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[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Wollen Sie bitte Ihren vollen Namen angeben. Können Sie jetzt hören?

ZEUGE WALTER VON BRAUCHITSCH: Walter von Brauchitsch.

VORSITZENDER: Bitte sprechen Sie mir diesen Eid nach: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzufügen werde.«

[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]

VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

DR. LATERNSER: Herr Feldmarschall! Welche Dienststellung haben Sie zuletzt bekleidet?

VON BRAUCHITSCH: Oberbefehlshaber des Heeres.

DR. LATERNSER: Während welchen Zeitraumes waren Sie Oberbefehlshaber des Heeres?

VON BRAUCHITSCH: 1938 bis 1941.

DR. LATERNSER: Sie wurden am 4. Februar 1938 Nachfolger des Generaloberst von Fritsch in der Stellung als Oberbefehlshaber des Heeres. Hat Fritsch Sie bei Ihrer Amtsübernahme über die von Hitler in der Besprechung vom 5. November 1937 geäußerten Absichten unterrichtet?

VON BRAUCHITSCH: Nein.

DR. LATERNSER: Hat Sie etwa Hitler selbst über diese Absichten orientiert?

VON BRAUCHITSCH: Nein.

DR. LATERNSER: Oder hat Sie Generaloberst Beck, der damalige Generalstabschef des Heeres, darüber orientiert?

VON BRAUCHITSCH: Nein, auch nicht.

DR. LATERNSER: Bei Bestehen solcher Pläne wäre Ihre Orientierung bei der Übernahme der Dienststellung des Oberbefehlshabers des Heeres erforderlich gewesen?

VON BRAUCHITSCH: Nach meiner Auffassung, sicher.

DR. LATERNSER: Wann haben Sie von dem Inhalt der Besprechung vom 5. November 1937 Kenntnis erhalten?

VON BRAUCHITSCH: Erst hier in Nürnberg.

DR. LATERNSER: Sind Sie als Oberbefehlshaber des Heeres vor der Besetzung Österreichs von Hitler gehört worden?

VON BRAUCHITSCH: Nein.

DR. LATERNSER: Bestand ein Plan für ein militärisches Eingreifen gegen Österreich?

VON BRAUCHITSCH: Nein, mir jedenfalls ist nichts bekannt.

DR. LATERNSER: Kam das Eingreifen überraschend für Sie?

VON BRAUCHITSCH: Es kam für mich vollkommen überraschend. Ich bin nicht, wie der Zeuge Gisevius angibt, aus einer Sitzung herausgerufen worden. Ich war überhaupt nicht in Berlin, sondern auf Dienstreise abwesend. Erst nach meiner Rückkehr habe ich von den befohlenen Anordnungen erfahren.

DR. LATERNSER: Waren Sie damals nicht bedenklich?

VON BRAUCHITSCH: Ich fürchtete den Bruderkampf, und ich fürchtete ferner, daß aus diesem Eingreifen weitere Konflikte sich ergeben würden.

DR. LATERNSER: Hat Sie Papen nicht in der Reichskanzlei im Laufe des 11. März 1938 getroffen und Sie beglückwünscht, nachdem der Einmarschbefehl im Laufe des 11. März wieder zurückgenommen worden war?

VON BRAUCHITSCH: Die Zurücknahme des Einmarschbefehls hatte ich sehr begrüßt. Ich war in der Reichskanzlei, und es ist sehr wohl möglich, daß Papen mich dabei beglückwünscht hat.

DR. LATERNSER: Sind Sie vor der Besetzung des Sudetenlandes zu den politischen Dingen gehört worden?

VON BRAUCHITSCH: Nein, niemals.

DR. LATERNSER: Bestand in diesem Falle ein Plan für ein militärisches Eingreifen?

VON BRAUCHITSCH: Für Österreich?

DR. LATERNSER: Nein, für Besetzung des Sudetenlandes.

VON BRAUCHITSCH: Nein, auch nicht.

DR. LATERNSER: Haben Sie nicht vor Ablauf der Sudetenbesetzung Feldmarschall Keitel gebeten, seinen ganzen Einfluß dafür einzusetzen, daß auf keinen Fall über die vereinbarten Linien hinausgegangen werden dürfe?

VON BRAUCHITSCH: Das trifft zu.

DR. LATERNSER: Der Zeuge Gisevius hat hier ausgesagt, Generaloberst Beck habe seit Mai 1938 die Geschäfte des Generalstabschefs nicht mehr geführt. Stimmt das?

VON BRAUCHITSCH: Das ist ein Irrtum. General Beck hat bis zum 1. September 1938 die Geschäfte des Chefs des Generalstabs voll und ganz geführt.

DR. LATERNSER: Generaloberst Beck hat eine Denkschrift verfaßt, die hier schon erörtert worden ist, auf die ich deswegen nicht mehr eingehen will. In dieser Denkschrift hat er sich gegen die Sudetenbesetzung ausgesprochen und vor einem Zweifrontenkrieg gewarnt. Was haben Sie mit dieser Denkschrift unternommen?

VON BRAUCHITSCH: Ich hatte sehr ernste Bedenken gegen eine Politik, die mit militärischen Maßnahmen unterstützt wurde. Generaloberst Beck hatte eine Denkschrift aufgestellt, in der er kurz militärisch zu dem Ergebnis kam, daß ein Krieg im Herzen Europas zu einem Weltkonflikt führen würde. Da ich diese Gedanken für unbedingt grundlegend hielt, nahm ich Gelegenheit, sie den Kommandierenden Generalen vorzutragen. Diese hatte ich zu anderem Zwecke – es handelte sich um Besprechung innerer Fragen des Heeres – nach Berlin befohlen. Ich habe anschließend jeden einzelnen um seine Auffassung gefragt. Wir haben einstimmig den Gedankengängen zugestimmt. Diese Denkschrift bekam nachher Hitler. Es kam darüber zu einer erregten Auseinandersetzung, indem er mir dem Sinne nach sagte unter anderem, er wisse alleine, was er zu tun habe.

DR. LATERNSER: Wann war das ungefähr?

VON BRAUCHITSCH: Das ist gewesen Ende Juli, in der zweiten Hälfte Juli 1938.

DR. LATERNSER: In welchem Zusammenhang ist Generaloberst Adam verabschiedet worden?

VON BRAUCHITSCH: Im August hatte beim Führer eine Besprechung mit Generalstabsoffizieren, die er befohlen hatte, stattgefunden. Bei dieser Besprechung hatte der Chef des Generals Adam, der damals Gruppenbefehlshaber in Wiesbaden war, ähnliche Gedankengänge geäußert wie in der Denkschrift. Er hatte damals sich auf seinen Befehlshaber berufen. Dies war der erste Anstoß zur Verabschiedung, die aber erst im Oktober 1938 nach einem Vortrag des Generals Adam erfolgte. Es handelte sich dabei um eine Reise zur Besichtigung des Westwalls, bei der General Adam seine Auffassung zum Ausdruck brachte.

DR. LATERNSER: Welche militärischen Vorbereitungen haben Sie vor der Besetzung der Tschechoslowakei angeordnet?

VON BRAUCHITSCH: Von mir aus sind überhaupt keine Anordnungen ausgegangen. Hitler hatte damals befohlen, daß die Truppen der umliegenden Wehrkreise in erhöhter Bereitschaft zu halten wären.

DR. LATERNSER: Bestand ein militärischer Plan für die Besetzung der Tschechoslowakei?

VON BRAUCHITSCH: Ein Plan hat nicht bestanden. Es ist nur das, was von Hitler nachher befohlen war, in die Tat umgesetzt worden.

DR. LATERNSER: Nun spitzte sich die Lage allmählich zu. Haben Sie im Laufe des Jahres 1939 Hitler vor einem Kriege gewarnt?

VON BRAUCHITSCH: Auf Grund der Anordnungen, die in der Polenfrage gegeben worden waren. Ich hatte sehr ernste Bedenken, daß wir gegen den Willen von Hitler und des deutschen Volkes in einen Krieg hineinschlittern könnten. Aus diesem Grunde habe ich im Juli 1939 in einem Vortrag bei Hitler allein noch einmal auf die Denkschrift hingewiesen. Ich habe ferner zum Ausdruck gebracht, daß Hitler die ganzen Errungenschaften, die er auf friedlichem Weg erreicht hatte, aufs Spiel setzen würde. Hitler ließ sich auf keine Diskussion ein, wie er dies meistens nicht tat, sondern antwortete mir nur, das wäre eine Angelegenheit der politischen Führung, die mich nichts anginge.

DR. LATERNSER: Hatten Sie damals nicht auch ein Gespräch mit Lutze, dem damaligen Stabschef der SA?

VON BRAUCHITSCH: Ich habe mit dem Stabschef der SA mich unterhalten und in dieser Unterhaltung dieselben Bedenken zum Ausdruck gebracht, die ich Ihnen deshalb nicht zu wiederholen brauche.

Der Stabschef Lutze teilte meine Auffassung. Ich hatte das getan in der Hoffnung, daß er gelegentlich diese Auffassung beim Führer zum Ausdruck bringen würde.

DR. LATERNSER: Herr Feldmarschall! Haben Sie in dieser Spannungszeit Fühlung mit dem Auswärtigen Amt gehabt?

VON BRAUCHITSCH: Nein, denn das Auswärtige Amt hatte Verbot, das Oberkommando des Heeres irgendwie zu orientieren.

DR. LATERNSER: Mit anderen politischen Spitzenstellen?

VON BRAUCHITSCH: Auch nicht.

DR. LATERNSER: Die Besprechung am 23. Mai 1939 ist von besonderer Wichtigkeit. Hatten Sie damals den Eindruck, daß der Krieg eine beschlossene Sache sei?

VON BRAUCHITSCH: Nein, und zwar sind es eine ganze Reihe von Umständen und Tatsachen, die in mir den klaren Eindruck erhielten, daß es sich nicht um eine Kriegsabsicht handelte. Ich darf darauf hinweisen, daß seit dem Herbst 1938 Verhandlungen mit Polen liefen zur Bereinigung der schwebenden Fragen. Hitler hatte im Reichstag über dieses Problem gesprochen. Er hatte dabei zum Ausdruck gebracht, daß das die einzige noch zu bereinigende Frage wäre. Er hatte in den Reden vorher zum Ausdruck gebracht, daß der Aufbau der Wehrmacht nur zum Schutz der eigenen Heimat erfolge. Ende Dezember 1938 oder in den ersten Tagen des Januar 1939 hatte das Oberkommando des Heeres folgenden Befehl vom Oberkommando der Wehrmacht erhalten: Das Heer habe bis zum Jahre 1945 den vorgesehenen planmäßigen Aufbau durchzuführen. Jede Vorbereitung für einen Aufmarsch oder für eine Operation wurde verboten.

In der Sitzung am 23. Mai 1939 sagte Hitler damals wörtlich: Ich müßte ein Idiot sein, wenn ich wegen Polen in einen Krieg schlittern würde wie die Unfähigen vom Jahre 1914! Er befahl hernach, daß die Aufrüstung in dem vorgesehenen Zeitmaß, also bis zu den Jahren 1942/1943 und so weiter laufen sollte. Das knüpfte für mich an den Befehl, den ich bekommen hatte am Anfang des Jahres an, und schließlich befahl er, daß Kommissionen eingesetzt werden sollten, um die anderen angeschnittenen Probleme zu prüfen. Dieser ganze Tatsachenkreis war für mich die klare Unterlage, es handele sich im Falle Polen auch nur um eine durch militärische Maßnahmen unterstützte Politik.

DR. LATERNSER: Haben Sie bei jener Besprechung am 23. Mai, von der Sie ja soeben gesprochen haben, auch Bedenken irgendwelcher Art vorgetragen?

VON BRAUCHITSCH: Es war keine Besprechung. Es war die Ansprache des Führers an die von ihm befohlenen Untergebenen. Eine Aussprache fand nicht statt.

DR. LATERNSER: Herr Feldmarschall! Ich glaube, daß Sie mich mißverstanden haben.

VON BRAUCHITSCH: Nein.

DR. LATERNSER: Ich frage Sie jetzt, ob Sie in der Besprechung vom 23. Mai Bedenken irgendwelcher Art vorgetragen haben?

VON BRAUCHITSCH: Es stimmt das, was ich gesagt habe.

DR. LATERNSER: War nun bis zu jenem Zeitpunkt, also Mai 1939, jemals vorher ein Angriffsaufmarsch gegen Polen bearbeitet worden?

VON BRAUCHITSCH: Nein, niemals.

DR. LATERNSER: Hatten Sie am 22. August 1939 noch die Hoffnung, daß es nicht zum Kriege kommen werde?

VON BRAUCHITSCH: Die bisher von mir erwähnten Gründe blieben unverändert bestehen. Es kam weiter hinzu aber, daß der Handelsvertrag mit der Sowjetunion nach der Auffassung von mir auf Polen dahin wirken würde, auf den Verhandlungsweg einzugehen. Es kam ferner hinzu, daß die Isolierung, von der Hitler gesprochen hatte, nach meiner Auffassung auch dazu führen müßte, um Polen bereit zum Verhandeln zu machen. Das Entscheidende war, daß Hitler ausdrücklich sagte, daß die Verhandlungen mit Polen weitergingen.

DR. LATERNSER: Was war überhaupt der Zweck dieser Ansprache am 22. August, so wie Sie ihn gesehen haben?

VON BRAUCHITSCH: Nach meiner Auffassung war diese Besprechung einmal eine Folge der Vorstellungen, die ich gegenüber Hitler erhoben hatte; zweitens war es nach meiner Auffassung die Absicht Hitlers, bei den befohlenen Führern das Vertrauen zu der von ihm geführten Politik zu bestärken und sie absolut von der Folgerichtigkeit seiner Absichten zu überzeugen.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt sich nunmehr.