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[Das Gericht vertagt sich bis

7. August 1946, 10.00 Uhr.]

1 Text und Schreibweise entsprechen dem vorgelegten Originaldokument.

Einhundertsiebenundneunzigster Tag.

Mittwoch, 7. August 1946.

Vormittagssitzung.

[Der Zeuge Reinecke im Zeugenstand]

VORSITZENDER: Dr. Pelckmann, bitte.

RA. PELCKMANN: Herr Zeuge! Bevor ich auf den neuen Komplex meiner Fragen eingehe, habe ich noch eine Frage aus den gestrigen Vernehmungen zur Klarstellung.

Es ist anläßlich eines Dokuments von einer SS- Reiterbrigade gesprochen worden, und ich fürchte – und habe das aus einigen Äußerungen entnommen –, daß diese Reiterbrigade verwechselt wird mit den Reiterstürmen der Allgemeinen SS. Ich verweise das Gericht auf die Aussage des Zeugen von Boikowski- Bidau vor der Kommission und bitte nun diesen Zeugen zu sagen, was... In welcher Weise unterscheiden sich die Reiterstürme der Allgemeinen SS von der Formation, die ich eben genannt habe?

REINECKE: Die Reiterstürme der Allgemeinen SS waren Sondereinheiten der Allgemeinen SS, ebenso wie zum Beispiel die Motorstürme der Allgemeinen SS. Sie hatten mit den späteren Kavallerieeinheiten der Waffen-SS überhaupt nichts zu tun; auch sind diese Kavallerieeinheiten der Waffen-SS nicht auf diesen Reiterstürmen aufgebaut worden.

RA. PELCKMANN: Hier in diesem Gerichtssaal ist ein grauenerregender Film über die Greuel in den KZs abgelaufen. Die Anklage behauptet hierzu, daß diese Zustände die Folge einer konsequenten Politik der SS gewesen seien.

Können Sie zu dieser Behauptung als hoher Richter Stellung nehmen? Hat das Gerichtswesen der SS von diesen Vorgängen Kenntnis bekommen? Und wenn ja, hat es dazu geschwiegen?

REINECKE: Von einer konsequenten Politik der SS im Hinblick auf die in diesem Film gezeigten Zustände kann keine Rede sein. Es sind in den Konzentrationslagern furchtbare Greueltaten begangen worden. Der Film aber zeigt die Auswirkung des totalen Zusammenbruchs des Deutschen Reiches auf die Konzentrationslager, stellt also nicht deren Normalzustand dar; dieser war ganz anders. Ich kann mir darüber ein Urteil zumessen, weil das Gerichtswesen der SS und Polizei mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln...

VORSITZENDER: Spricht der Zeuge über die Konzentrationslager aus persönlicher Erfahrung?

RA. PELCKMANN: Jawohl, Herr Präsident, er ist gerade dabei, das zu erläutern.

REINECKE: Ich kann mir hierüber deshalb ein Urteil erlauben, weil das Gerichtswesen der SS und Polizei mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln, und teilweise unter Überschreitung der eigenen Zuständigkeit gegen diese Greuel gerichtlich eingeschritten ist.

Wir haben in den Konzentrationslagern Untersuchungskommissionen gehabt, die mir wiederholt über die Zustände in diesen Lagern Bericht erstatteten. Wenn das Gerichtswesen der SS und Polizei in der Lage gewesen ist, gegen solche Zustände einzuschreiten, so nur deshalb, weil es sich hier eben nicht um eine konsequente Politik der SS handelt, sondern um verbrecherische Taten einzelner Personen und kleinerer Gruppen und einzelner höchstgestellter Vorgesetzten, nicht aber um die Taten der SS als Organisation. Um gegen diese Verbrechen anzukämpfen und um die SS von diesen verbrecherischen Elementen zu reinigen, ist das Gerichtswesen tätig geworden.

RA. PELCKMANN: Ich zitiere aus dem bereits von der Anklagebehörde überreichten Dokument der Anklage, E-168. Es handelt sich um einen Brief des SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamts – Amtsgruppe Konzentrationslager, Aktenzeichen D und so weiter. Ich zitiere... es handelt sich um eine Anweisung an die ersten Lagerärzte der Konzentrationslager.

VORSITZENDER: Was ist das für ein Dokument?

RA. PELCKMANN: Es handelt sich um ein von der Anklagebehörde bereits überreichtes Dokument E- 168, das sich auch findet in dem amtlichen Dokumentenbuch: Konzentrationslager.

VORSITZENDER: Ich kann den Buchstaben nicht verstehen. Ist es »D« wie David oder »G«?

DOLMETSCHER: E-168, E wie Emil 168.

VORSITZENDER: Wie ist die Beweisstücknummer?

RA. PELCKMANN: Ich bin leider im Moment nicht in der Lage, diese zu nennen, ich bitte um Entschuldigung.

