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[Dem Zeugen wird das Dokument überreicht.]

Erkennen Sie diesen Befehl wieder?

VON MANSTEIN: Ich muß ihn erst mal genauer ansehen.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Bitte sehr.

VON MANSTEIN: Ich kann heute nicht mehr sagen, ob ich eine Abschrift dieses Befehls bekommen habe. Er geht ja an sich nur die Heeresgruppe A an. Es ist möglich, daß ich eine Abschrift bekommen habe; ich kann es aber nicht mehr sagen; jedenfalls habe ich damit nichts zu tun.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Dieser Befehl wurde an alle höheren Stäbe geleitet; aber das ist nicht das Wichtigste. Ich bitte Sie, den zweiten Teil dieses Befehls unter dem Titel »Räumungszerstörung« aufzuschlagen und sich den Abschnitt »g« anzusehen. Ich verlese:

»Der Gegner muß ein auf lange Zeit voll unbrauchbares, unbewohnbares, wüstes Land, wo noch monatelang Minensprengungen vorkommen, übernehmen.«

Haben Sie diese Stelle gelesen?

VON MANSTEIN: Ja.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich frage Sie: Wurde dieser Befehl Ihrer Meinung nach auch nur aus rein militärischen Gründen gegeben?

VON MANSTEIN: Ja, meiner Ansicht nach ist er aus rein militärischen Gründen gegeben worden, nämlich aus dem Grunde, weil Hitler, was mir bekannt ist, von den Kräften, die auf dem Kuban waren, möglichst viele freibekommen wollte, um sie an anderen Stellen der Ostfront einsetzen zu können. Er wollte auf der Krim zur Verteidigung nur ein Minimum von Kräften lassen, und das war natürlich nur denkbar, wenn eine russische Angriffsoperation vom Kuban her für längere Zeit nach Möglichkeit ausgeschlossen oder wenigstens sehr erschwert wurde, und daraufhin sind diese Zerstörungsanordnungen wohl erlassen, die ja in den Punkten a, b, c, d, e, f tatsächlich nur Objekte betreffen, die von militärischer Bedeutung sind, also Straßen und Kunstbauten, Eisenbahnen und Feldbahnen, Knüppeldämme, die Anlagen für Öle...

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Dieser Befehl ist mir bekannt, Herr Zeuge. Es ist nicht nötig, daß Sie ihn wiederholen; er liegt vor mir. Ich bat Sie nur, sich den Abschnitt »g« richtig anzusehen. Da wird nicht von Straßen, Brücken und Ölquellen gesprochen, sondern von der Verwandlung dieses Gebietes in eine Wüste auf lange Zeit. Davon ist hier die Rede. Ich frage Sie als Soldaten, als welchen Sie sich hier oft bezeichnet haben: Sind Sie mit solch einem Befehl einverstanden? Wurde er durch rein militärische Erwägungen veranlaßt? Bitte beantworten Sie meine Frage.

VON MANSTEIN: Ja, daß der Befehl nur aus militärischen Gründen gegeben ist, davon bin ich überzeugt, und ich bin auch überzeugt, daß mit der Ziffer »g« gemeint ist ein für die militärische Kriegführung völlig unbrauchbares Land. Ich glaube also nicht, daß der Zweck hier war, das Land zu verwüsten und, sagen wir mal, die Bevölkerung auszurotten und eine Wüste zu schaffen, sondern daß der Grund, der militärische Grund war, das Land für die Fortführung der militärischen Operationen unbrauchbar zu machen. Das glaube ich.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Hier ist es genügend klar ausgedrückt. Die Auslegung ist Ansichtssache. Ich gehe zur nächsten Frage über. Wußten Sie, daß im Mai 1944 in Sonthofen eine Sonderbesprechung stattfand?

VORSITZENDER: Gehen Sie zu einem anderen Dokument über?

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich gehe zu einer anderen Frage über.

VORSITZENDER: Ich habe Sie gefragt, ob Sie mit diesem Dokument fertig sind.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Jawohl.

VORSITZENDER: Ich glaube, Sie sollten ihm den Abschnitt »3 c« vorlegen.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Gut. Herr Zeuge! Ich bitte Sie, den dritten Abschnitt, Buchstabe c, anzusehen. Ich werde ihn jetzt verlesen.

»Die rücksichtslose – ohne jede falsche Weichheit durchgeführte – Erfassung der Zivilbevölkerung für diese Aufgabe, ihr beschleunigter Einsatz und ihre Zusammenfassung in Bau-Bataillone (auch Frauen-Bau- Bataillone) ist sicherzustellen.«

Sind Sie der Ansicht, daß dieser Einsatz der Zivilbevölkerung, darunter auch der Frauen, durch militärische Notwendigkeiten hervorgerufen wurde?

