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[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

[Der Zeuge von Brauchitsch im Zeugenstand.]

GERICHTSMARSCHALL: Hoher Gerichtshof! Der Angeklagte Heß ist abwesend.

DR. LATERNSER: Herr Feldmarschall! Wir waren in der Spannungszeit vor Kriegsausbruch stehengeblieben. Am 25. August 1939 wurde der erste Einmarschbefehl zurückgenommen. Ist Ihnen in jenen Tagen von Hitler eine Mitteilung gemacht worden, daß die Verhandlungen weitergingen?

VON BRAUCHITSCH: Er gab mir persönlich den Befehl zur Rücknahme des Einmarsches und sagte mir dabei, daß die Verhandlungen mit Polen im Gange wären.

DR. LATERNSER: Im Gegensatz zu den vorhergehenden Besetzungen fremder Gebiete waren aber die Vorbereitungen vor dem Polenfeldzug auf den Ernstfall abgestimmt? Hat Sie dieser Umstand zu dem Ergebnis geführt, daß es nun tatsächlich zum Krieg kommen werde?

VON BRAUCHITSCH: Nein, und zwar aus folgendem Grunde: Hitler hatte nach der Sudetenkrisis von den einzelnen militärischen Führern gehört, sie hätten die militärischen Vorbereitungen nicht als Ernst aufgefaßt, weil die Vorbereitungen in ihrem Umfange nicht der Schwere der Aufgabe entsprachen. Es ist aber selbstverständlich, daß, wenn man in politischen Verhandlungen mit militärischen Machtmitteln drohen will, diese den absoluten Eindruck des Ernstes sowohl bei dem Verhandlungspartner wie bei den eigenen Leuten erwecken mußten. Aus diesem Grunde war in der Polenfrage von Hitler mit allem Nachdruck auf die Vorbereitungen gedrungen worden, daß sie als ernsthaft anzusehen wären. Es kam aber noch ein zweites hinzu: Auf Befehl von Hitler war eine Zeittafel aufgestellt worden, auf der die einzelnen Abschnitte genau festgelegt waren. Es durfte nur auf seinen Befehl eine neue Phase angefangen werden. Auch hieraus war für mich ersichtlich, daß er die Vorbereitungen ganz dem Gange der politischen Verhandlungen anpassen wollte.

DR. LATERNSER: Wußten Sie bei Beginn des Polenfeldzuges, daß ein Abkommen mit der Sowjetunion über die Festlegung einer Demarkationslinie getroffen worden war?

VON BRAUCHITSCH: Nein, ich hatte keine Ahnung.

DR. LATERNSER: Nach Abschluß der kriegerischen Handlungen hatten Sie militärische Verwaltung in Polen vorgesehen. Warum kam es nicht dazu?

VON BRAUCHITSCH: Das Oberkommando des Heeres hatte die Vorbereitungen und Weisungen dahingehend getroffen, daß eine möglichst baldige Befriedung des besetzten Gebietes herbeigeführt werden sollte. Anfang Oktober erfuhr ich von Übergriffen gegen die Polen, die von Persönlichkeiten, die nicht dem Heere unterstanden, ausgegangen waren. Ich meldete dieses dem Oberkommando der Wehrmacht und nahm die nächste Gelegenheit wahr, um Hitler persönlich darüber Vortrag zu halten. Ich bat ihn, dafür zu sorgen, daß eine derartige Handlungsweise ein für allemal unterbunden würde. Hitler ging auf diesen Vortrag nicht weiter ein. Frank war ursprünglich vorgesehen, als Zivilkommissar zu dem Militärbefehlshaber von Polen zu treten. In der zweiten Hälfte Oktober wurde er mit der Gesamtverwaltung beauftragt. Das Heer gab seine Befugnisse ab.

DR. LATERNSER: Traten nach dem Feldzug gegen Polen nicht Spannungen zwischen OKH und Hitler ein? Welches waren die Gründe dafür?

VON BRAUCHITSCH: Es waren dauernd Auseinandersetzungen mit der Leitung der Partei. Sie bezogen sich auf die verschiedensten Punkte. Sie alle aufzuzählen, würde zu weit führen. Ich will nur zwei Dinge herausgreifen. Das eine betraf die Seelsorge, die ich unter allen Umständen im Heere aufrechterhalten wissen wollte. Das zweite war der Einfluß, den die Parteileitung beanspruchte auf das Beschwerdewesen. Das dritte war der Erlaß des Reichsführer-SS Himmler über die Heirats- und Frauenfrage, den ich mit einem Erlaß an das Heer beantwortete.