Darin heißt es unter anderem:

»Mit einer derartig hohen Todesziffer kann niemals die Zahl der Häftlinge auf die Höhe gebracht werden, wie es der Reichsführer-SS befohlen hat. Die ersten Lagerärzte haben sich mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln dafür einzusetzen, daß die Sterblichkeitsziffer in den einzelnen Lagern wesentlich herabgehe. Nicht derjenige ist der beste Arzt in einem Konzentrationslager, der glaubt, daß er durch unangebrachte Härte auffallen muß, sondern derjenige, der die Arbeitsfähigkeit durch Überwachung und Austausch in den einzelnen Arbeitsstellen möglichst hoch hält.

Die Lagerärzte mußten öfter als bisher das Essen der Gefangenen überwachen und mit der Zustimmung der Verwaltung Verbesserungsvorschläge dem Lagerkommandanten unterbreiten. Dies dürfe natürlich nicht nur auf dem Papier erscheinen, sondern müsse regelmäßig durch die Lagerärzte überprüft werden, außerdem sollen die Lagerärzte dafür sorgen, daß die Arbeitsbedingungen an den verschiedenen Arbeitsplätzen soweit als möglich verbessert werden. Deshalb ist es notwendig, daß die Ärzte die Arbeitsplätze gründlich besichtigen und sich von den Arbeitsbedingungen überzeugen. Der Reichsführer-SS hat befohlen, daß die Sterblichkeit unbedingt geringer werden muß.«

VORSITZENDER: Dr. Pelckmann! Haben Sie nicht verstanden, daß wir nicht wünschen... können Sie hören?

RA. PELCKMANN: Ja.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat die Anklagebehörde darauf hingewiesen, daß er diese Dokumente, die bereits als Beweismaterial vorgelegt worden sind, nicht noch einmal zu hören wünscht, und jetzt verlesen Sie jedes einzelne Wort dieses Dokuments.

RA. PELCKMANN: Jawohl.

VORSITZENDER: Wenn Sie darüber eine Frage stellen wollen, so können Sie das bestimmt zusammenfassen, das muß doch möglich sein.

RA. PELCKMANN: Wissen Sie etwas davon, Herr Zeuge, ob solche Anweisungen in den Konzentrationslagern auch tatsächlich durchgeführt worden sind?

REINECKE: Die Untersuchungskommissionen des Hauptamtes SS-Gericht haben mir wiederholt in persönlichen Vortragen bestätigt, daß solche Anordnungen in den Konzentrationslagern auch in die Tat umgesetzt wurden. Sie haben mir berichtet, daß die Unterbringung, die hygienischen Verhältnisse, die ärztliche Versorgung, die Verpflegung und auch die Behandlung der Häftlinge zum großen Teil gut war, ebenso das körperliche Aussehen der Häftlinge. Sie haben ebenfalls bestätigt, daß die strengen Verbote gegen Mißhandlungen von Häftlingen wiederholt in den Lagern bekanntgemacht wurden und auch eingehalten wurden. Das Bild der Konzentrationslager im Normalzustand ist daher ein ganz anderes. Von außen her fällt auf die Sauberkeit, die reibungslose Abwicklung des Arbeitsprogramms. Wenn in den Konzentrationslagern Verbrechen begangen worden sind, so geschahen diese so, daß sie der Umwelt verborgen blieben und auch selbst von den Lagerinsassen, soweit sie daran nicht beteiligt waren, nicht wahrgenommen werden konnten.

VORSITZENDER: [zum Zeugen gewandt] Behaupten Sie, diesen Brief persönlich empfangen zu haben oder daß Ihnen diese Tatsachen vorlagen?

REINECKE: Ich habe von diesen Untersuchungskommissionen Berichte bekommen, die mir persönlich vorgelegt worden sind. Aus diesen Berichten war das zu entnehmen, was ich gerade gesagt habe.

VORSITZENDER: Also dann wußten Sie, daß im Dezember 1942 von 136000 Eingewiesenen 70000 im Konzentrationslager gestorben sind. Wußten Sie das nicht?

REINECKE: Nein, das ist mir nicht bekanntgewesen. Ich muß hier zur Ergänzung meiner Aussage anführen eine Antwort, die in einer späteren Frage kommen sollte, daß das Hauptamt SS-Gericht erst seit der zweiten Hälfte des Jahres 1943 mit diesen Untersuchungskommissionen zur Aufdeckung von Verbrechen in den Konzentrationslagern tätig geworden ist.

VORSITZENDER: Ich glaubte, Sie sagten in Beantwortung meiner Frage: »Diese Tatsachen waren mir bekannt.«

Setzen Sie fort, Dr. Pelckmann.

RA. PELCKMANN: Ich verweise in diesem Zusammenhang, um die Kenntnis des Hohen Gerichts zu ergänzen, auf mein Affidavit SS-65 bis 67, das im vollen Wortlaut, meinem Antrage gemäß, übersetzt worden ist. Es handelt... Es ist ausgestellt von einem Richter, der die Untersuchung geführt hat und viel weitergehende Einzelheiten berichtet.