[Zum Zeugen gewandt:]
Zuerst, Zeuge, möchte ich Ihnen über das Beweismaterial folgende Frage stellen:
Hinsichtlich der Dokumente, die Sie gesehen haben; Hatten Sie persönlich von diesen sogenannten Gnadentötungen, die verübt wurden, irgendwelche Kenntnis?
MEYER-WENDEBORN: Es wurde mir einmal ein Gerücht zugetragen, daß irgendwo in Süddeutschland Geisteskranke beseitigt wurden. Ich habe daraufhin pflichtgemäß sofort bei meiner Gauleitung Rückfrage gehalten und nach kurzer Zeit Bescheid bekommen, daß dieses nicht an dem wäre und ich in Zukunft derartige Anfragen auch nicht wieder stellen sollte, die ich mir ja eigentlich selbst als unvernünftig vorstellen mußte.
OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Warum sollten Sie derartige Anfragen nicht wieder stellen?
MEYER-WENDEBORN: Weil ich aus Kreisen der Volksgenossen von solchen Gerüchten gehört hatte.
OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Wußten Sie, daß Ihre Kollegen vom Korps der Politischen Leiter bei diesem Mordsystem mitwirkten?
MEYER-WENDEBORN: Nein, das habe ich niemals gewußt und geahnt.
OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Nun möchte ich Sie über etwas anderes befragen: Sie erzählten dem Gerichtshof gestern, daß es kein Korps der Politischen Leiter gab. Stimmt das?
MEYER-WENDEBORN: Jawohl.
OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Das ist doch nicht richtig. Gab es nicht ein offiziell anerkanntes Korps der Politischen Leiter?
MEYER-WENDEBORN: Es ist vom Korps der Politischen Leiter gesprochen worden, und zwar in der Absicht, dem einen oder dem anderen für sein Auftreten in der Öffentlichkeit bessere Manieren beizubringen, und man hat deshalb auch auf Offiziere und Korpsstudenten verwiesen, sie sollten Beispiel sein. Ein offizielles Korps der Politischen Leiter hat es nicht gegeben und konnte es auch nicht geben, weil die Männer immer wieder wechselten und aus den allerverschiedensten Sparten unserer Volksgenossen genommen werden mußten.
OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Es wurde aber Korps der Politischen Leiter genannt, denn wenn man Politischer Leiter wurde, wurde man Mitglied dieses Korps. Verhielt es sich nicht so?
MEYER-WENDEBORN: Da es kein eigentliches Korps der Politischen Leiter gab, konnte man auch bei der Ernennung kein Mitglied werden.
OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Wurden nicht die Politischen Leiter im offiziellen Organisationsbuch der NSDAP Korps der Politischen Leiter genannt?
MEYER-WENDEBORN: Ich bin überzeugt, daß Sie das kennen; Sie haben dieses Buch. Ich möchte Ihnen unter Hinweis auf meinen Eid noch einmal erklären, daß ich bisher nicht Zeit gefunden habe, dieses Buch aufmerksam zu lesen, weil die eigentlichen Aufgaben vordringlicher waren als die Lektüre dieses Wunschtraumes, denn anders kann ich dieses Buch nicht bezeichnen.
OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich habe keine weiteren Fragen.
DR. SERVATIUS: [zum Zeugen gewandt] Ich habe eine Frage zu dem Dokument D-897. Es war das erste, was vorgelegt wurde; ein Schreiben Reichssicherheitsdienst-Außenstelle Erfurt, unterschrieben von einem Außenstellenleiter. Es ist gerichtet an alle Referenten und Stützpunktleiter. Der Herr Anklagevertreter sagte, der Stützpunkt, der hier bezogen ist, ist eine Parteidienststelle. Ist diese Ansicht richtig, wenn Sie lesen, daß das Schreiben gerichtet ist an alle Referenten und Stützpunktleiter und ein Schreiben der SS ist?
MEYER-WENDEBORN: Mir ist das auch sofort aufgefallen, und ich wäre schon selbst darauf zurückgekommen. Es kann sich nur um einen Stützpunktleiter des SD gehandelt haben; denn es gab damals innerhalb der Politischen Leitung keine Stützpunkte mehr, sondern nur Ortsgruppen, und im übrigen ist in diesem Schreiben weiter unten ja auch ausdrücklich an zweiter Stelle der Ortsgruppenleiter erwähnt.
DR. SERVATIUS: Jawohl, es heißt dort:
»Ebenfalls ist diese Angelegenheit mit den Ortsgruppenleitern der Partei in engster Zusammenarbeit durchzuführen.«
Ist dieses Schreiben also gerichtet von einer unteren SS-Stelle an eine untere Parteistelle?
MEYER-WENDEBORN: Ich habe das Schreiben im Moment nicht vorliegen, aber ich erinnere mich, daß es an die untergeordneten Stellen der Außenstelle gerichtet war und daß darin gesagt wurde, man solle sich auch mit den Ortsgruppenleitern in Verbindung setzen. Es fällt mir allerdings auf, daß der Ortsgruppenleiter erst einen Tag vorher in Kenntnis gesetzt werden soll, während der Empfänger des Schreibens schon zwei Tage vorher Kenntnis und Unterlagen für seine Arbeit bekam. Das Vertrauen zur Partei...
DR. SERVATIUS: Bitte langsam, die Dolmetscher kommen nicht mit!
MEYER-WENDEBORN: Das Vertrauen zur Partei muß also nicht ganz groß gewesen sein.
DR. SERVATIUS: Wurde dann der Ortsgruppenleiter hier auf dem gewöhnlichen Befehlsweg der Partei unterrichtet, oder waren damit die höheren Parteistellen übergangen?
MEYER-WENDEBORN: In diesem Fall ist die Benachrichtigung unvorschriftsmäßig; denn sie hätte über die höheren Parteistellen erfolgen müssen.
DR. SERVATIUS: Dann kann ich also den Schluß ziehen, daß es möglich ist, daß die obere Parteistelle von dieser Aktion der unteren SS-Stellen nichts gewußt hat?
MEYER-WENDEBORN: Durchaus.
DR. SERVATIUS: Ich habe keine Fragen mehr an diesen Zeugen.
VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen.