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[Zum Zeugen gewandt:]

Sie haben meine letzte Frage verstanden, Herr Zeuge?

REINECKE: Ja.

RA. PELCKMANN: Warum wurde für die Waffen- SS bei Kriegsbeginn eine eigene Gerichtsbarkeit geschaffen? War damit bezweckt, Verbrechen zu vertuschen?

REINECKE: Die eigene Strafgerichtsbarkeit wurde geschaffen, weil SS-Verbände als Truppenverbände eingesetzt waren und deshalb für diese Verbände Kriegsgerichte vorhanden sein mußten. Die Einführung war durch Gesetz geschehen, nicht durch irgendeine Verordnung Himmlers. Es wurde mit diesem Gesetz das gleiche Recht eingeführt, wie es für die Wehrmacht bereits galt, und es wurde mit diesem Gesetz für die SS die gleiche Gerichtsorganisation geschaffen, die die Wehrmacht bereits hatte. Es kann also keineswegs davon gesprochen werden, daß die Einführung dieser Gerichtsbarkeit zum Vertuschen von strafbaren Handlungen erfolgt war. Das genaue Gegenteil war der Fall.

RA. PELCKMANN: Die Anklage behauptet aber gerade, daß die SS zu Terror, Grausamkeit und Verbrechen erzogen worden sei. Dies widerspricht Ihrer Behauptung von der Verbrechensbekämpfung um jeden Preis. Macht es nicht diesen Eindruck?

REINECKE: Die Erziehung in der SS ging planmäßig auf Anstand, Recht und Sitte. Es waren auch Einrichtungen vorhanden, die es gewährleisteten, daß diese Erziehung in vollem Umfange durchgeführt wurde. Es wurde das Recht einschließlich der internationalen Konventionen nicht nur auf den Junkerschulen der SS gelehrt, es wurden Gerichtsverhandlungen vor versammelter Mannschaft abgehalten. Das Hauptamt SS-Gericht als Zentrale des Gerichtswesens sorgte durch ein eigenes Schrifttum dafür, daß diese Grundsätze der Sauberkeit und des Rechts Allgemeingut aller SS-Angehörigen wurden. Die Rechtserziehung in der SS, so wie sie gehandhabt worden war, stellt das genaue Gegenteil der Anklagebehauptung dar.

RA. PELCKMANN: Die Anklagebehörde könnte doch vielleicht sagen, diese strenge Rechtserziehung und Verbrechensbekämpfung vor und während des Krieges beweist gerade, wie notwendig das war, weil ja in der SS lauter Verbrecher waren. Hätte sie recht damit?

REINECKE: Nein! Damit hätte sie nicht recht. Es waren in der SS besondere Auslesegrundsätze. Die SS war durch sogenannte Grundgesetze zu einer besonders ethischen Haltung verpflichtet. Die Rechtsbrecher in der SS luden mit einem Rechtsbruch eine schwerere Schuld auf sich und verdienten deshalb auch eine schwerere Sühne. Aus diesem Grunde heraus erklärt sich die härtere Bestrafung der SS-Männer im Vergleich beispielsweise zur Wehrmacht oder zur deutschen Zivilgerichtsbarkeit.

RA. PELCKMANN: Himmler war Gerichtsherr. Welche Stellung hat er eingenommen? Konnte er zum Beispiel ein Gericht anweisen, ein bestimmtes Urteil zu fällen?

