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SIR HARTLEY SHAWCROSS: Hoher Gerichtshof!

Nachdem Holland überrannt war, zeigte bald der Verlauf des Krieges, daß Deutschland militärische Ziele und strategische Interessen durch weitere Angriffe gewinnen würde. Ich habe nicht die Absicht, die verschiedenen Stufen nochmals zu durchlaufen. Wie Hitler bei der Zusammenkunft im November 1939 sagte:

»Verletzung der Neutralität Belgiens und Hollands ist bedeutungslos. Kein Mensch fragt danach, wenn wir gesiegt haben. Wir werden die Verletzung der Neutralität nicht so idiotisch begründen wie 1914.« (Dokument 789-PS.)

Norwegen und Dänemark wurden angegriffen; keinerlei Entschuldigung wurde weder damals noch jetzt für die Besetzung Dänemarks vorgebracht, aber ein angestrengter Versuch wurde in diesem Verfahren unternommen, um den Eindruck zu erwecken, daß Norwegen nur deswegen angegriffen wurde, weil die Deutschen glaubten, daß die Alliierten im Begriffe stünden, einen ähnlichen Schritt zu unternehmen. Selbst wenn dies wahr wäre, so wäre dies keine Antwort, aber die deutschen Dokumente erledigen die Behauptung vollständig, daß die Verletzung der norwegischen Neutralität durch die Deutschen aus diesem Grunde stattgefunden habe.

Schon im November 1934 waren Hitler, Göring und Raeder darüber einig, daß – ich zitiere –

»... Krieg überhaupt nicht geführt werden könnte, wenn nicht die Marine die Erzzufuhr aus Skandinavien sicherstellte.« (Dokument C-190.)

Als dann die europäische Auseinandersetzung näher kam, wurde dementsprechend am 31. Mai 1939 mit Dänemark ein Nichtangriffspakt abgeschlossen (Dokument TC-24), nachdem bereits einen Monat früher Norwegen und Dänemark bereits die üblichen Zusicherungen erhalten hatten (Dokument TC-30). Bei Ausbruch des Krieges wurde Norwegen eine weitere Zusicherung gegeben (Dokument TC-31), auf die am 6. Oktober eine neuerliche folgte (Dokument TC-32). Am 6. September, vier Tage nach seiner Zusicherung, erörterte Hitler mit Raeder die skandinavische Frage und seine politischen Ansichten im Hinblick auf die nordischen Staaten, die in dem Tagebuch des Admirals Aßmann wiedergegeben sind:

»Nordgermanische Gemeinschaft mit eingeschränkter Souveränität in enger Anlehnung an Deutschland.«

Drei Tage nach seiner letzten Zusicherung, am 9. Oktober, schrieb Hitler in seiner für Raeder, Göring und Keitel bestimmten Denkschrift über die große Gefahr, die drohe, wenn die Alliierten die U-Bootdurchfahrt zwischen Norwegen und den Shetlandinseln blockierten und wie wichtig deshalb

»jede Schaffung von U-Boot-Stützpunkten, außerhalb dieser eingeengten Heimatbasis,...«

sei (Dokument L-52). Wo könnte es außerhalb der eingeengten Heimatbasis sein, wenn nicht in Norwegen?

Es ist bezeichnend, daß Dönitz bereits am nächsten Tag einen Bericht vorlegte, in dem er die Vorteile der verschiedenen norwegischen Stützpunkte miteinander verglich (Dokument C-5), nachdem er sechs Tage vorher die Angelegenheit mit Raeder besprochen hatte (Dokument C-122). Die strategischen Vorteile waren allen diesen Männern klar und die Fadenscheinigkeit der Verteidigung, nämlich, daß man sich für die Invasion Norwegens entschieden habe, weil man glaubte, daß die Alliierten eine Invasion planten, wird restlos enthüllt, wenn man sich daran erinnert, was Hitler in seiner Denkschrift in dem Abschnitt sagt, der dem soeben zitierten unmittelbar vorausgeht:

»Ihre Neutralität ist, wenn nicht gänzlich unvorhergesehene Momente eintreten, auch für die Zukunft als wahrscheinlich anzunehmen. Die Fortführung des deutschen Handels mit diesen Ländern erscheint auch bei längerer Kriegsdauer möglich.« (Dokument L-52.)

Hitler sah zu der Zeit keine Gefahr seitens der Alliierten.

Rosenberg und Görings Stellvertreter Körner waren mit Quisling und Hagelin schon im Juni in Verbindung getreten, und es ergibt sich klar aus Rosenbergs sodann erstattetem Bericht, daß Hitler völlig auf dem laufenden gehalten wurde (Dokument 004-PS). Im Dezember war die Zeit zum Planen reif, und so wurde die Entscheidung, einen Angriff vorzubereiten, bei einer Besprechung zwischen Hitler und Raeder getroffen (Dokument C-66). Es dauerte auch nicht lange, und Keitel und Jodl erließen die nötigen Anordnungen, und zur gegebenen Zeit wurden, weil es notwendig war, Göring, Dönitz und Ribbentrop eingeschaltet.

Wie ich bereits sagte, war Hitler am 9. Oktober sicher, daß den nordischen Staaten von selten der Alliierten keine Gefahr drohte. Keiner der angeblichen Berichte des Nachrichtendienstes enthält irgendeine Information, die auch nur im entferntesten eine Präventivinvasion mit der geradezu lachhaften Begründung der Selbsterhaltung rechtfertigen konnte. Es ist richtig, daß Raeder im Februar 1940 Hitler darauf hinwies, daß, wenn England Norwegen besetzte, die gesamte schwedische Erzzufuhr nach Deutschland gefährdet würde (Dokument D-881), aber am 26. März teilte er mit, daß man nunmehr nach Beendigung des russisch-finnischen Konflikts die Gefahr einer alliierten Landung nicht länger als ernst zu betrachten brauche. Trotzdem machte er den Vorschlag, daß der deutsche Angriff, für den alle Anordnungen bereits getroffen waren, beim nächsten Neumond, also am 7. April stattfinden solle (Dokument Raeder-81). Es ist interessant, daß Raeders eigenes Kriegstagebuch, das seine und seines Stabschefs Unterschrift trägt, vier Tage früher eine ähnliche Meinungsäußerung enthält. Wenn es noch weiterer Beweise dafür bedurft hätte, daß die tatsächlichen Maßnahmen ohne Rücksicht auf die Gefahr einer Einmischung des Westens getroffen wurden, so wären diese in den Drahtberichten der Deutschen Gesandten in Oslo und Stockholm und des deutschen Militär-Attachés in der letztgenannten Hauptstadt zu erblicken, in denen der Deutschen Regierung berichtet wird, daß die skandinavischen Regierungen weit davon entfernt seien, sich wegen eines Angriffs der Engländer Sorgen zu machen, daß sie vielmehr befürchteten, die Deutschen hegten Angriffsabsichten (Dokumente D-843, D-844, D-845).

Jodls Bemerkung in seinen Tagebuchaufzeichnungen aus dem März, daß Hitler

»... noch nicht entschlossen sei, wie Weserübung zu begründen« (Dokument 1809-PS),

zusammen mit Raeders lahmer Erklärung, daß diese Bemerkung sich auf den Text der diplomatischen Note beziehe, die man überreichen müsse, und Ribbentrops Behauptung, daß er von dem Einfall nur ungefähr einen Tag vorher Mitteilung erhalten habe, beweisen am besten die Unehrlichkeit dieser Verteidigung. Wieder einmal spielten alle diese Männer, jeder auf seinem Gebiete, die ihnen zugeteilten Rollen, vornehmlich natürlich Rosenberg, der den Weg ebnete, Göring, Raeder, Keitel, Jodl und Ribbentrop, die die erforderlichen Durchführungsmaßnahmen ergriffen. Nicht einer von ihnen erhob Protest. Sogar Fritzsche hat keine andere Verteidigung als die, daß er erst in einem sehr späten Stadium von der Sache erfahren habe, nämlich als man, wie üblich, von ihm verlangte, daß er über den Rundfunk sprechen solle. Er behauptet nicht, protestiert zu haben. Wiederum unternahm man einen rücksichtslosen Angriff auf zwei Länder unter Verletzung aller Verträge und Zusicherungen, einzig und allein, weil es strategisch wünschenswert erschien, die norwegischen Stützpunkte zu besitzen und das skandinavische Eisenerz sicherzustellen.

Und so ging es weiter: Jugoslawien, dessen Schicksal bereits vor dem Kriege besiegelt war, Griechenland und dann Sowjetrußland. Der deutsch-sowjetische Vertrag vom 23. August 1939 öffnete das Tor. Wie völlig wertlos die Unterschrift Ribbentrops war, ergibt sich deutlich aus der sechs Wochen später verfaßten Denkschrift Hitlers, in der er bemerkt:

»Die geringe Bedeutung des Wertes vertraglicher Abmachungen hat sich gerade in den letzten Jahren nach allen Seiten hin erwiesen.« (Dokument L-52.)

Ungefähr am 18. Dezember 1940 muß klar gewesen sein, daß Deutschland keine Hoffnung hatte, den Widerstand Englands – das damals auf Monate hinaus die Bastion der Freiheit und Demokratie allein gegen einen Feind hielt, der zu dieser Zeit auf der Höhe seiner Macht stand – zu überwinden, und so wurden die ersten Anordnungen zu einem Angriff in anderer Richtung, nämlich gegen Sowjetrußland, erteilt (Dokument 446-PS). Es ist tatsächlich richtig -und es ist auch interessant-, daß bei dieser Gelegenheit mehrere Angeklagte gewisse Einwendungen erhoben haben. Das kleine Norwegen konnte man ohne Widerspruch vergewaltigen. Das bot keine Gefahr. Und der Vergewaltigung der tapferen Niederlande und Belgiens stimmten sie beglückt zu. Aber hier hatte man es mit einem Gegner zu tun, der einem Prahler Furcht und Schrecken einjagen konnte. Die Angeklagten erhoben, wenn überhaupt, so natürlich nur aus rein militärischen Gründen Bedenken. Allerdings behauptet Raeder, daß ihn der Gedanke an das moralische Unrecht geleitet habe, das in einem Bruch des deutsch-sowjetischen Vertrags lag. Die Entscheidung darüber liegt bei Ihnen. Von solchen moralischen Bedenken, die vorzubringen bei unzähligen anderen Gelegenheiten gebührender Anlaß gewiesen wäre, wird nur dann berichtet, wenn einer seiner Offiziere eine Dame zweifelhaften Rufes zu heiraten beabsichtigte. Die Wahrheit ist, daß einige dieser Männer allmählich Angst bekamen. Englands Widerstand hatte ihnen bereits zu denken gegeben. Wollte Hitler es nun mit einem weiteren Gegner aufnehmen, den er nicht niederwerfen konnte? Als die Entscheidung aber einmal gefallen war, machte sich jeder daran, seine Rolle wie üblich unter Mißachtung aller Gesetze der Moral und sogar des menschlichen Anstandes zu spielen.

