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[Zum Zeugen gewandt:]

Ich möchte Ihnen nun ein neues Dokument vorlegen. Betrachten Sie bitte das Dokument D-894. Es handelt sich um einen Bericht der Kreisleitung aus dem Kaligrubengebiet vom 23. September 1944 mit dem Betreff: »Fremdvölkische«. Es geht daraus hervor, daß im Kaligrubengebiet auf die polnische Jugend, die von jeher das Streben nach besonderem Zusammenhalt gezeigt habe, ganz besonders aufgepaßt wird.

Der Ortsgruppenleiter Wittelsheim berichtet, daß er 13 junge Polen feststellte, die aus Buggingen sich unerlaubt entfernt hatten und Arztatteste bei sich hatten. Elf dieser Polen ließ er festnehmen und der Gestapo Mühlhausen zur Nachuntersuchung vorführen.

Ich möchte dazu eine Frage an Sie richten: War es eine anerkannte Pflicht der Kreisleiter und Ortsgruppenleiter, polnische Arbeiter der Gestapo auszuliefern, wenn sie es für richtig hielten?

WEGSCHEIDER: Mir ist von solchen Fällen im Kreis Kempten-Land und Kreis Kempten-Stadt nicht das geringste bekannt.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: So etwas hat sich in Ihrem Kreis nie zugetragen?

VORSITZENDER: Ist das ein neues Dokument?

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Es ist ein neues Dokument und wird die Nummer GB-545 tragen. Ich habe an diesen Zeugen keine weiteren Fragen zu stellen.

Vielleicht kann ich meine Antwort auf die, ich glaube, vom amerikanischen Richter angeschnittene Frage über das Euthanasie-Programm und inwiefern es ein Kriegsverbrechen wurde, noch ergänzen.

Ich verweise den Gerichtshof auf Seite 31 des Dokumentenbuches. Es handelt sich um ein Protestschreiben des Bischofs Wurm an Frick, das dem Gerichtshof bereits bekannt ist.

Aus dem ersten Absatz dieses Schreibens wird der Gerichtshof ersehen, daß diese Aktion nach Aussage des Bischofs auf Befehl des Reichsverteidigungsrates stattgefunden hat. Wenn Sie nunmehr zu Seite 36 des Dokumentenbuches übergehen, werden Sie ein zweites, ebenfalls bereits als Beweismaterial vorgelegtes Schreiben des Bischofs Wurm an Frick finden. Dieses Schreiben stammt vom September, während das erste vom Juli 1940 datiert ist; der Bischof schreibt also im September abermals. In der Mitte des Absatzes steht, wie Sie sehen, folgende Erklärung:

»Wenn die Staatsführung davon überzeugt ist, daß es sich um eine unumgängliche Kriegsmaßnahme handelt, warum gibt sie dann keine Verordnung mit Gesetzeskraft heraus?«

Ich habe keine weiteren Fragen mehr.

GENERALMAJOR I. T. NIKITCHENKO, MITGLIED DES GERICHTSHOFS FÜR DIE SOWJETUNION: Sagen Sie, Zeuge, ist es richtig, daß Sie seit 1933 Mitglied der Nazi-Partei sind?

WEGSCHEIDER: Einen Moment, ich habe die Frage nicht verstanden.

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Ist es richtig, daß Sie seit 1933 Mitglied der Nazi-Partei sind?

WEGSCHEIDER: Von 1933 an, ja.

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Sie waren also in der Nazi-Partei seit 1933?

WEGSCHEIDER: Ja, erst von 1933 an.

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Sind Sie freiwillig oder gezwungen in die Partei eingetreten?

WEGSCHEIDER: Ich bin freiwillig in die Partei eingetreten.

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Waren Sie mit dem Programm der Partei, ihren Aufgaben und Zielen genügend vertraut?

WEGSCHEIDER: Ja, im Laufe der Jahre habe ich mich eben mit den Programmpunkten vertraut gemacht.

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Waren Sie mit dem Parteiprogramm, den Aufgaben und Zielen der Partei vollkommen einverstanden?

WEGSCHEIDER: Ja, man kann sagen, wohl nicht mit allen so hundertprozentig, aber im großen und ganzen haben wir doch hier gesehen, daß Hitler...

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Nun, zu wieviel Prozent waren Sie mit den Zielen und Aufgaben der Partei einverstanden?

WEGSCHEIDER: Ganz besonders dann in dieser Sache, wie sich die Judenfrage nach dem Programm ausgewirkt hat, hat es dann weiter um sich gegriffen und da, wie ich schon früher erwähnt habe, war die Bevölkerung und auch ich selbst nicht mehr so richtig einverstanden.

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Sie waren also nur mit der Judenverfolgung nicht einverstanden, nicht wahr?

WEGSCHEIDER: Ja.

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Und mit allen anderen Fragen waren Sie vollkommen einverstanden?

WEGSCHEIDER: Ja.

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Haben Sie immer noch dieselbe Überzeugung wie früher bezüglich der Ziele und des Programms der Partei?

WEGSCHEIDER: Ja, wenn natürlich nach dem Programm gehandelt worden wäre, so wäre es auch sicherlich nicht zu einem Krieg gekommen. Den Krieg an und für sich, den wir selbst doch als Weltkriegsteilnehmer mitmachten...

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Ich frage nicht, wozu es nicht gekommen wäre. Verstehen Sie meine Frage? Haben Sie jetzt immer noch diese nazistischen Ansichten?

WEGSCHEIDER: Nein.

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Sie leugnen sie demnach ab?

WEGSCHEIDER: Nein.

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Das ist mir unverständlich; Sie halten weder daran fest, noch lehnen Sie diese Ansichten ab.

WEGSCHEIDER: Wie bitte?

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Ich glaube, daß die Frage ziemlich klar und einfach ist. Sind Sie auch weiterhin mit den nazistischen Ansichten einverstanden?

WEGSCHEIDER: Nein, jetzt kann ich es nicht mehr sein.

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Warum nicht?

WEGSCHEIDER: Weil das Vertrauen der Bevölkerung in vielen Beziehungen mißbraucht wurde.

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Halten Sie nun von Ihrem Standpunkt aus das Programm der Nazi-Partei für richtig oder unrichtig? Haben Sie diese Frage verstanden?

WEGSCHEIDER: Nein, ich habe sie nicht verstanden.

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Ich habe Sie gefragt: Halten Sie heute das Programm und die Ansichten der Nazi-Partei für richtig oder für falsch?

WEGSCHEIDER: Nein, nicht mehr.

VORSITZENDER: Zeuge! Man hat Ihnen ein Dokument aus Karlsruhe gezeigt, das sich mit der Auswirkung verschiedener Verordnungen auf die polnischen Landarbeiter befaßt. Sie haben erklärt, daß diese Verordnung in Ihrem Gau nicht in Kraft getreten sei. Sie sagten aber, daß verschiedene Verordnungen in Kraft gewesen seien. In welchem Umfange wurden den ausländischen Arbeitern in Ihrem Gau Beschränkungen auferlegt?

WEGSCHEIDER: Lediglich, wie ich vorhin erwähnt habe, sie mußten im Sommer um 9.00 Uhr abends zu Hause sein, im Winter um 8.00 Uhr. Eine weitere Einschränkung haben sie nicht erfahren, denn ich habe schon als Bürgermeister vom Landrat die Weisung erhalten, dafür zu sorgen, daß innerhalb der Gemeinde ein Gasthaus bestimmt würde, worin die polnischen und ukrainischen Landarbeiter nachmittags sich aufhalten können.

VORSITZENDER: Durften sie Fahrräder haben?

WEGSCHEIDER: Ja, das ist im Allgäu sogar notwendig. Denn ein großer Teil der Wiesen und Äcker lag immer sehr weit von dem Bauernhof entfernt, und da war es dann nicht gut möglich, daß der Bauer mit seinen Knechten mit den Fahrrädern nach dem Felde fuhr und der polnische Arbeiter mußte vielleicht eine Stunde laufen. Der größte Teil der polnischen Arbeiter hatte sich dann...

VORSITZENDER: Das genügt. Sie sagen also, daß die einzige Beschränkung für sie war, zu einer bestimmten Zeit abends zu Hause zu sein?

WEGSCHEIDER: Ja, weil die anderen Sachen oder anderen Bestimmungen eben nicht durchgeführt wurden, denn die polnischen Arbeiter haben in Kammern geschlafen, wo deutsche Arbeiter schliefen. Sie haben am Familientisch teilgenommen und sehr viele Kleidung von den Bauern selbst bekommen, weil sie ja sehr zerrissen und zerlumpt angekommen sind.

VORSITZENDER: Wer entschied darüber, wo sie beschäftigt werden sollten?

WEGSCHEIDER: Die Entscheidung hatte das Arbeitsamt.

VORSITZENDER: Und mit wem stand das Arbeitsamt in Verbindung?

WEGSCHEIDER: Das Arbeitsamt war mit der Kreisbauernschaft und wiederum mit dem Bauernführer in Verbindung.

VORSITZENDER: Das Arbeitsamt war demnach mit Ihnen und dem Bauernführer in Verbindung?

WEGSCHEIDER: Hauptsächlich in dieser Angelegenheit mit dem Bauernführer.

VORSITZENDER: Dann informierte der Bauernführer das Arbeitsamt, wieviel Leute er brauchte. Wurde es so gemacht?

WEGSCHEIDER: Jawohl, so war es.

VORSITZENDER: Wie wurde die Verteilung vorgenommen?

WEGSCHEIDER: Diese Verteilung hatte wiederum der Bauernführer. Die Bauern in der Gemeinde gaben an, wieviel Arbeitskräfte sie brauchten, und immer nach der jeweiligen Zuweisung wurde dann verfahren und so den Bauern die Arbeiter zugeteilt.

VORSITZENDER: Mußte sich der Bauernführer nach den Anordnungen des Kreisleiters oder Ortsgruppenleiters richten?

WEGSCHEIDER: Der Bauernführer unterstand einzig und allein dem Reichsnährstand, also dem Kreisbauernführer.

VORSITZENDER: Wollen Sie also sagen, daß er nicht dem Ortsgruppenleiter unterstand?

WEGSCHEIDER: Nein.

VORSITZENDER: Aber direkt dem Reichsnährstand, nicht wahr?

WEGSCHEIDER: Ja, er unterstand dem Reichsnährstand.

VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen.