[Zum Zeugen gewandt:]
Was hatte der Höhere SS- und Polizeiführer im besetzten Gebiet mit der Allgemeinen SS zu tun?
REINECKE: Überhaupt gar nichts, weil es in den besetzten Gebieten überhaupt keine Allgemeine SS gab. Die Allgemeine SS war eine Einrichtung für deutsche Staatsbürger, und deshalb existierte sie nicht in den besetzten Gebieten. Der Höhere SS- und Polizeiführer in den besetzten Gebieten hat eine rein polizeiliche Funktion, ohne irgendwelche Beziehungen oder Bindungen zur Allgemeinen SS, die aus den dargestellten Gründen gar nicht existieren können.
RA. PELCKMANN: Warum bestand denn in den besetzten Gebieten keine Allgemeine SS?
REINECKE: Wie ich eben sagte, war die Allgemeine SS eine Gliederung einer politischen Partei. In eine solche Gliederung wurden Reichsdeutsche aufgenommen. In den besetzten Gebieten konnte deshalb eine Allgemeine SS nicht existieren.
RA. PELCKMANN: Kann man dann also sagen, daß Taten oder gar Verbrechen eines Höheren SS- und Polizeiführers in den besetzten Gebieten die Allgemeine SS überhaupt nicht belasten?
REINECKE: Das ist in vollem Umfange richtig.
RA. PELCKMANN: Ich möchte daran die Erörterung eines Dokuments knüpfen.
Ich habe Ihnen, Herr Zeuge, in der Pause ein Dokument gegeben; wenn Sie dem Hohen Gericht gefälligst die Nummer geben wollen. Es ist das Dokument, das gestern dem Zeugen von Eberstein vorgehalten worden ist.
REINECKE: Es handelt sich um das Dokument 4024-PS. Es betrifft einen Schriftwechsel des Höheren SS- und Polizeiführers in der Operationszone Adriatisches Küstenland, Globocznik, mit Heinrich Himmler und mit Oswald Pohl.
RA. PELCKMANN: Haben Sie aus dem Dokument feststellen können, in welcher Eigenschaft der Verfasser dieses Schreibens, Globocznik, tätig geworden ist? Ist er in der Eigenschaft als Höherer SS- und Polizeiführer in Triest tätig geworden, oder ist er tätig geworden als Höherer SS- und Polizeiführer in Lublin, soviel ich weiß?
REINECKE: Es geht aus dem Dokument klar hervor, daß Globocznik hier als SS- und Polizeiführer in Lublin und nicht als Höherer SS- und Polizeiführer Adriatisches Küstenland tätig geworden ist. Es steht dies in dem Dokument selbst drin. Ich selbst weiß aus meiner Tätigkeit, daß Globocznik um die Jahreswende 1943/1944 als SS- und Polizeiführer in Lublin abgelöst wurde und mit der Dienststellung des Höheren SS- und Polizeiführers Adriatisches Küstenland beauftragt wurde. Insofern ist das Datum des Dokuments unrichtig. Das Datum des Dokuments ist vom 5. Januar 1943. Das muß ein Irrtum sein, es muß hier 1944 heißen, wie sich aus dem Briefkopf auch ergibt.
RA. PELCKMANN: Ist nun durch die Tätigkeit, die Globocznik in diesem Dokument beschreibt, die Allgemeine SS belastet, das heißt, hat Globocznik als Führer der Allgemeinen SS diese Tätigkeit ausgeübt, die er dort beschreibt?
REINECKE: Es ist aus dem Dokument klar ersichtlich, daß Globocznik hier in seiner Stellung als SS- und Polizeiführer tätig geworden ist, und zwar mit einem geheimen Sonderauftrag, der sogenannten »Aktion Reinhardt«, betraut wurde. Er handelt hier im rein polizeilichen Exekutivsektor. Eine Verbindung dieser Tätigkeit zur Organisation Allgemeine SS oder auch nur zu einzelnen Mitgliedern besteht in keiner Weise.
RA. PELCKMANN: Folgern Sie Ihre Behauptung, daß es sich hier um einen besonderen, direkten Auftrag Himmlers gehandelt habe, auch daraus, daß der Bericht direkt an Himmler geht und nicht, wie es nötig gewesen wäre, über den Höheren SS- und Polizeiführer in Krakau, Krüger?