REINECKE: Nein, das konnte Himmler nicht. Er hat sich an die gesetzlichen Bestimmungen im allgemeinen gehalten. Er hatte als Gerichtsherr zwar das ihm von Hitler verliehene Recht zum Niederschlagen von Verfahren; von diesem Recht hat er nur in ganz seltenen Fällen Gebrauch gemacht. Der Richter selbst war unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Seine Unabhängigkeit war gesetzlich garantiert. Die Urteile der SS-Gerichte wurden durch Abstimmung erzielt, bei der das Mehrheitsprinzip ausschlaggebend war. Ein Eingriff des Gerichtsherrn konnte insofern nicht erfolgen. Der Gerichtsherr hatte aber das Recht der Bestätigung beziehungsweise der Urteilsaufhebung. Er konnte also einen Fall zu wiederholten Malen, falls er mit dem Urteil nicht einverstanden war, zur Behandlung bringen. Aber auch hier haben sich die SS-Gerichte stets nach den bestehenden Gesetzen durchgesetzt. Es sind Urteile vorgekommen, bei denen der Gerichtsherr bis zu drei- und viermal das Urteil aufhob, weil ihm die Strafe zu hoch oder zu niedrig war. Die Richter haben stets wieder das gleiche Urteil gefällt, wenn es gesetzlich vorgeschrieben war, und sie haben sich letzten Endes auch durchgesetzt.

RA. PELCKMANN: Ihre Darstellung über die Rechtserziehung und die korrekte Durchführung der Rechtspflege widerspricht aber der Anklagebehauptung, daß die SS für Dinge vorgesehen war, für die weder die Partei noch der Staat die Verantwortung übernehmen wollten?

REINECKE: Das, was ich hier über die Rechtserziehung der SS gesagt habe, entspricht der historischen Entwicklung der SS und den Tatsachen. Der scheinbar unüberbrückbare Gegensatz zwischen der Anklagebehauptung und meinen Darstellungen liegt darin, daß die Anklage die SS eben als eine organisatorische Einheit betrachtet, die sie nie gewesen ist. Überall dort, wo Himmler handelt, hat nach dem Standpunkt der Anklage die SS gehandelt. Überall dort, wo die staatliche Exekutive gehandelt hat, hat nach der Anklagebehauptung die SS gehandelt. Diese organisatorische Verbindung war aber nicht vorhanden, weshalb die Anklagebehauptungen in dieser Richtung unrichtig sind.

RA. PELCKMANN: Da gerade dem vorhergehenden Zeugen zahlreiche Dokumente vorgelegt worden sind, die die Verbrechen gerade von Angehörigen der Waffen-SS darstellen sollen, muß ich Sie fragen: Hat die Waffen-SS in den besetzten Gebieten und an der Front Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung begangen, und zwar in systematischem Vorgehen unter Verletzung internationaler Abmachungen, einheimischer Strafgesetze und allgemeiner Grundsätze des Strafrechts aller zivilisierter Völker?

REINECKE: Nein, davon kann gar keine Rede sein. Es ist klar, daß auch auf Seiten der Waffen-SS in Einzelfällen Verstöße gegen das Völkerrecht vorgekommen sind, genau so, wie das auf der anderen Seite auch der Fall war. Das alles aber sind Einzelerscheinungen und keine Systematik. Alle diese Einzeltaten sind vom Gerichtswesen der SS und Polizei aufs schärfste bekämpft worden. Im Hauptamt SS-Gericht selbst war eine Einrichtung, die die zentrale Überwachung des gesamten Gerichtswesens garantierte. Von diesem Blickpunkt aus kann ich hier bezeugen, daß in solchen Einzelfällen von den Gerichten an allen Kriegsschauplätzen und während der ganzen Zeit des Krieges Urteile gesprochen wurden wegen Mordes, wegen Plünderung, wegen Totschlags, wegen Vergewaltigung, wegen Mißhandlung und auch wegen Tötung von Kriegsgefangenen, wobei die Volks- oder Rassezugehörigkeit des Betroffenen keinerlei Einfluß hatte. Es sind dies alles Einzeltaten und nicht eine Systematik, wie auch die Kriminalitätsstatistik des Hauptamtes SS-Gericht beweist. Bei strengster Durchführung der Rechtspflege schwankte die Kriminalität zwischen 0,8 Prozent zu Beginn und 3 Prozent zum Schluß des Krieges und hielt sich damit unter dem normalen Rahmen.