In keinem einzigen Fall ging der militärischen Aktion eine Kriegserklärung voraus. Wie viele Tausende unschuldiger und harmloser Männer, Frauen und Kinder, die in dem seligen Glauben in ihren Betten schliefen, daß ihr Land im Frieden lebte und weiterleben werde, wurden plötzlich durch den Tod, der warnungslos aus heiterem Himmel auf sie herabfiel, in die Ewigkeit befördert! Wodurch unterscheidet sich die Schuld eines dieser Männer von der Schuld des gemeinen Mörders, der sich heimlich an seine Todesopfer heranschleicht, um ihnen Hab und Gut zu rauben?

Die Dokumente (386-PS, L-79) machen es in jedem einzelnen Fall deutlich, daß es sich hier um einen gemeinsamen Plan handelte. Der Angriff hatte »blitzartig schnell« zu erfolgen – ohne vorherige Warnung: Österreich, die Tschechoslowakei, Polen –, Raeder zitiert die Keitelsche Anweisung, »starke, überraschende Schläge« zu führen (Dokument C-126), Dänemark, Norwegen, Belgien, Holland, Rußland. Wie Hitler in Gegenwart von mehreren dieser Männer sagte:

»Erwägungen über Recht und Unrecht oder über Verträge kommen nicht in Betracht.« (Dokument L-79.)

Die Tötung von Kombattanten im Kriege ist sowohl nach den Grundsätzen des Völkerrechts wie des Landesrechts im Kriege nur zulässig, wenn der Krieg selbst legal ist. Aber wenn es sich um einen illegalen Krieg handelt – wie es ein nicht nur unter Bruch des Paktes von Paris, sondern auch ohne jede Warnung oder Erklärung begonnener Krieg ohne Zweifel ist –, dann gibt es keine Rechtfertigung für Tötung, und diese Morde unterscheiden sich durch nichts von denen irgendwelcher anderer illegaler Räuberbanden.

Jeder einzelne dieser Männer kannte diese Pläne in dem einen oder anderen Stadium ihrer Entwicklung. Jeder von ihnen schwieg still zu dieser Taktik, obwohl er genau wissen mußte, was sie für die menschlichen Leben bedeuten mußte. Wie kann einer von ihnen jetzt behaupten, daß er nicht an dem gemeinen Mord in seiner erbarmungslosesten Form teilgenommen habe?

Aber ich befasse mich jetzt nicht mit den Morden, die schon für sich allein die Verurteilung dieser Männer voll und ganz rechtfertigen würden, sondern mit ihren Verbrechen gegen den Frieden. Lassen Sie mich etwas über den rechtlichen Aspekt dieser Frage sagen, denn die Regierung Seiner Majestät im Vereinigten Königreich und auch alle Hauptankläger legen großes Gewicht darauf, diesen klar herauszustellen.

Die ausgezeichneten Ausführungen von Professor Jahrreiss für die Verteidigung waren frei von Zweideutigkeit. Ihr Ergebnis war, daß nach dem Kellogg- Briand-Pakt und anderen internationalen Erklärungen und Verträgen der Angriffskrieg rechtswidrig, jedoch kein Verbrechen sei. Zur Unterstützung dieser Behauptung ist ausgeführt worden, daß letzteres auch nicht der Fall sein konnte, da dieser und jeder derartige Versuch, Angriffskriege zu Verbrechen zu stempeln, mit der Souveränität der Staaten unvereinbar gewesen wäre, und daß jedenfalls das ganze System der Kriegsverhütung vor dem Ausbruch des zweiten Weltkriegs zusammengebrochen und damit die Rechtsgrundlage fortgefallen sei: Es ist ferner ausgeführt worden, daß diese Verträge von vielen Juristen und Journalisten nicht ernst genommen worden seien und daß sie auch wirklich nicht verdient hätten, ernst genommen zu werden, weil sie keine Vorschriften dafür enthielten, wie das Problem der Änderung des Status quo mit friedlichen Mitteln zu lösen sei. Im Hinblick auf den Pakt von Paris selbst behauptet die Verteidigung, daß hier eine verbrecherische oder auch nur rechtswidrige Vertragsverletzung nicht in Frage komme, da jeder Staat, auch Deutschland, das Recht besitzen müsse, darüber zu entscheiden, ob er zu seiner Selbstverteidigung Krieg führen müsse. Schließlich ist behauptet worden, daß der Staat keine strafrechtliche Verantwortung tragen könne, und daß, auch wenn man diese Behauptung nicht gelten lasse, das Verbrechen ein Verbrechen des deutschen Staates und nicht einzelner seiner Angehörigen sei, weil im deutschen Staat, der diesen Krieg in der Welt entfesselt hat, kein individueller Wille, sondern nur ein souveräner, unkontrollierter und endgültiger Wille gegolten habe, nämlich der des Führer-Diktators.

Ich kann mich damit begnügen zu sagen, daß diese ganze Beweisführung an dem Hauptpunkt vorbeigeht und vor diesem Gerichtshof nicht gehört werden kann, da sie im Widerspruch mit dem Statut steht. Denn dieses legt ausdrücklich fest, daß das Planen – und ich betone das Wort »Planen« –, die Vorbereitung, die Einleitung oder die Durchführung eines Angriffskrieges oder eines Krieges unter Verletzung internationaler Verträge, Abkommen und Zusicherungen als Verbrechen betrachtet werden soll, das unter die Zuständigkeit dieses Gerichtshofs fällt. Es ist deshalb klar, daß die Angeklagten nur dann ihrer Strafe entgehen können, wenn sie den Gerichtshof davon überzeugen können, daß diese Kriege weder Angriffskriege noch Kriege unter Verletzung von Verträgen gewesen sind. Das haben sie nicht getan. Welchen Zweck hat unter diesen Umständen die Beweisführung, die für sie vorgetragen wurde? Soll sie die Zuständigkeit dieses Gerichtshofs in dieser Sache bestreiten? Oder – was wahrscheinlicher ist – stellt sie einen politischen Appell an eine außerhalb dieses Gerichtssaals befindliche Zuhörerschaft dar, auf die man mit der Einwendung, die Angeklagten würden einer ex post facto-Gesetzgebung unterworfen, leicht Eindruck machen kann?

Was immer der Zweck dieser Ausführungen ist, sie dürfen nicht unwidersprochen bleiben. Ich bemühe mich, keine Zeit mit der Wiederholung dessen zu verschwenden, was ich in meiner Eröffnungsrede über die Veränderung des Begriffs des Krieges im Völkerrecht als das Ergebnis der langen Reihe von Verträgen und ganz besonders des Allgemeinen Vertrags zur Ächtung des Krieges ausgeführt habe. Ich habe vorgetragen, daß dieser Vertrag – der zu denjenigen internationalen Verträgen gehört, die die meisten Unterschriften tragen – einen Grundsatz des Völkerrechts mit einer Feierlichkeit und Klarheit aufstellt, die in dem üblichen Völkerrecht oft fehlt; daß die tiefgreifende Veränderung, die er gebracht hat – obwohl in der Tat schon im Mittelalter die Unterscheidung zwischen gerechten und ungerechten Kriegen anerkannt war –, sich in gewichtigen Verlautbarungen von Regierungen und Staatsmännern widerspiegelt. Ich trage vor, daß er die Einleitung eines Krieges unter Verletzung des Vertrags zur rechtswidrigen Handlung machte, und daß es keinen Unterschied zwischen Rechtswidrigkeit und verbrecherischem Charakter bei einem Rechtsbruch gibt, der den Tod von Millionen und einen unmittelbaren Angriff auf die letzten Grundlagen der Zivilisation bedeutete. Ich will auch keine Zeit damit verlieren, daß ich im einzelnen auf die seltsamen rechtlichen Ausführungen eingehe, die von der Verteidigung gemacht worden sind, zum Beispiel, daß dem Vertrag keine Wirkung von seinen Signataren beigelegt worden sei, weil er in gewissen Kreisen mit Ungläubigkeit und Spott aufgenommen wurde.

Noch befremdlicher wirkt auf normales Rechtsempfinden die Behauptung, daß dieser Vertrag – und die anderen Verträge und Zusicherungen, die ihm folgten – auf alle Fälle im Jahre 1939 seine Rechtswirkung verloren habe, weil damals bereits das gesamte System der kollektiven Sicherheit zusammengebrochen gewesen sei. Die Tatsache, daß die Vereinigten Staaten im Jahre 1939 ihre Neutralität erklärten, wurde als ein Beweis für den Zusammenbruch dieses Systems angeführt, als ob die Vereinigten Staaten irgendwie rechtlich verpflichtet gewesen wären, anders zu handeln. Aber inwiefern kann die Tatsache erheblich sein, daß das System, das zur Durchsetzung dieser Verträge und zur Verhinderung und Bestrafung der verbrecherischen Anzettelung eines Krieges erdacht war, praktisch ohne Wirkung blieb? Nahmen die Angriffe Japans und Italiens und der anderen Staaten, die zur Verschwörung der Achse gehörten, und später die deutschen Angriffe gegen Österreich und die Tschechoslowakei jenen Verpflichtungen ihre verbindliche Kraft, weil diese Verbrechen einen vorübergehenden Erfolg erzielten? Seit wann hat die zivilisierte Welt den Grundsatz anerkannt, daß die vorübergehende Straflosigkeit des Verbrechers nicht nur das Gesetz seiner verbindlichen Kraft beraubt, sondern auch das Verbrechen legalisiert?

Es sei übrigens bemerkt, daß in den Fällen des japanischen wie des italienischen Angriffs sowohl der Rat wie die Versammlung des Völkerbunds diese Handlungen als Verletzung der Völkerbundssatzung und des Allgemeinen Vertrags zur Ächtung des Krieges brandmarkten und daß in beiden Fällen Sanktionen beschlossen worden sind. Es mag sein, daß die Polizisten nicht so wirksam durchgegriffen haben, wie man dies hätte wünschen sollen. Aber das war ein Versagen der Polizisten und nicht des Gesetzes.

Aber man hat sich nicht mit der erstaunlichen Behauptung begnügt, daß die Angreifer gerade durch ihre Angriffshandlungen das Gesetz gegen den Angriff abgeschafft hätten, weil die friedliebenden Staaten zögerten, gegen die ihnen angetane Erpressung und Vergewaltigung zu den Waffen zu greifen. Die Angeklagten haben auch noch die Frage der Selbstverteidigung aufgeworfen. Sie haben allerdings nicht behauptet, daß diese Kriege Verteidigungskriege gewesen seien; nicht einmal Goebbels in seinen wildesten Exzessen ist soweit gegangen. Was sie anscheinend sagen wollten, ist nicht, daß ihre Kriege in Selbstverteidigung geführt worden sind, sondern daß der Pakt tatsächlich überhaupt keinerlei rechtliche Bindung enthalte, da der Pariser Pakt nicht nur das Recht der Staaten auf Selbstverteidigung, sondern auch das souveräne Recht jedes Staates unberührt lasse festzustellen, ob ein Krieg zur Selbstverteidigung unter den gegebenen Umständen gerechtfertigt war Das aber ist ein völliger Trugschluß, wie wir betonen möchten. Es ist zwar richtig, daß die Erklärungen, die der Unterschrift und der Ratifizierung des Pariser Paktes vorangehen und ihn begleiten, das Recht der Selbstverteidigung nicht nur als ein wesentliches und unentziehbares Recht der Vertragspartner anerkannten, sondern daß auch die Unterzeichnerstaaten sich das ausschließliche Recht vorbehalten hatten, darüber zu entscheiden, ob die Umstände die Ausübung dieses Rechts verlangen.

Die Frage ist nun aber, ob dieser Vorbehalt der Selbstverteidigung den Zweck und die Rechtswirksamkeit des Vertrags vernichtet hat. Wenn Deutschland berechtigt war, in Ausübung der Selbstverteidigung zum Kriege zu schreiten, und wenn es Deutschland freistand, darüber zu entscheiden, unter welchen Umständen es ihm erlaubt sein sollte, das Recht der Selbstverteidigung auszuüben – kann denn dann jemals angenommen werden, daß es die feierlich übernommene Verpflichtung des Vertrags verletzt habe? Diese Frage hat die Verteidigung im negativen Sinne zu beantworten versucht. Aber diese Antwort kommt der Behauptung gleich, daß dieser feierliche Vertrag, der von mehr als 60 Nationen unterschriftlich anerkannt worden ist, nichts als ein Fetzen Papier ohne jede Bedeutung sei. Das Ergebnis würde sein, daß jede Verhinderung oder Beschränkung des Rechts zum Kriege ohne Wirkung ist, wenn sie nur ausdrücklich das Recht der Selbstverteidigung vorsieht. Der Gerichtshof wird dieses Zerrbild einer Rechtsdeduktion mit Nachdruck auf den ihr gebührenden Platz verweisen.

Weder der Pariser Pakt noch irgendein anderer Vertrag wollte oder konnte das Recht der Selbstverteidigung abschaffen. Noch wollte er die Signatarmächte des Rechts berauben, zunächst selbst festzustellen, erstens, ob Gefahr in einem Aufschub lag und, ob sofortiges Handeln zur Selbstverteidigung geboten war. Nur das bedeutet die ausdrückliche Vorschrift, daß jeder Staat darüber Richter sei, ob Handeln zur Selbstverteidigung notwendig ist. Aber das heißt nicht, daß der Staat, der so handelt, in letzter Instanz über die Rechtmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit seines Vorgehens entscheidet. Er handelt auf seine eigene Gefahr. Genau wie die Einzelperson für die Ausübung ihres gewohnheitsrechtlich feststehenden Rechtes zur Selbstverteidigung verantwortlich ist, so ist der Staat verantwortlich, wenn er sein Recht mißbraucht, wenn er seine »Selbstverteidigung« zu einem Werkzeug der Eroberung und Gesetzlosigkeit macht, wenn er sein natürliches Recht zur Selbstverteidigung in eine Waffe der Beutegier und Eroberungslust verfälscht. Die letzte Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Handlungsweise, von der er behauptet, daß sie zur Selbstverteidigung erfolgt, liegt nicht bei dem betreffenden Staate. Aus diesem Grunde ändert das Recht auf Selbstverteidigung – ob ausdrücklich oder implizite vorbehalten – nichts an der Tatsache, daß ein Vertrag imstande ist, rechtliche Bindungen gegen den Krieg zu schaffen.

Nach der Satzung des Völkerbundes war Japan zunächst berechtigt, selbst darüber zu entscheiden, ob die Ereignisse in der Mandschurei es rechtfertigten, zur Selbstverteidigung durch Gewaltanwendung zu schreiten. Aber es mußte einem unparteiischen Untersuchungsgremium überlassen bleiben festzustellen – wie es tatsächlich geschehen ist –, daß in Wirklichkeit keine Rechtfertigung zur Selbstverteidigung vorlag. Um ein neueres Beispiel zu erwähnen, legt der Artikel 51 des Statuts der Vereinten Nationen fest, daß keine Bestimmung des Statuts das natürliche Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung gegen einen bewaffneten Angriff beeinträchtigen soll. Aber es überläßt ausdrücklich das Recht zur endgültigen Handlung und Entscheidung dem Sicherheitsrat. Es steht zu hoffen, daß das Urteil dieses Gerichtshofs mit der gebührenden Endgültigkeit für alle Zukunft der Behauptung den Boden entzieht, daß ein Vertrag, weil er den Signatarmächten das Recht auf Selbstverteidigung vorbehält, aus diesem Grund nicht die Kraft hat, ihnen rechtlich bindende Verpflichtungen gegen den Krieg aufzuerlegen.

Ich wende mich jetzt der Behauptung zu, daß der Begriff der staatsrechtlichen Verantwortlichkeit mit dem Begriff der staatlichen Souveränität unvereinbar sei. Ein Staat mag, wie Professor Jahrreiss einräumt, einen Verstoß gegen das Völkerrecht begehen, aber er behauptet, daß es hieße, die staatliche Souveränität zu verneinen, wenn man ihn, den Staat, strafrechtlich verantwortlich und strafbar machen wollte.

Es mutet seltsam an, wenn die Angeklagten, die als Deutsche Regierung die meisten europäischen Staaten überrannt, brutal deren souveräne Unabhängigkeit mit Füßen getreten und mit prahlerischem und großtuerischem Zynismus die Souveränität der eroberten Staaten dem neuen Begriff der »Großraumordnung« unterworfen haben – es mutet seltsam an, sage ich, wenn diese Angeklagten sich auf die geheimnisvollen Kräfte und die Heiligkeit staatlicher Souveränität berufen. Nicht weniger bemerkenswert ist es, wenn sie sich auf das allgemein anerkannte Völkerrecht berufen, um den besiegten deutschen Staat und seine Gewalthaber vor der gerechten Bestrafung durch die Siegermächte zu schützen. Aber es gibt keine Vorschrift des Völkerrechts, deren Hilfe sie zu diesem Zweck in Anspruch nehmen können.

In gewissem Sinn befaßt sich dieses Verfahren nicht mit einer Bestrafung des deutschen Staates. Es befaßt sich mit der Bestrafung von Einzelpersonen. Aber es mag befremdend erscheinen, wenn Einzelpersonen strafrechtlich verantwortlich gemacht werden für Handlungen des Staates, wenn diese Handlungen selbst keine Verbrechen gewesen sind. Die Ansicht, daß das Völkerrecht strafrechtliche Verantwortlichkeit der Staaten ausschließe, ist völlig unbegründet und ebenso die Ansicht, daß die Staaten, weil sie auf Grund ihrer Souveränität keinem Zwang unterworfen werden können, immer legal handeln. Streng orthodoxe Juristen behaupten vielleicht, daß Recht nur das ist, was durch ein souveränes Gremium, das die Macht hat, Gehorsam zu erzwingen, von obenher auferlegt worden ist. Diese Begriffsbestimmung analytischer Juristen ist niemals auf das Völkerrecht anwendbar gewesen. Andernfalls könnte von den zweifellos bestehenden Verpflichtungen der Staaten auf dem Gebiet des Rechtes der Verträge und der unerlaubten Handlungen keine Rede sein.

Es mag richtig sein, daß es in den völkerrechtlichen Beziehungen vor dem Kriege kein überstaatliches Gremium gab, das gleichzeitig völkerrechtliche Verpflichtungen auferlegte und deren Durchführung erzwang. Aber das Vorhandensein von Recht ist, jedenfalls auf dem Gebiet des Völkerrechts, niemals abhängig gewesen von dem Bestehen einer entsprechenden Vollzugsgewalt, die dem Recht selbst nicht innewohnte. Das Völkerrecht baute sich vielmehr stets auf der Grundlage allgemeiner Zustimmung auf und, wo es sich um ein Rechtssystem handelt, das auf Grund allgemeiner Zustimmung für die Glieder dieser völkerrechtlichen Gemeinschaft rechtsverbindlich geworden ist, da werden diese Rechtsvorschriften zu Gesetzen dieser Gemeinschaft, obwohl die Zustimmung nicht durch Gewalt erreicht worden ist und obwohl es möglicherweise an einer äußeren Sanktion mangelt, durch die der Gehorsam erzwungen werden könnte, glücklicherweise Tatsache ist, daß die absolute staatliche Souveränität im alten Sinne der Vergangenheit angehört. Sie ist ein Begriff, der mit der bindenden Kraft jedes völkerrechtlichen Vertrags völlig unvereinbar ist.

Bei der Arbeit des Ständigen Internationalen Schiedsgerichtshofs wurde die Berufung auf die staatliche Souveränität zum ständigen Argument für die Begründung der Auffassung, daß, da die Staaten souverän seien, die von ihnen eingegangenen Verpflichtungen einschränkend auszulegen seien. Der Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung gegen diese Auffassung Stellung genommen. In seinem ersten Urteil – einem Urteil gegen Deutschland in dem Fall Wimbledon – hat es die Geltendmachung der Souveränität als Grund für eine einschränkende Auslegung vertraglicher Verpflichtungen zurückgewiesen. Der Gerichtshof hat es abgelehnt, in einem Vertrag, durch den ein Staat sich zu einem bestimmten Verhalten verpflichtete, einen Verzicht auf seine Souveränität zu erblicken. Der Gerichtshof hat Deutschland daran erinnert, daß gerade in dem Recht, völkerrechtliche Verpflichtungen einzugehen, das Kennzeichen staatlicher Souveränität zu erblicken sei. Vom philosophischen Standpunkt aus stellen das Recht, Verträge einzugehen und das Recht der Handlungsfreiheit eine ewige Antithese dar. Aber ebenso wie der Mensch sich seine Freiheit, sichert, indem er die Gesetze befolgt, so können auch souveräne Staaten ihre eigene Staatspersönlichkeit beibehalten. Aber die Auffassung, daß Staaten, weil sie souverän sind, keinem Zwang unterliegen, ist längst aufgegeben worden. Die Satzung des Völkerbundes sah in ihrem Artikel 16 Sanktionen gegen souveräne Staaten vor – und Sanktionen ist nur ein anderer Name für Zwangsmaßnahmen, vermutlich Zwangsmaßnahmen mit Strafcharakter. Das Statut der Vereinten Nationen hat sich dem angeschlossen, und zwar in viel entschiedenerer Weise. Es ist zwar richtig, daß, weil es bisher ein mit Vollzugsgewalt ausgestattetes Gericht nicht gegeben hat, ein juristischer Präzedenzfall dafür, daß ein Staat vor ein Strafgericht gezogen ist, nicht vorliegt. Aber das trifft auch in gleichem Maße auf die zivile Haftbarkeit von Staaten zu, denn außer im Falle vertraglicher Vereinbarung hat auch in diesen Fällen kein internationaler Gerichtshof die Befugnis, darüber mit Vollzugsgewalt zu entscheiden.

Der erste Mann, gegen den wegen Mordes verhandelt wurde, hat sich vielleicht darüber beschwert, daß niemals zuvor ein Gericht solch ein Verfahren durchgeführt hat. Das Verfahren, die zu verhängenden Strafen und die Zuständigkeit der Gerichte können immer durch spätere Verlautbarung festgesetzt und errichtet werden. Die einzige Neuerung, die dieses Statut eingeführt hat, besteht darin, daß sie die längst überfällige Maschinerie zum Vollzug des bereits bestehenden Rechtes eingeführt hat. Der Einwand, daß das Statut ein mit rückwirkender Kraft ausgestatteter Akt der Gesetzgebung sei, ist unbegründet, und zwar sowohl was die Erklärung des Angriffskriegs zur verbrecherischen Handlung als auch was die Feststellung angeht, daß Staaten nicht außerhalb der strafrechtlichen Verantwortlichkeit stehen.

Aber dann wird weiter ausgeführt, daß, selbst wenn der Staat verantwortlich sei, es nur der Staat und nicht die Einzelpersonen seien, die nach Völkerrecht verantwortlich gemacht werden könnten. Für diese Behauptung werden verschiedene Gründe angeführt. Nur Staaten, so wird ausgeführt, und nicht Einzelpersonen seien Subjekte des Völkerrechts. Aber ein solches völkerrechtliches Prinzip existiert nicht. Man braucht nur den Fall der Piraterie, des Blockadebruchs oder der Spionage zu betrachten, um zu sehen, daß in zahlreichen Fällen das Völkerrecht Einzelpersonen Pflichten auferlegt. Es ist von jeher anerkannt worden, daß Kriegsverbrechen Einzelpersonen in den Bereich des Völkerrechts ziehen. In England und den Vereinigten Staaten haben unsere Gerichte ständig die Anschauung vertreten, daß die anerkannten Regeln des Völkerrechts für den Untertan und Bürger bindend sind, und in den meisten Ländern ist die Lage im wesentlichen dieselbe. In Deutschland selbst legte Artikel 4 der Weimarer Verfassung fest, daß die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts als wesentlicher Bestandteil des deutschen Reichsrechts zu gelten haben. Welch andere Bedeutung kann alles dies im Endergebnis haben, als daß die Regeln des Völkerrechts auch für Einzelpersonen bindend sind? Sollen wir von diesem Grundsatze nur deswegen abweichen, weil wir es hier mit dem schwersten aller Verbrechen zu tun haben – mit Verbrechen gegen den Frieden der Völker und Verbrechen gegen die Menschlichkeit? Das Recht ist ein lebendiges, wachsendes Wesen. Auf keinem anderen Gebiete ist die Feststellung mehr angebracht, daß Rechte und Pflichten der Staaten Rechte und Pflichten der Menschen sind, und daß sie, wenn sie keine Einzelpersonen binden, niemanden binden. Es ist eine erschreckende Vorstellung, daß diejenigen, die die Begehung eines Verbrechens unterstützen, die dazu anstiften und mit Rat und Tat mitwirken, selbst von Verantwortung frei sein sollen. Das völkerrechtliche Verbrechen unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht von dem nach innerstaatlichem Recht begangenen.

Die Behauptung wird dann noch auf andere Weise vertreten. Wo die betreffende Handlung eine Handlung des Staates darstelle, seien diejenigen, die sie als Werkzeug des Staates ausführen, nicht persönlich verantwortlich; sie seien berechtigt, sich hinter der Souveränität des Staates zu verschanzen. Es wird nicht behauptet, daß, diese Beweisführung in irgendwelcher Hinsicht auf Kriegsverbrechen zutrifft, und da wir vorgetragen haben, daß jeder dieser Männer zahlloser Kriegsverbrechen schuldig ist, könnte diese Angelegenheit als rein theoretisch abgetan werden. Ein solches Vorgehen würde jedoch den Wert herabmindern, den dieses Verfahren auf die fernere Entwicklung des Völkerrechts haben wird.

Nun ist es zwar richtig, daß eine Reihe von gerichtlichen Entscheidungen vorliegt, in denen ausgesprochen wird, daß ein Staat keine Gewalt über einen anderen souveränen Staat oder über dessen Oberhaupt oder Vertreter hat. Diese Entscheidungen gründeten sich aber auf die Regeln nationalen Anstandes und friedlichen und reibungslosen internationalen Verkehrs und haben tatsächlich die Unantastbarkeit fremder Souveränität nur insoweit zur Voraussetzung, als die Anerkennung der Souveränität als solcher erst internationale Beziehungen ermöglicht. Sie bieten dagegen, keinerlei Stütze für die Auffassung, daß diejenigen, die die Organe der Staaten sind, die hinter dem Staate stehen, das Recht hätten, sich hinter dem metaphysischen Gebilde zu verschanzen, das sie selbst geschaffen haben und beherrschen, wenn dieser Staat durch ihre eigenen Anordnungen darauf ausgeht, gerade den Anstand zu zerstören, der die Voraussetzung für das Bestehen einer völkerrechtlichen Ordnung bildet. Angenommen, ein Staat schickt eine Gruppe von Leuten auf das Gebiet eines anderen Staates, um zu morden und zu rauben. Würden diese Leute straffrei sein, weil sie bei der Ausführung ihrer verbrecherischen Pläne als Organe eines anderen Staates gehandelt haben? Gesetzt den Fall, die Einzelpersonen, die den Beutezug befohlen haben, fielen in die Hände des angegriffenen Staates, könnten sie Straflosigkeit verlangen? Nach meiner Auffassung zweifellos nicht. Aber das ist genau das, was sich hier zugetragen hat. Die Wahrheit ist, daß dieser Versuch, ein Verbrechen mit dem Mantel der Straflosigkeit zu umhüllen, weil das Tatmotiv nicht ein persönliches, sondern ein politisches sei, sich nicht auf irgendein Rechtsprinzip stützen kann, sondern einer willkürlichen politischen Lehrmeinung entspringt, die eher in die Sphäre der Machtpolitik als in diejenige gehört, in der Recht und Gesetz herrschen.

Schließlich wird noch ausgeführt, daß diese armen Menschen ohnmächtige Werkzeuge in den Händen Hitlers waren, die nur auf Befehl und nach ihrer Behauptung nur zögernd taten, was sie taten. Der Einwand des Handelns auf höheren Befehl ist durch das Statut ausgeschlossen, wenn auch Artikel 8 vorsieht, daß dies bei der Bestrafung mildernd berücksichtigt werden kann, falls es nach Ansicht des Gerichtshofs gerechtfertigt erscheint. Aber das Statut stellt lediglich das Recht fest. Es gibt nämlich keine Regel im Völkerrecht, nach der diejenigen straflos bleiben, die Befehlen gehorchen, welche offensichtlich dem Naturrecht widersprechen, aus dem das Völkerrecht erwachsen ist, ganz gleich, ob diese Befehle den Gesetzen des Landes, in dem sie gegeben wurden, entsprechen oder nicht. Wenn Völkerrecht überhaupt anwendbar sein soll, muß es dem innerstaatlichen Recht insofern übergeordnet sein, als es die Rechtmäßigkeit dessen, was geschieht, nach völkerrechtlichen und nicht nach innerstaatlichen Maßstäben beurteilt. Aber nach jedem Maßstab des Völkerrechts, des allgemeinen Gewissens und der einfachsten Menschlichkeit waren diese Befehle rechtswidrig, wenn es überhaupt wahr ist, daß diese Männer tatsächlich in Ausführung von Befehlen gehandelt haben. Können sie also entschuldigt werden?