REINECKE: Das ist sehr richtig, es geht dies aber auch noch aus anderen Stellen dieses Schriftwechsels hervor. Es ist in diesem Schriftwechsel der Ausdruck »Sonderauftrag« deutlich genannt.
Außerdem läuft dieser Briefwechsel unter »Geheime Reichssache«. Es ist auf dem Dokument auch vermerkt, daß von dieser »Geheimen Reichssache« lediglich vier Ausfertigungen vorhanden waren und die Ausfertigung, die Globocznik an Himmler schickte, die erste Ausfertigung ist.
RA. PELCKMANN: Sie lesen immer noch aus dem Dokument 4024-PS, Herr Zeuge?
REINECKE: Es ist dies das Dokument, das ich lese.
RA. PELCKMANN: Wollen Sie mal die Seite 3 oben beachten, da scheint mir ganz besonders klar hervorzugehen, wer mit diesen Dingen befaßt war und in wessen Auftrag und in wessen Zuständigkeit Globocznik handelte.
REINECKE: Es geht aus der Seite 3 dieses Dokuments hervor, daß die gesamte »Aktion Reinhardt« in vier Gebiete zerfällt:
A. die Aussiedlung selbst
B. die Verwertung der Arbeitskraft
C. die Sachverwertung
D. die Einbringung verborgener Werte und Immobilien.
Es geht ebenfalls hervor, daß Globocznik hier außer mit Himmler mit Oswald Pohl persönlich als dem Chef des SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes befaßt war, die persönliche Betrauung desselben...
VORSITZENDER: Einen Augenblick. Was bedeutet dieses ganze Beweismaterial? Uns liegen doch die Dokumente vor.
RA. PELCKMANN: Das Dokument ist gestern dem Höheren SS- und Polizeiführer im Inland, von Eberstein, vorgelegt worden. Um damit zu beweisen, daß durch diese Aktion Globocznik – der ja auch in seinem Briefkopf den Titel führt, »Höherer SS- und Polizeiführer«, aber im Ausland –, um damit zu beweisen, daß die Höheren SS- und Polizeiführer Verbrechen begingen, und um weiter zu beweisen, daß die Allgemeine SS auch mit diesen Verbrechen belastet wird, weil nämlich nach Ansicht der Anklage, die ich mich bemühe eben zu widerlegen, der Höhere SS- und Polizeiführer zugleich für die Allgemeine SS handelte; dieser Zeuge Reinecke ist als hoher Richter, der die gesamte Organisation der SS übersieht, in der Lage festzustellen, ob diese Behauptung der Anklage...
VORSITZENDER: Das kann er doch sicherlich auch tun, ohne sich die ganze Zeit an das Dokument zu klammern. Wenn er erklären wollte, daß Globocznik im Auftrag der SS gehandelt habe oder nicht, warum sagt er es dann nicht und schließt dies Thema damit ab?
RA. PELCKMANN: [zum Zeugen gewandt] Handelte Globocznik, nachdem Sie das Dokument durchgelesen haben und es auf Grund Ihrer Einsicht in die Organisationen der SS beurteilen können, im Auftrag oder für die Waffen-SS, oder im Auftrag oder für die Allgemeine SS?
REINECKE: Es geht aus dem Inhalt des Dokuments klar hervor, daß Globocznik weder im Auftrage noch für die Allgemeine SS, noch für die Waffen-SS handelte. Es geht ebenfalls so klar daraus hervor, daß es sich um einen persönlichen »Sonderauftrag« Himmlers an Globocznik handelte, der mit beiden genannten Gliederungen nichts zu tun hatte.
RA. PELCKMANN: Wir hatten unter den verschiedenen Gruppen, die Sie eben genannt haben und die auch von der Anklage als einheitliches Ganzes betrachtet werden, noch nicht das Konzentrationslagerwesen behandelt. Wie war der Einbau des Konzentrationslagerwesens in die SS, und war eine organische Verknüpfung vorhanden zwischen Konzentrationslagerwesen und SS?
REINECKE: Eine organische Verknüpfung ist nicht vorhanden gewesen. Das Konzentrationslagerwesen hatte den eigentlichen zweckentsprechenden, polizeiähnlichen Charakter. Die Durchführung des Konzentrationslagerwesens ist daher eine Reichsaufgabe. Mit der Durchführung dieser Reichsaufgabe wurde Himmler im Jahre 1933 oder 1934 betraut. Er hat zu diesem Zeitpunkt für die Bewachung dieser Konzentrationslager eine eigene Organisation geschaffen. Diese Organisation nannte sich seinerzeit »Totenkopfverbände«. Auch diese Organisation ist nicht aus der Allgemeinen SS herausgewachsen und hat später auch mit der Allgemeinen SS keinerlei organischen Zusammenhang bekommen. Die ersten Wachmannschaften dieser Konzentrationslager waren nur zum geringsten Teile ehemalige Angehörige der Allgemeinen SS, es waren ebenso Angehörige der SA, der anderen Gliederungen der Partei, Parteigenossen, wie überhaupt auch Parteilose, welche, wie es den Verhältnissen der damaligen Zeit entsprach, arbeitslos waren, die Arbeit und Brot und neue Berufslaufbahn suchten. Aus diesen Anfängen heraus haben sich die »Totenkopfverbände« selbständig entwickelt, haben eine polizeiähnliche Ausbildung erhalten. 1939 treten sie zu der damals im Entstehen begriffenen Waffen-SS über. Die Aufgabe der Konzentrationslagerbewachung wird nunmehr in erster Linie Menschen übertragen, die an der Front keine Verwendung finden können. Es werden nun nicht-frontverwendungsfähige Mitglieder der Allgemeinen SS zu einem kleinen Teil, ebenfalls SA- Angehörige, dann die Angehörigen des Kyffhäuserbundes und zum Schluß zu Tausenden Wehrmachtsangehörige zu Bewachungsmannschaften für die KZs geholt.
RA. PELCKMANN: Sie sagten, 1939 treten die »Totenkopfverbände« zur Waffen-SS über. Ich muß Sie hier noch einmal etwas fragen, weil in der Befragung des letzten Zeugen durch die Anklagebehörde »Totenkopfverbände« und »Totenkopf-Divisionen« offenbar verwechselt worden sind. Wollen Sie bitte die genaue Bezeichnung dieser beiden Einheiten geben und sagen, was unter ihnen zu verstehen ist?
REINECKE: Die »Totenkopfverbände« sind die Bewachungsmannschaften der Konzentrationslager bis zum Kriegsbeginn. Zu diesem Zeitpunkt werden sie in die verschiedensten Teile der Waffen-SS überführt. Die »Totenkopf-Division« hat mit diesen »Totenkopfverbänden« überhaupt nichts zu tun. Die »Totenkopf- Division« ist eine Division der Waffen-SS, die in den ersten Kriegsjahren aufgestellt wurde und als geschlossene Division an die Front rückte.
RA. PELCKMANN: Sie sagten, die »Totenkopfverbände« werden 1939 in die Waffen-SS überführt. Hatten sie dann nach der Überführung in die Waffen- SS noch etwas zu tun mit der Konzentrationslagerbewachung?
REINECKE: Nach der Überführung in die Waffen- SS hatten sie mit der Konzentrationslagerbewachung überhaupt nichts mehr zu tun, sondern waren aufgeteilt auf die verschiedensten Divisionen der Waffen- SS-Soldaten.
RA. PELCKMANN: Die Anklage behauptet, daß die Einheitlichkeit der SS durch ein gemeinsames Oberkommando garantiert worden sei. Sie meint damit – das ergibt sich aus der Bezugnahme auf ein Schaubild, das die Anklage überreichte – zwölf Hauptämter des Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei. Waren diese zwölf Hauptämter Führungsorgane der SS?
REINECKE: Nein, es waren dies keine Führungsorgane der SS.
RA. PELCKMANN: Um das Verfahren vor dem Gericht hier abzukürzen, werde ich Sie nach den Hauptämtern und ihren Beziehungen zu der SS fragen. Waren das Hauptamt Ordnungspolizei und Reichssicherheitshauptamt auch Befehlsstellen der Allgemeinen SS oder der Waffen-SS?
