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Keitel.

Wenn ich von der Militärgruppe spreche, möchte ich selbstverständlich mit dem Angeklagten Wilhelm Keitel anfangen.

Keitel hat seit den ersten Jahren ihres Bestehens eine führende Stellung in Hitlers Kriegsmaschine gehabt. Keitels Verteidiger gibt zu:

»Der Erlaß« – vom 4. Februar 1938 – »gab Keitel eine wundervolle Dienststellenbezeichnung: ›Chef des Oberkommandos der Wehrmacht!‹«

Und etwas weiter:

»Die tatsächliche Bedeutung der Tätigkeit (Keitels)... war ungeheuer... Es war eine ungeheuer trostlose Tätigkeit, die nur einen sehr geringen Ausgleich durch die schillernde Stellung in der unmittelbaren Umgebung des Staatsoberhauptes... fand.«

Im Lichte aller folgenden Ereignisse muß man annehmen, daß zur ersten Etappe der später erfolgten Angriffskriege all das gehörte, was mit der geheimen Aufrüstung Deutschlands nach dem Frieden von Versailles zusammenhängt.

Es ist schwer, die Bedeutung dessen zu vermindern, was von dem damaligen Oberst Keitel in der Sachverständigenkommission ausgeheckt wurde, die fortlaufend und hartnäckig Wege suchte und diese auch fand, den Vertrag zu umgehen oder gar zu brechen.

Keitel und kein anderer war es, der darauf hinwies, man könne in Genf alles sagen, was man wolle, solange keine schriftlichen Spuren hinterlassen würden.

Diese zynische Bemerkung entspricht vollkommen der Rolle, die Keitel in der Vorbereitung und Führung der künftigen Aggressivkriege spielte.

Während der Besprechungen Hitlers mit Schuschnigg war Keitels Person ein lebender Beweis dafür, daß Deutschland bereit war, zur Waffe zu greifen.

Keitel gab den Befehl, das Heer in Richtung auf die Tschechoslowakei in Bewegung zu setzen, als Präsident Hácha in heuchlerischer Weise »zur Fortsetzung von Verhandlungen« nach Berlin gerufen wurde.

Es war das OKW und niemand anderes, das bereit war, durch die Abteilung Abwehr einen Grenzzwischenfall mit der Tschechoslowakei zu provozieren, um den Einfall deutscher Horden, die bereit waren, sich auf die Tschechoslowakei zu stürzen, zu rechtfertigen.

In seinem streng geheimen Memorandum verlangt Keitel von Heß und Himmler, dem OKW im voraus alle Maßnahmen mitzuteilen, die von den Parteiorganisationen oder von der Polizei durchgeführt werden sollten und die im Fall »Grün« nicht vorgesehen worden waren.

Völlig erlogen waren die Erklärungen darüber, daß Deutschland nach der Besetzung der Tschechoslowakei keine weiteren Ansprüche in Europa habe. Diese Besetzung war nur ein Glied in der Kette der Angriffskriege.

Ich möchte die führende Rolle betonen, die das OKW in der Vorbereitung und Führung der Angriffe gespielt hat. Die Weisung zum Krieg und zum Überfall auf Polen ist uns bekannt als Weisung Keitels und Hitlers vom 10. Mai 1939. Sie waren an das Oberkommando der Luftwaffe, der Kriegsmarine und des Heeres gerichtet. Wie kann man da noch behaupten, daß das OKW nicht der führende Kopf aller Wehrmachtsteile des faschistischen Reiches war?

Wenn wir noch einen Blick auf die Dokumente werfen, die sich auf die Angriffe Deutschlands auf Norwegen, Dänemark, Belgien, Holland, Luxemburg, Jugoslawien und Griechenland beziehen, werden wir noch einmal Keitels Namen begegnen. Er tritt entweder als Mitwirkender an den wichtigsten Ereignissen auf oder als Verfasser geheimer Weisungen, die an Raeder, Göring und den Generalstab gerichtet sind. Eigenhändige Paraphen Keitels und Jodls finden wir auch auf dem von Hitler unterschriebenen Geheimerlaß über die Durchführung des Unternehmens »Marita«.

Viel wurde hier vom Fall »Barbarossa« und seinen Urhebern gesprochen. Nun ist es für uns wichtig, die Tatsache zu unterstreichen, daß dieses Dokument innerhalb des OKW aus dessen Initiative entstand, daß die geplanten heuchlerischen Methoden des Angriffs auf die USSR das Werk des OKW waren.

Jedem ist die Bedeutung der Paraphe des militärischen Sachbearbeiters auf einem Dokument klar. Einige der Angeklagten haben in ihrer Verlogenheit versucht, den Angriff auf die USSR als einen Präventivkrieg darzustellen. Diese Behauptungen sind derart unhaltbar und widersprechen derartig den im Laufe der Verhandlungen unerschüttert durch deutsche Dokumente erbrachten Beweisen, daß ich es nicht für notwendig erachte, die Zeit des Gerichtshofs weiter damit in Anspruch zu nehmen.

Keitels Verteidiger hat erklärt, daß die Verteidigung dieses Angeklagten darauf basiert, daß Keitel – »nicht um seinen Kopf, sondern darum kämpft, ›sein Gesicht zu wahren‹«.

Ich möchte dem Gerichtshof behilflich sein, das wahre Gesicht Keitels zu enthüllen. Dazu muß ich Sie an einige Erlasse Keitels erinnern, die mit Recht eine hervorragende Stelle unter den niederträchtigen Dokumenten über die Unmenschlichkeit des deutschen Militärs, sowie über seine Gemeinheit und die nichtswürdige Verachtung aller Regeln und Gebräuche der Kriegführung einnehmen.

Angefangen mit den Dokumenten über die Hinrichtung politischer Arbeiter hat Keitel, dieser Soldat, wie er sich gern selbst nennt, bei der Voruntersuchung die Amerikanische Anklagebehörde gegen seinen Eid unverschämt belogen, indem er sagte, daß dieser Erlaß einmal den Charakter einer Repressalie habe und daß politische Arbeiter von den anderen Kriegsgefangenen auf eigenen Wunsch der letzteren getrennt gehalten wurden. Vor Gericht wurde er entlarvt. Mit der Vorlage des Dokuments USSR-351, 884-PS wurde bewiesen, daß der Erlaß vor Beginn der Kriegshandlungen herausgegeben worden war. Wir haben ebenfalls das Dokument USSR-62, den Text eines Briefes deutscher Kriegsgefangener vorgelegt. Aus diesem Dokument geht hervor, wie noch vor dem Angriff auf die USSR die kämpfende Truppe angewiesen wurde, sowjetische Soldatinnen und das politische Personal unbedingt zu vernichten.

Und was kann man zu dem in seinem grenzenlosen Zynismus unheimlichen Satz sagen:

»... ein Menschenleben gilt in den betreffenden Ländern absolut nichts... eine abschreckende Wirkung kann nur durch unerhörte Brutalität erreicht werden.«

Und der Erlaß über die Anwendung der Kriegsgerichtsbarkeit im Gebiet »Barbarossa« vom 13. Mai 1941? Und der Befehl vom 16. Oktober 1941 über die Hinrichtung von 80 bis 100 Kommunisten für jeden getöteten Deutschen? Was vermochte Keitel hier über das Dokument, das unter dem Nahmen »Nacht und Nebel« bekannt ist, zu sagen?

Das sind blutige Dokumente. Niemand kann zusammenzählen, wie viele Tausende kriegsgefangener Soldaten und Offiziere der Roten Armee in den Lagern des faschistischen Deutschland getötet und zu Tode gequält worden sind. Sie werden sich erinnern, wie der Zeuge Lampe in der Nachmittagssitzung vom 21. Januar 1946 aussagte, wie man die Hinrichtung von 50 Sowjetoffizieren im Lager Mauthausen zur Unterhaltung Himmlers veranstaltet habe. Sie erinnern sich an die Aussagen des Zeugen Blaha, wie im Frühling des Jahres 1944 94 höhere Sowjetoffiziere durch Folter gequält und dann ermordet wurden, weil sie sich weigerten, Auskünfte militärischen Charakters zu geben.

Ich will noch an die Aussagen des SS-Mannes Paul Waldmann über die Niedermetzelung von 840 russischen Kriegsgefangenen erinnern. Sie erinnern sich auch an die Aussagen des Zeugen Kiwelischa über das Ausmaß an Verspottung und Qual, denen jeder Sowjetbürger, der in deutsche Gefangenschaft geriet, sozusagen am laufenden Band ausgesetzt war.

