[Zum Zeugen gewandt:]
Sie sind danach gefragt worden, aus welchem Grunde Sie angenommen haben, daß die Experimente in Dachau nicht fortgesetzt wurden. Sie haben gesagt, weil Herr Rascher verhaftet sei.
VON EBERSTEIN: Ich habe bis zu dieser Stunde, wo ich diese Abschrift hier überreicht bekommen habe, nicht gewußt, daß außer Rascher noch dieser Professor Schilling tätig war. Das habe ich erst während meiner Haft aus dem Prozeß in Dachau entnommen. Mir war zu diesem Zeitpunkt lediglich die Forschungsstelle Rascher bekannt, und da ja ein zweiter Mann nach Rascher da war, den Namen weiß ich nicht... es ist möglich, daß dieser hier genannte Dr. Plötner es ist, das ist sehr wohl möglich – den Namen dieses Mannes weiß ich nicht –, daß der hier ganz entsetzt von der Tätigkeit seines Vorgesetzten Rascher berichtete und wie er sagte...
VORSITZENDER: Das ist eine Zeitverschwendung, eine absolute Zeitverschwendung. Der Zeuge hat zuerst erklärt, daß keine weiteren Experimente gemacht worden seien, und als Sie ihm das Dokument vorlegten, sagte er, er vermute es. Welchen Sinn kann es haben, ihn darüber zu verhören?
RA. PELCKMANN: Herr Zeuge! War ein weiterer Grund für Ihre Annahme, daß die Experimente nicht fortgesetzt wurden, das Ergebnis Ihres ersten Protestes bei Himmler? Erinnern Sie sich bitte daran, wie Himmler auf Ihre Vorhaltungen reagierte, und sagen Sie bitte dem Gericht, ob Sie auf diese Reaktion Himmlers annehmen mußten, daß er nun, da er einmal ertappt war, sich sehr hüten würde, die Experimente fortzusetzen.
VON EBERSTEIN: Himmler war nach meinem Vortrag außerordentlich ungehalten und sagte zu mir: Mich gingen diese Sachen gar nichts an. Im übrigen hat Rascher erhebliche Forschungsverdienste, das verstände ich nicht. Ich habe widersprochen und habe gesagt: Ja, das ist doch unmöglich, und Himmler sagte dann, daß er diesen Fall unter Verwendung der Akten dem Obersten SS- und Polizeigericht übergeben würde. Ich konnte zu diesem Zeitpunkt natürlich nicht annehmen, daß Himmler um diese Sachen im einzelnen wußte.
RA. PELCKMANN: Herr Zeuge! Zur Zusammenfassung Ihrer Aussagen und auch des soeben Gesagten möchte ich Sie abschließend fragen: Sind Sie heute der Überzeugung, daß die Masse der Mitglieder der Allgemeinen SS durch erfolgte Täuschung und unerhörten Mißbrauch des Begriffs der Treue von der Obersten Führung mißbraucht worden ist?
VON EBERSTEIN: Jawohl, nach der Rücksprache mit meinen Kameraden, von denen ich viele in der Haft gesprochen habe, muß ich feststellen, daß die Masse der Männer bitter enttäuscht ist über das, was sie erlebt haben, was sie nun erfahren haben. Sie können es nicht begreifen, wie Himmler uns mit derartig schmutzigen Sachen in Berührung bringen konnte. Die Männer der SS – ich spreche hier nicht für mich, sondern für alle, die darin waren – haben die Treue gehalten bis zur letzten Stunde um des Vaterlandes willen, die Treue, die man uns nicht gehalten hat. Wir sind der Führung gefolgt im guten Glauben und getragen von einem reinen Idealismus.
VORSITZENDER: Zeuge! Was meinen Sie damit, wenn Sie sagen, die Allgemeine SS habe während der letzten Phase des Krieges zu existieren aufgehört?
