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[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

VORSITZENDER: Das Wort hat der Anklagevertreter der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken.

GENERAL R. A. RUDENKO1, HAUPTANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Herr Vorsitzender, meine Herren Richter!

Wir ziehen die Bilanz der Gerichtsverhandlungen gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher.

Im Laufe von neun Monaten wurden alle Einzelheiten des Falles, alle dem Gerichtshof von den Anklagebehörden und der Verteidigung vorgelegten Beweismittel der sorgfältigsten und genauesten Prüfung unterzogen.

Keine einzige der Handlungen, die den Angeklagten vorgeworfen werden, blieb ungeprüft; kein bedeutungsvoller Umstand wurde bei der Untersuchung des vorliegenden Falles ausgelassen.

Zum ersten Male in der Geschichte der Menschheit werden Verbrecher für ihre gegen die Menschlichkeit begangenen Verbrechen vor einem internationalen Kriminalgericht zur Verantwortung gezogen. Zum ersten Male richten die Völker diejenigen, welche weite Strecken der Erdoberfläche reichlich mit Blut begossen, Millionen unschuldiger Menschen vernichtet, Kulturschätze zerstört, diejenigen, welche systematisch Mord, Folterungen, Vertilgung von Greisen, Frauen und Kindern veranlaßt haben, welche einen unsinnigen Anspruch auf Weltherrschaft hegten und die Welt in den Abgrund eines nie gesehenen Elends warfen.

Ja, ein solches Gerichtsverfahren wird erstmalig in der Geschichte der Rechtspflege durchgeführt. Es richtet ein von den fried- und freiheitsliebenden Nationen geschaffenes Gericht, das den Willen und die Interessen der ganzen fortschrittlichen Menschheit ausdrückt und vertritt; einer Menschheit, die eine Wiederholung des Elends nicht will, die nicht zulassen wird, daß eine Verbrecherbande ungestraft die Versklavung von Völkern und die Ausrottung von Menschen vorbereite und dann ihren fanatischen Plan ausführe.

Die Menschheit zieht die Verbrecher zur Verantwortung, und in ihrem Namen klagen wir, die Ankläger, in diesem Prozeß an.

Und wie kläglich sind die Versuche, der Menschheit das Recht abzustreiten, ihre Feinde abzuurteilen; wie unbegründet sind die Versuche, den Völkern das Recht zu nehmen, diejenigen zu strafen, die die Versklavung und Ausrottung der Völker zu ihrem Ziel gemacht haben und dieses verbrecherische Ziel mit verbrecherischen Mitteln viele Jahre hindurch verwirklichten!

Der gegenwärtige Prozeß wird so geführt, daß den Angeklagten, die man der schwersten Verbrechen bezichtigt, alle Verteidigungsmöglichkeiten sowie alle nötigen gesetzlichen Garantien gegeben werden.

In ihrem eigenen Lande, am Steuer der Regierung stehend, haben die Angeklagten alle gesetzlichen Formen der Rechtspflege vernichtet; sie haben alle gerichtlichen Verfahrensgrundsätze beiseitegeschoben, die eine zivilisierte Menschheit sich zu eigen gemacht hatte.

Aber sie selbst werden von einem internationalen Gerichtshof unter Wahrung aller Rechtsgarantien abgeurteilt, und es werden ihnen alle Rechte der Verteidigung sichergestellt.

Wir ziehen jetzt die Bilanz der gerichtlichen Untersuchung, ziehen Schlüsse aus den vor dem Gerichtshof geprüften Beweisen, erwägen alle Beweisgründe, auf die sich die Anklage stützt.

Wir fragen: Hat sich die den Angeklagten überreichte Anklage vor dem Gerichtshof bestätigt? Ist ihre Schuld erwiesen?

Auf diese Frage gibt es nur eine Antwort: Die Gerichtsverhandlung hat die Anklage vollauf bestätigt!

Wir rechnen den Angeklagten als Schuld nur das an, was im Laufe des Gerichtsverfahrens eindeutig und glaubwürdig bewiesen wurde, und bewiesen sind alle die ungeheuerlichen Verbrechen, die die großsprecherische Verbrecherbande, die die Macht im Deutschen Reiche an sich gerissen hatte, im Laufe vieler Jahre vorbereitet und ohne Rücksicht auf die Grundsätze des Rechtes noch auf die elementarsten Normen der menschlichen Moral begangen hat.

Diese Verbrechen sind bewiesen, sie konnten weder durch die Aussagen der Angeklagten noch durch die Ausführungen der Verteidigung widerlegt werden. Man kann sie auch nicht widerlegen, weil man die Wahrheit nicht widerlegen kann, und die Wahrheit ist das bleibende Resultat dieses Prozesses – ein unanfechtbares Ergebnis unserer langwierigen und hartnäckigen Bemühungen.

Die Anklage ist in allen ihren Punkten bewiesen. Bewiesen ist, daß unter den Angeklagten ein gemeinsamer Plan oder eine Verschwörung zur Vorbereitung von Angriffskriegen unter Verletzung der Normen des Völkerrechtes und zum Zwecke der Versklavung und Ausrottung der Völker bestand.

Das Bestehen eines solchen Planes unterliegt keinem Zweifel, ebensowenig wie die führende Rolle der Angeklagten darin.

Hierin wird die Anklage in allen Punkten der gerichtlichen Untersuchung bestätigt durch unwiderlegliche Dokumente, durch die Aussagen der Zeugen und der Angeklagten selbst.

Die ganze Tätigkeit der Angeklagten war auf die Vorbereitung und Führung von Angriffskriegen gerichtet. Ihre ganze sogenannte »weltanschauliche Arbeit« bestand in der Pflege tierischer Instinkte, in der Vergiftung des Bewußtseins des deutschen Volkes mit der unsinnigen Idee der Rassenvorherrschaft und der praktischen Aufgabe, der Vernichtung und Versklavung Angehöriger »minderwertiger Rassen«, welche angeblich nur die Humusschicht für das Emporwachsen der »Herrenrasse« bildeten. Ihre »weltanschauliche Arbeit« bestand in Aufforderung zu Mord, Plünderung und zur Vernichtung der Kultur und der Menschen.

Die Angeklagten bereiteten sich schon seit langem auf diese Verbrechen vor; dann begingen sie sie, indem sie andere Länder überfielen, sich fremde Gebiete aneigneten und die Bevölkerung vernichteten.

Wann war denn dieser Plan oder diese Verschwörung entstanden?

Selbstverständlich ist es wohl kaum möglich, genau Datum, Tag und Stunde festzustellen, an dem die Angeklagten sich verschworen, ihre Verbrechen zu begehen.

Wir können und werden auch nicht unsere Ausführungen auf Vermutungen und Annahmen aufbauen. Aber mit voller Gewißheit kann als feststehend angesehen werden, daß von dem Augenblick an, wo die Faschisten die Macht in Deutschland ergriffen hatten, sie an die Verwirklichung ihrer verbrecherischen Pläne gingen und ihre Macht zur Vorbereitung von Angriffskriegen benutzten.

Die ganze Tätigkeit der Angeklagten war auf die Vorbereitung Deutschlands auf den Krieg gerichtet. Die Tatsache der Aufrüstung und der Umstellung der Wirtschaft auf die Zwecke des Krieges ist unbestritten; sie ist durch Dokumente festgestellt, und die Angeklagten geben sie auch zu.

Man fragt sich: Auf welchen Krieg denn eigentlich begannen sich die Angeklagten sofort nach der Machtergreifung vorzubereiten? Auf einen Defensivkrieg etwa?

Niemand hatte doch die Absicht, Deutschland zu überfallen; niemand hatte es sich vorgenommen und konnte meiner Meinung nach es sich auch nicht vorgenommen haben.

Wenn Deutschland also keinen Verteidigungskrieg vorbereitete, so bereitete es, da die Tatsache einer Kriegsvorbereitung klar erwiesen ist, einen Angriffskrieg vor. Das ist die logische Folgerung aus den gegebenen Tatsachen. Deutschland begann und entfachte den Krieg, den es vorbereitete; und in den Jahren 1937 bis 1939 verwirklichte sich das, was seit 1933 vorbereitet wurde.