REINECKE: Nein. Das Hauptamt Ordnungspolizei war die Spitze der deutschen Polizei, das Hauptamt Sicherheitspolizei die der Sicherheitspolizei. Beides waren Dienststellen der inneren Verwaltung und stellten organisatorisch Abteilungen des Innenministeriums dar. Irgendwelche Befehlsbefugnisse gegenüber Allgemeiner oder der Waffen-SS waren zu keiner Zeit vorhanden.
RA. PELCKMANN: War das Staatshauptamt des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums und die sogenannte Volksdeutsche Mittelstelle Befehlsstelle der Allgemeinen SS oder der Waffen-SS?
REINECKE: Nein, beide Hauptämter waren Reichsbehörden, die ausschließlich Reichsaufgaben durchführten. Ihre Angehörigen waren Beamte, nicht etwa Soldaten der Waffen-SS oder Gliederungsfunktionäre der Allgemeinen SS. Beide Hauptämter hatten keinerlei Befehlsbefugnis gegenüber Allgemeiner oder Waffen-SS.
RA. PELCKMANN: Um es weiter abzukürzen, waren die übrigen acht Hauptämter Befehlsstellen der Allgemeinen SS oder der Waffen-SS?
REINECKE: Man muß aus den übrigen acht Hauptämtern zunächst zwei ausscheiden; das »SS-Hauptamt Heißmeyer« und das Hauptamt »Persönlicher Stab«. Das SS-Hauptamt Heißmeyer hatte mit der SS überhaupt nichts zu tun, und es war dies eine Dienststelle des Reichserziehungsministeriums, die Heißmeyer übertragen worden war. Das Hauptamt »Persönlicher Stab« war ebenfalls keine Befehlsstelle, sondern die Adjutantur Himmlers oder aber die Zusammenfassung der verschiedensten Referate, die Himmler persönlich unterstanden und die persönlichen Aufträge von ihm durchführten, die mit den Organisationen Allgemeine SS und der Waffen-SS selbst nichts zu tun hatten.
Zu diesen Referaten gehörte beispielsweise der eingetragene Verein »Lebensborn« oder das sogenannte »Ahnenerbe«. Auch der Reichsarzt Grawitz befaßte sich mit diesem Hauptamt und führte hier von dieser Position aus als persönlicher Beauftragter Himmlers ohne Zusammenwirken mit den Gliederungen die biologischen Versuche durch.
RA. PELCKMANN: Weitere Einzelheiten sind hier wohl nicht nötig. Nur noch eine abschließende Frage zu diesem Organisationskomplex.
Stellten diese sechs Hauptämter, die nun übrig bleiben, ein einheitliches Oberkommando der SS dar?
REINECKE: Nein, auch diese sechs Hauptämter sind kein einheitliches Oberkommando, sondern es sind sechs gleichberechtigte, nebeneinanderstehende Fachstellen, die von sich aus in die Gruppe hineinbefehlen konnten, ohne in der Hand einer Person zusammengefaßt zu sein.
RA. PELCKMANN: Stellte aber nicht Himmler mit seinem engeren Stab ein einheitliches Oberkommando dar, das mit zentraler Befehlsbefugnis für eine einheitliche Zusammenfassung und Steuerung der verschiedenen Hauptaufgabengebiete der Hauptämter sorgte?
REINECKE: Nein. Himmler besaß einen solchen Stab nicht, und auch er selbst griff in die Steuerung der gesamten SS nur in den seltensten Fällen, niemals aber in dem Sinne einer einheitlichen Zusammenfassung, ein.
RA. PELCKMANN: Widersprechen nun Ihren Darstellungen aber nicht die Schriften und Reden Himmlers, zum Beispiel seine Posener Rede, in der er stets die Einheitlichkeit in der von ihm geführten Organisation unterstreicht?