VON EBERSTEIN: Euer Lordschaft! Ich wollte nur feststellen, daß von der Allgemeinen SS nichts mehr im Lande war, also praktisch war sie aufgelöst. Das Beispiel zeigt: In meinem Gebiet waren es im Frieden 10000 SS-Männer und im Jahre 1944, als der Volkssturm aufgerufen wurde, das war das erstemal, daß wir überprüfen mußten, wie viele Leute noch da waren, da waren noch 1200 Mann da, die aber keinen Dienst mehr machen konnten, weil sie ja in den Kriegswirtschaftsbetrieben eingesetzt waren; bei der Reichsbann, bei der Reichspost, in der Landwirtschaft und so weiter, also praktisch war sie aufgelöst, auch die Befehlsstellen der Sturmbanne, der Standarten, waren ja alle stillgelegt. Ein anderer Beweis, daß nichts mehr da war, war folgender: Wenn zum Beispiel ein Ehrensturm gestellt werden mußte, also eine Abordnung bei einer Totenfeier, konnte nicht einmal mehr ein solcher Sturm gestellt werden, weil ja die Leute unter der Fahne standen. Praktisch war sie aufgelöst. Wir mußten dann für die Fürsorgearbeiten Frauen zu Hilfe nehmen, unsere fördernden Mitglieder, alte Leute, die gar nicht SS-Angehörige waren.
VORSITZENDER: Behaupten Sie, daß in keinem Konzentrationslager in Deutschland SS-Männer beschäftigt gewesen seien?
VON EBERSTEIN: Nein, das behaupte ich nicht. Es waren bei den Kommandostäben SS-Angehörige seit der Aufstellung. Das waren Leute, die aber nicht mehr von den Dienststellen der Allgemeinen SS Befehle erhielten, die aus unseren Listen gestrichen waren, weil sie nicht mehr bei uns geführt wurden und dort innerhalb der Konzentrationslager seit – sagen wir 1934 – ein Eigenleben führten. Es ist ja wohl sicher festzustellen, wie viele Menschen das insgesamt gewesen sind; im Verhältnis zu der Gesamtzahl der SS eine ganz geringe Zahl. Ich habe keine Übersicht, wieviel das waren, aber ich glaube, nicht zu hoch zu greifen, wenn in Dachau vielleicht 50 bis 60 Mann Kommandanturpersonal waren.
VORSITZENDER: Behaupten Sie also, daß diese 50 bis 60 Mann in Dachau nicht mehr SS-Mitglieder waren?
VON EBERSTEIN: Nein, das behaupte ich nicht. Sie trugen noch unsere Uniformen und gehörten zu den Kommandanturen der Konzentrationslager. Aber mit uns hatten sie praktisch keine Gemeinschaft mehr, weil wir ja mit den Leuten kaum mehr zusammenkamen. Wir trafen sie höchstens einmal.
VORSITZENDER: Waren Sie nicht mehr verantwortlich für diese Leute?
VON EBERSTEIN: Nein, eine Verantwortlichkeit hatte ich nicht.
VORSITZENDER: Nun eine andere Frage: Hatte die Waffen-SS außer durch den Reichsführer-SS Himmler irgendwelche Berührung oder Verbindung mit der Allgemeinen SS?
VON EBERSTEIN: Nur ganz in der ersten Zeit der Entstehung der Verfügungstruppe; das war ja die Organisation, aus der die Waffen-SS hervorging. Leute meldeten sich zur Allgemeinen SS, die dort Soldat sein wollten. Es wird über dieses Thema hier noch ein General der Waffen-SS der Truppe aussagen, der da noch besser unterrichtet ist als ich. Eine Verbindung bestand nur kameradschaftlich; wir haben uns besucht gegenseitig. Eine Befehlsgewalt...
VORSITZENDER: Nach diesem ersten Stadium, sagen Sie, hätte die Waffen-SS keine Verbindung mit der Allgemeinen SS außer durch Himmler gehabt?
VON EBERSTEIN: Nein, Euer Lordschaft, die hatten sie nicht; sie trugen die gleiche Uniform und hatten also auch anschauungsmäßig die politischen Grundsätze. Aber, wie gesagt, ich kann darüber weniger Auskunft geben, da ich nie in der Waffen-SS gedient habe, sondern nur den Charakter eines Generals der Waffen-SS bekam, von dem Zeitpunkt, als das Kriegsgefangenenwesen uns übergeben wurde.
VORSITZENDER: Wissen Sie, ob Männer der Waffen-SS in Konzentrationslagern verwendet wurden?
VON EBERSTEIN: Das war eine gesonderte Wachtruppe. Im Frieden waren es die Totenkopfverbände. Diese Totenkopfverbände waren auch äußerlich gekennzeichnet; sie trugen auf dem Kragenspiegel an Stelle der Sigrunen, der zwei Blitze, die die Waffen- SS trug, den Totenkopf. Es war ein anderer Truppenteil, wenn ich so sagen darf. Und im Kriege wurden diese wieder abgelöst, weil es ja junge Leute waren, durch Männer...
