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[Das Gericht vertagt sich bis

14. August 1946, 10.00 Uhr.]

Zweihundertdritter Tag.

Mittwoch, 14. August 1946.

Vormittagssitzung.

[Der Zeuge Jüttner im Zeugenstand.]

RA. BÖHM: Herr Zeuge! Wir sind gestern in Ihrer Vernehmung stehengeblieben bei der Behandlung der Judenfrage innerhalb der SA. Ich möchte Sie nun fragen, wie ist die Beteiligung von SA-Angehörigen an Aktionen gegen die Juden im November 1938 zu erklären?

JÜTTNER: Die Teilnahme von SA-Angehörigen an dieser Aktion waren unverantwortliche Handlungen von einzelnen, die im krassen Widerspruch standen zu der Anordnung der Führung des Stabschefs Lutze. Stabschef Lutze war in München im Saal des Alten Rathauses. Er hat dort im Anschluß an die Rede von Dr. Goebbels sofort den Chef des Verwaltungsamtes, Obergruppenführer Matthes, beauftragt, in das Hotel Rheinhof zu gehen, wohin sich ein Teil der anwesenden SA-Führer bereits zurückgezogen hatte, um diesen SA-Führern ein strengstes Verbot zu übermitteln, an irgendwelchen Aktionen gegen die Juden teilzunehmen. Etwa eine Stunde später, als er die Nachricht hörte, daß die Synagoge in München in Brand gesteckt worden sei, hat Lutze in meiner Gegenwart den noch anwesenden SA-Führern im Rathaussaal zu München dieses Verbot wiederholt und befohlen, daß es sofort an die Einheiten durchgegeben werde. Das ist auch geschehen und wird dadurch bestätigt, daß vielerorts überhaupt keine Aktionen durchgeführt worden sind und zahlreiche SA-Männer den Erhalt des Befehls auf ihren Eid nehmen.

RA. BÖHM: Wie ist es dann gekommen, daß trotzdem sich SA-Angehörige an der Zerstörung jüdischer Einrichtungen beteiligt haben?

JÜTTNER: Wie nachträglich festgestellt wurde, haben sich einzelne Personen verleiten lassen durch Stellen, die zweifelsfrei unter dem Einfluß von Dr. Goebbels standen. Es haben in der Tat im Verhältnis zur Stärke der SA auch nur wenige wirkliche SA-Angehörige sich an der Aktion beteiligt, obwohl die öffentliche Meinung später diese ganze Aktion der SA in die Schuhe geschoben hat. Auch hier wiederum war es so, daß jeder im Braunhemd als SA-Mann bezeichnet worden ist. Daß die SA keineswegs die Trägerin dieser Aktion war, geht auch daraus hervor, daß, wie ich aus der Presse in den letzten Monaten gelesen habe, bei Einzelprozessen zum Beispiel in Bamberg, in Stuttgart und, glaube ich, auch in Hof Täter verurteilt worden sind, die Synagogen zerstört hatten und nicht der SA angehörten. Auch die Tatsache, daß vielerorts SA-Männer sich zur Verfügung gestellt haben auf Weisung der Führung, um jüdische Einrichtungen vor Plünderung durch dunkle Elemente und so weiter zu schützen, hat in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, daß die SA diese Untaten begangen hatte. Jedenfalls hat der Stabschef Lutze später, ein bis zwei Tage später, dem Dr. Goebbels gegenüber seine Empörung über die Aktion selbst, über die ungerechtfertigte Beschuldigung der SA und die unverantwortliche Verleitung von SA-Männern zu Untaten aufs schärfste verurteilt. Er erließ bald darauf einen Befehl, daß in Zukunft SA-Männer sich anderen Stellen zu irgendwelchen Aufgaben und Handlungen nur noch zur Verfügung stellen dürfen, wenn er das ausdrücklich genehmige. Von ihm festgestellte Schuldige hat Stabschef Lutze bestraft und auch gegebenenfalls an die ordentlichen Gerichte zur Aburteilung weitergegeben.

RA. BÖHM: Ist das also bisher anders gewesen bis zu diesem Zeitpunkt, an dem Lutze in dieser Richtung Stellung genommen hat? War die politische Leitung in der Lage, SA-Angehörige für ihre Zwecke zu verwenden?

JÜTTNER: Die politische Leitung hatte lediglich die Befugnis, die SA zu gewissen Aufgaben anzufordern, und zwar waren das folgende Aufgaben: Teilnahme an Gau- und Kreisappellen, Anforderungen für den Einsatz der SA in Katastrophenfällen, ferner zu Propagandazwecken, zu Sammlungsaktionen für das Winterhilfswerk, für Kleidersammlungen und dergleichen. Das waren die üblichen Anforderungen, die die politische Leitung an die SA im Laufe der Jahre gestellt hat. Andere Anforderungen rechtswidriger Art hat, soweit mir bekanntgeworden ist, die politische Leitung zu keiner Zeit an die SA gestellt. Aber um diese von Dr. Goebbels beeinflußten Stellen von solchen Verleitungen für die Zukunft auszuschalten, deshalb hat Lutze diesen Befehl erlassen.

RA. BÖHM: Schön. Nun hat aber die Anklagebehörde in diesem Prozeß unter der Nummer 1721-PS ein Dokument vorgelegt. Das ist eine Meldung, eine Vollzugsmeldung der Brigade 50 an die Gruppe Kurpfalz. Ich möchte Ihnen dieses Dokument zunächst zeigen, und Sie dann fragen, ob Sie hierzu Erhebungen gepflogen haben?