RA. PELCKMANN: Durch Befehl Hitlers vom 13. Mai 1941 – das Dokument ist hier vorgelegt worden – war doch aber wohl ein Verbot zur Verfolgung solcher Strafhandlungen ausgesprochen. Steht das nicht in Widerspruch zu Ihren Bekundungen über Verfolgung und Urteile?

REINECKE: Nein. Das ist kein Widersprach, weil dieser Befehl Hitlers zwar den Zwang zur Strafverfolgung aufhebt, aber die Strafverfolgung selbst in das Ermessen des Gerichtsherrn stellt. Mir selbst ist aus meiner ganzen langen Praxis durch Befehl Hitlers...

VORSITZENDER: Auf welchen Befehl Hitlers beziehen Sie sich, welches ist die Nummer des Dokuments?

RA. PELCKMANN: Die Nummer kann ich im Augenblick zu meinem Bedauern nicht hier sagen, Euer Lordschaft. Aber es handelt sich um den Befehl, der vor Beginn des Rußlandfeldzugs erlassen wurde und in welchem gesagt wird, daß nur zur Aufrechterhaltung der Disziplin bei Übergriffen der Truppe eingeschritten werden soll. Ich werde morgen, wenn es gestattet ist, die Nummer angeben. Ich habe nur noch eine Frage, dann kann ich dieses Kapitel abschließen.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Herr Vorsitzender! Ich glaube, ich kann diese Auskunft geben. Es handelt sich um eine Weisung Keitels, betitelt: »Kampf gegen die Banden«. Es ist USSR-16.

VORSITZENDER: Sie sagen, daß Sie nur noch eine einzige Frage zu stellen haben?

RA. PELCKMANN: Ich habe nur noch eine Frage, dann ist dieses Kapitel beendet, und ich bitte, ein neues Kapitel morgen früh beginnen zu dürfen.

Die Anklage behauptet, Herr Zeuge, daß sogenannte Standgerichte der SS und Polizei unter dem Deckmantel einer Rechtspflege die Zivilbevölkerung besetzter Gebiete ermordet haben. Was versteht man unter Standgericht der SS und Polizei?

REINECKE: Solche Standgerichte der SS und Polizei hat es nie gegeben. Es waren, wie ich aus meiner Praxis weiß, in Polen Standgerichte der Sicherheitspolizei. Ich habe jetzt erfahren, daß es solche Standgerichte auch in den anderen besetzten Gebieten gab. Es waren dies Standgerichte der Sicherheitspolizei, also eine reine polizeiliche Angelegenheit, die mit dem Gerichtswesen der SS und Polizei überhaupt nichts zu tun haben.

RA. PELCKMANN: Danke schön.

VORSITZENDER: Wollen Sie uns nun mitteilen, welches die Themen sind, über die Sie morgen den Zeugen befragen wollen?

RA. PELCKMANN: Das KZ-Wesen und die SS-Gerichtsbarkeit.

VORSITZENDER: Aber Sie haben doch schon heute die SS-Gerichtsbarkeit behandelt; das ist das Thema, das Sie gerade abgeschlossen haben. Sie haben uns gesagt, daß die Richter der SS unabhängig waren. Das gehört doch zur Gerichtsbarkeit, nicht wahr?

RA. PELCKMANN: Es handelt sich um spezielle Fragen über das Gerichtswesen in dem KZ-System, Euer Lordschaft.

VORSITZENDER: Welche Fragen wollen Sie also morgen stellen?

RA. PELCKMANN: Ich möchte mich morgen beschäftigen mit dem KZ-System und der SS- und Polizeigerichtsbarkeit und mit der Verbindung zwischen ihnen.

VORSITZENDER: Ich habe mir bereits notiert, daß Sie sich mit den Konzentrationslagern und dem Gerichtswesen in den Konzentrationslagern befassen wollen. Was sonst noch?

RA. PELCKMANN: Nichts weiter, Euer Lordschaft.

VORSITZENDER: Danke. Der Gerichtshof läßt Ihnen durch mich sagen, Sie hätten viel zu viel Zeit in Anspruch genommen, und er erwarte, daß Sie sich morgen kürzer fassen werden.