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[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Herr Dr. Laternser! Wollen Sie nun Ihren nächsten Zeugen rufen?

DR. LATERNSER: Mit Genehmigung des Gerichtshofs rufe ich als letzten Zeugen den Feldmarschall von Rundstedt.

[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Geben Sie bitte Ihren vollen Namen an.

ZEUGE GERT VON RUNDSTEDT: Gert von Rundstedt.

VORSITZENDER: Sprechen Sie mir diesen Eid nach: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde, so wahr mir Gott helfe.«

[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]

VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

DR. LATERNSER: Herr Feldmarschall! Sie sind der dienstälteste Offizier des früheren deutschen Heeres. Welches war Ihre letzte Dienststellung?

VON RUNDSTEDT: Ich bin der älteste Offizier des deutschen Heeres und über 54 Jahre Soldat. Meine letzte Dienststellung war Oberbefehlshaber West, bis zum 9. März 1945.

DR. LATERNSER: In welchem Zeitraum waren Sie Oberbefehlshaber in Berlin?

VON RUNDSTEDT: Vom 1. Oktober 1932 bis 31. Oktober 1938.

DR. LATERNSER: Wie stand die militärische Führung zur Außen- und Innenpolitik?

VON RUNDSTEDT: Um die Politik haben wir Generale uns nicht gekümmert. Wir haben an keinen politischen Beratungen teilgenommen und haben auch unter uns keine politischen Beratungen abgehalten. Ich möchte hierbei mir ein Wort des berühmten englischen Feldmarschalls Montgomery zu eigen machen, worin er sagt: »Als Dienerin der Nation steht die Armee über der Politik, und das muß so bleiben.«

DR. LATERNSER: Hat die Reichswehr 1933 Hitler zur Macht verholfen?

VON RUNDSTEDT: Nein.

DR. LATERNSER: Wie stand die hohe Generalität zur Partei und ihren Methoden?

VON RUNDSTEDT: Zur Partei stand die hohe Generalität entweder ablehnend oder gleichgültig. Zu ihren Methoden, was die Judenfrage anbetrifft, durchaus ablehnend, besonders weil auch viele Kameraden durch die arischen Gesetze schwer betroffen wurden. Die sogenannte Herrenrasse ist ein Unding. In Deutschland ist ein Rassengemisch von stark slawischem, romanischem und dinarischem Einschlag. Ihre Haltung in der Kirchenfrage haben wir gleichfalls abgelehnt und es erreicht, daß wir bis zuletzt eine Militärseelsorge behalten haben.

DR. LATERNSER: Gilt diese Einstellung auch für die jüngeren Generale, die im Laufe des Krieges in Stellungen kamen, die unter die Anklage fallen?

VON RUNDSTEDT: Soweit es meine näheren Bekannten anbetrifft, durchaus.

DR. LATERNSER: Hatten Sie als ältester Offizier 1934 eine Möglichkeit, sich bei Hitler für eine Bestrafung der Schuldigen an der Ermordung Schleichers einzusetzen?

VON RUNDSTEDT: Nein. Erstens war der Reichspräsident von Hindenburg noch an der Spitze des Staates, zweitens war ich nicht der älteste Offizier, sondern wir hatten einen Oberbefehlshaber des Heeres und einen Kriegsminister, die dazu dagewesen wären.

DR. LATERNSER: Ließen die Truppenübungen oder die Generalstabsreisen nach 1935 auf die Absicht oder einen Plan zu Angriffskriegen schließen?

VON RUNDSTEDT: Nein, in keiner Weise. Die großen Manöver und die Generalstabs- oder Führerreisen haben stets den Krieg im eigenen Lande behandelt.

DR. LATERNSER: Sind Sie als in Berlin ansässiger Oberbefehlshaber vor Erklärung der Wehrhoheit gehört worden?

VON RUNDSTEDT: Nein.

DR. LATERNSER: Sie kannten den Generaloberst von Fritsch gut?

VON RUNDSTEDT: Sehr gut; er war eine Zeitlang mein Untergebener gewesen.

DR. LATERNSER: Hat er Ihnen als seinem repräsentativen Stellvertreter nach 1937 von der Absicht Hitlers Mitteilung gemacht, Angriffskriege zu führen?

VON RUNDSTEDT: Nein, das konnte er auch nicht, weil es ein Dienstgeheimnis gibt.

DR. LATERNSER: Sie vertraten ihn doch, als er im Winter 1937/1938 einen längeren Urlaub nach Ägypten antrat. Hat er Ihnen bei dieser Gelegenheit über die Absichten Hitlers Mitteilung gemacht, die in dem Protokoll über die Besprechung vom 5. November 1937 niedergelegt sind?

VON RUNDSTEDT: Ich habe den Generaloberst von Fritsch nur repräsentativ vertreten; sein dienstlicher Vertreter war der Chef des Generalstabs Beck. Auch damals hat mir der Generaloberst von Fritsch keinerlei Mitteilung gemacht, ebensowenig auch der Generaloberst Beck.

DR. LATERNSER: Welches waren die Folgen der Maßnahmen, die Hitler am 4. Februar 1938 auf militärischem Gebiet getroffen hat?

