945 zugegeben, es sei ihm bekannt gewesen, daß zumindest ab September 1942 die fremden Arbeitskräfte nicht mehr freiwillig in das Reichsgebiet gekommen seien. Er habe das gebilligt, weil keine andere Möglichkeit vorhanden gewesen sei, den erforderlichen Arbeitskräftebedarf noch anderweitig zu decken. Es ist aus dieser Erklärung zu entnehmen, daß der Angeklagte von der Notwendigkeit dieser Notstandsmaßnahmen überzeugt war; es ist ihm also subjektiv zugute zu halten, daß er an das Vorhandensein eines solchen, die Rechtswidrigkeit ausschließenden Notstandes glaubte. Zu prüfen ist aber in erster Linie, wie weit der Angeklagte Speer tatsächlich dazu beigetragen hat, daß Deportationen nach Deutschland vorgenommen wurden. Hierbei ist davon auszugehen, daß der Angeklagte Speer eine rein technische Aufgabe hatte, die in der Beweisaufnahme von ihm genügend geschildert worden ist. Es kann darauf verwiesen werden. Zur Erfüllung seiner Aufgabe stellte er seine Forderungen an Arbeitskräften, und wie diese Forderungen im einzelnen durchgesetzt wurden, darüber haben sich die Zeugen Schieber und Schmelter in ihren Aussagen geäußert. Es wurden Forderungen nach Gesamtzahlen aufgestellt, deren Erfüllung dem Angeklagten Sauckel oblag. Diese Forderungen richteten sich auf Arbeitskräfte insgesamt, und es war die Aufgabe des Mitangeklagten Sauckel, diesen ihm mitgeteilten Forderungen nach Möglichkeit und nach seinem Ermessen nachzukommen. Ihm standen dazu zu Gebote die Ausschöpfung der einheimischen Arbeitskräfte sowie die Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften. Daß dem Angeklagten Speer für die von ihm zu erfüllenden, ihm von der Staatsführung übertragenen Aufgaben in erster Linie daran gelegen war, deutsche Arbeitskräfte zu bekommen, haben die Zeugen Schieber, Kehrl und Schmelter bei ihrer Vernehmung bekundet. Daß die Erfüllung seiner Forderung nach Arbeitskräften für die von ihm zu leistenden Aufgaben der Erhöhung der Rüstungsproduktion eine zwar wesentliche, aber nicht ausschlaggebende Bedeutung hatte, beweist die Aussage des Zeugen Saur – Dokument 54, Dokumentenbuch 2, Seite 146 – wonach in Rüstungsendfertigung – für die gesamte Rüstung – während der Tätigkeit des Angeklagten als Rüstungsminister eine Steigerung von 4 auf 4,9 Millionen Arbeitskräfte erfolgt ist, während die Herstellung von Rüstungserzeugnissen um das fünfeinhalbfache, auf manchen Gebieten das siebenfache gestiegen ist. Es ist also davon auszugehen, daß die dem Angeklagten Speer aufgetragene Erhöhung der Rüstungsleistung in erster Linie nicht durch die Vermehrung der Arbeitskräfte, sondern durch technisch-organisatorische Maßnahmen erzielt worden ist. Daraus folgt wiederum, daß die Forderung nach Arbeitskräften ein zwar wesentliches, aber nicht das ausschlaggebende Element für den Angeklagten bei der Erfüllung der ihm übertragenen Aufgaben gewesen ist. Der Angeklagte hat glaubhaft bekundet, daß er von Sauckel Arbeitskräfte verlangt hat, er hat aber gleichzeitig betont, daß ihm in erster Linie an deutschen Arbeitern gelegen sei. Die Erhöhung der Arbeiterzahlen in dem von dem Angeklagten kontrollierten Wirtschaftssektor war seiner Ansicht nach zum großen Teil zu erfüllen, ohne auf fremde Arbeitskräfte in dem Maße zurückzugreifen, wie es geschehen ist. Die Maßnahmen des Angeklagten, die darauf abzielten, die Überführung von Arbeitskräften aus dem Westen in das Reich zu verhindern, sind in der Beweisaufnahme ausdrücklich geschildert worden. Beil diesen Maßnahmen, nämlich die Verlagerung der Verbrauchsgüterproduktion und der Anfertigung von Rüstungsengpaßteilen, wie zum Beispiel Schmiedestücke, Eisenbahnmaterial und so weiter nach den Westländern und der Einrichtung der Sperrbetriebe dort, ließ sich Speer von der Kenntnis der Tatsache leiten, daß damit der Einsatz von Arbeitern aus Frankreich, wie auch aus Belgien und Holland, abgestoppt würde. Das Ergebnis seiner Besprechungen mit dem französischen Minister Bichelonne war, wie der Angeklagte bei seiner Vernehmung geschildert hat, praktisch das Ende der Verbringung von Arbeitskräften nach Deutschland. Die Auswirkungen hat der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz auf der Sitzung der Zentralen Planung am 1. März 1944 genau geschildert. – Vergleiche Seite 32 meines Dokumentenbuches.

Trotz aller Widerstände, die sich dieser Politik entgegenstellten- vergleiche Schreiben Sauckel an Hitler vom 17. März 1944, Dokument 3819-PS – hat Speer sein Ziel weiterverfolgt. Auch das von der Anklage unter Nummer 556-PS vorgelegte Protokoll über die Sitzung bei Hitler am 4. Januar 1944 zeigt in der getroffenen Entscheidung, daß die Sperrbetriebe, deren Aufhebung Sauckel veranlassen wollte, nach wie vor dem Zugriff der Arbeiterwerbung Sauckels entzogen bleiben sollten. Speer wollte die französischen Arbeitskräfte in Frankreich beschäftigen, in dem Bestreben, dir Anfertigung ziviler Verbrauchsgüter und Produktionen, die nicht Waffenfertigung darstellten, nach den besetzten Westgebieten zu verlagern. Die durch Stillegung deutscher Betriebe freiwerdenden deutschen Arbeitskräfte wollte er für seine Rüstungsfertigung einsetzen. Vergleiche Dokument R-124, Seite 33/34, Dokumentenbuch Speer. Auf diese Weise konnte er seine Produktion steigern, weil die deutschen Arbeiter infolge Fortfalls der Sprachschwierigkeiten leichter umzuschulen waren und weil die Ernährungsschwierigkeiten fortfielen (siehe unter anderem Kehrl, Seite 110, Dokumentenbuch Speer, Dokument 50).

Die Folge dieser Politik war, daß die Arbeiter der Westgebiete vorwiegend in der Produktion ziviler Güter, nicht aber in der Waffenfertigung eingesetzt waren.

Zur Frage der Beschäftigung der Fremdarbeiter in den Sperrbetrieben ist noch zu sagen: Der Staat geht von zwei Tatbeständen aus: Deportation zur Zwangsarbeit und Zwangsarbeit selbst.

