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[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

[Der Zeuge Brill im Zeugenstand.]

RA. PELCKMANN: Herr Zeuge! Sie hatten gerade zuletzt gesagt, daß Anfang 1940 die Waffen-SS aus 100000 Mann bestand, und zwar 64000 Freiwillige und 36000 Mann Eingezogene. Wollen Sie bitte fortfahren in der Entwicklung!

BRILL: Wir haben im Jahre 1940 noch 50000 Mann zur Waffen-SS an Zugängen gehabt, und zwar zirka 2000 bis 3000 Mann Eingezogene, der Rest Freiwillige. Im Jahre 1941 haben wir 70000 Mann Zugänge gehabt, und zwar 3000 Eingezogene, der Rest Freiwillige. Im Jahre 1942 sind 30000 Mann eingezogen worden.

VORSITZENDER: Dr. Pelckmann! Würde es nicht schneller gehen und ebenso genau sein, alle diese Zahlen so anzuführen, wie sie vor der Kommission genannt worden sind? Wahrscheinlich sind sie alle schriftlich im Beweismaterial niedergelegt, das der Kommission vorgelegt wurde. Es ist nicht nötig, eine Reihe derartiger Zahlen vor uns zu wiederholen. Sie können zu etwas übergehen, was sich weniger auf Statistik bezieht.

RA. PELCKMANN: Ja, gut.

[Zum Zeugen gewandt:]

Aus den Verhältniszahlen von Freiwilligen zur eingezogenen SS könnte man auf Grund Ihrer Aussagen sagen, daß zirka 40 bis 50 Prozent der zur Waffen-SS Einberufenen zwangsweise einberufen worden sind? Trifft dieses Verhältnis Ihrer Meinung nach zu bis zum Kriegsende?

BRILL: Nein, keinesfalls.

Wir haben bei Kriegsende noch zirka 550000 Mann Waffen-SS gehabt. An Verlusten sind mir bis Oktober 1944 320000 Mann einschließlich Toten, Vermißten und Schwerstversehrten bekannt. Wenn ich in Betracht ziehe, daß unter diesen Toten hauptsächlich unsere Freiwilligen waren, und ich weiß dies aus den bearbeiteten Verlustmeldungen, so ergibt sich die Tatsache, daß bis Kriegsende mehr Eingezogene in der Waffen-SS waren als Freiwillige.

RA. PELCKMANN: Das Gericht wird es auch interessieren, Herr Zeuge, woher Sie so genaue Kenntnis haben.

BRILL: Ich habe vier Jahre lang in dieser Materie gearbeitet. Ich habe Statistiken angefertigt und Vorträge gehalten, so daß ich sehr genaue Erinnerungen von diesen Zahlen behalten habe. In meiner Dienststelle in Berlin sind auch noch die Mannschaftskarteien und so weiter gewesen, als ich im Januar 1945 wegging.

RA. PELCKMANN: Sie haben vor alten Dingen für die Jahre 1943 und 1944 klargestellt, wieviel Männer zur Waffen-SS eingezogen worden sind. Vielleicht bringen Sie aber für die schon früheren Jahre, nämlich 1940 bis 1942 – das ist bisher noch nicht vor den Kommissionen ausgearbeitet worden –, Beispiele, wie bereits in einem so frühen Stadium Einberufungen von Nichtfreiwilligen stattgefunden haben.

BRILL: Jawohl, ich habe die 36000 durch Notdienstverordnung Eingezogenen bereits erwähnt. Außerdem haben wir im Jahre 1940 Männer aus der Polizei gezogen zur Aufstellung unserer Feldgendarmerie. Wir haben Männer aus der Reichspost gezogen zur Sicherung unserer Feldpost. Wir haben die Zivilangestellten der SS-Verfügungstruppe eingezogen. Wir haben 1941 besonders vielfach Personal für unsere Kavallerieeinheiten aus dem Heer bekommen. Ich erinnere mich ferner, daß zirka 800 Heeresangehörige im Sommer 1941 zur Waffen-SS eingezogen worden sind. Auch Ärzte und Techniker sind in den Jahren 1940 und 1941 eingezogen worden. Darüber hinaus auch Umsiedler, die wehrpflichtig geworden sind. Ja, selbst für die Umsiedlungskommandos haben wir Männer, die sich nicht freiwillig zu uns gemeldet haben, eingezogen.

