[Das Gericht vertagt sich bis
24. Juli 1946, 10.00 Uhr.]
Einhundertfünfundachtzigster Tag.
Mittwoch, 24. Juli 1946.
Vormittagssitzung.
GERICHTSMARSCHALL: Hoher Gerichtshof! Die Angeklagten Heß und Raeder sind abwesend.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird nun die Zeugenanträge für die verschiedenen Organisationen hören; wir nehmen zuerst die SS.
MAJOR ELWYN JONES: Euer Lordschaft! Bezüglich der SS-Organisationen hat der Verteidiger sieben Zeugen beantragt. Fünf von diesen – von Eberstein, Hinderfeld, Haußer, Riedel und Reinecke – sind unter den 29 SS-Zeugen, die bereits kommissarisch verhört worden sind. Die Anklagebehörde hat keinen Einwand gegen diese Zeugen, doch da die Aussagen von Eberstein und Hinderfeld sich in gewissen Punkten überschneiden, wird vorgeschlagen, dies dadurch zu vermeiden, daß diese beiden Zeugen von Dr. Pelckmann vernommen werden.
Was die anderen beantragten Zeugen betrifft, so wird der Gerichtshof bei Rode aus dem Antrag der Verteidigung ersehen, daß die Anklagevertretung ein Affidavit dieses Zeugen als Beweisstück US-562 vorgelegt hat. Dr. Pelckmann hat mich davon unterrichtet, daß er nicht beabsichtige oder wünsche, Rode zu laden, um ihn vor dem Gerichtshof selbst aussagen zu lassen, sondern daß er sich damit zufrieden gebe, Rode vor der Kommission ins Kreuzverhör zu nehmen.
Wenn daher der Gerichtshof meint, daß im Interesse der Gerechtigkeit für diesen besonderen Fall ein Wiedereintritt in die Beweisaufnahme vor der Kommission erforderlich erscheint, hat die Anklagebehörde gegen diesen Vorschlag Dr. Pelckmanns nichts einzuwenden. Vielleicht, um Dr. Pelckmann gegenüber fair zu sein, sollte ich hinzufügen, daß, wie ich höre, Rode erst vor einigen Tagen hier in Nürnberg eingetroffen ist.
Der letzte Zeuge, der beantragt ist, ist Hermann Rauschning, der frühere Senatspräsident der früheren Freien Stadt Danzig und Verfasser des Buches »Die Stimme der Vernichtung«, von dem die Anklagebehörde Auszüge unter der Nummer USSR-378 als Teil des Belastungsmaterials vorgelegt hat. Von der Anklage wurde noch nie ein Affidavit von Rauschning verwandt. Soviel ich gehört habe, ist Rauschning jetzt in den Vereinigten Staaten.
Die Anklagebehörde erhebt Einspruch gegen seine Vorladung als Zeuge, und zwar aus folgenden Gründen:
Wenn sich der Gerichtshof den Antrag der Verteidigung ansehen will, wird er finden, daß darin drei Punkte enthalten sind, die Rauschning aufklären soll.
Soweit diese Punkte erheblich oder von Beweiswert sein sollten, könnten diese Tatsachen dem Buche Rauschnings »Die Stimme der Vernichtung« entnommen werden, und unter solchen Umständen wäre es ganz unnötig, Rauschning persönlich als Zeugen hierher kommen zu lassen. Die Anklagebehörde würde natürlich keinen Einwand dagegen erheben, wenn die Verteidigung weitere Auszüge aus diesem Buche als Teil des Beweismaterials für die SS-Organisationen vorlegen würde.
VORSITZENDER: Hätte die Anklage Einwände gegen die Vorlage von Fragebogen an Rauschning?
MAJOR ELWYN JONES: Nein, Euer Lordschaft, dagegen haben wir keinen Einwand.
In den zwei ersten Absätzen des Antrags der Verteidigung für Rauschning sind Tatsachen aufgeführt. Ich behaupte, daß die erste, eine kassandraartige Behauptung von Rauschning, daß bis 1939 seinen Warnungen kein Gehör geschenkt worden sei, keine irgendwie geartete Beweiskraft hat. Bezüglich des zweiten Abschnitts, in dem behauptet wird, Rauschning habe gewußt, daß Hitler in den Jahren 1936 und 1937 noch nicht die Absicht gehabt habe, die Juden auszurotten, ist es überhaupt nicht klar, wie Rauschning überhaupt Kenntnis von den Absichten Adolf Hitlers haben konnte – selbst der Teufel sieht nicht in des Menschen Herz.
Ich behaupte nicht, daß eine solche Aussage Rauschnings vollkommen unerheblich sei. Aber, ungeachtet meiner Feststellungen, die Anklage hätte gegen weitere Auszüge aus dem Buche Rauschnings oder gegen die Vorlage von Fragebogen an ihn keinen Einwand.
VORSITZENDER: Ja, Dr. Pelckmann?
RA. PELCKMANN: Hohes Gericht! Mit den Ausführungen des Mr. Elwyn Jones, soweit sie die übrigen Zeugen betreffen, gehe ich durchaus einig. Hinsichtlich der Ausführungen zu dem Zeugen Rauschning möchte ich folgendes zur Begründung sagen: Der Beschluß vom 13. März sagt in Ziffer 6 a, Absatz 3, daß der Beweis erheblich ist, ob die etwaigen verbrecherischen Ziele und Tätigkeiten der SS ganz offenbar gewesen oder der Masse der Mitglieder bekannt gewesen sind.
Ich habe versucht, vor der Kommission den Nachweis zu führen, daß die Ziele und Tätigkeiten nicht verbrecherisch waren, daß es nur Einzelheiten waren oder Taten bestimmter Gruppen und daß sie der Masse nicht bekannt waren, und zwar habe ich das versucht durch – angesichts der Mitgliederzahl – relativ sehr wenige Zeugen, 29, wie der Herr Anklagevertreter sagte, und Tausende von Affidavits. Diese werden ja noch dem Hohen Tribunal vorgetragen werden. Aber das alles betrifft das sogenannte rechtliche Gehör der Mitgliedschaft.
Die Anklage hingegen hat ihre Beweismittel für die Anklagebehauptung gerade gegen die SS wie gegen die anderen Organisationen vor das Tribunal direkt gebracht durch direkte Zeugenaussagen in wochenlanger Verhandlung und durch Urkundenbeweis. Für die weitere Behauptung, die gerade für Ziffer 3 des Beschlusses vom 13. März erheblich ist, daß nämlich die Masse der SS-Mitglieder verbrecherische...