VON MANSTEIN: Daß es militärisch notwendig war, das unterliegt für mich gar keinem Zweifel; ob es, menschlich gesehen, schön ist, ist eine andere Frage. Aber ich muß darauf aufmerksam machen, daß wir die Heranziehung der Zivilbevölkerung einschließlich der Frauen von der Sowjetunion gelernt haben; denn die hat das ja im großen Ausmaße getan; sonst wäre das Entstehen von vielen kilometerlangen Panzergräben in wenigen Tagen auf russischer Seite ja auch gar nicht möglich gewesen.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ja...

VORSITZENDER: Herr Zeuge! Sind Sie der Meinung, daß es mit dem Kriegsrecht vereinbar ist, die weibliche Bevölkerung eines Landes zu Bau-Bataillonen zur Arbeit für Ihre Armee zusammenzuziehen?

VON MANSTEIN: Ob das nach dem Kriegsrecht vom Jahre 1939 zulässig war, ist mir im Augenblick nicht unbedingt klar. Daß in diesem Krieg überhaupt das Völkerrecht in vielen Fällen weit überschritten worden ist, das steht ja fest. Daß die Verwendung von Arbeitskräften zu den Rechten einer Besatzungsmacht gehörte, das möchte ich glauben, auch von weiblichen Arbeitskräften.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Sie haben hier eben davon gesprochen, daß die Rote Armee in großem Umfang die Zivilbevölkerung eingesetzt hat, um Panzergräben und so weiter zu bauen. Ich möchte Ihnen das erklären. Es war wirklich so, weil sich die ganze Sowjetbevölkerung, die sowjetrussischen Frauen inbegriffen, gegen die faschistischen Eindringlinge aufgelehnt hatte; aber nennen Sie mir nur ein Beispiel, wo die Sowjetarmee deutsche Frauen für derartige Arbeiten eingesetzt hat.

VON MANSTEIN: Aus dem Kriege kann ich keine Tatsachen sagen.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Weil es keine gab. Aber im Befehl Hitlers wird von dem Einsatz der sowjetischen Frauen für deutsche Befestigungsarbeiten gesprochen. Und davon habe ich gesprochen. Gehen wir zur nächsten Frage über. Wußten Sie, daß im Mai 1944 in Sonthofen eine Sonderbesprechung der Generale über nationalsozialistische Erziehung in den Einheiten stattfand?

VON MANSTEIN: Im Mai 1944 war ich nicht mehr im Dienst und habe von dieser Besprechung also auch nichts gehört.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Und Sie haben nie davon gehört?

VON MANSTEIN: Von dieser Besprechung habe ich nichts gehört, nein.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich möchte eine Tatsache im Zusammenhang mit dieser Besprechung anführen. Vielleicht haben Sie etwas darüber gehört, daß der Angeklagte Keitel bei dieser Gelegenheit folgendes erklärte: Offiziere, die ihre Zweifel über den Sieg zum Ausdruck bringen oder den Führer kritisieren, lasse ich erschießen.

VORSITZENDER: Der Zeuge hat gesagt, er wisse darüber nichts. Handelt es sich hier um ein neues Dokument, das Sie bekommen haben?

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Nein. Wir besitzen aber ein Dokument, hinsichtlich dessen ich es für nötig erachte, dem Zeugen einige Fragen zu stellen. Wir legen jedoch dieses Dokument noch nicht vor, da wir es soeben erst erhalten haben und die Übersetzung noch nicht gemacht werden konnte. Es handelt sich um die Erklärung des ehemaligen Generalleutnants des deutschen Heeres, Vincent Müller. Er berichtet über die Äußerung Keitels bei dieser Besprechung. Wenn der Gerichtshof es für nötig erachtet, wird dieses Dokument nach Schluß der Sitzung oder morgen früh vorgelegt.

VORSITZENDER: Ja, ich meine nur: Wenn Sie das Dokument nicht vorlegen und der Zeuge sagt, er sei bei der Besprechung nicht zugegen gewesen und habe nichts davon gehört, dann glaube ich, daß Sie ihm das, was in der Besprechung gesagt wurde, nicht vorhalten dürfen, um es hier in der Beweisführung zu verwenden.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich habe Sie verstanden, Herr Vorsitzender, und gehe zu einer anderen Frage über.

