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[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Nun, Dr. Laternser.

DR. LATERNSER: Ich rufe als zweiten Zeugen den Feldmarschall von Manstein.

[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Zeuge! Bitte nennen Sie Ihren vollen Namen.

ZEUGE ERICH VON MANSTEIN: Erich von Manstein.

VORSITZENDER: Bitte sprechen Sie mir diesen Eid nach: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.«

[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]

VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

DR. LATERNSER: Herr Feldmarschall! Welches war Ihre letzte Dienststellung?

VON MANSTEIN: Meine letzte Dienststellung war Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd.

DR. LATERNSER: Wie kamen Sie in diese Stellung?

VON MANSTEIN: In diese Stellung bin ich gekommen im November 1942 auf Grund eines Befehls von Hitler.

DR. LATERNSER: Die übrigen Oberbefehlshaber sind auf die gleiche Weise in ihre Stellungen gekommen?

VON MANSTEIN: Ja.

DR. LATERNSER: Sie waren lange Jahre in wichtigen Stellungen des Generalstabs. In welcher Eigenschaft?

VON MANSTEIN: Ich war zuerst, im vorigen Kriege, im Truppengeneralstab und bin dann im Jahre 1929 in das Reichswehrministerium gekommen, in die erste Abteilung des Truppenamtes.

DR. LATERNSER: War der Generalstab eine Elite, die in der Wehrmacht den Ton angab?

VON MANSTEIN: Die Generalstabsoffiziere waren insofern eine Elite, als sie auf Grund ihrer taktischen Befähigung ausgewählt wurden und auf Grund ihres Charakters. Tonangebend im Heere waren sie insofern nicht, als sie in ihren Auffassungen ja genau mit allen anderen Offizieren übereinstimmten. In der Wehrmacht kann von einem Tonangeben durch den Generalstab an sich überhaupt keine Rede sein. Die Marine hatte keinen Generalstab. Bei der Luftwaffe haben, soweit ich es beurteilen kann, die Generalstabsoffiziere vielleicht weniger eine Rolle gespielt als »Outsider« wie Milch, Udet und so weiter, und die Wehrmacht hatte ja zunächst keinen Wehrmachtsgeneralstab; also von einem Tonangeben des Generalstabs innerhalb der Wehrmacht kann man kaum sprechen.

DR. LATERNSER: Hatte der Generalstab auf alle militärischen Pläne einen maßgeblichen Einfluß? Und war er sozusagen das geistige Zentrum der Armee?

VON MANSTEIN: Der Generalstab hat in der Zentrale, also im Reichswehrministerium, in verschiedenen Abteilungen die zentralen Fragen bearbeitet, soweit sie die Führung der Truppen anging und ihre Verwendung. Dagegen waren alle anderen Gebiete in Händen der Ämter oder der Waffeninspektionen. Die Ämter standen gleichberechtigt neben dem Generalstab und alles, was das eigentliche Leben der Truppe anging, wurde eigentlich in diesen Ämtern bearbeitet.

DR. LATERNSER: So hat sich dann der Generalstab wohl gutachtlich geäußert?

VON MANSTEIN: Der Generalstab konnte sich zu den Fragen, die die Ämter bearbeiteten, also zum Beispiel Bewaffnungsfragen, Ausbildungsfragen, natürlich äußern; aber die Chefs der Ämter standen neben den Chefs des Truppenteils völlig gleichwertig, und insbesondere die wichtigen Personalfragen wurden völlig gesondert vom Generalstab bearbeitet.

DR. LATERNSER: War der Chef des Generalstabs der entscheidende Berater Hitlers oder der betreffenden Oberbefehlshaber des Heeres oder der Luftwaffe?

VON MANSTEIN: Davon, daß der Chef des Generalstabs entscheidender Berater gewesen wäre bei Hitler, kann man absolut nicht sprechen. Es unterscheidet sich die Stellung des Chefs des Generalstabs in der Wehrmacht des Dritten Reiches völlig von der Stellung, wie sie früher der Chef des Generalstabs in der kaiserlichen Zeit gehabt hatte. Damals hatte der Chef des Generalstabs das Immediatrecht, also unmittelbar dem Kaiser konnte er direkt Vortrag halten.

In der Wehrmacht des Dritten Reiches und auch schon der Weimarer Republik war das völlig anders. Der Chef des Generalstabs des Heeres zum Beispiel war nichts anderes als der Berater des Oberbefehlshabers des Heeres für die militärischen Führungsfragen. Zwischen ihm und Hitler standen also einmal der Oberbefehlshaber des Heeres, dann aber, solange wir einen Reichskriegsminister hatten in Gestalt von Blomberg, auch noch der Reichskriegsminister.

Insofern war also von einer Beratung Hitlers durch den Generalstabschef ohnehin keine Rede. Aber auch in der Beratung des Oberbefehlshabers des Heeres teilte er sich, zum mindesten im Frieden, mit den ihm gleichberechtigten Amtschefs, also den Chefs des Personalamtes, des Waffenamtes, des Wehramtes und so weiter.

DR. LATERNSER: Gab es einen Generalstabs-Sonderdienstweg noch?

VON MANSTEIN: Einen Generalstabs-Sonderdienstweg gab es nicht; im Gegenteil, er war streng verpönt. Es hatte sich gegen Ende des ersten Weltkrieges etwas ähnliches gebildet, als Ludendorff praktisch die Zügel militärisch in der Hand hatte und sich immer an die Generalstabschefs, die unter ihm standen, hielt, nicht an die Oberbefehlshaber selber. Mit dieser – ich möchte sagen – Entartung der militärischen Befehlsführung ist radikal durch den Generaloberst von Seeckt wieder gebrochen worden, und es gab einen eigenen Generalstabsdienstweg in dem Sinne, wie er hier gemeint ist, nicht.

DR. LATERNSER: Und wie stand es mit dem Recht, abweichende Meinungen aktenkundig zu machen?

VON MANSTEIN: In der alten Armee hatte jeder Chef des Generalstabs das Recht, wenn er anderer Ansicht war wie sein Befehlshaber, diese abweichende Ansicht aktenkundig zu machen, wenn er auch den Befehl seines Befehlshabers natürlich ausführen mußte. In der Wehrmacht des neuen Dritten Reiches ist das abgeschafft worden, und zwar ausdrücklich mit Einverständnis des Chefs des Generalstabs, des Generals Beck.

DR. LATERNSER: War das OKW sozusagen das Zentralhirn der Wehrmacht?

VON MANSTEIN: Das OKW ist ja in der Form, wie es hier genannt wird, ja erst 1938 als Arbeitsstab von Hitler entstanden. Vorher war Blomberg Reichskriegsminister. Und er hatte in seinem Ministeramt eine Stelle, die – sagen wir mal – die gesamten Belange der Wehrmacht gegenüber dem Staat und der Partei zu vertreten hatte. In seiner Hand war auch die Verteilung der Geldmittel auf die einzelnen Wehrmachtsteile und der Rüstungskapazität auf die Wehrmachtsteile. Allmählich wollte Blomberg zweifellos eine stärkere Wehrmachtsführung schaffen. Er geriet aber dabei sehr bald in starke Schwierigkeiten, namentlich mit dem OKH, und zwar deswegen, weil nach Ansicht des OKH Blomberg gegenüber der Partei zu nachgiebig war. Er ist dann bei seinem... er hat dann... er hat dann selbst versucht, sich eine Art taktischen Führungsstab, den späteren Wehrmachtführungsstab, zu schaffen. Das war aber noch in den Anfängen, dann kam sein Sturz, und anschließend wurde dann der Wehrmachtführungsstab unter Hitler geschaffen. Derselbe ist aber nicht als ein – sagen wir mal – eine Spitze der drei Wehrmachtsgeneralstäbe anzusehen oder als eine Dachorganisation, sondern er war eben nichts anderes als der praktische Führungsstab des Führers.

DR. LATERNSER: Trafen sich trotzdem die Oberkommandos der Wehrmachtsteile oder die Generalstäbe mit dem OKW im Ziel ihres Wollens?

VON MANSTEIN: Natürlich waren die drei Wehrmachtsteile auch mit dem OKW sich darüber einig, daß sie das nationale Element hochhielten, ferner, daß sie den Gedanken der nationalen Ehre, der Gleichberechtigung und vor allen Dingen der Sicherheit Deutschlands als ihre Aufgabe ansahen. Darüber hinaus kann man aber von einer einheitlichen Willensbildung nicht sprechen. Ich möchte als Beispiel sagen: Das Heer hatte einen Grundgedanken, der war der: Deutschland kann unter gar keinen Umständen noch einmal einen Zweifrontenkrieg führen. Die Marine hatte meines Erachtens immer als leitenden Gedanken: Bloß keinen Krieg mit England noch mal! Was Göring als Herrscher der Luftwaffe persönlich wollte, kann ich nicht beurteilen. Ich glaube aber nicht, daß er Lust hatte, die Position des Dritten Reiches und seine Position in einem neuen Krieg aufs Spiel zu setzen.

DR. LATERNSER: Und das OKW?

VON MANSTEIN: Das OKW – wenn es überhaupt eine eigene Willensbildung gehabt hat – hatte meines Erachtens gar nicht die Möglichkeit, sie gegenüber Hitler ernstlich zur Wirkung zu bringen.

DR. LATERNSER: Welche Bedeutung hatte der Schlieffen-Verein, und was waren seine Ziele?

VON MANSTEIN: Der Schlieffen-Verein war im großen gesehen eine Vereinigung von alten Herren, die früher dem Generalstab angehört hatten. Es waren außerdem die Generalstabsoffiziere und Führergehilfen der jungen Wehrmacht auch Mitglieder. Man traf sich einmal im Jahre zu einem Essen, und davor war eine sogenannte Geschäftsversammlung, in der ein Kassenbericht gemacht wurde, und das war eigentlich das Wesentliche. Dann hatte der Schlieffen-Verein noch einen Ehrenrat, der sich meistens damit beschäftigen mußte, die Zwistigkeiten zwischen den älteren Mitgliedern, die aus der Haltung Ludendorffs gegen Hindenburg resultierten, zu schlichten. Wir jüngeren sind da... zu diesen Auseinandersetzungen sind wir gar nicht mehr hingegangen; außerdem unterstanden wir diesem Ehrenrat nicht.