REINECKE: Diese Reden stellen keinen Widerspruch dar zu dem, was ich gesagt habe. Himmler spricht in dieser Rede zweifellos von Einheit, und diese Einheit war sicher auch sein Plan. Sie entspricht aber in keiner Weise der Wirklichkeit. Die Reden Himmlers sind daher nur als Zukunftsmusik zu werten. Statt daß sich die Organisationen, so wie es Himmler hatte haben wollen, zueinander entwickelt hätten, haben sie sich eben wegen der Verschiedenartigkeit ihrer Aufgaben stets auseinander entwickelt. Aus den Reden Himmlers ist auch klar erkennbar, daß er das merkt und gerade aus diesem Grunde heraus den Anlaß nimmt, seine Gedanken über die Einheit seinen höheren Führern näherzubringen.
Eine wirkliche organisatorische Einheit hat zu keinem Zeitpunkt vorgelegen.
RA. PELCKMANN: Hat sich dieser Mangel einer organisatorischen Einheit auch auf dem Gerichtswesen der SS ergeben?
REINECKE: Es kommt dies ganz klar in der zuständigen Regelung der Gerichtsbarkeit zum Ausdruck. Das Gerichtswesen der SS war für die »Allgemeine SS« überhaupt nicht zuständig. Es war in erster Linie für die Waffen-SS gemacht worden. Es war ferner zuständig für die Polizei, und zwar deshalb, weil Himmler die Polizei während der Dauer des Krieges als im Einsatz befindlich erklärt hatte. Zu Beginn des Krieges gab es nur einige wenige Polizeieinheiten, die als truppenmäßige Einheiten im Kampfe standen. Mit der zunehmenden Dauer des Krieges, vor allem auch des Luftkrieges, wurde die gesamte deutsche Polizei einheitlich als im besonderen Einsatz stehend erklärt und unterstand damit der SS-Gerichtsbarkeit.
Das gleiche gilt für die Sicherheitspolizei. Auch hier ist ein Erlaß Himmlers aus dem Jahre 1940 vorhanden, daß die gesamte Sicherheitspolizei im Krieg in besonderem Einsatz steht. Dadurch wurde sie dem Gerichtswesen unterstellt. Daß aber gerade das RSHA mit den ihm angegliederten Dienststellen organisatorisch vollkommen selbständig blieb und keinerlei Zusammenhänge zur »Allgemeinen« oder »Waffen-SS« auf wies, geht auch daraus hervor, daß Himmler zur gleichen Zeit die gesamte Untersuchungsführung in Gerichtsangelegenheiten, soweit sie das RSHA betreffen, aus der Hand des Gerichtswesens herausnahm und einer eigenen Untersuchungsführungsorganisation des RSHA übergab mit der Folge, daß zwar Gerichtsverfahren gegen Angehörige des RSHA durchgeführt werden konnten und auch Urteilssprüche gefällt wurden, ein Einblick aber in die Dinge des RSHA selbst dem Gerichtswesen versagt blieb und eine Kontrolle unmöglich war.
Die Angehörigen der Wachmannschaften der Konzentrationslager unterstanden dem Gerichtswesen, da sie zu Beginn des Krieges nominell Waffen-SS geworden waren, das heißt, sie sind aus wirtschaftlichen und aus Versorgungsgründen heraus und aus Gründen einer einheitlichen Wehrüberwachung nominell der Waffen-SS angegliedert worden.
RA. PELCKMANN: Sie sagen, Herr Zeuge, die »Allgemeine SS« unterstand der SS- und Polizeigerichtsbarkeit überhaupt nicht.
Wem unterstanden denn in der Gerichtsbarkeit die Mitglieder der Allgemeinen SS?
REINECKE: Die Gerichtsbarkeit der SS ist im Oktober 1939 in Kraft getreten zu einer Zeit, wo die Allgemeine SS bereits im Verschwinden begriffen war. In der Zeit vorher war die Allgemeine SS den Justizbehörden gerichtlich unterstellt. Straftaten von Angehörigen der Allgemeinen SS wurden von den ordentlichen Strafgerichtsbehörden verfolgt und abgeurteilt. Der gleiche Zustand blieb während des Krieges, als es schon eine Gerichtsbarkeit der SS gab, soweit eben noch Angehörige der Allgemeinen SS in der Heimat verblieben waren.
RA. PELCKMANN: Um es noch einmal klar zu sagen, Herr Zeuge: Die Allgemeine SS unterstand in der Friedenszeit und in der Kriegszeit der zivilen normalen Gerichtsbarkeit, ist das richtig?