Sagen Sie, Herr Zeuge, wußten Sie, daß das deutsche Oberkommando der Kriegsmarine schon im Oktober 1939 einen Plan zur Besetzung Norwegens vorgelegt hat?

VON MANSTEIN: Nein, davon habe ich nichts gewußt. Ich habe von der ganzen Norwegenangelegenheit überhaupt erst gehört, als sie Tatsache wurde; Einzelheiten habe ich erst aus der Anklageschrift erfahren; vor dieser Zeit habe ich kein Wort davon gehört.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Wußten Sie etwas von den Operationsplänen unter dem Decknamen »Jolka«?

VON MANSTEIN: Ich habe den Decknamen nicht verstanden.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Unter dem Decknamen »Jolka« – »Tannenbaum« auf deutsch.

VON MANSTEIN: »Tannenbaum«? Das ist mir kein Begriff, das weiß ich nicht.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich werde Ihnen einige Einzelheiten, die diesen Plan betreffen, mitteilen. Im Juli 1940, nach dem Waffenstillstand mit Frankreich, hat General Halder, Chef des deutschen Generalstabs, den Stab der Armeegruppe von Leeb in Dijon besucht. General Halder stellte damals von Leeb die Aufgabe, einen Plan für die Besetzung der Schweiz vorzulegen unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Schweizer Widerstand leisten. Dieser Plan wurde dann dem OKH unter einem Decknamen vorgelegt. Wissen Sie etwas darüber?

VON MANSTEIN: Nein, ich war damals Kommandierender General und bin im Sommer an die Kanalküste gekommen. Von diesem Plan habe ich nichts gehört.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Sie haben hier in Ihren Antworten mehrmals betont, daß der Krieg gegen die Sowjetunion ein besonderer Krieg gewesen ist, daß Sie, wie auch die anderen deutschen Generale, nur als Soldaten gehandelt haben und daß der sogenannte ideologische Krieg von Hitler und seinen Mitarbeitern geführt wurde. Habe ich Sie richtig verstanden?

VON MANSTEIN: Ja.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Mein amerikanischer Kollege hat Sie gestern an Ihren eigenen Befehl erinnert, in dem Sie die Vernichtung des sowjetischen politischen Systems und die in den besetzten Gebieten zu ergreifenden Maßnahmen behandeln. Ferner haben Sie ebenfalls bestätigt, daß Ihnen der Befehl des Feldmarschalls von Reichenau über das Verhalten der Truppen im Osten bekannt war. Sagen Sie, Zeuge, wurde Ihrer Meinung nach solch ein Befehl von militärischem Pflichtbewußtsein diktiert oder von irgendwelchen anderen Erwägungen?

VON MANSTEIN: Nein, er ist bestimmt nur aus militärischem Pflichtbewußtsein ausgegeben worden. Ich möchte dazu nur sagen, daß diese Gedanken ja in jeder Zeitung standen und daß sie naturgemäß auch von oben her nahegebracht worden sind. Von uns ausgegangen sind sie bestimmt nicht. Wir haben mit unseren Soldaten den Krieg militärisch geführt.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Glauben Sie nicht, daß die Ausgabe solcher Befehle deswegen erfolgte, weil ihre Verfasser keine in soldatischer Tradition erzogenen Generale, sondern Generale der Hitlerschen Schule waren?

VON MANSTEIN: Das habe ich nicht ganz verstanden, darf ich nochmals bitten um den Sinn dieser Frage?

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich werde die Frage wiederholen. Glauben Sie nicht, daß die Ausgabe solcher, eigentlich politischer Befehle – ich meine dabei den Befehl von Reichenau –, glauben Sie nicht, daß die Ausgabe solcher Befehle deswegen erfolgte, weil ihre Verfasser keine im soldatischen Geist erzogenen Generale, sondern Generale der Hitlerschen Schule waren?