VON RUNDSTEDT: Hitler hatte den Kriegsminister als Zwischenglied zwischen sich und der Wehrmacht ausgeschaltet, hatte also selbst jetzt die Befehlsgewalt über alle drei Wehrmachtsteile. Außerdem hat er die Gelegenheit wahrgenommen, um mißliebige militärische höhere Führer von ihren Posten zu entfernen.

DR. LATERNSER: Sie hatten im Februar 1938 eine Besprechung mit Hitler unter vier Augen? Was sagte er Ihnen über die Haltung der deutschen Generale?

VON RUNDSTEDT: Er klagte in sehr lebhafter Weise über die oberste militärische Führung; er allein wäre derjenige gewesen, der die Aufrüstung durchgedrückt hätte; die höchste Führung hätte sich immer dagegen gesträubt, es ginge zu schnell. Bei der Rheinlandbesetzung warf er der obersten Führung eine gewisse Feigheit vor, indem sie die Zurückziehung der Truppen über den Rhein beantragte, nachdem Frankreich eine drohende Haltung einnahm.

DR. LATERNSER: Wurde bei dieser Besprechung auch über die Nachfolgerschaft Fritsch's gesprochen?

VON RUNDSTEDT: Jawohl. Hitler schlug mir als ersten Nachfolger den General von Reichenau vor. Den habe ich im Namen der Armee abgelehnt. Dann schlug er den General von Brauchitsch vor, mit dessen Ernennung ich im Namen der Armee mich durchaus einverstanden erklärte.

DR. LATERNSER: Wann erhielten Sie als Oberbefehlshaber in Berlin Kenntnis von dem geplanten Einmarsch in Österreich?

VON RUNDSTEDT: Ich war damals ganz plötzlich mit der Vertretung des Generals von Brauchitsch in Breslau zu dem Stiftungsfest des Eisernen Kreuzes beauftragt worden und habe erst dort von der tatsächlichen Besetzung Österreichs dienstlich überhaupt erfahren.

DR. LATERNSER: Wie war es überhaupt mit der Orientierung der Oberbefehlshaber über bestehende Absichten?

VON RUNDSTEDT: Wir wurden von Absichten der obersten Führung durch unseren Oberbefehlshaber von Brauchitsch orientiert, der uns aber auch nur das sagen durfte, was uns anging.

DR. LATERNSER: Herr Präsident! Ich möchte nun den Zeugen zu den Affidavits 3 und 5 des Feldmarschalls von Blomberg und Generalobersten von Blaskowitz befragen. Es handelt sich dabei um US-536 und US-537, die sich im ersten Dokumentenband der Anklagebehörde befinden. Ich möchte dabei nur die Aufmerksamkeit des Gerichts darauf lenken, daß diese Affidavits gerade in den fraglichen Absätzen wörtlich übereinstimmen, obwohl sie an verschiedenen Tagen und von verschiedenen Personen ausgestellt worden sind.

Herr Feldmarschall! In zwei eidesstattlichen Erklärungen von Feldmarschall von Blomberg und Generaloberst Blaskowitz geben diese an, daß die – so ist es dort erwähnt – Gruppe deutscher Stabsoffiziere die Lösung der polnischen Frage durch Krieg für unerläßlich gehalten hätte und daß dies auch der Grund zur geheimen Aufrüstung gewesen sei. Stimmt diese Angabe?

VON RUNDSTEDT: Erstens hat es eine Gruppe von deutschen Stabsoffizieren nie gegeben...

DR. LATERNSER: Was versteht man überhaupt unter Stabsoffizieren?

VON RUNDSTEDT: Stabsoffizier ist der Offizier im Majorsrang, Oberstleutnantsrang und Oberstrang; dann kommt die sogenannte Generalität.

DR. LATERNSER: Ich bitte Sie nun fortzufahren.

VON RUNDSTEDT: Selbst wenn mit der Äußerung Blombergs gemeint sein soll, daß ein Angriffskrieg unsererseits gegen Polen unerläßlich gewesen wäre, so ist diese Angabe falsch. Wenn dagegen gemeint ist, daß wir mit einem Angriff jederzeit rechnen mußten, so kann ich sagen, daß ich in den ersten Jahren nach dem Weltkrieg mit dieser Möglichkeit auch gerechnet habe. Daher der Grenzschutz und die Befestigungen an der Ostgrenze des Reiches gegen Polen. Aber, wie gesagt, an einen Angriffskrieg hat ein vernünftiger Mensch nie gedacht; dazu waren wir auch gar nicht in der Lage.

DR. LATERNSER: Generaloberst Blaskowitz gibt dann am Schluß dieses Affidavits Nummer 5, US- 537, an, daß die Frontoberbefehlshaber der tatsächliche Beraterkreis beim OKW gewesen wären und führt dazu als Beispiel die Schlacht bei Kutno an. Stimmt diese Angabe?

VON RUNDSTEDT: Diese Angabe stimmt nicht. Die Oberbefehlshaber haben niemals eine beratende Rolle gespielt. Nur unser Oberbefehlshaber des Heeres war derjenige, welcher Beratungen zu führen hatte mit der höchsten Stelle. Was die Schlacht bei Kutno anbelangt, so war eine Beratung Hitlers absolut Unsinn. Die Befehle für die Schlacht von Kutno habe ich gegeben als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd nach den Weisungen, die ich von Herrn von Brauchitsch hatte, und Herr Blaskowitz hatte nur zu gehorchen und konnte keinerlei Ratschläge an Hitler geben. Nein, das muß ein Irrtum sein.

DR. LATERNSER: Welchen Eindruck machte die Besprechung am 22. August 1939 auf dem Obersalzberg auf Sie, Herr Feldmarschall?

VON RUNDSTEDT: Als wir die Besprechung verließen, waren wir der Auffassung, daß dieses Unternehmen genau so enden würde wieder sogenannte Sudetenkrieg 1938, und zwar hauptsächlich deswegen, weil Rußland auf unserer Seite stand. Als nun am 26. August ganz plötzlich die befohlene Antretebewegung gestoppt wurde und am 1. September wieder beginnen sollte, da sagten wir: »Aha, das ist genau so ein Bluff wie damals 1938.« Wir haben also den Entschluß zum Krieg nicht für ernst genommen.

DR. LATERNSER: Haben Sie noch mit anderen Oberbefehlshabern nach der Besprechung vom 22. August gesprochen und unter sich Gedanken ausgetauscht über den Eindruck dieser Besprechung?

VON RUNDSTEDT: Ich habe, das weiß ich noch bestimmt, mit Generalfeldmarschall von Bock darüber gesprochen. Ich verließ sehr schnell den Obersalzberg. Ich habe mit Manstein und später mit meinem Stabe die Auffassungen ausgetauscht, die ich eben erwähnte.

DR. LATERNSER: Hatten Sie Kenntnis vom Überfall auf den Gleiwitzer Sender?

VON RUNDSTEDT: Nein.

DR. LATERNSER: Auf welche Weise erhielten Sie Kenntnis von der Absicht, Dänemark und Norwegen zu besetzen?

VON RUNDSTEDT: Ich erfuhr von der vollendeten Tatsache auf dienstlichem Wege.

DR. LATERNSER: Und wie war es beim Einmarsch in Jugoslawien und Griechenland?

VON RUNDSTEDT: Genau so.

DR. LATERNSER: Sie waren Teilnehmer an der Besprechung im März 1941, als Hitler von der Notwendigkeit sprach, die Sowjetunion anzugreifen?

VON RUNDSTEDT: Ja.

DR. LATERNSER: Was wurde Ihnen über den sowjetrussischen Aufmarsch bekanntgegeben?

VON RUNDSTEDT: Ich war bis kurz vorher in Frankreich gewesen und hatte von den angeblichen Vorbereitungen der Russen gar keine Kenntnis. Bei der Besprechung wurde uns nun zu unserer Überraschung gesagt, daß die Russen in einer sehr starken Weise gerüstet seien, im Aufmarsch begriffen seien, um uns zu überfallen. Es wurde, wenn ich nicht irre, auf Nachrichten des japanischen Militär-Attaches hingewiesen, und es wurde uns auch eine Lagekarte der russischen Kräfteverteilung an der Grenze Polens vorgelegt, so daß wir annehmen mußten, die Sache stimmt tatsächlich.

DB. LATERNSER: Hat sich dieser Eindruck nach dem Einmarsch dann bestätigt?

VON RUNDSTEDT: Jawohl; nachdem der Widerstand an der Grenze nicht übertrieben stark war, verstärkte er sich nach innen zu immer mehr. Es traten sehr starke Panzerkräfte mit einem uns weit überlegenen, besseren Typ auf, eine Unmenge von Flugplätzen, Truppenlagern, Munitionslagern, neu angelegten Autobahnen in Ungangbarem Gelände wurden erkannt, und es wurden auch Karten gefunden, die bis nach Schlesien herein deutsches Gebiet darstellten, so daß wir den Eindruck hatten, Hitler hat doch wohl recht gehabt.

DR. LATERNSER: Auf der Besprechung im März 1941 wurde von Hitler der Kommissarbefehl bekanntgegeben. Wie war Ihre Einstellung zu diesem Befehl?

VON RUNDSTEDT: Unsere Einstellung war übereinstimmend absolut ablehnend. Wir haben uns sofort nach der Besprechung an Brauchitsch gewandt, die Sache ginge nicht. Unsere Oberbefehlshaber der Armeen waren derselben Auffassung. Der Befehl ist im Alltag nicht ausgeführt worden und, wie ich später erfahren habe, auch nachher aufgehoben worden. General von Brauchitsch hat, um diesen Befehl gewissermaßen unwirksam zu machen, einen sehr strengen Befehl über das korrekte Verhalten des deutschen Militärs im kommenden Krieg an die Truppe ausgegeben. Mir ist kein Fall bekannt, daß irgendwie von diesem Befehl Gebrauch gemacht worden sei.

DR. LATERNSER: Wurde bei dieser Besprechung auch die Absicht bekanntgegeben, die jüdische Bevölkerung des Ostens zu beseitigen?

VON RUNDSTEDT: Nein; das hätte Hitler Offizieren gegenüber niemals ausgesprochen.

DR. LATERNSER: Nach Behauptung der Russischen Anklage sollen im November 1941 in Kiew 33000 Juden erschossen worden sein. Wo standen die Armeen der Heeresgruppe Süd im November 1941?

VON RUNDSTEDT: Meine Armeen standen von Rostow über Stalino am Donez entlang bis in die Gegend ostwärts Charkow. Die rückwärtige Heeresgrenze zu dem in Zivilverwaltung befindlichen Ukrainegebiet verlief ostwärts Kiew und am Dnjepr entlang.

DR. LATERNSER: Kiew war also damals nicht im Operationsgebiet einer Armee, die Ihnen unterstellt war?

VON RUNDSTEDT: Nein.

DR. LATERNSER: Hatten die Oberbefehlshaber der Heeresgruppen und der Armeen im Osten irgendwelche Befugnisse außerhalb dieses Gebietes?

VON RUNDSTEDT: Nein.

DR. LATERNSER: Wurde das Operationsgebiet möglichst klein oder groß gehalten?

VON RUNDSTEDT: Das Operationsgebiet der Armee wurde möglichst klein gehalten, und zwar einmal, um die Armeen mit rückwärtigen Angelegenheiten möglichst wenig zu behelligen, und dann wohl, um das zivile Verwaltungsgebiet Ukraine und so weiter möglichst groß zu machen und um es der Einwirkung des Heeres zu entziehen.

DR. LATERNSER: Nun zum Kommandobefehl. Welche Einstellung hatten Sie zum Kommandobefehl?

VON RUNDSTEDT: Dem Kommandobefehl gegenüber haben wir militärischen Befehlshaber uns durchaus ablehnend eingestellt und ihn durch mündliche Besprechungen unserer Stäbe auch selbst unwirksam gemacht.

DR. LATERNSER: Ist Ihnen als Oberbefehlshaber West ein Fall gemeldet worden, in dem der Befehl zur Anwendung kam?

VON RUNDSTEDT: Mir ist kein einziger Fall gemeldet worden, und meinem Chef des Stabes, den ich hier in Nürnberg danach fragte, ist gleichfalls kein Fall bekannt. Ich muß annehmen, daß dieser Kommandobefehl auf der Gegenseite etwas abschreckend gewirkt hat, denn mir ist auch kein Fall bekannt, worin ein neues Kommandounternehmen stattgefunden hätte, außer auf der Insel Sark, wo Ungesetzlichkeiten vorgekommen sind, aber keine Gefangenen unsererseits gemacht wurden.

DR. LATERNSER: Von welcher Seite aus Ungesetzlichkeiten?

VON RUNDSTEDT: Von der Seite, die das Kommandounternehmen gemacht hatte.

DR. LATERNSER: Nun kam die Invasion, oder sie wurde erwartet. Sie haben, wie sich aus der Urkunde 531-PS ergibt, die Aufhebung des Kommandobefehls beantragt. Aus welchem Grunde?

VON RUNDSTEDT: Bei der Invasion mußte mit starken Luftlandungen weit hinter der kämpfenden Front, vielleicht sogar bis Paris, gerechnet werden. Es wäre dann eine Unterscheidung zwischen Kommandotrupps und kämpfender Truppe überhaupt nicht mehr möglich gewesen. Außerdem war es eine erwünschte Gelegenheit, diesen Befehl endlich aus der Welt zu schaffen, um so mehr, als die Mehrzahl der neuen Divisionen ihn gar nicht kannte.

DR. LATERNSER: Allerdings geben Sie bei diesem Aufhebungsantrag an, daß bisher nach dem Befehl verfahren worden sei. Wie steht es damit?

VON RUNDSTEDT: Das mußte ich schon so ausdrücken. Ich hatte den Befehl umgangen. Ich konnte nicht schreiben: Ziffer 1: »Den Kommandobefehl habe ich nicht ausgeführt«. Es ist also gewissermaßen eine Ausrede gewesen, die gemacht werden mußte.

DR. LATERNSER: Nun wenige Fragen zur Bekämpfung der Widerstandsbewegung in Frankreich. Welche Dienststellen waren für die Ruhe und Ordnung in den besetzten Gebieten Frankreichs verantwortlich?

VON RUNDSTEDT: Für die Ruhe und Ordnung im besetzten Frankreich war der Militärbefehlshaber verantwortlich. Für – ich will sagen – Pétains Frankreich, also für den Süden, hatte er einen besonderen General sitzen in Lyon, der mit der Regierung Pétain eng zusammenarbeiten sollte. Nachdem nun diese französische Aufstandsbewegung in Südfrankreich immer schärfere Formen annahm und zu einer unerhörten Bedrohung für die am Mittelmeer kämpfenden Truppen wurde, also etwa im Winter 1943 und 1944, wurde der Oberbefehlshaber West für den Süden Frankreichs verantwortlich gemacht. Ich unterstellte daraufhin diesen General in Lyon der Heeresgruppe »Gustav«, welche in Toulon lag und für die Schaffung der Ordnung in Südfrankreich verantwortlich war.

DR. LATERNSER: Sind die Französische Regierung und die Bevölkerung gewarnt worden?

VON RUNDSTEDT: Die Französische Regierung ist wiederholt gewarnt und gebeten worden, doch mit allen Kräften dieser Bewegung zu steuern mit Rücksicht auf die Einwohnerschaft. Wir haben Aufrufe an die Bevölkerung erlassen, die immer vorher der Französischen Regierung in loyaler Weise zur Prüfung übersandt wurden. Als die Invasion drohte, habe ich persönlich den alten Herrn noch gebeten, er soll doch am Rundfunk sein Volk warnen, doch so etwas nicht zu machen, im eigenen Interesse. Das hat er mir auch zugesagt. Ob es geschehen ist, weiß ich nicht.

DR. LATERNSER: Sind diese Warnungen beachtet worden?

VON RUNDSTEDT: Leider nein; es ging sogar schließlich die französische Polizei, die wir noch besser bewaffnet hatten, um die Bewegung zu bekämpfen, zu den Aufständischen über.

DR. LATERNSER: Wurde von deutscher Seite aus dennoch schonend gekämpft?

VON RUNDSTEDT: Es wurde, soweit wir irgendwie konnten, schonend gekämpft. Es wurden niemals ganze Ortschaften aus der Luft zusammengeschossen, sondern es sind immer nur einzelne Flugzeuge gegen bestimmte Widerstandsorte eingesetzt worden. Massenverwendung von Artillerie oder von Panzern haben nicht stattgefunden. Daß Ausschreitungen vorgekommen sind, wie bei Oradour, haben wir alle sehr bedauert. Ich habe damals sofort einen Bericht verlangt, da ich eine gerichtliche Untersuchung nicht anordnen konnte und habe auch dem OKW über diesen bedauerlichen Vorfall Meldung erstattet.

DR. LATERNSER: Aus welchem Grunde konnten Sie keine gerichtliche Untersuchung anordnen?

VON RUNDSTEDT: Die sämtlichen Truppenteile der SS unterstanden nur Himmler. Ich hatte weder disziplinare Strafgewalt noch gerichtliche Strafgewalt. Ich konnte auch keinen Urlaub erteilen und keine Auszeichnungen verleihen. Ich war lediglich auf die taktische Verwendung dieser Divisionen beschränkt, etwa genau so, wie wenn ich eine italienische oder ungarische oder slowakische Division unter mir gehabt hätte.

DR. LATERNSER: Wurde die Legalität der Widerstandsbewegung anerkannt?

VON RUNDSTEDT: General Eisenhower und de Gaulle hatten sie durch Rundfunk erklärt. Darauf haben wir beim OKW angefragt, wie es damit werden sollte. Es kam ein ablehnender Bescheid. Es soll dann späterhin, nachdem die alliierten Truppen an der Mittelmeerküste gelandet waren, ohne weiteres die Legalität der nunmehrigen neuen französischen Armee anerkannt und geachtet worden sein.

DR. LATERNSER: Wie stehen Sie überhaupt zur illegalen Kriegführung?

VON RUNDSTEDT: Mein Standpunkt ist folgender, aus durchaus verständlichen patriotischen Gefühlen heraus:

Es wird hier hinter der Front des feindlichen Heeres ein wilder regelloser Krieg entfesselt, der größtes Elend über das Volk des betreffenden Landes bringen muß. Keine Armee der Welt kann auf die Dauer etwas Derartiges ruhig hinnehmen. Sie muß im Interesse der eigenen Truppen, ihrer Sicherheit und ihrer Lebensmöglichkeit, scharf und energisch durchgreifen, wohl verstanden, aber unter Wahrung korrekter und soldatischer Kampfweise. Ausschreitungen, wie sie in Oradour vorgekommen sind, verurteilte ich und mit mir alle Armeeführer auf das schärfste. Wir haben es sehr ungern gesehen, daß auf deutscher Seite zuletzt noch versucht wurde, diese »Werwolf-Bewegung« aufzuziehen. Sie hätte bei ihrer Durchführung unsagbares Elend über unser Vaterland gebracht, und zwar mit Recht. Ich würde es als ein Glück für die Menschheit bezeichnen, wenn durch internationale Abmachungen für die Zukunft solche illegale Kriege unmöglich gemacht werden würden. Das ist mein Standpunkt.

DR. LATERNSER: Welche Erleichterungen haben Sie für das französische Volk während der Besetzung eingeführt?

VON RUNDSTEDT: Es liegt mir nicht, hier alle Einzelheiten anzuführen. Ich kann hier nur angeben, daß ich gegenüber dem Marschall Pétain, mit dem ich ein sehr vertrauensvolles Verhältnis hatte, alles getan habe, um ihm zu helfen. Ich habe bei Hitler gebeten, doch endlich zu sagen, welche Stellung Frankreich im zukünftigen Europa einmal einnehmen würde. Ich habe ihm seine Garde aufgezogen und versucht, ihm eine neue Armee zu schaffen. Über ein Regiment ist es allerdings nicht hinausgekommen. Ich habe für die braven französischen Eisenbahner, die für uns alle Transporte fuhren, Erleichterungen in der Verpflegung durchgesetzt und versucht, ihnen ihre kriegsgefangenen Angehörigen zurückgeben zu lassen, ebenso wie es damals nach dem Dieppe-Unternehmen von Hitler für die Dieppe-Angehörigen genehmigt wurde.

Wir haben getan, was wir konnten, um die große Stadt Paris mit Kohle und Lebensmitteln zu versorgen, bei einer Transportlage, die für uns deutsche Militärs schon fast untragbar schlecht war. Das ist im großen die Hauptsache.

DR. LATERNSER: Ich möchte hier eine Frage einschieben. In den letzten Tagen wurde von einem Zeugen erklärt, daß ab 1944 die Konzentrationslager von Soldaten aller Wehrmachtsteile bewacht worden seien. Wie erklären Sie das, Herr Feldmarschall?

VON RUNDSTEDT: Darüber ist mir nichts bekannt. Da Himmler seit dem Führerattentat Oberbefehlshaber des Ersatzheeres war, konnte er eine derartige Anordnung wohl treffen. Wenn er sie getroffen hat, so ist es mein Gefühl, daß er damit auch die Armee hat belasten wollen mit allen diesen Vorgängen, die um die Konzentrationslager herum lagen.

DR. LATERNSER: Nun wenige Fragen zur Ardennen-Offensive. Ist vor oder während der Ardennen- Offensive ein Befehl gegeben worden, Gefangene zu erschießen?

VON RUNDSTEDT: Ein solcher Befehl ist von Hitler nicht gegeben worden. Im Gegenteil, er legte größten Wert darauf, bei der Offensive möglichst viel Gefangene zu machen. Daß eine untergeordnete militärische Dienststelle einen derartigen Befehl gegeben haben sollte, halte ich für ausgeschlossen; das widerspricht unserer Erziehung und Auffassung.

DR. LATERNSER: Haben Sie dieser Offensive nicht widersprochen?

VON RUNDSTEDT: Ich habe der Offensive widersprochen, und zwar aus folgendem Grunde: Der operative Gedanke an sich kann fast als genial bezeichnet werden. Es fehlten aber alle, aber auch alle Voraussetzungen für ein mögliches Gelingen einer derartigen Offensive. Ich habe daher, und mit mir Feldmarschall Model, vorgeschlagen, sich mit was Kleinerem zu begnügen und die ostwärts von Aachen stehenden alliierten Truppen von mehreren Seiten anzugreifen. Diese Vorschläge fanden kein Gehör. Die Offensive mußte starten mit absolut unzureichenden Kräften auf der Erde und in der Luft und konnte, wie vorhergesehen, nur scheitern.

DR. LATERNSER: Haben Sie Hitler auch bei anderen Gelegenheiten widersprochen?

VON RUNDSTEDT: Ich persönlich nicht, weil ich keine Gelegenheit dazu hatte, wohl aber seinem Stabe gegenüber habe ich mich öfters gegen von oben befohlene Maßnahmen gewendet. Besonders bei der Normandie-Invasion, bei der Ardennen-Offensive, nachdem sie gescheitert war, und auch über die Kampfführung in Holland. Alle diese Sachen waren umsonst.

DR. LATERNSER: Wann hielten Sie den Krieg für verloren?

VON RUNDSTEDT: Nach meiner Ansicht war der Krieg nach dem Fall Stalingrads nicht mehr zu gewinnen. Für verloren hielt ich den Krieg, nachdem es den Alliierten gelungen war, einen starken Brückenkopf auf französischem Boden zu gewinnen. Damit war es zu Ende.

DR. LATERNSER: Haben Sie oder andere Oberbefehlshaber versucht, die Fortführung des als aussichtslos erkannten Krieges zu unterbinden?

VON RUNDSTEDT: Sowohl der Feldmarschall Rommel als auch ich haben zweimal bei Hitler versucht, eine Änderung der Kriegführung herbeizuführen, vor allen Dingen eine Änderung, also eine Räumung und Zurückziehung der Front auf die deutschen Grenzen. Diese Vorschläge fanden, wie nicht anders zu erwarten war, kein Gehör.

DR. LATERNSER: Wenn nun Hitler solchen versuchten Ratschlägen gegenüber unzugänglich war, haben Sie dann nicht erwogen, einen gewaltsamen Umsturz herbeizuführen?

VON RUNDSTEDT: Auf solche Gedanken wäre ich nie gekommen, das wäre ganz gemeiner, nackter Verrat gewesen und hätte an der Tatsache nichts geändert. Armee und Bevölkerung glaubten damals noch an Hitler. Ein solcher Umsturz wäre gar nicht geglückt, und selbst wenn ich vielleicht mit Hilfe der Alliierten einen Umsturz herbeigeführt hätte, wäre das Schicksal des deutschen Volkes nach der berühmten Erklärung der drei Großen genau dasselbe gewesen wie jetzt auch, und ich würde für alle Zeiten als der größte Verräter meines Vaterlandes dastehen.

DR. LATERNSER: Sie kamen dreimal während des Krieges aus Ihrer Dienststellung. Welches waren die Gründe dazu?

VON RUNDSTEDT: Im Jahre 1941 war von oben ein ganz unmöglicher Befehl technischer Art gegeben worden, der zur Vernichtung der ganzen Panzerarmee von Kleist in der Gegend von Rostow geführt hätte. Ich habe dagegen remonstriert und Aufhebung des Befehls verlangt, weil ich andernfalls der Auffassung sein müßte, in meine Führung bestände kein Vertrauen. Ich bäte deshalb, sich einen anderen Oberbefehlshaber auszusuchen. Daraufhin wurde ich in derselben Nacht, am 1. Dezember, von meinem Posten auf meinen Antrag hin, wie es hieß, enthoben. Das war der erste Fall.

Der zweite Fall war am 2. Juli 1944, wobei ich in einem sehr herzlich gehaltenen Schreiben wegen meines angegriffenen Gesundheitszustandes durch einen anderen Oberbefehlshaber ersetzt wurde.

Und der dritte Fall war am 9. März 1945, wobei es mir als altem Herrn nicht mehr zugemutet werden könnte, diese hohen Anforderungen des Oberbefehlshabers West weiter wahrzunehmen.

Das sind die drei Fälle.

DR. LATERNSER: In keinem dieser Fälle sind Sie gegen den Willen Hitlers zurückgetreten?

VON RUNDSTEDT: In dem ersten Fall könnte man es so sagen. Er hat es mir aber in keiner Weise übelgenommen; denn schon im März darauf wurde ich wieder Oberbefehlshaber in Frankreich.

DR. LATERNSER: Ich komme jetzt zur letzten Frage. Sie wissen, Herr Feldmarschall, daß die Anklage beantragt hat, die militärische Führerschaft als verbrecherisch zu erklären. Als ältester Offizier des deutschen Heeres kennen Sie die Einstellung dieser Führerschaft zu Kriegs- und Völkerrecht. Ich bitte Sie, diese Einstellung kurz dem Gericht bekanntzugeben.

VON RUNDSTEDT: Kriegs- und Völkerrecht, wie es in der Genfer Konvention und in der Haager Landkriegsordnung niedergelegt ist, war für uns ältere Führer stets bindend. Ihre strengste Beachtung durch die Truppe wurde gefordert und gegen Ausschreitungen, wie sie im Kriege wohl bei allen Armeen einmal vorkommen können, mit vollster Strenge eingeschritten, worüber die Kriegsgerichtsakten der verschiedenen Divisionen auch Auskunft geben können. Hab und Gut der Einwohner war zu schonen. Gegen Plünderung mußte mit strengsten Strafen eingeschritten werden schon im Interesse der Aufrechterhaltung der eigenen Manneszucht. Vergewaltigungen von Frauen und andere Unmenschlichkeiten standen gleichfalls unter strenger Strafe. Was wir tun konnten, um die vom Kriege betroffenen Einwohner des feindlichen Landes zu unterstützen, ist geschehen, soweit man dazu in der Lage war. Der verwundete oder überwundene Feind galt nicht mehr als solcher, sondern hatte Anspruch auf eine anständige Behandlung. Der Kampf selber war ritterlich zu führen. Wir alten Offiziere, die noch die Zeit der Reiterkämpfe und der Infanterie-Bajonettangriffe erlebt haben, haben mit einem Gefühl des Bedauerns die zunehmende Technisierung der Kriegführung verfolgt. Heutzutage ist der tapferste Mann und die beste Truppe hilflos gegenüber der Wucht des Materials. Um so mehr waren wir Führer der Auffassung, daß dort, wo auf der Erde gekämpft wurde, die alten soldatischen, anständigen Kampfformen gewahrt und diese der Truppe immer wieder nahegebracht werden mußten. Als ältester Soldat des deutschen Heeres erkläre ich zusammenfassend: Wir angeklagten Führer sind in den alten soldatischen, auf Anstand und Ritterlichkeit gegründeten Traditionen erzogen worden, haben danach gelebt und gehandelt, und dies auch auf die jüngeren Offiziere zu übertragen versucht.

DR. LATERNSER: Ich habe keine weiteren Fragen mehr.

FREGATTENKAPITÄN PETER CALVACORESSI, HILFSANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Herr Feldmarschall! Zu Kriegszeiten muß der militärische Befehlshaber in enger Berührung mit seinen nächsten Untergebenen bleiben und auch ihre Ansichten kennen. Ist das richtig?

VON RUNDSTEDT: Das ist in diesem Maße nicht erforderlich. Meine Untergebenen müssen nur meine operativen und taktischen Auffassungen kennen. Im übrigen sind sie frei als Armeeführer innerhalb ihres Bereiches.

FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Ich möchte einen Satz aus der Aussage zitieren, die Ihr früherer Oberbefehlshaber gemacht hat. Die Dolmetscher haben die Übersetzung bereits. Der Satz findet sich auf Seite 2 des Affidavits Nummer 4:

»Während der Operationen stand das OKH in einem dauernden Meinungsaustausch durch Fernsprecher, Funk und Kurier mit den Heeresgruppen. Der Oberbefehlshaber des Heeres benutzte jede zeitliche Möglichkeit, um durch Aufsuchen der Heeresgruppen, Armeen und Truppenführer mit diesen in einem persönlichen Meinungsaustausch zu bleiben.«

Ist das im allgemeinen richtig?

VON RUNDSTEDT: Das ist durchaus richtig für alles, was die Kriegführung, also die Operationen und die taktischen Handlungen anbelangt. Ein solcher Austausch ist auch erfolgt von den Heeresgruppen zum Oberbefehlshaber des Heeres hinauf.

FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Ich möchte Ihnen noch einen weiteren Satz vorlesen, und zwar aus der Aussage des Generaloberst Blaskowitz, US-537. Er hat gesagt – und ich möchte, daß Sie mir sagen, ob Sie dem beistimmen:

»Es war überhaupt Gepflogenheit, daß von Zeit zu Zeit Oberbefehlshaber von Heeresgruppen und Armeen durch Telephon, Fernschreiber oder Funk sowohl als auch durch persönliche Vorladungen um Situationsberichte und Rat gefragt wurden.«

VON RUNDSTEDT: Sie konnten diese Berichte abgeben, aber sie mußten es nicht tun.

FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Ich habe nun einige Fragen bezüglich des russischen Feldzuges. Bei einer Sitzung mit Hitler haben Sie selbst und Ihre Kollegen vom Heer eine Frage bezüglich einer Lücke, die zwischen Ihrer Heeresgruppe und der des Feldmarschalls von Bock bestand, aufgeworfen. Ist das richtig?

VON RUNDSTEDT: Das stimmt.

FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Und Sie wußten aus Ihrer früheren Erfahrung, daß, obwohl diese Lücke auf der Karte als Sumpfland bezeichnet war, dort Truppen eingesetzt werden konnten. Sie haben deshalb Vorschläge gemacht, welche Schritte unternommen werden sollten, um die Ausnützung dieser Lücke durch den Feind zu verhindern.

VON RUNDSTEDT: Ich habe darauf hingewiesen, daß nach meinen Erfahrungen aus dem vorigen Kriege gegen Rußland der Russe ungehindert in diesem Sumpfgelände operieren kann und daß es deswegen praktisch wäre, daß auch deutsche Truppen durch dieses Gelände hindurchgezogen würden. Dieser Vorschlag fand kein Gehör. Wie die Operationen nachher erkennen ließen, haben die Russen starke Kräfte in dieser Gegend gehabt und von dort aus dauernd meine linke Flügelarmee bedroht.

FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Jawohl. Ich bin nicht daran interessiert, ob Ihr Rat angenommen worden ist oder nicht; aber Sie geben zu, daß Sie ihn gegeben haben?

VON RUNDSTEDT: Das war kein Rat, das war eine Frage, die mir bei der Schilderung der beabsichtigten Operation, die ich dem Führer vortragen mußte, einfiel. Das war kein Rat.

FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Ich will mich darüber nicht mit Ihnen streiten. Ich möchte noch eine andere Sitzung erwähnen, über die wir bereits ziemlich viel gehört haben, und zwar handelt es sich um die Besprechung vom Mai 1938, die, glaube ich, in der Dienststelle des Feldmarschalls von Brauchitsch stattfand und bei welcher die Frage des Anschlusses des Sudetenlandes behandelt wurde. Ist es richtig, daß von Brauchitsch bei dieser Sitzung Sie und die anderen Offiziere um Ihre Meinung über die Vorschläge, die Ihnen von Hitler vorgelegt worden waren, gefragt hat?

VON RUNDSTEDT: Es wurde damals eine Denkschrift verlesen, die der Generalstabschef Beck entworfen hatte, worin vor einem Krieg wegen des Sudetenlandes gewarnt wurde; die sollte dann Hitler von Brauchitsch daher vorgelegt werden. Zu dieser Denkschrift wurden wir gefragt und waren einmütig der Ansicht, man solle einen Krieg nicht führen.

FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Sie alle stimmten mit General Beck darin überein, daß es dann, wenn Hitler seinen Willen durchsetzen würde, wohl zu einem Krieg kommen würde, den man damals auf diese Art nicht führen sollte.

VON RUNDSTEDT: Es war nach unserer Auffassung oder nach der Auffassung der Denkschrift das deutsche Heer überhaupt nicht in der Lage, diesen Krieg zu führen, wenn Frankreich, England und Amerika womöglich auf die Feindseite getreten wären. Das war der Grundgedanke der Denkschrift. Allein mit der Tschechoslowakei wäre Deutschland wohl fertig geworden, aber niemals, wenn die vorhin erwähnten Staaten der Tschechoslowakei zu Hilfe kämen. Davor sollte Hitler gewarnt werden.

FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Also kann man doch wohl sagen, daß Generaloberst von Brauchitsch zur Unterstützung seiner Hitler gegenüber beabsichtigten Einwendungen einen Kreis führender Generale versammelte, die der gleichen Ansicht waren wie er selbst. Das stärkte seine Haltung, nicht wahr?

VON RUNDSTEDT: Ja, das kann man hierbei sagen.

FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Sie waren sich alle darüber einig, einen ähnlichen Ratschlag zu geben, wie ihn Generaloberst Beck gegeben hatte?

VORSITZENDER: Wäre das nicht ein passender Zeitpunkt, abzubrechen?

FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Jawohl, Euer Lordschaft.