Daraus folgt: Es gab einen Plan oder eine Verschwörung, jedenfalls seit 1933, das heißt seit dem Augenblick, an dem die Faschisten die Macht ergriffen und sie für ihre verbrecherischen Zwecke ausnutzten.

Das sind Tatsachen, und die Reden, die die Angeklagten damals hielten, als sie nicht vermuteten, jemals angeklagt zu werden, bestätigen uns diese Tatsachen.

Es genügt, auf die Reden Schachts, Krupps und anderer hinzuweisen, um zu zeigen, wie sich die faschistische Regierung auf den Krieg vorbereitete und wie alle Gebiete des politischen und des Wirtschaftslebens diesem Zwecke untergeordnet wurden.

Ich halte die Schuld der Angeklagten in folgenden Punkten für erwiesen: Im Jahre 1933, nachdem die Hitleristen in Deutschland die Macht ergriffen hatten, schufen sie einen Plan oder eine Verschwörung zur Ausführung von Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit und von Kriegsverbrechen.

Das Gerichtsverfahren hat eindeutig die Verbrechen der Angeklagten gegen den Frieden bewiesen, Handlungen, die aus Planung, Vorbereitung, Einleitung und Führung von Angriffskriegen unter Verletzung internationaler Verträge, Abmachungen und Verpflichtungen bestanden.

Hier sprechen die Tatsachen für sich: Es sind jene Kriege, die noch nie dagewesene Opfer und Verwüstungen nach sich zogen und deren Angriffscharakter unzweifelhaft festgestellt worden ist.

So ist die Schuld der Angeklagten am Begehen von Verbrechen gegen den Frieden vollkommen bewiesen.

Ebenfalls bewiesen ist die Anklage des Begehens von Kriegsverbrechen, die darin bestehen, daß Kriege nach Methoden geführt wurden, die mit allen Gesetzen und Gebräuchen der Kriegführung in Widerspruch stehen.

Weder die Angeklagten noch ihre Verteidiger waren in der Lage, gegen die Tatsache der Begehung dieser Verbrechen einen Beweis vorzubringen.

Das einzige, was sie darauf erwidern konnten, war, daß die Angeklagten selbst nicht unmittelbar diese Unmenschlichkeiten begangen hatten, wie zum Beispiel die Vernichtung von Menschen in Gaswagen und Konzentrationslagern, daß sie eigenhändig die Juden nicht ausgerottet und sogar von einzelnen solchen Tatsachen nichts gewußt hätten. Daß aber diese Tatsachen wirklich bestanden haben, wird nicht einmal von den Angeklagten bestritten.

Die Angeklagten geben diese Tatsachen zu.

Eine unfruchtbare Verteidigungsmethode!

Selbstverständlich hatten die Angeklagten, die im Hitler-Deutschland hohe Führerposten innehatten, es nicht nötig, mit ihren eigenen Händen Menschen zu erschießen, zu hängen, zu erwürgen, bei lebendigem Leibe für Experimente einfrieren zu lassen und so weiter.

Dies führten auf ihre Befehle ihre Untergebenen, ihre Henker aus, die sozusagen die schmutzige Arbeit verrichteten, während die Angeklagten nur die Anordnungen gaben, die widerspruchslos ausgeführt wurden.

Deswegen ist der Versuch der Angeklagten, ihre Verbindung mit diesen Henkern abzuleugnen und sich von ihnen loszusagen, hoffnungslos.

Diese Verbindung besteht unzweifelhaft und ist unbestritten. Und wenn der Kommandant von Auschwitz, Rudolf Höß, die Goldzähne den Toten ausreißen ließ, so war es der Reichsminister Walter Funk, der zur Aufbewahrung dieser Goldzähne besondere Abteilungen in den Kellern der Reichsbank einrichtete.

Und wenn die Untergebenen Kaltenbrunners Menschen in Gaswagen umbrachten, so wurden diese Gaswagen in den Werken Sauer, Daimler und Benz, die Speer unterstanden, gebaut.

Wenn die Berufshenker der Totenkopfverbände und die Lagerwächter Kriegsgefangene niedermetzelten, so wurden die Befehle dazu vom Generalfeldmarschall der Deutschen Wehrmacht Keitel unterzeichnet. Es waren gerade die Angeklagten, die den Zeitpunkt der Vernichtung bestimmten, Befehle über eine Spezialtechnik des Mordens erließen und das Recht der Herrenrasse zur Vernichtung, zur Ausrottung der »minderwertigen Völker« weltanschaulich begründeten.

Sie waren es, die kaltblütig und mitleidslos die zu Tode gequälten Opfer beobachteten und, wie Hans Frank, feierliche Reden hielten über »noch einen Schritt voran, den der deutsche Faschismus auf dem Wege der Säuberung des ›Lebensraumes‹ von ›niederen Rassen‹ gemacht habe«.

Für jeden Mord und für jeden Tropfen unschuldigen Blutes, der von den Hitler-Henkern vergossen worden ist, tragen die Angeklagten die Verantwortung; denn der Unterschied zwischen ihnen und den unmittelbar Ausführenden der Verbrechen, Morde und Folterungen, besteht nur im Range und im Ausmaß ihrer Tätigkeit: Die einen sind unmittelbare Henker, während sie, die Angeklagten, die Haupthenker sind, die Henkerchefs, Henker höheren Ranges. Sie sind viel gefährlicher als diejenigen, die sie im Geist des Menschenhasses und der Unmenschlichkeit erzogen haben und die sie jetzt verleugnen, um ihr eigenes Leben zu retten.

Die Schuld der Angeklagten an der Begehung von Kriegsverbrechen, das heißt an der Organisierung eines Systems der Vernichtung von Kriegsgefangenen, Zivilbevölkerungen, von Frauen, Greisen und Kindern ist vollständig bewiesen; ebenfalls daran, daß durch ihre Schuld überall dort, wo der deutsche Soldat seinen Fuß hinsetzte, unzählige Tote und zu Tode gequälte Menschen, Ruinen und Brandstätten, verwüstete Städte und Dörfer und ein befleckter und blutdurchtränkter Boden zurückblieben.

In vollem Umfange sind die Verbrechen gegen die Menschlichkeit bewiesen, die die Angeklagten begangen haben.

Wir dürfen die Verbrechen auch nicht übersehen, die die Angeklagten in Deutschland selbst im Laufe ihrer Herrschaft verübten, die Massenvernichtung all derer, die in irgendeiner Weise ihre Unzufriedenheit mit dem Nazi-Regime zu erkennen gaben: Sklavenarbeit und Ausrottung von Menschen in Konzentrationslagern, Massenvernichtung von Juden und dann die gleiche Sklavenarbeit und dieselbe Menschenvernichtung in den besetzten Gebieten; all das ist bewiesen, und die Anklage ist hier nicht zu erschüttern. Welches sind die Verteidigungsmittel der Angeklagten und ihrer Verteidiger? Welches Beweismaterial und welche Argumente konnten sie der Anklage entgegenhalten?

Die Verteidigung der Angeklagten kann in zwei Hauptgruppen eingeteilt werden. Erstens eine Reihe von Zeugen, die von den Verteidigern geladen wurden. Diese sollten durch ihre Aussagen die Schuld der Angeklagten mildern, die von ihnen bei der Ausführung der Verbrechen gespielte Rolle vermindern und sie in jeder Weise reinwaschen.

Diese Zeugen waren in ihrer überwiegenden Mehrzahl in anderen Prozessen selbst angeklagt.

Läßt sich da von einer Objektivität und Zuverlässigkeit solcher Zeugenaussagen für die Verteidigung sprechen, wenn die Unschuld des Angeklagten Funk von seinem Stellvertreter und Helfershelfer Hayler, der seit 1931 Mitglied der SS war und den Posten eines SS-Gruppenführers innehatte, bekräftigt werden sollte? Wenn zugunsten Seyß-Inquarts der Verbrecher Rainer geladen wurde, der seit 1930 Parteigenosse und Gauleiter, zuerst von Salzburg und dann von Kärnten, war?

Diese sogenannten »Zeugen« – wie zum Beispiel Bühler, die rechte Hand des Angeklagten Frank und Mittäter in allen seinen Verbrechen – oder Bohle, einer der maßgebendsten Führer der Spionage- und Abwehrtätigkeit der Hitleristen im Auslande und Chef der Auslandsorganisation der faschistischen Partei – sie sind hierhergekommen, um unter Meineid zu versuchen, ihre früheren Herren herauszureden und ihr eigenes Leben zu retten.

Und doch verwandelt sich die Mehrzahl der Entlastungszeugen im Laufe des Verhörs unweigerlich in Belastungszeugen. Sie selbst werden von »stummen Zeugen« – das heißt Dokumenten – überführt und dabei vorwiegend von deutschen Dokumenten; zwangsweise müssen sie diejenigen überführen, die sie rechtfertigen sollten.

Die andere Gruppe der Verteidigungsmittel besteht aus Argumenten und Erwägungen rechtlicher Natur.

Einige Rechtsfragen des Verfahrens.

Die Anklage in diesem Prozeß stützt sich auf ein sehr umfangreiches und unwiderlegliches Tatsachenmaterial und fußt fest auf den Grundsätzen des Rechts und des Gesetzes. Daher wurde schon in den Eröffnungsreden der Anklagebehörde der strafrechtlichen Begründung der Verantwortlichkeit der Angeklagten viel Aufmerksamkeit geschenkt.

Die Verteidigung hat eine Reihe von Rechtsfragen in ihren Plädoyers vor dem Gerichtshof erneut aufgeworfen:

a) Über die Bedeutung des Prinzips »nullum crimen sine lege«,

b) über die Bedeutung des Befehls,

c) über die Verantwortlichkeit des Staates und der einzelnen,

d) über den Begriff einer Verschwörung und dergleichen mehr.

In diesem Zusammenhang halte ich es für notwendig, auf einige Rechtsfragen nochmals zurückzukommen, um den Versuch der Verteidigung zu erwidern, einfache und klare Bestimmungen zu verwirren und eine juristische Argumentation in einen Rauchschleier zu verwandeln, der dazu bestimmt ist, dem Gerichtshof die blutigen Tatsachen der faschistischen Verbrechen zu verbergen.

a) Das Prinzip »nullum crimen sine lege«.

Die Verteidigung bemühte sich, die Anklage mit der Begründung zurückzuweisen, daß zur Zeit, als die Angeklagten die ihnen zur Last gelegten Handlungen begingen, deren strafrechtliche Verfolgung in den bestehenden Gesetzen nicht vorgesehen war, und daß daher die Angeklagten für diese Handlungen eine strafrechtliche Verantwortung nicht tragen können.

Ich könnte jede Bezugnahme auf das Prinzip »nullum crimen sine lege« einfach unterlassen, da das Statut des Internationalen Militärgerichtshofes, welches ein unabänderliches Gesetz ist und unbedingt durchgeführt werden muß, festlegt, daß dieser Gerichtshof »das Recht hat, alle Personen abzuurteilen, die im Interesse der der europäischen Achse angehörigen Staaten als Einzelpersonen oder als Mitglieder einer Organisation oder Gruppe eines der« in Artikel 6 des Statuts aufgezählten »Verbrechen begangen haben«.

Folglich ist es vom juristischen Standpunkt aus gesehen für die Urteilsfällung und Bestrafung nicht notwendig, daß die von den Angeklagten begangenen Verbrechen im Augenblick ihres Begehens in den Strafgesetzen bereits vorgesehen waren. Es unterliegt jedoch keinem Zweifel, daß die Handlungen der Angeklagten als Verbrechen gegen die Gesetze verstoßen, welche in dem Augenblick, wo sie begangen wurden, in Kraft waren.

Die strafrechtlichen Normen des Statuts des Internationalen Gerichtshofs sind als Grundsätze in einer Reihe von internationalen Abmachungen, welche ich in meiner Eröffnungsrede vom 8. Februar 1946 aufgezählt habe, und in der strafrechtlichen Gesetzgebung aller zivilisierten Staaten enthalten. Die Gesetzgebung aller zivilisierten Völker sieht die strafrechtliche Verantwortlichkeit für Morde, Folterungen, Gewalttaten, Raub und so weiter vor.

Der Umstand, daß diese Verbrechen von den Angeklagten in einem jede menschliche Vorstellung übersteigenden Ausmaße und in unerhörten Formen sadistischer Grausamkeit begangen wurden, schließt natürlich ihre Verantwortlichkeit nicht aus, sondern verstärkt sie um ein Vielfaches. Wenn die Angeklagten Verbrechen in irgendeinem Land und gegen seine Bürger begangen hätten, so würden sie – gemäß der Erklärung der Staatsoberhäupter der USSR, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten von Amerika, veröffentlicht am 2. November 1943 in voller Übereinstimmung mit den allgemein anerkannten Grundsätzen des Strafrechts – in dem betreffenden Lande vor Gericht stehen und auf Grund der dort herrschenden Gesetze abgeurteilt werden.

Diese Erklärung sah vor, daß »die deutschen Offiziere und Soldaten und Mitglieder der nazistischen Partei, die für die obenerwähnten Grausamkeiten, Morde und Hinrichtungen verantwortlich waren oder freiwillig an ihnen teilnahmen, in die Länder zurückgebracht werden sollen, in denen ihre gräßlichen Verbrechen begangen worden sind, damit sie auf Grund der Gesetze dieser befreiten Länder und der dort geschaffenen freien Regierungen abgeurteilt und bestraft werden können«.

Aber die Angeklagten sind Kriegsverbrecher, »deren Verbrechen an keinen bestimmten geographischen Ort gebunden sind« (Artikel 1 der Vereinbarung der Vier Mächte vom 8. August 1945), und daher unterstehen ihre Verbrechen der Gerichtsbarkeit des Internationalen Militärgerichtshofs, der seine Zuständigkeit aus dem Statut ableitet.

Der Verteidiger des Angeklagten Heß hat sich erlaubt, folgende Behauptung aufzustellen: »Es kann sonach kaum mehr einem Zweifel unterliegen, daß es ein Verbrechen gegen den Frieden, wie es in Artikel 6, Absatz 2 a des Statuts seinen tatbestandmäßigen Ausdruck gefunden hat, nicht gibt.«

Es ist überflüssig, hier internationale Abmachungen zu erwähnen – ich habe sie in meiner Eröffnungsrede vom 8. Februar 1946 erwähnt –, in denen ein Angriffskrieg als ein internationales Verbrechen anerkannt wurde.

Demnach sind die Versuche der Angeklagten und ihrer Verteidiger, sich hinter dem Grundsatz »nullum crimen sine lege« zu verbergen, gescheitert.

Sie werden wegen Handlungen angeklagt, die von der zivilisierten Menschheit auch früher als Verbrechen erkannt wurden.

b) Ausführung von Befehlen.

Einige unter den Angeklagten haben in ihren Aussagen vor dem Gerichtshof versucht, sich als kümmerliche Zwerge, blinde und ergebene Vollzieher eines fremden Willens – Hitlers Willens – hinzustellen.

Auf der Suche nach einer rechtlichen Grundlage für diese Behauptung sprach der Verteidiger Jahrreiss viel von der Bedeutung der Hitler-Erlasse. Der Verteidiger Jahrreiss war der Meinung, daß ein Hitler-Befehl »etwas ganz anderes war, als der Befehl irgendeines anderen Führers«, daß ein Hitler-Erlaß »rechtlich unanfechtbar« war. Daher fragt der Verteidiger Jahrreiss: »Gehörte denn der Befehl Hitlers zu der Art von Befehlen, die von dem Statut dieses Gerichtshofs als Strafausschließungsgrund beiseitegeschoben wurden?«

Kann denn solch ein »Befehl« genau so behandelt werden wie die vom Statut vorgesehenen Befehle?

Das Recht, Gesetze auszulegen, ist ein unbestreitbares Recht eines jeden Juristen, also auch der Verteidiger. Es erscheint jedoch vollkommen unbegreiflich, von welchen logischen oder anderen Methoden der Verteidiger sich leiten ließ, als er behauptete, daß die Bestimmungen des Statuts, welches speziell für den Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher des faschistischen Deutschlands ausgearbeitet wurde, ausgerechnet die Tätigkeit dieser Verbrecher außer acht ließ.

Von welchen, von wem und in welchem Lande erlassenen Befehlen spricht denn das Statut des Gerichtshofs?