VON MANSTEIN: Ich kann dazu ja nur für meine Person, für meinen Befehl Stellung nehmen. Daß ich persönlich nur Soldat gewesen bin, das wird, glaube ich; jeder meiner Untergebenen und meiner Vorgesetzten bezeugen können. Ich bin kein politischer General gewesen, und ich bin auch kein – sagen wir mal – nationalsozialistischer General in dem Sinne, wie Sie es meinen, gewesen. Dieser Befehl ist verursacht durch die größer werdende Partisanengefahr und die Notwendigkeit, unseren Soldaten klarzumachen, daß sie nicht so sorglos sein dürfen und daß sie sich bewußt sein müssen, daß dieser Kampf, und zwar von beiden Seiten, ein weltanschaulich geführter Kampf wäre. Der Befehl selber: Das sind ja zwei ganz verschiedene Teile. Der erste Teil, ausgehend von den Notwendigkeiten, sich den Rücken zu sichern gegen Überfälle und so weiter und die Wachsamkeit der Soldaten aufzurufen, ist ein Befehl, der einige Gedanken über den Sinn dieses Kampfes enthält. Wenn er hier von der Ausrottung des Systems spricht, so ist damit das politische System, nicht die Menschen gemeint und genau das gemeint, was jetzt mit der Ausrottung des Nationalsozialismus von der anderen Seite gemeint ist. Und der zweite Teil, möchte ich sagen, enthält wohl meine Gedanken. Der sagt, was positiv zu geschehen hat, und in diesem zweiten Teil ist ja ganz klar gesagt, daß der Soldat jede Willkür vermeiden muß, daß gegen jede Verletzung der soldatischen Ehre einzuschreiten ist. Ich glaube, daß dieser Befehl ein Beweis dafür ist, daß ich den Kampf als Soldat geführt habe und nicht als Politiker.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Das, was Sie während des Krieges waren, zeigt am besten Ihr eigener Befehl, und der Gerichtshof wird das zu beurteilen wissen. Nun meine letzte Frage: Wußten Sie, welche Maßnahmen vom Oberkommando der Wehrmacht zur Führung eines biologischen Krieges getroffen worden sind?

VON MANSTEIN: Eines biologischen Krieges? Ich weiß nicht im Augenblick, was Sie mit dem Ausdruck »biologischer Krieg« meinen. Ich bitte, mir dies zu sagen.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Eine Anwendung verschiedener Arten lebensgefährlicher Bakterien im Rahmen der Kriegführung. Das ist, was ich unter biologischer Kriegführung verstehe.

VON MANSTEIN: Nein, davon weiß ich nichts. Ich habe nie etwas von einem Bakterienkrieg gehört oder einem Vergiftungskrieg.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Jetzt werde ich Ihnen gleich einige bekannte Einzelheiten aus dem Plan für die biologische Kriegführung vorlegen, und Sie werden sich dann vielleicht daran erinnern können. Ich lege dem Gerichtshof Dokument USSR-510 vor. Es ist eine Erklärung des ehemaligen Generalmajors Walter Schreiber, Professor an der Berliner Militärärztlichen Akademie. Ich verlese das Dokument:

»Im Zusammenhang mit dem Ablauf des Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg halte ich es als Professor der Hygiene und Bakteriologie an der militärärztlichen Akademie in Berlin und als ehemaliger Generalarzt des deutschen Heeres für meine Pflicht, gegenüber einem so schwer geprüften Volke und gegenüber der Welt eine Stelle der deutschen Kriegsvorbereitungen, die in Nürnberg jetzt nicht behandelt wurde, aufzudecken. Neben der ehemaligen deutschen politischen und militärischen Führung haben auch deutsche Wissenschaftler und vor allem deutsche Ärzte eine schwere Schuld auf sich geladen. Wenn diese Kriegsvorbereitung zur Ausführung gekommen wäre, dann wären die großen Entdeckungen Robert Kochs, dessen Heimat unser Vaterland ist, und der ein großer Lehrer war, für schändliche und schlimme Zwecke benützt worden...«

VORSITZENDER: Der Verteidiger Dr. Laternser möchte dazu etwas sagen.

DR. HANS LATERNSER, VERTEIDIGER FÜR GENERALSTAB UND OBERKOMMANDO: Ich möchte hier eine Einwendung erheben. Ich habe beim Durchblättern festgestellt, daß der Schreiber dieser Zeilen besonders schwerwiegende Beschuldigungen erhebt. Ich kann nicht sehen, in welcher Richtung diese Beschuldigungen erhoben werden. Ich möchte aber beantragen, daß der Schreiber dieser Zeilen als Zeuge erscheint, um dann durch mich ins Kreuzverhör genommen werden zu können.

VORSITZENDER: Wo befindet er sich?

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Herr Vorsitzender! Ich kann Ihre Frage beantworten. Der ehemalige Generalmajor Walter Schreiber befindet sich in der Sowjetunion als Kriegsgefangener. Wenn der Gerichtshof es für nötig erachtet, ihn hierher als Zeugen vorzuladen, wird die Anklage nichts dagegen einwenden.

DR. LATERNSER: Ich bin der Meinung, daß er auf Grund so schwerwiegender Behauptungen hierherkommen sollte.

VORSITZENDER: General Alexandrow! Könnten Sie dem Gerichtshof mitteilen, wie lange es dauern würde, um diesen Zeugen Schreiber zum Kreuzverhör nach Nürnberg zu bringen?

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Wir werden alles unternehmen, um diesen Zeugen so schnell wie möglich hierher zu bringen; jedoch bin ich nicht imstande, irgendeine Frist festzulegen, da ich die große Entfernung in Betracht ziehen muß. Ich bitte den Gerichtshof, dieser Tatsache Rechnung zu tragen. Ich bitte den Gerichtshof außerdem, mir die Verlesung des Dokuments während des jetzigen Kreuzverhörs, unabhängig davon, ob der Zeuge Schreiber geladen wird oder nicht, zu gestatten.

DR. LATERNSER: Ich bitte, dazu Stellung nehmen zu dürfen.

VORSITZENDER: Dr. Laternser! Wenn Sie wollen, können Sie Ihre Einwendungen sofort erheben, und dann wird der Gerichtshof während der Pause darüber beschließen. Wir haben nicht die Absicht, das Dokument im augenblicklichen Zeitpunkt als Beweismittel zuzulassen. Wir werden die Angelegenheit während der Pause prüfen.

DR. LATERNSER: Ich möchte sagen: Ich bitte das Tribunal, daß das Dokument nicht verlesen werden sollte, bis Walter Schreiber als Zeuge hier sein kann.

VORSITZENDER: Ihr Antrag geht dahin, das Dokument nicht zuzulassen, außer wenn der Zeuge hierher zum weiteren Verhör gebracht wird?

DR. LATERNSER: Ich möchte sogar etwas weiter gehen, Herr Präsident, und darum bitten, die Verlesung nicht zu gestatten, nachdem ja jetzt feststeht, daß der Zeuge durch die Anklage gestellt wird. Dann kann der Zeuge diese Tatsachen ja unter Eid bekunden.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Gestatten Sie, Herr Vorsitzender, daß ich gegen den Antrag des Verteidigers Stellung nehme. Ich bin der Meinung, daß Walter Schreibers Erklärung im Laufe des Kreuzverhörs des Zeugen von Manstein in dieser Sitzung vorgelesen werden darf und muß, und zwar ganz unabhängig davon, ob der Zeuge Walter Schreiber hierher geladen wird oder nicht. Walter Schreibers Erklärung liegt dem Gerichtshof als Photokopie vor. Sie ist von der Außerordentlichen Staatskommission, die im Namen der Sowjetregierung handelte, beglaubigt. Deswegen bestehe ich, unabhängig von der Entscheidung des Gerichtshofs über die Vorladung von Walter Schreiber als Zeugen, darauf, daß das von mir vorgelegte Dokument vom Gerichtshof angenommen und daß mir Gelegenheit gegeben wird, es im Laufe des augenblicklichen Kreuzverhörs zu verlesen.

VORSITZENDER: Nein, General Alexandrow! Der Gerichtshof hat bereits erklärt, daß er das Dokument in diesem Zeitpunkt nicht zuläßt. Der Gerichtshof wird sich um 11.30 Uhr vertagen und dann den Antrag prüfen. Ich bemerke, daß das Affidavit im April 1946 ausgestellt worden ist und daß also genug Zeit gewesen wäre, den Zeugen hierherzubringen.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Dafür bestand keine Notwendigkeit. Jedoch wird mir durch diesen Beschluß die Möglichkeit genommen, im Laufe des augenblicklichen Kreuzverhörs dem Zeugen die Fragen zu stellen, die sich aus der Erklärung von Walter Schreiber ergeben. Insbesondere werde ich dadurch verhindert, in einem anderen Stadium des Verfahrens über die Tatsachen, welche Walter Schreibers Erklärung berührt, Fragen zu stellen.

VORSITZENDER: Herr General! Sie werden Gelegenheit haben, die Fragen zu stellen, nachdem der Gerichtshof über die Zulassung des Dokuments entschieden hat. Das heißt, wenn seine Zulassung verfügt wird, dann können Sie ihm die Fragen stellen. Aber er hat schon gesagt, er wisse nichts über die biologische Kriegführung.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Er weiß nichts von den Tatsachen, die in dieser Erklärung von Walter Schreiber enthalten sind. Augenblicklich habe ich keine weiteren Fragen zu stellen.

VORSITZENDER: Wünscht noch jemand, den Zeugen im Kreuzverhör zu vernehmen?

DR. LATERNSER: Herr Feldmarschall! Sie sind über das Verbot oder das angebliche Verbot des Generalquartiermeisters Wagner befragt worden, nach dem Kriegsgefangene aus Beständen der Wehrmacht nicht zu ernähren seien. Ich möchte Sie nun fragen: Ist Ihnen bekannt, daß gerade Generaloberst Halder bei einem Besuch an der Front, und zwar anläßlich einer Besprechung in Orscha, angeordnet hat, daß die Truppenverpflegung gekürzt werden solle, damit die Kriegsgefangenen besser ernährt werden könnten?

VON MANSTEIN: Diese Tatsache ist mir nicht bekannt, weil es nicht bei mir gewesen ist. Ich weiß aber, daß ich zum Beispiel bei meiner Armee im Winter 1941/1942 auf der Krim die Verpflegung habe heruntersetzen müssen, weil der Nachschub aus der Heimat wegen der geringen Eisenbahnleistung nicht ausreichte und weil wir andererseits das Land nicht völlig von Nahrungsmitteln im Interesse der Bevölkerung und Gefangenenernährung entblößen konnten. Wir haben damals, soweit ich mich entsinne, zum Beispiel die Fleischrationen heruntergesetzt, und ich weiß, daß ich ausdrücklich verboten habe, daß dem Bauern die eine Kuh, die auch unter der Sowjetregierung sein Privateigentum geblieben wäre, genommen werden würde, obwohl die Armee das Fleisch brauchte. Und ich erinnere mich auch noch, daß wir, als im Winter die Verpflegungslage zeitweilig kritisch wurde, Mehl an die Südküste heruntergebracht haben, obwohl aus Mangel an Transportraum zur selben Zeit bei uns an der Südküste Hunderte, ich glaube Tausende von Pferden der Armee an Entkräftung eingegangen sind, weil wir nicht das Heu und Stroh herunterbringen konnten.

DR. LATERNSER: Es ist Ihnen der Befehl USSR-115 vorgelegt worden. Von wem ist dieser Befehl unterzeichnet?

VON MANSTEIN: Ich weiß nicht, welchen Sie meinen, USSR...

DR. LATERNSER: Ich meine das Dokument USSR- 115.

VON MANSTEIN: Ich habe die Nummer nicht.

VORSITZENDER: Wir können ja selbst sehen, von wem er unterzeichnet ist.

DR. LATERNSER: Ich möchte nur wissen, von wem er unterzeichnet ist.

VON MANSTEIN: Ach so, ja, er ist unterzeichnet von Adolf Hitler.

DR. LATERNSER: Ja, das ist es. Sie sind gefragt worden zu Ziffer 2 g. Es ist dort befohlen worden, daß das Land unbrauchbar und unbewohnbar gemacht werden soll. Wissen Sie, Herr Feldmarschall, ob es tatsächlich dann so ausgeführt worden ist?

VON MANSTEIN: Das weiß ich aus diesem Bezirk des Kuban nicht, weil ich nicht da gewesen bin und das nicht zu meinem Bereich gehört hat.

DR. LATERNSER: Waren zu jener Zeit – es handelt sich um 1943 – Sprengmittel, Minen und Truppen in großem Umfange vorhanden?

VON MANSTEIN: Ja, gewiß hatten wir Minen und Sprengmittel; aber um ein solches Ziel zu erreichen, reichten sie bestimmt nicht aus.

DR. LATERNSER: Diese Mittel waren doch damals sehr knapp, es war 1943?

VON MANSTEIN: Ja, wir haben jedenfalls nie genug Minen gehabt, um vor unserer Stellung Minenfelder in ausreichender Zahl zu bauen.

DR. LATERNSER: Sie sind dann weiter vom Herrn russischen Ankläger gefragt worden zu Ziffer 3 c über die rücksichtslose Erfassung der Zivilbevölkerung, insbesondere auch der Frauen. Sie haben aber die Frage des Herrn russischen Anklägers nicht beantwortet, ob Sie wüßten, ob jemals auch mit deutschen Frauen ähnliche Zwangsmaßnahmen oder andere Zwangsmaßnahmen vorgenommen worden sind?

VON MANSTEIN: Ja, im Krieg ist mir der Fall bekannt; aber jetzt werden ja die Frauen auch zu allen möglichen Arbeiten herangezogen. Meine Frau zum Beispiel ist zum Kartoffelkäfersuchen eingesetzt worden.

DR. LATERNSER: Ich meine, wie war es in Ostpreußen im Jahre 1944?

VON MANSTEIN: Ich kann das aus eigener Anschauung nicht sagen, weil ich nicht da gewesen bin. Aber sicherlich hat die Zivilbevölkerung da auch nichts zu lachen gehabt.

DR. LATERNSER: Es ist Ihnen durch den Herrn amerikanischen Ankläger das Dokument C-52, GB-485 vorgelegt worden. Bitte sehen Sie sich Ziffer 6 nochmals an. Handelte es sich dabei um eine Anweisung oder einen Befehl?

VON MANSTEIN: Das ist eine Anweisung, aber kein Befehl.

DR. LATERNSER: Damit, wie es in dieser Anweisung heißt, »drakonische Maßnahmen« Anwendung finden konnten, bedurfte es also entsprechender Befehle der Oberbefehlshaber?

VON MANSTEIN: Ja natürlich. Hier ist gesagt worden, sie sollten keine Sicherungskräfte anfordern, sondern durch drakonische Maßnahmen die Mittel finden, und da müßten solche Maßnahmen nochmals angeordnet werden.

DR. LATERNSER: Sind Ihnen Befehle bekannt, die auf Grund dieser Ziffer 6 erlassen worden sind?

VON MANSTEIN: Nein, ich erinnere mich auch an keinen solchen Befehl, der darauf Bezug genommen hat.

DR. LATERNSER: Nun, zu Dokument 447-PS, US- 135, habe ich eine Frage. Bitte sehen Sie sich auf Seite 2 die Ziffer 2b an. Ergibt sich nicht aus dieser Ziffer 2 b, daß erstens der Reichsführer-SS im Operationsgebiet Sonderaufgaben erhielt, und zweitens im Rahmen dieser Aufgaben selbständig und in eigener Verantwortung handelte?

VON MANSTEIN: Ja, das steht ja ganz klar in dem Befehl drin.

DR. LATERNSER: Daraus ergibt sich ja dann, daß die Einsatzgruppen taktisch den Oberbefehlshabern nicht unterstanden haben?

VON MANSTEIN: Nein, sie haben taktisch höchstens den örtlichen Befehlshabern unterstanden, zum Beispiel im Partisanenkampf oder auch im jeweiligen Kampf an der Front; jedenfalls aber in ihren polizeilichen Aufgaben haben sie ihm bestimmt nicht unterstanden.

DR. LATERNSER: Es wurde Ihnen dann weiter das Dokument R-102 vorgelegt. Es handelt sich dabei um eine Geheime Reichssache. Was bedeutet das?

VON MANSTEIN: Geheime Reichssache bedeutet meines Erachtens einen Befehl oder eine Anweisung oder eine Verkündung, die nur an die obersten Reichsbehörden beziehungsweise an ganz bestimmte Persönlichkeiten ergangen ist, die aber nicht allgemein bekannt werden durfte.

DR. LATERNSER: Finden Sie bei diesem Dokument einen Verteiler?

VON MANSTEIN: Nein, er müßte am Schluß stehen, und da steht keiner.

DR. LATERNSER: Sie können also nicht feststellen, ob dieses Dokument auch Heeresdienststellen zugegangen ist?

VON MANSTEIN: Nein, das ist nicht festzustellen. Aber es ist sicher nicht den Heeresdienststellen zugegangen; denn solche Berichte haben wir jedenfalls nicht bekommen.

DR. LATERNSER: Bei Ihrer Vernehmung am letzten Sonnabend sagten Sie, daß selbst nach Ihrer Überzeugung auch die anderen Oberbefehlshaber gegen Massenerschießungen eingeschritten wären, wenn ihnen solche gemeldet worden wären?

VON MANSTEIN: Ja, selbstverständlich.

DR. LATERNSER: Ist Ihnen bekannt, daß der Feldmarschall von Küchler, als ihm während des Polenfeldzuges die Erschießung von Juden bekanntgeworden ist, mit allen ihm gegebenen Mitteln eingeschritten ist?

VON MANSTEIN: Ja, das ist mir hier in Nürnberg bekanntgeworden; seinerzeit habe ich davon nichts gewußt.

DR. LATERNSER: Ist Ihnen bekannt, daß der Volksdeutsche Bürgermeister von Marinka durch ein Kriegsgericht wegen eines Verbrechens an einer Jüdin zum Tode verurteilt worden ist?

VON MANSTEIN: Ich entsinne mich nicht. Ich weiß auch nicht, ob es in meinem Bereich war; aber wenn es in meinem Bereich war, würde es mir wohl gemeldet worden sein; aber ich kann mich nicht daran erinnern.

DR. LATERNSER: Ist Ihnen bekannt, daß der General von Knobelsdorff, auch ein von der Anklage betroffener Offizier, einen SS-Führer verhaften ließ, als dieser Erschießungen durchführen lassen wollte?

VON MANSTEIN: Das habe ich wohl auch hier gehört; seinerzeit ist mir von diesen Erschießungen nichts bekanntgeworden.

DR. LATERNSER: Kennen Sie weitere Fälle, in denen Oberbefehlshaber gegen besonders krasse Willkürakte eingeschritten sind?

VON MANSTEIN: Ich weiß zum Beispiel, daß der Generaloberst Blaskowitz, der als Nachfolger des Feldmarschalls von Rundstedt als Oberbefehlshaber im Osten, also im besetzten Polen, eingesetzt wurde, daß er wegen des Verhaltens der Polizei im Generalgouvernement Vorstellung und Einspruch erhoben, hat und daß es darüber zu irgendwelchem Krach gekommen ist. Und er ist abgelöst worden.

DR. LATERNSER: Nun komme ich zu dem letzten Punkt. Wegen der Art der Unterstellung der Einsatzgruppen wurde durch den Herrn amerikanischen Ankläger Bezug genommen auf das Affidavit Nummer 12 von Schellenberg, US-557. Dieses Affidavit halten Sie ja nicht für richtig, weil die Praxis dem nicht entsprochen hat?

VON MANSTEIN: Meinen Sie das, wo Schellenberg über die Vereinbarung mit dem Generalquartiermeister spricht?

DR. LATERNSER: Ja.

VON MANSTEIN: Ja, die in diesem Affidavit gegebene Unterstellung ist in der Praxis keineswegs so gewesen, und ich kann mir auch nicht denken, daß es von Wagner so abgemacht worden ist; denn es gab, wie gesagt, nach unseren Begriffen entweder die taktische Unterstellung, das heißt für den Kampf, oder die wirtschaftliche, das heißt für Versorgung, Unterbringung und so weiter. Diese beiden Unterstellungsmöglichkeiten bestanden. Die taktische aber nur, wie gesagt, für den Kampf. Dann war noch die dritte Möglichkeit, die truppendienstliche Unterstellung, also für die Ausbildung und so weiter, und die hat bestimmt nie stattgefunden.

DR. LATERNSER: Ich will Ihnen nun das Affidavit, das ich demnächst als Beweismittel einführen werde, des Generalrichters Mantel vorlesen, der glücklicherweise gerade diesen Punkt mit General Wagner besprochen hat, und ich möchte Sie im Anschluß daran dann fragen, ob der Inhalt dieser eidesstattlichen Erklärung dann der Praxis entsprochen hat. Er gibt an:

»Kurz vor Beginn des Rußlandfeldzuges nahm ich im Hauptquartier des OKH zeitweilig an einer Besprechung teil, die der Generalquartiermeister, General Wagner, mit den Oberquartiermeistern der Ostarmeen abhielt. Unter anderem wurde dabei auch über die Einsatzgruppen und Einsatzkommandos des Sicherheitsdienstes im Operationsgebiet des Heeres gesprochen und eindeutig erklärt, daß sie die Weisungen für ihre Tätigkeit ausschließlich vom Reichsführer-SS erhalten, daß sie den Kommandobehörden des Heeres truppendienstlich nicht unterstellt sind, daß sie jedoch wirtschaftlich zugeteilt werden können.«

Ich frage Sie nun: Hat die Praxis hinsichtlich der Einsatzgruppen und deren Unterstellung dem Inhalt dieser eidesstattlichen Erklärung entsprochen?

VON MANSTEIN: Es ist in der Aussage von Ohlendorf festgestellt worden, daß Himmler seine Befehle für die Einsatzgruppen, zum Beispiel in Nikolajew, mündlich nur an sie selbst gegeben hat; und daß die Heeresdienststellen davon nichts erfahren haben, geht aus folgender Tatsache, die ich nachträglich erst hier gehört habe, hervor: Himmler ist damals in Nikolajew gewesen, wo das Armeeoberkommando lag, das damals noch unter dem Kommando von General von Schobert stand; er hat es bei dieser Gelegenheit aber vermieden, das Armeeoberkommando aufzusuchen, obwohl er mit Schobert gut bekannt war. Daraus geht hervor, daß er über seinen Plan absichtlich nichts gesagt hat.

DR. LATERNSER: Danke sehr. Ich habe keine weiteren Fragen mehr an den Zeugen.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt sich jetzt.