Irgendwelche politische und militärische Ziele hatte dieser Verein nicht; und also vor allen Dingen kann man ihn nicht etwa als eine geistige Schulung oder geistige Förderung anstatt des Generalstabs ansehen.

DR. LATERNSER: In welcher Beziehung stehen die betroffenen 129 militärischen Führer zu OKW und Generalstab?

VON MANSTEIN: Die Masse von ihnen stand ihrer Stellung nach in gar keiner Beziehung dazu. Zum...

DR. LATERNSER: Etwas langsamer, Herr Feldmarschall.

VON MANSTEIN: Zum OKW gehörten ja davon nur vier, nämlich Keitel, Jodl, Warlimont und Winter, und zum Generalstab gehörten nur die Chefs des Generalstabs von Luftwaffe und Heer, die ja mehrfach gewechselt haben. Es sind wohl von jedem Wehrmachtsteil fünf; alle anderen gehörten weder zum OKW noch zum Generalstab.

DR. LATERNSER: Was sind denn diese militärischen Führer sonst?

VON MANSTEIN: Sie sind die Inhaber der obersten Stellen der militärischen Hierarchie, wie sie das in jedem Lande sind.

DR. LATERNSER: Stellten diese militärischen Führer aber nicht nach Ihren Auffassungen eine einheitliche Gruppe dar mit einheitlicher Willensbildung?

VON MANSTEIN: Natürlich waren sich diese Führer in ihrer Berufsauffassung einig, das ist ja selbstverständlich, auch in ihrer Auffassung von der Notwendigkeit, daß Deutschland stark sein müsse, weil es von drei Nachbarn umgeben war, von denen man ja immerhin einiges erwarten konnte. Darüber hinaus aber kann man von einer solchen einheitlichen Gedankenbildung eigentlich nicht reden. Ich möchte sagen, es standen horizontal nebeneinander die drei Wehrmachtsteile, und jeder Wehrmachtsteil hatte andere militärische Gedanken und Ziele, die oft sogar sehr gegeneinander waren; und vertikal gesehen gliederten sich diese 129 Offiziere in die militärische Hierarchie, also sagen wir mal in vier Stufen, die das Verhältnis vom Befehlen zum Gehorchen waren. Die oberste Stufe war der Führer, dazu sein Arbeitsstab, das OKW. Bei dieser Stufe lag die gesamte politische und militärische Verantwortung, die ja nach militärischen Grundsätzen nur immer bei dem wirklich obersten Führer liegen kann.

Die nächste Stufe waren die drei Oberbefehlshaber der Wehrmachtsteile. Sie waren verantwortlich für die militärischen Aufgaben des Teils der Wehrmacht, der ihnen unterstellt war und hatten da in diesem Bereich natürlich die Gesamtverantwortung. Sie waren auch, wenn Hitler sie auf ihren militärischen Gebieten zu Rate zog, natürlich in gewisser Hinsicht seine Berater. Die dritte und vierte Stufe, die es in der Form der 129 Offiziere ja nur im Kriege gab, waren die Oberbefehlshaber der Heeresgruppen, und darunter als vierte Stufe die Oberbefehlshaber der Armeen. Die Oberbefehlshaber der Heeresgruppen hatten die Verantwortung für die operative Führung der Operationen, die ihnen aufgetragen wurden. Darunter hatten die gleiche Teilverantwortung für ihre Armee die Oberbefehlshaber der Armeen, die auch die territoriale Gewalt im Operationsgebiet ausübten. Aber diese dritte und vierte Stufe stand in keinem Konnex – sagen wir mal – gedanklich zu Hitler, zum Führer, denn dazwischen war die Stufe der Oberbefehlshaber. Sie empfing Befehle und hatte zu gehorchen, wie überhaupt ja im militärischen Leben das Verhältnis ist: Befehlender und Ausführender.

DR. LATERNSER: Wie war nun innerhalb der von Ihnen geschilderten Verantwortlichkeit die Möglichkeit gegeben, zu Plänen von Hitler Stellung zu nehmen?

VON MANSTEIN: Zu Plänen von Hitler Stellung zu nehmen war für die dritte und vierte Gruppe an sich völlig ausgeschlossen, denn sie erfuhren ja alles erst in der Form eines Befehls. Wenn in einzelnen Fällen Hitler die Oberbefehlshaber zu Besprechungen zusammenrief, dann war das eben auch die Bekanntgabe einer feststehenden Entscheidung, an der gar nichts mehr zu ändern war. Die Oberbefehlshaber der Wehrmachtsteile konnten natürlich, wenn sie von Hitler vorher gefragt wurden, was ich im einzelnen Fall nicht beurteilen kann, natürlich ihre Ansichten zur Geltung bringen. Wie weit sie dabei durchkommen konnten, das steht auf einem anderen Blatt.