REINECKE: Jawohl.
RA. PELCKMANN: Die Anklage behauptet, die SS sei von Anfang an für ungesetzliche Zwecke bestimmt gewesen, habe sich von Anfang an ungesetzlich betätigt und es seien keine Unterschiede in den verschiedenen Zeitfolgen.
Wird diese Behauptung durch die Entwicklung des Gerichtswesens der SS irgendwie gestützt?
REINECKE: Wenn eine Organisation verbrecherische Ziele hat und verbrecherische Tätigkeit entwickelt, so muß folgerichtig die Gerichtsbarkeit einer solchen Organisation durch ihren Aufbau, ihren Inhalt und ihre Tätigkeit erkennen lassen, daß sie solche verbrecherischen Zwecke und Tätigkeiten abdeckt. Genau das Gegenteil ist der Fall. In der SS herrschte seit ihrem Bestehen der Grundsatz der Verbrechensbekämpfung um jeden Preis und eine durchaus geordnete Rechtspflege.
RA. PELCKMANN: Wie wurde die Durchführung einer geordneten Justiz in der Allgemeinen SS gewährleistet?
REINECKE: Durch das sogenannte Disziplinarrecht.
RA. PELCKMANN: Verstehe ich richtig, daß ein Mitglied der Allgemeinen SS einmal der zivilen deutschen normalen Gerichtsbarkeit unterstand?
REINECKE: Das habe ich gerade vorhin gesagt.
RA. PELCKMANN: Ja, und es gab trotzdem noch ein Disziplinarwesen, also eine gewisse Art von Gerichtsbarkeit über die Mitglieder der Allgemeinen SS. Ist das richtig?
REINECKE: Das will ich gerade sagen. Es war dies Disziplinarrecht ein internes und Ausschlußrecht, wie es jeder zivile Verein hat. Dieses Ausschlußrecht sah vor, aus dem Grundsatz der Auslese heraus, daß Vorbestrafte in die SS überhaupt nicht hineinkamen und soweit sie in der SS straffällig wurden, aus der SS wieder ausscheiden mußten. Dieses Prinzip war an sich die beste Auslese, weil dadurch Straftaten automatisch verhindert wurden.
Die Rechtserziehung innerhalb dieses Disziplinarrechtes und die Anwendung des Disziplinarrechtes sorgte ihrerseits, also neben Strafrechtspflege durch die allgemeinen deutschen Justizbehörden, daß die SS frei von unsauberen Elementen blieb.
Es war zwischen dem Reichsjustizministerium und der Reichsführung-SS eine Vereinbarung getroffen worden, nach der auf der einen Seite die allgemeine deutsche Justiz der SS Mitteilung machen mußte, wenn die allgemeine Justiz Straftaten eines SS-Angehörigen entdeckt hatte, und auf der anderen Seite die SS dem Reichsjustizministerium Mitteilung machen mußte, wenn sie eine Straftat eines SS-Angehörigen aufgedeckt hatte.
Diese Vereinbarung wurde strikte eingehalten. Es war dafür ein eigener Verbindungsführer zum Justizministerium gestellt mit der Folge, daß tatsächlich einmal alle strafbaren Elemente aus der SS entfernt wurden und daß zweitens Straftaten gegen die deutschen Strafgesetze auch wirklich durch die allgemeinen deutschen Justizbehörden abgeurteilt wurden.
RA. PELCKMANN: Herr Zeuge! Halten Sie sich bitte auch in der Satzgebung etwas kürzer; es erleichtert die Übersetzung.
Warum wurde bei Kriegsbeginn eine eigene Strafgerichtsbarkeit für die Waffen-SS eingeführt? Geschah das etwa um...
VORSITZENDER: Dr. Pelckmann! Der Gerichtshof ist der Meinung, daß Sie viel zu viel in Einzelheiten gehen.
RA. PELCKMANN: Euer Lordschaft! Dieses Thema ist vor der Kommission noch nicht so behandelt worden, und ich glaube, daß nach den Beschlüssen ich auch neue Themen, die wichtig sind, bringen darf. Aber ich werde versuchen zu verkürzen.