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[Zum Zeugen gewandt:]

Herr Zeuge! Wer hat die Auswertung vorgenommen?

REINECKE: Die Auswertung ist unter meiner Leitung vorgenommen worden von 15 zum Richteramt befähigten SS-Internierten. Ausgewertet wurden zirka 170000 eingereichte Erklärungen. Davon sind 136213 eidesstattliche Versicherungen und Zeugenschaftsanträge zu einer Dokumentensammlung zusammengestellt worden. Der Rest sind bloße Bitten um Vernehmung und so weiter. Diese 136000 Erklärungen sind in der zusammengestellten Dokumentenmappe aufgeteilt in verschiedene Teilgebiete, die die Beantwortung von Fragen der Verteidigung von gegen die SS erhobenen Vorwürfen darstellt.

RA. PELCKMANN: Wo haben Sie diese große Anzahl von Affidavits herbekommen?

REINECKE: Die Affidavits kamen vornehmlich aus den Lagern der Amerikanischen Zone und der Englischen Zone, zum geringeren Teil aus der Französischen Zone, überhaupt keine Affidavits aus der Russischen Zone und aus Österreich.

RA. PELCKMANN: Wie sind Sie bei der Durchsicht und Einordnung der Affidavits vorgegangen?

REINECKE: Ich habe das gerade schon in großen Zügen erläutert.

RA. PELCKMANN: Ja, wir brauchen es nicht mehr im einzelnen. Danke schön. Ist die Auswahl und Auswertung...

VORSITZENDER: Dr. Pelckmann! Wie ich der Aussage des Zeugen entnehme, wurden 170000 Erklärungen ausgewertet, und irgendwie hat man von diesen 170000 Erklärungen 136000 Affidavits bekommen. Schön, wie hat man sie bekommen? Der Gerichtshof würde das gerne wissen. Vor wem wurden sie beschworen?

RA. PELCKMANN: Das kann der Zeuge erklären, Euer Lordschaft.

REINECKE: Diese 170000 Affidavits sind von internierten SS-Angehörigen beschworen. Von dieser Gesamtsumme von 170000 sind 136213 von meinen Mitarbeitern tatsächlich verwertet worden. Die übrigbleibenden Affidavits wurden nicht verwertet, weil sie zum Teil unerheblich sind und zum Teil nicht frist- und formgerecht eingereicht waren.

VORSITZENDER: Sie meinen, alle 170000 waren beschworene Affidavits?

RA. PELCKMANN: Vor wem, Herr Zeuge, vor wem?

REINECKE: Diese 170000 Affidavits waren teilweise nicht beschworen. Die 136000 Affidavits sind alle beschworen. Wir kannten den Beschluß des Hohen Gerichts, daß eine Beschwörung vor einem deutschen Anwalt nur dann Gültigkeit habe, wenn sie vor dem Mai dieses Jahres stattgefunden habe, und daß eine Beschwörung nach dem Mai dieses Jahres vor einem alliierten Offizier habe stattfinden müssen. Dies ist teilweise, aber nicht in allen Lagern geschehen. Es sind auch nach dem Mai 1946 Affidavits noch vor Anwälten und Gerichten beschworen worden. Diese mußten daher nach den Bestimmungen des Hohen Gerichts als ungültig ausgeschieden werden; deshalb blieb nur die Zahl von 136000 Affidavits übrig.

RA. PELCKMANN: Ist die Auswahl und Auswertung nach dem Gesichtspunkt vorgenommen worden, nur die zum Zwecke der Verteidigung der SS günstigen Affidavits zu werten?

REINECKE: Nein, es sind alle Affidavits in vollem Umfange ausgewertet worden.

RA. PELCKMANN: Wie kommt es, daß zu einzelnen Sachpunkten viele Tausende von Erklärungen vorhanden und ausgewertet sind, während zu anderen Punkten nur einzelne in dem Verzeichnis enthalten sind?

REINECKE: Aus der Masse der abgegebenen Affidavits ist klar zu erkennen, daß die Masse der SS-Angehörigen der Anklage ohne Verständnis gegenübersteht. Sie können sich nicht vorstellen, um ein Beispiel zu nennen, daß sie in einer Verschwörung tätig gewesen sind; sie können sich nicht vorstellen, daß sie einen Angriffskrieg vorbereitet haben. Deshalb sagten die SS-Angehörigen nur aus über das, was ihnen aus ihrer Tätigkeit in der SS als typisch erscheint, der Frontsoldat zum Beispiel über Erlebnisse an der Front, der Mann der Allgemeinen SS über die Art seines Dienstbetriebes in den Jahren von 1933 bis 1939.

RA. PELCKMANN: Um ein Beispiel zu geben: Wenn zum Beispiel – das Hohe Gericht wird es dann an den Affidavits erkennen können – unter Ziffer IV, arabisch 1 bis 9 nämlich – Frage: War die Schikane in den Konzentrationslagern verboten? – Wenn über diesen Punkt nur zwei Erklärungen vorliegen, bedeutet das dann, daß nur zwei von Hunderttausenden von SS-Angehörigen dieses Verbot bestätigen können, und alle anderen, was wichtig wäre, das Gegenteil wissen?

REINECKE: Nein, das bedeutet es gerade nicht; die befragten SS-Angehörigen können über diesen Punkt keine Angaben machen, weil sie davon eben auch nichts wissen. Sie können es deshalb weder nach der negativen noch nach der positiven Seite bestätigen. Sie gehen deshalb darüber hinweg, ohne Angaben zu machen.

RA. PELCKMANN: Haben Sie nach Ihren Kenntnissen über die verschiedenen Teile der SS und deren Tätigkeiten sowie über die Einstellung der Masse der SS-Männer den Eindruck, daß diese Auswertung der rund 136000 Affidavits ein durchschnittliches Wissen der Masse der SS-Männer darstellt, obwohl doch die Gesamtstärke der SS erheblich höher ist als 136000?

REINECKE: Es muß hierbei beachtet werden, daß die meisten Männer und Unterführer, die die Masse darstellen, zur Zeit der Abgabe der Affidavits schon entlassen waren. Weiter muß beachtet werden, daß in vielen Lagern viele technische Schwierigkeiten vorlagen, auch daß in vielen Lagern die Befragung nach den Beweisthemen nicht einheitlich war.

Hinzu kommt, daß aus der Russischen Zone und aus Österreich Meinungskundgebungen überhaupt fehlen. Trotz dieser erheblichen Mängel glaube ich, auf Grund meiner Kenntnis der typischen Tätigkeit der SS sagen zu können, daß das Gesamtbild dieser Affidavits als typisch für die SS angesehen werden kann.

RA. PELCKMANN: Euer Lordschaft! Ich habe an diesen Zeugen keine Fragen mehr.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird eine Pause machen.