DR. LATERNSER: Nun stammten diese militärischen Führer fast sämtlich aus dem Generalstab, und bildeten diese Führer nicht dadurch eine Gemeinschaft?

VON MANSTEIN: Gewiß, also ein gewisser Teil der Führer stammte aus dem Generalstab. Beim Heer, sagen wir mal, von den 94 Offizieren des Heeres, die zu der angeblichen Organisation gehören, waren 74 früher mal Generalstabsoffiziere; 20 dagegen waren es nicht. Bei der Luftwaffe waren, soviel ich weiß, von 17 nur 9 im Generalstab, und die Marine hatte ja überhaupt keinen. Die Einheitlichkeit, sagen wir mal, soweit sie überhaupt gegeben war, lag also darin, daß sie dieselbe militärische Ausbildung, dieselben militärischen Lehrgänge im Generalstab gehabt haben, aber in nichts anderem.

DR. LATERNSER: Also, es sind der Begriff OKW und Generalstab auf der einen Seite, und diese 129 Offiziere etwas völlig Verschiedenes?

VON MANSTEIN: Ja, selbstverständlich sind sie völlig verschieden. Es waren eben die militärischen Führer und nicht der Generalstab und nicht das OKW in der Masse, und als eine einheitliche Organisation kann man das weder ideell, noch materiell, noch praktisch, noch theoretisch ansehen.

DR. LATERNSER: Nun befanden sich auch einige SS-Führer in dieser Gruppe? War die SS ein vierter Wehrmachtsteil?

VON MANSTEIN: Nein, sie war bestimmt kein vierter Wehrmachtsteil. Sicherlich hat ein großer Teil der vernünftigen Führer der Waffen-SS und im Kriege auch die Masse der Verbände der Waffen-SS den Wunsch gehabt, in die Armee eingegliedert zu werden.

Daran war naturgemäß bei dem entgegengesetzten Willen des Führers und Himmlers gar nicht zu denken. Die Verbände der Waffen-SS haben im Kriege als Kameraden neben uns an der Front sehr tapfer gekämpft, aber ein vierter Wehrmachtsteil waren sie nicht, denn ganz im Gegenteil wollte... hat ja Himmler alles verhindert, was irgendeine Einflußnahme der Wehrmacht auf die SS hätte sein können. Daß nun einzelne Führer der SS mit zu der Gruppe rechnen, das ist bezüglich der Person von Himmler... ich muß das als grotesk bezeichnen, denn wenn jemand ein Todfeind des Heeres zumindest war, dann ist das Himmler gewesen.

DR. LATERNSER: Inwiefern war Himmler Todfeind des Heeres?

VON MANSTEIN: Himmler wollte ganz zweifellos seine SS an die Stelle des Heeres setzen, und er hat insbesondere die Generale des Heeres meiner Ansicht nach mit seinem Haß und seiner Verleumdung verfolgt. Ich weiß es jedenfalls von mir aus einer völlig einwandfreien Quelle, daß meine Entlassung sehr stark auf das Betreiben von Himmler zurückzuführen ist, der dabei mit üblen Verleumdungen gearbeitet hat. Von den anderen Führern weiß ich nur, daß einige früher mal in der Reichswehr waren, dort gegen ihren Willen ausgeschieden sind, und daß die nicht gerade besonders für uns eingenommen waren und sich nicht zu uns rechnen können, das ist wohl klar.

DR. LATERNSER: Arbeiteten die Partei und Wehrmacht denn nicht im Interesse des Reiches zusammen an einem Plan?

VON MANSTEIN: Die Partei arbeitete auf dem politischen Gebiet, und wir arbeiteten auf dem soldatischen Gebiet. Ein gemeinsamer Plan Wehrmacht-Partei, davon kann keine Rede sein, denn dazu fehlten völlig die Voraussetzungen. Erstens mal fehlte als wichtigste Voraussetzung die gemeinsame Grundeinstellung. Wir waren mit sehr vielen Methoden der Partei ja bekanntlich in keiner Weise einverstanden, und wenn man so in grundlegenden Fragen, wie es zum Beispiel – sagen wir mal – das Christentum ist, differiert, dann kann man nicht sagen... dann fehlt eben die geistige Grundlage auch für einen einheitlichen Plan.

Das zweite, was dem entgegenstand, war der totale Machtanspruch der Partei, der sich ja auch immer wieder auf die Einflußnahme auf die Wehrmacht erstreckte, und ich kann wohl sagen, daß wir Offiziere immer in einem Kampf dagegen gestanden haben, daß Parteieinflüsse Gewalt über unsere Soldaten gewannen und damit das soldatische Element, das wir vertraten, beiseiteschoben.

Und als drittes ist festzustellen, daß von einem Plan unter Hitler überhaupt keine Rede sein konnte. Wenn jemand einen Plan machte, dann war es Hitler allein, und unter ihm hatte kein Mensch Pläne zu machen, sondern sie hatten zu gehorchen. Im übrigen wußte ja auch in dem politischen und praktischen Leben des Dritten Reiches die eine Sparte nie, was die andere tat, was sie für Aufträge hatte, so daß auch da von einer Einheitlichkeit gar nicht die Rede sein konnte. Es fehlten also alle Voraussetzungen für einen solchen einheitlichen Plan.

