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[Das Gericht vertagt sich bis

3. August 1946, 10.00 Uhr.]

Einhundertvierundneunzigster Tag.

Samstag, 3. August 1946.

Vormittagssitzung.

[Der Zeuge Dr. Schlegelberger im Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Dr. Siemers! Ich glaube, Sie haben einen Antrag zu stellen. Haben Sie Bescheid bekommen?

DR. WALTER SIEMERS, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN RAEDER: Nein.

VORSITZENDER: Sie wollten den Zeugen Vizeadmiral Bürkner beantragen und ein Gesuch stellen, Vizeadmiral Bürkner besuchen zu dürfen.

DR. SIEMERS: Ja.

VORSITZENDER: Und dann drei Dokumente, das »Taschenbuch der Kriegsflotten« für die Jahre 1908 bis 1914 und ein »Jahrbuch für Deutschlands Seeinteressen (Nauticus)« der Jahre 1906, 1912 und 1914, und drittens ein historisches Werk über die deutsche Kriegsmarine?

DR. SIEMERS: Ja, das ist richtig, Herr Präsident. Ich habe diese Anträge beim Herrn Generalsekretär gestellt, und zwar zu Informationszwecken.

VORSITZENDER: Dieser Antrag kommt ziemlich spät, falls nicht besondere Gründe dafür vorliegen. Der Gerichtshof hat schon mitgeteilt, daß er Anträge für Zeugen und Dokumente nur bewilligen wird, falls ganz besondere Gründe dafür bestehen. Deshalb möchten wir wissen, was diese besonderen Gründe sind.

DR. SIEMERS: Herr Präsident! Ich kann noch nicht übersehen, wie weit irgend etwas im Rahmen der Beweisführung des Generalstabs notwendig wird. Es sind ein paar Punkte, die ich gerne überprüfen wollte, und zu diesem Zweck hatte ich diesen Antrag gestellt. Ich vermute und glaube, daß ich anschließend keine Anträge vor Gericht mehr zu stellen brauche, bat aber darum, um mir die Möglichkeit zu geben, mich selbst während dieses Prozesses zu informieren.

VORSITZENDER: Sie wollen eine lange Reise unternehmen, um Vizeadmiral Bürkner zu sprechen, noch bevor die Beweisaufnahme dies notwendig erscheinen läßt?

DR. SIEMERS: Soviel ich weiß, ist Bürkner in Ansbach.

VORSITZENDER: Entspricht es nicht den Tatsachen, daß Vizeadmiral Bürkner hier war, als er als Zeuge für den Angeklagten Jodl vernommen werden sollte und daß er dann nicht aufgerufen wurde und daher nun Nürnberg verlassen hat?

DR. SIEMERS: Herr Präsident! Ich hoffe auch, daß es nicht notwendig wird. Die Beweisführung für den Generalstab hat aber erst jetzt vor den Kommissionen stattgefunden, und dadurch war es gekommen, daß ich noch einige Fragen besprechen wollte, weil das Dinge sind, die in der früheren Beweisführung für die Einzelangeklagten nicht aufgekommen sind.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird über diesen Antrag beraten.

DR. SIEMERS: Ich darf noch etwas hinzufügen, Herr Präsident. Ich hatte vorher gefragt und mir war es gesagt worden beim Generalsekretär, es würden an sich keine Schwierigkeiten entstehen und ich könnte, wenn ich Admiral Bürkner noch einmal sprechen wollte, dies tun. Also ahnte ich damals nicht, daß es auf so große Schwierigkeiten stoßen würde. Ich bitte das Gericht, mir, wenn möglich, diese Möglichkeit zu geben.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird die Sache prüfen.

Will der Verteidiger für das Reichskabinett diesen Zeugen einem Rückverhör unterziehen?

DR. KUBUSCHOK: Es ist Ihnen, Herr Zeuge, gestern ein Brief vorgelegt worden, ein Brief von Ihnen an den Reichsminister Dr. Lammers. Wie ist es zu diesem Brief gekommen?

SCHLEGELBERGER: Aus diesem Brief an Reichsminister Lammers entnehme ich folgendes:

Es hat am 6. März, wohl auf Veranlassung des Rassenamtes der SS, eine Besprechung stattgefunden über die Behandlung der jüdischen Mischlinge. Wo die Beratung stattgefunden hat, weiß ich heute nicht, jedenfalls nicht im Justizministerium. In dieser Beratung sind Vorschläge gemacht worden, die ich für völlig unmöglich gehalten habe. Die jüdischen Mischlinge sollten ohne Unterschied wie die Juden behandelt und in Arbeitslager nach Polen abgeschoben werden. Um Beschlüsse zu verhindern, die ich für völlig untragbar hielt, habe ich mich an Reichsminister Lammers gewandt. Ich darf schon hier betonen, daß das Justizministerium bei dieser Sache sozusagen nur am Rande beteiligt war, das heißt, nur, weil gelegentlich dieser Vorschläge auch eine Zwangsehescheidung vorgeschlagen war, eine Maßnahme, die ganz gewiß sehr wichtig, aber im Verhältnis zum Gesamtproblem nur eine Nebenfrage war.

DR. KUBUSCHOK: Es ist Ihnen dann gestern noch ein Brief von Ihnen vom 5. April 1942 an verschiedene Parteistellen vorgelegt worden. Der Inhalt des Briefes steht offensichtlich im Zusammenhang mit dieser Referentenbesprechung vom 6. März. Können Sie etwas Näheres über die Zusammenhänge sagen?

SCHLEGELBERGER: Wenn ich diese beiden Briefe betrachte, so kann ich nur folgendes feststellen: Offensichtlich hatte ich dabei vom Reichsminister Lammers nicht die notwendige Unterstützung gefunden. Ich wollte aber unter allen Umständen den Vorschlag zu Fall bringen. Ich erkannte, daß mit einer reinen Negation nicht weiterzukommen war, vielmehr mußte ich einen positiven Vorschlag machen, der dahin ging, den Kreis der Betroffenen möglichst einzuschränken. Deshalb schlug ich vor, von den Maßnahmen ganz auszuschließen: Erstens: Die Mischlinge zweiten Grades, das heißt, die Mischlinge, die nur einen nichtarischen Großelternteil hatten; weiter auszuschließen waren zweitens von den Mischlingen ersten Grades diejenigen, die nicht fortpflanzungsfähig waren, und drittens die Mischlinge ersten Grades, die noch lebende Nachkommen hatten, die selbst nicht Halbjuden sind.

Es blieb also nur noch ein beschränkter Kreis der Mischlinge ersten Grades übrig; betreffs diesem schlug ich vor, ihnen die Möglichkeit zu geben, durch eine Unfruchtbarmachung der Abschiebung zu entgehen. Schließlich habe ich einer Zwangsehescheidung widersprochen.

Ich möchte nur heute wiederholen, was ich gestern am Schlusse gesagt habe: Ich bedaure tief, daß nach den damaligen Zuständigkeiten und den damaligen Kräfteverhältnissen ich nicht einen besseren Vorschlag habe machen können.

DR. KUBUSCHOK: Sie sind gestern kreuzverhört und über den Rücktritt des früheren Wirtschaftsministers Dr. Schmidt gefragt worden. Ist es richtig, daß der Rücktritt Schmidts auf Grund einer monatelangen Krankheit erfolgte, daß er einer Arbeitsleistung unfähig geworden war, nachdem er ohnmächtig bei einer Sitzung zusammengebrochen war, und daß sich also sein Rücktritt zwangsläufig aus den rein persönlichen gesundheitlichen Gründen ergab?

SCHLEGELBERGER: So ist es mir erzählt worden.

DR. KUBUSCHOK: Danke, ich habe dann keine weiteren Fragen.

VORSITZENDER: Zeuge! Erinnern Sie sich an Ihre Briefe an Dr. Lammers, die, wie ich sehe, vom 6. März oder 6. April 1942 waren, und über die Sie soeben befragt wurden?

SCHLEGELBERGER: Ich erinnere mich an die Briefe.

VORSITZENDER: Ich glaube, Sie dahingehend verstanden zu haben, daß Ihrer Meinung nach die Bedingungen in den Arbeitslagern in Polen so waren, daß Halbjuden es vorziehen würden, sich unfruchtbar machen zu lassen?

SCHLEGELBERGER: Das ist meine Meinung.

VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen.