[Das Gericht vertagt sich bis
30. Juli 1946, 10.00 Uhr.]
1 Die Zitate im Plädoyer des Hauptanklägers der Sowjetunion konnten teilweise nicht mit den deutschen Originaldokumenten verglichen werden; sie sind daher nachfolgend aus der russischen Version rückübersetzt.
Einhundertneunzigster Tag.
Dienstag, 30. Juli 1946.
Vormittagssitzung.
GENERAL R. A. RUDENKO1, HAUPTANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Meine Herren Richter!
Sauckel.
Ich habe bereits in meiner Einführungsrede darauf hingewiesen, daß in der langen Reihe der gemeinen Verbrechen der deutsch-faschistischen Eindringlinge die Zwangsverschleppung friedlicher Bürger – Männer, Frauen und Kinder – zur Sklavenarbeit nach Deutschland einen besonderen Platz einnimmt.
Der Angeklagte Fritz Sauckel spielt eine entscheidende Rolle in diesen düsteren Verbrechen.
Beim Kreuzverhör vor dem Gerichtshof wurde der Angeklagte Sauckel gezwungen zuzugeben, daß während des Krieges in Deutschland in der Industrie und teilweise auch in der Landwirtschaft ungefähr zehn Millionen Zwangsarbeiter, teils Verschleppte aus den besetzten Gebieten, teils Kriegsgefangene beschäftigt wurden.
Während Sauckel die Verschleppung von Millionen Arbeitern aus den besetzten Gebieten nach Deutschland und ihre Verwendung in erster Linie in der Kriegswirtschaft Hitler-Deutschlands zugibt, hat er den verbrecherischen Charakter dieser Handlung geleugnet und behauptet, die Werbung der Arbeiter sei auf freiwilliger Grundlage erfolgt.
Das ist nicht nur eine Lüge, sondern eine Verleumdung der Millionen ehrlicher Patrioten aus der Sowjetunion und der Tschechoslowakei, aus Jugoslawien, Polen, Frankreich und Holland, die ihrem Vaterland treu blieben und nur unter Zwang zur Arbeit nach Hitler-Deutschland verschleppt wurden.
Der Versuch des Angeklagten Sauckel, seine Funktionen als Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz nur als Koordinierung und Beaufsichtigung der anderen Reichsarbeitsbehörden hinzustellen, ist unhaltbar. Als Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz war Sauckel von Hitler mit außerordentlichen und weitreichenden Vollmachten ausgestattet und unterstand in seiner Tätigkeit unmittelbar Göring persönlich.
Sauckel hat diese Vollmachten zur Einfuhr von Arbeitskräften aus den besetzten Gebieten nach Deutschland in vollstem Umfange ausgenutzt.
Es ist nicht notwendig, auf die zahlreichen dem Gerichtshof vorgelegten Urkundenbeweise hinzuweisen, die unstreitig den verbrecherischen Charakter der Massenverschleppung der Bevölkerung der besetzten Gebiete in die Sklaverei sowie die organisatorische Rolle des Angeklagten Sauckel bei diesen Verbrechen feststellen.
Welches Ausmaß diese Verbrechen annahmen, beweist die von den Militär- und Zivilbehörden durchgeführte Aktion, die den Namen »Heu-Aktion« führte und die Zwangsverschleppung von Kindern im Alter von 10 bis 14 Jahren in die Sklaverei vorsah, sowie die Verschleppung ukrainischer Mädchen, die von Hitler zur Germanisierung vorbestimmt waren.
Der Angeklagte Sauckel sucht den Gerichtshof zu überzeugen, daß er sich streng an die Bestimmungen der Genfer und Haager Konventionen über den Arbeitseinsatz von Kriegsgefangenen gehalten habe. Seine eigenen Richtlinien strafen ihn jedoch Lügen.
Der Angeklagte Sauckel hat im voraus die zwangsweise Beschäftigung sowjetischer Kriegsgefangener in Rüstungsbetrieben in Deutschland geplant und keinen Unterschied zwischen ihnen und den zivilen Arbeitskräften gemacht. Zahlreiche Dokumente zeugen von den unmenschlichen Bedingungen, unter welchen die in die Sklaverei verschleppten Fremdarbeiter und Kriegsgefangenen lebten.
Der Angeklagte Sauckel hat selbst zugeben müssen, daß die Fremdarbeiter in Lagern hinter Stacheldraht gehalten wurden und besondere Erkennungsabzeichen trugen.
Der vom Verteidiger Sauckels vor den Gerichtshof geladene Zeuge Dr. Wilhelm Jäger hat jene schrecklichen Verhältnisse beschrieben, unter denen die Zwangsarbeiter der Krupp-Werke lebten.
Geradezu lächerlich klingt nach alldem die übertriebene Aussage des anderen Zeugen Fritz Wieshofer, der, um Sauckel reinzuwaschen, dem Gerichtshof erklärte, er habe selbst gesehen, wie Fremdarbeiter im Wiener Prater spazieren gegangen seien und sich amüsiert hätten.
Der Angeklagte Sauckel hat eine große Aktivität bei der Begehung all dieser Verbrechen entfaltet. Im April 1943 hat er zur Intensivierung des Abtransportes von Arbeitskräften persönlich die Städte Rowno, Kiew, Dnjepropetrowsk, Saporosche, Simferopol, Minsk und Riga besucht und im Juni desselben Jahres Prag, Krakau und wiederum Kiew, Saporosche und Melitopol.
Kurz nach dieser Reise in die Ukraine im Jahre 1943 hat Sauckel für die erfolgreiche Beschaffung von Arbeitskräften dem Reichskommissar für die Ukraine, Koch, der durch seine drakonischen, unmenschlichen Maßnahmen gegen die ukrainische Bevölkerung bekannt ist, seinen Dank ausgesprochen.
Es ist kein Zufall, daß Sauckel für diese verbrecherische Handlungsweise in Hitler-Deutschland so hoch anerkannt wurde.
Am 6. August 1942 hat der Angeklagte Göring bei einer Besprechung mit den Reichskommissaren für die besetzten Gebiete gesagt:
»Ich will Gauleiter Sauckel nicht loben, das hat er nicht nötig. Aber was er in dieser kurzen Zeit geleistet hat, um in einer solchen Geschwindigkeit Arbeiter aus ganz Europa herauszuholen und in unsere Betriebe zu bringen, das ist einmalig. Ich möchte das allen Herren sagen: Wenn jeder auf seinem Gebiet nur ein Zehntel der Energie verwenden würde, die der Gauleiter Sauckel verwendet hat, dann würde es wirklich eine Leichtigkeit sein, die von Ihnen geforderten Aufgaben zu erfüllen....«
In dem Artikel, der im Reichsarbeitsblatt im Jahre 1944 zu Sauckels 50. Geburtstag erschien, heißt es:
»Getreu seiner politischen Aufgabe geht er mit Unermüdlichkeit, Folgerichtigkeit und Hartnäckigkeit, mit fanatischem Glauben seinen verantwortungsschweren Weg. Als einer der getreuesten Anhänger Hitlers schöpft er seine erbaulichen seelischen Kräfte aus dem Vertrauen des Führers.«
Bei der Beurteilung der verbrecherischen Tätigkeit Sauckels werden die Hohen Herren Richter zweifellos der Tränen gedenken, die Millionen in deutscher Sklaverei schmachtender Menschen vergossen haben, sich der Tausende in den unmenschlichen Verhältnissen der Arbeitslager zu Tode Gequälter erinnern und das entsprechende Urteil fällen.