DR. LATERNSER: In welcher Eigenschaft waren Sie im Generalstab des Heeres?

VON MANSTEIN: Im Generalstab des Heeres – also in der Zentrale – war ich von 1929 bis 1932 als erster Generalstabsoffizier, sozusagen in der ersten Abteilung des Truppenamtes. Dann war ich von... wurde ich im Jahre 1935 Chef der Operationsabteilung des Heeres und 1936 Oberquartiermeister I, das heißt also Stellvertreter des Chefs des Generalstabs des Heeres.

DR. LATERNSER: Und als Oberquartiermeister I hat Ihnen die Operationsabteilung unterstanden?

VON MANSTEIN: Ja, da unterstand mir die Operationsabteilung, die Organisationsabteilung und noch verschiedene andere.

DR. LATERNSER: Sie hätten also als Chef der Operationsabteilung mit der Verwendung der Truppen im Kriegsfalle zu tun gehabt?

VON MANSTEIN: Ja, selbstverständlich.

DR. LATERNSER: Dann müssen Sie aber doch über Ziel und Umfang der Aufrüstung gewußt haben?

VON MANSTEIN: Ja.

DR. LATERNSER: Ganz kurz bitte, Herr Feldmarschall.

VON MANSTEIN: Ja, das Ziel unserer Aufrüstung zunächst in den zwanziger Jahren oder in den Jahren vor der Machtergreifung war die primitivste Sicherheit gegen den unprovozierten Angriff auch nur eines unserer Nachbarn. Wir mußten ja letzten Endes, da alle unsere Nachbarn Wünsche auf deutsches Gebiet hatten, immer mit solcher Möglichkeit rechnen. Wir waren uns vollkommen klar, daß wir gegen einen solchen Angriff bestenfalls einige Wochen einen vorübergehenden Widerstand leisten konnten. Das wollten wir aber erreichen, um zu verhindern, daß zum Beispiel bei einem polnischen Angriff durch die Besetzung von Oberschlesien ein Fait accompli geschaffen wurde. Wir wollten sicherstellen, daß wir so lange kämpfen konnten, bis der Völkerbund eingriffe. Wir verließen uns also praktisch auf den Völkerbund und konnten das nur, wenn wir selbst unter gar keinen Umständen als Angreifer bezeichnet werden konnten. Wir mußten also immer alles das vermeiden, was als eine Verletzung des Versailler Vertrags oder als eine Provokation anzusehen war. Und wir hatten deswegen in der ersten Abteilung des Truppenamtes eine besondere Gruppe von Offizieren, deren einzige Aufgabe es war, bei allen Befehlen, die vom OKH oder damals der Heeresleitung herausgingen, darüber zu wachen, daß keine derartigen Verstöße passierten.

DR. LATERNSER: Haben Sie Mobilmachungspläne gehabt in der Zeit, als Sie Oberquartiermeister I waren?

VON MANSTEIN: Ja, wir haben den ersten Mobilmachungsplan überhaupt gehabt; er trat in Kraft am 1. April 1930, das heißt, das war eben die Überführung des Hunderttausendmann-Heeres in den Kriegszustand, der Plan dafür. Diese Mobilmachung ist dann jährlich bearbeitet worden ab 1930.

DR. LATERNSER: Bis dahin?

VON MANSTEIN: Bis dahin gab es überhaupt keine Mobilmachung.

DR. LATERNSER: Gab es Aufmarschpläne?

VON MANSTEIN: Aufmarschpläne hat es von Ende des ersten Weltkriegs an bis zum Jahre 1935 überhaupt nicht gegeben. Im Jahre 1935 ist der erste Aufmarschplan bearbeitet worden, der sogenannte Aufmarsch »Rot«. Das war ein Defensivaufmarsch am Rhein beziehungsweise an unserer Westgrenze und gleichzeitiger Aufmarsch zur Defensive an der tschechischen und an der polnischen Grenze. Dann ist ein zweiter Aufmarschplan »Grün« bearbeitet worden, 1937. Er sah für den Fall, daß Deutschland von der Tschechoslowakei...

VORSITZENDER: Einen Augenblick, Zeuge. Meinen Sie mit »Aufmarsch« Entfaltung? Was nennen Sie einen Aufmarschplan? Meinen Sie Entfaltung?

VON MANSTEIN: Unter Aufmarschplan verstehe ich einen Plan, nach dem die Truppen im Falle, daß ein Krieg droht, an der Grenze bereitgestellt werden sollen, also einen Plan für den Fall, daß eine politische Konflagration droht. Ob er zum Kriege führt, ob aus dieser Versammlung zum Kriege angetreten wird, das hat mit dem Aufmarschplan an sich noch nichts zu tun. Es steht da drin nur, wie die Truppen versammelt werden sollen, und was für den Fall eines Krieges die ersten Aufträge von den Heeresgruppen und Armeen sind.