Und nun – kann ich den Erlaß Keitels mit Schweigen übergehen, auf Grund dessen sowjetische Kriegsgefangene gebrandmarkt werden sollten?

Man kann auch Keitels Erlaß vom 16. Dezember 1942 nicht vergessen. Er ist betitelt »Bandenbekämpfung«. Unter »Banden« versteht der Angeklagte Keitel jede Widerstandsbewegung: er verlangte von der Truppe die Anwendung uneingeschränkter grausamster Methoden, auch gegen Frauen und Kinder.

Die Sowjetische Anklagebehörde hat unter der Nummer USSR-162 die Aussage Le Courts vorgelegt. Le Court sagte aus, daß er Sowjetbürger erschossen und verbrannt und ihre Häuser in Brand gesteckt habe. Er allein hat eigenhändig 1200 Menschen erschossen, wofür er vorzeitig zum Obergefreiten befördert und mit der Ostmedaille ausgezeichnet wurde. Er handelte in Übereinstimmung mit den Befehlen Keitels.

Der Erlaß Keitels über die Kriegsgerichtsbarkeit im Gebiet »Barbarossa« erklärte derartige Menschen für straflos. Auf Keitel fällt das Blut der von Le Court und seinesgleichen Ermordeten.

In Ausführung der Weisung Keitels, »das Leben habe in den Ostländern absolut keinen Wert«, begingen die Soldaten und Offiziere Hitler-Deutschlands ihre unmenschlichen Greueltaten.

Von der Anklagebehörde ist das Dokument USSR- 51 vorgelegt worden, aus dem zu ersehen ist, wie die deutschen Truppen am 28. August 1941, als sie zum Angriff übergingen, Frauen, Kinder und Greise vor sich hertrieben. Im Dorfe Kolpino haben die Faschisten Bauern hingemordet, nachdem sie sie gezwungen hatten, für sie Brücken und Unterstände zu bauen.

In Jugoslawien sind Massenhinrichtungen von Geiseln zur täglichen Praxis der Wehrmacht und der Militärverwaltung geworden.

In einem an Göring gerichteten Geheimbericht vom 15. Februar 1940 rechtfertigt das OKW die Festnahme von Geiseln.

Ich möchte mit dem Dokument USSR-356 (EC- 338) schließen.

Meine Herren Richter! Sie erinnern sich an dieses Dokument. Darin wird Keitel von Admiral Canaris über die in den Kriegsgefangenenlagern herrschende Willkür, Hunger und Massenhinrichtungen sowjetischer Kriegsgefangener, in Kenntnis gesetzt. Sogar der hartgesottene faschistische Spion Canaris schreckte vor der Verantwortung zurück und konnte nicht ruhig an der himmelschreienden Willkür und an der Verletzung aller anerkannten Kriegsgesetze und -gebräuche vorübergehen.

Sie erinnern sich auch an die Randbemerkung Keitels auf diesem Bericht:

»Deshalb billige ich die Maßnahmen und decke sie.«

Ich habe an den Angeklagten Keitel im Kreuzverhör vom 7. April 1946 folgende Frage gerichtet:

»Sie, Angeklagter Keitel, der Sie sich Feldmarschall nennen, Sie haben sich vor diesem Gerichtshof wiederholt einen Soldaten genannt. Mit Ihrem blutrünstigen Beschluß vom September 1941 haben Sie die Niedermetzelung Tausender unbewaffneter Soldaten, die in Ihre Gefangenschaft gerieten, bestätigt und sanktioniert. Stimmt das?«

Keitel war gezwungen, diese Tatsache einzugestehen.

Eine solche Entscheidung allein offenbart das tatsächliche, wirkliche Gesicht des Feldmarschalls Keitel. Keine raffinierten Ausführungen der Verteidigung können Keitel von der Verantwortung für das Blut und unzählige Menschenleben reinwaschen, die von der Hand des faschistischen Militärs in Ausführung der von Keitel unterschriebenen Befehle und Erlasse vernichtet wurden.

VORSITZENDER: Das Gericht wird jetzt eine Pause machen.