HOME

<< Zurück
|
Vorwärts >>

[Zum Zeugen gewandt:]

Meine vorhergehende Frage haben Sie übrigens nicht beantwortet; nehmen Sie doch Stellung zu meiner Frage, ob nicht auch im Fünfkampf der Olympiade diese gleichen Übungen oder sehr ähnliche Übungen durchgeführt worden sind?

BOCK: Herr Anwalt! Ich bin unterbrochen worden vom Herrn Präsidenten. Ich habe die Olympiade selbst erlebt, und ich weiß auch genau die einzelnen Sportarten. Wir haben die gesamten Ordnungsübungen so durchgeführt, daß wir diszipliniert in der Öffentlichkeit mit einem guten Bild in Erscheinung treten konnten, genauso wie alle Sportorganisationen. Wir haben im wesentlichen, weil wir ja, wie es festgelegt war, später diese Großkampfspiele gestalten sollten, uns im wesentlichen auch Disziplinen aus dem olympischen Kampf herausgezogen und bei uns gelehrt und geübt. Wir haben geschossen, wir haben Hindernislaufen gemacht, und wir haben alle diese Disziplinen im Rahmen unserer Ausbildung mit verwendet.

RA. BÖHM: Auf Seite 8 der Ausbildungsordnung, die Ihnen gestern vorgelegt worden ist, heißt es, und zwar im Exerzierdienst – das wäre vielleicht das einzige, was einer militärischen Übung nahe oder gleichkäme:

»... hat die Ausbildung mit Nachdruck einzusetzen. Nach dem Einüben der Grundform soll an angewandte Aufgabenstellungen im Exerzierdienst herangegangen werden, wie sie sich aus den im politischen Einsatz notwendigen exerziermäßigen Bewegungen ergeben.«

Haben Sie aus der Fassung dieser Vorschrift an eine militärische Ausbildung oder an eine militaristische Erziehung gedacht, wenn es sich um das Exerzieren der SA gedreht hat?

BOCK: Für uns war das Üben und das Ausrichten des Mannes sowohl im einzelnen wie auch in den geschlossenen Formationen immer zu dem Zweck geübt, um bei einem öffentlichen Auftreten das äußere geschlossene einheitliche Bild abzugeben.

RA. BÖHM: Ich habe dann an den Zeugen weiter keine Fragen mehr.

VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen.

[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]

RA. BÖHM: Herr Präsident! Ich würde dann bitten, den nächsten Zeugen, Schäfer, rufen zu dürfen.

[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Geben Sie bitte Ihren vollen Namen an.

ZEUGE WERNER AUGUST MAX SCHÄFER: Schäfer.

VORSITZENDER: Ist das Ihr voller Name?

SCHÄFER: Werner August Max Schäfer.

VORSITZENDER: Sprechen Sie mir folgenden Eid nach: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.«

[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]

VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

RA. BÖHM: Herr Zeuge! Was sind Sie von Beruf?

SCHÄFER: Ich bin Regierungsdirektor im Reichsstrafvollzug.

RA. BÖHM: Sind Sie Angehöriger der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen?

SCHÄFER: Ich bin seit 1928 Angehöriger der Partei.

RA. BÖHM: Sind Sie SA-Angehöriger?

SCHÄFER: Ich bin seit 1932 Angehöriger der SA, SA-Oberführer seit 1938.

RA. BÖHM: Der Zeuge Reimund Geist hat in einer eidesstattlichen Versicherung erklärt, daß tausend öffentliche Versammlungslokale der SA als Verhaftungsplätze benutzt wurden. Ist Ihnen davon etwas bekannt, und ist diese Behauptung richtig?

SCHÄFER: Über die Zahl von eintausend örtlichen Versammlungslokalen als Haftplätze ist mir nichts bekannt.

RA. BÖHM: Würde Ihnen davon etwas bekannt sein, wenn diese Verhaftungsplätze in dieser Zahl vorhanden gewesen wären?

SCHÄFER: Wären sie in dieser Zahl vorhanden gewesen, wären sie mir unbedingt bekanntgeworden. Tatsächlich haben einige wenige dieser Plätze bestanden; aber schon sehr kurz nach der Konsolidierung der Verhältnisse wurden sie aufgelöst beziehungsweise von der Gestapo übernommen und von ihr verwaltet.

RA. BÖHM: Ist es richtig, wenn ich im Zusammenhang mit diesen Verhaftungsplätzen der Auffassung bin, daß diese Notstandsmaßnahmen in der Zeit von 1933 darstellten?

