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[Dem Zeugen wird das Dokument überreicht.]

JÜTTNER: Wir haben Erhebungen gepflogen nach der Aktion. Aus dem Bereich der Gruppe Kurpfalz sind uns solche Handlungen und Untaten, wie sie in der Meldung verzeichnet sind, nicht mitgeteilt worden. Ich halte es auch für ausgeschlossen, daß das, was hier wiedergegeben ist, den Tatsachen entspricht.

RA. BÖHM: Ich muß nun eine Reihe von Fragen an Sie stellen, die sich erübrigt hätten, wenn die Zeugen Lücke und Fust hier hätten vernommen werden können. Lucke ist nämlich derjenige, der diese Vollzugsmeldung erstellt hat, und Fust derjenige, an den sie gegangen sein soll. Ich frage Sie nun, ist es üblich, daß bei der Erstellung von Vollzugsmeldungen der Befehl, über den der Vollzug zu melden ist, in der Vollzugsmeldung wiederholt wird im SA-Dienst?

JÜTTNER: In meiner ganzen Amtstätigkeit als Chef der Hauptamtsführung der Obersten SA-Führung und als ständiger Vertreter des Stabschefs der SA habe ich niemals die Wahrnehmung gemacht, daß in einer Vollzugsmeldung der gegebene Befehl – wie es hier in dieser angeblichen Meldung geschehen ist – im Wortlaut wiederholt wird. Im übrigen möchte ich sagen, daß der Führer dieser Gruppe – das war der Obergruppenführer Fust – als er diesen hier wiedergegebenen Befehl gegeben haben soll, sich in München befand im Alten Rathaussaal und dann im Hotel Rheinhof. Er hat dieses Verbot von Stabschef Lutze empfangen und hat in Gegenwart von Obergruppenführer Matthes dieses Verbot an seine Gruppe telephonisch weitergeleitet. Fust ist ein ganz besonders rechtlich denkender Mensch. Als er nach Mannheim zurückkam, hat er sich, wie ich weiß, davon überzeugt, daß die Durchgabe seines Befehls erfolgt war und daß seiner Anordnung entsprechend SA-Männer zur Bewachung jüdischer Einrichtungen zur Verfügung gestellt worden sind. Auch der Leiter der Führungsabteilung dieser Gruppe Kurpfalz, ein gewisser SA-Führer Zimmermann, bestätigt, daß, der Gruppenführer genau das Gegenteil von dem befohlen hat, was hier in diesem Dokument als Gruppenbefehl angegeben ist, und daß auch er SA als Posten vor jüdischen Einrichtungen gesehen hat; und SA-Männer dieser Gruppe in Internierungslagern, die Einheiten in der Gruppe geführt haben, bekunden, daß sie niemals einen Befehl erhalten haben wie den, der hier angeblich von der Gruppe erteilt worden sein soll.

RA. BÖHM: Hat es im Sprachgebrauch der SA die Bezeichnung »jüdische Synagogen« gegeben?

JÜTTNER: Das gab es nicht. Wenn man von jüdischen Kirchen sprach, sprach man von Synagogen. Der Begriff »jüdisch« war damit einbezogen, genau wie bei der Moschee der Begriff »mohammedanisch« davon untrennbar ist. So sagt man auch bei Synagogen, jedenfalls in unserem Sprachgebrauch, nicht jüdische Synagogen, sondern Synagogen schlechthin.

RA. BÖHM: In dem Befehl wird weiterhin von einer arischen Bevölkerung gesprochen. War das in diesem Zusammenhang möglich oder üblich.

JÜTTNER: Auch das ist völlig abwegig. Wenn der Befehl gegeben worden wäre, dann hätte man nicht gesagt: Nebenhäuser, die von arischer Bevölkerung bewohnt werden, sondern man hätte zweifellos gesagt: Nebenhäuser, die von Deutschen oder deutschen Volksgenossen bewohnt sind; aber »arische Bevölkerung« würde in diesem Zusammenhang nie angewandt worden sein.

RA. BÖHM: Klingt es wahrscheinlich oder glaubhaft, daß man im Jahre 1938, in einer Zeit, in der die nationalsozialistische Macht doch hundertprozentig konsolidiert war, befohlen hätte: Meutereien und Plünderungen sind zu unterbinden!?

JÜTTNER: Das spricht ganz deutlich gegen die Echtheit dieser hier vorgelegten Meldung. Ein Anlaß, Plünderungen wie Meutereien in einem solchen Zusammenhang zu erwähnen, wäre unerklärlich; und es lag auch gar keine Veranlassung vor, das hier anzuführen.

RA. BÖHM: Wäre es möglich gewesen, daß die Gruppe in einem Befehl an die Brigade Vollzugsmeldung an den Brigadeführer befohlen hätte?

JÜTTNER: Das wäre absolut sinnlos gewesen. Die Brigade kann doch an sich selbst nicht Vollzugsmeldung erteilen.

RA. BÖHM: Es ist das aber in dem Befehl oder in der Wiederholung des Befehls zum Ausdruck gebracht.

JÜTTNER: Ja, das spricht gegen die Echtheit dieser hier wiedergegebenen Meldung.

RA. BÖHM: Und was entnehmen Sie aus der Formulierung dieses Befehls aus diesem Grunde?

JÜTTNER: Ich entnehme daraus, kurz gesagt, daß dieser Befehl niemals erteilt worden ist, und daß derjenige, der ihn erfunden hat, von der Befehlssprache der SA keine Ahnung hatte.

RA. BÖHM: War es üblich und entspricht es der Befehlsweitergabe in der SA, daß Befehle auf dem Dienstwege nicht weitergegeben wurden, sondern in der hier angegebenen Weise verfahren worden wäre, wonach die Standartenführer alarmiert worden wären, wonach diese genauestens instruiert worden wären, und daß in diesem Zusammenhang der Vollzugsbeginn gemeldet worden wäre.

JÜTTNER: Abgesehen davon, daß eine Vollzugsmeldung in der hier vorgelegten Form niemals so erstattet worden wäre, war es bei uns üblich, daß Befehle auf dem Dienstwege weitergegeben wurden; dann begann der Vollzug. Den Vollzugsbeginn besonders zu betonen oder zu melden, ist absolut abwegig, weil jeder Befehl den Vollzug von vorneherein bedingt. Eine Meldung hätte nur dann erfolgen müssen, wenn dem Vollzug sich irgendwelche Schwierigkeiten entgegengestellt hätten.

RA. BÖHM: Und was schließen Sie nun aus der Gesamtheit dieser unwahrscheinlichen und zum Teil unmöglichen Fassung der Photokopie vom 11. November 1938?

JÜTTNER: Ich glaube, schon zum Ausdruck gebracht zu haben, daß diese Urkunde hier selbst gegen ihre Echtheit spricht, daß es sich um eine Fälschung handelt. Wenn ich sie mir näher ansehe, komme ich zu dem Ergebnis, daß auch zeitlich die Durchführung...

VORSITZENDER: Einen Augenblick! Könnten Sie uns die Nummer des Dokuments angeben, Dr. Böhm?

RA. BÖHM: Es ist die Nummer 1721-PS, US-425.

VORSITZENDER: Glauben Sie nicht, daß wir jetzt genug darüber gehört haben; wir haben jetzt schon ziemlich ausführliche Erörterungen darüber gehört, daß es nicht echt ist.

RA. BÖHM: Herr Präsident! Es dreht sich darum, daß dieser Sachverhalt – nachdem die beiden Zeugen, die hier zuständig gewesen wären, nicht hierher gebracht werden konnten – sich so klären muß, daß an dieser Fälschung kein Zweifel mehr besteht. Denn mit dieser Vollzugsmeldung, wenn sie wahr und echt wäre, würde die SA ungeheuer belastet.

VORSITZENDER: Das weiß ich wohl. Aber der Zeuge hat uns dies zehn Minuten lang ausgeführt.

RA. BÖHM: [zum Zeugen gewandt] Im Zusammenhang mit dem Dokument 1721-PS ist unter der gleichen Nummer ein Befehl der Obersten SA-Führung als Dokument in Vorlage gebracht worden, ein Befehl, der von Ihnen unterschrieben ist und in dem es heißt:

»Bei den aus der Bevölkerung heraus entstandenen Aktionen gegen die Juden mußten hier und dort von Dienststellen der Partei und ihren Gliederungen zum Schutze deutschen Volksvermögens Wertgegenstände sichergestellt werden. Ich ordne an, daß solche Gegenstände gegen Quittung unverzüglich an die nächste Dienststelle der Geheimen Staatspolizei abgegeben werden.

Sollten den Dienststellen der Partei und ihrer Gliederungen im Zusammenhang mit dieser Aktion Diebstähle, die leider vorgekommen sein dürften, bekanntwerden oder bekanntgeworden sein, so ist unverzüglich der nächsten Polizeidienststelle Meldung zu machen. Eben so ist bei Auftauchen verdächtiger Gegenstände zu verfahren. Die Dienststellen der Polizei sind in Erfüllung ihrer Aufgaben weitgehendst zu unterstützen.«

Aus diesem Befehl wird Ihnen der Vorwurf gemacht, daß Sie gewußt hätten, daß die Gegenstände, um die es hier geht, an eine Stelle abzuliefern waren, von der aus sie nie mehr ihren Eigentümern hätten zurückgegeben werden sollen.

Ich frage Sie nun: Wie ist der Befehl zustandegekommen? Konnte oder kann man aus dem Inhalt dieses Befehls, in dem betont ist, daß die Dienststellen der Polizei in Erfüllung ihrer Aufgaben weitgehendst zu unterstützen sind, Ihren Willen insofern daraus ersehen, daß Sie beabsichtigt hätten, das allen jüdischen Angehörigen gestohlene Gut nicht mehr zurückzugeben?

JÜTTNER: Dieser Befehl, der mir eben vorgelesen worden ist, den habe ich in der Vorverhandlung vor der Kommission bereits kennengelernt. Meiner Erinnerung nach ist er vom 29. November. Damals wußte ich am 29. November genau, daß Adolf Hitler, vor allem aber Hermann Göring, Rudolf Heß und auch Lutze, diese Aktion vom November 1938 aufs schärfste verurteilt haben. Der Befehl, der meine Unterschrift trägt, der wird von mir nicht bestritten. Er ist die Wiedergabe einer Anordnung des Büros des Stellvertreters des Führers, Rudolf Heß, also auf seine Initiative zurückzuführen. Da ich nun wußte, daß gerade Rudolf Heß als äußerst rechtlich denkender Mensch diese Aktion schärfstens verdammt hat, mußte ich aus seiner Anweisung entnehmen, daß sie bezweckte, das gestohlene Gut den ursprünglichen Eigentümern, nämlich den Juden, zurückzuerstatten. Eine andere Annahme kam für mich überhaupt nicht in Frage, und daß dieses Gut an die Polizeistellen zunächst als treuhänderische Stellen abzugeben war, war für mich auch selbstverständlich; denn die Polizei galt, jedenfalls in meinen Augen, als der Hüter der Ordnung und nicht als Stellen, die berufen sind, fremder Leute Gut einzubehalten oder zu stehlen.

RA. BÖHM: Nun möchte ich zu einem anderen Fragenkomplex übergehen. Der Zeuge Schellenberg hat behauptet, daß 1943 und 1944 die SA-Führung die Übernahme nicht nur der Konzentrationslagerbewachung, sondern auch die Bewachung von Kriegsgefangenen- und Arbeitslagern angestrebt hat. Was haben Sie dazu zu sagen?

JÜTTNER: Darf ich fragen, in welchem Jahr das gewesen sein soll?

RA. BÖHM: In den Jahren 1943 und 1944.

JÜTTNER: Im Jahre 1943 von Mai bis August habe ich die SA geführt als Stellvertreter des Stabschefs. Wie zuvor, habe ich auch in dieser Zeit niemals angestrebt, Aufgaben, die anderen Stellen, dem Reichsführer-SS, oblagen, in die Hände der SA zu spielen. Vor allen Dingen nicht Aufgaben polizeilicher Art. Ich habe weder die Übernahme solcher Aufgaben angestrebt noch Verhandlungen darüber führen lassen. Im übrigen habe ich in der Gefangenschaft, nachdem mir dieser Vorwurf gegen die SA aus der Anklageschrift bekanntgeworden war, mit Herrn Schellenberg mich darüber unterhalten. Herr Schellenberg hat mir erklärt, daß die Wiedergabe seiner Aussage auf einem Mißverständnis beruhen muß. Er hatte gemeint, Rücksprache der SA mit der Reichsführung der SS über die Frage der Stadt- und Landwacht. Solche Rücksprachen werden von mir nicht bestritten. Sie behandelten die zeitliche Diensteinteilung, nämlich, daß auf gesetzlicher Grundlage für die Stadt- und Landwacht verpflichtete SA-Angehörige nicht in Konflikt kommen dadurch, daß zu gleicher Zeit SA- Dienst abgehalten wird. Also diese zeitliche Regelung bezweckte diese Rücksprachen. Mit der Übernahme der Konzentrationslagerbewachung und später auch Kriegsgefangenen- und Arbeitslagerbewachung hatte die SA überhaupt nichts zu tun. Mir ist auch nicht bekanntgeworden, daß einzelne SA-Männer gesetzlich zu solchen Aufgaben verpflichtet worden sind.

RA. BÖHM: Äußern Sie sich zu der Frage, wie die SA zur Kirche stand.

JÜTTNER: In der Kirchenfrage ließ die SA dem einzelnen volle Entschlußfreiheit. Stabschef Röhm war Mitglied der Kirche. Er hat im übrigen, ich erinnere mich, 1934 eine Anordnung an die SA erlassen, wonach er dem SA-Mann untersagte, in irgendwelchen Kirchenstreitigkeiten Stellung zu nehmen mit der Begründung, daß dadurch die Gemeinschaft in der SA gestört werden könnte. Ich selbst war ununterbrochen, und bin es auch heute noch, Mitglied der evangelischen Kirche. Als Stellvertreter des Stabschefs war ich es auch. Der überwiegende Teil der SA-Angehörigen gehörte Kirchen an. Viele SA-Angehörige, jedenfalls nicht vereinzelte, waren auch, und zwar bis zuletzt, in Kirchenvorständen aktiv tätig, was wir wußten und nie verhindert haben. Stabschef Lutze hat überall einen Befehl erlassen, daß SA-Dienst während der Gottesdienste nicht abzuhalten ist.

RA. BÖHM: Kann man sagen, daß die SA den Grundsatz des positiven Christentums sich zu eigen gemacht hat?

JÜTTNER: Das kann ich, glaube ich, absolut bejahen.

RA. BÖHM: Der Kriegsbeginn von 1939 wird in Verbindung mit dem Wirken der SA gebracht. Wie begründen Sie, daß dieses Wirken der SA nicht der Vorbereitung eines Krieges gedient hat?

JÜTTNER: Ich nehme an, daß zunächst oder überhaupt das praktische Wirken der SA gemeint ist. Das, was die SA getan hat in der Vergangenheit, das kann man gerecht nur beurteilen nach der damals gegebenen Lage und nicht nach dem Bild, das durch den Krieg gewonnen wurde. Die Lage, die damals in Deutschland geherrscht hat, ist – wenn ich recht unterrichtet bin, Herr Vorsitzender – hier schon hinreichend erörtert worden. Ich darf aber hervorheben, daß die deutschen Männer damals durch die herrschende Not körperlich unerhört heruntergekommen waren. Sie waren kaum noch einsatzfähig, geschweige denn leistungsfähig, auch im Beruf nicht. Ihr Tauglichkeitsgrad und auch ihre charakterliche Haltung war auf einen erschreckenden Tiefstand gesunken, und da war es das einzige Streben der SA, dazu beizutragen, daß in Deutschland wieder eine körperlich leistungsfähige, einsatzfähige, mutige und charaktervolle Mannschaft entsteht, die in allen Notlagen des Vaterlandes einsatzwillig und einsatzbereit ist. Es drohten 1933 in Deutschland Bürgerkrieg und Aufstände. Wir hatten hinter uns die Polenaufstände. Bei seiner zentralen Lage war Deutschland mehr als manches andere Land auf den Schutz seiner Grenze bedacht und mußte es sein, und schließlich war dieses rohstoffarme Land gezwungen, Naturkatastrophen mit allen Mitteln zu begegnen, um größeren Schaden zu verhindern. Dazu brauchte sie eine gut ausgebildete, gesunde, körperlich leistungsfähige, einsatzbereite, wehrbereite Mannschaft. Die zu erziehen, das hatte sich die SA zur Aufgabe gestellt.

RA. BÖHM: Hat die SA bis zum Kriegsbeginn an den Frieden geglaubt, und womit könnten Sie beweisen, daß dieser Glaube der SA an eine friedliche Entwicklung bestanden hat?

JÜTTNER: Die SA hat wahrlich keinen Krieg gewollt. Hunderttausende von ehemaligen Frontsoldaten aus dem vorherigen Krieg waren in der SA. Die kannten den Krieg mit seinen unsäglichen Opfern. Die wollten keinen Krieg. Die wollten wegen der Existenz ihres Vaterlandes, aber auch ihrer eigenen Existenz wegen, eine friedliche Entwicklung. Sie waren 1939 bis in die Augusttage, bis Ende August... ich selbst war hier in Nürnberg als Aufmarschleiter des Reichsparteitages beschäftigt, um dort die Wettkämpfe für den Reichsparteitag und die großen Aufmärsche vorzubereiten. Die dachten nicht an Krieg, sie waren von dem Krieg nicht begeistert, sondern er trat bei ihnen auf Bestürzung. An Frieden haben wir immer geglaubt aus sehr vielen geschichtlichen Vorgängen der Vergangenheit; durch das Flottenabkommen mit England, Verträge mit Polen, Wirtschaftsabkommen mit anderen Staaten, freundschaftliche Beziehungen zu den südosteuropäischen Staaten, dann vor allem auch die völkerversöhnenden Vorgänge bei der Olympiade 1936. Wir haben an den Frieden geglaubt wegen der ständig von der SA stark unterstützten Zusammenarbeit der Frontkämpferverbände der europäischen Staaten, wegen des immer zunehmenden Verständnisses der Jugendverbände der verschiedenen Staaten, wegen der regelmäßigen internationalen Arbeiterzusammenkünfte in Hamburg. Wir wußten von den freundschaftlichen Besuchen von großen Staatsmännern anderer europäischer Staaten bei Adolf Hitler; wir kannten die Publikationen prominenter Ausländer über das Dritte Reich, und schließlich war es das Münchener Abkommen, das wir begeistert aufgriffen und begrüßten, das uns den Frieden als gesichert erscheinen ließ.

RA. BÖHM: Hatte die SA-Führung einen Einfluß auf die Politik?

JÜTTNER: Nach dem Tode Röhms überhaupt nicht. Die SA war völlig ungeeignet, auf die Politik irgendwelchen Einfluß auszuüben, weder die SA als Organisation noch ihre Führung. Auch ein Mißbrauch der SA etwa zu kriegstreiberischen Zwecken war vollkommen ausgeschlossen. Militarismus, etwa die Verherrlichung militärischer Bilder, Kommiß und Drill oder gar Kriegshetze oder Erzeugung von kriegerischem Geist wurde von der SA niemals gebilligt; dafür sprechen allein schon die Einstellung Röhms zu den Nachbarstaaten und die Einstellung Lutzes zum Krieg überhaupt.

RA. BÖHM: Hätte die SA einer Aufforderung für Kriegspropaganda Folge leisten müssen?

JÜTTNER: Ich habe schon in der Vorverhandlung vor der Hohen Kommission erklärt, daß die SA blinden Gehorsam nicht kannte. Aufforderungen zur Kriegspropaganda sind an die SA von keiner Seite herangetragen worden. Die SA hat infolgedessen weder bei ihren Lehrgängen noch bei der Erziehung ihrer Einheiten irgendwelche Propaganda für einen Krieg getrieben.

RA. BÖHM: Vor einigen Tagen wurde mir von der Anklage unter anderem eine eidesstattliche Versicherung des Herrn Ministerpräsidenten Dr. Wilhelm Högner in mein Fach gelegt, und nachdem ich keine andere Möglichkeit habe, als jetzt in diesem Beweisverfahren dazu Stellung zu nehmen, möchte ich aus dem Fragenkomplex heraus einige Fragen an Sie stellen. In dieser eidesstattlichen Versicherung wird ausgeführt: »Bereits im Jahre 1922 – ich glaube, es war der sogenannte Tag in Coburg – beherrschte die SA mit ihren bewaffneten Banden die Straße, machte Überfälle auf die friedliche Bevölkerung, insbesondere auf politische...«

VORSITZENDER: Liegt die eidesstattliche Erklärung beim Akt?

RA. BÖHM: Diese eidesstattliche Erklärung wurde mir vor drei Tagen in mein Fach gelegt. Ich hätte keine Veranlassung, diese eidesstattliche Versicherung vorzubringen, Herr Präsident; aber nachdem sie mir zugegangen...

VORSITZENDER: Ich habe Ihnen eine ganz einfache Frage gestellt: Können Sie mir darauf nicht eine Antwort geben? Ich fragte Sie, ob diese eidesstattliche Erklärung als Beweisstück vorgelegt wurde.

RA. BÖHM: Dieses Dokument ist nicht als Beweisstück vorgelegt worden; aber ich habe keine Möglichkeit mehr, zu diesem Dokument von irgendeiner Seite Stellung nehmen zu lassen, wenn ich die jetzige Gelegenheit nicht wahrnehme, Herr Präsident.

VORSITZENDER: Entweder Sie wollen das Dokument als Beweisstück vorlegen oder Sie wollen es nicht. Wenn es noch nicht vorgelegt ist, brauchen wir darauf nicht weiter einzugehen.

RA. BÖHM: Nein, ich möchte nur einige Fragen aus diesem Dokument an den Zeugen stellen.

VORSITZENDER: Das können Sie nicht tun, solange Sie das Dokument nicht als Beweisstück vorgelegt haben. Wenn Sie es als Beweis benützen wollen, dann müssen Sie es vorlegen. Wenn Sie es nicht tun wollen... So hören Sie mir doch zu.

Es ist nicht wahr, wenn Sie behaupten, keine Möglichkeit gehabt zu haben, das Dokument zu besprechen. Sie können es im Wiederverhör besprechen. Wenn das Dokument im Kreuzverhör verwendet wird, dann können Sie darüber sprechen. Sonst aber... wenn Sie es jetzt, vorbehaltlich der Zulässigkeit, als Beweisstück vorlegen wollen, so können Sie das tun und die Verantwortung dafür übernehmen.