Im Jahre 1942 sind wir sehr erheblich vom Freiwilligenprinzip abgegangen. Wir haben zirka 15000 Volksdeutsche zu unserer Division »Prinz Eugen« eingezogen, etwa 10000 Mann sind zur Polizeidivision aus der Polizei und aus dem Heer gezogen worden, und 2000 Mann der Reichspost, die als sogenannte Fronthilfe beim Heer waren, sind zur Waffen-SS eingezogen worden. Die Männer waren beim Heer als Postangestellte in Zivil.

RA. PELCKMANN: Können Sie sich erinnern an die Überführung auf Befehl Hitlers von ganzen Formationen der Luftwaffe?

BRILL: Jawohl, das war besonders 1944; auch 1943 sind schon Einheiten der Luftwaffe übernommen worden. Ich erinnere mich zum Beispiel an eine Vereinbarung des Reichsmarschalls Göring mit unserem Kommandeur Sepp Dietrich, daß im März 1943 3000 Mann von der Luftwaffe überstellt worden sind. 1944 sind besonders viele Leute auch vom Heer überstellt worden.

RA. PELCKMANN: Nun, noch einmal zurück zu den Freiwilligen. Können Sie uns etwas über die Freiwilligenmotive erzählen?

BRILL: Jawohl. Ich habe in meiner Dienststelle Tausende und wieder Tausende von Einstellungsgesuchen gelesen. Ich kann sagen, daß bis 1939 hauptsächlich die Begeisterung für die SS, für ihr anständiges und sauberes Verhalten, der Hauptgrund für die Freiwilligenmeldungen war. Daneben aber kamen auch viele Freiwillige aus beruflichen Gründen.

RA. PELCKMANN: Nach Kriegsbeginn war es anders?

BRILL: Nach Kriegsbeginn war der Hauptgrund der Meldung der, daß die Männer ihren Wehrdienst in einer sauberen, modernen Eliteformation ableisten wollten, aber auch berufliche Gründe haben damals eine Rolle bei der Freiwilligenmeldung gespielt. Aus politischen Gründen sind nach Kriegsbeginn die wenigsten zur Waffen-SS gekommen. Ich weiß auch, daß ein Teil der Freiwilligen durch übereifrige Werber in der Hitler-Jugend oder im Reichsarbeitsdienst zu uns wohl formal freiwillig gekommen sind, aber ihre Meldungen unter einem gewissen moralischen Druck abgegeben haben. Ich weiß das aus den Beschwerdebriefen, die beim Ergänzungsamt eingegangen sind.

RA. PELCKMANN: Beschwerdebriefe von wem?

BRILL: Beschwerdebriefe von den Eltern dieser Leute.

RA. PELCKMANN: Wie alt waren denn diese Jungens?

BRILL: Diese Jungens waren meistens 17 Jahre. Sie haben sich selbst gemeldet, und die Eltern wollten es nicht, oder sie hatten sich auf Grund der Werberede des Redners der HJ gemeldet, und die Eltern waren nun nicht damit einverstanden.

RA. PELCKMANN: Hätte nun ein Freiwilliger seine Einberufung rückgängig machen können? Hätte er aus der Waffen-SS wieder austreten können, zum Beispiel will ich nur einmal annehmen, weil ihm irgendwelche Verbrechen, wie die Anklage behauptet, bekanntgeworden wären?

BRILL: Nein, das wäre nicht möglich gewesen. Wenn die Freiwilligenmeldung einmal abgegeben war, so gab es kein Zurück mehr, da der Mann ja mit einem Wehrmachtseinberufungsbefehl einberufen worden ist, und auf diesem stand, daß er bei Vermeidung von Strafe der Einberufung Folge zu leisten habe. War er einmal bei der Truppe eingerückt, so unterstand er ja den Militärgesetzen und konnte ohnehin nicht mehr aus der Waffen-SS austreten.

RA. PELCKMANN: Kamen in dieser Beziehung Beschwerden an Sie und, um es klarzustellen, waren das etwa Beschwerden darüber, daß die betreffenden Freiwilligen zu irgendwelchen Verbrechen mißbraucht wurden?

BRILL: Es kamen zu uns Beschwerden, jawohl, aber es waren hauptsächlich Beschwerden von Eingezogenen, die glaubten, daß die Waffen-SS besonders hart eingesetzt würde und daß bei uns sehr viel Verluste eintreten würden. Und aus diesem Grunde wollten die Eingezogenen wieder zurück.