DR. LATERNSER: Waren das alle Aufmarschpläne, die Sie eben geschildert haben?

VON MANSTEIN: Diese beiden... Das waren die beiden Aufmarschpläne, die ich als Oberquartiermeister erlebt habe. Der Aufmarschplan »Weiß« gegen Polen ist zu meiner Zeit nicht bearbeitet worden, der muß erst 1939 bearbeitet worden sein.

DR. LATERNSER: Wann sind Sie als Oberquartiermeister I aus dem OKH ausgeschieden?

VON MANSTEIN: Ich bin ausgeschieden mit dem 4. Februar 1938, gleichzeitig mit der Beseitigung des Generaloberst von Fritsch.

DR. LATERNSER: Und zu jener Zeit hat ein Aufmarschplan gegen Polen noch nicht bestanden?

VON MANSTEIN: Nein, da bestand nur der Aufmarschplan »Rot«, der eine defensive Sicherung der polnischen Grenze im Kriegsfall vorsah.

DR. LATERNSER: Welches war die Stellung des OKH zur Erklärung der Wehrhoheit im Jahre 1935? Zu dieser Zeit waren Sie doch noch im OKH?

VON MANSTEIN: 1935... 1935, nein, da war ich noch Chef des Generalstabs des Wehrkreiskommandos III, bei der Erklärung der Wehrhoheit. Ich weiß aber aus meiner Kenntnis des Generalstabs, daß uns alle diese Erklärung damals völlig überrascht hat. Ich persönlich und mein Kommandierender General in Berlin haben sie erst durch das Radio gehört. Der Generalstab hätte, wenn er gefragt worden wäre, 21 Divisionen als das für uns zunächst praktisch zweckmäßig und erreichbare Maß der Heeresverstärkung vorgeschlagen. Die Bestimmung von 36 Divisionen ist auf Grund eines spontanen Entschlusses von Hitler erfolgt.

DR. LATERNSER: War die Besetzung des Rheinlands von militärischer Seite gefordert und als Vorbereitung eines Krieges gedacht?

VON MANSTEIN: Nein, wir haben die militärische Besetzung nicht gefordert und sie vor allen Dingen nicht als Vorbereitung eines Krieges gedacht. Im Gegenteil, ich war damals – wie die Operation erfolgte – Chef der Operationsabteilung und habe selbst die Befehle für diese Besetzung machen müssen. Ich habe dazu, da wir völlig von dem Entschluß des Führers überrascht wurden, nur einen Nachmittag Zeit gehabt, denn am nächsten Morgen kamen schon die betreffenden Generale, um ihre Befehle in Empfang zu nehmen. Ich weiß, daß sich damals der Reichskriegsminister und der Generaloberst von Fritsch insofern bedenklich geäußert haben, als sie Hitler vor einer solchen einseitigen Lösung dieser Frage gewarnt haben. Daraus... oder ich möchte sagen, diese Warnung ist meines Erachtens die erste Quelle des Mißtrauens gewesen, das den Führer nachher in zunehmendem Maße gegenüber den Generalen beseelt hat. Er hat mir das selbst einmal später in einer Besprechung unter vier Augen zugegeben. Vor allen Dingen, daß damals Blomberg, als Frankreich 13 Divisionen mobil machte, vorgeschlagen hat, die drei Bataillone, die wir über den Rhein hinaus aufs Westufer geschoben hatten, wieder zurückzunehmen. Die Absichten, die wir dann für die Befestigung des Rheinlandes hatten, waren rein defensiv. Der Westwall war gedacht, genau wie die Maginot-Linie, als eine möglichst unübersteigbare Mauer gegen Angriffe.

DR. LATERNSER: Inwieweit waren die militärischen Führer bei Österreich beteiligt? Darüber werden Sie sicher genau Bescheid wissen, Herr Feldmarschall.

VON MANSTEIN: Ich wurde eines Vormittags völlig überraschend mit dem Chef des Generalstabs, dem General Beck, zum Führer befohlen. Ich glaube, gegen 11.00 Uhr. Der Oberbefehlshaber des Heeres war nicht in Berlin. Hitler eröffnete uns, daß er sich entschlossen habe, die österreichische Frage zu lösen auf Grund der tags zuvor bekanntgegebenen Absichten von Schuschnigg. Er forderte unsere Vorschläge für ein Einrücken in Österreich, falls das notwendig sein würde. Der Chef des Generalstabs trug ihm daraufhin vor, daß wir dazu die Korps, die dafür in Frage kämen, nämlich das VII. und XIII. bayerische Korps und eine Panzerdivision mobilmachen müßten, daß aber eine solche Mobilmachung, überhaupt eine solche Maßnahme in keiner Weise vorbereitet sei, weil die politische Leitung uns nie auch nur andeutungsweise einen solchen Auftrag gegeben hatte. Es müßte also alles improvisiert werden. Der Führer wollte erst nicht recht an diese Mobilmachung heran, sah aber ein, daß, wenn man überhaupt einrücken wollte, man die Truppen eben auch beweglich haben müßte und stimmte zu und sagte, er müßte am kommenden Sonnabend, am Tage vor der beabsichtigten Abstimmung einrücken, wenn er überhaupt einrücken wolle. Es ergab sich daraus, daß der Befehl zur Mobilmachung dieser Korps noch am selben Tage gegeben werden mußte, wenn die Mobilmachung und die Versammlung der Kräfte an der Grenze rechtzeitig fertig werden sollten. Die Besprechung hat etwa um 11.00 Uhr angefangen, hat so etwa bis 1.00 Uhr gedauert, und nachmittags um 6.00 Uhr mußten die Befehle herausgehen. Mit 20 Minuten Verspätung sind sie herausgegangen. Ich habe da... ich mußte zu diesem Aufmarsch die Befehle selber machen. Ich habe also vier bis fünf Stunden im ganzen Zeit gehabt. Vorher war an diese Sache gar nicht gedacht worden. Der sogenannte Fall »Otto« hatte mit dieser ganzen Angelegenheit gar nichts zu tun.