DR. LATERNSER: Nun einige Fragen zu der Zeit vor der Westoffensive. War vom Oberkommando des Heeres im Anschluß an den polnischen Feldzug eine Offensive gegen die Westmächte vorgesehen?

VON BRAUCHITSCH: Es war in keiner Weise eine Offensive vorgesehen. Auf Grund des vorhin genannten Befehls waren sämtliche Vorbereitungen verboten worden. Es waren auch infolgedessen für die Offensive keine besonderen Maßnahmen vorher getroffen worden. Die ganzen Anordnungen, die nach dem Polenfeldzug an die nach dem Westen kommenden Truppen ergingen, waren rein defensiver Natur.

DR. LATERNSER: Von wem ging dann später der Plan anzugreifen aus?

VON BRAUCHITSCH: Am 27. September 1939 gab Hitler seinen Entschluß, im Westen anzugreifen, bekannt und befahl die entsprechenden Vorbereitungen, die bis zum 12. November abgeschlossen sein sollten.

DR. LATERNSER: Welche Stellung haben Sie und das OKH zu diesem Plan eingenommen?

VON BRAUCHITSCH: England und Frankreich hatten an Deutschland den Krieg erklärt. Beide Mächte hatten den größten Schwächemoment Deutschlands im Monat September nicht ausgenutzt. Es war mir deshalb durchaus fraglich, ob sie jetzt, wo die Westfront täglich verstärkt wurde, zu einer Winteroffensive antreten würden. Darüber hinaus war es mir persönlich aber durchaus fraglich, ob die beiden Mächte ernsthaft entschlossen waren, den Krieg zu führen. Ich glaubte, nach dem Empfang, den Chamberlain nach dem Münchener Abkommen in London und Daladier in Paris erhalten hatten, daß in den betreffenden Völkern keine Neigung zu einem Kriege vorhanden sein würde. Die bisher von den Alliierten vorgenommenen Neutralitätsverletzungen glaubte ich, daß sie in den Augen der Welt nicht so ins Gewicht fallen würden. Mir waren seit dem Jahre 1914 die Folgen einer Neutralitätsverletzung in das Gedächtnis eingebrannt. Nach meiner Auffassung würde das auch in diesem Falle denjenigen treffen, der zuerst auf der Erde wirklich mit starken Kräften die Grenze überschritt. Wir haben im Oberkommando des Heeres sorgfältig die Frage geprüft, ob die Grenzüberschreitung aus Gründen der Erdoperation zuerst notwendig sei. Wir waren zu der Überzeugung gekommen, daß das nicht der Fall war, sondern daß wir, wenn es überhaupt notwendig war, im Nachzuge schlagen könnten.

DR. LATERNSER: Haben Sie Hitler darauf aufmerksam gemacht, daß mit einer Offensive im Westen die Länder Holland, Belgien und Luxemburg in die Kriegshandlungen hineingezogen würden?

VON BRAUCHITSCH: Ich habe die nächste Gelegenheit, wo ich Hitler allein sprach, nach dem 27. September 1939, benutzt, um ihm diese meine Auffassung vorzutragen. Er ging auf keine Diskussion ein, sondern blieb bei seiner bekannten Auffassung.

DR. LATERNSER: Haben Sie versucht, die Westoffensive zu verhindern?

VON BRAUCHITSCH: Ich war nach wie vor überzeugt, daß es möglich sein müsse, diesen ganzen Krieg politisch aus der Welt zu schaffen. Ich hielt es für einen Wahnsinn, daß Europa sich noch einmal wieder zerfleischen wollte, anstatt in gemeinsamer Arbeit friedensmäßig die Entwicklung vorzunehmen. Die Wehrmacht handelte nach dem Grundsatz: »Si vis pacem para bellum«. Der deutsche Soldat jeden Dienstgrades war dazu erzogen, seine Heimat zu verteidigen und sie zu schützen. Er dachte nicht an Eroberungskriege oder an die Ausdehnung deutscher Herrschaft über andere Völker. Es war mir klar, daß die gesamte Frage nur auf politischem Wege bereinigt werden konnte, wenn dazu der ernsthafte Wille vorhanden war. Jede politische Entwicklung braucht aber Zeit, und es kam mir nur darauf an, die Zeit für diese politischen Verhandlungen, auf die ich persönlich ja keinen Einfluß hatte, zu gewinnen.

Ich erbat deshalb am 5. November 1939 eine Rücksprache beim Führer. Da ich nicht mit politischen Gründen mehr kommen konnte, so mußte ich das auf rein militärische Gründe abstellen und tat dies mit dem Zustande des Heeres. Hitler hörte zunächst meine Ausführungen in Ruhe an. Er bekam dann einen Wutanfall, so daß jedes weitere Sprechen unmöglich war, und ich ging. Am Abend desselben Tages kam der Befehl zum Angriff für den 12. November. Dieser Befehl wurde dann am 7. November wieder aufgehoben.

DR. LATERNSER: Haben Sie nicht sogar den Vorwand des schlechten Wetters benutzt, um eine Aufschiebung zu erreichen?

VON BRAUCHITSCH: Ich habe darauf hingewiesen, daß, wenn wir überhaupt antreten müßten, daß das bei den ganz schwierigen Geländeverhältnissen nur bei einer längeren Dauer guten Wetters möglich sei und daß vor allem der Einsatz der Luftwaffe von einer längeren Dauer guten Wetters abhängig wäre.

DR. LATERNSER: Sie haben nach der Ansprache Hitlers an die Generale am 23. November 1939, wie hier schon häufig erörtert worden ist, Ihren Rücktritt angeboten. Wie kam das?

VON BRAUCHITSCH: Ich wurde am 23. November abends noch einmal zum Führer befohlen. In einer längeren Unterredung unter vier Augen erhob er nochmals die ganzen Vorwürfe gegen das Heer. Im Verlauf dieser Unterredung bot ich meinen Rücktritt an. Er lehnte das ab, indem er sagte, ich hätte meine Pflicht und Schuldigkeit zu tun wie jeder Soldat. Durch diese Vorgänge war ein Riß entstanden, der jetzt verklebt, aber nie geheilt worden ist.

DR. LATERNSER: Inwieweit waren Sie als Oberbefehlshaber des Heeres an dem Entschluß zur Besetzung von Norwegen und Dänemark beteiligt?

VON BRAUCHITSCH: Gar nicht.

DR. LATERNSER: Haben Sie an der Vorbereitung und Durchführung mitgewirkt?

VON BRAUCHITSCH: Nein.

DR. LATERNSER: Dann kam der Westfeldzug: Wie war zu jener Zeit Ihr Verhältnis zu Hitler?

VON BRAUCHITSCH: Wie vorhin schon erwähnt, war es schwierig. Im Laufe des Westfeldzugs gab es eine Reihe von größeren und kleineren Differenzen. Ich will nur eine herausgreifen. Es betrifft das das Anhalten der deutschen Panzer vor Dünkirchen, das zu einer schweren Differenz und Auseinandersetzung geführt hat. Dies hatte zur Folge, daß die Masse des Personals des englischen Expeditionskorps über den Kanal nach England rüberkommen konnte.

DR. LATERNSER: Sind von seiten des OKH nach Abschluß des Westfeldzugs Demobilmachungsmaßnahmen bearbeitet worden oder in Vorschlag gekommen?

VON BRAUCHITSCH: Es wurden damals zwei Maßnahmen getroffen. Es wurde eine Demobilmachungskommission eingesetzt, und es wurde zweitens an eine Anzahl von Generalen die Frage gestellt, ob sie nach Friedensschluß den Wunsch hätten, weiter im Heere zu verbleiben.

DR. LATERNSER: Wie war Ihre Mitwirkung an den Entschlüssen zum Eingreifen in Griechenland und Jugoslawien?

VON BRAUCHITSCH: An den Entschlüssen habe ich in keiner Weise mitgewirkt. Als ich mit dem Chef des Generalstabs, Generaloberst Halder, zum Führer befohlen wurde, empfing er uns mit den Worten: »Ich habe mich entschlossen, Jugoslawien niederzuschlagen« und führte dann die Gründe für seinen Entschluß aus, die, glaube ich, hier schon bekannt sind.