Die Diktatur, hinter der sich diese Männer zu verschanzen suchen, war ihre eigene Schöpfung. Von dem Wunsche getrieben, sich selbst eine Machtstellung zu schaffen, haben sie das System aufgebaut, von dem sie ihre Befehle empfingen. Der Fortbestand dieses Systems hing von ihrer dauernden Unterstützung ab. Selbst wenn es wahr wäre, daß – wie Jodl behauptet – diese Männer vielleicht entlassen oder eingekerkert worden wären, wenn sie die ihnen gegebenen Befehle nicht befolgt hätten, wäre nicht jedes Schicksal besser gewesen, als sich für solche Dinge herzugeben? Aber es ist nicht wahr. Sie waren die Männer des engsten Vertrauens, die Männer, die die Pläne sowohl schmiedeten als auch ausführten; unter allen Leuten waren sie es, die Hitler hätten beraten, zur Mäßigung veranlassen und ihm hätten Einhalt gebieten können, anstatt ihn auf seiner teuflischen Bahn noch anzuspornen. Der Grundsatz der kollektiven Verantwortung der Mitglieder einer Regierung ist nicht eine künstliche Lehre des Verfassungsrechts, er bildet einen wesentlichen Schutz der Menschenrechte und der Völkergemeinschaft. Das Völkerrecht hat das volle Recht, seine eigene Existenz dadurch zu schützen, daß es ihm Wirksamkeit verleiht.

Lassen Sie mich nun zu Punkt 3 und 4 der Anklage übergehen, den Punkten, die von Kriegsverbrechen und von dem handeln, was wir zutreffend als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnet haben.

Darf ich über diese zunächst einige Ausführungen rechtlicher Natur machen. Über das Recht der Kriegsverbrechen braucht wenig gesagt zu werden, denn das Recht ist vollkommen klar und wird nicht angezweifelt. Hier handelt es sich um Verbrechen, die in ihrem Ausmaß furchtbarer sind, als alles bisher Bekannte, aber gleichwohl fallen sie deutlich unter die Vorschriften des bereits bestehenden Völkerrechts und eindeutig unter die legitime Zuständigkeit eines nationalen oder eines internationalen Gerichtshofs. Hier gibt es keine Rückwirkung, keine Frage der Gesetzgebung mit rückwirkender Kraft, noch kann hier auch nur im entferntesten von einer Neuerung in den Bestimmungen des Statuts die Rede sein, wonach diejenigen, die die höchste Verantwortung für diese furchtbaren Taten tragen, auch persönlich verantwortlich sein sollen. Es ist richtig, daß die Juristen und Staatsmänner vergangener Tage, die im Haag und anderswo ein Gebäude von Rechtsnormen und anerkannten Gebräuchen errichtet haben, durch die die Welt versucht hat, die Grausamkeit des Krieges zu mildern und unbeteiligte Nichtkombattanten vor seinen schlimmsten Härten zu schützen, niemals von einem Massenmord von solcher Ausdehnung geträumt haben. Aber Mord hört nicht auf, Mord zu sein, nur weil die Opfer sich auf das Zehnmillionenfache vermehrt haben. Verbrechen hören nicht auf, Verbrechen zu sein, nur weil sie einen politischen Grund haben. Von diesen Verbrechen gab es viele der mannigfältigsten Art. Es ist nutzlos, sie hier aufzuzählen. Sie unterscheiden sich beträchtlich in der Anzahl der Opfer: Da sind die 50 ermordeten Kriegsgefangenen, die aus Stalag Luft III entkommen waren; die Hunderte von Angehörigen der Kommandounternehmen und die Flieger, die umgebracht wurden; da sind die Tausende von Geiseln unter den umgebrachten Zivilpersonen; die Zehntausende von Seeleuten und Passagieren, die in einem Piratenfeldzug des Schreckens zugrunde gingen; da sind die Hunderttausende von Kriegsgefangenen, besonders Russen, und die Zivilpersonen, die infolge der Härten und Grausamkeiten, denen sie ausgesetzt waren, umkamen, wenn sie nicht geradezu ermordet wurden; und da sind die vielen Millionen, die durch glatten Mord oder durch die langsamere Methode vorbedachten Aushungerns umgebracht wurden, sechs Millionen von ihnen einzig und allein aus dem Grunde, weil sie der jüdischen Rasse oder dem jüdischen Glauben angehörten.

Die bloße Anzahl der Opfer ist keineswegs der richtige Maßstab für die Kriminalität einer Tat. Die Majestät des Todes, das Mitleid für die Unschuldigen, Schauer und Abscheu vor der Schmach, die dem als Ebenbild Gottes geschaffenen Menschen angetan wird – dies alles sind keine einer mathematischen Berechnung zugänglichen Dinge. Und dennoch sind Zahlen irgendwie maßgeblich. Denn wir haben es hier nicht mit gelegentlichen Greueltaten zu tun, so wie sie in jedem Krieg vorzukommen pflegen. Mag sein, daß der Krieg die guten Eigenschaften des Menschen entwickelt; auf jeden Fall bringt er die schlechtesten zum Vorschein. Es handelt sich nicht um ein Kricketmatch. In jedem Krieg, auch in diesem, hat es zweifellos – und ganz gewiß auf beiden Seiten – Gewalt- und Greueltaten gegeben. Gewiß erschienen sie denen, an denen sie verübt worden sind, schrecklich genug, ich entschuldige und beschönige sie nicht. Aber sie waren zufällige, unorganisierte und vereinzelte Taten. Hier jedoch haben wir es mit etwas ganz anderem zu tun: Mit systematischen, großangelegten, zusammenhängenden Untaten, die vorsätzlich überlegt und mit einer Berechnung mit den höchsten Ziffern begangen wurden. Und demgemäß ist das nach Umfang und Schwere größte Kriegsverbrechen, dessen diese Männer beschuldigt werden, die Verletzung der festestverankerten und unbestrittensten Regel des Kriegsrechts, nämlich daß Nichtkombattanten nicht zum direkten Objekt der Kriegsoperationen gemacht werden dürfen. Welches Zerrbild wollten die Deutschen aus der Vierten Haager Konvention über die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges machen, einer Konvention, die doch bloß das kodifiziert, was bereits eine grundlegende Regel war:

»Die Ehre und die Rechte der Familie, das Leben der Bürger und das Privateigentum, sowie die religiösen Überzeugungen und gottesdienstlichen Handlungen sollen geachtet werden.«

Der auf Befehl der Deutschen Regierung, deren Mitglieder hier auf der Anklagebank sitzen, begangene Mord an Millionen von Zivilpersonen in den von ihren Streitkräften besetzten Gebieten, begangen im Zuge einer Rassenausrottungspolitik oder als Ergebnis, oder im Zusammenhang mit der Deportation von Arbeitssklaven, oder als Folge des Bestrebens, die geistigen und politischen Führer der besetzten Gebiete zu beseitigen, oder aber als Teil des allgemeinen Terrors mittels kollektiver Vergeltungsmaßnahmen an der unschuldigen Bevölkerung und an Geiseln – dieser Mord an Millionen von Nichtkombattanten ist ein Kriegsverbrechen. Es kann vielleicht auch als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit betrachtet werden. Phantasie und Verstand werden durch die Abscheulichkeiten dieser Missetaten erschüttert und schaudern davor zurück, dieses größte Verbrechen der Geschichte mit der kalten Lehrbuchformel als Kriegsverbrechen zu bezeichnen. Und doch ist es wichtig, sich daran zu erinnern, daß es das ist, was diese Verbrechen waren. Es ist im wesentlichen unmaßgeblich, wo sie begangen worden sind oder welcher Rasse oder Nationalität die Opfer angehörten; dies waren Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung, begangen im Widerspruch mit dem Kriegsrecht im allgemeinen und den Bestimmungen über die kriegerische Besetzung im besonderen. Die Wahrheit ist, daß großangelegter, geplanter und systematischer Mord zur wesentlichen Aufgabe einer fest gefügten und scheinbar sicheren kriegerischen Besetzung wurde. Daß dies ein Kriegsverbrechen war, hat niemand zu widerlegen versucht.

Jedoch sind einige Versuche unternommen worden, die Rechtswidrigkeit dreier anderer Klassen von Handlungen, deren diese Männer ebenfalls beschuldigt werden, zu bestreiten: Deportation nach Deutschland zur Zwangsarbeit, Seekriegsverbrechen im Zusammenhang mit dem Unterseebootkrieg und die Erschießung von Angehörigen der Kommandounternehmen. Lassen Sie mich bitte kurz auf diese Dinge eingehen.

Die Deportation der Zivilbevölkerung zur Zwangsarbeit ist selbstredend ein Verbrechen, sowohl nach internationalem Gewohnheitsrecht wie nach dem kodifizierten Völkerrecht, wie zum Beispiel der Haager Konvention. Artikel 46 der Vierten Haager Konvention verpflichtet die besetzende Macht zur Achtung von »Ehre und Rechten der Familie« und des »Lebens der Bürger«.

Artikel 52 derselben Konvention schreibt vor:

»Dienstleistungen können von Gemeinden oder Einwohnern nur für die Bedürfnisse des Besetzungsheers gefordert werden, und sie müssen im Verhältnisse zu den Hilfsquellen des Landes stehen und solcher Art sein, daß sie nicht für die Bevölkerung die Verpflichtung enthalten, an Kriegsunternehmungen gegen ihr Vaterland teilzunehmen.«

Diesen einfachen und ausdrücklichen Bestimmungen müssen wir nun den überwältigenden Umfang der von dem Angeklagten Sauckel geleiteten Unternehmung gegenüberstellen, an der auch andere Angeklagte teilnahmen, die Grausamkeit, mit welcher friedliche Zivilpersonen aus ihrem Familienkreise, ihrer Umgebung und ihrer Arbeit herausgerissen wurden, die Art ihres Transportes, ihre Behandlung bei der Ankunft, die Bedingungen, unter denen sie arbeiteten und zu Tausenden und Zehntausenden dahinstarben, und die Art der Arbeit, die sie bei der Erzeugung von Waffen, Munition und anderen Kriegsmaterialien, verwendet gegen ihr eigenes Vaterland und ihr eigenes Volk, als unmittelbare Helfer leisten mußten. Wie läßt sich all das mit dem Recht vereinbaren?