Es war auch so, daß die Eltern für ihre Jungens Angst hatten und ebenfalls Briefe an uns richteten, daß die Jungens, die ja auf Grund eines Führerbefehls mit 17 Jahren ohne Genehmigung der Eltern einberufen werden konnten, wieder zurück sollten. Wir haben aber diese Beschwerden nicht beachtet.

RA. PELCKMANN: Als Angehöriger des Ergänzungsamtes könnten Sie sicher auch einiges Wesentliche aus der Praxis der sogenannten Auslese bei der Waffen-SS sagen, zum Beispiel ob rein politische Gründe für die Annahme eines Freiwilligen oder eines Eingezogenen ausschlaggebend waren.

BRILL: Ich habe bereits bei der Leibstandarte an Musterungskommissionen teilgenommen und später selbst Musterungskommissionen geführt. Ich kann hier offen sagen, daß uns nur der gesunde junge Mann interessiert hat. Ob sein Vater kommunistisch eingestellt war oder er und seine Eltern tief religiös waren, danach haben wir bei den Musterungskommissionen nicht gefragt. Uns interessierte nur der junge, charakterfeste, frische Mann. Wir haben einen jungen Mann, der weder in der SA noch in der Allgemeinen SS war, viel lieber zur Waffen-SS genommen als einen älteren Parteigenossen, der ein körperliches Leiden hatte. Wir wollten eben junge, gerade, saubere Soldaten. Natürlich ist später bei den Eingezogenen und bei den Versetzten die Auslese nicht mehr so straff gehandhabt worden.

RA. PELCKMANN: Hatten Sie bei diesen Musterungen irgendwelche geheime Anweisungen für die Auswahl?

BRILL: Nein, unsere Musterungen waren stets in öffentlichen Lokalen und in aller Öffentlichkeit. Ich erinnere mich daran, daß wir sogar vor dem Krieg in Danzig, das doch damals unter polnischer Oberhoheit war, öffentliche Musterungen für die Waffen-SS abgehalten haben. Auch die Art unserer Auslese war nicht geheim. Es konnte diese jeder in den Werbeschriften, die ja Millionenauflagen gehabt haben, einsehen.

RA. PELCKMANN: Dienten außer den reichsdeutschen Soldaten in der Waffen-SS auch Angehörige fremder Länder?

BRILL: Jawohl. Hier sind besonders zu erwähnen unsere braven Volksdeutschen, die die Hauptmasse der ausländischen Soldaten stellten. Das Reich hatte mit den Ländern Vereinbarungen und Staatsverträge getroffen, daß diese Menschen ihren Wehrdienst in der Waffen-SS ableisten sollten. Aus den germanischen Ländern haben wir fast nur Freiwillige genommen für unsere Division Wiking und die anderen germanischen Einheiten.

1943 und noch mehr 1944 haben wir auch fremdvölkische Einheiten aufgestellt. Wenn diese Leute auch meist freiwillig kamen, so sind doch auch eine Masse auf Grund landeseigener Gesetze eingezogen worden. Mit diesen Menschen kamen den Reichsdeutschen völlig verschiedene, rassisch, religiös und psychisch verschiedene Elemente in die Reihen der Waffen-SS, zumal diesen fremdvölkischen Einheiten ihre Eigenart belassen worden ist.

RA. PELCKMANN: Geben Sie bitte kurz eine zahlenmäßige Übersicht, wie groß der Einschlag von solchen Fremdvölkischen war, weil es ja für die Anklage erheblich ist, daß hier eine ideologisch geschlossene Einheit angeblich gebildet worden ist.

BRILL: Ich kann diese Zusammensetzung von 1933 bis Ende 1934 geben.

RA. PELCKMANN: Sie meinen wohl 1944?

BRILL: Selbstverständlich 1944. Ich bitte um Entschuldigung. Bis Ende 1944 haben wir 410000 Reichsdeutsche, 300000 Volksdeutsche, 150000 Fremdvölkische und zirka 50000 germanische Soldaten in die Waffen-SS einberufen.

RA. PELCKMANN: Ich knüpfe an an eine Frage des Herrn Präsidenten an den vorhin gehörten Zeugen von Eberstein. Sie wissen doch bestimmt genau, in welchem Verhältnis die Allgemeine SS bei der Einberufung zur Waffen-SS stand. Wurde zum Beispiel ein Führer der Allgemeinen SS mit seinem Dienstgrad in die Waffen-SS versetzt?

BRILL: Von einer Versetzung im militärischen Sinne kann man hier überhaupt nicht sprechen. Die Allgemeine SS war ein freiwilliger Verein, die Waffen-SS war Truppe. Es ist doch so, daß ein Angehöriger der Allgemeinen SS, wenn er sich bis 1942 zur Waffen- SS hingezogen fühlte, sich erst einmal freiwillig melden mußte. Erst nach 1942 konnten wir den Mann auch ohne Freiwilligenmeldung nehmen, und zwar hat dazu die Schwierigkeit der Ersatzlage geführt. Ich möchte betonen, daß es durchaus möglich war, daß ein Mann der Allgemeinen SS, wenn er sich bis 1942 bei uns gemeldet hat, wegen körperlicher Mängel abgelehnt werden konnte. Nach 1942 haben wir natürlich keinen Angehörigen der Allgemeinen SS mehr abgelehnt. Es war aber auch durchaus möglich, daß der Angehörige der Allgemeinen SS seinen Wehrdienst in den anderen Wehrmachtsteilen ableisten konnte, und ich schätze, die Masse der Allgemeinen SS ist bei Kriegsbeginn in die Wehrmacht einberufen worden. Ein Führer der Allgemeinen SS wurde, wenn er nicht schon einen militärischen Dienstgrad bei einem anderen Wehrmachtsteil erhalten hatte, als gewöhnlicher Mann in die Waffen-SS einberufen. Dagegen wurden Offiziere der Wehrmacht mit ihrem Dienstgrad in die Waffen-SS übernommen.

RA. PELCKMANN: Würden Sie, Herr Zeuge, also daraus schließen, daß die Tätigkeit in der Allgemeinen SS in keiner Weise als vormilitärische Ausbildung gewertet wurde, weil ja der Angehörige der Allgemeinen SS genauso wie ein Nichtmitglied der Allgemeinen SS von Anfang an nochmals Militärdienst in der Waffen-SS oder in der Wehrmacht leisten mußte?

BRILL: Jawohl, das ist selbstverständlich. Es war ja auch so.

RA. PELCKMANN: Man sah in Deutschland die Waffen-SS als vierten Wehrmachtsteil an und nicht, wie die Anklage behauptete, als Nazi-Kerntruppe. Ist das so?

BRILL: Ich glaube, das kann man zumindest von meinem Arbeitssektor aus unbedingt unterstreichen. Es war ja doch so, daß nur die Untersuchung, die Auslese, nach Richtlinien der SS erfolgte, während bereits die Annahme für die Waffen-SS abhängig war von der Freigabe des Wehrbezirkskommandos. Die Einberufung zur Waffen-SS erfolgte mit dem Einberufungsbefehl der Wehrmacht. Die Freiwilligenkontingente der Waffen-SS wurden uns vom Oberkommando der Wehrmacht vorgeschrieben, und die Zwangseinberufungen erfolgten durchweg auf Grund von Verfügungen des OKW. Man kann ja auch sagen, daß wir keine Verbindung mit der Partei hatten, denn die Partei gab uns keine Befehle. Die wenigen Parteigenossen, die in der Waffen-SS waren, haben aber für die Zeit ihres Dienstes keinen Parteibeitrag gezahlt; Dienstauszeichnungen der Partei haben die Parteigenossen nicht bekommen. Die ganze Ergänzung und Wehrüberwachung der Waffen-SS war nach den Vorschriften des Oberkommandos der Wehrmacht verankert in der Heeresdienstvorschrift 8115. Da der Dienst in der Waffen-SS und im Heer ja vollkommen gleich war, haben wir auch im Herbst 1944 die schon seit langem angestrebte Verschmelzung der Heeresannahmestellen mit den SS-Ergänzungsstellen durchgeführt.

RA. PELCKMANN: Anknüpfend an eine Frage des Herrn Vorsitzenden an den Zeugen von Eberstein möchte ich etwas fragen über die Zusammensetzung der Wachmannschaften der KZs.

Ich frage Sie zunächst, ist es richtig, daß, wie die Anklage behauptet, die Allgemeine SS im Kriege die Bewachung der KZs übernahm?

BRILL: Das kann man keinesfalls sagen. Es war so, daß die 8000 Mann Totenkopf verbände, von denen ich vorhin schon sprach, bei Kriegsbeginn nur teilweise Angehörige der Allgemeinen SS hatten. Und diese sind im Oktober 1939 bereits bei Aufstellung der SS-Totenkopfdivision zu dieser Division, einer Fronteinheit, versetzt worden. Ersetzt wurden diese Männer durch Notdienstverpflichtete. Unter diesen waren allerdings einige – ich möchte vielleicht sagen 3000 Mann – Angehörige der Allgemeinen SS. Diese Männer sind aber durch die Notdienstverordnung aus der Allgemeinen SS gezogen worden. Die Notdienstverordnung hätte genau SO Anwendung finden können zur Einziehung anderer Männer, wie es zum Teil auch geschehen ist, zum Beispiel Männer des Reichskriegerbundes, des Kyffhäuserbundes. Während des ganzen Krieges hat die Allgemeine SS die Bewachungsmannschaften der Konzentrationslager nicht ergänzt, es sei denn, daß der eine oder andere notdienstuntaugliche SS-Mann dorthin versetzt worden ist.

RA. PELCKMANN: Sagen Sie bitte ganz kurz, was der Sinn der sogenannten Notdienstverordnung war und auf wen sie angewendet werden konnte.

BRILL: Die Notdienstverordnung war meines Erachtens, soweit ich davon unterrichtet bin, eine Verfügung des Reiches, wonach in besonderen Notzeiten jeder Angehörige des Deutschen Reiches zu einer besonderen Dienstleistung für das Reich herangezogen werden konnte. Und ich erwähnte bereits heute vormittag, daß 36000 Mann aus der Allgemeinen SS mittels dieser Notdienstverordnung vom Reichsministerium des Innern eingezogen wurden. Das Reichsministerium des Innern hat ja sein Kontingent, soweit ich im Bilde bin, auf eine Million Menschen zur Polizeiverstärkung und Polizeireserve erhöht. Darunter waren auch diese 36000 Mann.

RA. PELCKMANN: Die Notdienstverordnung und ihre Auswirkung wird völlig klar durch das Dokument SS-26.

Können Sie uns dann sagen, wer während des Krieges die Bewachung der Konzentrationslager in der Hauptsache übernahm?

BRILL: In der Masse haben während des Krieges Volksdeutsche und Angehörige der Deutschen Wehrmacht die Bewachung der Konzentrationslager durchgeführt. Ich darf das vielleicht kurz erläutern:

1940 und 1941 haben die Bewachungsmannschaften der Konzentrationslager nur eine sehr geringe Ergänzung erfahren. In der Masse kamen damals Angehörige des Kyffhäuserbundes, des Reichskriegerbundes, die teils durch Notdienstverpflichtung, teils auf Grund des Einberufungsbefehls einberufen worden waren. 1942 haben dann in der Masse Volksdeutsche und Freiwillige aus dem Reich, die sich aber nicht freiwillig zur Konzentrationslagerbewachung, sondern zur Waffen-SS gemeldet hatten, aber wegen Untauglichkeit, wegen Frontuntauglichkeit, nicht zur Waffen-SS kommen konnten, die Bewachung durchgeführt. 1943 war die Ergänzung ähnlich. Auch in diesem Jahre ist wieder ein Kontingent Veteranen gekommen, 1944 sollten die letzten jungen Menschen aus den Konzentrationslager-Wachmannschaften zur Front; und in diesem Jahr hat in der weitaus großen Masse die Wehrmacht die Bewachung der Konzentrationslager übernommen. Ich weiß, daß das OKH eine Vereinbarung mit der Inspektion der Konzentrationslager getroffen hat, daß die Bewachung vom Heer übernommen wird. Ich habe selbst diese Verfügung gesehen. Es war von 10000 Mann darin die Rede.

RA. PELCKMANN: Können Sie nun Zahlen angeben für die Wachmannschaften der Konzentrationslager?

BRILL: Jawohl, da beim SS-Hauptamt auch die Wehrüberwachung der Wachmannschaften der Konzentrationslager geführt wurde.

RA. PELCKMANN: Was heißt »Wehrüberwachung«?

BRILL: Wehrüberwachung heißt: Es wurde jeder Mann durch eine Karteikarte erfaßt, damit bei seiner eventuellen Uk-Stellung die betreffende Dienststelle genau im Bilde war, wo sich der Mann befindet und wann er wieder zur Einberufung heransteht.

Also ich sagte, daß diese Leute beim SS-Hauptamt in Wehrüberwachung geführt worden sind. Daher weiß ich auch, daß es zirka 7000 Mann Volksdeutsche waren, daß zirka 7000 Mann aus dem Heer und einige auch aus der Luftwaffe kamen und daß es 10000 Mann waren, die sich freiwillig zur Waffen-SS gemeldet hatten, aber infolge Frontdienstuntauglichkeit einfach zu den Bewachungsmannschaften der KZs abgestellt wurden. Es waren darunter die von mir bereits erwähnten Kyffhäuserangehörigen, auch SA- Angehörige, Parteilose und so weiter. Zirka 6000 Mann dürften am Ende des Jahres 1944 noch aus den von mir bereits erwähnten Notdienstverordneten, den alten Frontkämpferverbänden und einigen Versehrten Angehörigen der Waffen-SS bestehen.

RA. PELCKMANN: Was heißt »versehrten«?

BRILL: Das sind Leute, die im Frontdienst eine Verwundung erhalten haben und auf Grund dieser Verwundung nicht mehr in der Lage sind, militärischen Frontdienst zu tun. Aber für den Bewachungsdienst waren sie noch geeignet.

RA. PELCKMANN: Können Sie nun zusammenfassend sagen, ob die Masse dieser Konzentrationslager- Wachmannschaften, gleichgültig woher sie kamen, dort freiwillig waren oder dorthin eingezogen waren?

BRILL: Also für die Konzentrationslager-Wachmannschaften haben sich überhaupt keine Leute freiwillig gemeldet. Sowohl die Volksdeutschen als auch die Reichsdeutschen, die dort in der Bewachung Verwendung gefunden haben, wurden dorthin abgestellt. Auch die Angehörigen der Wehrmacht haben sich, soviel ich weiß, nicht freiwillig dazu gemeldet, sondern wurden auf Grund einer Verfügung dorthin abgestellt.

RA. PELCKMANN: Herr Zeuge! Was wissen Sie über die Verwaltung der Konzentrationslager?

BRILL: Die oberste Verwaltungsbehörde der Konzentrationslager war die Inspektion KL. Diese Inspektion KL war vor – nein, es war vor 1939 oder Anfang 1940 – verankert beim Generalinspekteur für die Totenkopfverbände. 1942 ist die Inspektion KL als Amtsgruppe D in das Wirtschafts-Verwaltungshauptamt übernommen worden.

Einen Einblick, das heißt einen Einblick in das Innere dieser Amtsgruppe, habe ich, wie ich das auf Grund meiner Dienststellung bei vielen anderen Dienststellen gehabt habe, nicht erhalten können.

Erstens war diese Amtsgruppe D, das heißt die Inspektion KL, räumlich schon von unserer Berliner Dienststelle getrennt, und außerdem hatten wir auch mit Ausnahme einiger Zuweisungen von Männern, die ja meist telephonisch erfolgte, keinerlei persönliche Verbindung dorthin.

RA. PELCKMANN: Können Sie auf Grund Ihrer langen Dienstzeit in der Waffen-SS und Ihrer Dienststellung Angaben darüber machen, ob Angehörige der Waffen-SS ganz allgemein die Möglichkeit hatten, von den Verbrechen, die heute der SS insgesamt vorgeworfen werden, etwas zu erfahren, oder ob sie etwas davon wissen konnten?

BRILL: Wir haben Hunderttausende von meist jungen Menschen in die Waffen-SS einberufen. Diese Männer waren bei Kriegsbeginn 13, 14, vielleicht 16 Jahre alt. Und als sie dann in die Waffen-SS kamen, standen sie nur an der Front. Wenn sie aber einmal einige Tage auf Urlaub nach Hause gekommen sind, so haben sie sich nicht um Politik oder Feindpropaganda gekümmert, sondern sich ihrer Familie gewidmet. Auch unsere Zehntausende von Verwundeten in den Lazaretten hatten nur den einen Wunsch, wieder gesund zu werden. Sie haben auch keine Feindsender gehört, so daß sie irgend etwas hätten erfahren können. Ich habe mit sehr vielen dieser Leute gesprochen, und ich habe festgestellt, daß diese Leute nur ihr soldatischer Dienst interessiert hat.

