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[Pause von 10 Minuten.]

VORSITZENDER: Wünscht die Anklagevertretung ein Kreuzverhör?

OBERST TAYLOR: Zeuge Brauchitsch! Der Verteidiger für den Generalstab hat zwei Affidavits erwähnt. – Können Sie mich hören? – Kann mich der Zeuge hören?

VON BRAUCHITSCH: Geht jetzt.

OBERST TAYLOR: Der Verteidiger für den Generalstab hat zwei von Ihnen unterzeichnete Affidavits erwähnt. Hatten Sie Gelegenheit, Änderungen an den Affidavits vorzunehmen, ehe Sie sie unterzeichnet haben?

VON BRAUCHITSCH: Jawohl, die habe ich gehabt.

OBERST TAYLOR: Ich werde Ihnen eine Kopie des Originals des Affidavits Nummer 2 zeigen lassen. Haben Sie tatsächlich an den Affidavits vor deren Unterzeichnung Änderungen vorgenommen?

VON BRAUCHITSCH: Ich habe die Frage nicht verstanden.

OBERST TAYLOR: Haben Sie an den Affidavits Änderungen vorgenommen, bevor Sie sie unterzeichneten?

VON BRAUCHITSCH: Ich habe einige Änderungen vorgenommen.

OBERST TAYLOR: Wollen Sie bitte in dem Ihnen soeben übergebenen Affidavit den letzten Satz ansehen? Ist dieser Satz...

VON BRAUCHITSCH: Von welchem Teil?

OBERST TAYLOR: Den allerletzten Satz auf Seite 2. Ist dieser letzte Satz vollkommen in Ihrer eigenen Handschrift geschrieben?

VON BRAUCHITSCH: Jawohl.

OBERST TAYLOR: Wollen Sie bitte diesen letzten Satz vorlesen? Den letzten Satz in Ihrer eigenen Handschrift, bitte.

VON BRAUCHITSCH: »In der Hand der in der Skizze aufgeführten Dienststellen lag die tatsächliche Führung der Wehrmacht.«

OBERST TAYLOR: Ist dieser Satz so richtig, wie Sie ihn geschrieben haben?

VON BRAUCHITSCH: In Ergänzung dessen, was ich vorhin gesagt habe: Ich hatte darauf hingewiesen, daß die Skizze mißverständlich sein könnte, worauf mir erklärt wurde, daß das bekannt wäre. Ich habe deshalb die Skizze darauf bezogen, auf die Dienststellen der Hierarchie.

OBERST TAYLOR: Die Skizze ist dem von Ihnen gezeichneten Affidavit beigeschlossen, und der letzte von Ihnen verlesene Satz lautet: »In der Hand der in der Skizze aufgeführten Dienststellen lag die tatsächliche Führung der Wehrmacht.« Gibt es kein Mißverständnis oder eine Einschränkung dieses Satzes?

VON BRAUCHITSCH: Herr General! Insofern nur, als ich darauf hingewiesen habe, daß in der Skizze die einzelnen Teile der Stäbe nicht so, wie sie gezeichnet sind, hineingehören, sondern unmittelbar, und daß eigentlich hinzugehören die ganzen anderen Teile der Arbeitsstäbe auch.

OBERST TAYLOR: Herr Vorsitzender! Bezüglich der Fragen über die Ostfront halte ich mir vor Augen, daß der nächste Zeuge, von Manstein, an der Ostfront tätig war und bis 1944 dort blieb, während der Zeuge von Brauchitsch im Jahre 1941 in den Ruhestand trat. Die Anklagevertretung zieht daher vor, Fragen über dieses Thema an den nächsten Zeugen, von Manstein, zu richten. Fragen über den Angriffskrieg stützen sich fast völlig auf die dem Gerichtshof seit langem vorliegenden Dokumente. Die Amerikanische Anklagevertretung glaubt nicht, daß mit der Vorlage dieser Dokumente an den Zeugen etwas erreicht würde. Das ist Sache der reinen Argumentation, die zu geeigneter Zeit vorgebracht werden wird. Demgemäß hat die Amerikanische Anklagevertretung an diesen Zeugen keine weiteren Fragen.

VORSITZENDER: Haben andere Hauptanklagevertreter Fragen zu stellen?

GENERALMAJOR G. A. ALEXANDROW, HILFSANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Herr Zeuge! Sie haben heute hier vor dem Gerichtshof erklärt, daß ein Plan für einen Angriff auf die Tschechoslowakei nicht bestand, jedenfalls war Ihnen davon nichts bekannt. Habe ich Sie richtig verstanden?