Es scheint angedeutet worden zu sein, daß das völkerrechtliche Verbot der Deportation gewissermaßen überholt sei angesichts der neuzeitlichen Entwicklung des totalitären Krieges, der die größtmögliche Verwendung und Ausbeutung der Hilfsquellen an Gütern und Arbeitskräften der besetzten Gebiete erheische. Ich muß gestehen, daß ich nicht verstehe, inwiefern das Ausmaß der Betätigung, die eine kriegführende Macht sich auferlegt, die Größe der Anstrengung, die sie zur Vermeidung der Niederlage unternehmen muß, ihre Rechte gegenüber friedlichen Nichtkombattanten erweitern oder sie berechtigen kann, die Regeln des Kriegsrechts beiseite zu schieben. Wir können das anerkannte Völkerrecht nicht zugunsten der Gesetzesbrecher post factum widerrufen.

Es besteht auch kein Schatten von Berechtigung, sich auf irgendeine tatsächliche Änderung der Verhältnisse zur Rechtfertigung ihrer Seekriegsverbrechen zu berufen – Verbrechen, welche das Leben allein von 30000 britischen Seeleuten gekostet haben. Wir brauchen unseren Standpunkt hier nicht auf die bloße Verletzung der Kriegsbräuche zu stützen, wie sie in den Londoner Protokollen von 1930 und 1936 festgelegt sind, die von Deutschland in vollem Umfange unterschrieben worden sind und nach denen die warnungslose Versenkung, ja selbst die Versenkung nach vorheriger Warnung verboten ist, falls nicht für die Sicherheit von Passagieren und Mannschaft ausreichend gesorgt worden ist. Wir brauchen uns nicht mit juristischen Feinheiten, ob das Bewaffnen von Handelsschiffen die Sachlage ändert, abzugeben, noch brauchen wir Zeit damit zu verlieren, die erstaunliche These zu prüfen, daß das Versenken neutraler Schiffe dadurch rechtmäßig geworden sei, daß ein papierner Befehl erlassen wurde, der solche neutrale Schiffe nicht nur von irgendeinem bestimmten, von Deutschland kontrollierten Kriegsgebiet ausschloß, sondern darüber hinaus von ausgedehnten Gebieten auf hoher See. Denn es gibt wenigstens einen Punkt, zu dem niemand das bestehende Recht bezweifelt oder darüber Fragen stellt.

Wenn Sie davon überzeugt sind, daß Befehle erteilt worden sind, nach welchen Überlebende nicht gerettet werden dürfen, daß Maßnahmen getroffen werden sollten, damit die Schiffbrüchigen umkommen, daß Waffen verwendet werden sollten, bei denen überhaupt niemand übrig blieb, dann werden Sie keinen Zweifel hegen, daß das, was geschehen ist, rechtswidrig war. Das ist keine Antwort, daß es ein größeres Risiko für die Angreifer bedeutet, wenn man Nichtkombattanten am Leben läßt. Der Mörder wird nicht entschuldigt dadurch, daß er behauptet, er habe das Opfer, das er verletzt hatte, töten müssen, damit es ihn nicht in der Folge wiedererkenne.

Dasselbe gilt hinsichtlich der Befehle zur Hinrichtung von Kommandos. Neue Methoden der Kriegführung, neue Angriffsformen heben ja an sich feststehende Rechtsnormen nicht auf. Die Unverletzlichkeit des Lebens des Soldaten in Uniform, der sich nach Erfüllung seines Auftrags ergibt und der vor seiner Gefangennahme keinerlei Kriegsverbrechen begangen hat, ist – und ich bitte Sie, dies zu bestätigen – ein fester Grundsatz des Völkerrechts und muß es bleiben. Diejenigen, welche, ganz gleich aus welchen Gründen, in Mißachtung des Gesetzes, der Menschlichkeit und der Ritterlichkeit das Recht mit Füßen treten, müssen büßen, wenn es schließlich wieder zur Geltung kommt.

Ich werde auf diesen Punkt nicht weiter eingehen und werde auch nicht die anderen Arten von Kriegsverbrechen aufzählen, die in der Anklageschrift enthalten sind. Denn es unterliegt keinem Zweifel, daß diese Handlungen, wie verschieden sie auch in Art und Methode gewesen sein mögen, nach bestehendem Recht Verbrechen gewesen sind. Der Gerichtshof wird sich nur damit abgeben, das Recht zu bestätigen und den Anteil dieser Gefangenen an dessen Verletzung festzustellen.

Lassen Sie mich, bevor ich mich den Tatsachen zuwende, auf Punkt 4 der Anklageschrift, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, hinweisen. Es erscheint mir zweckmäßig, diese Dinge zusammen zu behandeln, weil sie sich, sofern sie während des Krieges begangen worden sind, in gewissem Maße überschneiden, jedenfalls aber zusammenhängen. Die Kriegsverbrechen waren eben wegen ihrer Ungeheuerlichkeit Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit waren nicht selten Kriegsverbrechen noch größeren Umfangs. Im übrigen sind die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, welche zur Zuständigkeit dieses Gerichtshofs gehören, folgendermaßen beschränkt: es müssen Verbrechen sein, deren Begehung irgendwie mit der Vorbereitung oder Förderung von Verbrechen gegen den Frieden oder von Kriegsverbrechen stricto sensu zusammenhängen, deren die Angeklagten beschuldigt sind. Dies ist die Einschränkung, welche Artikel 6 c des Statuts einführt. Jedoch sind die hier maßgeblichen Erwägungen verschieden von denen, welche die anderen Arten von Verbrechen, die Verbrechen gegen den Frieden oder die gewöhnlichen Kriegsverbrechen angehen. Man muß sich davon überzeugen, daß das Geschehene nicht nur ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, andererseits aber auch keine bloße innere Angelegenheit war, sondern daß es mittelbar oder unmittelbar zusammenhing mit den Verbrechen gegen andere Nationen oder andere Staatsangehörige, zum Beispiel, daß es begangen wurde, um die Nazi-Partei bei der Ausführung ihrer Politik der Weltbeherrschung durch Angriff zu stärken oder aber um Elemente, wie politische Gegner, Greise, Juden, zu beseitigen, deren Existenz einer Politik des totalen Krieges im Wege gestanden hätten.

Betrachten wir einen Augenblick die eben erwähnte Tatsache, daß die judenfeindliche Rassenpolitik nur eine Seite der Lehre vom »Herrenvolk« darstellt. Hitler schrieb in »Mein Kampf«, der entscheidende Faktor im deutschen Zusammenbruch 1918 sei die mangelnde Erkenntnis des Rassenproblems und der jüdischen Gefahr gewesen. Der Angriff auf die Juden wurde gleichzeitig eine Geheimwaffe – eine dauernde Waffe für die Fünfte Kolonne –, um die Demokratien zu spalten und zu schwächen – und ein Mittel, um das deutsche Volk für die Kriegszwecke zu einigen. In seiner Rede vom 4. Oktober 1943 machte Himmler es klar, daß die Behandlung der deutschen Juden mit der Kriegspolitik eng zusammenhing. Er sagte:

»... wie schwer wir uns täten, wenn wir heute noch in jeder Stadt... die Juden als Geheimsaboteure, Agitatoren und Hetzer hätten.«

So stellen wir das Verbrechen gegen die Juden, soweit es ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und nicht auch ein Kriegsverbrechen ist, unter Anklage wegen seiner engen Verbindung mit dem Verbrechen gegen den Frieden. Natürlich ist das eine sehr wichtige Einschränkung der Anklage wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit, die von denen, die die Zuständigkeit dieses Gerichtshofs in Frage gezogen haben, nicht immer gewürdigt worden ist. Aber mit dieser Einschränkung haben wir es für richtig gehalten, uns mit den Taten zu befassen, die die Strafgesetze aller Länder normalerweise als Verbrechen brandmarken: Mord, Ausrottung, Versklavung, Verfolgung aus politischen, rassischen oder wirtschaftlichen Gründen. Alles dies, begangen gegen Angehörige der kriegführenden Länder oder gegen deutsche Staatsangehörige in den besetzten Gebieten kriegführender Länder, wären gewöhnliche Kriegsverbrechen, deren Verfolgung keine Neuheit bilden würde. Begangen gegen andere Personen wären sie Verbrechen gegen innerstaatliches Recht, es sei denn, daß das deutsche Recht in Abweichung von der Richtschnur jeder zivilisierten Rechtsordnung den Staat oder die vom Staat beauftragten Personen zur Begehung solcher Verbrechen ermächtigt hat. Obwohl nun eine solche Methode die Verfahrenslage keineswegs zuungunsten dieser Angeklagten verschlechtert, so haben doch die Signatarmächte des Statuts dieses Gerichtshofs es im Interesse der Zivilisation für angemessen und notwendig gehalten zu erklären, daß, sogar wenn jene Taten in Übereinstimmung mit den Gesetzen des deutschen Staates begangen worden sind, wie er von diesen Männern und ihrem Rädelsführer erschaffen und geführt worden ist, nicht bloß eine rein innere Angelegenheit, sondern ein Verbrechen gegen das Völkerrecht darstellen – wenn sie in der Absicht, der Völkergemeinschaft zu schaden, das heißt im Zusammenhang mit den anderen Verbrechen begangen worden sind, deren die Angeklagten beschuldigt werden. Ich will keineswegs für die Zukunft die Bedeutung der hier zugrunde liegenden politischen und rechtswissenschaftlichen Doktrin verkleinern. Unter gewöhnlichen Umständen überläßt es das Völkerrecht dem einzelnen Staate zu bestimmen, wie er seine eigenen Angehörigen behandeln soll; es ist eine Angelegenheit der rein innerstaatlichen Gerichtsbarkeit. Und obwohl der Sozial- und Wirtschaftsrat der Vereinten Nationen sich bemüht, ein Statut der Menschenrechte aufzustellen, so wird doch dieser generelle Gesichtspunkt von der Satzung des Völkerbundes und dem Statut der Organisation der Vereinten Nationen anerkannt. Dennoch hat das Völkerrecht in der Vergangenheit verlangt, daß es eine Grenze für die Allmacht des Staates gebe und daß der einzelne Mensch – die Einheit, die letzten Endes allem Recht zugrunde liegt – ein Anrecht auf den Schutz der Menschheit besitzt, wenn der Staat seine Rechte derart mit Füßen tritt, daß das Gewissen der Menschheit sich empört. Grotius, der Begründer des Völkerrechts, hatte wohl einen derartigen Grundsatz im Auge, als er – zu einer Zeit, in der der Unterschied zwischen gerechtem und ungerechtem Krieg deutlicher erkannt wurde als im 19. Jahrhundert – einen zur Verteidigung der Untertanen eines anderen Staates gegen das ihnen von ihrem Herrscher zugefügte Unrecht unternommenen Krieg als gerecht bezeichnete. Bezüglich der von Gewaltherrschern gegenüber ihren Untertanen begangenen Greueltaten behauptete er, daß ein Eingreifen gerechtfertigt sei, denn »das Recht auf soziale Verbundenheit wird in solchem Falle nicht versagt«. Derselbe Gedanke wurde von John Westlake, dem bedeutendsten britischen Völkerrechtler, ausgedrückt, indem er sagte:

»In solchen Fällen ist es müßig zu erörtern, daß es Pflicht benachbarter Völker ist, ruhig zuzuschauen. Gesetze sind für Menschen und nicht für Geschöpfe der Einbildung geschaffen, und sie dürfen keine Zustände schaffen oder dulden, die für Menschen unerträglich sind.«

Derselben Anschauung huldigten die europäischen Mächte, als sie in vergangenen Zeiten eingegriffen haben, um die christlichen Untertanen der Türkei vor grausamer Verfolgung zu schützen. Tatsache ist, daß das Recht zur humanitären Intervention durch Krieg im Völkerrecht keine Neuigkeit darstellt – wie könnte dann ein Eingreifen durch gerichtliches Verfahren rechtswidrig sein? Das Statut dieses Gerichtshofs kodifiziert einen wohltätigen Grundsatz, der übrigens viel eingeschränkter ist, als es manchem lieb wäre, und erteilt eine Warnung für die Zukunft. Ich sage und wiederhole, eine Warnung für die Zukunft, an Diktatoren und Tyrannen, die unter der Maske des Staates auftreten, daß, wenn sie zur Intensivierung und Erleichterung ihrer Verbrechen gegen die Völkergemeinschaft die Unverletzlichkeit des Individuums in ihrem Lande vernichten, sie auf eigene Gefahr handeln, denn sie verletzen das Völkerrecht der Menschheit.

Hinsichtlich des Vorwurfs, daß es sich um ein Gesetz mit rückwirkender Kraft handele, das zum Verbrechen stempelt, was die Menschen zur Zeit der Tat nicht als Unrecht empfunden hatten – welche Bedeutung kann dies hier haben? Selbst wenn diese Angeklagten die zahllosen Warnungen nicht beachtet haben, die ihnen von ausländischen Staaten und ausländischen Staatsmännern über die von Deutschland vor dem Krieg verfolgte Politik erteilt worden sind, so werden Sie diese Warnungen mit in Betracht ziehen. Zweifellos rechneten diese Männer mit dem Sieg, ihre ganze Politik war auf dem Gedanken an den Erfolg aufgebaut, und sie dachten kaum daran, daß sie einmal zur Rechenschaft gezogen werden würden. Aber kann einer von ihnen behaupten, daß er, sofern er überhaupt von diesen Dingen wußte, nicht gewußt habe, daß diese Taten zum Himmel und nach Rache schreiende Untaten gewesen sind?

Ich will mich zunächst damit beschäftigen, was sie an Kriegsgefangenen verübt haben, denn das allein, das augenfälligste aller Verbrechen, erheischt ihre Verurteilung und wird für alle Zeiten den Ruf der deutschen Waffen beflecken.

Am 8. September 1941 wurden endgültige Vorschriften für die Behandlung von sowjetischen Kriegsgefangenen in allen Kriegsgefangenenlagern erlassen; sie waren von General Reinecke unterzeichnet, dem Chef des Kriegsgefangenenwesens im Oberkommando. Sie waren das Ergebnis eines Übereinkommens mit der SS und lauteten wie folgt:

»... Dadurch hat der bolschewistische Soldat jeden Anspruch auf Behandlung als ehrenhafter Soldat und nach dem Genfer Abkommen verloren...

Rücksichtsloses und energisches Durchgreifen bei den geringsten Anzeichen von Widersetzlichkeit, insbe sondere gegenüber bolschewistischen Hetzern, ist daher zu befehlen. Widersetzlichkeit, aktiver oder passiver Widerstand muß sofort mit der Waffe (Bajonett, Kolben und Schußwaffe) restlos beseitigt werden....

Wer zur Durchsetzung eines gegebenen Befehls nicht oder nicht energisch genug von der Waffe Gebrauch macht, macht sich strafbar....

Auf flüchtige Kr. Gef. ist sofort ohne vorherigen Haltruf zu schießen. Schreckschüsse dürfen niemals abgegeben werden....

Waffengebrauch gegenüber sowjet. Kr. Gef. gilt in der Regel als rechtmäßig....

Aus geeigneten sowjet. Kr. Gef. ist eine Lagerpolizei in den Lagern und auf den größeren Arbeitskommandos zu bilden,... Zur wirksamen Durchführung ihrer Aufgaben darf die Lagerpolizei innerhalb der Drahtumzäunung mit Stöcken, Peitschen oder ähnlichem ausgerüstet werden....« (Dokument 1519-PS.)

Diese Vorschriften ordnen weiter die Trennung von Zivilpersonen und politisch unerwünschten, während des Feldzugs im Osten gemachten Kriegsgefangenen an. Nachdem beschrieben wird, wie wichtig es für die Wehrmacht sei, sich all jener Elemente unter den Kriegsgefangenen zu entledigen, die als Triebkräfte des Bolschewismus anzusehen seien, wird die Notwendigkeit besonderer, von bürokratischen Einflüssen freien Maßnahmen betont, und demgemäß ist die Überstellung der erwähnten Personen an die Sicherheitspolizei und den SD als der zur Erreichung des »gesetzten Zieles« führende Weg angegeben.

Daß Keitel, der für diesen Befehl unmittelbar verantwortlich ist, ihn in vollem Bewußtsein seiner Bedeutung erlassen hat, wird durch Admiral Canaris' Denkschrift vom 15. September 1941 deutlich gezeigt; dieser protestiert dagegen und gibt ganz richtig die Rechtslage wie folgt:

»Das Genfer Kriegsgefangenenabkommen gilt zwischen Deutschland und der UdSSR nicht, daher gelten lediglich die Grundsätze des allgemeinen Völkerrechts über die Behandlung von Kriegsgefangenen. Diese haben sich seit dem 18. Jahrhundert dahin gefestigt, daß die Kriegsgefangenschaft weder Rache noch Strafe ist, sondern lediglich Sicherheitshaft, deren einziger Zweck es ist, die Kriegsgefangenen an der weiteren Teilnahme am Kampfe zu verhindern. Dieser Grundsatz hat sich im Zusammenhang mit der bei allen Heeren geltenden Anschauung entwickelt, daß es der militärischen Auffassung widerspreche, Wehrlose zu töten oder zu verletzen....

Die... Anordnung für die Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener gehen... von einer grundsätzlich anderen Auffassung aus.« (Dokument EC-338.)

Canaris wies weiterhin auf die erschütternden Befehle zum Waffengebrauch durch die Wachposten und die Ausrüstung der Lagerpolizei mit Knütteln und Peitschen hin. Keitel bemerkte – Sie sind heute morgen daran erinnert worden – auf dieser Denkschrift:

»Die Bedenken entsprechen den soldatischen Auffassungen von ritterlichem Krieg! Hier handelt es sich um die Vernichtung einer Weltanschauung, deshalb billige ich die Maßnahmen und decke sie. K.«

Wenn man dieses Schriftstück studiert, so kann kaum irgendein Zweifel übrigbleiben, daß Keitel wußte, daß Übergabe an Sicherheitspolizei und SD die Liquidierung bedeuten sollte. Was das Aussieben der Unerwünschten betrifft, so schreibt Canaris hierüber:

»... Die Entscheidung über ihr Schicksal erfolgt durch die Einsatzkommandos der Sicherheitspolizei und des SD...«

worauf Keitel das Wort Sicherheitspolizei unterstreichend hinzusetzt: »sehr zweckmäßig« und, auf die weitere Kritik Canaris', daß die Richtlinien dieses Erlasses den Wehrmachtsstellen unbekannt seien, bemerkt »keineswegs«.

Die Parallelanweisung an Sicherheitspolizei und SD führt das Übereinkommen mit dem Oberkommando an und fährt, nachdem die engste Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedern der Polizeigruppen und den Lagerkommandanten befohlen und eine Liste der zu Überweisenden beigefügt wird, folgendermaßen fort:

»Exekutionen dürfen nicht im Lager... durchgeführt werden. Befinden sich die Lager im Generalgouvernement in unmittelbarer Nähe der Grenze, so sind die Ge fangenen zur Sonderbehandlung möglichst auf ehemals sowjet-russisches Gebiet zu verbringen.« (Dokument 502-PS.)

Ich brauche Sie nicht an das riesige Beweismaterial über die Anzahl polnischer und sowjetischer Gefangener in Konzentrationslagern zu erinnern. Zu deren Behandlung braucht man nur an den Bericht des Kommandanten des Konzentrationslagers Groß-Rosen zu erinnern, welcher am 23. Oktober 1941 die Erschießung von 20 russischen Gefangenen zwischen fünf und sechs Uhr desselben Tages meldet, sowie an das Rundschreiben Müllers aus demselben Aktenstück, welches folgendermaßen lautet:

»Die Kommandanten der Konzentrationslager führen Klage darüber, daß etwa 5 bis 10 % der zur Exekution bestimmten Sowjetrussen tot oder halbtot in den Lagern ankommen. Es erweckt daher den Eindruck, als würden sich die Stalags auf diese Weise solcher Gefangener entledigen.

