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[Zum Zeugen gewandt:]

Vor diesem Tribunal, Herr Zeuge, ist der Beweis erbracht worden, daß in den Gaskammern von Auschwitz und anderswo Millionen von Juden gemordet wurden. Sie dagegen haben in Ihren Untersuchungen festgestellt, daß Einzelpersonen und ein kleiner Personenkreis die von Ihnen geschilderten Verbrechen begangen haben. Ist es nach Ihrer Erkenntnis möglich, daß dieser gleiche, verhältnismäßig kleine Personenkreis auch für diese Millionenvernichtungen verantwortlich ist?

REINECKE: Aus den Untersuchungen des Hauptamtes SS-Gericht, vor allem aus dem Schlußstand dieser Untersuchungen kurz vor Kriegsende, muß entnommen werden, daß Einzelpersonen und ein kleiner Personenkreis auch für diese Dinge ausschließlich in Frage kommen; sonst hätten diese ungeheuerlichen Dinge dem Gerichtswesen solange nicht verborgen bleiben können.

RA. PELCKMANN: Haben Sie aus Ihrer Unterhaltung mit dem Dr. Morgen weitere Kenntnis erhalten, die diese Vermutungen unterstützten?

REINECKE: Dr. Morgen war ein Richter vor mir, der die ganzen Jahre zum Reichskriminalpolizeiamt abgestellt war, um von dort aus die Untersuchungen in den Konzentrationslagern durchzuführen. Dr. Morgen hat ein umfassendes Wissen. Er hat, wie ich heute weiß, mit den Organen der Vernichtung, dieser Massenvernichtung, selbst gesprochen und hat einen tiefen Einblick in alle diese Dinge. Er beweist die Tatsache, daß der Ursprung der Judenvernichtung nicht in der SS zu suchen ist, sondern in der Kanzlei des Führers.

VORSITZENDER: Dr. Pelckmann! Ich glaube, Sie wollten zwei Affidavits von Dr. Morgen vorlegen, nicht wahr?

RA. PELCKMANN: Drei sogar, Herr Präsident.

VORSITZENDER: Gut, drei; sogar fünf, wenn Sie wollen. Aber dieser Zeuge kann uns nicht erzählen, was Dr. Morgen sagt. Dr. Morgen muß aus diesen Affidavits für sich selbst sprechen.

RA. PELCKMANN: Ich bitte, mir dann zu erlauben, das beim Vortrag der Affidavits noch auszuführen.

[Zum Zeugen gewandt:]

Die Anklage behauptet aber, daß es sich nicht um Taten einzelner handeln könne, sondern daß die konsequente Durchführung des Parteiprogramms in der Judenfrage eben zu diesen Verbrechen von Auschwitz führen mußte. Was können Sie aus Ihrer Kenntnis und aus Ihrer Erfahrung bei der Verbrechensbekämpfung dazu sagen?

REINECKE: Ich habe eben schon gesagt, daß Himmler der SS immer nur sein ideales Gesicht zeigte, und dieses ideale Gesicht war das, was der SS-Angehörige als Ausfluß des Parteiprogramms sah. Der Befehl Hitlers zur biologischen Ausrottung des Judentums, wie ich ihn heute kenne, ist ein krasser...

VORSITZENDER: Er hat das doch schon immer und immer wieder gesagt, daß Himmler der SS sein ideales Gesicht zeigte. Er hat es vorhin gesagt, das wissen Sie doch. Es genügt doch, wenn er es einmal sagt.

RA. PELCKMANN: Darf ich ihn fragen, Herr Präsident, wie er Stellung nimmt zu der Behauptung der Anklage, daß diese Dinge, nämlich die Vernichtung der Juden in Auschwitz, für die Masse der SS unmittelbar der Ausfluß sind der Grundsätze, die die SS gelernt hat?

VORSITZENDER: Wie kann er darüber aussagen? Er kann uns sagen, was er selbst sah und was er getan hat. Er hat uns überhaupt noch nicht gesagt, ob er jemals in den Konzentrationslagern war.

RA. PELCKMANN: Herr Zeuge! War Ihnen etwas über die Tätigkeit der »Einsatzgruppen« und »Einsatzkommandos« der Sipo und des SD im Osten bekannt, wie sie hier zur Sprache gekommen sind?

REINECKE: Davon war mir nichts bekannt. Ich wußte, daß sich die Sicherheitspolizei im Operationsgebiet des Ostraums befand und dort Sicherungsaufgaben durchführte. Das erschien mir als die Aufgabe der Sicherheitspolizei in diesem Einsatz. Andere Befehle sind im Gerichtswesen nie bekanntgeworden. Wir haben diese Dinge hier zuerst gehört.

RA. PELCKMANN: Bestand für die Angehörigen der Waffen-SS die Möglichkeit auszuscheiden, wenn sie mit gestellten Aufgaben oder gegebenen Befehlen nicht einverstanden waren?

REINECKE: Eine solche Möglichkeit war überhaupt nicht vorhanden. Der Dienst in der Waffen-SS war Wehrdienst, gesetzlich anerkannt und gesetzlich geregelt. Auch bei den Angehörigen der Waffen-SS, die freiwillig eingetreten waren, hatte sich diese Freiwilligkeit später durch das Wehrdienstverhältnis zu einem unabdingbaren Zwangsverhältnis verwandelt. Ausscheiden aus der Waffen-SS wäre daher nur möglich gewesen über die Fahnenflucht, wobei der Fahnenflüchtige alle Folgen des Gesetzes auf sich zu nehmen hat.

RA. PELCKMANN: Die Anklagebehörde behauptet, daß die verbrecherische Tätigkeit der SS so weitgehend war und sich auf so viele Fälle und Ungesetzlichkeiten bezog, daß ihre Ungesetzlichkeit nicht verborgen bleiben konnte vor den Mitgliedern der SS. Ist das richtig?

REINECKE: Die SS war keine Einheit. Ich habe die verschiedenen Organisationen der SS bereits beschrieben. In die einzelnen Organisationen hatte der SS-Angehörige keinen Einblick. Er sah seine Allgemeine SS und seine Waffen-SS, in der solche Verbrechen nicht begangen wurden. Er konnte daher nie des Glaubens sein, daß er einer verbrecherischen Organisation angehören würde. Er konnte von den hier festgestellten Verbrechen tatsächlich keine Ahnung haben.

RA. PELCKMANN: Euer Lordschaft! Ich habe zum Schluß, wenn es mir genehmigt wird, noch eine Frage an den Zeugen, weil er bei der Zusammenstellung von Affidavits beschäftigt war mit einem bestimmten Mitarbeiterstab. Wenn das Hohe Gericht Wert darauf legt festzustellen, wie die Sammlung dieser Affidavits und die Auswertung zustandegekommen ist, dann kann dieser Zeuge darüber Auskunft geben. Ich frage...

VORSITZENDER: Gut, Sie können ihn fragen.

RA. PELCKMANN: Es sind 136213 Affidavits ausgewertet worden, die in mehreren Aktenbänden auf Formularen eingetragen sind. Und dazu ist eine Übersicht der verschiedenen Sachgebiete sowie eine zahlenmäßige Zusammenstellung der Affidavits in den einzelnen Sachgruppen vorgenommen.