[Zum Zeugen gewandt:]
Haben Sie einmal vom Reichsführer-SS in Ihrer Eigenschaft als Höherer SS- und Polizeiführer eine Mitteilung erhalten über die Behandlung von feindlichen Fliegern, wenn sie notlanden mußten?
VON EBERSTEIN: Jawohl.
RA. PELCKMANN: Zu welchem Zweck bekamen Sie diese Mitteilung, wie haben Sie sie verwendet?
VON EBERSTEIN: Diese Mitteilung besagt, daß es nicht Aufgabe der Polizei ist, sich in Streitigkeiten – ich glaube, das ist der Ausdruck – zwischen der eigenen Bevölkerung und abgesprungenen Feindfliegern einzumischen. Von einer Behandlung war in dieser Mitteilung nichts gesagt. Diese Mitteilung war unterzeichnet von Himmler und es war den Höheren SS- und Polizeiführern befohlen von Himmler, die ihnen beigeordneten Befehlshaber der Ordnungspolizei und Inspekteure der Sicherheitspolizei vom Inhalt dieser Mitteilung gründlich zu verständigen.
RA. PELCKMANN: Waren entsprechende Mitteilungen schon vorher oder nachher seitens der Parteikanzlei des Führers, Reichsleiter Bormann, an Parteistellen gegangen?
VON EBERSTEIN: Ja, in großem Maße; es waren Veröffentlichungen im »Völkischen Beobachter«, in der Zeitung »Das Reich«, außerdem wurde von dem Gauleiter meines Gebietes dazu Stellung genommen; außerdem bekamen sowohl der Befehlshaber der Ordnungspolizei und der Inspekteur der Sipo – ich möchte dazu bemerken: im ganzen Reich ist das so gewesen – von ihrem Vorgesetzten diesen Befehl auch. Auch vom Hauptamt Ordnungspolizei war ein derartiger Befehl herausgegeben, die gleiche Mitteilung an die Polizeistellen; ebenso wie vom Reichssicherheitshauptamt.
RA. PELCKMANN: Hat sich nun auf Grund dieser Erlasse die Haltung der Polizei in Ihrem Bezirk bei der Landung von feindlichen Fliegern irgendwie geändert?
VON EBERSTEIN: In keiner Weise. Es war für uns Grundsatz, uns an die Bestimmungen der Genfer Konvention oder der Haager Landkriegsordnung zu halten; ich weiß nicht, welche der beiden Verordnungen da zuständig ist; aber jedenfalls die Gefangenen so zu behandeln, wie sich das gehörte.
RA. PELCKMANN: Ist es trotzdem in dem Bezirk, der Ihnen unterstellt war, zur Lynchung von Fliegern gekommen?
VON EBERSTEIN: Nein, zur Lynchung ist es nicht gekommen, aber bedauerlicherweise zu Erschießungen von Fliegern. Es ist uns passiert, daß die Flieger uns von den Polizeistationen weggeholt und daß sie erschossen worden sind. Es haben ja auch, wie ich aus der Presse jetzt entnommen habe, Prozesse dieserhalb stattgefunden und es sind diese Morde gesühnt worden. Ich bin jetzt fünfviertel Jahre in Haft und kann meine Kenntnisse nur aus den Zeitungen entnehmen. Aus dem Prozeßbericht geht hervor, daß die Polizeibeamten die Flieger in jeder Weise anständig behandelten, sie verbunden haben, wo sie verletzt waren und ihre Ablieferung an die Luftwaffe, wie das vorgeschrieben war, auch durchführten.
RA. PELCKMANN: War es unmöglich oder ein Verstoß gegen die Haager Landkriegsordnung, wenn die gelandeten Flieger von der Polizei und nicht von der Wehrmacht verhaftet wurden?
VON EBERSTEIN: Ich kann kein Urteil abgeben über diese, wie ich schon sagte, internationalen gesetzlichen Bestimmungen.
VORSITZENDER: Er ist nicht ein Zeuge über Gesetze. Das werden wir beurteilen.
RA. PELCKMANN: Bestand, Herr Zeuge, im allgemeinen schon seit Kriegsbeginn die Anweisung, daß notgelandete Flieger von der Polizei in Sicherheit genommen werden mußten?
