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[Das Gericht vertagt sich bis

31. Juli, 10.00 Uhr.]

Einhunderteinundneunzigster Tag.

Mittwoch, 31. Juli 1946.

Vormittagssitzung.

[Der Zeuge Meyer-Wendeborn im Zeugenstand.]

DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Haben Sie die Block- und Zellenleiter als »Hoheitsträger« betrachtet?

MEYER-WENDEBORN: Nein.

DR. SERVATIUS: Wissen Sie nicht, daß im Organisationsbuch der Partei die Block- und Zellenleiter als »Hoheitsträger« bezeichnet sind?

MEYER-WENDEBORN: Ich habe das gelesen, aber ich habe es niemals befolgen können, weil das Organisationsbuch von Voraussetzungen ausgegangen ist, die nicht gegeben waren.

DR. SERVATIUS: Was verstehen Sie unter einem »Hoheitsträger«?

MEYER-WENDEBORN: Der »Hoheitsträger« ist der erste Repräsentant der Bewegung innerhalb seines Bereiches. Er ist berechtigt, an die ihm nachgeordneten Politischen Leiter und Parteigenossen Befehle zu erteilen. Im übrigen hat er sein dienstliches und auch sein privates Auftreten jederzeit so einzurichten, daß auch Nicht-Parteigenossen ihn als staatliche Dienststelle respektieren und auch anhören, ohne gesetzlich dazu verpflichtet zu sein.

DR. SERVATIUS: Sie sprachen von den Rechten, die die Politischen Leiter haben. Hatten die Block- und Zellenleiter auch diese Rechte?

MEYER-WENDEBORN: Nein, die haben sie nicht gehabt und auch nicht haben wollen.

DR. SERVATIUS: Hatten die Block- und Zellenleiter keine Einsatzbefugnisse, das heißt also, konnten sie SA oder SS, oder Polizei anfordern?

MEYER-WENDEBORN: Nein, das konnten sie nicht.

DR. SERVATIUS: Dann ist es also richtig, daß die Block- und Zellenleiter nur Gehilfen der Ortsgruppenleiter waren und keine selbständige Befugnis hatten?

MEYER-WENDEBORN: Die Block- und Zellenleiter waren das Unteroffizierkorps der Ortsgruppenleiter.

DR. SERVATIUS: Ich habe keine Fragen mehr an diesen Zeugen.

OBERSTLEUTNANT J. M. G. GRIFFITH-JONES, HILFSANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Ich habe ein paar neue Dokumente, zwei oder drei Seiten lang, die sich auf andere Angelegenheiten beziehen. Wenn es der Gerichtshof wünscht, könnte ich diese Dokumente kurz in der gleichen Weise behandeln, wie man Sir David angewiesen hat, oder aber ich könnte sie in einem Kreuzverhör verwenden, ganz wie es der Gerichtshof wünscht.

VORSITZENDER: Oberstleutnant Jones! Wenn es Ihren Fall oder Ihr Kreuzverhör nicht beeinträchtigt, so wäre es vielleicht besser, wenn Sie die Dokumente einfach mit Angabe der Seitenzahl und des Inhalts einreichen würden.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ja, das werde ich tun.

VORSITZENDER: Wenn es bei diesem Zeugen irgend etwas Besonderes gibt...

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Der erste Punkt, mit dem ich mich beschäftigen wollte, sind die Maßnahmen, die vorn Führerkorps im Zusammenhang mit den Wahlen getroffen worden sind. Ich beziehe mich hier auf ein neues Dokument D-43, das GB-540 wird. Soviel ich weiß, hat der Gerichtshof Kopien dieses Dokuments.

Es handelt sich hier um ein Schreiben der NSDAP aus dem Memelgebiet an alle Ortsgruppen- und Stützpunktleiter, es ist aus dem Deutschen übersetzt. Es bezieht sich auf die Reichstagswahlen vom 29. März 1936 und hat zum Inhalt, daß auf Grund einer Anfrage des Reichsinnenministers Pg. Dr. Frick Bericht darüber zu erstatten sei, wo Beamte am 29. März 1936 ihrer Wahlpflicht nicht nachgekommen sind.