RA. BÖHM: Ja, das würde zutreffen, wenn im Kreuzverhör diese eidesstattliche Versicherung vorgelegt würde; es ist aber nicht...

VORSITZENDER: Wenn es nicht vorgelegt wird, dann werden wir das Dokument nicht einsehen und nichts davon zur Kenntnis nehmen.

RA. BÖHM: Herr Präsident! Ich entnehme daraus, daß, wenn diese eidesstattliche Versicherung im Kreuzverhör nicht vorgelegt wird, daß sie auch nachher nicht mehr vorgelegt werden kann; dann ist der Sachverhalt klar; dann brauche ich auch keine Stellung mehr dazu nehmen zu lassen.

VORSITZENDER: Ja, wenn seitens der Anklagebehörde ein Antrag eingebracht würde, das Dokument im Gegenbeweis vorzulegen, dann könnten Sie jedenfalls unter diesen Umständen dazu Stellung nehmen.

RA. BÖHM: Dann würde ich das Gericht aber bitten zuzulassen, daß ich meinen Zeugen, den ich hierfür vorgesehen habe, der jetzt im Zeugenstand sitzt, rufen lassen kann, um ihn zu diesem Sachverhalt, der sich aus dieser eidesstattlichen Versicherung ergibt, vernehmen zu können.

VORSITZENDER: Nein, entweder Sie legen dieses Affidavit als Beweisstück selbst vor, oder Sie warten, bis das Wiederverhör erfolgt.

Sir David! Ich weiß nicht, um was es sich hier handelt. Dr. Böhm scheint nicht zu wissen, wie die Sachlage ist.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Es kann sein – ich habe den Namen des Ausstellers nicht genau gehört – es kann sein, daß es sich um eines von den Affidavits handelt, bezüglich deren ich vor ein bis zwei Tagen einen Antrag einbrachte. Ich wollte sie nach Erledigung der Dokumente der Verteidigung zur allgemeinen Widerlegung der gegnerischen Behauptungen vorlegen. Ja, Euer Lordschaft, es handelt sich hier um das Affidavit des bayerischen Ministerpräsidenten, und es ist eines der Dokumente, über die ich dem Gerichtshof vor einigen Tagen Mitteilung gemacht habe.

VORSITZENDER: Gut, können Sie es im Kreuzverhör vorlegen?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jawohl, sicher.

VORSITZENDER: Wäre das nicht das beste; dann kann Dr. Böhm im Wiederverhör darüber Fragen stellen; er hat ja wahrscheinlich die Möglichkeit gehabt, das Dokument anzusehen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Euer Lordschaft, das werde ich tun.

RA. BÖHM: Herr Präsident! Was ich vermeiden wollte, wäre die Situation gewesen, die dann entstanden wäre, wenn das Dokument vorgelegt worden wäre nach der Einvernahme meines letzten Zeugen, so daß ich keine Möglichkeit mehr gehabt hätte, dieses Dokument zu entkräften.

Herr Jüttner! Ich möchte nun eine letzte Frage an Sie stellen. Hatten die politischen Ziele der SA verbrecherischen Charakter?

JÜTTNER: Das, was die SA getan hat, was ihre Führung an Zielen verfolgt hatte, braucht zu keiner Zeit das Tageslicht zu fürchten. Die SA-Führung hat keine verbrecherischen Ziele verfolgt und auch nicht von verbrecherischen Zielen von irgendwelchen anderen Stellen gewußt. Die SA als Organisation hat niemals Handlungen begangen, die ihre Diffamierung als Verbrecherorganisation rechtfertigen könnte. Die SA, Herr Vorsitzender, besaß viele Anhänger im Reich, im ehemaligen und auch außerhalb seiner Grenzen. Die SA hatte auch Gegner. Mancher dieser Gegner hat seine Stimme erhoben und aus Haß oder Mißgunst Vorurteile gegen die SA erzeugt. Nicht die Wahrheit, sondern nur solche Vorurteile, die bekanntlich in der Geschichte schon manchen wackeren Mann zu Fall gebracht haben, könnten dazu führen, daß man die fünf oder sechs Millionen Männer, die in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten der SA angehört haben, zu Verbrechern stempeln könnte.

RA. BÖHM: Ich habe keine weiteren Fragen mehr, Herr Präsident.

JÜTTNER: Für diese Männer, für diese fünf bis sechs Millionen Männer mit der mehrfachen Millionenzahl von Familienangehörigen dieser Männer kann ich offenen Blickes und unter Eid erklären, daß die SA niemals einen verbrecherischen Charakter gehabt hat.

Herr Vorsitzender! Maßgebend in meinem ganzen Leben für mich war, daß man für das, was man getan hat, mutig eintritt, auf jede Gefahr hin und sich vor nichts fürchtet, auch nicht vor dem Tode, als allein vor der Schande. Mit Schande bezeichne ich, wenn man sich der Verantwortung entzieht, indem man selbst seinem Leben ein Ende setzt, oder wenn man unwahrhaftig wird. Und in dieser Hinsicht, Herr Vorsitzender, ist mein Gewissen rein. Darum kann ich mit meiner Erklärung über die Schuldlosigkeit der SA auch dem höchsten Richter gegenübertreten.

RA. BÖHM: Herr Präsident! Ich habe zunächst keine weiteren Fragen mehr.

VORSITZENDER: Wünscht die Anklagevertretung den Zeugen ins Kreuzverhör zu nehmen?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Zeuge! Wollen Sie sagen, daß die SA nichts mit den Greueltaten gegen die Bevölkerung der besetzten Gebiete zu tun hatte?

JÜTTNER: Ich habe das letzte nicht ganz verstanden... Greueltaten?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Greueltaten gegen die Bevölkerung der besetzten Gebiete, der ausländischen, von Deutschland besetzten Gebiete.

JÜTTNER: Die SA-Führung...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das ist eine ganz einfache Frage. Sie haben Ihre Reden gehalten. Beantworten Sie nun meine Frage mit Ja oder Nein, ob die SA etwas mit den Greueltaten gegen die Bevölkerung der besetzten Gebiete zu tun hatte.

JÜTTNER: Ich habe die Absicht, das wahrheitsgemäß zu beantworten, infolgedessen kann ich mir über meine Antwort auch nichts vorschreiben lassen...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Können Sie nicht mit Ja oder Nein antworten?

VORSITZENDER: Erklärungen können Sie später abgeben, wie Sie wissen. Beantworten Sie zuerst die Fragen mit Ja oder Nein, und geben Sie Ihre Erläuterungen später.

JÜTTNER: Die SA hatte mit der Behandlung der Bevölkerung in den besetzten Gebieten nichts zu tun.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut. Nun dann bitte ich Sie, Ihren Bericht über die SA während des Krieges zu betrachten.

Der Hohe Gerichtshof wird diesen im Dokumentenbuch 16 B auf Seite 113 finden; Euer Lordschaft, es ist Dokument 4011-PS, das nun die Beweisstücknummer GB-596 erhält.

Nun, Zeugte, ehe Sie das Schriftstück ansehen, können Sie sich erinnern, vor der Kommission gesagt zu haben: »Bei Beginn des Krieges mit Polen hat die SA-Gruppe ›Sudeten‹ Kriegsgefangenentransporte in Gefangenenlager durchgeführt. Andere SA-Gruppen im Osten mögen später für ähnliche Zwecke verwendet worden sein. Die SA-Führung und die SA als Organisation hatten mit dieser Frage nichts zu tun.« Erinnern Sie sich an Ihre Aussage? Sie steht auf Seite 336 des Protokolls. Eine Ihrer Gruppen führte die Transporte von Kriegsgefangenen in Lager durch, und andere SA-Gruppen mögen für ähnliche Zwecke verwendet worden sein. Erinnern Sie sich, das vor der Kommission ausgesagt zu haben? Wenn Sie das Schriftstück einen Augenblick vergessen und sich nur darauf konzentrieren, ob Sie das vor der Kommission ausgesagt haben, wäre uns damit geholfen. Erinnern Sie sich, das vor der Kommission ausgesagt zu haben?

JÜTTNER: Ich habe vor der Kommission zugegeben – und das bestreite ich auch heute nicht – daß die SA-Gruppe »Sudeten« Kriegsgefangene im Auftrage der Wehrmacht zurücktransportiert hat im Polenfeldzug. Vorher wurde ich aber von Ihnen, Herr Anklagevertreter, über die Behandlung der Bevölkerung der besetzten Gebiete befragt.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ihre Antwort darüber habe ich bereits erhalten. Wir müssen stufenweise vorgehen. Sie geben zu, vor der Kommission ausgesagt zu haben, daß die Gruppe »Sudeten« Transporte von Kriegsgefangenen in die Lager durchgeführt hat. »Andere SA-Gruppen im Osten mögen später für ähnliche Zwecke verwendet worden sein.« Erinnern Sie sich an Ihre Aussage? Ich möchte das nur in das Protokoll aufnehmen, was Sie ausgesagt haben.

Geben Sie zu, das gesagt zu haben?

JÜTTNER: Das habe ich ja eben schon gesagt.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Richtig. Nun, sehen wir uns Ihren Bericht an. Es ist ein Bericht, den Sie am 23. Juni 1941 erstattet haben und Sie finden nach einem allgemein gehaltenen Absatz – ich bitte Euer Lordschaft, die Seite 116 aufzuschlagen, es ist die vierte Seite des Originalschriftstücks. – Nun, Zeuge, wollen Sie sich bitte nach der Überschrift unter Absatz 4a ansehen:

»Die im Hinterland verbliebenen SA-Männer sorgen zunächst für die Aufrechterhaltung der Organisation der SA. Alle Einheiten, auch die kleinsten, sind lebendig, und die Männer geben einsatzwillig ihre Freizeit für den Dienst in der Partei. Dieser umfaßt Unterstützung der Politischen Leiter bei ihrer Erziehungs- und Aufklärungsarbeit, Propaganda und Propagandaabwehr, Versammlungsvorbereitungen, Überwachung der Bevölkerung in Grenzgebieten...«

Ist das, was Sie 1941 schrieben, richtig?

JÜTTNER: Das stimmt ganz genau. Hinterland ist nämlich die Heimat und nicht besetzte Gebiete.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bitte das Hohe Gericht, nunmehr auf Seite 117 des englischen Textes überzugehen. Zeuge! Ich glaube, in Ihrem Text ist es Seite 123. Haben Sie es? Es ist Seite 5 des Originals, nächste Seite... Seite 5. Dort finden Sie unter c):

»Besonders vielseitig haben sich die Dienstleistungen der SA entwickelt, die der unmittelbaren Unterstützung der Wehrmacht gelten und die der deutschen Wehrkraft zugute kommen. Bei Abfassung des Berichts bzw. in den voraufgegangenen Wochen waren eingesetzt:... bei 21 Gruppen SA-Männer zur Bewachung von Gefangenen.«

Wo haben diese 21 Gruppen nun die Kriegsgefangenen bewacht?

JÜTTNER: Im deutschen Reichsgebiet, während des Polenfeldzuges.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das war im Jahre 1941; da war doch der Polenfeldzug schon seit fast 21 Monaten beendet. Wie Sie sehen, sprachen Sie von der Zeit der Abfassung dieses Berichts beziehungsweise den voraufgegangenen Wochen.

Wo wurden damals die Gefangenen bewacht?

JÜTTNER: Dieser Bericht ist eine Zusammenfassung der Tätigkeit der SA im Kriege von Anbeginn an, und da wird alles wieder aufgezählt, was früher auch von der SA Positives geleistet worden ist.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Haben Sie nicht gehört, was ich Ihnen vorgehalten habe, und können Sie Ihren eigenen Bericht nicht lesen? Hier heißt es:

»Bei Abfassung des Berichts bezw. in den voraufgegangenen Wochen waren eingesetzt:...«

Das heißt also im Juni 1941 und besagt, es wurden Kriegsgefangene bewacht. Ich frage Sie, wo wurden Kriegsgefangene bewacht?

JÜTTNER: Man kann das ja nicht so hinnehmen, daß etwa 21 SA-Gruppen zur Bewachung von Kriegsgefangenen eingesetzt waren, sondern es steht dabei: 21 Gruppen haben SA-Männer...

VORSITZENDER: Die Frage hat gelautet: Wo, sagten Sie, bewachten sie Kriegsgefangene? Von der Zahl 21 war nicht die Rede. Wo wurden Kriegsgefangene bewacht?

JÜTTNER: In Gefangenenlagern im Reichsgebiet, wo einzelne SA-Männer kurzfristig zur Wehrmacht zwecks Bewachung von Kriegsgefangenen eingezogen worden sind.

VORSITZENDER: Was verstehen Sie unter Reichsgebiet? Meinen Sie Deutschland, wie es vor dem Krieg war?

JÜTTNER: Ja. Es ist möglich, daß in Westpreußen und im Generalgouvernement auch Kriegsgefangenenlager waren. Das entzieht sich aber meiner Kenntnis.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und in den baltischen Ländern?

JÜTTNER: Davon ist mir nichts bekannt.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, wir können Ihrem Gedächtnis ein wenig nachhelfen. Wir bleiben bei diesem Schriftstück. Betrachten Sie nun die nächste Seite...

VORSITZENDER: Ehe Sie dazu übergehen...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Bitte, Euer Lordschaft?

VORSITZENDER: Vielleicht wollen Sie den Satz gerade vor Ziffer b dem Zeugen vorhalten.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jawohl, Euer Lordschaft.