HOME

<< Zurück
|
Vorwärts >>

[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

M. JEAN JACQUES LANOIRE, HILFSANKLÄGER FÜR DIE FRANZÖSISCHE REPUBLIK: Herr Vorsitzender! Gestatten Sie mir bitte, eine ganz kurze Erklärung im Namen der Französischen Anklagevertretung abzugeben. Obwohl es nicht üblich ist, daß die Anklagevertretung während der Verlesung einer Verteidigungsrede einschreitet, erscheint es mir jedoch erforderlich, auf einige heute vormittag gemachte Erklärungen der Verteidigung Speers einzugehen und den Gerichtshof zu bitten, diese zurückzuweisen.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof glaubt nicht, daß es richtig ist, wenn die Verteidigungsreden durch die Anklagevertreter unterbrochen werden. Die Anklagevertreter werden später sprechen und werden dabei reichlich Gelegenheit haben, die Reden der Verteidiger zu beantworten.

M. LANOIRE: Ich werde mich Ihrem Wunsche fügen, Herr Vorsitzender.

VORSITZENDER: Dr. Flächsner! Wollen Sie bitte einen Augenblick warten, ich habe etwas bekanntzugeben. Der Gerichtshof beruft sich auf Paragraph 8 seiner Anordnung vom 23. Februar 1946, der sich auf die Erklärungen bezieht, die die Angeklagten gemäß Artikel 24 des Statuts machen können.

Im Hinblick auf die weitgehenden Erklärungen, die die Angeklagten und ihre Verteidiger bereits gemacht haben, nimmt der Gerichtshof an, daß, wenn die Angeklagten weitere Erklärungen abzugeben wünschen, diese nur solche Angelegenheiten behandeln werden, die vorher übergangen wurden. Die Angeklagten dürfen keine weiteren Reden halten oder das wiederholen, was sie selbst oder ihre Verteidiger bereits gesagt haben. Sie müssen sich vielmehr auf kurze Erklärungen von einigen Minuten beschränken und dürfen nur solche Dinge behandeln, die bisher weder in ihren Zeugenaussagen noch in den Argumentationen der Verteidiger behandelt wurden.

Das ist alles.

DR. FLÄCHSNER: Herr Präsident, meine Herren Richter!

Ich darf in meinen Ausführungen weiter fortfahren:

Ein weiterer Vorwurf der Anklage bezieht sich auf die Verletzung des Artikels 32 des Genfer Kriegsgefangenenabkommens, wonach Kriegsgefangene mit unzuträglichen Arbeiten beschäftigt worden seien, insofern als die Kriegsgefangenen im Bergbau Beschäftigung gefunden hätten. Es wird hierfür auf ein Sitzungsprotokoll der Zentralen Planung verwiesen, worin die Beschäftigung von russischen Kriegsgefangenen im Bergbau erörtert wird. Die Beschäftigung Kriegsgefangener im Bergbau ist nicht ohne weiteres als verboten anzusehen und ist in allen Industriestaaten geübt worden. Die Beschäftigung russischer Kriegsgefangener im Bergbau ist daher dann nicht zu beanstanden, sofern sich die betreffenden Kriegsgefangenen in einem körperlichen Zustand befanden, der ihnen die schwere bergmännische Arbeit auszuüben ermöglichte. Es ist von der Anklage nicht dargetan und bewiesen worden, daß diese Kriegsgefangenen für die ihnen übertragene Arbeit körperlich nicht imstande gewesen seien. Aus der Tatsache allein, daß in der Zentralen Planung die Beschäftigung Kriegsgefangener im Bergbau erörtert und gutgeheißen worden ist, kann auf eine Verletzung des Artikels 32 des Kriegsgefangenenabkommens nicht geschlossen werden. Die Behandlung Kriegsgefangener ist überhaupt rechtlich unter verschiedenen Gesichtspunkten zu prüfen. Die Deutsche Regierung hat den Standpunkt vertreten, daß für die sowjetischen Kriegsgefangenen eine andere rechtliche Grundlage Platz greifen müßte als bei der Behandlung der Angehörigen der westlichen Staaten, die sämtlich Vertragspartner der Genfer Kriegsgefangenenkonvention von 1929 waren, während die Sowjetunion dieses Abkommen nicht mitunterzeichnet hat. Die Sowjetische Anklage hat nun mit der Urkunde EC-338, USSR-356, eine völkerrechtliche Untersuchung des Amtes Ausland/Abwehr im OKW über die Rechtmäßigkeit der über die Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener erlassenen Vorschriften überreicht und an diesen scharfe Kritik geübt. Wesentlich ist nun, daß in diesem Vortragsbericht der Standpunkt zum Ausdruck kommt, daß die sowjetischen Kriegsgefangenen grundsätzlich nicht nach den Vorschriften des Genfer Kriegsgefangenenabkommens behandelt werden können, da die Sowjetunion diesem nicht beigetreten sei, und daß diese Vortragsnotiz Bezug nimmt auf den Erlaß der Sowjetunion über die Behandlung Kriegsgefangener vom 1. Juli 1941, von welchem das Gutachten des Amtes Ausland/Abwehr im OKW feststellt, daß dieser Beschluß in wesentlichen Punkten den Bestimmungen des Genfer Kriegsgefangenenabkommens entspricht. Charakteristisch ist nun, daß in diesem Erlaß angeordnet ist, daß kriegsgefangene Unteroffiziere und Mannschaften im Lager und außerhalb desselben in der Industrie und in der Landwirtschaft zu Arbeiten herangezogen werden können und daß als Beschränkung nur angeordnet ist, daß die Ausnutzung der Arbeitskraft der Kriegsgefangenen verboten ist

a) im Gebiet der Kampfhandlungen,

b) für persönliche Bedürfnisse der Verwaltung, sowie Bedürfnisse anderer Kriegsgefangener, sogenannte Burschendienste – siehe Seite 12/13 des Dokumentenbuches.

Eine Anordnung, die entsprechend den Bestimmungen des Artikels 31 und 32 des Genfer Kriegsgefangenenabkommens die verwendete Arbeitskraft der Kriegsgefangenen einschränkt, ist dem zitierten Befehl nicht zu entnehmen. Es bleibt nun aber weiter zu untersuchen, ob die Bestimmung der Artikel 31 und 32 des Genfer Kriegsgefangenenabkommens einen Ausfluß der allgemeinen Regeln des Völkerrechts darstellen, welche zu beachten wären, auch wenn es eine besondere vertragliche Regelung, wie sie das Genfer Kriegsgefangenenabkommen darstellt, nicht gäbe. Dies wird aber generell nicht gesagt werden können. Die vorgenannten Vertragsbestimmungen können nicht als vertragliche Stipulierung eines allgemein gültigen Rechtsgedankens betrachtet werden, wenn ein so wesentliches Mitglied der Völkerrechtsfamilie wie die Sowjetunion eine derartige Regelung nicht akzeptiert.

Von diesem Gedanken ausgehend wäre eine Beschäftigung sowjetischer Kriegsgefangener mit Arbeiten, die nach Artikel 31 des Kriegsgefangenenabkommens verboten waren, nicht zu beanstanden. Die nach dem Abfall Italiens in Deutschland internierten italienischen Militärpersonen fallen nicht unter die Bestimmung des Genfer Kriegsgefangenenabkommens, da kein Kriegszustand zwischen Italien und Deutschland bestanden hat. Auch diese Militärinternierten unterlagen bei ihrem Einsatz als Arbeitskräfte nicht den Beschränkungen des Artikels 31. Es muß aber darauf hingewiesen werden, daß in der Aufzählung des Mr. Deuss als Kriegsgefangene, die in der Rüstungswirtschaft beschäftigt worden seien, diese Militärinternierten mit aufgeführt sind.

Zusammenfassend ist zu diesem Punkt zu sagen:

Die Vermittlung der Kriegsgefangenen an die Betriebe erfolgte ausschließlich durch die Dienststellen des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz. Die Kontrolle über den nach dem Kriegsgefangenenabkommen richtigen Einsatz der Kriegsgefangenen oblag dem Arbeitseinsatzoffizier des Stalags, welcher wiederum letzten Endes dem General für das Kriegsgefangenenwesen im OKW verantwortlich war. Auf die Verteilung der Kriegsgefangenen und ihre Beschäftigung irgendeinen Druck zu unternehmen, war dem Angeklagten Speer nicht möglich. Die Anklage ist auch nicht in der Lage gewesen, irgendeinen Beweis dafür zu erbringen, aus dem eine Beteiligung des Angeklagten Speer bei rechtswidriger Beschäftigung der Kriegsgefangenen sich folgern ließe. Diese Behauptungen der Anklage sind beweislos geblieben.

Die Anklage hat nun dem Angeklagten weiterhin zum Vorwurf gemacht, daß die Organisation Todt, an deren Spitze Speer nach dem Ableben Dt. Todts im Februar 1942 gestellt wurde, einheimische Arbeitskräfte verwendet hätte, um Befestigungsarbeiten in den französischen Küstengebieten auszuführen. Was die OT anlangt, so ist sie eine reine zivile Einrichtung des Generalbauinspekteurs für das Straßenwesen. Sie arbeitete auf privatwirtschaftlicher Grundlage, das heißt, sie vergab die Bauten, die sie auszuführen beabsichtigte, an private Firmen, auch an ausländische Firmen, die im betreffenden Lande ansässig waren, und überwachte lediglich die Ausführung der Arbeiten. Die privaten Firmen kannten die Beschaffung der notwendigen Materialien und Arbeitskräfte selbst vornehmen. Gerade durch die Einschaltung einheimischer Bauunternehmen war die Möglichkeit gegeben, die Schwierigkeiten, die sich sonst der Ausführung der Arbeit entgegenstellten, zu beheben. Die Baustellen der OT erfreuten sich bei den Einheimischen um deswillen einer gewissen Beliebtheit, weil die Sicherheit dafür gegeben war, daß diese Arbeiter nicht gezwungen werden konnten, nach Deutschland zu gehen, um dort in der Industrie zu arbeiten, da die Baustellen der OT für vordringlich wichtig erachtet wurden. Die Arbeiter gingen freiwillig zu den Firmen, welche für die OT tätig waren, um diese Gewähr zu erhalten. Das vom Angeklagten Speer im Kreuzverhör gezeigte Beispiel zeigt, wie einmal zur Behebung von Schäden, die durch Luftangriffe auf zwei westdeutsche Talsperren entstanden waren, 50000 OT-Arbeiter aus Frankreich nach Deutschland gebracht wurden, und wie dies auf die bei den übrigen Baustellen der OT beschäftigten Arbeiter ein so ungünstiges Ergebnis zeitigte, daß nichts anderes übrig blieb, als diese 50000 OT-Arbeiter wieder nach Frankreich zurückzuschaffen. In der Zwischenzeit waren nämlich von den übrigen Baustellen der OT in Frankreich viele Arbeiter verschwunden, weil sie sich fürchteten, früher oder später gegen ihren Willen nach Deutschland gebracht zu werden, während sie bis dahin die Beschäftigung, für die OT zu arbeiten, als Sicherheit gegen eine derartige Verbringung nach Deutschland betrachtet hatten. Erst der Rücktransport der vorerwähnten 50000 Arbeiter nach Frankreich, der vom Angeklagten Speer veranlaßt wurde, als sich diese ungünstigen Folgen zeigten, stellte das bisherige Vertrauensverhältnis wieder her.

Hier sei auch noch das Moment betont, daß sich aus den geschilderten Vorgängen die Tatsache ergibt, daß die OT-Arbeiter in Frankreich freizügig waren. Jedenfalls wurde gegen sie kein Zwang ausgeübt. Die Folge davon war, daß bei Einrichtung der Sperrbetriebe in Frankreich alle Unternehmungen, die für die OT tätig waren, zu Sperrbetrieben erklärt und damit anderweitigen Einsatzmöglichkeiten entzogen wurden. Dieses Beispiel zeigt, daß die Ansicht der Anklage, diese Arbeiter der OT seien gegen ihren Willen in die OT-Betriebe gezwungen worden, eine unrichtige Auffassung ist.

Nachdem feststeht, daß die Französische Regierung mit Verwendung französischer Arbeiter sowohl bei den Bauarbeiten und der Regie der OT als auch in sonstigen Rüstungsbetrieben in Deutschland und in den besetzten Gebieten einverstanden war, ist jede Rechtswidrigkeit in dieser Hinsicht ausgeschlossen. Es sei nicht unerwähnt gelassen, daß nach Abschluß des Waffenstillstandsabkommens mit Frankreich dies aus der kriegerischen Auseinandersetzung ausgeschieden war. Der Waffenstillstandsvertrag bedeutete ja nicht eine Vereinbarung einer Waffenruhe, sondern de facto die endgültige Beendigung der Feindseligkeiten und sollte als Vorbereitung des Friedensschlusses dienen. Es war ein Zustand, der nicht mehr Krieg, aber auch noch nicht die endgültige Rückkehr zu friedensmäßig vertraglich geregelten Beziehungen bedeutete. Ein Wiederaufleben der Feindseligkeiten war nach der Überzeugung der beiden Waffenstillstandspartner jedenfalls außerhalb jeder Betrachtung. Der Waffenstillstand sollte ausschließlich die Verhältnisse bis zum endgültigen Friedensschluß regeln. Vorschriften, wie sie sowohl die HLO als auch das Kriegsgefangenenabkommen hinsichtlich der Beschränkung, daß Dienstleistungen nicht gegen die Treupflicht, gegen das eigene im Kampf stehende Land verletzen dürfen, entfallen somit, denn das eigene Land führt hier ja gar nicht mehr Krieg. Nach dem allgemeinen Waffenstillstand kann sich die Waffen- und Munitionsherstellung nicht mehr gegen den aus den Feindseligkeiten ausgeschiedenen Teil, sondern nur noch gegen andere im Felde stehende Kriegspartner richten. Der vorerwähnte Grundsatz der Respektierung der Treupflicht dem eigenen Lande gegenüber hat in solchen Fällen keine Anwendung mehr zu finden.

Im übrigen ist auch noch hervorzuheben, daß die OT nicht etwa eine para-militärische Organisation war, wie auch dies fälschlicherweise behauptet wurde. Offenbar wurde fälschlich diese Auffassung gestärkt durch die Tatsache, daß die deutschen Angehörigen der OT-Verwaltung im Ausland eine Uniform trugen. Diese Leute galten als Wehrmachtsgefolge; dagegen standen die von den Firmen angeworbenen Arbeitskräfte und die Bauarbeiter der Firmen sowie das technische Personal in keinerlei derartigen Verhältnissen. Es kann also auch nicht der Vorwurf erhoben werden, als seien mittelbar diese einheimischen Arbeitskräfte einer Wehrmachtsorganisation eingegliedert worden.

Ein weiterer Vorwurf gegen den Angeklagten Speer besteht darin, daß in dem von ihm kontrollierten Wirtschaftssektor Häftlinge aus KZ-Lagern beschäftigt worden sind. Der Angeklagte hat dies zugegeben. Eine Haftung strafrechtlicher Art wegen dieser Tatsache hält aber einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Beschäftigung von Strafgefangenen zu wirtschaftlichen Arbeiten ist in Deutschland von jeher üblich gewesen. Sie konnte sich vollziehen in verschiedener Form, teils durch Beschäftigung innerhalb der Strafanstalt selbst, teils außerhalb derselben. Bei dem Mangel an Arbeitskräften, der durch die Verschärfung des Wirtschaftskrieges sich herausstellte, war es notwendig, auch auf die Arbeitskräftereserven zurückzugreifen, die sich in den KZ-Lagern befanden. Die Anklagebehörde hat Dokumente vorgelegt, aus denen hervorgeht, wie sehr sich die dem Reichsminister Himmler unterstellten Dienststellen bemühten, die in den KZ-Lagern enthaltenen Reserven an Arbeitskräften zum Aufbau eigener SS-Betriebe zu verwenden, und der Angeklagte Speer hat bei seiner Vernehmung am 20./21. Juni vor dem Gericht über die Bestrebungen Himmlers Aufschluß gegeben, die darauf abzielten, eine eigene lediglich ihm unterstellte Rüstungsindustrie aufzubauen, welche dazu geführt hätte, daß jegliche Kontrolle über die Waffenproduktion in diesen beabsichtigten SS-Betrieben unmöglich gewesen wäre, so daß die SS sich hätte mit Waffen versehen können, ohne daß eine Kontrolle von Heeres- oder sonstigen Dienststellen darüber möglich gewesen wäre.

Dem hat sich der Angeklagte Speer Hitler gegenüber erfolgreich durchgesetzt. Es wurde erreicht, daß Himmler von den KZ-Lagerhäftlingen einen Teil für die Beschäftigung in den Rüstungsindustrien freigab. Dadurch erlangten die Häftlinge eine Besserung ihrer Lage; denn sie kamen einmal in den Besitz der für die Arbeiter beziehungsweise Lang- und Schwerarbeiter ausgesetzten höheren Lebensmittelrationen, wie der Zeuge Riecke bekundet hat, sie kamen ferner aus den großen Konzentrationslagern heraus, sie unterstanden während der Arbeitszeit nicht der SS-Lagerkontrolle, sondern in den Betrieben unterstanden sie den Meistern und Vorarbeitern. Allerdings wurden, um lange Transport- und Anmarschwege zu vermeiden, in der Nähe der Betriebs- und Arbeitsstätten, in denen sie eingesetzt waren, Sonderlager errichtet, die weder der Kontrolle des Betriebsführers noch der Dienststelle des Angeklagten Speer zugänglich waren, sondern ausschließlich unter Kontrolle der für die Konzentrationslager zuständigen Dienststellen lagen. Es können also für die Zustände in derartigen Lagern weder der Betriebsführer noch die Dienststellen des Angeklagten Speer verantwortlich gemacht werden, wenn dort Mißstände auftraten. Im allgemeinen wurde, wie aus dem Schreiben des Amtschefs Schieber vom 7. Mai 1944 an den Angeklagten Speer hervorgeht – Dokumentenbuch 2, Seite 88 –, von den Häftlingen die Arbeit in derartigen Betrieben vor einer Beschäftigung durch die KZ-Lagerverwaltung selbst vorgezogen, und Schieber sagt in diesem Schreiben ganz deutlich, daß man aus diesen Gründen der Beschäftigung von KZ-Lagerhäftlingen einen größeren Raum einräumen sollte, um diesen ihr Los zu erleichtern. Er erklärt aber weiterhin, daß die Zahl der in den Rüstungsindustrien beschäftigten KZ-Lagerhäftlinge 36000 betragen habe und daß diese Zahl geringer werde. Demgegenüber ist die Angabe des Angeklagten bei seiner Vernehmung, die Zahl der in der Rüstungsindustrie beschäftigt gewesenen KZ-Häftlinge halbe ein Prozent betragen von den insgesamt in der Rüstungsindustrie beschäftigten Arbeitern, zu hoch gegriffen. Bei 4,9 Millionen in der Rüstungsendfertigung beschäftigten Arbeitern macht die Zahl von 36000 nur sieben pro Tausend aus. Die Zahl der in der Rüstungsindustrie beschäftigten KZ-Lagerhäftlinge stellt daher nur einen ganz geringen Teil aller Arbeitskräfte in der Rüstungsendfertigung dar, das heißt aller Arbeitskräfte, die in Betrieben tätig waren, die Fertigprodukte herstellten.

Diese Ziffern zeigen, wie abwegig die Annahme der Anklage ist, die Beschäftigung solcher Häftlinge in der Rüstungsindustrie hätte zur Folge gehabt, die Nachforderung an solchen Arbeitskräften zu steigern und diese Nachforderung sei dadurch befriedigt worden, daß man in die KZ-Lager Personen geschickt hätte, die unter normalen Umständen niemals dorthin gekommen wären. Die Auffassung, daß durch die Tatsache der Beschäftigung von Häftlingen aus KZ-Lagern in der Rüstungsindustrie es zu einer Vermehrung der KZ-Lagerinsassen gekommen sei, wird durch den bereits erwähnten Brief Schiebers – das ist Exhibit 6, Seite 88 des Dokumentenbuches – und durch dessen ebenfalls als Exhibit Nummer 37, Dokumentenbuch Nummer 51, eingereichten Zeugenaussagen widerlegt. Danach ist die Beschäftigung von KZ-Lagerinsassen in der Rüstungsindustrie im Herbst 1943 erstmalig erfolgt, und die Zahl der dort beschäftigten Häftlinge hat mit der Höchstzahl von 36000 im März 1944 ihren Höchststand erreicht und ist von diesem Zeitpunkt an nicht nur nicht mehr angewachsen, sondern im Gegenteil abgesunken.

Die Schlußfolgerung der Anklage hält somit in keiner Weise der Nachprüfung stand. Es ist nicht einmal der Beweis erbracht worden, daß Speer Versuche unternommen hätte, Leute ins KZ-Lager zu bringen.

Bei seiner Vernehmung hat der Angeklagte zugegeben, daß allgemein in Deutschland die Verbringung in ein KZ-Lager gefürchtet wurde. Die Furcht in der Bevölkerung vor dem KZ-Lager war auch berechtigt, weil das einmal völlig in das Ermessen der von Himmler geleiteten Polizeibehörden gelegt war, ob jemand in ein KZ-Lager verbracht wurde, weil ferner keine richterliche Instanz vorhanden war, welche eine Nachprüfung der Vorwürfe ermöglicht hätte, wegen deren die Verbringung in das KZ-Lager erfolgt war, und endlich, und das ist der Hauptgrund, weil es völlig in das Belieben der KZ-Behörden gelegt war, auf wie lange Zeit man in das Lager gesteckt wurde.

Die Anklagebehörde hat weiterhin geltend gemacht, Speer habe den Einsatz von KZ-Häftlingen in der Rüstung fortgesetzt, nachdem er sich durch einen Besuch im Lager Mauthausen von den dort herrschenden Zuständen Kenntnis verschafft hätte. Daß dies nicht der Fall war, ist durch die Aussage des Angeklagten über diesen Punkt erwiesen. Da es sich nur um einen flüchtigen Besuch handelte, dessen Zweck lediglich war, die Lagerverwaltung anzuweisen, von ihr verbotswidrig unternommene Arbeiten, die reinen Friedenszwecken dienten, einzustellen und die Arbeitskräfte statt dessen für die Rüstungsindustrie zur Verfügung zu stellen, konnte der Angeklagte Speer nur einen oberflächlichen Einblick in die Lebensbedingungen im Lager gewinnen. Es kann insofern auf seine Bekundungen darüber verwiesen werden.

Durch Zeugen der Anklage ist ferner eingehend darauf hingewiesen worden, daß bei derartigen Besuchen hochgestellter Persönlichkeiten in KZ-Lagern diese nur von der besten Seite gezeigt wurden und daß irgendwelche Anzeichen von Grausamkeiten und so weiter sorgfältig entfernt wurden, damit der Besuch keinen ungünstigen Eindruck von dem Lager erhielt. – Vergleiche die Aussage des Zeugen Blaha vom 14. Januar 1946.

Im Anschluß an diese Frage soll der weitere Vorwurf der Anklage behandelt werden, der sich damit befaßt, Speer habe für von Hitler angeordnete Bauten von bombenfesten Flugzeugfabriken die Verwendung ungarischer Juden als Arbeitskräfte gebilligt. Hierzu ist auf die Bekundung des Zeugen Milch und des Zeugen Frank zu verweisen. Milch hat ausgesagt, daß Speer, der in dieser Zeit krank war, sich diesem Bau heftigst widersetzt hat, daß aber Hitler, der die Vornahme dieser Bauten forderte, mit ihren Ausführungen den Leiter der OT, Dorsch, vorerst unmittelbar beauftragte. Um nach außen hin die Kontroverse zwischen Hitler und Speer nicht in Erscheinung treten zu lassen, blieb Dorsch formell Speer unterstellt, in der Sache aber hatte er nur mit Hitler unmittelbar zu verhandeln und war ihm direkt unterstellt Daß et zu einer praktischen Durchführung dieser Bauabsichten nicht gekommen ist, hat Milch gleichfalls bekundet. Ich habe den Befehl Hitlers an Speer vom 21. April 1944 als Exhibit 34 eingereicht und auf Seite 52 meines Dokumentenbuches wiedergegeben.

Dieser Befehl zeigt deutlich, daß Hitler Dorsch als ihm unmittelbar Verantwortlichen bezeichnet, da die Nennung Speers, dem dir Abstimmung dieser Bauaufgaben mit den ihm unterstellten Bauplanungen zur Pflicht gemacht wird, rein formeller Natur war. Die Aussage des Feldmarschalls Milch wird weiter durch dieses Schreiben bestätigt. Zur Stützung der Ansicht der Anklage, daß der Angeklagte Speer mitgewirkt habe, daß Leute ins KZ-Lager kamen, wird eine Äußerung in einer Sitzung der Zentralen Planung vom 30. Oktober 1942 über die Bummelantenfrage herangezogen. In diesem Zusammenhang muß die Aussage des Angeklagten Speer als Zeuge betrachtet werden, worin er erklärt hat, daß auf diese Äußerung weder seitens der Zentralen Planung noch von ihm ein Schritt beim Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz unternommen worden ist, um diesem Übel abzuhelfen. Tatsächlich ist auch nichts erfolgt; erst im November 1943 hat Sauckel einen Erlaß gegen die Bummelanten erlassen. Unter Bummelanten versteht man diejenigen Arbeiter, die, um sich der Erfüllung ihrer Arbeitspflicht zu entziehen, Krankheit vorschützen oder die unter Vortäuschung von nicht stichhaltigen Gründen oder sogar ohne jeden Vorwand der Arbeitsstelle fernbleiben. Es kann hierbei nicht unerwähnt bleiben, daß die wirtschaftliche Kriegführung auch dieses Gebiet nicht außer acht ließ. Es wurde auf die verschiedenste Art und Weise versucht, die Arbeitsfreudigkeit der Arbeiter zu untergraben. Durch Flugblattabwurf und andere Nachrichtenmittel wurden den Arbeitern Ratschläge gegeben, wie sie sich krank stellen könnten, welche Mittel sie anwenden sollten, um bei ärztlicher Untersuchung erfolgreich Krankheiten vortäuschen zu können und anderes mehr; sie wurden aufgefordert, langsamer zu arbeiten und anderes mehr.

Zunächst hatte diese Propaganda nur vereinzelt Erfolg. Da solche Einzelfälle aber leicht auf die Arbeitsdisziplin einer ganzen Belegschaft ungünstigen Einfluß haben, wurde vom Angeklagten Speer die Möglichkeit eines polizeilichen Eingriffs besprochen. Irgendwelche Initiative, welche die Polizei zum praktischen Vorgehen veranlassen sollte, hat Speer nicht ergriffen. Es ist erst ein Jahr später vom Generalbevollmächtigten eine Verordnung erlassen worden, die dem Arbeitgeber zur Pflicht machte, zunächst Disziplinarstrafen anzuwenden. In besonders schweren Fällen konnte allerdings durch den Treuhänder der Arbeit Strafantrag gestellt werden. Auf Grund dieser Verordnung konnte auch Überweisung in ein Arbeitserziehungslager auf die Dauer von 56 Tagen ausgesprochen werden. Nur für ganz besonders schwere Fälle der Arbeitspflichtverletzung sah die Verordnung des GBA Überweisung in ein KZ-Lager vor. Es muß hier erwähnt werden, daß diese Verordnung für in- und ausländische Arbeiter in gleicher Weise galt, da keinesfalls die inländischen Arbeiter eine andere Behandlung erfahren sollten. Im Kreuzverhör des Angeklagten Sauckel hat die Französische Anklage das Dokument vorgebracht über eine Sitzung der Arbeitsbehörden Sauckels auf der Wartburg. Auf dieser Sitzung ist von dem Referenten für Arbeitsrechtsfragen beim GBA, Dr. Sturm, ein Vortrag über die Bestrafung von Arbeitern gehalten worden und dabei festgestellt worden, daß nur ein verschwindend geringer Prozentsatz der Arbeiter zu Strafen hätten verurteilt werden müssen. Daraus ergibt sich nun aber wieder, daß die Anklage keinen Beweis für die Behauptung erbracht hat, daß auf Grund der Sauckelschen Verordnung über die Bummelanten die KZ-Lager gefüllt worden wären, so daß es an dem schlüssigen Beweis dafür fehlt, daß Sauckel beziehungsweise der Angeklagte Speer durch ihre Maßnahmen dazu beigetragen hatten, die KZ- Lager zu füllen. In seiner Bemerkung vor der Zentralen Planung vom 22. Mai 1944 – Seite 49 meines Dokumentenbuches, Exhibit US-179 – hat Speer darauf hingewiesen, daß die entflohenen Kriegsgefangenen, die von der Polizei festgenommen werden, alsbald ihrer Arbeit wieder zugeführt werden mußten. Aus dieser Bemerkung ergibt sich die Grundeinstellung des Angeklagten Speer, der eben nicht diese entwichenen Kriegsgefangenen in ein KZ-Lager gesteckt wissen wollte, sondern verlangte, daß sie alsbald wieder in den Arbeitsprozeß eingeschaltet wurden. Einen stichhaltigen Beweis für die Behauptung, daß Speer die KZ-Lager habe füllen lassen, um von ihnen Arbeitskräfte zu bekommen, hat die Anklage nicht erbringen können.

Herr Präsident! Ich darf vielleicht jetzt auf die Frage eingehen, die zu Eingang meines Plädoyers von Ihnen an mich gerichtet wurde, nämlich die Bestimmung des Paragraphen 6 a des Statuts in Bezug auf den Angeklagten Speer in Bezug auf die Terminologie: »Führung eines Angriffskrieges«.

Ich möchte dazu folgendes bemerken: Das Statut stellt unter 6 a und als strafbaren Tatbestand unter anderem die Durchführung eines Angriffskrieges dar. Über die Definierung eines Angriffskrieges brauche ich mich hier ja nicht zu äußern, das hat bereits Professor Jahrreiss ausführlich getan. Es kommt hier wohl nur die Stellungnahme auf den Begriff der Durchführung eines Angriffskrieges an. Und da vertrat ich die Ansicht, daß einen Angriffskrieg nur durchführen kann der Inhaber der obersten Kommandogewalt. Alle anderen Beteiligten sind nur Geführte, mag auch die Beteiligung am Kriege einen wesentlichen Beitrag ausmachen. Infolgedessen kann im Falle des Angeklagten Speer der Tatbestand der Durchführung des Angriffskrieges nicht zur Anwendung kommen.

Ich möchte aber noch auf folgendes hinweisen:

In einer Sitzung – es mag am 28. Februar oder 1. März gewesen sein – wurde von einem der Herren Richter der Herr Oberrichter Jackson darauf hingewiesen, daß die Anklage seinerzeit die Ansicht vertreten habe, das Delikt des Angriffskrieges sei mit dessen Ausbruch für abgeschlossen zu erklären. Dieser Auffassung kann ich mich nur anschließen.

In der Beweisaufnahme habe ich ausführlich Gelegenheit erhalten, die Tätigkeit des Angeklagten Speer in der letzten Phase des Krieges ab Juni 1944 darzustellen.

Ich kann mich daher darauf beschränken, zu dieser ausführlicher chronologischen Schilderung jetzt den Nachweis zu erbringen, daß die gesamte Aussage Speers fast lückenlos durch Aussagen anderer Zeugen und durch Dokumente belegt ist. Die schriftlichen Zeugenaussagen, auf deren Verlesung vor Gericht ich verzichtet habe, sind völlig gleichlautend, obwohl die Zeugen aus den verschiedensten Lagern stammen und sich völlig unbeeinflußt geäußert haben.

Der Angeklagte Speer hat von Juni 1944 an eine einwandfreie Unterrichtung Hitlers über seine Produktionslage durchgeführt und hat dabei eindringlich darauf hingewiesen, daß der Krieg bei weiterem Fortschreiten im Produktionsrückgang verloren sei. Das beweisen die unter Speer-Exhibit Nummer 14, 15, 20, 21, 22, 23 und 24 eingereichten Denkschriften an Hitler. Wie der Zeuge, Generaloberst Guderian, der Chef des Generalstabs des Heeres, aussagte – Frage 6, Seite 179 meines Dokumentenbuches –, hat Hitler ab Ende Januar 1945 jede derartige Unterrichtung als Landesverrat bezeichnet und unter entsprechende Strafe gestellt. Trotzdem hat Speer, wie ebenfalls aus der Aussage von Guderian hervorgeht, immer wieder sowohl Hitler als auch ihm selbst gegenüber seine Ansicht über die Kriegsaussichten klar vorgetragen.

Hitler hatte es insbesondere untersagt, dritte Personen über die wahre Kriegslage zu unterrichten. Trotzdem gab Speer nach dem Erlaß der scharfen Zerstörungsbefehle Hitlers den Gauleitern und den Oberbefehlshabern verschiedener Heeresgruppen die Auskunft, daß der Krieg verloren sei und erreichte damit, daß wenigstens zum Teil die Zerstörungspolitik Hitlers aufgehalten wurde. Dies geht aus den Aussagen der Zeugen Hupfauer, Kempf und von Poser hervor.

Am 29. März 1945 erklärte Hitler Speer gegenüber, daß er an ihm die Konsequenzen zu vollziehen habe, die in diesen Fällen üblich seien, falls er weiter fortfahre, den Krieg für verloren zu erklären. Dieses Gespräch ist in der Aussage der Zeugin Kempf enthalten. Trotzdem fuhr Speer schon zwei Tage danach zu Seyß-Inquart, am 1. April 1945, um auch diesem zu erklären, daß der Krieg verloren sei. – Der Zeuge Seyß-Inquart und der Zeuge Schwebel haben bei ihrer Vernehmung am 11. Juni 1946 und am 14. Juni übereinstimmend ausgesagt, daß diese Besprechung mit Speer vom 1. April 1945 die Verhandlungen Seyß-Inquarts mit dem Generalstabschef des Generals Eisenhower, General Smith, ausgelöst habe. Dies führte schließlich zur unzerstörten Übergabe Hollands an die Alliierten.

Am 24. April 1945 flog Speer nochmals nach Berlin, das bereits belagert war, um Hitler davon zu überzeugen, daß der sinnlose Kampf aufgegeben werden müsse, wie dies aus der Aussage des Zeugen von Poser hervorgeht. Am 29. April 1945 hat Hitler Speer in seinem Testament abgesetzt – Dokument 3569-PS, Seite 87 des Dokumentenbuches Speer. Der amerikanische Hauptanklagevertreter, Herr Oberrichter Jackson, mußte daher dem Angeklagten Speer in seinem Kreuzverhör bestätigen, daß er wohl der einzige Mann gewesen sei, der Hitler uneingeschränkt die Wahrheit gesagt habe.

Für die Industrien Polens, des Balkans, der Tschechoslowakei, Frankreichs, Belgiens, Hollands hat die Anklagevertretung kein Material vorgelegt, daß in diesen Ländern bei dem deutschen Rückzug Zerstörungen vorgenommen wurden. Dies ist in erster Linie ein Verdienst des Angeklagten Speer, der die von Hitler angeordnete Zerstörung der Industrie dieser Länder verhinderte, zum Teil sogar durch fälschliche Auslegung vorhandener Befehle. Daß Speer bereits im Sommer 1944 der Überzeugung war, daß diese Zerstörung aus den gesamteuropäischen Interessen heraus verhindert werden mußte, geht aus der Aussage des Zeugen von Poser hervor. Es wäre bei sachgemäßer Durchführung leicht gewesen, die hochentwickelten Industrien der Länder Mittel- und des besetzten Westeuropas auf zwei bis drei Jahre völlig lahmzulegen und damit die gesamte industrielle Produktion und das zivilisatorische Leben dieser Völker, ja den Wiederaufbau aus eigener Kraft auf Jahre hinaus unmöglich zu machen.

Der Zeuge Seyß-Inquart hat bei seiner Vernehmung am 11. Juni 1946 ausgesagt, daß die vorbereitete Zerstörung von nur vierzehn Punkten in Holland die Lebensmöglichkeiten dieses Landes restlos zerstört haben würde. Die Zerstörung zum Beispiel aller Kraftwerke in diesen Ländern hätte eine ähnliche Wirkung hervorgerufen, wie die Zerstörung der zwei bis drei Kraftwerke im Donezgebiet durch die Sowjets im Jahre 1941 zeigte. Erst im Sommer 1943 konnte dort wieder trotz aller Bemühungen eine notdürftige Produktion beginnen.

Ähnliche und noch weitergehende Folgen standen bei Durchführung der Hitlerschen Befehle dem europäischen Kontinent bevor. Speer gab nach dem Gelingen der Invasion in diese besetzten Gebiete die Ermächtigung, keine Zerstörungen vorzunehmen, wie dies von den Zeugen von Poser, Kempf, Schieber, Kehrl, Rohland, Seyß-Inquart, Hirschfeld und durch Speer-Exhibit Nummer 16 bestätigt wird, Frage 12, Seite 112; Schieber für Oberitalien, Frage 25, Seite 119; Rohland für Luxemburg und Lothringen, Frage 5, Seite 157; Kempf für Balkan, Tschechoslowakei, Polnisch-Oberschlesien, Frankreich, Belgien, Holland, Luxemburg; Seyß-Inquart für Holland, Band XVI, Seite 19 des deutschen Protokolls; Hirschfeld für Frankreich, Belgien, Tschechoslowakei, Oberitalien, Ungarn, Balkan, Polen.

Sofort nach der Ernennung des Mitangeklagten Dönitz zum Nachfolger Hitlers hat er diesem Befehle vorgelegt, die jegliche Zerstörung in den noch besetzten Gebieten Norwegens, der Tschechoslowakei und Hollands untersagten, sowie ein Verbot der Werwolftätigkeit aussprachen, wie aus den Aussagen der Zeugen von Poser und Kempf hervorgeht.

Während in den besetzten Gebieten keine unmittelbare Zuständigkeit Speers für die Durchführung von Zerstörungen in der Industrie gegeben war, hatte er diese Aufgaben innerhalb der Grenzen des sogenannten Großdeutschen Reiches in eigener Verantwortung mit seinen Dienststellen durchzuführen.

Er mußte hier eine besondere Tätigkeit entfalten, um die von Hitler hartnäckig geforderte vollständige Zerstörung aller Sachwerte zu verhindern. Über diesen Vernichtungswillen Hitlers und seiner Gauleiter geben die Aussagen der Zeugen Guderian, Rohland, Hupfauer, von Poser, Stahl und Kempf Auskunft.

Das wichtigste Dokument hierzu ist das unter Speer-Exhibit Nummer 24 eingereichte Schreiben Speers an Hitler vom 29. März 1945, in dem Speer die Bemerkungen Hitlers bei der Unterredung am 18. März 1945 nochmals wiedergibt. – Dieses Dokument zeigt mit Deutlichkeit, daß Hitler sich die vollständige Zerstörung der Lebensgrundlagen des deutschen Volkes vorgenommen hatte. Dies Dokument dürfte für eine künftige Historiographie der Hitler-Zeit besonders aufschlußreich sein.

Im Zusammenhang hierzu ist die Zeugenaussage des Generaloberst Guderian zu lesen, der bestätigt, daß Hitler im Februar 1945

erstens: sein unvermeidliches Schicksal mit dem des deutschen Volkes verwechselte,

zweitens: den sinnlosen Kampf mit allen Mitteln fortsetzen wollte, und daß er dabei

drittens: die rücksichtslose Zerstörung aller Sachwerte befahl.

Guderian Seite 177, Seite 179 meines Dokumentenbuches.

Gleichzeitig konnten aber auch die Zerstörungs- und Räumungsbefehle Hitlers und Bormanns, die diese am Tage nach der Besprechung mit Speer folgen ließen und die von eindringlicher Deutlichkeit sind, dem Gericht als Dokument unter Speer-Exhibit Nummer 25 bis 28 vorgelegt werden.

Speer war bereits seit Mitte März 1944 dazu entschlossen, alles zu tun, um dem deutschen Volk bei dem unvermeidlich verlorenen Krieg die notwendigsten Lebensgrundlagen zu erhalten, wie es der Zeuge Rohland bestätigt. Er wiederholte diesen Entschluß mit steigender Gefahr seinen Mitarbeitern gegenüber immer dringlicher, wie die Zeugin Kempf, die Zeugen von Poser und Stahl für Juli/August 1944, und die Zeugen Stahl, Kempf und von Poser, Rohland und Hupfauer für die kritische Zeit ab 1945 bestätigen.

Unzählige Erlasse Speers, die sich mit der Erhaltung industrieller Anlagen befassen, herausgegeben zwischen September 1944 bis Ende März 1945, konnten dem Gericht lückenlos vorgelegt werden.

Sie waren zunächst ohne Autorisierung Hitlers herausgegeben, fanden aber durch geschickt vorgebrachte Illusion, daß das Gebiet wieder zurückerobert werden könnte, teilweise seine Billigung.

Daß Speer diese Illusion Hitlers bewußt dazu ausnützte, die Zerstörungen zu verhindern, ohne diese aber selbst zu teilen, beweisen die Aussagen Rohlands, Kempfs und von Posers und seine zahlreichen Denkschriften über die Kriegslage. Ab Anfang Februar 1945 ließ Hitler sich auf eine derartige Argumentation nicht mehr ein. Die Einleitung zu seinen Zerstörungsbefehlen vom 19. März 1945 zeigt im Gegenteil, daß er es für notwendig hielt, einer derartigen Argumentation entgegenzuwirken. Speer gab durch Gegenbefehle, so vom 30. März 1945 – Speer-Exhibit Nummer 29, Seite 81 des Dokumentenbuches – für alle Industrieanlagen, sowie vom 4. April 1945 für alle Schleusen und Talsperren Weisungen, entgegen den Absichten vorliegender Befehle Hitlers die Zerstörungen in der Industrie nicht vorzunehmen. Das bestätigen im übrigen die Zeugen Kempf, von Poser und Rohland.

Im Monat März ging vorübergehend die Befehlsgewalt zur Durchführung von Zerstörungen an Industrieanlagen und anderen Sachwerten von Speer an die Gauleiter über.

In dieser Periode hat Speer in offener Widersetzlichkeit gehandelt und durch Fahren in die gefährdeten Gebiete für eine Sabotage dieser Befehle gesorgt. So hat er zum Beispiel die vorhandenen Sprengstoffvorräte dem Zugriff der Gauleiter planmäßig entzogen, wie durch die Zeugen von Poser, Kempf und Rohland ausgesagt wurde, und hat ferner angeordnet, daß die sogenannten Industriesprengstoffe, die für Sprengungen verwandt wurden, nicht mehr hergestellt wurden, wie aus der Aussage des Zeugen Kehrl, des Chefs des Rohstoffamtes seines Ministeriums, hervorgeht.

Wichtig erscheint, daß Hitler von Speer eindringlich schriftlich auf die Folgen von Zerstörungen für die Zukunft des deutschen Volkes aufmerksam gemacht wurde, wie aus der unter Speer-Exhibit Nummer 23 eingereichten Denkschrift Speers vom 15. März 1945 hervorgeht. Hierin hat Speer festgestellt, daß mit den geplanten Zerstörungen von Industrieanlagen und Brücken, zum Beispiel des Ruhrgebietes, der Wiederaufbau Deutschlands aus eigener Kraft nach dem Kriege unmöglich gemacht würde. So hat Speer zweifelsohne das Hauptverdienst daran, daß heute der industrielle Wiederaufbau West- und Mitteleuropas schneller fortschreiten kann und daß in den Ländern Frankreich, Belgien und Holland nach deren neuesten Angaben bereits die Friedensproduktion des Jahres 1938 fast wieder erreicht werden konnte.

Speer war der für die Produktionsmittel, das heißt für die Fabriken und deren Einrichtungen verantwortliche Minister. Er saß damit an der Schaltstelle, durch die die Hitlerschen Absichten, die Zerstörungen durchzuführen, durchlaufen mußten. Wir haben in diesem Prozeß gesehen, wie sehr derartige Schaltstellen im autoritären System in der Lage sind, den Willen des Staatsoberhauptes in größter Breite durchzuführen. Es war eine glückliche Fügung, daß in der entscheidenden Zeit ein klar denkender Mann wie Speer die Stelle, von der die Industriezerstörungen ausgehen mußten, leitete.

Speer hat jedoch auch außerhalb dieses seines Aufgabenkreises mit zunehmender Verschärfung Maßnahmen ergriffen, um dem deutschen Volk den Übergang zu erleichtern und gleichzeitig den Krieg abzukürzen.

So versuchte Speer, die Zerstörung der Brücken zu verhindern. Jeder Deutsche weiß, daß bis in die letzten Tage des Krieges und bis in den letzten Winkel des Deutschen Reiches in unsinniger Weise Brücken zerstört wurden.

Trotzdem hatten seine Bemühungen zweifellos einen Teilerfolg. Die zahlreichen Besprechungen, die Speer hierüber mit den verschiedensten militärischen Befehlshabern hatte, werden von den Zeugen Kempf und Oberstleutnant von Poser bestätigt. Dieser Zeuge war Verbindungsoffizier Speers zum Heer und bei allen Frontreisen anwesend. Diese Besprechungen hatten einen teilweisen Erfolg. Schließlich versuchten der Chef des Generalstabs des Heeres, Generaloberst Guderian, und Speer, auf des letzteren Vorschlag hin, bei Hitler eine Abänderung seiner Zerstörungsbefehle für Brücken Mitte März 1945 zu erreichen, wie es der Zeuge Generaloberst Guderian bestätigt, jedoch ohne Erfolg.

Weil Speer wußte, welch unabsehbare Folgen diese Brückenzerstörungen haben mußten, gab er schließlich am 6. April 1945 unter dem Namen des Generals Winter vom OKW sechs Befehle heraus, die die Schonung von Brücken wichtiger Bahnlinien im Reich und des gesamten Ruhrgebietes veranlassen sollten. Diese eigenmächtigen Befehle wurden durch die Aussagen der Zeugen von Poser und Kempf bestätigt.

Als Speer Ende Januar 1945 feststellte, daß die Ernährungssicherung des deutschen Volkes auf weite Sicht und insbesondere die Frühjahrsbestellung für die Ernte 1945 gefährdet war, ließ er die Forderungen der von ihm vertretenen Rüstung und Produktion hinter die Interessen der Ernährung zurückstellen.

Daß dies nicht nur für die laufende Ernährung geschah, sondern um gerade nach der Besetzung durch die alliierten Truppen den Übergang zu erleichtern, geht aus den Aussagen der Zeugen Hupfauer, Kehrl, Rohland, von Poser, Riecke, des Staatssekretärs im Ernährungsministerium, Milch, Kempf und Seyß-Inquart hervor.

Als Speer erneut Grund für die Befürchtung zu haben glaubte, daß Hitler, veranlaßt durch engste Mitarbeiter aus Parteikreisen, im Herbst 1944 und dann im Frühjahr 1945 das moderne Giftgas anwenden würde, stellte er sich dem entschieden entgegen, wie aus seinem Kreuzverhör durch den amerikanischen Anklagevertreter, Herrn Oberrichter Jackson, und aus der Aussage des Zeugen Brandt hervorgeht. Die Aussage Speers, daß aus dieser Befürchtung heraus bereits im November 1944 auf seine Veranlassung die deutsche Giftgasproduktion stillgelegt wurde, wird durch den Zeugen Schieber bestätigt. Speer hat gleichzeitig festgestellt, daß aber auch die militärischen Stellen einmütig gegen einen derartigen Plan eingestellt waren.

Schließlich hat der Angeklagte Speer ab Ende Februar 1945 durch Planung von Komplotten versucht, dem Krieg ein schnelleres Ende zu bereiten.

Sowohl aus den Aussagen des Zeugen Stahl wie auch aus denen des Zeugen von Poser geht hervor, daß Speer noch andere Gewaltmaßnahmen plante. Oberrichter Jackson hat ebenfalls im Kreuzverhör Speers festgestellt, daß der Anklage noch weitere Pläne, die unter Führung Speers durchgeführt werden sollten, bekannt seien.

Die politische Haltung Speers wird neben allen diesen Handlungen durch zwei Tatsachen beleuchtet:

Erstens: In der Denkschrift Speers an Hitler, die unter Exhibit 1 eingereicht wurde, stellt dieser fest, daß er von Bormann und Goebbels als parteifremd und parteifeindlich bezeichnet werde und daß ihm eine Weiterarbeit nicht möglich sei, wenn er und seine Mitarbeiter mit parteipolitischen Maßstäben gemessen werden.

Zweitens: Am 20. Juli 1944 wurde Speer von den Putschisten in der Regierungsliste weiter als Rüstungsminister aufgeführt, und zwar als einziger Minister des hitlerischen Systems, wie die Zeugen Ohlendorf, Kempf und Stahl aussagen.

Ist es möglich, daß diese Kreise Speer als Minister vorgesehen hätten, wenn er nicht seit langem als anständiger, unpolitischer Fachmann im In- und Ausland gegolten hätte? Ist nicht gerade die Tatsache, daß er als einer der engsten Mitarbeiter Hitlers zu dieser Tätigkeit vorgesehen war, weiter ein Zeichen für die Hochachtung, die ihm die Opposition entgegenbrachte?

Meine Herren Richter!