»Sofern innerhalb Ihrer Ortsgruppe bzw. Ihres Stützpunktes derartige Fälle bekannt sind, wollen Sie mir diese bitte bis spätestens zum 3. Juni ds. Js. namentlich melden.«

Der Ausdruck »Stützpunkt« bedeutet, daß es sich hier um kleinere Organisationen als eine Ortsgruppe handelt, die wohl später abgeschafft wurden, aber 1936 noch bestanden.

»... wollen Sie mir diese bitte bis spätestens 3. Juni ds. Js. namentlich melden. Die Angaben müssen auf jeden Fall stimmen.«

Dann im letzten Abschnitt, Euer Lordschaft:

»Dieses Rundschreiben ist sofort nach Erledigung zu vernichten.«

Das nächste Dokument, Euer Lordschaft, ist D-897, welches GB-541 wird. Dieses Dokument handelt von der Volksabstimmung von 1938.

Ich möchte hierzu zuerst bemerken, daß die in diesem Schreiben erwähnte Handlungsweise kein Einzelfall war.

Als zweiten Punkt, Euer Lordschaft, zeigt dieses Dokument, wie eng die Zusammenarbeit zwischen der Sicherheitspolizei und den Politischen Leitern war.

Auf der ersten Seite dieses Dokuments steht ein vom 4. April 1938 datierter Sonderbefehl des Sicherheitsdienstes des Reichsführer-SS in Erfurt in Thüringen, dem Gau, in dem Sauckel Gauleiter war. Es ist als »Geheime Kommandosache« »streng vertraulich« bezeichnet und an alle Referenten und Stützpunktleiter gerichtet:

»Die Stützpunktleiter melden bis spätestens Donnerstag, den 7. April 1938, 18 Uhr, sämtliche Personen in ihrem Bezirk, von denen bestimmt anzunehmen ist (mit 100 % Wahrscheinlichkeit), daß sie bei der bevorstehenden Wahl mit ›Nein‹ stimmen werden! (Internationale Bibelforscher nicht vergessen!)

Die Referenten haben in dieser Angelegenheit die Stützpunktleiter örtlich weitestgehend zu unterstützen.

Ebenfalls ist diese Angelegenheit mit den Ortsgruppenleitern der Partei in engster Zusammenarbeit durchzuführen. Die Ortsgruppenleiter sind ab Dienstag, den 5. 4. 1938, ab 18 Uhr vom Außenstellenleiter persönlich unterrichtet«.

Ich glaube, ich kann den nächsten Absatz auslassen und lese dann weiter:

»Es wird nochmals besonders darauf hingewiesen, welche riesige Verantwortung die Stützpunktleiter – im besonderen Hinblick auf diese Meldung – besitzen und müssen sich die Stützpunktleiter über die eventuellen Folgen für die Personen, die in ihrer Meldung enthalten sein werden, im klaren sein. Insbesondere ist strengstens zu erwägen, ob bei Personen, die dem Stützpunktleiter derartige Mitteilungen machen und bei denen die Stützpunktleiter ihre Erkundigungen einziehen, keine persönlichen Gründe in den Vordergrund treten; hiervon sind auch Politische Leiter nicht ausgenommen.

Es wird nochmals auf die Vertraulichkeit dieses Befehls aufmerksam gemacht.

Der Befehl ist sich genau einzuprägen und hiernach sofort zu vernichten. (Für die restlose Vernichtung dieses Befehls ist mir jeder Stützpunktleiter persönlich verantwortlich!)«

Die Gründe für die erforderliche Genauigkeit gehen aus dem folgenden Dokument hervor. Auf Seite 2 werden gewisse Teile der Bevölkerung aufgezählt, über die man Erkundigungen einziehen sollte und die besonders scharf zu überwachen sind. Dies kann man aus dem ersten Absatz ersehen:

»Der Beteiligung und den Ergebnissen der Abstimmung am 10. 4. 1938 ist insbesondere in den kleinen Städten und Dörfern erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen. Vor allem ist zu prüfen, ob gegebenenfalls die Gegner in marxistischen bzw. weltanschaulichen Gegnerkreisen zu suchen sind.«

Und dann lenke ich die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf Nummer 2 unter der Überschrift »Katholizismus«:

»Wurde in Gottesdiensten und ähnlichen Zusammenkünften Stellung genommen?«

VORSITZENDER: Wir vertagen uns jetzt.