Unbestreitbar ist aber das Gegenteil: Die Verfasser des Statuts waren in vollem Maße über die spezifischen Verhältnisse Hitler-Deutschlands auf dem laufenden, sie waren in vollem Maße – aus dem Material des Charkow- und anderer Prozesse – über die Versuche der Angeklagten, sich hinter die Befehle Hitlers zu verstecken, orientiert, und gerade deshalb haben sie besonders festgelegt, daß die Ausführung eines offensichtlich verbrecherischen Befehls von strafrechtlicher Verantwortlichkeit nicht befreit.

c) Verantwortlichkeit der Staaten und der einzelnen.

In gewissem Grad, so scheint es, bekamen selbst die Urheber dieses Versuches, eine große Gruppe von Ministern, Gauleitern und militärischen Befehlshabern hinter Hitlers Rücken zu verstecken, Zweifel an der Überzeugungskraft eines derartigen Verteidigungsmanövers, denn zur Unterstützung dieses Manövers kommen sie noch mit einer neuen Verteidigungslinie.

»Wenn aber das Deutsche Reich im Einzelfall entgegen einem noch gültigen Nicht-Angriffs-Vertrag zum Angriff geschritten sein sollte,«-so sagte der Verteidiger Jahrreiss – »so hat es ein völkerrechtliches Delikt begangen und haftet dafür nach den Regeln des Völkerrechts über völkerrechtliche Delikte.

Aber nur das Reich! Nicht der einzelne,...«

Man kann nicht umhin, vor allem festzustellen, daß der angeführte Gesichtspunkt nicht gerade neu ist; noch ehe die offizielle Verteidigung in diesem Prozeß zu Worte kam, haben einige inoffizielle Verteidiger der Kriegsverbrecher die Version propagiert, daß nicht physische Personen, sondern das Deutsche Reich und das deutsche Volk die Verantwortung für den verbrecherischen Angriff und die Kriegsverbrechen zu tragen hätten.

Wenn das Völkerrechtssubjekt, das heißt der Staat, die Normen des Völkerrechts verletzt, so zieht das diese oder jene Folgen internationalen Charakters nach sich, jedenfalls aber nicht die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Staates.

Diese und jene Handlung eines Staates in der Sphäre der internationalen Beziehungen wird von physischen Personen, Beamten und Vertretern des Staates, ausgeführt.

Bei der Durchführung dieser Handlungen können diese Personen die verschiedenartigsten Verletzungen zivilrechtlichen wie auch strafrechtlichen Charakters begehen.

Für die letzteren, das heißt solche, die die Merkmale eines Verbrechens enthalten, haben sie im gegebenen Fall die strafrechtliche Verantwortung laut Gesetz und Recht ihres eigenen, wie auch eines fremden Staates je nach den Umständen zu tragen.

Im vorliegenden Fall hat nicht nur der Hitler-Staat die Normen des Völkerrechts verletzt, woraus sich Maßnahmen ergeben, die gegen die Staaten ergriffen wurden; sondern es haben auch die physischen Einzelpersonen, indem sie diese Verletzungsakte begingen, persönlich strafwürdige Verbrechen begangen, für die sie auf Grund des Statuts des Gerichtshofs vor dem Internationalen Militärgerichtshof zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen werden.

d) Über den Begriff der Verschwörung.

Die Verteidigung macht einstimmig, wenn auch in verschiedenen Formen und Varianten, den Versuch, die gegen die Angeklagten erhobene Beschuldigung der Teilnahme an einer verbrecherischen Verschwörung zu bestreiten. Indem sie aus den verschiedensten Quellen einseitige und tendenziös ausgesuchte Definitionen einer Verschwörung herbeiziehen, bemühen sich die Verteidiger zu beweisen, daß Göring, Heß, Ribbentrop und die anderen nicht als Teilnehmer an einer Verschwörung angesehen werden können.

Ich möchte einige Argumente als Beweis für die Haltlosigkeit des Verteidigungsvortrags vorbringen.

Eine Verschwörung setzt das Vorhandensein einer verbrecherischen Gemeinschaft voraus, die zur Erreichung gemeinsamer verbrecherischer Ziele ins Leben gerufen wurde und tätig war. Solch eine Gemeinschaft bestand zweifellos. Es ist selbstverständlich, daß in diesem Fall, wo die Verschwörer sich der Staatsmaschine bemächtigt hatten, die Fäden und Hebel, die die Mitglieder der verbrecherischen Verschwörergemeinschaft verbinden, außerordentlich verwickelt sind.