Lassen Sie mich noch einige grundsätzliche Worte zu dem Fall Speer sagen. Als der Angeklagte mit 36 Jahren das Amt des Ministers übernahm, befand sich sein Land in einem Kampf auf Leben und Tod. Der ihm übertragenen Aufgabe konnte er sich nicht entziehen. Er setzte seine ganze Energie zur Lösung der Aufgabe ein, die fast unlösbar schien. Die Erfolge, die er dabei erzielte, trübten nicht seinen Blick für die wirkliche Lage der Dinge. Zu spät erkannte er, daß Hitler nicht an sein Volk, sondern nur an sich selbst dachte. In seinem Buch »Mein Kampf« hat Hitler geschrieben, daß eine Regierung eines Volkes sich stets bewußt bleiben müsse, daß sie das Volk nicht in das Verderben reißen dürfte. Sie hätte dann vielmehr die Pflicht, so rechtzeitig abzutreten, daß das Volk weiterleben könne. Derartige Grundsätze galten bei Herrn Hitler natürlich nur für Regierungen, an denen er nicht beteiligt war. Für sich selbst aber vertrat er den Standpunkt, daß, wenn das deutsche Volk diesen Krieg verliere, hätte es sich als das schwächere erwiesen und keine Lebensberechtigung mehr. Gegenüber dieser brutalen Ichsucht hatte Speer auch das Gefühl bewahrt, daß er Diener seines Volkes und Staates sei. Ohne Rücksicht auf seine Person, ohne Bedacht auf seine Sicherheit, handelte Speer so, wie er es seinem Volke gegenüber für seine Pflicht hielt.

Speer mußte Hitler verraten, um seinem Volk die Treue zu halten. Der Tragik, die in diesem Schicksal liegt, wird niemand seine Achtung versagen können.

VORSITZENDER: Ich rufe jetzt Dr. von Lüdinghausen auf, den Verteidiger des Angeklagten von Neurath.

DR. OTTO FREIHERR VON LÜDINGHAUSEN, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN VON NEURATH: Euer Lordschaft, meine Herren Richter! »Noch nie ist mir der Krieg so verabscheuungswürdig erschienen.« Dieses Wort schrieb Napoleon Bonaparte im Jahre 1799 an das Direktorium in Paris nach der siegreichen Einnahme von Jaffa, wo er 2000 gefangene Türken hatte erschießen lassen. Dieses Wort eines der größten Kriegsmänner aller Völker enthielt die absolute Verurteilung nicht nur des Krieges an sich, sondern auch aller seiner damals noch für unvermeidlich, aber erlaubt gehaltenen Mittel der Kriegführung. Und die in diesem Wort liegende Erkenntnis seiner ethischen Verurteilung des Krieges ist nicht umsonst gesprochen worden. Schon in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts setzten die Bestrebungen moralisch und ethisch hochstehender Persönlichkeiten ein, um wenigstens etwas die Furchtbarkeiten des Krieges zu mildern und auszuscheiden. Die Gründung des Roten Kreuzes in Genf war der erste sichtbare und weithin leuchtende Erfolg dieser Bestrebungen, die erste Frucht des Napoleonischen Wortes. Dieses Wort ist aber auch, ich möchte sagen, die eigentliche Geburtsstunde des heutigen Gerichtsverfahrens. Auch dieses ist ja verursacht und diktiert von dem Bestreben, nicht nur den Krieg in der Art seiner Führung, in der Freiheit der Anwendung seiner Mittel und Handlungen zu beschränken, sondern darüber hinaus Mittel und Wege zu finden, den Krieg überhaupt aus den Beziehungen der Völker zueinander als ein Mittel der Politik auszuschalten. Es erstrebt das gleiche hohe Ziel, auch im Völkerleben, im Neben- und Miteinanderleben der Staaten, ein internationales Recht zu schaffen, dem sich alle Staaten und Völker, soweit sie als Kulturstaaten angesprochen zu werden wünschen, unterwerfen, an das sie ebenso gebunden sind, wie der einzelne Staatsangehörige an das von seinem Staate für das Zusammenleben seiner Angehörigen gegebene Gesetz. Und wenn Sie alle, meine Herren Richter, wenn die ganze Welt es verstehen wird, wie unsagbar schmerzvoll es für uns Deutsche ist, daß gerade ein von unserem deutschen Staat und Volk geführter Krieg diesen Versuch, ein solches internationales Recht zu schaffen, ins Leben gerufen hat, so haben mein Klient, der Angeklagte Freiherr von Neurath, und ich doch nicht anders gekonnt, als diesen in diesem Gerichtsverfahren liegenden Versuch zu begrüßen, denn der oberste Leitfaden für die ganze amtliche Tätigkeit meines Klienten vom ersten bis zum letzten Tage war das Bestreben, Kriege zu verhindern, dem Frieden zu dienen. Und ich stehe nicht an, diese Tatsache besonders zu betonen, trotzdem mein Klient auf Grund eines völlig neuen Rechtssatzes heute vor diesem Gericht steht. Denn zum ersten Male in der Geschichte soll ja hier der Gedanke verwirklicht werden, daß der oder die Staatsmänner eines Volkes für die von ihnen verursachter Angriffskriege und die in einem solchen zur Anwendung gelangten inhumanen und grausamen Mittel persönlich verantwortlich und strafbar sind. Dieser durch dieses Hohe Gericht zu verwirklichende Gedanke ist als Rechtssatz ein absolutes Novum in der Geschichte des Völkerrechts. Aber wenn das heutige Gerichtsverfahren und das ihm zugrunde liegende Statut nicht nur ein einmaliges, nur auf diesen einen Fall, das heißt den soeben beendeten Krieg berechnetes und bestimmtes Verfahren ist, wenn es nicht nur aus dem Gedanken der Vergeltung für den Siegerstaaten angetane Übel und Schäden geboren und deren Befriedigung zu dienen bestimmt, sondern wenn es wirklich aus dem Willen und dem Entschluß entsprungen ist, durch die Stipulierung der persönlichen Verantwortlichkeit der Staatsmänner der Völker den Krieg an sich und seine Grausamkeiten überhaupt auszuschalten, dann bedeutet es wirklich eine von jedem Friedensfreunde aus ehrlichster Überzeugung zu begrüßende Tat. Zudem enthält es zwei Momente, die geeignet erscheinen, die ganze bisherige Handhabung und Führung der Außenpolitik der Staaten der Erde zu revolutionieren und auf eine neue, ethisch zweifellos höhere Basis zu stellen.

Seit altersher, schon seit Perikles berühmter Rede und Platos Lehre vom Staat, war und ist es das oberste, fast möchte ich sagen, einzigste Postulat für die Politik eines Staatsmannes und seiner Beurteilung in der Geschichte, alles daran zu setzen, seinem Volk den seiner Führung anvertrauten Staat, das für seine Existenz, für die Erhaltung und Verbesserung seiner Lebensbedingungen, seiner Machtstellung unter den Völkern Höchstmögliche zu erreichen, gleichgültig mit welchen Mitteln. Jedes Volk der Erde hat in seiner Geschichte Staatsmänner, die von diesem Standpunkt aus als Heroen, als leuchtende Vorbilder, gefeiert und geehrt, als solche in die Geschichte eingegangen sind, nur weil sie Erfolg gehabt haben, ohne zu prüfen, ob die von ihnen zur Erreichung des Erfolges angewandten Mittel mit den ethischen Grundsätzen nicht nur der christlichen, sondern aller hochstehenden Sittenlehren im Einklang standen oder nicht. Dieser Maxime stellt das Statut dieses Hohen Gerichtshofs eine neue Maxime entgegen, in dem es schlechthin jeden Angriffskrieg in der Person des für ihn verantwortlichen Staatsmannes für strafbar erklärt, ganz ohne Rücksicht darauf, ob dieser Angriffskrieg erfolgreich war oder nicht. Das bedeutet aber nichts anderes als die Unterwerfung jeder, auch der erfolgreichsten und sieghaftesten Staatsführung unter das Sittengesetz der Verwerflichkeit jeder Gewaltanwendung als Mittel der Politik. Es bedeutet aber auch gleichzeitig, wenn dies einen praktischen Sinn und Erfolg haben soll, die Unterwerfung jeder Staatsführung unter die Nachprüfung und Verurteilung seitens der übrigen Kulturstaaten der Erde, wobei nach dem Statut dieses Hohen Gerichts dieser Nachprüfung und eventuellen Verurteilung auch innerpolitische Maßnahmen unterliegen, in denen nachträglich Vorbereitungshandlungen für diesen Krieg erblickt werden. Es würde zu weit führen, die sich hieraus ergebenden Konsequenzen zu erörtern, es muß dies vielmehr den Staatsrechtlern und der weiteren Entwicklung überlassen bleiben, und ich möchte mich daher beschränken, nur auf eine Konsequenz hinzuweisen, nämlich die, daß diesem Urteil eines künftigen Völkergerichtshofs und damit der Möglichkeit der Bestrafung des oder der für den Angriffskrieg verantwortlichen Staatsmänner wegen der Planung, Vorbereitung und Durchführung eines Angriffskrieges auch dann unterliegen, wenn dieser siegreich war. Vielleicht liegt hierin das Hauptgewicht, die größte Ethik der neuen in dem Statut niedergelegten Bestimmungen und Grundsätze. Wenn ich dieses Moment besonders hervorhebe, so geschieht dies nicht etwa, weil mein Klient oder ich daran zweifeln, daß die Verfasser dieses Statuts sich dieser Konsequenzen ebenfalls voll und ganz bewußt gewesen sind. Daß aber dieser neue Gedanke im internationalen Recht und von den alliierten Regierungen erstmalig nicht durch ein Machtdiktat, sondern in einem mit allen Kautelen der Objektivität und Unparteilichkeit ausgestatteten Gerichtsverfahren vor der Weltöffentlichkeit zur Anwendung gebracht werden soll, darin sehen mein Klient und ich den Beweis dafür, daß dieses Verfahren geboren ist und getragen wird von den idealen Bestrebungen, die Menschheit von der Geißel des Krieges zu befreien. Und wenn auch von seiten meines Klienten und mir selbst keineswegs verkannt wird, daß das Statut und dieses auf ihm beruhende Gerichtsverfahren in dem wichtigen Punkte, daß Hier über mancherlei Handlungen abgeurteilt und gestraft werden soll, die zur Zeit ihrer Begehung unstreitig durch kein Gesetz, auch keinen Präjudizfall unter Strafe gestellt waren, in schroffem Gegensatz zu den Rechtsgrundsätzen aller demokratischen Staaten, zu jedem demokratisch-liberalen Rechtsprinzip steht, werden mein Klient und ich doch getragen von der Überzeugung, daß dieses Hohe Gericht seiner Urteilsfindung nicht nur zusammenhanglose, aneinandergereihte einzelne Handlungen, einzelne nackte Tatsachen zugrunde legen, sondern mit ganz besonderer Gewissenhaftigkeit die ihnen zugrunde liegenden Motive und Absichten jedes einzelnen Angeklagten untersuchen und prüfen werde. Und wenn Sie dann, meine Herren Richter, wovon ich überzeugt bin, werden feststellen müssen, daß mein Klient vom ersten bis zum letzten Tage seiner amtlichen Tätigkeit, sei es als Reichsaußenminister, sei es als Reichsprotektor, nur von dem einen Wunsch erfüllt, sein ganzes Tun und Handeln nur von dem Bestreben diktiert war, einen Krieg und seine Grausamkeiten zu verhindern, den Frieden zu erhalten, daß er gerade durch sein Verbleiben im Amt lediglich diesem seinem Bemühen diente, durch seinen Einfluß den Krieg und seine Unmenschlichkeiten zu verhindern und er erst dann von seinem Posten zurücktrat, als er einsehen mußte, daß alle seine Bemühungen vergeblich blieben, daß der Wille und Entschluß des Obersten Staatslenkers, das heißt Hitlers, zum Kriege stärker war als er, dann kann unmöglich in der Tatsache seiner Zugehörigkeit und seines Verbleibens in der Reichsregierung bis zu diesem Moment eine Billigung, geschweige denn Mitwirkung und Mittäterschaft bei der Planung, Vorbereitung oder Führung des Krieges erblickt und ihm die Mitverantwortung für den Krieg oder gar für in diesem begangene Grausamkeiten und Unmenschlichkeiten auferlegt werden.

Gerade der hier zum mindesten im Internationalen Recht und von demokratischen Staaten erstmalig zur Anwendung gelangende Rechtssatz, daß eine bereits begangene Tat erst nachträglich durch ein Gesetz unter Strafe gesetzt werden kann, verlangt zur Verurteilung des Angeklagten gebieterisch die Prüfung und Beantwortung der Frage der subjektiven Schuld des Angeklagten, das heißt das Bewußtsein nicht nur der Amoralität und der angeblichen Strafbarkeit der betreffenden Tat, sondern auch des Willens zur Begehung der Tat oder zum mindesten zur aktiven Beihilfe trotz dieses Bewußtseins. Die Nichtberücksichtigung dieses Postulats würde das ganze Verfahren nicht nur seiner hohen ethischen Bedeutung entkleiden, sondern der Willkür Tür und Tor öffnen und in der Welt ein solches Gerichtsverfahren nicht als ein wirkliches Gericht im wahrsten und tiefsten Sinne dieses Wortes erscheinen lassen, sondern nur als ein in die Robe des Gerichts gekleidetes Machtdiktat.

Eine ungeheuere Verantwortung, so groß wie noch keinem Gericht der Welt, ist damit auf Ihre Schultern gelegt. Sie sollen, meine Herren Richter, nach dem Willen und dem Gedanken des Vaters dieses Prozesses, des für die gesamte Welt viel zu früh verstorbenen Präsidenten Roosevelt, den ersten Grundstein legen für den Friedenstempel der Völker der Erde. Sie sollen das Fundament bauen zur Erreichung des ihm vorschwebenden Ideals des ewigen Friedens. Auf Ihrem Urteil sollen die kommenden Geschlechter weiterbauen. Sie sollen die Richtlinien für die Zukunft geben, nach denen die, die nach uns kommen, weiterstreben sollen nach diesem hohen Ziel. Nicht einen Präzedenzfall sollen Sie schaffen, nicht einen Einzelfall sollen Sie richten und die nach Ihrem Urteil schuldigen Männer bestrafen, sondern Sie sollen die fundamentalen Grundsätze eines neuen internationalen, in Zukunft die Welt beherrschenden Völkerrechts niederlegen. Dies allein, diese Ihnen gestellte Aufgabe gibt diesem Gericht seinen Sinn, seine Rechtfertigung und seine hohe ethische Weihe, vor der wir uns beugen. Zugleich aber liegt hierin die Erkenntnis, daß das über die Angeklagten von Ihnen zu fällende Urteil nicht ein Urteil im gewöhnlichen Sinne, nicht nur ein Richterspruch über einzelne Angeklagte und ihre Taten ist, sondern das fundamentale neue Gesetz selbst, aus welchem alle späteren Gerichte Recht schöpfen, nach dem diese ihre Urteile fällen sollen.

Ihnen, meine Herren Richter, obliegt daher die Aufgabe, die Vorschriften des Statuts in prinzipieller Form auszulegen, die Regeln und Grundsätze aufzustellen für die praktische Anwendung des Statuts in aller Zukunft. Die Verantwortung, die Sie damit vor der Geschichte übernehmen, stellt Sie vor die Entscheidung zweier grundlegender Fragen, deren Beantwortung um so schwerwiegender ist, als der in dem Statut verankerte, den rechtlichen Grund der Anklage bildende Rechtsbegriff der Conspiracy nicht nur der Mehrzahl der Völker, vor allem der europäischen, ein fremder ist, sondern auch in seiner bisherigen Anwendung in dem einen oder anderen Lande erwachsen ist aus der Bekämpfung von gemeinen Verbrechen und Vergehen gegen rein innerstaatliche Gesetzesvorschriften, und nur dieser galt. Zwangsläufig ergibt sich hieraus das Postulat, daß die Art und Weise der Auslegung und Anwendung dieses Rechtsbegriffes im Völkerrecht nie und nimmer die gleiche sein kann und darf wie bei der Bekämpfung gemeiner Verbrecherbanden, die sich vergangen haben gegen die jeweilige soziale Ordnung eines Staates und gegen die zu deren Schulz erlassenen Gesetze. Bei letzteren handelt es sich durchweg um mehr oder weniger amoralisch Veranlagte oder aus Eigennutz, Geldgier oder sonstigen unsittlichen Instinkten handelnde Einzelpersonen, die sich außerhalb der bestehenden Gesellschaftsordnung stellen. Im Völkerrecht handelt es sich aber letzten Endes, vor allem soweit Angriffskriege in Frage kommen, nicht so sehr um den oder die einzelnen Staatsmänner, sondern um ganze Völker. Die Zeiten des absoluten Fürstentums, in denen allein der Wille des Herrschers die Geschicke und Handlungen eines Volkes bestimmten, sind endgültig vorbei. Ohne oder gar gegen den Willen oder auch nur die stillschweigende Zustimmung des Volkes, zum mindesten seiner Mehrheit, ist heute wohl kein ausgesprochener Alleinherrscher, kein allmächtiger Despot mehr denkbar. Und so sitzt denn auch hier, es muß dies einmal ausgesprochen werden, unsichtbar hinter den Angeklagten auch unser armes, geschlagenes und gequältes deutsches Volk auf der Anklagebank, das einen Mann auf den Schild hob und zu seinem Führer machte, der es ins Verderben stürzte. Zwangsläufig ergibt sich hieraus die unabweisbare Forderung, daß hier, anders als bei der Conspiracy gewöhnlicher Verbrecher, bei der Anwendung des Begriffes der Conspiracy im Völkerrecht in allererster Linie untersucht und geprüft werden muß, wieso es überhaupt dazu kam, dazu kommen konnte, daß ein geistig hochstehendes Volk, das der Erde so viel Großes an Kultur und Geistesgütern geschenkt hat wie das deutsche Volk, überhaupt einem Manne wie Hitler zujubelte, ihm in den blutigsten aller Kriege folgte und ihm sein Letztes und Bestes gab. Nur dann, wenn Sie, meine Herren Richter, dies in den Kreis Ihrer Erwägungen einbeziehen, diese Frage untersuchen, können Sie auch hinsichtlich der einzelnen Angeklagten selbst, schon aus Gründen der Verschiedenartigkeit zu einem gerechten Urteil gegen die einzelnen kommen, das vor der Geschichte Bestand hat. Und so habe ich es denn nicht nur für mein Recht als Verteidiger meines Klienten, des Angeklagten von Neurath, sondern auch für meine Pflicht als Deutscher gehalten, Ihnen in ganz großen Zügen die Erklärung für diese, der außerdeutschen Welt unerklärlichen Tatsache der Nazi-Herrschaft zu geben, Ihnen vor Augen zu führen, wie es infolge der Auswirkungen des Versailler Vertrags und nicht zuletzt seiner Handhabung hierzu gekommen ist, ja mit geschichtlicher Notwendigkeit hierzu kommen mußte.

Nachdem in den weltumspannenden Kämpfen seiner großen Kaiser nach dem Tode der letzten derselben, des Kaisers Friedrich Barbarossa, die Königsgewalt zugrunde ging, ging mit diesem Zerfall zugleich auch das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit, das nationale Bewußtsein wieder mehr und mehr verloren, und es erhob wieder die alte Hydra der Uneinigkeit der deutschen Stämme ihr vielköpfiges Schlangenhaupt. Auf den zerfallenen Trümmern des deutschen Königtums entstand eine neue Welt partikularistischer, territorialer Gewalten. Geistliche und weltliche Fürsten, Reichsstädte, Grafen und Ritter bildeten im Laufe der nächsten Jahrhunderte ein formloses wirres Mosaik unfertiger größerer, kleinerer und kleinster Staatengebilde, das jedes einheitliche Staats- und Volksgefühl untergrub und erstickte, Fürsten, Adel, Bürger und Bauern gingen ein jeder eigene Wege. Partikularistische, selbstsüchtige Interessen der einzelnen Stände vereitelten alle Versuche, die Fülle der schöpferischen Kräfte im deutschen Volke politisch zu ordnen, die zerfallende Staats- und Volkseinheit in irgendeiner Form wieder aufzurichten. Zu alledem kam um die Wende des 15. Jahrhunderts noch ein Ereignis, das vielleicht die größte Tragik in der Geschichte des deutschen Volkes ist: Die aus dem tiefsten Urgrund deutschen Religionsgefühls, deutschen religiösen Denkens und Fühlens geborene Reformation Luthers. Aber anstatt daß diese Reformation die deutschen Stämme wieder zusammenschloß, wieder in dem in Hunderte kleine Teile zerspaltenen Volk ein gemeinsames Ideal und damit das Bewußtsein einer Volksgemeinschaft weckte, trug sie in dieses arme zerrissene Volk unter und durch den Einfluß eines zwar wieder mächtigen, aber dem deutschen Wesen und der aus diesem geborenen Reformation verständnislos, ja feindselig gegenüberstehenden deutschen Kaisers einen noch größeren, tieferen Zwiespalt hinein, den Zwiespalt des Glaubens. Denn mit Feuer und Schwert versuchte Karl V. diese von ihm als ketzerisch, also sündhaft empfundene Reformation zu bekämpfen und führte damit das deutsche Volk in die dunkelste Stunde seiner Geschichte hinein. In den folgenden Religionskriegen kehren Deutsche die Waffen gegen Deutsche, vergessen ihre deutsche Zusammengehörigkeit so weit, daß sie fremde Völker gegen die eigenen Stammesgenossen zu Hilfe rufen, Seite an Seite mit diesen sich selbst zerfleischen. Mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges ist Deutschland, des deutschen Volkes Ohnmacht endgültig besiegelt. Es wird zum Spielball und Gelüste seiner Nachbarn, zum willkommenen Kriegsschauplatz fremder Völker. Und das alles zu einer Zeit, als das englische Volk unter seiner genialen Königin Elisabeth und kurz nach dieser unter Oliver Cromwell und einem verantwortungsbewußten, vom Volke frei gewählten Parlament den Grundstock legte zu seiner späteren Weltmacht. Zu einer Zeit, als das französische Volk unter einem tatkräftigen, machtvollen Königtum nach Niederwerfung seiner Feudalherren längst zu einer völligen Einheit, zu einer Nation zusammengeschweißt war. In Deutschland aber erstarrte jeder deutsche Gedanke: Mit der durch die langen Kriege verursachten Verarmung versank jedes nationale Bewußtsein, nicht nur auf politischem, sondern auch auf geistigem Gebiet, selbst in seiner Sprache. Mit fremden Idiomen verbrämte jetzt das Volk seine alte Sprache, und seine Denker schrieben französisch oder lateinisch. Über den kleinen Sorgen eines armseligen Tages geht der Masse des deutschen Volkes auch die letzte Erinnerung an die Reichshoheit vergangener Jahrhunderte verloren. Fremd und nicht mehr verstanden ragen die Zeugen vergangener deutscher Bürgerherrlichkeit, die gotischen Dome, in die verwandelte Welt. Ein jeder lebte nur für sich, für seine arme kleine Existenz. War es ein Wunder, daß auf solchem verelendeten Boden unter den Ausstrahlungen des bewunderten französischen Königtums an fast allen deutschen Höfen bis herab zu den kleinsten Herrschaften ein Absolutismus erwuchs, der es diesen größeren und kleineren Herren ermöglichen sollte, den Sonnenkönig Frankreichs nachzuahmen. Erst als das deutsche Volk sich zu Beginn des vorigen Jahrhunderts im Bunde mit anderen Völkern gegen die napoleonische Fremdherrschaft erhob, erwachte in diesen Befreiungskriegen wieder das Bewußtsein einer deutschen Volksgemeinschaft, erwachte wieder der seit acht Jahrhunderten trotz allem tief im Volke schlummernde Wunsch nach dem Wiedererstehen der alten Herrlichkeit eines geeinten und geachteten Reiches deutscher Nation in neuer Form. Doch erst nach jahrzehntelangen Mühen und Enttäuschungen wurde vor nunmehr 75 Jahren dieser Sehnsuchtstraum zur Wirklichkeit, entstand wieder ein geeintes Deutsches Reich in neuer Form. In dieser Stunde erst aber wurde auch zum erstenmal in seiner Geschichte das deutsche Volk durch die neue Reichsverfassung herangezogen, um mitzuraten und mitzutaten bei der Lenkung dieses neuen Reiches, wurde ihm mit diesem Recht zugleich auch die Pflicht zur Mitverantwortlichkeit an der Staatsführung auferlegt. So begeistert und freudig es dieses Recht auch begrüßte, so wenig vermochte es doch auf Grund seiner Vergangenheit sogleich die ungeheure Schwere dieser Pflicht zu ermessen. Ist es nicht auch wahrlich zuviel verlangt, daß ein seit Jahrhunderten in seiner Masse von jeder Mitbeteiligung an der Lenkung seines Staates und Geschickes ferngehaltenes Volk in wenigen Jahren das lernen soll, was die übrigen Völker allmählich in Jahrhunderten erlernten, zu einem selbstverständlichen Bestandteil ihres Daseins, ihres Denkens, Handelns und Fühlens gemacht hatten. Es war kein geringerer als einer der führenden Männer der ältesten Demokratie der Welt, der britische Lord-Präsident des Rates, Stanley Baldwin, der in seiner Unterhausrede vom 11. März 1935 die Demokratie als die schwierigste Regierungsform bezeichnete, die nur dann funktionieren kann, wenn das ganze Volk verständnisvoll zu denken und wohlerwogene Meinungen zu bilden vermag und sich nicht durch Propaganda und Gefühle mitreißen läßt. Hier liegt der fundamentale, durch keine Dialektik wegzuwischende Unterschied zwischen dem deutschen Volk und den übrigen westlichen Völkern, aus dem sich zum größten Teil auch die Entwicklung der Dinge in den letzten sieben Jahrzehnten erklärt. Ein ganzes Volk, mag es noch so begabt und tüchtig sein, kann man nicht wie einen einzelnen Menschen in einer kurzen Zeitspanne von 50 Jahren schulen und zur Vollendung auf einem ihm bis dahin fremden Gebiet erziehen. Nur durch Erfahrung, nur ganz allmählich und langsam wächst politisches Denken, wächst der Sinn, der Instinkt und die Gabe für die Erkenntnis dessen, was richtig ist, wächst die Urteilskraft für das, was dem ganzen Volk und Staat dient, wächst die Kenntnis und das Verständnis der Zusammenhänge im politischen und sozialen Leben, wächst endlich auch die Erkenntnis, daß jeder einzelne für sich selbst mitverantwortlich ist für das, was für und im Namen seines Volkes geschieht. Unerbittlich bewährt sich das Fortwirken der Vergangenheit in der Gegenwart auch in der Geschichte solcher Völker, welche an dieses historische Gesetz nicht glauben oder nicht glauben wollen. Unabwendbar mußte sich die jahrhundertelange Nichtbeteiligung und damit das Fehlen jedweder Mitverantwortlichkeit an der Regierung im deutschen Volk zunächst dahin auswirken, daß es den Männern, die mit der Führung beauftragt waren, vertrauen zu können glaubte, zumal wenn diese Führung besonders auf außenpolitischem Gebiet in der Hand eines Staatsmannes wie Bismarck lag, unter dem das junge Reich unbestreitbar auf allen Gebieten, vornehmlich dem der Wirtschaft, des Wohlstandes, aufblühte, unter dem es eine Periode des segensreichsten Friedens erlebte wie schon lange nicht mehr. Gläubig und unerfahren wie es noch war, glaubte es, dieses gleiche Vertrauen auch den Nachfolgern eines Bismarck entgegenbringen zu dürfen. Aber wenn auch auf dem Gebiete der inneren Politik sich allmählich mancherlei Widerspruch, gegen die von diesen eingeschlagene Politik regte, so war das deutsche Volk in seiner großen Masse auf dem Gebiet der äußeren Politik felsenfest von der Überzeugung durchdrungen, daß auch die neuen Männer nicht von den von Bismarck gewiesenen friedlichen Bahnen abweichen würden. Die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der von ihnen betriebenen Außenpolitik zu erkennen, war das deutsche Volk in seiner Unerfahrenheit angesichts der überall herrschenden Geheimdiplomatie gar nicht zu beurteilen in der Lage. Es kam ihm daher in seiner großen Masse überhaupt nicht der Gedanke, konnte ihm auch nicht kommen, daß die von den Nachfolgern Bismarcks betriebene Politik zu einem Kriege führen könne. Ihm selbst lag der Gedanke an einen Krieg weltenfern. Es hatte keinen anderen Wunsch, keine andere Sehnsucht, als im Frieden seiner Arbeit, dem inneren Ausbau seines wiedererlangten jungen Reiches, dem Wachsen seines Wohlstandes zu leben.

Es gab nichts außerhalb dieses Wunsches, was des Blutes seiner Söhne wert gewesen wäre. Völlig fassungslos stand es denn auch dem Ausbruch des ersten Weltkrieges gegenüber, und es begriff überhaupt nicht, wie man ihm angesichts des offenkundigen Bemühens seines Kaisers um die Erhaltung des Friedens von fremder Seite die alleinige Schuld an diesem Kriege beimessen zu können glaubte. In tiefstem Ernst, getragen von der heiligsten Überzeugung, daß es nur galt, die Heimat, Weib und Kind gegen unprovozierte Angriffe feindlicher Mächte zu verteidigen, griff es zu den Waffen. Und aus demselben Grunde hat auch nach dem Zusammenbruch seiner Widerstandskraft infolge der Übermacht seiner Feinde das deutsche Volk die ihm in dem Friedensvertrag von Versailles aufgezwungene Anerkennung seiner Alleinschuld an dem Kriege nie, bis an den heutigen Tag nicht, verstanden oder gar gebilligt. Deshalb empfand es auch diesen ganzen Friedensvertrag und empfindet ihn auch heute noch nicht als einen wirklichen Friedensvertrag, sondern als ein ihm von den Siegermächten auferlegtes Friedensdiktat, ein Diktat, das ihm nicht als die Sühne für ein von ihm begangenes Unrecht, die Entfachung des Krieges, sondern einzig und allein als der Ausdruck des Willens zur Vernichtung seiner vor wenigen Jahrzehnten endlich wiedergewonnenen Einheit und Freiheit, seiner Existenz als Volk und Staat erscheint.

Wieder stand dieses arme Volk am Rande des Abgrundes, alles, was in langen Jahrhunderten ersehnt und erträumt, endlich vor wenigen Dezennien zur Wirklichkeit geworden war, drohte wieder in Schutt und Trümmer zu zerfallen. Wieder stand es wie vor Jahrhunderten an der Bahre dessen, was es besessen, stand es wieder vor der Gefahr, seine Existenz als Volk und Staat zu verlieren und in den Jammer früherer dunkler Zeiten zurückzufallen. Nur eines war ihm dieses Mal geblieben, das war das Bewußtsein seines Volkstums, seiner Zusammengehörigkeit als Volk. Und es ist das unvergängliche Ruhmesblatt in der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie, daß sie dieses Bewußtsein, dieses deutsche Zusammengehörigkeitsgefühl zu ihrer Lösung machte, auf ihr Panier schrieb, es in der großen Masse des Volkes erhielt und stärkte und mit ihrem ganzen Einfluß sich dem auch diesmal wieder erhebenden Separatismus entgegenstellte und damit die Einheit des Reiches, des Volkes zu erhalten half.

War das auch viel, so war es doch nicht alles, denn der Vertrag von Versailles stand als furchtbarste Gefahr vor ihm. Dieser Vertrag legte die Axt an die Wurzel seiner materiellen Existenz, an sein wirtschaftliches Leben und schlug bis zu Generationen ihm wirtschaftliche Fesseln, die es ersticken mußten. Ich brauche ihnen nicht im einzelnen diese Bestimmungen vorzuführen, sie sind Geschichte, und sie wirkten sich schon nach kurzer Zeit zum Schaden der ganzen Welt aus, damit ihre eigene Unhaltbarkeit beweisend. Wen aber mußte das deutsche Volk als den hauptsächlichen Urheber dieses Vertrags ansehen? Nur Frankreich, das damit abermals seine, seit Richelieu Deutschland gegenüber konsequent durchgeführte Politik der Niederhaltung wenn nicht Vernichtung Deutschlands für alle Zeiten verewigen zu können glaubte. Das war der Wunsch und der Traum eines Volkes, das der Welt die Menschenrechte verkündete, dasselbe Volk, das vor 130 Jahren die Parole Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit auf seine Fahnen geschrieben hatte.

Zu alledem war die innere Revolution hinzugekommen, die es jeder natürlichen und gegebenen Führung beraubt hatte, die ihm den Weg zum Kampf gegen das ihm drohende Chaos hätte weisen können. Aus sich selbst heraus, ohne jede Hilfe, ohne eigene Erfahrung mußte es sich zuerst einmal einen neuen Staat, besser den Grundstein für einen solchen schaffen. Fürwahr, eine gigantische Aufgabe für ein Volk, das bis zu diesem Augenblick in seiner ganzen Vergangenheit immer nur geführt worden war, dem erst seit 50 Jahren ein Mitbestimmungsrecht und damit eine Mitverantwortungspflicht, und auch diese nur in bescheidenem Umfange, beschieden war. War es zu verwundern, wenn diese ihm gestellte Aufgabe schier über seine Kräfte ging, wenn dieses noch nicht zu einer festen politischen Tradition gelangte, innerlich vielfach zerrissene Volk alsbald das Opfer, der Spielball der verschiedensten Propheten wurde, die ihm das Heil nach allen möglichen Richtungen hin versprachen? So kam es, so mußte es kommen, daß ihm in Weimar eine Verfassung gegeben wurde, die weder den gegebenen Verhältnissen noch dem deutschen Volkscharakter entsprach, noch den Erfordernissen einer starken Staatsführung gerecht wurden. Eine Verfassung, die nicht einen wirklichen demokratischen Volksstaat, sondern einen Parteistaat schuf, in dem nicht das Volk, sondern die Parteien zum Träger des Staates gemacht wurden, in dem lediglich die mechanische Zählung der Stimmen gesichert, den Parteien aber der Austrag des sich daraus ergebenden Kampfes überlassen wurde. Eine Unzahl von Parteien, die mit allen Mitteln um die Stimmen der Wählermassen kämpften und damit eine hemmungslose Zersplitterung des Volkes in eine Vielheit von sich bis aufs Blut bekämpfenden Teilen schufen, die jede starke und konsequente Staatsführung von vornherein lähmten, ja unmöglich machten, war die unausbleibliche Folge. Schon hier liegt in der Gegensätzlichkeit der Interessen und Bedingtheiten der miteinander um die Macht im Staat ringenden Parteien einer der tragischen Gründe, aus denen der Nationalsozialismus und später dann die Machtergreifung im Jahre 1933 zu erklären ist. Denn auch die Geschichte, das Werden und Vergehen wiedererstehender Völker wird von ewigen Gesetzen bestimmt, die mit unerbittlicher Logik die Geschehnisse entwickeln und lenken. Wie ohne die große französische Revolution niemals ein Napoleon möglich gewesen wäre, so ohne die in der Weimarer Verfassung begründete Schwäche der Staatsführung kein Hitler.

Unter solchen von Anfang an erschwerten Verhältnissen nahm das deutsche Volk den Kampf gegen den ihm drohenden Untergang auf. Wer will es oder kann es nicht verstehen, daß es der Spielball der unzähligen Parteien wurde, die um seine Stimme rangen, die aus egoistischen Interessen eine Regierung nach der anderen stürzten und damit jede starke, einheitliche Staatsführung unmöglich machten? Mit bewunderungswürdigem Mut und unter Anspannung seiner äußersten Kräfte hat das deutsche Volk trotzdem diesen fast aussichtslosen Kampf aufgenommen und geführt, hat es bis zum Weißbluten die ihm in dem Versailler Vertrag auferlegten Reparationsverpflichtungen zu erfüllen sich bemüht. Selbst die sein wirtschaftliches Lebensmark aushöhlende Inflation hat es auf sich genommen und um den Preis der Existenz vor allem seines Mittelstandes und des Ausverkaufs seiner Güter durch das ausländische Kapital durchgehalten und überwunden. Aber alle seine Anstrengungen, seine Arbeit, seine Entbehrungen haben zum Schluß nichts genützt. Immer tiefer sank sein Lebensstandard, immer mehr Fabriken mußten ihre Pforten schließen, immer größer wurde der Ausverkauf an das Ausland, immer mehr Werte des Nationalvermögens gingen für ein Butterbrot in ausländische Hände über, immer größer wurde die Arbeitslosigkeit, fast zehn Prozent der Gesamtbevölkerung war ohne Arbeit und Brot. Und warum dies alles? Die Westmächte, Frankreich an ihrer Spitze, statt dem deutschen Volk schon im eigenen Interesse die unmöglichen Bestimmungen des Versailler Vertrags zu mildern und auf ein vernünftiges Maß zu reduzieren, benutzten jede Gelegenheit, Deutschlands Situation noch mehr zu schwächen und zu erschweren, das deutsche Volk noch mehr zu versklaven. Ich erinnere Sie nur und vor allem an die Besetzung des Ruhrgebietes durch Frankreich im Jahre 1922, zu der dieses als Anlaß nahm, daß Deutschland trotz aller übermenschlicher Anstrengungen nicht in der Lage gewesen war, die ihm auferlegten Reparationen in voller Höhe zu leisten. Bereits im Jahre 1920 waren französische Truppen in den Maingau eingerückt, mit der fadenscheinigen Begründung, die Reichswehr habe bei der Bekämpfung des kommunistischen Aufstandes im Ruhrgebiet entmilitarisiertes Gebiet betreten. Und im Februar 1921 diktierte im Anschluß an eine nicht in voller Höhe geleistete Lieferung von Reparationskohlen infolge eines kommunistischen Aufstandes im Ruhrgebiet eine Konferenz in London die Deutschland aufzuerlegenden Zahlungsbedingungen neu. Als diese wiederum von Deutschland in voller Höhe einfach nicht geleistet werden konnten, rückten alliierte Truppen über den Niederrhein und besetzten die Brückenköpfe auf dem rechten Rheinufer. Als am 3. Mai 1921 das in London ausgearbeitete Ultimatum von den Siegerstaaten in Berlin überreicht wurde, in dem Deutschland die Zahlung von 1032 Milliarden Mark in 37 Jahren und des vierten Teiles der deutschen Ausfuhr nach England und Frankreich auferlegt wurde, standen französische und englische Truppen bereit zum Einmarsch, um dieses Ultimatum zu erzwingen. Angesichts der bevorstehenden Abstimmung über die Aufteilung des Oberschlesischen Industriereviers blieb der Deutschen Regierung nichts anderes übrig, als dieses Ultimatum anzunehmen zu einer Zeit, als man bereits 50 Milliarden Mark brauchte, um eine einzige Milliarde Gold in Devisen aufzubringen. Und als nach der zuungunsten Deutschlands erfolgten Aufteilung Oberschlesiens zwischen Deutschland und Polen das Jahr 1921 sich seinem Ende neigte, geriet Deutschland unter die Herrschaft der sogenannten Reparationskommission, die der Deutschen Regierung nicht nur eine Reihe von neuen Steuern diktierte, sondern sich überdies sofort 280 Millionen Goldmark auszahlen ließ. Vergebens erhoffte die Deutsche Regierung Rettung von der Wirtschaftskonferenz, die am 10. April l922 in Genua zusammentrat. Frankreich lehnte jedwede Erörterung der Reparationsverpflichtungen und damit der wirtschaftlichen Probleme von vornherein ab. Was Frankreich mit dieser intransigenten Haltung bezweckte, sollte alsbald aller Welt klar werden. Geschwächt durch die Maßnahmen der Westmächte, den Verlust des Oberschlesischen Industriegebietes und durch das schwindelnd rasche Absinken der deutschen Mark sah sich die Deutsche Regierung im Jahre 1922 zweimal gezwungen, um Stundung der fälligen Barzahlungsraten zu bitten. Die Gewährung dieser Stundung aber mußte es mit der Annahme einer Finanzkontrolle der Westmächte bezahlen und machtlos zusehen, wie die Deutschen von Frankreich aus Elsaß-Lothringen ausgewiesen und vertrieben, ihr Eigentum von Frankreich eingezogen wurde. Und als dann am 15. August 1922 die deutsche Erfüllungspolitik endgültig zusammenbrach, das Deutsche Reich selbst Sachlieferungen nicht mehr voll zu leisten vermochte und die Reparationskommission im Dezember 1922 feststellen zu sollen glaubte, daß Deutschland im Laufe des Jahres durch eine zu geringe Ablieferung von Holz und Telegraphenstangen sich einer vorsätzlichen Verfehlung schuldig gemacht habe, benutzte Frankreich diese Gelegenheit, aus dieser angeblich vorsätzlichen Verfehlung das Recht zu Sanktionen herzuleiten. Im Gegensatz zu England und Italien, die nicht auf territorialen Pfändern bestanden, ließ es seine Armeen am 11. Januar 1923 den Rhein überschreiten und besetzte das Ruhrgebiet: Sein Wunschtraum war erfüllt, Deutschland lag völlig entrechtet am Boden und in seiner Hand. Wie verträgt sich dieser offenkundige, durch keine Dialektik wegzuleugnende Vernichtungswille mit dem heute von der Anklagevertretung Frankreichs so stark betonten Gemeinschaftssinn der Völker, dem Humanismus und den Lehren der christlichen Religion?

Ich habe Ihnen, meine Herren Richter, alle diese geschichtlichen Geschehnisse noch einmal vor Augen führen müssen, um Ihnen zu zeigen, wodurch der Boden bereitet worden ist, auf dem die Saat des Nationalsozialismus erwuchs, ja mit geschichtlicher Notwendigkeit erwachsen mußte, eine Saat, die erst dann als Drachensaat erkannt wurde, als es bereits zu spät war.

Fast gleichzeitig mit der Gründung des Stahlhelms in Norddeutschland war im südlichen Deutschland die Deutsche Arbeiterpartei gegründet worden, in welch letzterer Hitler im Laufe des Jahres 1919 als siebentes Mitglied eintrat und deren Führung er alsbald an sich riß. Beide beruhten auf dem kriegerischen Erleben von Millionen Soldaten und der im Kriege zur höchsten Blüte gebrachten Kameradschaft, beide hatten den nationalen Gedanken, die Wiedererrichtung eines neuen nationalen Staates auf ihre Fahnen geschrieben. Während sich aber der Stahlhelm in der Hauptsache mit der Pflege der nationalen und soldatischen Tradition unter seinen bald nach Hunderttausenden zählenden Mitgliedern begnügte und keine parteipolitischen Ziele erstrebte, steckte die Deutsche Arbeiterpartei unter Hitlers Führung alsbald ihre Ziele sehr viel weiter, indem sie sich zum politischen Träger und Wortführer nicht nur eines nationalen, sondern auch eines sozialen Zieles machte, des Zieles nämlich, durch eine Verschmelzung des nationalen Gedankens mit den in der Zeit liegenden sozialen Gedanken und ihrer Probleme eine innere Erneuerung des Volksganzen herbeizuführen. Dieses Ziel fußte auf der Überzeugung, daß einmal durch den Zusammenbruch Deutschlands sich allmählich eine völlige Änderung der sozialen Struktur des deutschen Volkes vollzog und zum anderen, daß eine Wiederaufrichtung des Reiches nur dann möglich wäre, wenn eine zu dieser erforderlichen, eine wirkliche einheitliche Volksgemeinschaft, auf nationaler und sozialer Basis geschaffen würde. Nach Hitlers Überzeugung war das aber nur möglich, wenn der Sozialismus auf die Volksgemeinschaft, die Volksgemeinschaft auf den Sozialismus begründet, beide miteinander zu einer Einheit verschmolzen wurden. So gab er der Deutschen Arbeiterpartei, indem er gleichzeitig ihren Namen in Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei änderte, das genügend bekannte Programm. Dieses Programm war national in seiner Forderung nach Beseitigung der Fesseln des Versailler Vertrags und der Schaffung eines neuen einigen Deutschen Reiches, sozial in seinen Forderungen, die unter besonderer Betonung des Wertes der Arbeit vor allem die Abschaffung eines arbeits- und mühelosen Einkommens, die Verstaatlichung gewisser Betriebe und der Erdschätze, sowie die Brechung der sogenannten Zinsknechtschaft enthielten. So wie dieses Programm aufgestellt war, leuchtete aus ihm unverkennbar der in Millionen von Deutschen schlummernde Wunsch und Wille nach einer Wiedergeburt Deutschlands aus aller Not zu einer neuen nationalen und sozialen Freiheit. Und eines muß ich zu diesem Programm hier mit aller Schärfe und Bestimmtheit ein für allemal vor der ganzen Welt feststellen. Es ist nicht wahr, daß der vielberedete Punkt 2 dieses Programms, in dem die Beseitigung des Versailler Vertrags verlangt wird, die Androhung von Gewalt zur Erreichung dieses Zieles enthält oder vorsieht. Die gegenteilige Behauptung der Anklage entbehrt jeder Berechtigung. Nirgends ist in diesem Programm von Gewalt auch nur mit einem Wort die Rede. Oder will die Anklage vielleicht in der Bezugnahme auf das Prinzip des Selbstbestimmungsrechts der Völker eine Gewaltandrohung erblicken?

Es war kein Wunder, wenn dieses Programm, das alle Wünsche und Forderungen der Zeit mehr wie alle übrigen Parteiprogramme in sich vereinigte, allmählich Anklang finden, eine sich immer mehr steigernde Anziehungskraft ausüben mußte. Und es waren nicht zum wenigsten die sich immer wiederholenden Lasten und Knebelungen, die von den Westmächten dem deutschen Volke auferlegt wurden, vor allem die Besetzung des Ruhrgebietes, die diese Anziehungskraft immer mehr erhöhten. Denn gerade die Besetzung des Ruhrgebietes, die im ganzen deutschen Volke als Vergewaltigung empfunden wurde und seinen einmütigen widerstand hervorrief, ließ zum ersten Male seit 1918 den nationalen Gedanken, das Bewußtsein einer nationalen Volksgemeinschaft zur hellen Flamme auflodern. Es liegt eine tiefe Tragik darin, daß die Westmächte dieses erste Aufflammen eines neuen deutschen Nationalbewußtseins nicht erkannt, die in ihm liegenden Zeichen der Zeit nicht verstanden und keinerlei Entgegenkommen gezeigt haben. Wer weiß, ob bei einem Einlenken, einer allmählichen Lockerung der wirtschaftlichen und politischen Fesseln Deutschlands durch die Westmächte die Entwicklung der Dinge nicht eine ganz andere Richtung genommen hätte und der blutigste aller Kriege der Welt nicht erspart geblieben wäre!

Aber statt die Fesseln zu lockern, haben die Mächte sie im Laufe der nächsten Jahre immer weiter verschärft. Es kam im Jahre 1924 unter dem Druck der Westmächte zu dem bekannten Dawes-Plan, der die fälligen deutschen Tributverpflichtungen in ein kommerzielles Papier umwandelte und dadurch Deutschland zwang, gegen Emanzipation der Reichsbank vom Reich und ihre Unterstellung unter die Aufsicht einer besonderen Kommission, gegen Umwandlung der Reichsbahn in eine Aktiengesellschaft und die Verpfändung von Zöllen, Steuern und anderer Sicherheiten gewaltige Anleihen im Auslande aufzunehmen, um aus diesen seine Reparationsverpflichtungen erfüllen zu können. Das aber bedeutete angesichts der durch die Inflation und den durch diese verursachten ungeheuren Ausverkauf deutschen Volksvermögens an das Ausland und der damit hervorgerufenen Verarmung Deutschlands in Verbindung mit der Notwendigkeit, diese Anleihen im Ausland verzinsen zu müssen, eine noch größere Versklavung und Unterwerfung der deutschen Wirtschaft, der deutschen Arbeit auf allen Gebieten unter die Herrschaft des Auslandes, des ausländischen Kapitals, als je zuvor. Und das Ruhrgebiet blieb weiter besetzt.

Dem Dawes-Plan folgte im Jahre 1925 der Locarno-Vertrag. Dieser, der in erster Linie eine politische Rückversicherung der Internationalen Hochfinanz gegen das in der Hingabe der Deutschland gewährten Anleihen liegende Risiko war, verknüpfte zwar in gewissem Sinne das Interesse der Westmächte mit den wirtschaftlichen Zahlungsverpflichtungen Deutschlands und zwang sie bis zu einem gewissen Grade zum Stillehalten gegenüber Deutschland, gab diesem auch durch seine mehr oder weniger erzwungene Aufnahme in den Völkerbund die Basis, das Sprungbrett für seinen späteren Kampf um die Anerkennung seiner Gleichberechtigung, bedeutete aber andererseits die Wiederholung der Diskriminierung Deutschlands durch die nochmalige Anerkennung aller ihm in Versailles auferlegten militärischen und politischen Verpflichtungen. Inzwischen hatte zwar infolge der nach dem Dawes-Plan nach Deutschland hereinfließenden Kapitalien ein scheinbarer Wiederaufschwung der deutschen Wirtschaft wieder eingesetzt, aber diese wirtschaftliche Blüte erwies sich schon nach kurzer Zeit als eine Scheinblüte. Eine neue gigantische Arbeitslosigkeit setzte ein, eine Fabrik nach der anderen mußte wieder ihre Pforten schließen, immer tiefer sank der Lebensstandard des Volkes, immer größer wurde die Armut, die Not weitester Kreise des Volkes, und die Unmöglichkeit der Erfüllung der deutschen Zahlungsverpflichtungen wurde immer deutlicher. Aber statt Deutschland zu helfen, legten ihm die Westmächte in dieser Stunde äußerster Not einen neuen Plan, den sogenannten Young-Plan vor, der zwar die Räumung des Ruhrgebietes brachte, nicht aber eine Änderung der diskriminierenden Bedingungen des Versailler Vertrags, wohl aber die Aufbürdung geradezu ungeheuerlicher jährlicher Reparationszahlungen bis zum Jahre 1966. Um Deutschland vor der Katastrophe zu retten, sah sich die Deutsche Regierung gezwungen, diesen plan anzunehmen.