Die Arbeitspflicht in Frankreich war durch Verordnung der Französischen Regierung angeordnet worden. Sie war völkerrechtlich nicht zu beanstanden, es sei denn, daß man sich auf den Standpunkt stellen wollte, daß die Französische Regierung zu derartigen Maßnahmen und Verordnungen nicht berechtigt gewesen sei. Wie der Angeklagte Speer bekundet hat, hat durch das Abkommen mit Bichelonne die französische Wirtschaftslenkung ihre Unabhängigkeit erlangt, natürlich mit den Einschränkungen, die sich aus dem Abkommen ergaben.

Nach den Feststellungen Bercks – Dokumentenbuch 1, Seite 38, Dokument 1289-PS –, des Mitarbeiters des Angeklagten Sauckel, gingen aus den Sperrbetrieben Frankreichs 20 Prozent in die französische Wirtschaft, von der Verbrauchsgüterindustrie dagegen mehr als 40 Prozent in französische Hände. Es ergibt sich daraus, daß die französische Rüstungsindustrie nicht Waffen und unmittelbar Kriegsgerät fertigte, denn diese hätten die deutschen Behörden wohl nicht den französischen Stellen überlassen. Wenn das Gericht in der Sitzung vom 20. Juni 1946 seine Bedenken gegen die diesseitige Beweisführung dahin zusammenfaßte, daß Fragen der Zweckmäßigkeit nicht erheblich seien, so darf demgegenüber als der Standpunkt der Verteidigung festgestellt werden, daß dieser Vortrag nur dazu dienen soll, die Frage der Legalität zu klären. War die Französische Regierung berechtigt, eine Arbeitspflicht zu statuieren, und wurden Betriebe, in denen französische Arbeiter auf Grund dieser Verordnungen oder auf Grund freiwilliger Arbeitsverträge beschäftigt waren, mit Aufträgen für deutsche Rechnung versehen, so war dies rechtlich nicht zu beanstanden. Die Einrichtung der Sperrbetriebe, die einen Abzug der Arbeiter und ihre Überführung nach Deutschland verhinderten und die Verlagerung einzelner Produktionszweige nach Frankreich, Belgien und Holland führten zu dem Ziel, daß die Bedürfnisse der deutschen Wirtschaft auf rechtlich einwandfreie Weise befriedigt wurden. Wenn auch der Angeklagte Speer die Überführung der Arbeiter nicht gänzlich zum Stillstand gebracht hat, so hat er doch bewirkt, daß dieser Einsatz nennenswert verringert wurde. Der Angeklagte verfolgte an Stelle der von anderen Reichsstellen unternommenen Politik der Verpflanzung von Arbeitskräften ins Reich das Ziel, die Arbeitskräfte in ihrer Heimat für seine Zwecke einzusetzen. – Speer-Exhibit 9, Seite 24 und Speer-Exhibit 11. – Insofern wirkte er der Tendenz, die Arbeiter aus ihrem Heimatland zu deportieren, entgegen.

Um die Behauptung zu beweisen, daß Speer maßgeblich an der Intensivierung der Deportation zum Zwecke der Zwangsarbeit mitgewirkt habe, beruft sich die Anklage auf Dokument 556-PS, das eine Aktennotiz Sauckels über ein Telephongespräch mit Speer vom 5. Januar 1941 darstellt. Demgegenüber ist als Speer-Exhibit Nummer 35 die Ausfertigung des Führerprotokolls vom 3. und 5. Januar 1941 überreicht, das Gegenstand des Telephonats bildete. Wenn auch dort scharfe Bemerkungen Hitlers wiedergegeben sind, so ist doch aus ihm die von Sauckel in seiner Aktennotiz entnommene Tendenz nicht enthalten. Schon damit stand der Angeklagte Speer mit Sauckel in Streit. Der in diesem Führerprotokoll an Speer erteilte Auftrag zur Steuerung der französischen Rüstungsindustrie gab diesem die Handhabe zur Einrichtung der Sperrbetriebe. Damit wurde also praktisch der Schluß des Arbeitseinsatzes aus Frankreich erreicht, somit das Gegenteil dessen, was die Anklage beweisen möchte. Es muß hierbei auf das Dokument RF-22 verwiesen werden. Dort ist festgestellt, daß durch die Speer-Bichelonne-Abkommen ab Oktober 1943 der Arbeitseinsatz nach Deutschland sich auf etwa ein Zehntel verringerte – vergleiche Seite 41 meines Dokumentenbuches.

Bei Beurteilung der Frage, wie weit dies den Angeklagten entlastet, ist es ohne Belang, ob sein Handeln aus Gründen der Zweckmäßigkeit erfolgte, oder ob er so vorging, weil er das andere Verfahren für rechtswidrig hielt. Insofern kommt es hier lediglich auf den Erfolg an, der ja auch, wie aus dem zitierten Dokument RF-22 hervorgeht, tatsächlich die Überführung von Arbeitskräften nach Deutschland im wesentlichen zum Stillstand gebracht hat. Schließlich ist aus dem Führerprotokoll vom 19./22. Juni 1944 – Speer-Exhibit 12 – und der Aussage Seyß-Inquarts – 11. Juni 1946 – zu entnehmen, daß trotz des Ausfalles der Industrie in den Westgebieten und der Absicht anderer Stellen die beschäftigungslos gewordenen Arbeiter nach Deutschland zu verbringen, Speer die Aufrechterhaltung seiner Schutzbetriebe durchsetzte, und damit der Plan des weiteren Einsatzes von Fremdarbeitern in Deutschland endgültig zusammenbrach.

Eine Pflicht zur Überprüfung der völkerrechtlichen Zulässigkeit der Maßnahmen Sauckels ist dem Angeklagten Speer nicht zuzusprechen, und zwar dies aus folgenden Gründen:

Als er im Jahre 1942 sein Amt antrat, war das Verbringen von fremden Arbeitskräften in das Reichsgebiet bereits seit längerer Zeit in Übung. Er hatte sich darauf verlassen, daß die Rechtsgrundlage dieser Maßnahmen vor ihrer Einführung geprüft worden sei. Eine Rechtspflicht zur selbständigen Nachprüfung der Rechtsgrundlagen hatte er nicht; er konnte sich darauf verlassen, daß die mit dem Arbeitseinsatz befaßten Stellen die Rechtsgrundlagen ihrer Tätigkeit nachgeprüft hatten. Es ist ihm ja auch vom Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz im Laufe der Jahre seiner Tätigkeit mehrfach bestätigt worden, daß das Verbringen von Arbeitskräften in das Reich in durchaus legalem Rahmen erfolge. Er konnte sich darauf verlassen, daß die von der Staatsführung mit der Durchführung der Aufgaben der Arbeiterbeschaffung befaßten Stellen ihrerseits die von ihr zur Durchführung dieser Aufgaben getroffenen Maßnahmen auf ihre rechtliche Zulässigkeit prüfen würden. Die Tätigkeit des Angeklagten im Rahmen der Staatsführung wäre, auf den privatrechtlichen Sektor übertragen, mit der eines technischen Betriebsleiters eines Unternehmens zu vergleichen, bei dem die Stellung des Angeklagten Sauckel etwa der eines Leiters des Personalbüros entsprechen würde. Der technische Betriebsleiter hat in einem solchen Fall auch nicht die Aufgabe zu prüfen, ob und inwieweit die mit den einzelnen Arbeitskräften abgeschlossenen Anstellungsverträge den rechtlichen Bestimmungen entsprechen. Er hat lediglich dafür zu sorgen, daß die ihm zur Erfüllung seiner Aufgaben zur Verfügung gestellten Arbeitskräfte am richtigen Platz, in der richtigen Form eingesetzt werden. Dem kann nicht entgegengehalten werden, daß sich der Angeklagte Sauckel lediglich als der Beauftragte des Angeklagten Speer gefühlt hätte. Dies würde der Aufgabenverteilung, wie sie seitens der Staatsführung an beide Mitangeklagte vorgenommen worden ist, nicht gerecht werden. Es ist nicht zu verkennen, daß von allen Sektoren der Wirtschaft, die ihre Anforderungen an den Angeklagten Sauckel stellten, die durch den Angeklagten Speer vertretenen für die Kriegführung am wichtigsten waren und demzufolge vor den übrigen rangierten. Das bedeutet aber nicht, daß Sauckel die Aufgabe gehabt hätte, unbedingt alle Forderungen des durch Speer vertretenen Sektors vor allen anderen vorab zu befriedigen. Dies hat er, wie die Beweisaufnahme, insbesondere die Aussagen der Zeugen Schieber – Dokumentenbuch 2, Seite 114 – und Kehrl – Dokumentenbuch 1, Seite 106 – ergeben, nicht getan beziehungsweise auch nicht tun können, da die Forderungen der übrigen Sektoren des Wirtschaftslebens, welche sämtlich als »Bedarfsträger« bezeichnet wurden, sehr oft die gleiche Dringlichkeit besaßen und die zur Verfügung stehende Arbeitskräftemenge zur gleichmäßigen Erfüllung aller Anforderungen nicht ausreichte. Wäre Sauckel nicht mehr als nur ein »Beauftragter Speers« gewesen, ein Organ, das nur Speers Weisungen auszuführen gehabt hätte, dann hätte es ja gar nicht zu den tiefgreifenden Differenzen zwischen den beiden kommen können.

Es ist seitens der Anklagebehörde darauf Gewicht gelegt worden zu betonen, daß die Einsetzung des Angeklagten Sauckel als Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz auf Betreiben des Angeklagten Speer erfolgt sei und daraus der Schluß gezogen worden, daß Sauckel mehr oder minder das Werkzeug des Angeklagten Speer beziehungsweise daß er in hohem Grade von diesem abhängig gewesen sei. Diese Auffassung wird den tatsächlichen Verhältnissen nicht gerecht. Bei Übernahme seines Amtes als Rüstungsminister mußte der Angeklagte Speer nach kurzer Zeit feststellen, daß die bisher vom Arbeitsministerium betriebene Vermittlung von Arbeitskräften an die Betriebe nicht den Erfordernissen gewachsen war, die an sie gestellt werden mußten.

Im Rahmen des Arbeitsministeriums stellte diese Tätigkeit nur einen Bruchteil von dessen Gesamtfunktion dar.

Der Angeklagte Speer hat bei seiner Vernehmung ausgesagt, daß das Arbeitsministerium sich gegenüber den von den einzelnen Gauleitern in ihren Gauen vertretenen Tendenzen nicht genügend durchsetzen konnte, weil jeder Gauleiter den Ehrgeiz hatte, Umsetzungen von Arbeitern aus seinem Gau in einen anderen nach Kräften zu verhindern. Hierzu schien dem Angeklagten Speer die rein bürokratisch aufgezogene Abteilung des Arbeitsministeriums nicht geeignet, und es wurde der Staatsführung der Vorschlag gemacht, einen Gauleiter mit dieser Aufgabe zu betrauen. Die mit diesem Vorschlag von Speer verbundene Forderung, den mit der Arbeitervermittlung zu betrauenden Gauleiter ihm zu unterstellen wurde von der Staatsführung nicht bewilligt, und zwar mit Rücksicht auf andere vorhandene Kompetenzen. Auch die von Speer vorgeschlagene Person wurde nicht gebilligt, sondern an ihrer Stelle der Angeklagte Sauckel ernannt. Bei den Bemühungen Speers um Schaffung eines Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz handelt es sich also lediglich um organisatorische Anregungen, die zum Zwecke hatten, die oben geschilderten Widerstände, die sich gegen die Tätigkeit der Arbeitsvermittlungsstelle des Arbeitsministeriums richteten, zu überwinden. Daraus nun aber den Schluß zu ziehen, daß der Angeklagte Speer für alle Maßnahmen, die der Angeklagte Sauckel getroffen hat, verantwortlich sei, wäre verfehlt.

Die Tatsache, daß der Angeklagte als Mitglied der Zentralen Planung an Sitzungen teilgenommen hat, in denen das Problem der Beschaffung von Arbeitskräften erörtert wurde, kann nicht zur Stützung der Behauptung der Anklage herangezogen werden. Die Anklage sucht aus den Sitzungen der Zentralen Planung den Nachweis zu erbringen, daß der Angeklagte Speer führend bei der Beschaffung von Arbeitskräften aus dem Ausland mitgewirkt habe. Demgegenüber ist folgendes festzustellen: Die Anklage hat nur die Wortlautprotokolle, die über den Verlauf einer Sitzung angefertigt wurden, nicht aber die auf Grund dieser Sitzung gefaßten Beschlüsse. Diese sind aber gerade das Entscheidende. Da der Angeklagte Speer seine sämtlichen Akten, die auch die über die Beschlüsse der Zentralen Planung erfolgten Niederschriften enthalten, seinerzeit den alliierten Behörden zur Verfügung gestellt hat, wäre es der Anklagebehörde ein leichtes gewesen, solche Beschlüsse, aus denen ein entscheidendes Mitwirken des Angeklagten bei der Arbeitskräftebeschaffung herzuleiten wäre, vorzulegen. Solche Beschlüsse aber bestehen nicht, und es kann daher aus der Tatsache, daß in den Sitzungen der Zentralen Planung auch Fragen der Arbeitseinsatzpolitik erörtert worden sind, nicht geschlußfolgert werden, daß die Zentrale Planung diesen Punkt in ihr Aufgabengebiet übernommen hätte. Unter Nummer 42, Speer-Exhibit Nummer 7 des Dokumentenbuches, ist die Verordnung über die Gründung der Zentralen Planung mitgeteilt worden. In ihr ist das Arbeitsgebiet der Zentralen Planung fest umrissen. Die Beschaffung und Verteilung von Arbeitskräften brauchte in den Kompetenzbereich der Zentralen Planung nicht aufgenommen zu werden, weil für diesen Zweck ja gerade die neue Behörde des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz geschaffen worden war. Aus der Beweisaufnahme ergibt sich auch, daß-wenn auch der Mitangeklagte Sauckel Fragen der Arbeitseinsatzpolitik vor der Zentralen Planung erörterte – er doch seine Unabhängigkeit gegenüber der Zentralen Planung scharf betont und Wert darauf legte, seine Entscheidungen als letzten Endes nur dem Führer verantwortliche unabhängig von der Zentralen Planung zu treffen. Hierfür verweise ich auf die Aussagen des Zeugen Kehrl und des Zeugen Schieber – Speer-Exhibit Nummer 36 und 37.

Dem steht nicht entgegen, daß in der Zentralen Planung Versuche gemacht worden sind, auf den Tätigkeitsbereich des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz Einfluß zu nehmen. Diese Versuche haben jedoch zu keinem Ergebnis geführt.

Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß aus der Tätigkeit des Angeklagten Speer im Rahmen der Zentralen Planung eine Verantwortlichkeit für die Überführung von Arbeitskräften aus dem besetzten Gebiet in das Reich nicht hergeleitet werden kann.

Wenn die Anklagebehörde nun dem Angeklagten die Tatsachen zur Last legt, daß er gewußt habe, daß von den ihm durch Sauckel zur Verfügung gestellten Arbeitskräften ein großer Teil wider ihren Willen nach Deutschland gebracht worden sei, und er diese Arbeitskräfte in der ihm unterstehenden Industrie beschäftigt habe, so begegnet dieser Schluß rechtlichen Bedenken. Wenn und soweit die Verbringung von Arbeitskräften in das Reich ein völkerrechtliches Delikt wäre, so wäre doch dieses Delikt mit der Verbringung der Arbeitskräfte in das Reich abgeschlossen gewesen. Die Tatsache, daß die in das Reichsgebiet verbrachten Menschen zur Arbeit eingesetzt wurden, ist für die rechtliche Betrachtung ein neuer Tatbestand, für den die Anklage den Begriff der Sklavenarbeit verwendet. Zu berücksichtigen ist hierbei folgendes: Auf Grund des Reichsleistungsgesetzes und der dazu ergangenen Verordnung bestand für jeden Deutschen eine allgemeine Verpflichtung, seine Arbeitskräfte für die Zwecke des Krieges zur Verfügung zu stellen. Die Staatsrührung konnte durch das Arbeitsamt als letzte Instanz über die Arbeitskraft eines jeden Staatsbürgers verfügen und sie zu dem ihr geeignet erscheinenden Zwecke einsetzen, und hat dies auch getan. Dieser Regelung wurden die nach Deutschland überführten Fremdarbeiter gleichfalls unterworfen. Es wird diesseits nicht bezweifelt, daß eine solche Ausdehnung der für Deutsche geltenden Arbeitsverpflichtung auf Einwohner der besetzten Gebiete in der Haager Landkriegsordnung selbst keine Stütze findet. Die Haager Landkriegsordnung konnte, von einer anderen Kriegsauffassung aus beeinflußt, die durch den Wirtschaftskrieg geschaffenen Verhältnisse noch nicht in Betracht ziehen. Die Frage jedoch, ob die Haager Landkriegsordnung die Summe aller einer Besatzungsmacht zustehenden Befugnisse abschließend regelt, kann jedoch nicht bejaht werden. Einer Bejahung steht die Praxis aller an diesem Kriege beteiligten Nationen entgegen. Aber auch hier kann der soeben erwähnte Gesichtspunkt des Staatsnotstandes zur rechtlichen Beurteilung und Würdigung des Falles herangezogen werden.

Es ist der Anklage zugegeben, daß nur insoweit eine Rechtfertigung dieser Ausdehnung der Arbeitspflicht möglich ist. Wenn man nun der Anklage folgen wollte, daß Rechtfertigungsgründe für die Ausdehnung der Arbeitspflicht auf fremde Staatsangehörige aus dem besetzten Gebiet nicht gegeben seien, so bleibt zu prüfen, wie weit der Angeklagte Speer sich in der Beschäftigung derartig gebundener Arbeitskräfte schuldig gemacht hat. Es kann hierfür auf das oben bei der Deportation Gesagte verwiesen werden. Daß der Angeklagte Speer sich, obwohl er nicht dafür verantwortlich war, doch bemüht hat, die Lebensbedingungen dieser Arbeiter zu erleichtern und – sofern ihm Mißstände bekannt wurden – diesen auch zur Abstellung verholfen hat, geht aus Exhibit 3, 4 und 5 des Dokumentenbuches Speer hervor – Seite 7, 8, 9 des Speer-Dokumentenbuches. Es muß auch verwiesen werden auf die Aussagen des Angeklagten selbst, sowohl im direkten als auch im Kreuzverhör, in denen er seine Tätigkeit auf diesem Gebiet geschildert hat.

Der amerikanische Hauptankläger, Oberrichter Jackson, hat, als er im Kreuzverhör dem Angeklagten Speer eine Reihe von Urkunden vorlegte, aus denen er die schlechte Behandlung der Fremdarbeiter bei der Firma Krupp in Essen dartun wollte, selbst erklärt, daß er den Angeklagten Speer für solche Einzelfälle nicht verantwortlich machen wolle – Band XVI, Seite 617 des deutschen Protokolls.

Bei den Dokumenten handelt es sich um das Affidavit Dr. Jäger, Dokument D-288, zu dem Dr. Servatius Stellung genommen hat; ferner um ein Schreiben der Lokomotivbauabteilung der Firma Krupp vom Februar 1942, also zu einem Zeitpunkt, zu dem der Angeklagte Speer das Amt des Reichsministers eben erst angetreten hatte. Verhältnisse, wie dort geschildert, hatten zu einer Intervention Speers bei Hitler im März 1942 geführt – Speer-Exhibit Nummer 3, Seite 7 des Dokumentenbuches Speer. Das weiter vorgelegte Dokument D-321 schildert die Zustände, unter denen im Jahre 1941 die russischen Arbeiter nach Essen gekommen sind, also vor Amtsantritt des Angeklagten Speer. Die weiter im Kreuzverhör vorgelegten Urkunden D-258, US-Exhibit Nummer 896 wurden nach Angabe des Oberrichters Jackson – Band XVI, Seite 597 des deutschen Protokolls – nicht zum Zwecke der Belastung des Angeklagten Speer vorgelegt; es kann also darauf verzichtet werden.

Die Urkunden, die sodann vorgelegt wurden, betreffen sämtlich Vorfälle aus den Krupp-Werken. Sie sind vom Angeklagten, soweit er dazu imstande war, aufgeklärt worden. Aus ihnen ergibt sich, daß Mißstände allgemeiner Natur, wofür man die Firma hätte verantwortlich machen können, die Folge von Luftangriffen und der dadurch zerstörten Unterbringungsmöglichkeiten waren. Aber selbst wenn die angeführten Vorfälle sich bei dieser Firma tatsächlich ereignet hätten – es fehlt der Verteidigung die Möglichkeit, dies nachzuprüfen –, so wären diese Vorfälle keine geeignete Basis für die Annahme, daß die Bedingungen, unter denen die Fremdarbeiter in der Rüstungsindustrie zu arbeiten gehabt hätten, überall die gleichen gewesen wären. Wenn nur eine Firma herausgegriffen und untersucht wird, kann daraus auf ein allgemeines System nicht geschlossen werden. Nur der Nachweis eines solchen allgemeinen Systems aber wäre erheblich.

Zwar würde diese Tätigkeit des Angeklagten Speer die strafrechtliche Würdigung seines Verhaltens grundsätzlich nicht beeinflussen, wäre aber bei der Beurteilung des Grades der Beteiligung von ausschlaggebender Bedeutung.

Als der Angeklagte sein Amt antrat, fand er bereits die Praxis des Einsatzes von Fremdarbeitern und Kriegsgefangenen vor. Er ist also nicht als Urheber zu betrachten, was gleichfalls bei der Urteilsfindung zu berücksichtigen sein dürfte, denn es erschien unmöglich, von der einmal befolgten Praxis abzugehen. Die Beschäftigung ausländischer Arbeiter in der deutschen Wirtschaft war ja nichts Ungewöhnliches. Auch im Frieden waren in großer Zahl ausländische Arbeitskräfte in der Landwirtschaft, im Bergbau, im Hoch- und Tiefbau beschäftigt.

Im Kriege waren schon vor Beginn der Ministertätigkeit des Angeklagten Speer Fremdarbeiter sowohl aus dem Westen wie aus dem Osten in weitgehendem Maße nach Deutschland gebracht worden, von denen nur ein Teil in dem von Speer kontrollierten Sektor beschäftigt wurde.

Um nun die Abgrenzung der Verantwortlichkeit der beiden Angeklagten Sauckel und Speer zu ermöglichen, soll im Nachstehenden gezeigt werden, wie die Zuteilung und Verteilung der Arbeiter in die letztlich vom Angeklagten Speer kontrollierten Betriebe gehandhabt wurde. Zur Erfüllung des Rüstungsprogramms wurden durch die Ausschüsse und Ringe als Organe des Speer-Ministeriums dem einzelnen Betrieb bestimmte Produktionsaufgaben gestellt. Der Betrieb errechnete nun die erforderliche Arbeiterzahl. Diese meldete er dem Rüstungskommando, gleichzeitig auch dem Arbeitsamt, bei dem die Arbeiteranforderungen aller Bedarfsträger gemeldet wurden. Die Rüstungskommandos prüften die Anforderungen aller ihr unterstellten Betriebe und leiteten sie an die Rüstungsproduktion weiter. Die Arbeitsämter gaben ihrerseits die bei ihnen einlaufenden Arbeiteranforderungen an die Gauarbeitsämter. Die Rüstungsinspektionen gaben die Forderungen gesammelt an das Speer-Ministerium, Arbeitseinsatzabteilung. Die Gauarbeitsämter richteten ihre Anmeldungen an den Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz. Zu beachten ist hierbei, daß das Speer-Ministerium 1942 nur Bauwesen und Heeresrüstung kontrollierte. Die Marine- und Luftrüstung forderten ihre Arbeitskräfte selbständig an.

Im Frühjahr 1943 wurde die Marinerüstung dem Speer-Ministerium übertragen und forderte von da ab die Arbeiter über die Arbeitseinsatzabteilung an; im Herbst 1943 kam dann die übrige Produktion hinzu, während die Luftrüstung noch bis August 1944 selbständig ihre Anforderungen beim Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz stellte.

Diese Einzelheiten mußten geschildert werden, um verständlich zu machen, daß die Annahme der Anklage widerlegt werden kann, die in Speer den Hauptnutznießer der Arbeitsbeschaffung Sauckels sieht. Daß neben Speers Ministerium ebenso wichtige Bedarfsträger wie Wehrmachtsverwaltung, Verkehrswesen und so weiter vorhanden waren, sei nur nebenher erwähnt, wird jedoch auch durch die Zeugenaussagen bestätigt. Der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz verteilte nun die ihm zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte auf die verschiedenen Bedarfsträger, wies den Gauarbeitsämtern die entsprechenden Arbeitskräfte zu, diese wiederum verteilten sie an die örtlichen Arbeitsämter, welche ihrerseits die Zuteilung der Arbeiter an die einzelnen Betriebe auf die von den Rüstungsdienststellen geprüften Anmeldungen vornahmen. Dieses umständliche Verfahren erfuhr insofern eine Ausnahme, als für ganz besonders dringliche Produktionsaufgaben das sogenannte »Rotzettelverfahren« eingeführt wurde. Ich verweise auf Seite 122 des Dokumentenbuches. Es wurden vom Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz monatlich eine bestimmte Menge Kotzettel ausgegeben und dem Rüstungsministerium zur Verfügung gestellt, welches diese dann auf die von ihm kontrollierten Betriebe über die Organe der Selbstverwaltung der Industrie verteilte. Der Einzelbetrieb legte diese Rotzettel dann dem Arbeitsamt vor, das Arbeitsamt mußte ohne Rücksicht auf Forderungen anderer Bedarfsträger diese durch Rotzettel gedeckten Anforderungen auf Arbeitskräfte vorab befriedigen, bevor eine Zuteilung an andere Betriebe erfolgen konnte. In allen Fällen handelte es sich um generelle Forderungen auf Arbeitskräfte. Die Zuteilung lag ausschließlich in den Händen der dem Angeklagten Sauckel unterstellten Arbeitsbehörden, so daß dem einzelnen Betrieb, wie auch den Dienststellen des Angeklagten Speer und diesem selbst eine Einflußnahme auf die Zuteilung versagt war. Ob In- oder Ausländer oder ob Kriegsgefangene auf die Anforderungen zugeteilt wurden, lag ausschließlich in der Entscheidung der Arbeitsbehörden – Dokumentenbuch Seite 8 und 9.

Bei Abschluß der Beweisaufnahme hat die Anklage den gemeinsamen Erlaß, den Speer und Sauckel am 1. Dezember 1942 herausgegeben haben, unter Dokument Nummer 4006-PS vorgelegt. Aus diesem und dem gleichzeitig noch überreichten Erlaß vom 22. Juni 1944 glaubt die Anklage eine Basis für die Beurteilung des Kräfteverhältnisses zwischen Speer und Sauckel bei der Arbeitskräfteverteilung zu finden. Es muß deswegen darauf eingegangen werden.

Aus dem Erlaß vom 1. Dezember 1942 ergibt sich einwandfrei, daß der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz ein Prüfungsrecht für die ihm zugeleiteten Anforderungen an Arbeitskräften hatte, soweit sie von der Rüstungsindustrie herkamen. Wenn also ein Betrieb zur Erfüllung der ihm übertragenen Produktionsaufgaben zusätzliche Arbeitskräfte forderte, behielt sich der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz die Befugnis vor, die gestellten Anforderungen an Arbeitskräften auf ihre Notwendigkeit hin zu überprüfen. Der Zweck war, den Einzelbetrieb zur möglichst weitgehenden Einsparung von Arbeitskräften innerhalb des Betriebes zu veranlassen. Weiterhin sollten diese Ausschüsse untersuchen, wie weit ein Betrieb unter Berücksichtigung der ihm gestellten Aufgaben in der Lage war, Arbeitskräfte an andere Betriebe abzugeben. Dem Rüstungsministerium beziehungsweise den ihm unterstellten Dienststellen oblag es, die Rangfolge der Arbeitskräfteanforderungen, die sie von den ihnen unterstellten Betrieben erhalten hatten, festzustellen; sie hatten auch die Bestimmung darüber, welcher Betrieb in der Lage sei, Arbeitskräfte abzugeben an einen anderen Betrieb, sofern beide die gleiche Produktion für den gleichen Wehrmachtsbedarf fertigten. Wenn zum Beispiel eine Fabrik, die Fahrzeugbestandteile anfertigte, ein anderes Lieferungsprogramm zugewiesen bekam, so konnten die Rüstungskommandos entscheiden, daß die dadurch freigewordenen Arbeitskräfte an einen anderen Betrieb abgegeben werden sollten, sofern dieser die gleiche Fertigung herstellte. Die Zuweisung der Arbeitskräfte im allgemeinen blieb nach wie vor in der Hand des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz.

Den Dienststellen des Ministeriums Speer wurde also nur die Steuerung der in diesem Wirtschaftszweig schon befindlichen Arbeitskräfte, die durch den Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz bereits früher vermittelt und den Betrieben zugeteilt waren, übertragen. Die Beschaffung anderer Arbeitskräfte lag nach wie vor in den Händen des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, und weiterhin war der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz maßgeblich beteiligt bei der Prüfung der Frage, wie weit Betriebe Arbeitskräfte abgeben konnten, um diese für andere freizumachen – die sogenannte Auskämmaktion. Die Kompetenz des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz war somit durch diese gemeinsame Vereinbarung zwischen ihm und dem Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion nicht nennenswert eingeschränkt. Ihm oblag es nach wie vor, die Arbeitskräfte für die Betriebe zu vermitteln, ihm war sogar eine nennenswerte Kompetenz eingeräumt, in Arbeitsfragen in die dem Angeklagten Speer unterstehenden Rüstungsbetriebe hineinzuleuchten und sie darauf zu prüfen, ob und inwieweit aus diesen Betrieben Kräfte an andere Betriebe abgegeben werden konnten. Der Erlaß vom 22. Juni 1944 bestimmte, daß die bereits zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte nach Anweisung der Zentralbehörde oder nach Anweisung des Vorsitzers der Rüstungskommission verwendet werden sollen. Auch hierbei ist zu beachten, daß es sich nicht um den Einsatz neuer, rüstungsfremder Arbeitskräfte handelt, welche nach wie vor durch den Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz vermittelt wurden, sondern lediglich um sogenannte Umsatzaktionen von einem Rüstungsbetrieb in einen anderen. Die Sauckelschen Dienststellen konnten also nach diesem Erlaß nicht mehr Forderungen von Arbeitskräften seitens der dem Speer-Ministerium unterstehenden Betriebe nachprüfen, wenn der Vorsitzende der Rüstungskommission diese Forderungen anerkannt hatte. An der grundsätzlichen Kompetenzenverteilung, wonach der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz die erforderlichen Arbeitskräfte zu vermitteln hatte und die ganze Lenkung der Arbeitskräfte durch ihn erfolgte, ist durch diese Verordnung nichts geändert worden. Wenn auf eine geprüfte Anforderung von Arbeitskräften die Dienststellen des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz Arbeitskräfte zuteilten, so war es in ihr Ermessen gestellt, was für Arbeitskräfte, an In- oder Ausländern und so weiter zugeteilt wurden. Die Befugnisse der Dienststellen des Rüstungsministers in Arbeitseinsatzfragen waren nur darauf beschränkt, sogenannte Umsatzaktionen, das heißt Zuteilung von Arbeitskräften aus einem Rüstungsbetrieb in den anderen vorzunehmen. Es wäre irrig, aus diesen Verordnungen eine nennenswerte Einschränkung der Befugnisse des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz und eine grundsätzliche Erweiterung der Befugnisse Speers folgern zu wollen. Es wäre ebenso verfehlt, daraus den Schluß zu ziehen, daß der Einfluß des Rüstungsministeriums auf sonstige Kompetenzen des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz vergrößert worden wäre.

Die Anklage hat endlich, offenbar um das Verhältnis zwischen Speer und Sauckel zu charakterisieren, eine Aktennotiz des Generals Thomas, des Leiters der Wehrwirtschafts- und Rüstungsabteilung im OKW, über eine Besprechung zwischen dem Angeklagten Speer einerseits, ihm und den Leitern der Waffenämter der drei Wehrmachtsteile andererseits, vom 24. März 1942 vorgelegt, in welcher Thomas feststellt, daß der Führer Speer als sein Hauptorgan und seinen Vertrauensmann für alle Wirtschaftsgebiete ansähe. Diese Notiz ist nur zu verstehen im Zusammenhang mit dem Rechenschaftsbericht, den General Thomas über seine Tätigkeit als Leiter des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes abgelegt hat und der unter der Aktennummer 2353-PS dem Gericht in Auszügen vorliegt.

Thomas hatte vor der Ernennung Speers zum Rüstungsminister darauf hinzuwirken, daß die Stellung des Generalbeauftragten für die Wirtschaft, die im Reichsverteidigungsgesetz vorgesehen war, zu einer die gesamte Kriegswirtschaft lenkenden Stelle ausgebaut werden würde. Als nun der Rüstungswirtschaft, im Zusammenhang mit dem ersten Winterfeldzug in Rußland und den dort aufgetretenen Verlusten, hohe Anforderungen gestellt werden mußten und Hitler den Angeklagten Speer nach dem Ableben Dr. Todts zu dessen Nachfolger im Ministerium für Bewaffnung und Munition berief, glaubte Thomas, in Speer eine Persönlichkeit zu sehen, welche die von ihm für den Generalbeauftragten für die Wirtschaft erstrebte umfassende Kompetenz erhalten würde. Dies trat aber nicht ein. Wie aus der Beweisaufnahme hervorgegangen ist, erhielt Speer nur die Heeresrüstung und das Bauwesen. Schon die von dem Angeklagten Speer erstrebte Unterordnung der neuen Behörde des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz unter sein Ministerium wurde von Hitler nicht gebilligt. Die Befugnisse Speers als Rüstungsminister gehen aus der Verordnung hervor. Die allgemein gehaltenen Erwartungen des Generals Thomas, die dieser an die Ernennung Speers knüpfte, waren daher in keiner Weise erfüllt worden. Eine größere Befugnis erhielt Speer erst, als er im Jahre 1943 die Produktionswirtschaft vom Wirtschaftsministerium übernahm. Aber auch dann war er weit davon entfernt, den Aufgabenkreis zu haben, den General Thomas für Speer erwartete. Von dieser Erwartung ausgehend glaubte General Thomas, in der Person Speers den von Hitler bestellten Mann, der für alle Wirtschaftsfragen entscheidend sein würde, erblicken zu können. Bei der nur allgemein gehaltenen Aktennotiz des Generals Thomas handelt es sich um eine Meinungsäußerung, die durch den tatsächlichen Sachverhalt nicht gerechtfertigt wurde. Sie bildet keine Unterlage für die Beantwortung der Frage, wie die Verantwortung für die von der Anklage beanstandete Arbeitseinsatzpolitik zu verteilen ist.