In den Ämtern und Dienststellen der Waffen-SS aber war nur ein Prozent – höchstens ein Prozent – aller durch die Waffen-SS Gegangenen beschäftigt. Und doch waren wieder nur sehr wenige in solchen Dienststellen, wo sie eventuell etwas hätten erfahren können. Diese Männer haben und hätten aber auch uns nichts darüber erzählt, was für Dienstleistungen sie dort tun, denn es war ja in jedem Büro der Waffen-SS und der SS überhaupt ein Befehl ausgehängt mit dem Befehl des Führers, der besagte: »Du darfst nur so viel wissen, wie zu Deinem Dienstbereich gehört. Und über das, was Du erfährst, hast Du zu schweigen.«

RA. PELCKMANN: War der Grund für diesen allgemeinen Befehl Hitlers ein militärischer?

BRILL: Ich glaube, daß dieser Befehl des Führers für das ganze Reich damals gegolten hat. Er ist sowohl bei der Truppe als auch bei verschiedenen Dienststellen gewesen.

RA. PELCKMANN: Bei der Truppe – damit meinen Sie die Wehrmacht?

BRILL: Die Wehrmacht, jawohl.

RA. PELCKMANN: Aber vielleicht können Sie etwas wissen über einen anderen Anklagepunkt. Als Sie noch beim Stabe der Leibstandarte waren, haben Sie da etwas erfahren zum Beispiel über den beabsichtigten Einfall in Österreich?

BRILL: Es war doch wohl so, daß bei der Truppe die Soldaten immer am allerwenigsten erfahren haben. Da hat auch die Leibstandarte keine Ausnahme gemacht. Ich erinnere mich genau, wie das damals mit dem Einmarsch in Österreich war. Obwohl die Leibstandarte eine der ersten Formationen, glaube ich, war, die in Österreich einmarschiert ist, haben wir keinerlei Vorbereitungen für diesen Einmarsch getroffen. Ich weiß genau, da ich damals Schreiber war beim Stab, daß weder der Adjutant noch der Hauptsturmführer beim Stab eine halbe Stunde vor dem Abmarsch etwas wußte, wohin der Abmarsch gehen sollte; und als dann die Leibstandarte in Österreich war, da hatten wir einen solchen Jubel, daß keiner von uns auf den Gedanken gekommen wäre, daß hier ein Verbrechen begangen worden ist. Überhaupt, daß wir als Leibstandarte nach Österreich einrückten, war uns selbstverständlich, weil ja der Führer dort war und wir als seine Leibstandarte eben auch nach Österreich gegangen sind.

RA. PELCKMANN: Herr Zeuge! Wollen Sie aber angesichts der Beweisaufnahme, die hier stattgefunden hat, abstreiten, daß Millionen von Tötungen stattgefunden haben, die jetzt den SS-Leuten insgesamt zur Last gelegt werden?

BRILL: Ich habe über diesen Punkt und über diese Frage mit sehr vielen Angehörigen aus den verschiedensten Internierungslagern gesprochen und ich kann nur wiederholen, was wir uns selbst gesagt haben: Die Alliierten haben uns Männern der Waffen-SS mit der Aufdeckung dieser Verbrechen ein großes Rätsel aufgegeben. Wir waren stets erzogen worden in der Ehre, Disziplin und Anstand, und wir haben fünf Jahre lang in gläubiger Pflichterfüllung für unser Heimatland gekämpft und heute sitzen wir hinter Stacheldraht und überall wird uns entgegengerufen: Ihr seid Mörder und Verbrecher. Ich kann nur sagen, und sage das auch für meine Kameraden, mit denen ich gesprochen habe: Wir haben nicht gemordet. Wir haben nichts zu tun damit und haben nichts gewußt von den scheußlichen Taten jenes Himmler, der auch uns verraten und betrogen hat, indem er den Tod der Verantwortung vorgezogen hat. Er hat sich mit seinem Selbsttod ohnehin außerhalb der Reihen der ehemaligen SS gestellt, und jener kleine Kreis von Männern, der vielleicht in falsch verstandenem Gehorsam zu seinen Handlangern wurde, der hat wohl verstanden zu schweigen, denn bis heute haben wir nichts davon gewußt.

RA. PELCKMANN: Danke Ihnen; ich habe keine weiteren Fragen mehr.

MAJOR ELWYN JONES: Zeuge! Sie haben eben gesagt, daß SS und Waffen-SS insbesondere stets in Anstand und Ehre erzogen worden seien. Himmler pflegte zu Ihrer Division, der Leibstandarte, zu kommen und Vorträge zu halten. Sie wissen das, nicht wahr?

BRILL: Ich war bei keinem Vortrag, den Himmler der Leibstandarte gehalten hat.

MAJOR ELWYN JONES: Wußten Sie, daß er vor den Offizieren der Leibstandarte Reden gehalten hat?

BRILL: Jawohl, es war, soweit ich mich erinnere, eine Rede in Metz. Da war ich zwar schon beim Ergänzungsamt, aber die Kameraden haben mir davon erzählt.

MAJOR ELWYN JONES: Wissen Sie, was Himmler gesagt hat?

BRILL: Nein.

MAJOR ELWYN JONES: Haben Sie es nicht für richtig gehalten, sie darüber zu befragen?

BRILL: Ich habe sie immer gefragt, weil mich in der Leibstandarte als ehemaliger Angehöriger noch interessiert hat, was los war; aber über die einzelnen Punkte, zum Beispiel aus der Rede des Reichsführers vor der Leibstandarte, da habe ich mich nicht unterhalten.

MAJOR ELWYN JONES: Weil er Ihre Division zu etwas erzogen hat, was gerade im Gegensatz zu Ehre und Anstand stand. Wußten Sie zum Beispiel etwas über die Massenmorde an den Führern der polnischen Nation durch die SS?

BRILL: Das kann nicht möglich sein. Ich habe das Schulungsmaterial der Waffen-SS viel gelesen; ich habe nie darin gefunden, daß man aufgefordert worden ist zu solchen Massenmorden.

MAJOR ELWYN JONES: Lassen Sie mich Ihnen nur zwei oder drei Sätze aus der Rede Himmlers an die Offiziere Ihres eigenen Regiments vorlesen. Ich spreche von 1918-PS, US-304.

»Sehr oft sagt sich der Angehörige der Waffen-SS – und diese Gedanken kamen mir heute so, wie ich da draußen diese sehr schwierige Tätigkeit ansah, die die Sicherheitspolizei, unterstützt von Euren Leuten, die ihnen sehr gut helfen, hat: das Hinausbringen dieses Volkes hier. Genau dasselbe hat bei 40 Grad Kälte in Polen stattgefunden, wo wir Tausende und Zehntausende und Hunderttausende wegtransportieren mußten, wo wir die Härte haben mußten – Sie sollen das hören und sollen das aber auch gleich wieder vergessen –, Tausende von führenden Polen zu erschießen. Wo wir die Härte haben mußten, denn sonst würde später sich das an uns rächen.«

Wollen Sie sagen, daß Sie nicht gewußt haben, daß Himmler dies zu Ihrem Regiment gesagt hat?

BRILL: Ja, ja, erstens wußte ich das nicht, und zweitens, soviel ich jetzt gehört habe, haben nicht Angehörige der Waffen-SS das gemacht, sondern Himmler sagte »Wir, wir« – wer diese »wir« sind, das weiß ich nicht, und das geht auch, soviel ich jetzt gehört habe, nicht aus der Rede hervor.

MAJOR ELWYN JONES: Himmler hat zu den Offizieren Ihres Regiments gesprochen, der SS-Leibstandarte Adolf Hitler. Er sagte ihnen, daß die Morde ein Werk der Sicherheitspolizei, nämlich Ihrer Leute, Leute Ihres Regiments, sein werden, das ist doch ganz klar, nicht wahr?

BRILL: Nein, das ist nicht klar, so etwas gibt es gar nicht.

MAJOR ELWYN JONES: Dann will ich Ihnen einen weiteren Hinweis auf die Ehre und den Anstand vorlesen, die Ihnen anscheinend eingeprägt worden sind. Auf Seite 10 des deutschen Textes, Seite 3 des englischen Textes, aus Himmlers Rede. Sie brauchen es jetzt nicht zu lesen. Daraus werden Sie ersehen, daß Himmler zu Ihrem SS-Regiment gesagt hat, daß durch die Sklavenarbeit der Opfer seiner Organisation Geld für die SS-Männer aufgebracht werden sollte. Ich werde Ihnen vorlesen, was er hier gesagt hat.

VORSITZENDER: Dieses Dokument ist uns bereits verlesen worden meiner Ansicht nach.

MAJOR ELWYN JONES: Ja, Euer Lordschaft, ich möchte mich nur auf zwei Sätze beziehen.

VORSITZENDER: Der Zeuge sagte, er war nicht dabei.

MAJOR ELWYN JONES: Das stimmt, Euer Lordschaft. Ich unterstelle, daß es sich hier um eine Rede an die Offiziere seines Regiments handelt. Bei der Kommissionseinvernahme wurde angedeutet, daß er einen Monat später eingetreten ist.