Unter dem Druck all dieser Vorgänge mit ihren Nöten hatte sich aber im deutschen Volk nicht nur eine völlige Umwälzung der wirtschaftlichen Struktur, sondern auch seiner soziologischen Struktur vollzogen. Was sich bereits im Weltkriege angekündigt und in den Jahren der Inflation eine gewisse Formung gefunden hatte, trat jetzt deutlich in Erscheinung und wurde zum bestimmenden Faktor der weiteren Entwicklung. Die breite Masse des selbständigen Mittelstandes, der überwiegende Teil des Bürgertums war proletarisiert, die Arbeiterschaft zum Teil in die kleinbürgerliche Sphäre gewachsen, zum anderen infolge der zunehmenden Arbeitslosigkeit immer mehr auf den Grund der Gesellschaftsordnung herabgesunken und der Besitz nur noch in einem verschwindend kleinen Teil des Volkes erhalten geblieben. Durch diese Umwandlung der sozialen Verhältnisse wurde der Unterschied zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft, der Klassengegensatz so gut wie aufgehoben, und es entstand aus der Not der Zeit eine große Schicksalsgemeinschaft, in der sich alle Teile des Volkes zusammenfanden. Diese Verschmelzung der bis dahin voneinander getrennten höheren und niederen Schichten ergab eine Seelenlage, der die Idee der Volksgemeinschaft eingeboren war und deren innere Gegensätze und Differenzierung nur mehr durch ihre Teilnahme an der Politik, ihrer Einstellung zu dieser bedingt waren. Diese Gegensätze, diese gegensätzliche Einstellung zur Politik kulminierten in zwei Ideen, der Idee des Nationalismus und der Idee des internationalen Kommunismus. Und hier setzte Hitler und die von ihm geführte NSDAP den Hebel an in dem Kampf um die Seele des deutschen Volkes, indem er sich entschlossen und zielbewußt auf den Kampf für die nationale Idee gegen die internationale kommunistische Idee einstellte. Die schärfste Waffe aber in diesem von ihm bereits nach der Besetzung des Ruhrgebietes mit allen propagandistischen Möglichkeiten und unter vollster Ausnutzung seines unbestreitbaren außerordentlichen suggestiven Einflusses auf die Massen begonnenen Kampf lieferten ihm gerade die Westmächte mit ihrer das deutsche Volk in immer engere Fesseln, in immer größere Not schlagenden Politik. Mit dieser Waffe gelang es ihm, den nationalen Gedanken in immer weiteren Kreisen des deutschen Volkes wieder anzufachen, so daß bei den Reichtagswahlen vom 14. September 1930 die NSDAP bereits als zweitstärkste Partei in den Reichstag einziehen konnte. Zweierlei zeigte diese Wahl eindeutig: Einmal den Willen immer weiterer Kreise des deutschen Volkes zur Wiederherstellung seiner Ehre und seiner Gleichberechtigung im Rate der Völker, den Lebenswillen eines seit 12 Jahren unterdrückten und in seinen elementarsten Gefühlen verletzten, in seiner Existenz geknebelten und bedrohten Volkes. Sie zeigte aber auch, daß ein großer Teil des Volkes des ewigen Parteihaders in Reichstag und Regierung müde geworden war und sich nach einem Führer sehnte, der es aus dem drohenden Chaos herausführen sollte und daß dieser große Teil des Volkes in Hitler den Führer erblickte. Wieder aber verkannten die Westmächte dieses letzte Fanal. Sie vergaßen oder wollten nicht einsehen, daß das fundamentale physikalische Gesetz, daß jede lebendige Kraft, wenn sie ventillos unter zu großen Druck gesetzt wird, die sie umgebende Hülle sprengt, auch im Leben der Völker gilt. Denn auch den Völkern wohnt eine lebendige Kraft inne. Das vergaßen sie, trotzdem sie in ihrer eigenen Geschichte weithin leuchtende Beispiele für die Richtigkeit dieser These hatten: Das französische Volk in seiner großen Revolution, das englische in seinem Cromwell. Statt diesem Gesetz zu gehorchen, setzten sie ihre bisherige Politik unverändert fort. Sie beantworteten die Wahl vom 14. September 1930 mit der Zurückziehung der Deutschland gewährten Kredite, und Frankreich verhinderte alle Versuche der Deutschen Regierung, sowohl auf wirtschaftlichem wie politischem Gebiet irgendwelche Erleichterungen zu erhalten. Angesichts der der Verteidigung auferlegten zeitlichen Beschränkung ihrer Plädoyers muß ich es mir versagen, die Folgen dieser Politik näher darzulegen und muß mich auf den Hinwels beschränken, daß die Not Deutschlands immer größer, die Verhältnisse in Deutschland immer unerträglicher wurden. Wie es damals in Deutschland aussah, welche ungeheure Not, welch ein ungeheurer Druck auf ihm lastete, kann keiner ganz ermessen, der es nicht selbst miterlebt hat. Deutschland schwebte damals buchstäblich über dem Abgrund, denn zu dem Kampf um die nackte Existenz trat noch der Kampf um den inneren Gestaltwandel des Volkes, der Kampf um die Frage, ob die Mehrheit des deutschen Volkes sich einem Sozialismus auf nationaler Basis oder einem chiliastischen internationalen Kommunismus zu überantworten gewillt war. Diese Frage hat das deutsche Volk zunächst mit der Wiederwahl des Reichspräsidenten von Hindenburg am 13. März 1832 und schließlich, nachdem es selbst einem Manne wie Brüning nicht mehr gelungen war, aus den Parteien des Reichstages eine tragfähige Regierungsmajorität zu bilden, mit der Reichstagswahl vom 6. November 1932 beantwortet, aus der die NSDAP als weitaus stärkste Partei des Reiches hervorging. Nahezu die Hälfte des Volkes hatte damit eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß sie des ewigen Parteienhaders müde war, daß sie nach einem starken Führer verlangte, der das deutsche Volk aus all seiner Not retten, es vom Abgrund zurückreißen und einer neuen Zukunft entgegenführen sollte.

Da andererseits aber auch die Kommunisten einen großen Wahlerfolg erzielt hatten und zum offenen Kampf um die Macht rüsteten, sah sich Hindenburg vor die Wahl gestellt, entweder Hitler als den Führer der stärksten Partei zum Reichskanzler zu berufen oder die Militärdiktatur zu proklamieren. Letzteres hätte aber den Bürgerkrieg bedeutet. Nach schweren inneren Kämpfen hat sich Hindenburg getreu den von ihm beschworenen demokratischen Grundsätzen zur Berufung Hitlers zum Reichskanzler entschlossen und damit dem deutschen Volk den Bürgerkrieg erspart.

So und nicht anders ist es zur Übernahme der Macht im Deutschen Reiche durch Hitler und die NSDAP gekommen. Unerbittlich wie immer war auch hier die Geschichte in ihrer logischen Entwicklung. Der Grund für die Erscheinung Hitlers und der Aufstieg zur Macht liegt letzten Endes in dem Versailler Vertrag, der dem deutschen Volk unerträgliche Fesseln anlegte, die kein Volk der Erde auf die Dauer ertragen konnte. Es war die Tragik Deutschlands und ganz Europas, daß die Siegermächte von Versailles dieses nicht einsehen wollten und, statt den in Versailles geschaffenen unnatürlichen Zustand in seinen unausbleiblichen Folgen zu erkennen, ihn im Laufe der Jahre immer noch mehr verschärften. Nicht das deutsche Volk, das sei hier mit aller Eindeutigkeit festgestellt, trägt die alleinige Schuld an der Erscheinung Hitlers, sondern wenn man in der Geschichte überhaupt von einer Schuld sprechen kann, in gleichem Maße die Auswirkungen des Vertrags von Versailles. Noch immer aber sind den Völkern der Erde, solange sie noch einen Funken von Lebenswillen und Lebenskraft in sich hatten, in den Tagen der tiefsten Not und Entehrung Männer erstanden, die, von der Geschichte dazu auserwählt, kraft ihrer Persönlichkeit, kraft ihrer Fähigkeit zum Mitreißen der großen Masse des Volkes sich zum Führer aus dieser ihrer Not aufschwangen.

Die große Tragik des deutschen Volkes liegt nur darin, daß es dieses Mal ein Mann war, der nicht aus dem echten und wahren Deutschtum kam, nicht den wirklichen Charakter, das wirkliche Wesen des deutschen Volkes in sich verkörperte, daß es vielmehr ein Fremder war, dessen Herkunft und Abstammung noch heute in Dunkel gehüllt ist. Aber damals, in jenen schicksalsschweren Tagen mußte er als der einzige erscheinen, der das deutsche Volk aus dem Chaos zu einem neuen Leben führen könnte und der durch die Umstände und den Willen des Volkes die Kraft und die Macht dazu erhielt. Die in dieser Tatsache liegende Anziehungskraft Hitlers auf die Massen war um so größer, als hinter ihm die ragende Gestalt und der Nimbus des fast schon zum Mythus gewordenen Reichspräsidenten von Hindenburg stand. Es muß aber im Interesse der Wahrheit und zur Ehre des deutschen Volkes an dieser Stelle mit Nachdruck darauf hingewiesen werden, daß es trotzdem bei den ersten Neuwahlen nach der Machtergreifung Hitlers der Partei dort noch nicht gelang, die absolute Mehrheit im Reichstage zu erlangen, vielmehr zirka die Hälfte der Wähler damals noch immer in demokratischem Geiste ihren alten Parteien gefolgt waren, ein Beweis dafür, wie tiefe Wurzeln der demokratische Gedanke im deutschen Volke doch schon geschlagen hatte.

Hindenburgs Autorität stand auch hinter den nun folgenden Regierungshandlungen Hitlers, die von seinem Standpunkt folgerichtig und konsequent darauf abzielten, seiner Staatsführung im Kampf gegen die im Innern noch vorhandenen Kräfte der Zerstörung, wie auch im Kampf um die wirtschaftliche und politische Freiheit die größtmögliche Stärke und Kraft zu verleihen. Denn ohne eine solche starke und einheitliche Staatsführung war dieser Kampf nicht ausführbar. Das hatte die Erfahrung der Nachkriegszeit bewiesen. Es war daher nicht nur eine aus der Persönlichkeit Hitlers sich ergebende Folgerung, wenn er auch für den bevorstehenden Kampf um die Existenz des deutschen Volkes alle im Volk liegenden Kräfte in der Staatsführung zusammenzufassen suchte und sich zunächst mit Zustimmung des Reichspräsidenten durch den noch auf Grund der demokratischen Verfassung freigewählten Reichstag das sogenannte Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933 bewilligen und auf Grund desselben das sogenannte Gleichschaltungsgesetz vom 7. April 1933 vom Kabinett genehmigen ließ. Beide Gesetze dienten dem Bestreben Hitlers, der Regierung die erforderliche Erfassung aller Kräfte des Volkes in dem bevorstehenden Existenzkampf zu ermöglichen. Und diesem gleichen Zwecke diente auch das Gesetz über die Einheit von Staat und Partei, sowie die Auflösung aller anderen politischen Parteien. Alles dies ergab sich aus der in den gegebenen Verhältnissen liegenden Forderung, jegliche Störung im Innern auszuschalten und der Reichsführung damit den Rücken freizumachen in ihrem Kampf gegen die wirtschaftliche Not und um die Wiedererringung des dem deutschen Volke gebührenden Platzes im Rate der Völker. Aus dieser Forderung erklärt sich auch die Schaffung der Geheimen Staatspolizei als eines Werkzeuges zur Bekämpfung und Ausschaltung der unterirdischen kommunistischen Wühlarbeit.

Die Tragweite und mögliche Entwicklung dieser Maßnahmen in der Zukunft damals schon zu erkennen, dazu aber fehlte den weitesten Kreisen des deutschen Volkes, vor allem der Jugend, neben jedweder Erfahrung auch das kritische Urteilsvermögen. Denn die Jugend vor allem war es, die Hitler als dem ersehnten Führer aus der Not zujubelte und ihm voll blinden Vertrauens als dem Manne folgte, der ihr die Befreiung von allen widernatürlichen Fesseln und aller Schmach bringen sollte. Gerhart Hauptmann, der kürzlich verstorbene bekannte deutsche Dichter und große Kenner der Volkspsyche, hat in einem seiner vielleicht tiefsten psychologischen Werke: »Der Narr in Christo« den Satz geschrieben: »Das größte soziale Bindemittel der Natur ist immer ein gemeinsames Gebilde der Phantasie, das wissen diejenigen sehr genau, die aus einer Vielheit von Menschen eine gefügige Einheit herstellen wollen. Solche staatenbildende Unterjocher- und Herrschernaturen bedienen sich jener Männer, die, mit fanatischer Phantasie begabt, den Glauben an ihre Träume besitzen, fördern und durchsetzen, wodurch dann bei der Masse das gemeinsame Heiligtum errichtet wird, für das ihr bald während langer Zeitperiode kein Opfer zu kostbar ist.« Wieviel mehr muß die Wahrheit dieses Ausspruches zutreffen bei einem Volk, das, wie ich Ihnen zu zeigen versucht habe, in seiner ganzen Geschichte immer nur gewohnt gewesen war, geführt zu werden, das so gut wie nie sein Schicksal selbst gelenkt hatte, das seit 15 Jahren immer wieder enttäuscht worden war und jede Hoffnung, daß die Einsicht der anderen Staaten ihm zu Hilfe kommen würde, hatte verlieren müssen. Und es war um so mehr mit dieser Stärkung der Staatsführung einverstanden, als es des ewigen Parteihaders müde geworden war und ungestört durch weitere innere Kämpfe und Aufregungen sich nur dem Wiederaufbau seiner wirtschaftlichen Existenz hingeben wollte. In seinem blinden Vertrauen erkannte es noch nicht, daß es durch die Maßnahmen der Regierung in Zukunft selbst in Fesseln geschlagen werden könnte, ihm selbst die Möglichkeiten genommen werden könnten, gegen eine seinem innersten Empfinden zuwiderlaufende Staatsführung Front zu machen. Zunächst wurde sein Vertrauen zu Hitler noch bekräftigt und bestärkt durch die unbestreitbare Tatsache, daß es Hitler gelang, die Wirtschaft wieder anzukurbeln und das Gespenst der Arbeitslosigkeit allmählich zu bannen. Denn in der kurzen Spanne eines Jahres war es Hitler bereits gelungen, nicht weniger als fast zwei Millionen Arbeitslose wieder zu Arbeit und Brot zu bringen. Und wenn diese Erfolge zum Teil durch die wiederbeginnende Aufrüstung und sonstige öffentliche Arbeiten möglich waren, so kam er durch erstere nicht etwa kriegerischen Wünschen und Trieben des deutschen Volkes entgegen, sondern nur dem seit altersher im deutschen Volk vorhanden gewesenen Sinn für Waffenspiele und einem gewissen Minderwertigkeitsgefühl. Dies hat General Smuts in seiner Rede vom 12. November 1934 vor dem Royal Institute of International Affairs durchaus richtig erkannt, wenn er sagte: »Man erzählt uns unaufhörlich, was jenseits des Rheines vor sich geht, von den geheimen Rüstungen. Wahrscheinlich ist es nichts anderes als die Folge des Minderwertigkeitskomplexes. Es ist nicht wirklicher Militarismus, sondern es sind militärische Reizmittel für die Massen. Dieses wilde Gebaren ruft ein beglückendes Gefühl der Befriedigung, der Erleichterung bei denen hervor, die sich selbst für minderwertig oder durch ihre Nachbarn jenseits des Rheins für gedemütigt halten.«