SCHÄFER: Jawohl, es ist eine ausgesprochene Notstandsmaßnahme gewesen; denn wir befanden uns zur damaligen Zeit, zur Zeit des Umbruchs, in einem latenten Bürgerkriegszustand in Deutschland. Es war also notwendig geworden, daß aktivistische Gegner festgenommen wurden, um das durchzuführen, was der Führer seinerzeit aus Anlaß des Umbruchs befohlen hatte, nämlich die unblutige Durchführung der Revolution.

RA. BÖHM: Ist es richtig, daß umfangreiche Waffenfunde Veranlassung gegeben haben, Verhaftungen vorzunehmen...

SCHÄFER: Jawohl.

RA. BÖHM:... um chaotische Zustände im Jahr 1933, wohin man gekommen wäre, wenn man diese Waffen nicht eingezogen hätte, zu vermeiden?

SCHÄFER: Jawohl! Es ist ein großer Teil derartiger Waffen gefunden worden, und es war uns nicht unbekannt geblieben, daß ein großer Teil unserer aktivistischen Gegner bereit war, zwecks Herbeiführung dieser chaotischen Zustände zu diesen Waffen zu greifen.

RA. BÖHM: Kann man sagen, daß die SA bei der Tätigkeit, die sie damals mit dem Einzug der Waffen verrichtete, einem Staatsauftrag nachkam?

SCHÄFER: Jawohl, es lag hierzu der Staatsauftrag des preußischen Innenministers, des preußischen Ministerpräsidenten, Herrn Göring, vor, der die SA als Hilfspolizei in Anspruch genommen hatte.

RA. BÖHM: Dr. Diels sagt in einer eidesstattlichen Versicherung, daß es seine Aufgabe gewesen sei, das Abgleiten der Polizeizentrale der Politischen Polizei in die SA und ihre Ideologie zu verhindern und unzähligen Beschwerden über Gesetzwidrigkeiten der SA nachzugehen, da unter einigen radikalen, zu Polizeipräsidenten ernannten SA-Führern vom Juli bis November 1933 gesetzlose Zustände eingerissen waren. Sie waren in diesem Bezirk, und was haben Sie zu dieser Behauptung des Herrn Dr. Diels zu sagen?

SCHÄFER: Soweit ich mich entsinne – und ich entsinne mich hier sehr gut –, befand sich Diels in einem ausgesprochen freundschaftlichen Verhältnis zu dem damaligen Stabschef Röhm und deshalb auch in einem freundschaftlichen Verhältnis zu dem örtlichen Führer der Gruppe Berlin-Brandenburg, Ernst. Ich kann daher seine Auffassung nicht verstehen, wonach er es als seine Aufgabe betrachtet hat, sie auch als solche bezeichnet hat, daß er als Chef der Gestapo besonderen Beschwerden, die gegen die SA einliefen, nachgehen mußte.

Ich möchte hierbei sagen, daß gerade die disziplinwidrigen Elemente, die der Bewegung und der SA zum Schaden gereichen konnten, durch die Bewegung und durch einen SA-Verbindungsstab, der oben in der Geheimen Staatspolizei in Erscheinung trat, davon abgehalten worden sind; und ich kann aus meiner eigenen Kenntnis der Dinge her sagen, daß es gerade der Gruppenführer Ernst gewesen ist, der damals in einer eigenen Festungsabteilung im Konzentrationslager Oranienburg derartige disziplinwidrige Elemente von sich aus festgesetzt hat. Es ist daher also nicht eine Aufgabe des Leiters der Geheimen Staatspolizei gewesen, hier gegen disziplinwidrige Elemente der SA oder der Bewegung vorzugehen; seine Aufgaben lagen ja ganz eindeutig auf einer ganz anderen Ebene.

RA. BÖHM: Diels hat nun die ursprünglich sehr weitgehende eidesstattliche Versicherung eingeschränkt und sie vor allen Dingen auf Berlin eingeschränkt.

Wie verhielt sich übrigens zu dieser Behauptung Diels' der Graf Helldorf, der am 20. Juli 1944 von Hitler beseitigt worden ist?

SCHÄFER: Graf Helldorf kenne ich noch aus meiner Tätigkeit als SA-Führer in Berlin. Er war kurz nach dem Umbruch, soviel mir bekannt ist, in das Preußische Innenministerium für eine kurze Zeit berufen worden und war dann Polizeipräsident in Potsdam geworden. Und als solcher kann ich nur sagen, hat der Polizeipräsident Graf Helldorf alles getan, was unbedingt notwendig und erforderlich war, um eine geordnete polizeiliche Institution zu erhalten. Er bediente sich hierbei alter, zuverlässiger Polizeibeamter. Er ist in dieser Eigenschaft auch mein Vorgesetzter gewesen, was das Konzentrationslager Oranienburg anbelangt; und ich muß hier erklären, daß er des öfteren in Oranienburg gewesen ist, völlig unangemeldet, und besonders eingehend sich von der Durchführung der befohlenen Maßnahmen überzeugte und mir auch bekannt war als ein Mann, der für die absolute Aufrechterhaltung der Sauberkeit und Disziplin eintrat.

RA. BÖHM: Ich halte Ihnen weiter die Aussage Diels' vor, in der gesagt wird, daß die SA-Verbände in Gefängnisse eingedrungen seien, Gefangene gestohlen hätten, Akten entwendet hätten und sich in Dienstgebäuden der Polizei häuslich eingerichtet hätten. Ich frage Sie nun, ist das richtig und haben derartige Zustände jemals bestanden?

SCHÄFER: Ich kann mich derartiger Zustände nicht entsinnen. Sie hätten mir ja eigentlich bekanntwerden müssen, denn ich befand mich sehr häufig in Berlin, und ich muß sagen, es ist mir nichts Ähnliches bekanntgeworden. Ich hätte ja eigentlich auch später hierüber etwas Näheres hören müssen, als ich nachher Beamter in der Strafvollzugsverwaltung des Reiches geworden bin. Ich bin der Auffassung, daß bestimmt die Berliner Kollegen zum Beispiel, da es sich um den Berliner Bezirk handelte, über derartige Vorfälle mir auch noch nachträglich berichtet hätten. Das ist nicht geschehen.

RA. BÖHM: Sie waren damals Kommandant von Oranienburg und fast jeden Tag in Berlin zusammen mit den Herren von der Polizei beziehungsweise von der Gestapo?

SCHÄFER: Wenn ich auch nicht jeden Tag in Berlin war, so immerhin doch recht häufig, so daß mir das bestimmt nicht entgangen wäre.

RA. BÖHM: Ist die Behauptung Diels' richtig, daß es seine Aufgabe war, zur Vermeidung von Massenmorden die Lager der SA in die staatliche Hand zu bekommen, wenn man andererseits in seinem für die SA gemachten Affidavit liest, daß insgesamt 50 Leute in Berlin der Revolution zum Opfer gefallen sind?

SCHÄFER: Diese Behauptung von Diels ist unzweifelhaft nicht richtig. Ich kann wohl sagen, daß es der Ideologie der SA in keiner Weise entsprach, durch Massenmord sich der politischen Gegner zu entledigen, und die von Diels ja auch selbst in seinem Affidavit – wie ich eben höre – angegebene Zahl von 50 Opfern in Berlin beweist das ja wohl am besten.

Man darf nicht vergessen, daß ein großer Teil der politischen Gegner von gestern ja nunmehr auch in der SA mitmarschierte, daß also sehr viele menschliche Verbindungen auch noch in das Lager der politischen Gegner hinüber vorhanden waren. Es wäre also, wenn eine derartige Absicht überhaupt bestanden hätte, durch Massenmord sich der politischen Gegner zu entledigen, diese Durchführung selbst in der SA auf den allergrößten Widerstand gestoßen, und ich darf hier mit aller Offenheit bekennen, daß das in keiner Weise eben, was Diels hier behauptet hat, zu Recht besteht.

RA. BÖHM: Ist es richtig, daß Diels' Stellung infolge dauernder Konflikte mit der SA unhaltbar wurde? Er behauptet das in seiner eidesstattlichen Erklärung, die er für die Geheime Staatspolizei abgegeben hat; und dort sagt er, daß er andererseits aber auch zugeben müsse, daß er Regierungspräsident von Hannover und Köln gewesen ist.

SCHÄFER: Mir ist von einer derartigen Trübung des Verhältnisses zwischen Diels und der Obersten SA- Führung nichts bekannt; und ich möchte auch nicht glauben, daß das zutreffend ist, was er da gesagt hat, denn ich habe ihn einige Jahre später in einem sehr engen Verhältnis zum damaligen Stabschef Lutze gefunden, und zwar anläßlich einer Bereisung im Emser Bezirk. Da war er in einem ausgesprochen freundschaftlichen Verhältnis zu dem damaligen Stabschef Lutze, und die Tatsache selbst, daß er Regierungspräsident von Köln gewesen ist und vor allen Dingen die Tatsache, daß er nachher bei dem Stabschef Lutze, der ja Oberpräsident von Hannover war, als Regierungspräsident tätig war, widerlegen eigentlich diese Behauptung, wonach er also Zerwürfnisse gehabt hätte mit der SA.

RA. BÖHM: Hat die SA allgemein, wie Diels sagt, Eigentum friedlichen Bürgern abgepreßt, wenn er in seiner für die SA abgegebenen eidesstattlichen Erklärung sagt, daß in der Hauptsache nur der Gruppenstab von Ernst und die von ihm eingesetzte Nachrichtenabteilung an dem revolutionären Treiben beteiligt waren?

SCHÄFER: Mir ist über die Ausplünderung sogenannter friedlicher Bürger durch die SA nichts bekannt. Wenn hier einige Fälle vorgekommen sein sollten, was sicher nicht bestritten werden kann, dann möchte ich hierzu erklären, daß die Verallgemeinerung dieser Einzelfälle mit der Wahrheit außerordentlich stark kollidiert. Es liegt hier in keiner Weise die Berechtigung vor, Einzelfälle, die sicher geschehen sind, nunmehr zu verallgemeinern. Man darf hierbei nicht verkennen, daß solche Einzelfälle durchaus möglich waren.

Ich darf hierbei daran erinnern, daß zum Beispiel das Braunhemd, das der SA-Mann sich ja selbst kaufen mußte, überall in den entsprechenden Geschäften, in Berlin zum Beispiel, aber auch im ganzen Reich, käuflich erworben werden konnte. Und es ist mir eine Zahl von Fällen persönlich bekanntgeworden, wo dunkle Elemente, die nicht der SA, auch nicht der Bewegung angehörten, wie nachher gerichtsnotorisch festgestellt worden ist, die Gelegenheit nunmehr als gekommen ansahen, von sich aus strafbare Handlungen unter dem Schutz der Parteiuniform zu begehen. Das hat ja letzten Endes und schließlich auch dazu geführt, daß die Parteiuniform unter gesetzlichen Schutz gestellt werden mußte.

RA. BÖHM: Es ist Ihnen doch bekannt, daß Diels Gestapochef in den Jahren 1933 und 1934 war; und wenn man davon liest, daß die SA friedlichen Bürgern Eigentum abgepreßt habe, da zwingt sich einem die Frage direkt auf, ob er da vielleicht versuchte, Gestapositten auf die SA zu übertragen?

SCHÄFER: Ich muß schon sagen, daß diese Behauptung von Diels mich außerordentlich stark befremdet, denn – wie vorher schon gesagt – befand er sich damals in einem sehr engen Verhältnis zu der Obersten Führung dieser SA. Wie er zu dieser Behauptung kommt – wider besseres Wissen muß ich sagen –, ist mir eigentlich nicht klar.

RA. BÖHM: Er spricht dann weiterhin von zirka 40000 Gefangenen in Konzentrationslagern, in etwa 40 illegalen Lagern. Können Sie sagen, wie viele Konzentrationslager in dieser Zeit tatsächlich bestanden haben?

SCHÄFER: Statistisches Material liegt mir hierzu nicht vor, aber ich möchte versuchen, einmal diese Zahl von 40000 Inhaftierten zu untersuchen und auch vor allen Dingen die Zahl der von Diels genannten 40 Lager. Es ist bald im Laufe des Jahres 1933 der Zustand eingetreten, daß Oranienburg für Berlin und die gesamte Mark Brandenburg als das einzige Inhaftierungslager für politische Gegner in Erscheinung trat. Einige wenige Anhaltelager, die bis dahin bestanden hatten, wurden aufgelöst. Es können dort nicht sehr viel Inhaftierte eingesessen haben, denn ich bekam diese Inhaftierten dann nach Oranienburg überführt; es ist nur eine ganz geringe Zahl von Inhaftierten gewesen.

Wenn man hierbei überlegt, daß also Oranienburg in der Zeit seiner Höchstbelegung noch nicht einmal 1000 Inhaftierte gehabt hat und hierbei berücksichtigt, daß dieses Lager doch immerhin für einen Bezirk von über sechs Millionen Menschen eingerichtet war, wenn man sich ferner überlegt, daß Berlin die Zentrale der politischen Gegner der NSDAP war, also außerordentlich stark mit der Zahl der politischen Aktivisten gefüllt war, dann kann ich mir die Zahl von 40000 Inhaftierten außerordentlich schwer vorstellen. Mir selbst, das kann ich hier sagen, ist die Zahl von 40000 also völlig ungeläufig. Ich habe auch niemals über diese Zahl etwas gehört, auch selbst von Dr. Diels nicht, mit dem ich persönlich auch sehr gut stand, und es hätte mir diese Zahl eigentlich bekanntgewesen sein müssen.

RA. BÖHM: Diels spricht in diesem Zusammenhang von zirka 40000 Häftlingen. Können Sie eine schätzungsweise Zahl dazu nennen, die vielleicht richtiger wäre?

SCHÄFER: Das ist außerordentlich schwer zu sagen, aber ich möchte sagen, daß die Weihnachtsamnestie, die durch den Ministerpräsidenten Göring damals – und ich möchte hierbei ganz besonders einmal unterstreichen, daß diese außerordentlich großzügig durchgeführt wurde –, daß aber diese Weihnachtsamnestie auf diese Zahl einen Rückschluß zuläßt. Es wurden damals 5000 Inhaftierte – diese Zahl 5000 ist mir erinnerlich – aus den Lagern entlassen. Das führte dazu, daß zum Beispiel in Oranienburg, das – wie ich ja vorhin schon sagte – für ganz Berlin und Brandenburg das einzig anerkannte und staatlich kontrollierte Lager war, die Gefangenenzahl bis auf etwas mehr als 100 Inhaftierte zurückging. Es wurden also damals über zwei Drittel des Lagers entlassen.

RA. BÖHM: Sie waren Kommandant in Oranienburg?

SCHÄFER: Jawohl.

RA. BÖHM: Und von wann bis wann?

SCHÄFER: Von März 1933 bis März 1934.

RA. BÖHM: Dieses Lager war von SA-Leuten bewacht?

SCHÄFER: Jawohl.

RA. BÖHM: Und von wann bis wann?

SCHÄFER: Von März 1933 bis – ich glaube, es war Juni oder Juli 1934.

RA. BÖHM: Und welcher Befehlsgebung sind diese Leute unterstanden?

SCHÄFER: Diese SA-Männer waren Angehörige der Hilfspolizei. Sie unterstanden als solche meiner direkten Befehlsgebung als Kommandant.

RA. BÖHM: Und wem unterstanden Sie als Lagerkommandant?

SCHÄFER: Ich unterstand als Lagerkommandant dem für Oranienburg zuständigen Regierungspräsidenten in Potsdam, seinem Polizeipräsidenten, dem Grafen Helldorf, und in der höchsten Spitze natürlich dem Herrn preußischen Innenminister.

RA. BÖHM: Und welchen Einfluß hatte der damalige Führer der Gruppe Berlin-Brandenburg auf das Konzentrationslager Oranienburg?

SCHÄFER: Der Führer der Gruppe Berlin-Brandenburg hat auf das Lager selbst keinen Einfluß gehabt; auf die Haltung und überhaupt auf die Verwaltung des Konzentrationslagers hatte er keinen Einfluß.

RA. BÖHM: Könnte man annehmen, daß Einzelaktionen durch ihn ausgeführt wurden, die Terrormaßnahmen der SA bedeuteten?

SCHÄFER: Sie sind mir nicht bekanntgeworden.

RA. BÖHM: Haben Sie einen Überblick über die Anzahl der in den sogenannten wilden Anhaltelagern festgesetzten Menschen, die dann bis Weihnachten 1933 entlassen worden sind?

SCHÄFER: Nein, darüber habe ich keinen Überblick. Aber ich möchte wohl fest sagen können, daß es nur eine geringe Zahl von solchen Lagern gewesen sind, die da bestanden und auch nur eine geringe Zahl von Inhaftierten dort eingesessen haben; denn ich habe ja schon vorhin erklärt, daß mir selbst in Oranienburg, dem einzig bestehenden Lager damals, nur wenige Inhaftierte überführt worden sind; ein großer Teil war damals bereits entlassen.

RA. BÖHM: Haben Sie Anhaltspunkte dafür, daß zur gleichen Zeit im übrigen Deutschland 50000 Inhaftierte einsaßen?

SCHÄFER: Nein, dafür habe ich auch keine Anhaltspunkte; aber ich möchte sagen, daß im Verhältnis zu der vorhin genannten Zahl der in Preußen einsitzenden Inhaftierten die Zahl von 50000 absolut unglaubwürdig ist; denn Preußen war ja nun einmal rein räumlich gesehen der größte Teil von Deutschland, und wenn da also im Verhältnis wenig Inhaftierte einsaßen, dann kann ich mir nicht vorstellen, daß im übrigen Reich 50000 eingesessen haben sollen. Die Zahl ist mir nicht bekannt.

RA. BÖHM: Was ist Ihnen bekannt über die Zusammenarbeit mit der Gestapo in ihren ersten Anfängen?

SCHÄFER: Die Gestapo in ihren Anfängen hatte nur lose Beziehungen zu Oranienburg. Sie hatte also nur die amtlichen Beziehungen, soweit sie sich aus dem Verhältnis der Politischen Polizei zu der Hilfspolizei SA ergaben. Sie führte im Laufe des Jahres Inhaftierte, die sie festgenommen hatte, zu und entließ dann auf Weisung des preußischen Ministerpräsidenten die Gefangenen, wenn ihre Fälle entsprechend überprüft waren.

RA. BÖHM: Haben zwischen dem Konzentrationslager Oranienburg und der Gestapo Berlin Schwierigkeiten bestanden?

SCHÄFER: Ursprünglich nein. Aber dann haben sich durch einen Zwischenfall Schwierigkeiten ergeben, die ich an dieser Stelle nicht verschweigen möchte. Es waren einmal zwei Inhaftierte von Berlin aus von der Gestapo eingeliefert worden, und zwar in einem sehr stark mißhandelten Zustand. Ich habe mich daraufhin am nächsten Tag zu dem mir vorgesetzten Standartenführer Schutzwechsler begeben und ihn gebeten, mit mir gemeinsam bei der Geheimen Staatspolizei in der Prinz-Albrecht-Straße vorstellig zu werden und eine Erklärung zu verlangen, die ich dann zum Gegenstand einer Meldung bei dem Preußischen Innenministerium machen wollte.

Diese Erklärung wurde mir auch zugesagt. Am nächsten Tag erreichte mich ein telephonischer Anruf des Standartenführers Schutzwechsler, worin er mir mitteilte, daß er erfahren habe soeben, daß das Konzentrationslager Oranienburg mit sofortiger Wirkung aufgelöst werden solle, ich möchte augenblicklich nach Berlin kommen, er wolle mit mir zum Preußischen Innenministerium gehen, um dort die Verhältnisse einmal zu sondieren, wieso und weswegen die Auflösung so urplötzlich erfolge.

Wir begaben uns damals dann gemeinsam zum Preußischen Innenministerium und erfuhren hier zu unserem größten Befremden, daß nach unserem stattgefundenen Protest am Tage vorher in der Prinz-Albrecht-Straße ein Anruf im Preußischen Innenministerium erfolgt war, worin mitgeteilt wurde, daß Mißhandlungsfälle vorgekommen seien und daß es notwendig geworden wäre, Oranienburg aufzulösen. Es sollten sofort – und so lautete der Vorschlag der Prinz-Albrecht-Straße – die gesamten Gefangenen von Oranienburg in die von der SS im Emskreis neu ausgebauten Lager überführt werden. Es war bereits ein Eisenbahnzug unterwegs, der auch schon in Oranienburg eingetroffen War, und als ich nunmehr die Verhältnisse dem damaligen Staatssekretär Grauert vortrug und ihm die entsprechenden Erklärungen abgab, was mich dazu veranlaßt hatte, am Tage vorher in der Prinz-Albrecht-Straße Protest zu erheben, da versprach er es mir sofort und hat es auch im selben Augenblick getan, die Verhältnisse eingehend überprüfen zu lassen. Er beauftragte damals in meiner Gegenwart den Ministerialdirigenten Fischer mit der Untersuchung der Angelegenheit. Fischer war als ein durchaus korrekter und zuverlässiger alter Beamter bekannt, und Fischer hat dann auch tatsächlich die Dinge so, wie ich sie dem Staatssekretär Grauert geschildert habe, festgestellt. Es wurde also eindeutig festgestellt, daß diese Oranienburg zur Last gelegten Mißhandlungsfälle in der Gestapo in Berlin sich ereignet hatten. Daraufhin wurde von einer Auflösung des Lagers Abstand genommen.

RA. BÖHM: Sind Ihnen Fälle bekannt, wo die Gestapo gewaltsam in von der SA gegründete Lager eindringen mußte, um Gefangene zu befreien?

SCHÄFER: Nein, derartige Fälle sind mir nicht bekanntgeworden.

RA. BÖHM: In Oranienburg haben Sie das jedenfalls nicht erlebt?

SCHÄFER: Nein, nein.

RA. BÖHM: Hatte die Gestapo maßgeblichen Einfluß auf die Entlassung von Inhaftierten, oder auf wen sind Ihrer Meinung nach die im Laufe der Zeit stattgefundenen Entlassungen hauptsächlich zurückzuführen?

SCHÄFER: Es sind für die Entlassung von Inhaftierten die verschiedensten Stellen maßgeblich von Einfluß gewesen. Als erste die zuständigen Regierungspräsidenten und Landräte, die ja auf Grund der ständigen Vorstellungen der Angehörigen von Inhaftierten die Verhältnisse der Inhaftierten genauestens kannten. Es ist das Lager selbst, wie ich in meiner Eigenschaft als Kommandant des Lagers, maßgeblich an der Entlassung von Inhaftierten beteiligt gewesen. Ich habe nach entsprechender Ermittlung in einigen Fällen gleich Vorschläge zur Enthaftung gemacht. Vor allen Dingen aber, muß ich sagen, ist es der damalige Ministerpräsident Göring selbst gewesen, der damals ein außerordentlich starkes Interesse gezeigt hat, daß das Lager Oranienburg möglichst nicht mit Gefangenen vollgepfropft wurde, sondern daß möglichst viele Entlassungen stattfanden. Das muß ich an dieser Stelle sagen. Und ich entsinne mich hierbei einer Weihnachtsansprache von Diels, die er anläßlich von Entlassungen den Inhaftierten gegenüber hielt, wo er auch zum Ausdruck brachte, daß sich der Ministerpräsident Göring dafür eingesetzt hat, daß zu Weihnachten eine sehr umfassende Entlassung der Inhaftierten stattfinden solle.

VORSITZENDER: Dr. Böhm! Der Gerichtshof verhandelt nicht gegen diesen Zeugen, sondern über den verbrecherischen Charakter der SA. Seine Aussage über die Entlassung der Gefangenen ist viel zu detailliert. Bis jetzt scheint er noch nicht weiter als bis 1933 gekommen zu sein.

RA. BÖHM: Ich möchte in diesem Zusammenhang nur noch eine Frage stellen: Können Sie sagen, wieviel Leute nach diesen Entlassungen Weihnachten 1933 in diesem Lager waren?

SCHÄFER: Es waren etwas mehr als 100 noch.

RA. BÖHM: Haben Sie mit Dr. Diels einmal persönliche Differenzen gehabt?

SCHÄFER: Nein, durchaus nicht. Im Gegenteil, als ich 1934 das Buch über Oranienburg schrieb, stellte er sich sofort und freiwillig zur Verfügung mit einem Geleitwort für dieses Buch, und ich weiß, daß er das Lager immer lobend erwähnt hat.

RA. BÖHM: Ist Ihnen die Aussage des Ministerialdirektors Hans Fritzsche bekannt, die er hier gemacht hat?

SCHÄFER: Zum Teil ja.

RA. BÖHM: Ist es richtig, wie der Zeuge behauptet, daß der erste Kommandant von Oranienburg, der von März 1933 bis 1934 Kommandant war, hingerichtet worden ist? Das müßten doch Sie sein?

SCHÄFER: Ja! Das ist am besten dadurch widerlegt, daß ich jetzt hier sitze, Herr Verteidiger. Das stimmt natürlich nicht.

RA. BÖHM: Ja. Ist es richtig, daß der angeblich in Oranienburg inhaftiert gewesene Journalist Stolzenberg berichtet, daß eine behördliche Untersuchung durchgeführt worden ist?

SCHÄFER: Ich entsinne mich nur zweier solcher behördlich durchgeführter Untersuchungen, und zwar war es der Fall, den ich vorhin geschildert habe, der Fall der Gestapo, und dann ein Fall Seger, wo also behördliche Untersuchungen angestellt wurden.

RA. BÖHM: Und mit welchem Ergebnis sind diese Untersuchungen durchgeführt worden?

SCHÄFER: Wie ich vorhin schon sagte, im Falle der Gestapo wurde festgestellt, daß die uns zur Last gelegten Mißhandlungsfälle in Tatsache in der Gestapo in Berlin erfolgt waren; und im Falle Seger wurde eindeutig nachgewiesen, daß Seger falsche Behauptungen entgegen der Wahrheit aufgestellt hatte.

RA. BÖHM: Ist es richtig, daß weitere Quälereien stattgefunden haben, wie Fritzsche von Einzelpersonen der Gestapo oder der Pressestelle des Reichsführer-SS erfahren haben will?

SCHÄFER: Ich persönlich bin ein großer Gegner der Mißhandlungen und Quälereien gewesen, und meine Einstellung ist meinen Wachmännern eingehend bekanntgewesen. Aber darüber hinaus ist sie auch den Insassen des Lagers bekanntgewesen.

RA. BÖHM: Ist es richtig, wie Fritzsche sagt, daß der 30. Juni 1934 insofern eine Reinigung bedeutet hat, als Gauleiter und SA-Führer, die ihre Macht mißbraucht hatten, beseitigt worden wären?

SCHÄFER: Im Zusammenhang mit dem Komplex Konzentrationslager kann ich dieser Auffassung nicht beitreten.

RA. BÖHM: Ist Ihnen das von dem ehemaligen Reichstagsabgeordneten der SPD Seger in Dessau verfaßte Buch »Oranienburg« bekannt?

SCHÄFER: Jawohl. Seger hat mir dieses Buch selbst zugeschickt.

RA. BÖHM: Ist Ihnen bekannt, daß Seger dieses Buch dem Justizministerium zwecks Verfolgung der in ihm erhobenen Anklagen übersandt hat?

SCHÄFER: Auch das ist mir bekannt.

RA. BÖHM: Und was hat die Justiz daraufhin getan?

SCHÄFER: Ich bin daraufhin durch den für Segers früheren Wohnort zuständigen Staatsanwalt eingehend vernommen worden. Es ist ein sehr eingehendes Ermittlungsverfahren geführt worden mit dem Ergebnis, daß, soweit ich mich heute noch erinnere, das Reichsgericht in Leipzig das Verfahren eingestellt hat.

RA. BÖHM: Ist Ihnen bekannt, daß Seger Sie des Mordes bezichtigt?

SCHÄFER: Jawohl, das ist mir bekannt.

RA. BÖHM: Ist dieser Fall, um den es sich hier handelt, eindeutig geklärt worden?

SCHÄFER: Es handelt sich hierbei um den Vorwurf Segers, ich sei an der Erschießung von zwei Inhaftierten schuldig. Dieser Fall ist eindeutig geklärt worden, und zwar so eindeutig, daß, als dieses Buch in meinem Auftrage den Inhaftierten des Lagers vorgelesen wurde, der eine von Seger als erschossen Gemeldete plötzlich aufstand und sich gesund zur Stelle meldete, während der andere, der von Seger als erschossen gemeldet worden war, sich bereits bei seiner Familie befand, entlassen war, also ganz eindeutig widerlegt durch die beiden angeblich Erschossenen selbst.

RA. BÖHM: Landläufig wird man auf dem Standpunkt stehen, daß die Wiedergabe eines derartigen Sachverhalts, wie er hier von Seger gegeben worden ist, als Lüge bezeichnet werden muß?

SCHÄFER: Durchaus richtig.

RA. BÖHM: Ist es zutreffend, daß, wie in Ihrem Buch geschildert, die Häftlinge sogar von ihrem geheimen Wahlrecht, wie es der Weimarer Verfassung entsprach, Gebrauch machen konnten?

SCHÄFER: Auch das ist zutreffend. Die Gefangenen haben anläßlich des Volksentscheides über die weitere Teilnahme Deutschlands am Völkerbund seinerzeit sich an einem Wahlakt beteiligt: und zwar ist das unter Innehaltung der in der Weimarer Verfassung vorgesehenen gesetzlichen Umstände erfolgt.

VORSITZENDER: Dr. Böhm! Ich habe Ihnen schon gesagt, daß Sie zu wichtigeren Dingen übergehen könnten. Wir sind immer noch bei 1933 oder Anfang 1934 im Lager Oranienburg.

RA. BÖHM: Herr Präsident! Der SA ist nur das Lager Oranienburg zur Last gelegt, und tatsächlich hat die SA Oranienburg nur vom März 1933 bis zum März 1934 bewacht. Es ist also nicht möglich, über einen anderen Zeitabschnitt zu sprechen.

VORSITZENDER: Das verstehen wir. Dieser Zeuge sagt uns, daß das Lager Oranienburg in vollkommen zufriedenstellender und angemessener Weise verwaltet worden ist. Wir wollen keine Einzelheiten über jeden Tag in den Jahren 1933 und 1934 hören.

RA. BÖHM: Vielleicht interessiert das Gericht noch – weil ich damit rechne, daß das Buch von Seger im Kreuzverhör vorgelegt wird –, daß dieses Buch unter anderem mit der Überschrift versehen war, nämlich der Eidesformel...

VORSITZENDER: Dr. Böhm! Wenn es im Kreuzverhör vorgelegt wird, so wird der Zeuge die Fragen, die ihm über das Buch vorgelegt werden, doch dann beantworten können.

Sie brauchen ein etwaiges Kreuzverhör nicht vorwegzunehmen.

RA. BÖHM: Jawohl. Ich darf nun weiter fragen.