In jeder beliebigen verbrecherischen Gemeinschaft und insbesondere in einer so weitverzweigten und zahlreichen, begehen die einzelnen Teilnehmer verbrecherische Handlungen, die im Generalplan der Verschwörung vorgesehen sind, und doch können sie einer ganzen Reihe der Mitglieder der Gemeinschaft persönlich unbekannt bleiben. Nichtsdestoweniger sind, soweit diese Verbrechen einem einzigen verbrecherischen, generell für die ganze Gemeinschaft geltenden Plan entstammen, auch die Teilnehmer dafür verantwortlich, die persönlich diese einzelnen verbrecherischen Handlungen nicht begangen haben und von diesen keine Kenntnis erhielten.

In dem gegenwärtigen Fall wird das Vorhandensein der Verschwörung nicht durch den Umstand ausgeschlossen, daß zum Beispiel Schirach vielleicht nichts von den einzelnen Maßnahmen des Sklavenhändlers Sauckel oder des Pogrom-Anstifters Streicher wußte.

Das Vorhandensein einer Verschwörung wird auch nicht durch Meinungsverschiedenheiten in bestimmten Fragen zwischen einigen ihrer Teilnehmer ausgeschlossen – die Intrigen Görings gegen Bormann und dergleichen.

Solche Zwistigkeiten können in jeder beliebigen Bande von Räubern und Dieben vorkommen; deswegen hört aber die Bande nicht auf, eine Bande zu sein.

Fast in jeder Gemeinschaft gibt es eine bestimmte Hierarchie unter den Teilnehmern. Sehr oft maßen sich die Häuptlinge einer Verbrecherbande unumschränkte Gewalt über die anderen Bandenmitglieder an, die bis zur Entscheidung über Leben und Tod führt, jedoch scheint es keinem einzigen Juristen der Welt in den Kopf gekommen zu sein, das Vorhandensein einer verbrecherischen Gemeinschaft nur aus dem Grunde abzuleugnen, weil nicht alle Teilnehmer gleichgestellt waren, sondern einer unter ihnen die Macht über die anderen ausübte.

Zumindest ist es sonderbar, das Vorhandensein einer Verschwörung im gegebenen Fall deshalb zu leugnen, weil in den Händen des Häuptlings – Hitler – eine enorme persönliche Macht konzentriert war. Gleichermaßen schließt das Vorhandensein der Verschwörung eine bestimmte Verteilung der Rollen zwischen den Mitgliedern der verbrecherischen Gruppe zur Erlangung des gemeinsamen verbrecherischen Zieles nicht aus, sondern setzt dies sogar voraus: Der eine lenkt die ganze verbrecherische Tätigkeit, der zweite befaßt sich mit dem Problem der ideologischen Schulung, der dritte bereitet die Armee vor, der vierte organisiert die Arbeit der Kriegsindustrie, der fünfte kümmert sich um die diplomatische Vorbereitung und so weiter. Deswegen hört die faschistische Verschwörung aber nicht auf, eine Verschwörung zu sein, sie ist vielmehr besonders gefährlich, da sich in den Händen der Verschwörer der Staatsapparat und enorme menschliche und materielle Bezugsquellen befinden.

In den Händen der internationalen Verbrecher, in den Händen Görings, Keitels und der anderen Angeklagten, werden enorme Menschenmassen zum Werkzeug für die schwersten Verbrechen.

Daher ändern die spezifischen Züge, die die Verschwörer des faschistischen Deutschland von jeder beliebigen anderen Bande unterscheiden, nichts an der rechtlichen Natur der Verschwörung, sondern verleihen ihr einen besonders gefährlichen Charakter.

Damit beende ich die Analyse der juristischen Argumente der Verteidigung, die schon von meinen verehrten Herren Kollegen genau untersucht worden sind.

Wie Sie, meine Herren Richter, ersehen konnten, haben sich die Argumente der Verteidigung als nicht stichhaltig erwiesen und vermochten die Anklage nicht zu erschüttern.

Ich gehe jetzt zur Prüfung der Schuldfrage der einzelnen Angeklagten über.