VON BRAUCHITSCH: Ja.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: War Ihnen denn der Fall »Grün« nicht bekannt?

VON BRAUCHITSCH: Der Fall »Grün« war mir bekannt. Er bezieht sich aber auf etwas ganz anderes. Der Plan »Grün« ist bereits vorher aufgestellt worden in dem Gedankengang, daß ein gemeinsamer Angriff Frankreichs und der Tschechoslowakei auf Deutschland erfolgen solle. So waren damals diese Fragen vor meiner Zeit bearbeitet worden. Ich selber habe den Fall »Grün« nicht im einzelnen gekannt.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Aber der Fall »Grün« hat doch die Eroberung der Tschechoslowakei vorgesehen, nicht wahr? Ich wiederhole, der Fall »Grün« hat die Eroberung der Tschechoslowakei vorgesehen?

VON BRAUCHITSCH: Soweit ich den Fall »Grün« kenne, war es nur im Zusammenhang eines Angriffes, einer Kriegserklärung Frankreichs und der Tschechoslowakei an Deutschland. Etwas anderes...

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Dann möchte ich Sie in diesem Zusammenhang an ein anderes Schriftstück erinnern. Es ist ein Erlaß Hitlers vom 30. Mai 1938, dessen erste Abschrift Ihnen als Oberbefehlshaber des Heeres übermittelt wurde. Dieser Erlaß wurde zu dem Zweck der Verwirklichung des Falles »Grün« herausgegeben. Ich werde Punkt 1 aus dem zweiten Teil dieses Erlasses verlesen:

»Es ist mein unabänderlicher Entschluß, die Tschecho slowakei in absehbarer Zeit durch eine militärische Aktion zu zerschlagen.« (388-PS.)

Haben Sie diese Weisung gekannt?

VON BRAUCHITSCH: Diese Weisung kenne ich.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Bestand demnach eigentlich ein Plan für die Eroberung der Tschechoslowakei oder nicht?

VON BRAUCHITSCH: Ich verstehe den Sinn der Frage nicht.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich frage Sie, ob tatsächlich ein solcher Plan zur Eroberung der Tschechoslowakei bestand, oder war kein derartiger Plan vorhanden?

VON BRAUCHITSCH: Im Mai 1938 ist dieser Gedanke von Hitler mir zum ersten Male mitgeteilt worden. Man muß aber dabei berücksichtigen, daß Hitler, wie ja allgemein bekannt ist, immer in sehr starken Ausdrücken sprach, und es war für einen außerordentlich schwer, aus seinen Ansprachen den eigentlichen Willen Hitlers zu erkennen.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Die nächste Frage: Herr Zeuge! Sagen Sie bitte, auf welche Weise erfuhren Sie von den Unterredungen General Wagners mit dem Chef der Sicherheitspolizei und des SD, Heydrich? Wieso erfuhren Sie davon?

VON BRAUCHITSCH: Durch Meldung des Generals Wagner.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Unterstand General Wagner Ihnen?

VON BRAUCHITSCH: Er unterstand dem Chef des Generalstabs und insofern mir.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Demnach fanden die Besprechungen zwischen General Wagner und Heydrich mit Ihrem Wissen statt?

VON BRAUCHITSCH: Es ist mir nachträglich gemeldet worden.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Sie behaupten also, es sei Ihnen weder die Taktik bekanntgewesen, die als Ergebnis dieser Übereinkunft für die Einsatzgruppen der Polizei festgelegt wurde, noch die Tatsache, daß der SD sehr eng mit der Wehrmacht zusammenarbeitete? Behaupten Sie das?

VON BRAUCHITSCH: Ich wiederhole das, was ich vorhin ausgesagt habe. Es war vom Oberkommando der Wehrmacht befohlen worden, daß von der SS, vom Reichsführer-SS, Kommandos eingesetzt würden, die die Vorbereitungen treffen sollten, um die Überführung der Staaten in politische Staaten vorzubereiten. Etwas anderes ist mir niemals bekanntgeworden. Der General hat mir darüber nichts gemeldet. Ich habe auch sonst keinerlei Meldung von der Art jemals erhalten. Wenn ich sie erhalten hätte, würde ich, genauso wie im Fall Polen, dagegen eingeschritten sein und hätte nicht irgendwie zugesehen, wenn ich davon Kenntnis gehabt hätte.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Und Sie wußten nicht, daß diese Einsatzkommandos mit den Kommandos der Wehrmacht eng zusammenarbeiteten?

