[Zum Zeugen gewandt:]
Nun, das ist eine Liste mit den Namen der Gefangenen – richtiger gesagt, mit ihren Rufnamen und den Anfangsbuchstaben ihres Zunamens –, mit ihrem Gewicht an einem bestimmten Tag und dann nach einer gewissen Zeit mit ihrer Gewichtszunahme. Nun möchte ich Ihnen vorhalten, daß diese Gewichtszunahmen so phantastisch sind, daß sie unmöglich wahr sein können. Sehen Sie, da haben Sie einige sogar fetter drucken lassen als die anderen. Sehen Sie Hermann H. aus Wriezen!
Haben Sie das?
SCHÄFER: Ja.
MAJOR BARRINGTON: Am 26. Juni wog er 54 Kilogramm, am 6. September 68 Kilogramm. Er nahm also 14 Kilogramm oder zweieinhalb englische Stone in zweieinhalb Monaten zu. Und dann Erich L., der 15 Kilogramm in sechs Monaten zunahm. Weiter unten Paul S., der 15 Kilogramm in vier Monaten zunahm. Und dann werden Sie auf der nächsten Seite Fritz T. sehen, der zunächst 55 Kilogramm wog und in drei Monaten fast die Hälfte seines Gewichtes zunahm, 19 Kilogramm in drei Monaten. Das sind drei englische Stone in drei Monaten.
Glauben Sie nicht, daß diese Zahlen ziemlich phantastisch und unglaublich sind? Nun, ich will mich anders ausdrücken. Ich werde Ihnen einen anderen Vorschlag machen, und sehen Sie, ob Sie diese Erklärung annehmen. Wenn der Artikel in der »Times« über die elende Ernährung und Zustände wahr war und wenn meine Behauptung zutrifft, daß Sie sich später entschlossen haben, ein Musterlager zu schaffen und die Bedingungen zu verbessern, spricht dann diese Gewichtsliste nicht dafür, daß die Gefangenen zunächst unter den schlechten Bedingungen Gewichtsverluste hatten und daß sie dann rapid zunahmen, als Sie die Zustände verbesserten? Gefällt Ihnen diese Erklärung? Ich sage nicht, daß sie richtig ist, aber es ist eine Erklärung. Oder halten Sie daran fest, daß diese Ziffern zutreffen?
SCHÄFER: Jawohl.
MAJOR BARRINGTON: Ich bemerke aber, daß Dr. Levys Gewicht in Ihrer Tabelle nicht enthalten ist. Auch führen Sie Dr. Segers Gewicht nicht an. Oder haben sie vielleicht abgenommen?
SCHÄFER: Aber vielleicht haben sie ihr Gewicht erhalten. Es ist nur eine Gewichtsliste, ein Auszug aus ihrer Gewichtszunahme. Ich möchte noch einmal die Erklärung abgeben, Herr Anklagevertreter! Sie unterstellen von vornherein, daß es sich hier um phantastische Zahlen handelt. Ich möchte dagegen sagen, was hier in diesem Buch steht, dazu stehe auch ich. Auch heute noch. Und diese Liste, die hier abgedruckt ist, stimmt und besteht zu Recht. Und ich bitte, einen Arzt zu fragen – ich muß das natürlich anheimstellen –, welche Möglichkeiten einer Gewichtszunahme bei einem Menschen bestehen, der durch eine jahrelange Erwerbslosigkeit ausgesaugt und heruntergekommen ist, der nun in eine Ernährungsphase kommt, bei der er täglich seine festen Mahlzeiten bekommt und das, was ihm zusteht. Aber ich bin kein Arzt, und ich glaube, Herr Anklagevertreter, daß Ihnen das ohne weiteres ein Arzt wird bestätigen können, daß ein Mensch innerhalb von 4 Monaten so viel zunehmen kann. Ich selbst habe im Mai dieses Jahres durch Hunger 50 Pfund im Lager abgenommen. Ich habe im Laufe...
MAJOR BARRINGTON: Ich nehme an, daß die Leute furchtbar enttäuscht waren, als sie Weihnachten so großzügig amnestiert wurden, nicht wahr?
SCHÄFER: Um die Weihnachtszeit 1933 hatten sich die Verhältnisse in Deutschland schon wesentlich geändert, und ich glaube wohl, sagen zu dürfen, daß es da wesentlich besser war als im Jahre vorher.
MAJOR BARRINGTON: Ich habe keine weiteren Fragen, Herr Vorsitzender.
VORSITZENDER: Haben Sie noch irgendwelche Fragen an den Zeugen, Herr Dr. Böhm?
RA. BÖHM: Herr Zeuge! War Hohnstein ein preußisches Lager?
SCHÄFER: Nein! Hohnstein liegt, soviel ich weiß – hoffentlich verläßt mich meine Geographie nicht – in Sachsen.
RA. BÖHM: War Wuppertal ein Staatslager?
SCHÄFER: Das ist mir nicht bekannt.
RA. BÖHM: Ist Ihnen bekannt, daß der vorhin genannte Vogel ein Beamter der Geheimen Staatspolizei für das Land Sachsen gewesen ist?
SCHÄFER: Nein! Ich hörte diesen Namen heute zum erstenmal. Er ist mir unbekannt.
RA. BÖHM: Ist Ihnen bekannt, daß er nicht in seiner Eigenschaft als SA-Angehöriger, sondern als Beamter der Geheimen Staatspolizei hier in seinem Antrag auf Niederschlagung des Strafverfahrens verhandelte?
SCHÄFER: Das entnahm ich soeben diesem Brief, der mir nur ganz kurze Zeit vorgelegen hat, daß er das in seiner Eigenschaft als Beamter getan hat.
RA. BÖHM: Ist Ihnen bekannt, daß die SA im Kampf um die Macht 300 Tote und 40000 Verwundete hatte?
SCHÄFER: Die Zahl der Toten ist mir bekannt. Die genaue Zahl der Verwundeten nicht. Ich weiß nur, daß es weit über 10000 gewesen sind.
RA. BÖHM: Ist es nicht vielleicht doch möglich, daß so mancher SA-Angehöriger in der Zeit der Einlieferung der politischen Gegner in das Lager Oranienburg an diese 300 toten Kameraden und an die 40000 verwundeten Kameraden gedacht hat?
SCHÄFER: Das kann nicht bestritten werden. Aber er durfte daraus keine Folgerungen ziehen, die ihm von vornherein schon durch den Führerbefehl verboten waren. Aber man darf nicht verkennen, daß der Umbruch zu einer Zeit erfolgte, als die politischen Spannungen am höchsten waren.
RA. BÖHM: Hatten Sie von irgendeiner Seite den Auftrag oder Befehl, das Buch »Oranienburg« zu schreiben?
SCHÄFER: Nein! Das habe ich vorhin schon erklärt. Es lag kein Befehl oder Auftrag vor.
RA. BÖHM: Herr Präsident! Ich habe weiter keine Fragen an diesen Zeugen.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich nunmehr vertagen.