VORSITZENDER: Beantworten Sie meine Frage, die lautete, ob Mitglieder der Waffen-SS in Konzentrationslagern verwendet wurden?
Sie sprechen vom Totenkopf.
VON EBERSTEIN: Es sind in Kriegszeiten vielleicht verwundete, nicht mehr frontdiensttaugliche Angehörige der Waffen-SS auch in diese Wachverbände mit versetzt worden. Das nehme ich an – die aus dem Lazarett kamen. Wenn man darin eine Verbindung erblicken will, so kann man das wohl sagen.
VORSITZENDER: Gehen wir zu einer anderen Sache über. Wie lange war dieser Gauleiter und Reichskommissar für das Münchener und südbayerische Gebiet im Amt?
VON EBERSTEIN: Der Reichsverteidigungskommissar Giesler- ich nehme an, daß der gemeint ist – war im Amt vom Sommer 1942 bis zum Schluß.
VORSITZENDER: Ich nehme an, daß Sie in engem Kontakt mit ihm standen?
VON EBERSTEIN: Ja, ich mußte ja Befehle, die also den Sektor der Landesverteidigung betrafen, mußte ich von ihm entgegennehmen. Ich war ja in meinem Berufsverhältnis, wenn ich so sagen darf und wie hier schon ausgesagt wurde, Polizeipräsident und ein bayerischer Verwaltungsbeamter, und auch Giesler, der Reichsverteidigungskommissar, war bayerischer Innenminister, und als solcher war er auch mein Vorgesetzter.
VORSITZENDER: Waren Sie irgendeinem höheren Polizeioffizier unterstellt?
VON EBERSTEIN: Ich bitte um Entschuldigung, ich habe den letzten Teil der Frage nicht verstanden durch eine Störung.
VORSITZENDER: Gab es einen Polizeioffizier in München, der über Ihnen stand?
VON EBERSTEIN: Nein.
VORSITZENDER: Welcher Teil der Polizei war Ihnen unterstellt?
VON EBERSTEIN: Als Polizeipräsident bis 1942 – von 1942 an war ich nicht mehr Polizeipräsident, da wurde ich abgelöst durch einen anderen Herrn – hatte ich unter mir das Kommando der Schutzpolizei; das heißt, es war in jeder Großstadt Deutschlands ein Kommandeur der Schutzpolizei, der dem Polizeipräsidenten beigegeben war für die Regelung von verkehrspolizeilichen und anderen Aufgaben auf der Straße. Außerdem war innerhalb des Polizeipräsidiums eine Kriminalpolizeistelle. Mit der politischen Polizei, also mit der Geheimen Staatspolizei oder dem Sicherheitsdienst, hatten die Polizeipräsidenten nichts zu tun. Das waren Dienststellen, die für sich arbeiteten.
VORSITZENDER: Unterstand Ihnen die Gestapo?
VON EBERSTEIN: Nein.
VORSITZENDER: Der SD?
VON EBERSTEIN: Nein.
VORSITZENDER: Nun, welcher Teil der Polizei unterstand Ihnen?
VON EBERSTEIN: Als Polizeipräsident trug man die Verantwortung innerhalb der Stadt München und über alle anderen Polizeisparten.
VORSITZENDER: Die Antwort kommt nicht durch. Bitte sagen Sie nochmals, welche Polizeistellen Ihnen unterstanden.
VON EBERSTEIN: Welche Polizei mir unterstand? Ich sagte schon, nur als Polizeipräsident hatte ich über die Ordnungspolizei und das Kommando der Schutzpolizei – das waren ungefähr 1700 Beamte, die konnte ich einsetzen je nach Bedarf in der Stadt – und ebenfalls hatte ich eine Dienstaufsicht über die Kriminalpolizei. Ich konnte denen Weisungen erteilen als Polizeipräsident; als Höherer SS- und Polizeiführer jedoch nicht. Also, die anderen Kameraden, die nicht Polizeipräsidenten waren, die also nicht höhere Beamte waren, die hatten nur das Recht, Inspektionen vorzunehmen und Anregungen zu geben. Es ist sehr schwer, das zu erklären, aber es ist tatsächlich so.
VORSITZENDER: Das ist alles. Der Zeuge kann sich zurückziehen.