DR. LATERNSER: Sie hatten also als der damals für die Ausarbeitung dieses Befehls Verantwortliche von der Nichtkenntnis bis zur Durchführung Ihrer Bereitstellung insgesamt nur wenige Stunden Zeit?

VON MANSTEIN: Ja, vier bis fünf Stunden.

DR. LATERNSER: Haben Sie als der für Kriegspläne zuständige Oberquartiermeister I etwas über die Besprechung Hitlers, die am 5. November 1937 stattgefunden hat, erfahren?

VON MANSTEIN: Nein, ich habe nichts davon erfahren.

DR. LATERNSER: Sie waren Teilnehmer an der Besprechung vom 10. August 1938?

VORSITZENDER: Dr. Laternser,... Zeuge, der Gerichtshof möchte wissen, welchem Zweck der Plan »Otto« diente. Wofür wurde der Plan ausgearbeitet?

VON MANSTEIN: Beim Heer haben wir einen ausgearbeiteten Plan »Otto« nicht gehabt. Ich weiß nur, daß es ein Stichwort war für irgendwelche Maßnahmen des OKW für den Fall einer... eines Restaurationsversuches der Habsburger in Österreich in Verbindung mit Italien. Diese Möglichkeit schwebte ja immer, und ich möchte noch nachholen, daß damals, wie Hitler uns die Anordnungen über Österreich gab, seine Hauptsorge nicht etwa ein Eingreifen der Westmächte gewesen ist, sondern seine einzige Sorge war die Haltung Italiens, weil Italien immer mit Österreich und auch mit den Habsburgern anscheinend zusammengesteckt hatte.

VORSITZENDER: Sie sagen also dem Gerichtshof, daß Sie nicht wissen, ob der Plan »Otto« ein Plan für das deutsche Heer oder einen Teil des deutschen Heeres war, in Österreich einzumarschieren?

VON MANSTEIN: Nein, der Plan »Otto« ist mir überhaupt erst hier durch das Protokoll von der Vernehmung Jodls wieder klargeworden. Einen Einmarschplan in Österreich hatten wir jedenfalls beim OKH nicht, denn ich habe die Befehle damals ja alle erst in ein paar Stunden nach der Besprechung bei Hitler machen müssen.

VORSITZENDER: Aber wenn der Plan »Otto« kein Einmarschplan für Österreich war, welchem Zweck diente er dann?

VON MANSTEIN: Ich kann es eben nicht sagen, weil ich... Ich weiß nur, daß es irgendwelche Pläne des OKW waren, die mit einem Restaurationsversuch in Österreich zusammenhingen, aber wir selber haben Maßnahmen dazu meines Erinnerns überhaupt nie getroffen; ich weiß auch gar nicht, ob ich selber seinerzeit mit diesem Decknamen überhaupt befaßt worden bin; es kann sein, aber ich weiß es nicht.

VORSITZENDER: Fahren Sie fort.

DR. LATERNSER: Herr Feldmarschall! Sie waren Teilnehmer an der Besprechung am 10. August 1938. Was war der Zweck und Inhalt dieser Besprechung?

VON MANSTEIN: Diese Besprechung war etwas ganz Außergewöhnliches. Der Führer hatte zu sich bestellt auf den Berghof die Chefs der Generalstäbe derjenigen Armeen, die im Falle eines Einrückens in die Tschechoslowakei an der Grenze aufmarschieren sollten. Er hat aber nicht, wie es natürlich gewesen wäre, die Oberbefehlshaber zu sich bestellt, sondern nur die jüngere Generation, möchte ich sagen, der Chefs. Er wußte damals wohl aus der Denkschrift des Generaloberst Beck und deren Überreichung durch Generaloberst von Brauchitsch, daß die Oberbefehlshaber und die Kommandierenden Generale jede Politik ablehnten, die zu einem Kriege führen konnte, und er hatte sich deswegen uns bestellt, um uns von der Notwendigkeit und der Richtigkeit seines Entschlusses zu überzeugen. Es ist das auch das einzige Mal gewesen und auch das letzte Mal, muß ich sagen, wo er bei einer solchen Versammlung nachher Fragen in einer Art Unterhaltung oder Diskussion gestattet hat. Er hatte sich insofern getäuscht, als ihm auch aus dem Kreise der Generalstabschefs Bedenken entgegengetragen wurden hinsichtlich der Möglichkeit des Eingreifens der Westmächte und überhaupt der Gefahren eines daraus entstehenden Krieges, und es kam zu einem sehr schweren und sehr unerfreulichen Zusammenstoß zwischen dem Führer und dem General von Wietersheim über diese Fragen. Seither hat er bei solchen Versammlungen nicht noch ein einziges Mal irgendeine Frage oder Diskussion zugelassen.

DR. LATERNSER: Waren die Unternehmungen Österreich, Sudetenland militärisch als Vorproben für einen Krieg anzusehen?

VON MANSTEIN: Nein, das waren sie bestimmt nicht, denn weder waren unsere Truppen voll mobil – diese Mobilmachung der Korps bei dem Einrücken in Österreich zeigte überhaupt, daß alles noch keineswegs so weit war, daß man eine Mobilmachung wirklich vernünftig durchführen konnte. Und wir hätten, wenn es zu einem Krieg gekommen wäre, weder unsere Westgrenze noch die polnische Grenze wirklich wirksam verteidigen können, und wir wären auch ganz zweifellos, wenn die Tschechoslowakei sich zur Wehr gesetzt hätte, an ihren Befestigungen hängen geblieben, denn wir hatten praktisch nicht die Mittel, sie zu durchbrechen. Also von einer militärischen Probe kann man dabei bestimmt nicht reden. Es war wohl eine Probe auf die politischen Nerven.

DR. LATERNSER: Hatten Sie, als Sie über die militärischen Vorbereitungen gegen Polen unterrichtet wurden, den Eindruck, daß ein Angriffskrieg beabsichtigt sei?

VON MANSTEIN: Ich war für den Polenkrieg bei der Mobilmachung als Chef des Generalstabs der Heeresgruppe Süd vorgesehen. Als ich die Aufmarschpläne bekam, war mir klar, daß das an sich ein Angriffsaufmarsch war. Aber es gab verschiedene ganz wesentliche Punkte, die gegen eine Angriffsabsicht sprachen. Der erste war, daß im Frühjahr 1939 auf Befehl des Führers plötzlich angefangen wurde, die ganze Ostgrenze stärkstens zu befestigen. Es sind da nicht nur viele Tausende von Arbeitern, sondern ganze Divisionen zum Schanzen eingesetzt worden, und das ganze Material aus den tschechischen Befestigungen ist dahin geschleppt und eingebaut worden. Ein breiter Streifen des fruchtbarsten Landes in Schlesien wurde durch diese Befestigung weggenommen. Das ließ jedenfalls auf alles andere als auf eine Angriffsabsicht schließen. Das zweite, was dagegen sprach, war, daß die Ausbildung völlig in dem friedensmäßigen Turnus weiterlief. Ich bin selbst – ich war damals Divisionskommandeur im Frieden – mit meiner Division bis Mitte August auf dem Übungsplatz gewesen in der Lausitz, also weitab von der Gegend, in der meine Division aufmarschieren sollte. Dann kam dazu, daß wir wußten von der Unterhausrede von Chamberlain, in der er den Polen den Beistand Englands zugesagt hatte, und da Hitler bei jeder Gelegenheit – solange ich im OKH gewesen war – immer erklärt hatte, er würde es nie auf einen Zweifrontenkrieg ankommen lassen, konnte man nicht annehmen, daß angesichts dieses Versprechens er sich auf eine abenteuerliche Politik einlassen würde.

Andererseits lag uns aber eine völlig zuverlässige Nachricht vor, die nachher auch in der Praxis bestätigt worden ist, nämlich die, daß die Polen in der Provinz Posen zu einer Offensive Richtung Berlin aufmarschieren wollten. An sich war uns diese Absicht völlig unverständlich nach der ganzen Lage, aber die Polen sind tatsächlich später so auch aufmarschiert. Man konnte also wohl mit dem Eventualfall eines Krieges rechnen, aber sehr wohl mit der Möglichkeit, daß die Polen, in der Hoffnung auf englische Hilfe, und wenn die politischen Verhandlungen sich aufs äußerste zugespitzt hätten, selbst eine Unvorsichtigkeit begehen und angreifen würden, wenn sie schon so in Offensive aufmarschieren, und dann wäre es natürlich zum Kriege gekommen. Aber nach all diesen Anzeichen konnte man nicht annehmen, daß Hitler einen Angriffskrieg gegen Polen sozusagen vom Zaune brechen wollte.

Ich habe auch aus der Besprechung auf dem Obersalzberg am 22. August nicht den Eindruck mitgenommen, daß es unbedingt zum Krieg kommen würde, und dieser Eindruck hat sich bei mir und bei dem Oberbefehlshaber, dem Feldmarschall von Rundstedt, erhalten bis in die Nacht vom 31. August zum 1. September, nachdem schon am 25. ein Einmarschbefehl wieder zurückgenommen worden war.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt sich nunmehr.