So freute sich das deutsche Volk an den sich ihm bietenden militärischen Schauspielen nicht aus ihm von der Anklagebehörde unterschobenen kriegerischen Trieben oder gar in ihm schlummernden wilden Angriffsgelüsten, sondern einfach aus Freude am Schauspiel und aus einem instinktiven Gefühl, dem der Gründer der modernen Geschichtsforschung Ausdruck gegeben hat: »Das Nationalbewußtsein eines großen Volkes fordert eine angemessene Stellung in der Welt. Die auswärtigen Verhältnisse bilden ein Reich nicht der Konvenienz, sondern der wesentlichen Macht. Das Ansehen eines Staates wird immer dem Grade entsprechen, auf welchem die Entwicklung seiner inneren Kräfte steht, und eine jede Nation wird es empfinden, wenn sie sich nicht an der ihr gebührenden Stelle erblickt.«

Und nun sah dieses Volk, das bis zur Machtergreifung Hitlers unter diesem instinktiven Gefühl der Minderwertigkeit geschmachtet hatte, wie plötzlich wie durch magische Kräfte unter der Führung Hitlers eine diskriminierende Fessel des Versailler Vertrags nach der anderen von ihm abfiel und Deutschland im Begriffe stand, wieder den so lange entbehrten Platz in der Völkerfamilie einzunehmen. Grenzt es nicht in der Tat fast an das Wunderbare, wenn man sieht, wie es der von meinem Klienten geführten Außenpolitik in geschickter Ausnützung der im Wandel der nächsten Jahre sich ergebenden außenpolitischen Konstellationen und Begebenheiten auf friedlichem Wege mit friedlichen Mitteln gelang, nach und nach alle Deutschland in seiner außenpolitischen Stellung knebelnden Bestimmungen des Versailler Vertrags zu beseitigen, und daß die Westmächte, die bis dahin so ängstlich über die genaueste Innehaltung selbst der unwichtigsten Bestimmungen des Versailler Vertrags gewacht hatten, jetzt allem ruhig zusahen und sich nicht über papierene Proteste hinaus aufschwingen konnten. Und ist es in der Tat nicht geradezu grotesk, daß von 1933 an die gleichen Völker, die in früheren Jahren die geringste Nichterfüllung der Reparationsverpflichtungen durch ein demokratisch regiertes Deutschland mit militärischen Machtmitteln, wie der Besetzung der rechtsrheinischen Brückenköpfe und des Ruhrgebietes, geahndet hatten, jetzt mit einem Male auf von ihnen angeblich als Verletzungen wichtigster Verträge angesehener Maßnahmen Deutschlands, wie die Aufrüstung, die Remilitarisierung des Rheinlandes, nur mit leeren Protesten reagierten und gar nicht daran dachten, ernstlich Widerstand zu leisten? Mußte dieses aber nicht auch zwangsläufig zur Folge haben, die Volkstümlichkeit Hitlers, sein Ansehen in der großen Masse, die Bereitschaft ihm zu folgen, den Glauben an ihn immer zu vergrößern und das Volk blind zu machen gegen die sich allmählich immer mehr verschärfenden Maßnahmen im Innern, die allmähliche Knebelung der kulturellen, künstlerischen und geistigen Freiheit, der freien Meinungsäußerung und Kritik und gegen die antisemitischen Maßnahmen. Hieran vermochten auch die blutigen Ereignisse des 30. Juni 1934 kaum etwas zu ändern, im Gegenteil. Denn nach der überaus geschickten Erklärung, die Hitler ihnen gab, mußten diese dem Volke als eine rein innere Parteiangelegenheit, die der Reinigung der Partei von unlauteren Elementen diente, erscheinen und nicht nur das Vertrauen zu ihm stärken, sondern auch die hie und da schon aufgetauchten Zweifel und Bedenken an ihm und seiner autoritären Staatsführung beseitigen. Und daß die Ermordung hoher Generale im Volke keinerlei Reaktion auslöste beweist im Grunde nur, wie wenig militaristisch das Volk eingestellt war. Und wenn hier in diesem Prozeß seitens der Anklagebehörde mit solcher emphatischen Empörung dem deutschen Volk in seiner Gesamtheit der Vorwurf gemacht wird, daß es sich gegen die Knebelung und Knechtung, gegen die Auswüchse, und vor allem gegen die Grausamkeit der KZ-Lager, gegen die Judenverfolgung nicht einmütig empört und erhoben hat, so muß demgegenüber mit aller Schärfe folgendes festgestellt werden:

Die Knebelung der kulturellen und geistigen Freiheit traf in erster Linie und hauptsächlich die im Verhältnis zur Volksgesamtheit verhältnismäßig dünne Intelligenzschicht der oberen Klassen und wurde von der Gesamtheit des Volkes schon deshalb kaum empfunden, weil auf der anderen Seite Hitler in weitgehendstem Maße durch volkstümliche und billige, vielfach kostenlose Theater- und Kinoaufführungen und Konzerte, durch Vorträge, öffentliche Schauspiele und sonstige Veranstaltungen für eine Befriedigung der Bedürfnisse der Massen sorgte. Was die Knebelung der geistigen Oberschicht für Folgen haben mußte, kam der großen Masse, und konnte ihr schon deshalb nicht so schnell zum Bewußtsein kommen, weil sie durch ihre Arbeit und die vielfachen sonstigen Ablenkungen völlig in Atem gehalten wurde.

Was zum anderen die KZ-Lager und die in diesen verübten Grausamkeiten anbetrifft, so halte ich es für meine Pflicht, hiermit zur Ehre des deutschen Volkes ein für allemal festzustellen: Es ist nicht wahr, daß das deutsche Volk in seiner großen Masse bis in die letzte Zeit des Krieges Kenntnis gehabt hat von dem, was in den KZ-Lagern vor sich ging. Die gegenteilige Behauptung kann nur Jemand aufstellen, der von den tatsächlichen Verhältnissen in Deutschland, von dem raffiniert ausgeklügelten System der Geheimhaltung der Verhältnisse in den KZ-Lagern, ja selbst des Vorhandenseins der meisten Lager keine Ahnung hat. Wie sollte es denn auch möglich gewesen sein, daß weitere Kreise des Volkes von den Zuständen in den Lagern Kenntnis bekamen. Die Anklagebehörde selbst hat uns hier nachzuweisen versucht, daß nur ein ganz geringer Prozentsatz von KZ-Häftlingen wieder freikam und die, die freigelassen wurden, mußten sich schriftlich verpflichten, bei Androhung der Todesstrafe, über Ihr Erleben während der Gefangenschaft strengstes Stillschweigen zu bewahren. Sie wußten, daß, wenn sie diese Verpflichtung verletzten und durch einen Zufall die Gestapo davon erfuhr, ihr Leben verwirkt war. Mir selbst haben in meiner Praxis eine Reihe von entlassenen KZ-Häftlingen gegenübergesessen, aber bei keinem von ihnen ist es mir gelungen, sie zum Sprechen zu bringen, und so ist es vielen anderen auch gegangen. Und wenn schon der eine oder andere etwas erzählt hat, so hüteten sich die Zuhörer ihrerseits, es weiter zu erzählen, denn sie wußten, daß auch sie unweigerlich der Verhaftung und Verbringung in ein KZ-Lager verfielen, wenn dies zur Kenntnis der Gestapo kam. Und als dann im Laufe des Krieges doch langsam, sehr langsam Näheres über die KZ-Lager bekannt wurde, da lagen die meisten deutschen Städte längst unter dem Bombenhagel der alliierten Flieger. Es ist wohl nur allzu menschlich, wenn die Bevölkerung unter dem Grauen der täglichen Luftangriffe sich nicht Gedanken machte über das Schicksal der Insassen der KZ-Lager, sondern zunächst an sich selbst, an ihre Angehörigen, an die Sorge um das nackte Leben, an ihre Existenz dachte. Und endlich frage ich Sie, meine Herren Richter, wer sollte sich denn überhaupt erheben, wer sollte sich denn mit Gewalt empören gegen die Herrschaft Hitlers und der Partei? Seit Ausbruch des Krieges, seit Herbst 1939 stand die Blüte der männlichen Bevölkerung unter Waffen und kämpfte einen schweren Kampf an der Front. Mit Kindern, Frauen, Greisen und mehr oder weniger kranken oder schwachen Männern kann man keine Revolution machen. Und von wem sollte sie ausgehen, wer sollte sie führen. Noch keine Revolution ist je von einer führerlosen Masse gemacht worden. Immer und überall muß eine Führung vorhanden sein, die die Massen lenkt und leitet. Eine levée en masse, noch dazu, wenn sie von einer waffenlosen Menge gegen eine bewaffnete und organisierte Macht unternommen wird ist ebenso wie im Kriege, auch im Innern von vornherein aussichtslos. Wie aussichtslos eine Empörung, eine Erhebung des Volkes gewesen wäre, das erkennt man am klarsten aus der Tatsache, daß selbst die von wirklichen Führern von langer Hand und mit allen erdenklichen Vorsichtsmaßregeln vorbereitete Verschwörung vom 20. Juli 1944, die sich auf weiteste Kreise des Volkes stützte, scheiterte. Die Tatsache dieser Verschwörung allein aber beweist schon das eine, daß der Herr französische Ankläger Monsieur de Menthon nicht recht hat, wenn er in seiner so geistvollen und interessanten Ansprache vom 11. Januar 1946 die von ihm durchaus zu Recht verdammte, nationalsozialistische Ideologie mit ihrer Verherrlichung der Rasse und der Überlegenheit der germanischen Rasse über alle anderen Nationen der Erde als den Ausdruck, die letzte und höchste Frucht des deutschen Geistes und seiner wahren Natur hinstellt, und als den ersten Künder dieser Erscheinung einen Fichte und einen Hegel nennt: Fichte, einen der größten und edelsten Vertreter des Christentums, christlicher Ethik und Sittenlehre trennt eine Welt von dieser Ideologie des Nationalsozialismus. Und wie kann man eine solche Ideologie auch nur in einem Atem nennen mit einem Geist wie Hegel, dessen ganzes philosophisches System vielleicht das idealste aller Systeme war, der im Staat die Totalität aller sittlichen Kräfte und Zwecke erblickte, dem der Staat in einer an das antike Ideal erinnernden Weise als die Wirklichkeit der sittlichen Idee, als etwas Göttliches auf Erden erschien. Und der Herr französische Anklagevertreter vergißt, daß es das deutsche Volk war, das einen Kant hervorgebracht hat, dessen unvergängliche Lehre vom kategorischen Imperativ neben der christlichen Ethik wohl die tiefste und hehrste Verkündung des sittlichen Prinzips aller Zeiten ist. Und er irrt, wenn er Nietzsche, diesen in der gesamten deutschen Geisteswelt als Einzelerscheinung dastehenden Denker und den von ihm ersehnten Übermenschen in irgendeiner Beziehung zu der Ideologie nationalsozialistischer Führer bringt. Auch diesen trennt eine Welt von jenen. Nein, meine Herren Richter, diese Geistesheroen des deutschen Volkes haben mit der Nazi-Ideologie nicht das mindeste zu tun. Diese steht in Wirklichkeit im schärfsten Gegensatz zu dem wirklichen echten deutschen Denken und Empfinden, dem wahren Charakter und den Anlagen des deutschen Volkes und vor allem zu seiner Einstellung zu den übrigen Völkern der Erde. Denn dieses Volk selbst hat sich nie besser oder irgendwie erhaben gedünkt über die anderen Völker. Es ist auch nie erfüllt gewesen von einem Vernichtungswillen gegen andere Völker, es kennt vor allem keinen Haß noch Rachegelüste. Das ist ja gerade die große Tragik in dem Verhältnis zwischen ihm und dem französischen Volk, daß dieses nie hat einsehen wollen, daß das deutsche Volk, nicht wie es selbst seit dem Kriege 1870 bis zum Weltkrieg von Gedanken der Revanche erfüllt gewesen ist, auch nach Versailles nicht, nicht erfüllt war von dem Gedanken an die Wiedergewinnung von Elsaß-Lothringen. Der Gedanke des Pan-Germanismus, des Großgermanischen Reiches hat nie, auch zu Zeiten der größten Begeisterung für Hitler nicht, einen Widerhall in ihm erweckt, trotzdem ihm in der Lehre vom Panslawismus und ihrer begeisterten Aufnahme in den slawischen Völkern ein nicht zu unterscheidendes Beispiel gegeben worden war. Und es war daher auch gerade diese, von den geistigen Führern der Partei gepredigte Ideologie, die sofort den Widerspruch zunächst in den geistigen Kreisen und Schichten des deutschen Volkes und dann auch im Verein mit den übrigen Knebelungsmaßnahmen und Einschränkungen der persönlichen Freiheit in den übrigen Schichten des Volkes bis in die Reihen der Parteien selbst hinein hervorriefen und stärkten. Deshalb war es auch in seiner überwiegenden Mehrheit keineswegs für den von Hitler im Sommer 1939 begonnenen Krieg begeistert. Wie die wirkliche Stimmung des Volkes bereits im Herbst 1938 war, darf ich Ihnen, meine Herren Richter, an einem kleinen persönlichen Erlebnis am 25. oder 26. September 1938 schildern. Ich mußte an jenem Tage in einer zu einer der großen Ausfallstraßen im Süden Berlins führenden Straße mit meinem Wagen halten, weil die ganze Straße mit Fahrzeugen vollgepfropft war. Als ich eine vorbeikommende einfache Frau aus dem Volk nach der Ursache dieser Stockung des Verkehrs frug, gab sie mir mit einem solch abgrundtiefen Ausdruck der Verzweiflung, des Abscheus die Worte zur Antwort: »Da vorne ziehen sie in den Krieg«, daß es mir kalt über den Rücken lief. Das war die wirkliche Einstellung des Volkes zum Krieg, die sich auch darin zu erkennen gab, daß die ausziehenden Truppen nicht etwa von begeisterten Menschenmengen begrüßt und umjubelt wurden, sondern nur stummen und entsetzten Augen begegneten. Und wenn Sie mich nun fragen, warum denn das Volk sich nicht schon damals empört und erhoben hat, so finden Sie die Erklärung schon in meinen vorhergehenden Darlegungen. Als ein seit Jahrhunderten an Geführtwerden, an Gehorsam gewöhntes Volk, folgte es auch diesmal dem Befehl der von ihm selbst auf den Schild gehobenen Führung. Als ein von dieser langsam aber sicher in Fesseln geschlagenes Volk hatte es aber auch gar nicht die Möglichkeit zu einer Empörung, zu einer spontanen, unvorbereiteten und führelosen Erhebung gegen diese seine Führung. Zu einer solchen konnte es erst kommen, als der Druck des Krieges immer unerträglicher wurde und verantwortungsbewußte Männer in führenden Stellungen sich zusammentaten, um in gefährlichster, langsamer und zielbewußter Arbeit zu versuchen, den Wahnsinn der Nazi-Herrschaft und dem von dieser entfesselten Kriege ein Ende zu machen und das deutsche Volk vor der sonst unausbleiblichen Katastrophe zu retten. Und doch blieb diesem Versuch der Erfolg vom Schicksal versagt. Aber ich wiederhole, die Tatsache dieses Versuches, seine Unterstützung durch weite Kreise des Volkes, selbst der Partei, beweist eindeutig, daß die seit 1938 die Politik erkennbar beherrschende Nazi-Ideologie nicht dem wirklichen Charakter des deutschen Volkes, nicht seinem Wesen, seiner Veranlagung, seiner Psyche und Mentalität entsprach, nicht aus dieser geboren war, sondern ihr fremd und widernatürlich gegenüberstand.

Es waren aber nicht nur die Männer des 20. Juli 1944, die sich dazu durchgerungen hatten, mitten im Kriege Hitler und die ganze nationalsozialistische Herrschaft zu beseitigen. Es gab auch noch andere Männer, die dasselbe Ziel zu erreichen entschlossen waren, wenn auch auf anderem Wege, und bereits die ersten Schritte dazu getan hatten. Zu diesen gehörte, wie Sie aus der Aussage des Zeugen Strölin gehört haben, auch der Angeklagte von Neurath. Wie hätte es auch bei ihm anders sein können, diesem Sproß eines alten Geschlechts, das seiner engeren Heimat Württemberg so manchen treuen Staatsbeamten geschenkt hatte, dessen ganzes Leben auf Grund des in seinem Elternhaus herrschenden Geistes von Kindesbeinen an erfüllt war von glühendster Vaterlandsliebe, von heißer Liebe zu seinem Volk, dessen ganzes Streben nur dem einen Ziel gegolten hatte, alle seine Kräfte und all sein Können in den Dienst seines Vaterlandes zu stellen.

VORSITZENDER: Dr. von Lüdinghausen! Vielleicht wäre das ein günstiger Augenblick, um eine Pause einzuschalten.