[Zum Zeugen gewandt:]
Nun, Herr Feldmarschall! Ich möchte gern einige Fragen über die Wiederaufrüstung Deutschlands an Sie richten. Sie haben uns erzählt, daß diese rein defensiv war. Halten Sie das aufrecht?
VON RUNDSTEDT: Ich habe vorhin gesagt, daß die Maßnahmen gegen Polen, die in dem Affidavit Blombergs erwähnt waren, rein defensiver Natur waren. Nach der Aufrüstung auf 36 Divisionen war das deutsche Heer allein überhaupt noch zu schwach, um einen Angriffskrieg gegen Polen zu führen, geschweige denn gegen einen westlichen und östlichen Nachbarn. Ich halte also diese Ansicht aufrecht, daß es sich um eine defensive Maßnahme handelte. Wenn Hitler einen Angriffskrieg vorgehabt hätte, dann hätte er mindestens das drei- bis vierfache dieser Divisionen haben müssen. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit.
FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Gut, wenn Sie sich selbst verteidigen, dann müssen Sie sich doch gegen jemanden verteidigen, und vor der Kommission haben Sie gesagt, daß Sie unter anderem Defensivmaßnahmen gegenüber Litauen getroffen haben.
VON RUNDSTEDT: Jawohl.
FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Verlangen Sie vom Gerichtshof, daß er Ihnen glauben soll, daß Sie wirklich um die Verteidigung Deutschlands gegenüber Litauen besorgt waren?
VON RUNDSTEDT: Darf ich antworten? Ich habe das damals angeführt als Grundlage für die verschiedenen Kriegsspiele. Durch Litauen war die isolierte Provinz Ostpreußen bedroht, weil wir damals dort nur mit einer Division, später wieder mit drei, standen. Die Polen und die Tschechen zusammengenommen waren wohl in der Lage, das ganze Ostdeutschland anzugreifen und zu besetzen, ganz zu schweigen davon, wenn im Westen die Franzosen über den Rhein vorgegangen wären. Das waren die Ausführungen, die ich machte, die unseren Kriegsspielen zugrunde lagen: Wie wehrt man sich gegen eine derartige Invasion von Ost und West oder von Ost allein und West allein.
FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Ja, das haben wir schon gehört. Sie haben zwar niemals irgendwie mit General von Blomberg übereingestimmt, aber ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß Feldmarschall von Blomberg, der damals übrigens auch Kriegsminister und Oberbefehlshaber war, im Juni 1937 eine Verfügung erließ, in der er sagte, daß Deutschland von keiner Seite mit einem Angriff zu rechnen habe. Diese Verfügung ist als Beweisstück vorgelegt. Es ist ein Zitat aus dem Dokument C-175, US-69. Nun sagten Sie, daß Sie dachten, Deutschland würde ohne einen Krieg vorgehen. War Ihre Ansicht, daß Hitler zu schnell aufrüstete?
VON RUNDSTEDT: Nein, im Gegenteil.
FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Er rüstete also nicht schnell genug auf?
VOM RUNDSTEDT: Er rüstete zu schnell auf. Das war ja das, was er auch dem General von Fritsch und dem General von Blomberg vorwarf, daß sie diese zu schnelle Aufrüstung gebremst hätten. Auf demselben Standpunkt standen auch viele Divisions-Kommandeure. Wir hatten gar nicht die ausgebildeten Reserven und konnten dieses Tempo der Aufrüstung gar nicht mithalten.
FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Dann kann man wohl sagen, daß Hitlers Methoden der Grund waren, weshalb Sie in dieser Angelegenheit dagegen waren?
VON RUNDSTEDT: Das verstehe ich nicht. Ich verstehe nicht, wie das gemeint ist.
FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Welche Ziele hofften Sie und Ihre Kollegen durch Hitler in der Frage der Wiederaufrüstung zu erreichen, wenn nicht durch die Methoden, die Hitler selbst anwandte?
VON RUNDSTEDT: Das Ziel selbst, das mit der Aufrüstung erreicht werden sollte, war ja nur eine Aufrüstung, um gegen einen Angriffskrieg, besonders aus dem Osten, gerüstet zu sein, was früher ja schon in der Regierung Stresemann auf friedlichem Wege über Genf versucht worden war. Was ich über das Tempo der Aufrüstung sagte, so bezog sich das auf die Frage meines Verteidigers, ob Hitler sich gegen die Generale jemals abfällig geäußert hätte. Ich selber habe über die Aufrüstung mit Hitler nicht gesprochen von meinem Standpunkt aus.
FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Sie wußten doch aus Zeitungsnachrichten, daß Hitler eine, ich möchte es diplomatische Offensive nennen, ergriff?
VON RUNDSTEDT: Ich weiß nicht, wie das gemeint ist. Er hat eine diplomatische Offensive damals in München und in Godesberg inszeniert. Ist das damit gemeint, wenn ich fragen darf?
FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Ich möchte mich ein wenig anders ausdrücken. War es nicht für jeden vernünftig denkenden Staatsbürger klar, daß eine starke militärische Maschine ein wesentlicher Bestandteil von Hitlers allgemeiner Außenpolitik war?
VON RUNDSTEDT: Das war insofern durchaus klar, als mit dieser Maschine, die Hitler geschaffen hat, sich Deutschland viel sicherer fühlen konnte gegen einen Angriff von außen her. Und was auf friedlichem Wege über Genf nicht geglückt war, hat Hitler mit einem Federstrich aus sich heraus geschaffen. Das ist die Aufrüstung. Aber ich betone nochmals, für einen Angriffskrieg, selbst gegen Polen, waren diese kümmerlichen 36 Divisionen viel zu schwach.
FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Nun, ist es Ihre Meinung, daß Schuschnigg eingelenkt und Hitler nachgegeben hätte, wenn er nicht gewußt hätte, daß Hitler eine starke militärische Maschine hatte?
VON RUNDSTEDT: Das glaube ich nicht...
DR. LATERNSER: Ich widerspreche dieser Frage. Sie ist nicht zulässig, da der Zeuge ja nicht wissen kann, was Schuschnigg in dem Augenblick gedacht hat. Ich beantrage die Streichung dieser Frage.
FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Euer Lordschaft! Ich dachte, das wäre eine Frage allgemeiner Kenntnis, und jeder hat diese Angelegenheit damals diskutiert. Ich frage nicht, was Schuschnigg gedacht, sondern ich frage, ob seiner Ansicht nach Hitler ohne starkes Heer hätte erreichen können, was er tatsächlich erreicht hat. Er kann diese Frage beantworten.
VORSITZENDER: Darüber kann das Gericht sich vielleicht allein ein Urteil bilden.
FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Wie es Ihnen recht ist. Ich möchte keineswegs Dinge besprechen, die schon ausreichend behandelt worden sind. Aber ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf die Angelegenheit lenken, die natürlich in Verbindung mit diesem speziellen Teil des Falles noch nicht behandelt worden ist. Herr Vorsitzender! Wenn der Gerichtshof in diesem Punkt seine Erinnerung auffrischen will, möchte ich auf den Teil des Gerichtsprotokolls verweisen, wo der Angeklagte Ribbentrop in der Nachmittagssitzung vom 1. April 1946, (Band X, Seite 372 ff.) über diese Angelegenheit ins Kreuzverhör genommen wurde.
VON RUNDSTEDT: Ich bin gern bereit, die Frage zu beantworten.
FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Ich glaube nicht, Zeuge, daß der Gerichtshof noch mehr über diesen Punkt zu hören wünscht.
Die letzte Frage, die ich jetzt behandeln will, ist die Frage der Kriegführung. Sie kennen doch den Kommandobefehl – wir brauchen ihn daher nicht nochmals zu lesen – und Sie haben heute gesagt, daß er in Ihrem Gebiet, solange Sie im Westen waren, niemals durchgeführt worden ist.
VON RUNDSTEDT: Jawohl.
FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Und Sie haben dem OKW im Jahre 1944 gemeldet, daß er ausgeführt wurde?
VON RUNDSTEDT: Jawohl.
FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Wollen Sie bitte nun mit Bestimmtheit erklären, welche von diesen beiden Erklärungen wahr ist, da doch nicht beide wahr sein können.
VON RUNDSTEDT: Sie widersprechen sich nicht. Ich habe dem Herrn Verteidiger gesagt, der Kommandobefehl ist von uns nicht ausgeführt worden, also stillschweigend unwirksam gemacht. Da er aber von Hitler aus an die Armeen gegangen war, im Wehrmachtsbericht bekanntgegeben war, hätte man damals vielleicht sagen müssen: Nein, den Befehl führe ich nicht aus und hätte sich dann wegjagen lassen können oder sonst etwas. Nun haben wir ihn nicht ausgeführt, und als ich die Aufhebung beantragte, habe ich in Ziffer I geschrieben: »Es ist dementsprechend gehandelt worden.« Das war eine – ich will mal ganz offen sagen – eine gewisse Unaufrichtigkeit liegt darin. Ich habe gesagt, warum ich das gesagt habe und kann etwas anderes dazu nicht erklären. Jedenfalls bitte ich, mir zu glauben, daß er nicht ausgeführt worden ist.
FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Ob er ausgeführt worden ist oder nicht, so besteht jedenfalls kein Zweifel, daß er auf dem ordentlichen Heeresdienstweg erteilt worden ist und, wie auch die richtige Zahl der Leute sein mag, die auf Grund dieses rechtswidrigen Befehls ihr Leben lassen mußten, so ist es doch wohl klar, nicht wahr, daß schon die Erteilung dieses Befehls auf dem regulären Heeresdienstweg der Beweis dafür ist, daß bei der militärischen Führung Deutschlands etwas nicht in Ordnung war, etwas faul war?
VON RUNDSTEDT: Im Westen ist nicht eine Person auf Grund des Kommandobefehls ums Leben gekommen.
FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Der deutsche Soldat ist doch bekannt für seine Disziplin, nicht wahr?
VON RUNDSTEDT: Jawohl.
FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Und Sie wollen doch vermutlich nicht behaupten, daß er eher Ausschreitungen begeht als ein anderer Soldat?
VON RUNDSTEDT: Das ist auch in diesem Fall gar nicht geschehen. Ich sage nochmals, im Westen ist kein Mensch auf Grund des Kommandobefehls getötet worden.
FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Gut, ich möchte damit also diesen Kommandobefehl verlassen. Im allgemeinen möchte ich sagen, daß wir annehmen können, daß der deutsche Soldat normalerweise ein gut disziplinierter Soldat ist, der sich anständig benimmt; nun, wenn er aber mit unnötiger Brutalität vorgeht, würden Sie dann nicht nach einem ungewöhnlichen äußeren Grund dafür suchen?
VON RUNDSTEDT: In meinem Befehlsbereich sind keine Brutalitäten vorgekommen.
FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Wenn also so etwas vorgekommen ist, so müßten Sie doch nach einem Grund dafür suchen, nicht wahr?
VON RUNDSTEDT: Wenn der Kommandobefehl an anderer Stelle, auf einem anderen Kriegsschauplatz ausgeführt worden ist, so hat der betreffende Befehlshaber oder die betreffende Truppe in Ausführung der Hitler-Befehle gehandelt, von denen er annehmen mußte, daß sie völkerrechtlich begründet seien.
FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Ich habe schon gesagt, daß wir jetzt nicht mehr über den Kommandobefehl sprechen. Ich will Ihnen vorhalten, daß, wenn der deutsche Soldat sich im besetzten Gebiet schlecht aufgeführt hat, ein logischer Grund hierfür der wäre, daß er weiß, daß seine Befehlshaber gegenüber den Leiden der Bevölkerung rücksichtslose Mißachtung und Gleichgültigkeit an den Tag legten.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof hält die gestellte Frage für zu hypothetisch.
FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Sehr wohl, Euer Lordschaft!
Sie befehligten doch im Herbst 1941 die Heeresgruppe Süd in Rußland, nicht wahr?
VON RUNDSTEDT: Die Heeresgruppe Süd.
FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Und einer der Ihnen unterstellten Befehlshaber war Generalfeldmarschall von Reichenau, nicht wahr?
VON RUNDSTEDT: Jawohl.
FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Und Sie haben doch zweifellos oft von dem Befehl gehört, den Feldmarschall von Reichenau der 6. Armee erteilt hat darüber, wie sie sich in Rußland zu verhalten hätte?
VON RUNDSTEDT: Darüber habe ich niemals mit ihm gesprochen, und ich erinnere mich auch nicht, daß ich diesen Befehl gekannt habe, ehe ich in England war und mein Stabschef davon sprach. Der Reichenau hat vielfach Befehle gegeben, die die Heeresgruppe niemals bekam und die sie auch gar nichts angingen. Also, diesen sogenannten Härtebefehl erinnere ich mich nicht gesehen zu haben. Ich streite nicht ab, daß er auf irgendeinem Wege auch in meine Heeresgruppe, in das Büro, hereingekommen ist. Jedenfalls kann sich mein damaliger erster Generalstabsoffizier, der hier auch in Nürnberg sitzt, nicht erinnern, daß wir diesen Befehl zur Kenntnis bekommen haben. Daß man den Befehl nicht billigt, ist ganz selbstverständlich, vor allen Dingen, weil er im Widerspruch steht zu dem klaren Befehl...
FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Einen Augenblick bitte. Ich fragte nur, ob Sie gewußt haben, daß es einen solchen Befehl gegeben hat, und ich entnehme Ihrer Aussage, daß Sie es jetzt wissen. Behaupten Sie, daß Reichenau in dieser Beziehung eine Ausnahme bildete?
VON RUNDSTEDT: Richtig. Das nehme ich bei der ganzen Einstellung von Reichenaus und seiner Sinnes- und Charakterart an. General von Manstein, General von Kleist, General von Schobert, General von Stülpnagel hätten niemals einen derartigen Befehl von sich aus erlassen, zumal – darf ich fortfahren – General von Brauchitsch streng befohlen hatte, daß die Kriegführung im Osten auf absolut soldatischer, vorschriftsmäßiger Grundlage zu beruhen habe.
FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Sehen Sie, gestern haben wir als Beweisstück einen Befehl Mansteins vorgelegt, der dem »Rundstedt«-Befehl auffallend ähnlich war.
VON RUNDSTEDT: Pardon, dem »Reichenau«-Befehl?
VORSITZENDER: Sie sagten »Rundstedt«-Befehl.
FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Ich bitte um Entschuldigung, Euer Lordschaft.