VON BRAUCHITSCH: Nein, sie haben mit den Kommandos der Wehrmacht, des Heeres, nicht zusammengearbeitet.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich möchte Ihnen jetzt einen Auszug aus dem Dokument L-180, US-276, vorlesen; es ist ein Bericht der Einsatzgruppe des SD vom 15. Oktober 1941. In dem Bericht dieser Einsatzgruppe heißt es, ich zitiere:

»Die Einsatzgruppe A marschierte befehlsgemäß am 23. 6. 1941, dem zweiten Tag des Ostfeldzuges, nachdem die Fahrzeuge in einsatzfähigen Zustand versetzt worden waren, in den Bereitstellungsraum ab. Die Heeresgruppe Nord mit der 16. und 18. Armee und der Panzergruppe 4 hatte tags zuvor den Vormarsch angetreten. Es handelte sich nun darum, in aller Eile persönlich mit den Armeeführern wie auch mit dem Befehlshaber des rückwärtigen Heeresgebietes Fühlung aufzunehmen. Von vornherein kann betont werden, daß die Zusam menarbeit mit der Wehrmacht im allgemeinen gut, in Einzelfällen, wie zum Beispiel mit der Panzergruppe 4 unter Generaloberst Höppner, sehr eng, ja fast herzlich war.«

Ferner:

»Für die Sicherheitspolizei zeigte sich bei diesem militärischen Vorgehen in den ersten Tagen des Ostfeldzuges, daß die spezifisch sicherheitspolizeiliche Arbeit nicht nur, wie in den ursprünglichen Abmachungen mit dem OKH vorgesehen, im rückwärtigen Heeres- und Armeegebiet, sondern auch im Gefechtsgebiet geleistet werden mußte.«

War Ihnen von einer derartigen engen Zusammenarbeit dieser Einsatzgruppen mit dem OKW nichts bekannt?

VON BRAUCHITSCH: Mir ist keinerlei Meldung darüber gekommen. Infolgedessen weiß ich gar nichts darüber.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Sie haben hier erklärt, daß Sie Hitlers Befehl für die Erschießung kriegsgefangener sowjetischer Kommissare aufgehoben hätten. Habe ich Sie richtig verstanden?

VON BRAUCHITSCH: Jawohl.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Wie reagierte Hitler auf diese Nichtbefolgung seines Befehls?

VON BRAUCHITSCH: Er hat mir darüber nie etwas gesagt, daß... ich weiß es nicht. Er hat nicht reagiert.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Und Sie haben ihn nicht davon in Kenntnis gesetzt, daß Sie seinen Befehl aufgehoben haben?

VON BRAUCHITSCH: Nein.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Wie ging das zu, daß dieser Befehl doch befolgt wurde, da die Mehrzahl der kriegsgefangenen sowjetischen Kommissare von deutschen Truppen vernichtet wurde?

VON BRAUCHITSCH: Dazu bin ich nicht in der Lage, denn ich habe darüber keinerlei Meldung bekommen. Ich habe nur immer die Meldung bekommen, daß der Befehl nicht durchgeführt worden ist.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Eine letzte Frage: Auf die Frage des Verteidigers, aus welchem Grunde Sie das Heer verließen, haben Sie erklärt, daß das infolge Meinungsverschiedenheiten mit Hitler geschehen sei. Weil Sie mit Hitlers Politik nicht einverstanden waren, haben Sie um Ihren Abschied nachgesucht und schließlich erhalten. Stimmt das?

VON BRAUCHITSCH: Jawohl.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: So hatten also diejenigen Generale der deutschen Armee, die mit Hitlers Politik und seiner Regierungsform nicht einverstanden waren, die Möglichkeit, ihren Abschied zu nehmen und diese Politik nicht mitzumachen? Stimmt das?

VON BRAUCHITSCH: Leider nein. Denn Hitler hatte ausdrücklich befohlen, daß keiner gehen dürfe, und außerdem konnte man ja nicht gehen, wie man wollte. In meinem Fall paßte es ihm, denn er brauchte einen Sündenbock für das Mißlingen des russischen Winterfeldzugs. Das sprach sich nachher aus in der Propaganda, die in Deutschland getrieben wurde, wobei mir die Schuld für diese Dinge in die Schuhe geschoben wurde.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich habe keine weiteren Fragen mehr.

DR. LATERNSER: Ich möchte nur noch ganz wenige Fragen stellen, die sich aus dem Kreuzverhör ergeben haben.