DR. LATERNSER: Bestand damals ein Plan für ein Eingreifen gegen Griechenland oder Jugoslawien?

VON BRAUCHITSCH: Nein, weder ein Plan noch irgendeine Vorbereitung, nicht mal Karten waren vorhanden.

DR. LATERNSER: Und wo mußten Sie überall die Divisionen herholen? Aus allen Teilen Deutschlands?

VON BRAUCHITSCH: Die Divisionen mußten aus allen Teilen Deutschlands und der besetzten Gebiete herangezogen werden.

DR. LATERNSER: Trifft die Behauptung des Feldmarschalls Paulus zu, daß die Besetzung des Balkans eine Vorbedingung des Feldzugs gegen die Sowjetunion gewesen wäre?

VON BRAUCHITSCH: Das ist ein Irrtum des Feldmarschalls Paulus. Die jugoslawische Frage war eine absolute Folge des dortigen Umsturzes, denn Jugoslawien war vorher ja erst dem Dreibund beigetreten, und sie war eine Folge der englischen Landung in Griechenland und der katastrophalen Lage der Italiener in Albanien.

DR. LATERNSER: Nun zum Ostfeldzug: Wie standen Sie zum Handelsabkommen mit der Sowjetunion?

VON BRAUCHITSCH: Wir hatten das Handelsabkommen im September 1939 mit der Sowjetunion freudig begrüßt. Wir sahen darin die Vorbedingung, daß nunmehr eine Periode des Mißtrauens beendet sei und daß darüber hinaus Deutschland die ihm im Herzen Europas zukommende Aufgabe der Brücke wieder aufnehmen könne.

DR. LATERNSER: Hat irgendein militärischer Führer den Gedanken angeregt, die Sowjetunion anzugreifen?

VON BRAUCHITSCH: Nein, niemals.

DR. LATERNSER: Wann hat Hitler Ihnen gegenüber zum erstenmal von der Möglichkeit gesprochen, daß ein Krieg mit der Sowjetunion in Frage käme?

VON BRAUCHITSCH: Im August 1940 machte er mir gegenüber eine Bemerkung, daß er Sorge habe, daß die Haltung Rußlands sich ändern könne. Ich habe daraufhin mit dem Chef des Generalstabs gesprochen und ihm gesagt, wir müßten uns die Unterlagen verschaffen, da wir in dieser Hinsicht bisher nichts getan hatten.

DR. LATERNSER: Waren denn Karten vorhanden?

VON BRAUCHITSCH: Weder Karten noch sonst etwas anderes. Im Monat September befahl Hitler dann, daß die Frage Rußland geprüft werden sollte. Nach meiner Auffassung war kein Entschluß zur Durchführung vorhanden, jedenfalls wurde er nicht geäußert. Die ganzen Arbeiten waren generalstabsmäßige Vorbereitungsbeziehungsweise Vorsichtsmaßnahmen, wie man sie überall in einem solchen Falle treffen muß.

DR. LATERNSER: Stand die von Ihnen nach dem Westfeldzug angeordnete Verlegung einiger Divisionen in das Generalgouvernement damit im Zusammenhang, also mit dem Beginn des Ostfeldzugs, oder welche Gründe waren für diese Verlegung maßgeblich?

VON BRAUCHITSCH: Die Verlegung der Divisionen war bereits vorher in die Wege geleitet. Sie hatte ganz andere Gründe. Die Sicherheit an der russisch- deutschen Demarkationslinie in Polen wurde in der Hauptsache vom Zolldienst ausgeübt. Zahllose Übertritte über die Grenze hatte er festgestellt. Der Zollgrenzschutz wurde an anderer Stelle dringend gebraucht. Die SS beabsichtigte, diesen Grenzschutz des Zolldienstes zu übernehmen. Sie wollte deshalb neue Verbände aufstellen. Das aber wollte ich verhindern, und aus diesen Gründen wurde bei Hitler die Verlegung von Divisionen nach dem Osten beantragt. Es kam hinzu, daß wir überhaupt Frankreich von den zahlreichen Divisionen, die dort lagen, entlasten wollten.

DR. LATERNSER: Hat das Oberkommando des Heeres in der Besprechung vom 3. Februar 1941 Bedenken gegen einen Krieg mit der Sowjetunion vorgebracht?