VON EBERSTEIN: Jawohl; die Bestimmungen lauteten folgendermaßen: Die Flieger, die abgesprungen waren, waren durch die Polizei zu verhaften. Im übrigen war dazu nach deutschem Recht auch jeder andere Staatsbürger in der Lage. Dann waren sie zur Polizei zu bringen; die Polizeistationen hatten den Befehl, die nächstgelegene Dienststelle der Luftwaffe zu verständigen, daß bei ihr, bei der Polizei, abgesprungene feindliche Piloten abzuholen seien. Es bestand die ganz bindende Vorschrift, diese gefangenen Flieger an unsere Luftwaffendienststellen zu übergeben.
RA. PELCKMANN: Was hatten Sie als Höherer SS- und Polizeiführer mit der Gestapo und dem SD zu tun?
VON EBERSTEIN: Nichts. Durch den Inspekteur der Sicherheitspolizei wurde der Höhere SS- und Polizeiführer auf Grund der bestehenden Bestimmungen unterrichtet, was im Gebiet der Geheimen Staatspolizei beziehungsweise des Sicherheitsdienstes vor sich ging. Diese beiden Dienststellen – Geheime Staatspolizei und Sicherheitsdienst – bekamen ihre Weisungen unmittelbar von den betreffenden Ämtern III beziehungsweise IV des Reichssicherheitshauptamtes.
RA. PELCKMANN: Hatten Sie also über diese Inspektionen der Sicherheitspolizei und des SD keine Befehlsbefugnis?
VON EBERSTEIN: Ich glaube, Sie haben sich versprochen – Inspektionen; über Inspektionen kann ich keine Befehlsbefugnis haben.
RA. PELCKMANN: Sie hatten über Sicherheitspolizei und SD keine Befehlsbefugnisse?
VON EBERSTEIN: Nein.
RA. PELCKMANN: Was hatten Sie als Führer des Oberabschnitts der Allgemeinen SS mit der Gestapo oder mit dem SD zu tun?
VON EBERSTEIN: Als Oberabschnittsführer ebenfalls nichts.
RA. PELCKMANN: War es im ganzen Reich so, daß die Führer der Allgemeinen SS keine Befehlsbefugnis gegenüber der Gestapo und dem SD hatten?
VON EBERSTEIN: Jawohl. Die Allgemeine SS hatte keinerlei exekutive Befugnisse, und außerdem durfte sie nachrichtendienstlich, also auf dem Gebiete des Sicherheitsdienstes, auch nicht tätig werden.
RA. PELCKMANN: Hatte Ihr Oberabschnitt, hatten die Abschnitte, die Standarten, die Stürme der Allgemeinen SS, irgendwelche dienstlichen Beziehungen zur Gestapo oder zum SD?
VON EBERSTEIN: Nein.
RA. PELCKMANN: Was hatten Sie bis zum September 1944 als Höherer SS- und Polizeiführer oder als Oberabschnittsführer der Allgemeinen SS mit Konzentrationslagern zu tun?
VON EBERSTEIN: Nichts.
RA. PELCKMANN: Trifft es für das ganze Reichsgebiet zu, daß die Polizeipräsidenten, die Höheren SS- und Polizeiführer und die Führer der Allgemeinen SS nichts mit Konzentrationslagern zu tun hatten?
VON EBERSTEIN: Jawohl.
RA. PELCKMANN: Welche Stellen waren verantwortlich, erstens für Einlieferung in und Entlassung aus den KZs, zweitens für die Verwaltung der KZs selbst?
VON EBERSTEIN: Für die Einweisung und für die Entlassung aus einem Konzentrationslager war zuständig das Amt IV des Reichssicherheitshauptamtes. Für die Verwaltung und die inneren Angelegenheiten der Konzentrationslager war verantwortlich das Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS, und zwar die Amtsgruppe D, Inspektion der Konzentrationslager.
RA. PELCKMANN: Kann man also aus Ihrer Antwort folgern, daß für Tötungen und Grausamkeiten an Häftlingen in KZs weder die Polizeipräsidenten des betreffenden Bezirks, noch der Höhere SS-Führer dieses Bezirks, noch der Führer des Oberabschnitts der Allgemeinen SS verantwortlich waren?
VON EBERSTEIN: Keine der genannten Dienststellen war verantwortlich für derartige Dinge. Das Konzentrationslagerwesen war ein in sich abgeschlossener Apparat mit eigenen Dienstwegen.
RA. PELCKMANN: Kennen Sie das Konzentrationslager Dachau von innen?
VON EBERSTEIN: Jawohl. Ich habe im Laufe der Jahre von 1936 an, als ich nach München versetzt wurde, des öfteren von Himmler Befehl bekommen, hohe in- und ausländische Gäste nach Dachau zu führen, denen dort das Konzentrationslager gezeigt wurde. Unter anderen habe ich noch ganz zuletzt geführt den Königlich Jugoslawischen Innenminister, einmal hohe amerikanische Polizeibeamte, eine ganze Anzahl Kommandanten von Kriegsgefangenenlagern, italienische hohe politische Persönlichkeiten und dergleichen.
RA. PELCKMANN: Sie hatten also, da Sie sagten, Sie hätten mit Konzentrationslagern sonst nichts zu tun gehabt, nur bei diesen Gelegenheiten die Erlaubnis zum Eintritt bekommen? Und zwar bekamen Sie, wenn ich Sie richtig verstanden habe, die Erlaubnis genau so wie die besichtigenden Gäste durch das Reichssicherheitshauptamt?
VON EBERSTEIN: Jawohl. Das heißt, ich bekam meinen Befehl, dorthin zu gehen, und die Gäste die Erlaubnis. Und zwar ging das auf folgendem Wege, daß entweder vom Stab Himmlers oder vom Reichssicherheitshauptamt über die Inspektionen der Konzentrationslager die zuständige Lagerkommandantur verständigt wurde, es kommen jetzt Gäste unter Führung meiner Person.
VORSITZENDER: Wir glauben nicht, daß Sie sich mit den Einzelheiten befassen müssen, wie die Befehle gelaufen sind. Die Einzelheiten brauchen wir nicht zu hören.
RA. PELCKMANN: Hatten Sie, abgesehen von dem Fall Rascher, auf den ich gleich zu sprechen kommen werde, jemals einen dienstlichen Grund, das Lager Dachau zu betreten?
VON EBERSTEIN: Nein.
RA. PELCKMANN: Mußten Sie vielleicht aus anderen Gründen den Wunsch haben, sich Gewißheit über die Zustände im Lager zu verschaffen, etwa weil Sie gehört hatten, daß dort Massentötungen vorgenommen werden und die Leute verhungern?
VON EBERSTEIN: Nein. Was ich gesehen habe bei den Besichtigungen, war in jeder Beziehung in Ordnung. Es wurden die Kücheneinrichtungen gezeigt, die Lazarette, die Zahnstation, der Operationsraum, die Duschräume, Baracken, und dabei bestand hier auch Gelegenheit, zahllose Häftlinge zu sehen, die nach meiner Beurteilung in Friedenszeiten – also vor 1939 – in einem hervorragend guten Gesundheitszustand waren, nach 1939 – also im Kriege – einen normal ernährten Eindruck machten. Es sind ja auch Tausende von Häftlingen, in München beispielsweise, auf öffentlichen Plätzen und Straßen bei der Beseitigung der Bombenschäden tätig gewesen und jedermann hat ja die Häftlinge sehen können. Ich hatte von mir aus auf Grund des Wissens, das ich mir auf Grund der Besuche im Lager angeeignet hatte, keine Veranlassung hineinzugehen und hatte auch kein Recht dazu.
RA. PELCKMANN: Konnten Sie bei diesen Besuchen wegen Ihrer Dienststellung etwa mehr oder weniger sehen als die Gäste, die Sie begleitet haben?
VON EBERSTEIN: Das kann ich nicht beurteilen. Es waren Führungen durch das ganze Lager. Beispielsweise im Herbst 1944 die Führung der Kommandanten der Kriegsgefangenenlager. Das waren ja alles Fachleute, die sich genau in einem Lager auskannten und überall nach eigenem Ermessen herumgingen und sich alles ansehen konnten.
RA. PELCKMANN: Haben Sie einmal etwas von biologischen Versuchen an lebenden Menschen im Konzentrationslager Dachau erfahren und falls ja, wann?
VON EBERSTEIN: Jawohl. Im Frühjahr 1944. Im Zuge kriminalpolizeilicher Ermittlungen, die gegen einen SS-Hauptsturmführer Dr. med. Rascher und seine Ehefrau durchgeführt wurden. Das Ehepaar Rascher war beschuldigt der Kindesunterschiebung. Es ist ein sehr schwer zu übersetzendes Wort. In unserem Recht heißt es so; also die widerrechtliche Aneignung fremder Kinder.
Zweitens sollte der Ehemann Rascher finanzielle Unregelmäßigkeiten begangen haben in Verbindung mit der Forschungsstelle in Dachau, in der diese biologischen Versuche gemacht worden sind. Diese Forschungsstelle unterstand Himmler unmittelbar ohne jede Zwischenstelle.
RA. PELCKMANN: Wußten Sie etwas vorher von diesen Versuchen?
VON EBERSTEIN: Nein. Es war ein Zufall, daß ich darauf gekommen bin.
RA. PELCKMANN: Schildern Sie bitte Ihre Ermittlungen, damit das Gericht sieht, daß Sie die Augen vor solchen Dingen nicht verschlossen haben.
VON EBERSTEIN: Ich habe mir auf Grund der Vorgänge, die bereits bei der Kriminalpolizei in München angefallen waren, den Eintritt in das Lager Dachau erzwungen. Ich mache darauf aufmerksam, es war bereits 1944, und die Nachrichtenverbindungen waren so schlecht, daß ich nicht auf lange Genehmigung mehr warten konnte. Ich habe mit Hilfe eines Fernschreibens an die Inspektion festgestellt, daß ich im Zuge der polizeilichen Ermittlungen, das dortige Einverständnis voraussetzend, mit den Beamten nach Dachau gehen werde. Noch wußte ich von den biologischen Versuchen nichts, sondern nur von den beiden zuerst genannten Delikten. Und als ich in meiner Unterredung mit dem Lagerkommandanten den Namen Rascher nur nannte, so sagte er sowohl als auch der zugezogene Lagerarzt, daß sie Rascher für einen gefährlichen, unglaublichen Menschen hielten, der hier die schlimmsten Versuche an lebenden Menschen mache. Er – Rascher – war mit allen Vollmachten Himmlers ausgestattet, und so war der Kommandant und das Personal derart eingeschüchtert, daß sie sich bis zu dem Zeitpunkt meines Eingreifens nicht getraut haben, irgendwie gegen die Tätigkeit Raschers anzugehen. Sie fühlten in mir den Schutz eines hohen SS-Führers, und so kamen wir auf die Versuche. Ich habe selbstverständlich Rascher, der vorher von der Kriminalpolizei aus Verdunkelungsgründen in Polizeihaft genommen war, nicht wieder freigelassen und sofort an Himmler persönlich Bericht erstattet in seine damalige Feldkommandostelle in Eigen bei Salzburg, und zwar unaufgefordert und aus eigenem Entschluß.
Himmler hatte mir schon vorher fernmündlich die heftigsten Vorwürfe gemacht, wieso ich dazu käme, überhaupt da einzugreifen. Er warf mir vor, ich wolle wohl einen Sensationsprozeß aufziehen. Ich habe Himmler klar ins Bild gesetzt, worauf er sehr zurückhaltend mir gegenüber war und mir sagte, ich verstände von diesen Dingen nichts. Herr Rascher habe sehr große Forschungsverdienste. Er sagte zu, den Fall Rascher unter Einbehaltung der Akten, die ich dabeihatte, dem Obersten SS- und Polizeigericht zur Ahndung zu übergeben.
Das Oberste SS- und Polizeigericht war deswegen zuständig, weil Himmler Raschers Vorgesetzter in seiner Tätigkeit in dieser Forschungsstelle war und Rascher ihm unmittelbar unterstand. Leider unterstand er nicht meiner Gerichtsbarkeit.
RA. PELCKMANN: Ist nun ein Verfahren gegen Rascher durchgeführt worden?
VON EBERSTEIN: Nein.
RA. PELCKMANN: Was ist aus Rascher geworden?
VON EBERSTEIN: Rascher blieb nach wie vor in Haft. Ich habe ununterbrochen durch Wochen und Monate hindurch reklamiert bei der Dienststelle Himmlers und bei dem Obersten SS- und Polizeigericht. Bei der letzteren Dienststelle habe ich festgestellt, daß die Akten von Himmler überhaupt nicht dorthin abgegeben worden sind.
RA. PELCKMANN: Haben Sie später erfahren, daß Rascher im Konzentrationslager war?
VON EBERSTEIN: Jawohl. Rascher war in Haft in der Arrestanstalt in der SS-Kaserne München-Freimann geblieben; allem Anschein nach bis die Kaserne, jedenfalls die Arrestanstalt, infolge Herannahens amerikanischer Truppen geräumt wurde. Er ist dann nach Dachau gekommen, und aus der Presse habe ich entnommen, daß er in den letzten Tagen erschossen worden sein muß. Ich kann dazu keine weiteren Angaben machen, da ich am 20. April 1945 meiner Ämter enthoben wurde.
VORSITZENDER: Bevor wir uns vertagen, können Sie, Dr. Pelckmann, uns vielleicht sagen, wie lange Sie diesen Zeugen noch vernehmen werden.
RA. PELCKMANN: Ich nehme an, 45 Minuten.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt sich.