[Zum Zeugen gewandt:]
Nun, Sie befehligten drei oder vier Armeen in der Heeresgruppe Süd?
VON RUNDSTEDT: Ich hatte vier Armeen unter mir und außerdem noch die Rumänen.
FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Und von diesen vier Armeen, die vor so vielen Jahren so weit weg gekämpft haben, haben wir derartige Befehle von zweien gefunden. Ich halte Ihnen vor, daß jeder Soldat der 6. oder 11. Armee, der diesen Befehl erhielt, mit Recht annehmen konnte, daß sein Oberbefehlshaber Ausschreitungen begünstigte oder sie wenigstens zuließ. Und nur um Ihnen zu zeigen, daß sich das nicht etwa nur auf eine Heeresgruppe oder nicht einmal auf eine Front beschränkte, möchte ich Ihnen diesen Funkspruch, Dokument 4067-PS, zeigen. Das Dokument erhält die Beweisstücknummer US-930.
Euer Lordschaft! Ich halte es für richtig, dieses Dokument hier vorzulegen. Ich behaupte nicht, daß der Zeuge persönlich etwas damit zu tun hat. Es ist ein Funkspruch, der im Juni 1942 an die Panzerarmee Afrika ging und ich möchte ihn, da er ganz kurz ist, vollständig verlesen:
»Pz.Armee Afrika über Dt.Gen.b. Oberkommando der italienischen Wehrmacht, Rom. – Nachr.: OKH/Gen. Quartiermeister – Nachr.: Gen.z.b.V. bei OKH – Nachr. Ob.dL./Gen. Quartiermeister – Nachr.: OKW/WR – Geheime Kommandosache – Chefsache, Nur durch Offizier –
Nach vorliegenden Meldungen sollen sich bei den freien französischen Verbänden in Afrika zahlreiche deutsche politische Flüchtlinge befinden. Der Führer hat angeordnet, daß gegen diese mit äußerster Schärfe vorzugehen ist. Sie sind daher im Kampf schonungslos zu erledigen. Wo das nicht geschehen ist, sind sie nachträglich auf Befehl des nächsten deutschen Offiziers sofort und ohne weiteres zu erschießen, soweit sie nicht vorübergehend zur Gewinnung von Nachrichten zeitweilig zurückbehalten werden sollen. Schriftliche Weitergabe dieses Befehls ist verboten. Die Kommandeure sind mündlich zu unterrichten.«
Er ist nicht gezeichnet.
Sie sehen also, wer immer auch diesen Befehl ausgegeben haben mag, er war sich dessen bewußt, daß er ein Verbrechen beinhaltete. Das ist klar ersichtlich aus den letzten zwei Sätzen.
»Der Führer hat angeordnet, daß gegen diese mit äußerster Schärfe vorzugehen ist.«
Der Befehl, den die Armee weitergab, lautet zu töten. Erinnern Sie sich an den Tod des Feldmarschalls Rommel?
VON RUNDSTEDT: Jawohl.
FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Und damals wurde allgemein vermutet, daß Rommel unter verdächtigen Umständen starb?
VON RUNDSTEDT: Nein, diese Gerüchte habe ich nicht gehört. Ich hätte mich sonst auch dagegen gewehrt, als Vertreter des Führers bei dem Staatsbegräbnis für Rommel zu fungieren; das wäre eine Niederträchtigkeit erster Klasse gewesen. Ich habe von den Gerüchten erst gehört nach meiner Gefangennahme aus amerikanischen Zeitungen, wonach der junge Sohn Rommels diese Aussage gemacht haben soll, sein Vater hätte Gift genommen, um nicht aufgehängt zu werden.
FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Sie hatten also während dieser ganzen Monate von Bommels Tod bis zum Ende des Krieges nie gehört, daß man allgemein sagte, Rommel sei »erledigt worden«?
VON RUNDSTEDT: Nein, es wurde nur gesagt, daß er im Verdacht gestanden hätte.
FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Euer Lordschaft! Ich habe keine weiteren Fragen mehr.
VORSITZENDER: Wünscht noch jemand ein Kreuzverhör?
Dr. Laternser, bitte.
DR. LATERNSER: Herr Feldmarschall! Sie sind gefragt worden zu dem Affidavit Nummer 4, ausgestellt von Feldmarschall von Brauchitsch, US-535. Es wurde von der Anklagebehörde Wert auf die Feststellung gelegt, daß, wie im Affidavit angeführt ist, auf diesem Wege – gemeint sind persönliche Besuche der Oberbefehlshaber – der Oberbefehlshaber in der Lage gewesen sei, den Rat der ihm unterstellten Oberbefehlshaber einzuholen. Wie war dieser Rat beschaffen, auf welchem Gebiet konnte er gegeben werden und auf welche Weise?
VON RUNDSTEDT: Die Sache war sehr einfach. Ich darf vielleicht zurückgehen: Wenn ich ein Regimentskommandeur bin und meinem Bataillonskommandeur eine Aufgabe stelle: »Sie greifen mit Ihrem Bataillon dieses Dorf an«, dann komme ich zu ihm und frage ihn: »Wie wollen Sie das machen?« Darauf erzählt er mir: »Die und die Absicht habe ich, und wenn ich Herrn Oberst vorschlagen dürfte, dann möchte ich doch lieber etwas mehr links gehen, wo das Gelände besser ist, oder etwas mehr rechts.«
Genau in das Große übertragen, kommt der Oberbefehlshaber des Heeres zu mir als Heeresgruppenbefehlshaber und sagt: »Herr von Rundstedt! Wie wollen Sie die Ihnen übertragene Aufgabe lösen?« Da sage ich: »Herr Generaloberst, so und so, und wenn ich mir den Vorschlag erlauben darf, vielleicht geben Sie mir noch eine Division mehr.« Das ist das einzige; das ist eine Art kameradschaftlicher Aussprache. Ich werde aber niemals als Oberbefehlshaber dem Oberbefehlshaber des Heeres sagen: »Herr Generaloberst, was Sie machen, ist falsch, machen Sie es ganz anders.« Ist das verständlich, wie ich das ausgeführt habe?
DR. LATERNSER: Ich glaube ja; es handelt sich also um eine Besprechung über die Lösung des Teilauftrages, den der Beauftragte militärisch bekommen hat?
VON RUNDSTEDT: Also nicht um die Besprechung beim Oberbefehlshaber, »ob« man es tun soll, sondern in beschränktem Umfange, »wie« man es tun soll und wie man es am besten tun kann. Manchmal hat nämlich der Untergebene eine ganz kluge Idee, die der Vorgesetzte dankbar entgegennimmt. Das ist bei Hitler allerdings hoffnungslos gewesen.
DR. LATERNSER: Und andererseits wird es Beratungen oder Besprechungen über die Lösung eines Auftrages in jeder Armee geben?
VON RUNDSTEDT: Ich denke mir das wohl.
DR. LATERNSER: Es wurde dann weiter Bezug genommen auf das Affidavit Nummer 5 des Generaloberst Blaskowitz und in der Richtung von der Anklage Wert darauf gelegt, daß sogar die Führer von Heeresgruppen und Armeen durch Telephon, Fernschreiber oder Funk verbunden gewesen seien und dadurch in der Lage gewesen seien, Situationsberichte einzuholen. Handelt es sich da nicht um die gewöhnlichen Lagemeldungen, die jeder Truppenführer nach oben machen muß, um überhaupt eine militärische Führung zu ermöglichen?
VON RUNDSTEDT: Unbedingt. Die Lagemeldungen waren einmal morgens früh, was in der Nacht passiert war, und einmal abends spät, was am Tage passiert war. Fand nun eine Kampfhandlung statt, die mein Interesse als vorgesetzter Führer besonders in Anspruch nahm, dann habe ich nicht nur einmal, sondern vielleicht dreimal am Tage fragen lassen, telephonisch oder fernschriftlich: »Wie steht es bei Ihnen? Geht es vorwärts? Geht es rückwärts? Geht es schlecht? Geht es gut?« So ist das aufzufassen.
DR. LATERNSER: Die Anklagebehörde beruft sich immer noch auf das Affidavit Nummer 5 des Generaloberst Blaskowitz, den ich aufgefordert habe, wegen dieser mißverständlichen Deutung dieses Affidavits, die es durch die Anklagebehörde bekommt, mir eine Erklärung dieses Affidavits auszustellen. Ich werde Ihnen jetzt einen Teil daraus verlesen und Sie im Anschluß daran fragen, ob das dann so richtig ist, wie Generaloberst Blaskowitz es angegeben hat. Ich zitiere:
»Die jetzige Erläuterung bezweckt eine Klarstellung der von mir in der Erklärung vom 10. November 1945 erwähnten Einschränkung: ›In ihrem Sachbereich‹. Unter dieser Einschränkung sollte die in der heutigen ergänzenden Erklärung enthaltene Darlegung zum Ausdruck gebracht werden. Von einer Beratung der Frontbefehlshaber in der Zusammensetzung einer ›Gruppe‹ oder eines tatsächlichen ›Beraterkreises‹ kann keine Rede sein. Beide Ausdrücke könnten mißverstanden werden. Sie sollten nur den Kreis kennzeichnen, aus dem die Einzelberater im eigenen Befehlsbereich von ihren Vorgesetzten gehört werden konnten.«
Entspricht mit dieser Ergänzung dann diese Erklärung dem, was ein Führer tatsächlich tun konnte?
VON RUNDSTEDT: Diese Erklärung ist damit in Ordnung und bringt dieses Mißverständnis fort, was ich niemals von Generaloberst Blaskowitz, in diesem Sinne bestehend, angenommen habe.
DR. LATERNSER: Nun wurden Sie weiter gefragt nach einem Mißverständnis, das vor Beginn des Rußlandfeldzuges zwischen Ihnen und Feldmarschall von Bock stattgefunden habe, und zwar wegen einer Aussparung infolge eines größeren Sumpfgeländes.
VON RUNDSTEDT: Das ist ein Irrtum, das war kein Mißverständnis zwischen mir und Bock. Dieser Aufmarschplan war vom Oberkommando des Heeres festgelegt, und mir als Führer der Heeresgruppe Süd war dieses Loch unsympatisch. Deswegen war ich zum Vortrag bei Hitler, wo ich ihm sagte: »Meine Heeresgruppe hat den und den Auftrag und macht das und das«, habe ich gesagt, »es wäre gut, wenn durch dieses Loch noch Truppen durchgingen.« Das war keine Differenz mit Bock, sondern ein Vorschlag zur Güte von mir, um das Loch etwas besser zu machen.
DR. LATERNSER: Haben Sie damals über die Absicht, wie Sie Ihre militärischen Aufträge zu erledigen gedachten, gemeinschaftlich, also Sie und Feldmarschall von Bock, Hitler vorgetragen, oder fanden diese Vorträge nacheinander statt?
VON RUNDSTEDT: Sie fanden nacheinander statt. Erst kam Bock an die Reihe mit seinen Armeeführern und dann kam ich an die Reihe mit meinen Armeeführern. Ich weise immer wieder auf den Führerbefehl hin, daß kein Offizier von etwas anderem mehr wissen darf, wie ihn angeht. Ich durfte eigentlich gar nicht erfahren, wie Bock mit seiner Heeresgruppe operierte. Es ging mich nichts an nach dem Führerbefehl, sondern ich durfte nur wissen: Wo ist sein äußerster rechter Flügel?
DR. LATERNSER: Und das ging so weit, daß Sie sogar getrennt vortrugen?
VON RUNDSTEDT: Getrennt vortrugen. Und das ist an sich nichts Wundernehmendes; denn je mehr Leute herumstehen bei einem solchen Vortrag, desto unbequemer ist es.
DR. LATERNSER: Es ist Ihnen ein Befehl vorgelegt worden, und zwar 4067-PS, nach dem auf Befehl eines deutschen Offiziers sofort deutsche Staatsangehörige, sofern sie bei den freien französischen Verbänden in Afrika angetroffen würden, zu erschießen seien. Haben Sie jemals davon gehört...
VON RUNDSTEDT: Nein.
DR. LATERNSER:...daß dieser Befehl praktisch angewendet worden ist?
VON RUNDSTEDT: Nein; ich habe von dem ganzen Befehl nichts gewußt.
DR. LATERNSER: Sie sagten, daß Sie mit den Ansichten des Feldmarschalls von Blomberg nie einverstanden gewesen seien. Der Feldmarschall von Blomberg gibt in diesem Affidavit, das die Anklagebehörde immer wieder heranzieht, die Meinungen der, wie es dort heißt, »Gruppe deutscher Stabsoffiziere« an. Hat Feldmarschall von Blomberg nahe Beziehungen mit der ihm unterstellten Generalität gehabt?
VON RUNDSTEDT: Blomberg war uns immer etwas fremd. Er schwebte in anderen Regionen. Er war Anhänger der Steinerschen Richtung, etwas theosophisch und so weiter; es konnte ihn eigentlich niemand recht leiden. Er ist einmal sogar mein Untergebener gewesen, ehe er Kriegsminister geworden ist. Also er hatte eine Sonderstellung.
DR. LATERNSER: Herr Feldmarschall! Sie haben aber die Frage nacht ganz beantwortet – ob Blomberg so nahe Beziehungen mit der ihm unterstellten Generalität hatte, daß er auf Grund dieser Stellung zu seinen Untergebenen deren Ansichten so treffsicher angeben kann, wie er es in dem Affidavit getan hat?
VON RUNDSTEDT: Das kann ich mir nicht vorstellen.
DR. LATERNSER: Ich habe keine weiteren Fragen mehr.
VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen.