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[Zum Zeugen gewandt:]

Wie stellte sich nun Himmler zu diesen Untersuchungen?

REINECKE: Bei Aufdeckung der Verbrechen in Buchenwald Ende dieses Jahres 1943 wurde Himmler sofort Bericht erstattet. Himmler wurde über das Weitergehen des Verfahrens laufend Bericht erstattet. Himmler legte eine sehr große Aktivität an den Tag. Er selbst befahl die strikte Durchführung der Untersuchungen. Nur mit seinen Vollmachten war es möglich, überhaupt die Tore der KZs zu überschreiten. Mitte des Jahres 1944 kommt plötzlich ein entgegengesetzter Befehl Himmlers. Er befiehlt als Gerichtsherr, mit dem Verfahren Koch haben alle gerichtlichen Untersuchungen in den Konzentrationslagern aufzuhören. Koch wäre zum Tode verurteilt und werde öffentlich vor den angetretenen Häftlingen erhängt. Pohl hätte die Erhängung persönlich zu leiten und an die angetretenen Wachmannschaften entsprechende Worte zu richten. Die anderen Täter hätten ihre Verbrechen freiwillig zu melden. Bei einer solchen freiwilligen Meldung würde er ihnen eine eventuelle Begnadigung zusichern.

Wer sich nicht rechtzeitig meldet, habe nur den Tod durch ein Gerichtsurteil zu erwarten. Gegen diesen Befehl Himmlers erhob der Chef des Hauptamtes SS-Gericht Widerspruch. Er erlangte keine endgültige Entscheidung Himmlers. Himmler duldete aber in Zukunft die weiteren Verfahren. Das Hauptamt SS-Gericht brachte den Fall Koch absichtlich in dieser Zeit noch nicht zum Abschluß, um die Möglichkeit zu haben, die weitere Ausdehnung der Ermittlungstätigkeit auf andere Lager vornehmen zu können, was auch gelang. Die auf Grund der Anweisung Himmlers schon zurückgezogenen Untersuchungskommissionen des Reichskriminalpolizeiamtes traten wieder in Tätigkeit, und es wurde von Herbst 1944 auf breiter Grundlage weiteruntersucht. Vollmachten, die wegen des dauernden Widerstandes von Pohl notwendig waren, erteilte der persönliche Richter des Reichsführers. An diesen konnte auch Pohl nicht vorbeigehen.

RA. PELCKMANN: Die Einzelheiten dieses dramatischen Spieles zwischen Pohl, Himmler und dem SS-Gericht schildert ebenfalls das Affidavit Dr. Morgen – die Affidavits des Dr. Morgen, Nummer 65 bis 67.

Sind Ihnen, Herr Zeuge, im Laufe dieser Untersuchungen Maßnahmen oder Befehle Hitlers oder Himmlers zur biologischen Ausrottung des Judentums bekanntgeworden?

REINECKE: Nein, wir haben weder solche Befehle jemals gesehen, noch ist es uns auf Grund unserer Untersuchungsarbeit gelungen, ihrer habhaft zu werden oder sie anderswie zur Kenntnis zu bekommen. Solch ungeheuerliche Befehle waren uns unvorstellbar. Uns gegenüber hatte Himmler stets nur sein ideales Gesicht gezeigt: Sauberkeit, Anständigkeit, Verbrechensbekämpfung um jeden Preis. Mir persönlich hat er Ende des Jahres 1943 in einem Vortrag ausführlich diese Grundsätze bestätigt. Daß hier ein System der Massenvernichtung vorliegen würde, auf diese Idee konnte nach den vorhandenen Umständen und dieser Situation niemand kommen. Wir haben in den Konzentrationslagern grauenerregende Zustände vorgefunden. Wir haben manche Dinge erfahren, die uns erschüttert haben. Aber dieser Gedanke war nicht vorhanden. Namen wie Höß und Eichmann sind in unseren Verfahren aufgetaucht. Gegen beide lief auch ein Verfahren, das bei Kriegsende noch in den Anfängen steckte. Höß und Eichmann waren uns aber Namen wie beispielsweise Müller oder Maier. Kein Mensch konnte eine Ahnung davon haben, daß hinter diesen Personen sich die Handlanger eines furchtbaren Ausrottungssystems verbargen. Als wir um die Jahreswende 1944/1945 annähernd an den eigentlichen Verbrechenskomplex in den Konzentrationslagern herankamen, nämlich daß Verbrechen auf Befehl begangen wurden, auch da erschien dieses Verteidigungsvorbringen von Pohl, Müller und Grawitz zunächst unglaubwürdig.

Denn wenn tatsächlich Befehle von oben vorgelegen hätten, die diese drei Personen ausgeführt haben, dann wäre es ihnen wohl ein leichtes gewesen, zu Himmler zu gehen, und die Ausschaltung des Gerichtswesens aus diesen Dingen zu erreichen.

So kam es, daß wir selbst trotz dieser erarbeiteten, mühsamen Ergebnisse keine justizmäßig einwandfreien Belege dafür hatten, daß Massenvernichtungen großen Stiles – gar nicht zu denken an die biologische Ausrottung des Judentums – vorgenommen worden seien und wir nach wie vor die Verbrechen, allerdings in erschreckendem Umfange und erschreckender Vielzahl, aber von dem Standpunkt des Einzelverbrechens aus, untersuchten.

RA. PELCKMANN: Es gibt eine Broschüre, eine Schrift, herausgegeben von der amerikanischen CIC- Zentrale. Verfasser ist ein Oberst Quinn. Sie heißt: SS – Dachau. Ich kann sie dem Hohen Gericht im Moment leider nicht vorlegen, da ich sie wieder abgeben mußte. Sie befindet sich in der Bibliothek und ist allgemein bekannt. In ihr ist eine Aussage eines Häftlings anonym gekennzeichnet...

VORSITZENDER: Sie hätten ein Exemplar dieses Dokuments nehmen sollen. Sie können weder sagen noch bezeugen, was das Dokument bedeutet, wenn Sie es nicht vorlegen können. Daß es der Bibliothek zurückerstattet werden mußte, ist kein Grund, warum Sie es nicht haben. Man hätte nichts dagegen gehabt, wenn Sie ein Exemplar mitgebracht hätten.

RA. PELCKMANN: Darf ich versuchen, sie nach der Pause zu bringen, Herr Präsident?

VORSITZENDER: Ja, wenn Sie wollen.

RA. PELCKMANN: In dieser befindet sich der Abdruck einer Aussage eines anonymen...

VORSITZENDER: Wir wollen nicht wissen, was sie enthält. Wir nehmen Ihre Ausführungen über ihren Inhalt nicht an.

RA. PELCKMANN: Ich werde diese Frage dann zurückstellen.