Insbesondere ist festgestellt worden, daß bei Fußmärschen, z.B. vom Bahnhof zum Lager, eine nicht unerhebliche Zahl von Kriegsgefangenen wegen Erschöpfung unterwegs tot oder halbtot zusammenbricht und von einem nachfolgenden Wagen aufgelesen werden muß.

Es ist nicht zu verhindern, daß die deutsche Bevölkerung von diesen Vorgängen Notiz nimmt.«

Hat irgendeiner von den Angeklagten Notiz von diesen Vorgängen genommen, die vor dem deutschen Volk nicht verheimlicht werden konnten? Ich lese weiter:

»Wenn auch derartige Transporte bis zum Konzentrationslager in der Regel von der Wehrmacht durchgeführt werden, so wird die Bevölkerung doch diesen Sachverhalt auf das Konto der SS buchen.

Um derartige Vorgänge in Zukunft nach Möglichkeit auszuschließen, ordne ich daher mit sofortiger Wirkung an, daß als endgültig verdächtig ausgesonderte Sowjetrussen, die bereits offensichtlich dem Tode verfallen sind (z.B. bei Typhus) und daher den Anstrengungen, insbesondere eines, wenn auch kurzen Fußmarsches, nicht mehr gewachsen sind, in Zukunft grundsätzlich vom Transport in die Konzentrationslager zur Exekution auszuschließen sind.

Ich bitte, die Führer der Einsatzkommandos unverzüglich entsprechend anzuweisen.« (Dokument 1165-PS.)

Am 2. März 1944 sandte der Chef der Sipo und des SD seinen verschiedenen Zweigstellen einen weiteren Befehl des OKW über die Behandlung von nach einem Fluchtversuch wieder eingefangenen Gefangenen (Dokument L-158).

Mit Ausnahme von Briten und Amerikanern, die in die Lager zurückgeschickt werden sollten, sollten die anderen nach Mauthausen verbracht und nach dem »Kugel«-Erlaß behandelt werden, was, wie sich der Gerichtshof erinnern wird, sofortiges Erschießen bedeutete. Anfragen von Angehörigen, anderen Gefangenen, der Schutzmacht und des Internationalen Roten Kreuzes, sollten derart erledigt werden, daß das Schicksal dieser Männer, dieser Soldaten, deren einziges Verbrechen ihre Pflichterfüllung war, auf immer geheimgehalten würde (Dokument 1650-PS).

Es war kurz nach der Herausgabe des »Kugel«-Erlasses, als 80 britische Offiziere der R.A.F. den Versuch machten, aus Stalag Luft III in Sagan zu entweichen. Die an diesem Vorfall unmittelbar beteiligten Angeklagten haben nicht abgeleugnet, daß die Erschießung von 50 dieser Offiziere vorsätzlicher Mord und das Ergebnis einer an höchster Stelle getroffenen Entscheidung war. Es unterliegt keinem Zweifel, daß Göring, Keitel und wahrscheinlich Ribbentrop an dieser Entscheidung teilgenommen haben und daß Jodl und Kaltenbrunner und, wenn er nicht sogar daran teilgenommen hat, Ribbentrop, zur damaligen Zeit Kenntnis davon hatten.

Görings Teilnahme ergibt sich zwangsläufig aus nachstehenden drei Tatsachen:

Erstens: Der Befehl wurde durch Hitler gegeben.

Zweitens: Westhoff vom Kriegsgefangenenwesen des OKW sagte, daß er durch Keitel benachrichtigt worden sei, daß Göring ihn auf der Sitzung, auf der der Befehl beschlossen wurde, für das Entweichen der Gefangenen verantwortlich gemacht habe (Dokument UK-48).

Drittens: In Görings eigenem Ministerium, das für die Behandlung von Kriegsgefangenen der R.A.F. verantwortlich war, hörte Waelde am 28. März anläßlich der Zusammenkunft der höheren Beamten von diesem Befehl und erzählte davon General Grosch. Grosch benachrichtigte Förster, der sofort Milch, Görings Stabschef, aufsuchte, dann zurückkam und Grosch benachrichtigte, daß Milch im Bilde sei und die nötigen Aufzeichnungen gemacht habe (Dokumente D-731, D-730).

Sie werden darüber urteilen, ob das Ableugnen Görings und Milchs nicht als glatter Meineid zu betrachten ist.

Keitel gibt zu, daß Hitler die Überstellung an den SD anordnete und daß er »befürchtete«, daß sie erschossen werden würden. Er erklärte seinen Offizieren Graevenitz und Westhoff: »Hier wird ein Exempel statuiert. Die werden erschossen, wahrscheinlich sind einige schon erschossen«, und als Graevenitz protestierte, antwortete er: »Das kümmert mich nicht im mindesten.«

Laut dieser Aussage seiner eigenen Offiziere steht seine Mittäterschaft sicher in dieser Angelegenheit fest.

Jodl hat ausgesagt, daß er, als Himmler die Flucht meldete, im Nebenraum telephonierte; er hörte eine sehr laute Diskussion, und als er zum Vorhang ging, um festzustellen, was los war, hörte er, daß es sich um eine Flucht aus dem Lager Sagan handelte. Unter diesen Umständen ist es unglaubhaft, daß er selbst, wenn er keinen Teil an der Entscheidung trug, nicht wenigstens sofort nach der Zusammenkunft darüber von Keitel gehört hatte. Und trotz dieser Kenntnis hat er seine Rolle an der Verschwörung weitergespielt.

Was Kaltenbrunners Schuld angeht, so fand die Unterredung, bei welcher Waelde von der Entscheidung hörte, mit Müller und Nebe, den Untergebenen Kaltenbrunners, statt. (Dokument D-731.) Schellenbergs Zeugnis über die damals stattgefundene Unterredung zwischen Nebe, Müller und Kaltenbrunner über eine Anfrage des Internationalen Roten Kreuzes wegen ungefähr 50 englischen oder amerikanischen Kriegsgefangenen ist überzeugend. Er hörte, wie Kaltenbrunner seinen Untergebenen die Antwort angab, die man auf diese unbequeme Anfrage geben sollte, und man kann nicht zweifeln an seiner vollständigen Kenntnis davon. Alle Beteiligten geben jetzt zu, daß die seitens Ribbentrops der Schutzmacht und dem Internationalen Roten Kreuz erteilte Antwort ein Haufen Lügen war. Soll man glauben, daß auch er nicht an der Entscheidung teilgenommen hat?

Der Briefwechsel, der Anordnung traf für das Lynchen oder Erschießen von sogenannten Terrorfliegern, zeigte deutlich, daß jeder dieser Männer bereit gewesen wäre, solch eine Entscheidung selbst zu treffen oder, falls durch Hitler getroffen, ihr nachzukommen. Diese Urkunden ergeben, daß weder Keitel noch Jodl irgendwelche Bedenken in dieser Angelegenheit trugen, während sowohl Göring als Ribbentrop dem Entwurf des Befehls zugestimmt haben. (Dokumente D-777, D-783, D-784.)

Sie werden sich an die Zusammenkünfte erinnern, die diesem Briefwechsel vorangingen. Zunächst eine Zusammenkunft zwischen Göring, Ribbentrop und Himmler, bei der man übereinkam, den

»... ursprünglichen Vorschlag des Reichsaußenministers, der jede Art von Terrorangriff gegen die heimische Zivilbevölkerung, eingeschlossen wissen wollte,...« (Dokument 735-PS)

abzuändern und bei der man zu dem Entschluß kam,

»die Lynchjustiz würde als die Regel zu gelten haben«.

Bei einer darauffolgenden Zusammenkunft zwischen Warlimont und Kaltenbrunner kam man überein, daß

»neben der Lynchjustiz auch das Verfahren einer Absonderung solcher feindlicher Flieger... ihre Übergabe an den SD zur Sonderbehandlung vorbereitet werden müsse.«

Schließlich, die bei den Akten befindlichen Notizen von Keitel:

»Ich bin gegen Gerichtsverfahren! Das klappt nicht.«

Ähnliches Beweismaterial liegt vor, wenn wir das Verhalten vom Februar 1945 betrachten, als Hitler die Genfer Konvention zu kündigen wünschte. Dönitz gab den Rat,

»... Es sei besser, die für notwendig gehaltenen Maßnahmen ohne Ankündigung zu treffen, und nach außenhin auf alle Fälle das Gesicht zu wahren,...« (Dokument C-158.)

Eine Entscheidung, mit der Jodls und Ribbentrops Vertreter einverstanden waren. Ihre Verteidigung, daß dies lediglich eine technische Maßnahme gewesen sei und daß sie tatsächlich keinerlei konkrete Handlungen beabsichtigt hätten, wird durch Jodls Memorandum über die ganze Frage erledigt:

»So falsch wie es 1914 war, allen Staaten, die uns schon lange mit Krieg überziehen wollten, unsererseits feierlich den Krieg zu erklären und damit nach außen die ganze Kriegsschuld auf uns zu nehmen, und so falsch es war, den notwendigen Durchmarsch durch Belgien 1914 als eigene Schuld zu gestehen, so falsch wäre es jetzt, sich öffentlich von den übernommenen völkerrechtlichen Verpflichtungen loszusagen und damit wieder nach außen als die Schuldigen dazustehen.« (Dokument D-606.)

Nach dieser erstaunlichen Feststellung fügte er noch hinzu, daß sie tatsächlich nichts davon abhalte, ein englisches Lazarettschiff als Vergeltungsmaßnahme zu versenken und dann ihr Bedauern auszudrücken, daß es ein Irrtum gewesen sei.

Wäre dies ein geeigneter Zeitpunkt...?

VORSITZENDER: Ja, Herr Staatsanwalt.

Wäre es Ihnen recht, wenn wir morgen vormittag bereits um dreiviertel 10.00 beginnen? Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß wir dann vielleicht um 13.00 Uhr oder kurz danach fertig werden könnten. Jedenfalls würden wir die Verhandlung so lange fortsetzen, bis Sie beendet haben.

SIR HARTLEY SHAWCROSS: Ich wäre sehr dankbar, wenn der Gerichtshof das tun würde.