Zusammenfassend ist zu diesem Anklagepunkt zu sagen:

Speer ist nicht verantwortlich für die Methoden der Beschaffung ausländischer Arbeitskräfte, auch nicht für ihre Überführung nach Deutschland. Er ist höchstens für die Verwendung eines Teiles 1 dieser Arbeitskräfte in Deutschland verantwortlich.

Als weiterer Anklagepunkt ist vorgetragen worden, daß der Angeklagte in dem von ihm geleiteten Sektor der Wirtschaft Kriegsgefangene beschäftigt habe und damit gegen Artikel 32 der Genfer Konvention über die Behandlung von Kriegsgefangenen vom Juli 1929 verstoßen habe. Es ist von dem Angeklagten nicht, bestritten worden, daß in den ihm unterstellten Betrieben Kriegsgefangene beschäftigt worden sind; darin ist aber nicht ohne weiteres ein Verstoß gegen den Artikel 31 und 32 des genannten Abkommens zu erblicken. Der Ausdruck »Rüstungswirtschaft« beziehungsweise »Rüstungsbetrieb« ist nicht gleichbedeutend mit Betrieb beziehungsweise Wirtschaft, deren Aufgabe die Herstellung von Waffen und unmittelbarem Kriegsbedarf ist. Die Bezeichnung »Rüstungsbetrieb« ist nur aus der Entwicklung heraus zu verstehen. Als mit Beginn der Aufrüstung eine Rohstoffeinschränkung einsetzte, erhielten Betriebe, die für die Aufrüstung tätig waren, Rohstoffe vorzugsweise zugewiesen. Diese Betriebe unterstanden den von der Wehrmacht eingerichteten Rüstungsinspektionen und wurden »Rüstungsbetriebe« genannt. Hierzu gehörten neben anderen alle Betriebe, die der Eisen-, Stahl- und Metallherstellung dienten, sowie diejenigen Betriebe, die Maschinenkessel, Fahrzeug- und Apparatebau zum Gegenstand hatten; auch die gesamte Rohstahlerzeugung und die erste Verarbeitungsstufe (Gießereien, Walzen, Schmieden) sowie die gesamte übrige Zulieferungsindustrie fiel darunter, zum Beispiel elektrotechnische Betriebe, Betriebe welche optische Erzeugnisse herstellten, Betriebe, welche Kugellager, Zahnräder und so weiter fertigten. Dies geht aus der Aussage des Zeugen Schieber hervor – Dokumentenbuch Seite 114, Frage 9.

Nur etwa 30 bis 35 Prozent der gesamten Eisenerzeugung wurden für Produktion der Rüstung im vorstehend beschriebenen Umfang und 60 Prozent für die Aufrechterhaltung der Produktion oder für andere Bedarfsträger verwandt: Reichsbahn, Handelsschiffbau, landwirtschaftliche Maschinen, Exportwaren, Geräte für die chemische Industrie et cetera.

Es wird insofern auf die unter Speer-Exhibit Nummer 36 eingereichte Aussage des Zeugen Kehrl, insbesondere seine Bekundung zur Frage 5, verwiesen. Da unter der für die Rüstungsindustrie zugewiesenen Eisenquote auch die Rohstahlerzeugung und die Verarbeitungsstufen enthalten sind, ist mit Sicherheit anzunehmen, daß von allen in den Rüstungsinspektionen zusammengeschlossenen Betrieben nur etwa 20 bis 30 Prozent Rüstungsgegenstände im Sinne der Genfer Konvention hergestellt haben. Auf diese Einzelheiten mußte eingegangen werden, um einen Begriff dafür zu bekommen, inwiefern durch die Beschäftigung von Kriegsgefangenen der Artikel 31 der Genfer Konvention verletzt werden konnte. Die Anklage hat unter 2520-PS ein Affidavit des amerikanischen Wirtschaftsstatistikers Deuss eingereicht, um damit zu beweisen, wie viele Kriegsgefangene und ausländische Arbeiter in der Rüstungswirtschaft beschäftigt waren. Diese Ausarbeitung, die sich im wesentlichen auf Ziffern stützt, die den Unterlagen aus dem Besitz des Angeklagten entstammen, gibt aber keinen Aufschluß darüber, in welchen Zweigen der Rüstungsindustrie nun die einzelnen Kriegsgefangenen gearbeitet haben. Ein großes Unternehmen, welches, weil es unter eine der oben aufgeführten Kategorien fällt und demzufolge in seiner Gesamtheit als Rüstungsbetrieb betrachtet wurde, braucht nur zu einem Bruchteil oder vielleicht gar nicht Waffen oder Gegenstände, die in unmittelbarer Beziehung zu den Kriegshandlungen stehen, herstellen. Wenn in ihm Kriegsgefangene beschäftigt werden, so stellte diese Beschäftigung keine Verletzung des Artikels 31 des Genfer Kriegsgefangenenabkommens dar. Ein solcher Betrieb erscheint aber in seiner Gesamtheit in dem Affidavit Deuss. Das Affidavit verliert damit Beweiskraft, in welchem Umfange Verletzungen des Artikels 31 des genannten Abkommens vorgekommen sind. Es fehlt also an einem Beweis dafür, ob und in welchem Umfange durch Beschäftigung Kriegsgefangener in der Rüstung der Artikel 31 der Genfer Konvention verletzt ist.

Die Französische Anklage hat den Standpunkt vertreten, daß auch die Beschäftigung der aus der Kriegsgefangenschaft entlassenen französischen Zivilarbeiter, die in der Rüstungsindustrie beschäftigt wurden, als Verstoß gegen Artikel 31 anzusehen sei. Dem kann nicht gefolgt werden. Von ihrer Entlassung an waren die ehemaligen Kriegsgefangenen freie Leute, in ihrer Bewegungsfreiheit uneingeschränkt, nur durch die durch den Arbeitsvertrag übernommenen Verpflichtungen eingeengt. Zudem konnte kein französischer Kriegsgefangener gezwungen werden, seiner Entlassung mit der Verpflichtung, seine Arbeitskraft der deutschen Industrie zur Verfügung zu stellen, zuzustimmen. Es war sein freier Entschluß, wenn er es vorzog, unter diesen Bedingungen seine Entlassung als Kriegsgefangener zu nehmen; tat er es, war er von diesem Augenblick an nicht mehr Soldat, unterlag nicht mehr der soldatischen Disziplin, erhielt seinen Arbeitslohn wie jeder freie Arbeiter und war keinerlei Lagerordnung oder sonstigen ähnlichen einschränkenden Bestimmungen unterworfen. Denjenigen unter den Kriegsgefangenen, die es vorzogen, unter diesen Umständen ihrer Entlassung zuzustimmen, erschienen diese Vorteile offenbar wertvoller als der Schutz, den sie als Kriegsgefangene genossen. Wenn sie dies taten, so kann auch bei ihrer Beschäftigung, selbst bei Arbeiten, die an sich den Kriegsgefangenen nach Artikel 31 des Genfer Kriegsgefangenenabkommens untersagt sind, eine Verletzung dieses Artikels nicht angenommen werden. Die Beschäftigung von Kriegsgefangenen in der Industrie des gefangenhaltenden Landes ist durch das Genfer Kriegsgefangenenabkommen nicht untersagt. Untersagt ist nur jede Arbeit, die in unmittelbarer Beziehung zu den Kriegshandlungen steht, zum Beispiel die Verwendung von Kriegsgefangenen für Schanzarbeiten für die kämpfende Truppe. Eine solche kann aber dem Angeklagten Speer nicht zur Last gelegt werden. Weiterhin ist untersagt: Herstellung und Transport von Waffen aller Art, sowie Transport von Kriegsmaterial für die kämpfende Truppe. Bei der unter der Kontrolle des Angeklagten Speer stehenden Rüstungswirtschaft käme als Verletzung der vorgenannten Bestimmung nur die Herstellung von Waffen und Munition aller Art in Frage. Eine solche Verletzung ist aber im einzelnen bisher überhaupt von der Anklage nicht nachgewiesen worden.

Zu untersuchen ist weiter, wie die Vermittlung von Kriegsgefangenen an die Betriebe erfolgte. Grundsätzlich geschah dies nach der Bekundung des Angeklagten Sauckel in der Weise, daß die Wehrwirtschaftsoffiziere bei den Wehrkreisbefehlshabern dem Gauarbeitsamt die zur Arbeit verfügbaren Kriegsgefangenen ziffernmäßig aufgaben und dann die Vermittlung der Kriegsgefangenen an die Betriebe in der gleichen Weise erfolgte wie bei gewöhnlichen Arbeitskräften. Ein Unterschied war nur insofern vorhanden, als die Lageroffiziere – die Kriegsgefangenen waren in sogenannten Stammlagern untergebracht – dafür verantwortlich waren, daß die vom OKW für die Beschäftigung und die Behandlung der Kriegsgefangenen erlassenen Richtlinien innegehalten wurden. Diese Lageroffiziere waren verantwortlich dafür, daß bei der Beschäftigung von Kriegsgefangenen eine Verletzung des Artikels 31 des Kriegsgefangenenabkommens ausgeschlossen war. Die vom Lagerkommandanten bestimmten Einsatzoffiziere hatten die Arbeitsbedingungen und die Art der Beschäftigung der in den Rüstungsbetrieben eingesetzten Kriegsgefangenen ständig zu überwachen und zu überprüfen und darauf zu achten, daß den Kriegsgefangenen keine verbotene Arbeit zugemutet wurde. Der Angeklagte Keitel hat die Art und Weise, wie die Kontrolle für die Kriegsgefangenen im Heimatgebiet geschah, genau geschildert. Es sind auch Urkunden vorgelegt worden, die über die Behandlung der Kriegsgefangenen Aufschluß geben. Die in den Sammellagern untergebrachten Kriegsgefangenen wurden durch die Lagereinsatzoffiziere ständig überprüft, daß ihre Beschäftigung mit Artikel 31 und 32 des Genfer Kriegsgefangenenabkommens in Einklang stand. Was französische Kriegsgefangene anbelangt, so bestand in der Person des Botschafters Scapini eine besondere Instanz, die etwaige Beschwerden gegen eine völkerrechtswidrige Verwendung der Arbeitskraft der Kriegsgefangenen gegenüber dem OKW zu vertreten hatte.

Derartigen Beschwerden des Botschafters Scapini wurde sofort nachgegangen und, sofern sich ihre Berechtigung herausstellte, ihnen alsbald abgeholfen. Es ist natürlich möglich, daß bei einer so weitgehenden Organisation, wie es die große Zahl der französischen Kriegsgefangenen notwendig machte, auch hin und wieder Fehlgriffe vorgekommen sind. Maßnahmen zur Abstellung derartiger Fehler sieht ja das Genfer Kriegsgefangenenabkommen in seinen Bestimmungen selber vor. Diese Bestimmungen haben auch im letzten Krieg ihre Wirksamkeit entfaltet. Die Vertreter der Schutzmächte sind gegen Mißstände, die ihnen auf Grund von Beschwerden bekanntgeworden waren, eingeschritten und haben auch deren Abstellung verlangt und erreicht. Wenn solche Mißstände erkannt und gemeldet wurden, erfolgte sofortige Abhilfe. Es wäre verfehlt, aus einzelnen Vorkommnissen auf ein bedachtes System schließen zu wollen. Der Schutz der Kriegsgefangenen, den sie in den Arbeitseinsatzoffizieren hatten, wurde dem Angeklagten Speer von vereinzelten Betriebsführern sogar als zu weitgehend kritisiert.

Was die rechtlichen Beziehungen des Angeklagten Speer in dieser Hinsicht anlangt, ist in erster Linie zu prüfen, ob grundsätzlich in der Beschäftigung der Kriegsgefangenen in der Rüstungsindustrie eine Verletzung völkerrechtlicher Vorschriften zu erblicken ist. Nach den vorangegangenen Erörterungen über den Charakter der Betriebe, die als Rüstungsindustrie zusammengefaßt wurden, ist dies zu verneinen. Nur insofern als tatsächlich Kriegsgefangene zur Waffenherstellung und zur Herstellung unmittelbaren Kriegsmaterials Verwendung gefunden hätten, könnte von einer Verletzung des Artikels 31 gesprochen werden. Daß in einzelnen Fällen diese Bestimmung verletzt worden sein mag, soll diesseits nicht bestritten werden. Wenn zum Beispiel, wie die von der Amerikanischen Anklage vorgelegten Photographien zeigen, in der Nähe der Front Kriegsgefangene zum Entladen von Munitionszügen verwendet worden sind, stellt dies zweifelsohne eine Verletzung der Bestimmung des Artikels 31 des Genfer Kriegsgefangenenabkommens dar. Solche Vorfälle können aber dem Angeklagten Speer nicht zur Last gelegt werden, da sie nicht in seine Kompetenz fallen. Aus der Tatsache, daß die Beschäftigung von Kriegsgefangenen in der Rüstungsindustrie erfolgt ist, eine Verletzung der Vorschriften des Genfer Kriegsgefangenenabkommens in großem Stil zu schlußfolgern, geht nicht an.

VORSITZENDER: Wir vertagen uns nunmehr.