Neurath.
Konstantin von Neurath spielt eine hervorragende Rolle bei der Festigung der Macht der nazistischen Verschwörer, in Vorbereitung und Verwirklichung ihrer Angriffspläne.
Im Verlaufe vieler Jahre, jedesmal, wenn Spuren zu verwischen waren, oder wenn es notwendig war, mit diplomatischen Manipulationen die Angriffshandlungen zu tarnen, kam Neurath mit seiner jahrelangen Erfahrung auf dem Gebiet der Außenpolitik den Hitleristen zu Hilfe; er, der Nazi-Diplomat im Range eines SS-Generals.
Ich erinnere daran, wie hoch die Tätigkeit Neuraths offiziell eingeschätzt wurde, die in allen Zeitungen des faschistischen Deutschlands am 2. Februar 1943 zu lesen stand.
»Die auffallendsten politischen Ereignisse nach der Machtergreifung, bei denen Baron von Neurath als Reichsaußenminister eine entscheidende Rolle spielte und mit denen sein Name für alle Zeiten verbunden sein wird, sind: der Austritt Deutschlands aus der Abrüstungskonferenz in Genf am 14. Oktober 1933, die Rückgliederung des Saarlandes, die Verkündung und Denunzierung des Locarnovertrages...«
Als Reichsprotektor für Böhmen und Mähren repräsentierte Neurath für die Nazi-Verschwörer jene »feste und zuverlässige Hand«, von der General Friderici in seinem Memorandum schreibt und welche die Tschechoslowakische Republik zu einem »unabtrennbaren Teil Deutschlands« machen sollte. Um dieses Ziel zu erreichen, hat Neurath die berüchtigte »Neue Ordnung« vorbereitet, deren Sinn jetzt allgemein bekannt ist.
Neurath hat versucht, uns hier zu beteuern, daß alle Greueltaten von der Polizei und der Gestapo auf Himmlers direkten Befehl verübt worden seien, während er selbst nichts davon gewußt habe. Man kann wohl verstehen, daß Neurath das jetzt behauptet, man kann ihm jedoch darin nicht beistimmen.
In seiner Vernehmung vom 7. März 1946 hat Karl Frank ausgesagt, daß Neurath regelmäßig vom Chef der Sicherheitspolizei und von Frank persönlich Berichte über die wichtigsten Ereignisse im Protektorat erhalten habe, soweit sie die Sicherheitspolizei betrafen, daß ferner Neurath die Möglichkeit gehabt habe, der Sicherheitspolizei Weisungen zu erteilen und daß er dies auch getan habe: beim SD seien seine Befugnisse sogar noch weitergehend und völlig unabhängig von der Genehmigung des Reichssicherheitshauptamtes gewesen.
Ich erinnere ebenfalls an die Paragraphen 11, 13 und 14 der Verordnung des Reichsverteidigungsrates vom 1. September 1939, in der bestimmt wird, daß der Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei im Einvernehmen mit dem Reichsprotektor Verwaltungsvorschriften in Böhmen und Mähren erläßt und daß die Organe der Sicherheitspolizei im Protektorat gehalten sind, den Reichsprotektor und die ihm nachgeordneten Dienststellen zu unterrichten und sie über wichtige Feststellungen auf dem laufenden zu halten.
Wenn man noch hinzufügt, daß der Angeklagte Neurath am 5. Mai 1939 den SD-Führer und Beauftragten der Sicherheitspolizei zu seinem politischen Referenten ernannte, wenn man sich die Aussagen des früheren tschechischen Ministerpräsidenten unter Neurath, Richard Bienert, ins Gedächtnis zurückruft, in denen es heißt, daß die Gestapo Verhaftungen auf Anordnung des Reichsprotektors durchgeführt hat, können dann wohl noch Zweifel darüber bestehen, daß Neurath Massenverhaftungen, Hinrichtungen ohne Gerichtsverfahren und andere unmenschliche Handlungen der Gestapo und Polizei in der Tschechoslowakei sanktioniert hat?
Ich gehe zu den Ereignissen des 17. November 1939 über, als neun Studenten ohne Gerichtsverfahren erschossen, mehr als 1000 Studenten in Konzentrationslager gesteckt und alle tschechischen Hochschulen auf drei Jahre geschlossen wurden.
Neurath sagte, daß er von diesen Terrormaßnahmen erst post factum erfahren habe. Wir haben jedoch dem Gerichtshof eine Bekanntmachung über die Erschießung und Verhaftung der Studenten vorgelegt, auf der die Unterschrift Neuraths zu finden ist. Neurath sucht einen anderen Ausweg zu finden: er behauptet, Frank habe die Bekanntmachung mit seinem, Neuraths, Namen unterzeichnet und setzt zur Bekräftigung noch hinzu, daß er später von einem Beamten erfahren habe, daß Frank seinen Namen oft auf Dokumenten mißbraucht hat. Sind diese Behauptungen glaubhaft? Man braucht nur flüchtig die Tatsachen zu analysieren, um diese Frage zu verneinen.
Neurath sagt: Frank habe seinen Namen mißbraucht. Was hat Neurath dagegen unternommen? Hat er etwa die Entlassung Franks oder seine Bestrafung wegen Urkundenfälschung beantragt? Nein. Vielleicht hat er amtlich jemandem diese Urkundenfälschung gemeldet? Auch nicht. Im Gegenteil, er hat mit Frank weiterhin zusammengearbeitet wie vorher.
Neurath sagt, er habe von dem Mißbrauch seines Namens durch Frank von »einem Beamten« gehört. Wer war dieser Beamte? Wie heißt er? Warum wurde kein Antrag gestellt, ihn vor dem Gerichtshof als Zeugen zu vernehmen, warum wurde keine schriftliche eidesstattliche Erklärung vorgelegt? Die Sache ist die, daß niemand Neurath etwas von dem Mißbrauch seiner Unterschrift auf Dokumenten durch Frank erzählen konnte, weil gar kein Mißbrauch getrieben worden ist. Statt dessen steht dem Gerichtshof Beweismaterial zur Verfügung, aus dem hervorgeht, daß die Bekanntmachung vom 17. November 1939 mit Neuraths Unterschrift versehen war und die Terrormaßnahmen, von denen in dieser Bekanntmachung die Rede ist, von Neurath sanktioniert worden sind. Ich denke dabei an zwei Aussagen von Karl Frank, dem unmittelbaren Teilnehmer an diesen blutigen Ereignissen.
Karl Frank hat bei dem Verhör am 26. November 1945 ausgesagt:
»Dieses Dokument war vom 17. November 1939 datiert und von Neurath unterschrieben, welcher weder gegen die Erschießung der neun Studenten noch gegen die Zahl der Studenten, die in Konzentrationslager ver bracht werden sollten, protestierte.«
Ich zitiere die zweite Aussage Karl Franks vom 7. März 1946 in dieser Angelegenheit:
»Der Reichsprotektor von Neurath hat mit seiner Unterschrift unter der öffentlichen Bekanntmachung über die Erschießung der Studenten diese Aktion genehmigt. Ich habe Neurath über den Verlauf der Ermittlungen genau informiert, und er hat die Kundmachung unterschrieben. Wäre er damit nicht einverstanden gewesen und hätte er eine Änderung, zum Beispiel eine Milderung verlangt, wozu er das Recht hatte, so hätte ich mich seiner Meinung anschließen müssen.«
Im August 1939 hat Neurath mit Rücksicht auf die »besondere Lage« eine sogenannte »Warnung« erlassen, in welcher er Böhmen und Mähren zum Bestandteil des Großdeutschen Reiches erklärte und bestimmte, daß
»die Verantwortlichkeit für alle Sabotageakte nicht nur die einzelnen Täter trifft, sondern die gesamte tschechische Bevölkerung« (Dokument USSR-490),
das heißt, er stellte den Grundsatz der kollektiven Verantwortlichkeit auf und führte das Geiselwesen ein. Wenn man die Ereignisse vom 17. November 1939 im Licht dieser Anordnung Neuraths betrachtet, so finden wir noch einen unwiderlegbaren Beweis gegen Neurath.
Nach dem 1. September 1939 sind in Böhmen und Mähren ungefähr 8000 Tschechen als Geiseln verhaftet worden; die meisten von ihnen wurden in Konzentrationslager geschickt, viele wurden hingerichtet oder starben an Hunger und unter den Foltern. Sie haben, meine Herren Richter, darüber die Aussagen Bienerts, Krejcís und Havelkas gehört.
Sind diese Terrorakte gegen die tschechische Intelligenz nicht auf Grund der sogenannten »Warnung« Neuraths durchgeführt worden?
Ich halte es nicht für notwendig, all das zu behandeln, was in Lidice geschehen ist und außerdem in der Ortschaft Lestraki; es ist allgemein bekannt. Haben dort die deutschen Eindringlinge nicht nach Neuraths »Warnung« und nach seinem Grundsatz gehandelt: »Die Verantwortlichkeit... trifft nicht nur die einzelnen Täter, sondern die gesamte tschechische Bevölkerung?«
Neurath hat im August 1939 mit dem Massenterror gegen die Bevölkerung der Tschechoslowakei begonnen, an seinen Händen klebt das Blut vieler Tausender hingemordeter und zu Tode gequälter Männer und Frauen, Greise und Kinder. Ich sehe keinen Unterschied zwischen dem Freiherrn von Neurath und den anderen Rädelsführern des verbrecherischen faschistischen Regimes.