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[Zum Zeugen gewandt:]

Haben Sie die Überschrift »Arbeit der SA in den zurückgewonnenen Gebieten«. Haben Sie das?

JÜTTNER: Jawohl.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE:

»Arbeit der SA in den zurückgewonnenen Gebieten.

Im Osten wurden die beiden SA-Gruppen ›Weichsel‹ mit dem Sitz in Danzig, und ›Warthe‹ mit dem Sitz in Posen gebildet. Das oberschlesische Gebiet wurde der Gruppe Schlesien, das Gebiet von Memel und Suwalki der Gruppe Ostland zugeteilt.«

Beachten Sie besonders die Gruppe »Ostland«.

»Die SA-Einheiten bildeten sehr bald ein Netz fester Stützpunkte für die nationalsozialistische Bewegung. Es umfassen die Gruppe Weichsel 15 Standarten mit 507 Stürmen, die Gruppe Warthe 28 Standarten mit 684 Stürmen. Wie einst in der Kampfzeit, so war auch in diesen Gebieten die SA« –

bitte beachten Sie die Worte »wie einst in der Kampfzeit« –

»der Stoßtrupp der Partei. Sie hilft, die deutschen Kräfte zu erfassen, zu stärken und nationalsozialistisch auszurichten. Hierbei mußte oft erst mit deutschem Sprachunterricht begonnen und es müssen zunächst die einfachsten Begriffe des Nationalsozialismus' auseinandergesetzt werden. Viele junge Volksdeutsche wurden als SA-Unterführer auf SA-Schulen im Reich ausgebildet. Der praktische SA-Dienst ist auch in diesen Gebieten auf die Stärkung der Wehrkraft abgestellt. Es galt dabei, Minderwertigkeitsgefühle, die den Volksdeutschen aus der Zeit der polnischen Unterdrückung anhafteten, zu überwinden und die Form des äußeren Auftretens und der Haltung SA-mäßig zu gestalten. Dann erst konnte mit der eigentlichen wehrmannschaftlichen Erziehung begonnen werden.

Ähnlich wie im Osten ist auch im Westen die Arbeit der SA. Dort ist es in kurzer Zeit gelungen, durch die Erfassung früherer deutscher Weltkriegssoldaten einen bedeutenden Teil der männlichen Bevölkerung an die SA heranzuführen.

Die Führer der Standarten sind überwiegend reichsdeutsche SA-Führer. Die Sturmbanne und Stürme werden fast ausnahmslos von Elsässern geführt, die auf einer SA-Schule des Reiches eine Sonderausbildung erhalten haben. Ihnen stehen reichsdeutsche SA-Führer und -Männer beratend und helfend zur Seite.«

Nun, ich werde Ihnen viele Fragen über den Osten stellen, aber den Westen möchte ich mit nur einer Frage abtun. Wollten Sie nicht mit diesem Absatz besagen, daß die SA ihr Bestes tat, um die Eindeutschung des Elsaß zu fördern?

JÜTTNER: Die SA hat dort ihre Organisation aufgebaut und die Männer zu Anständigkeit und zu SA-mäßiger Haltung charakterlich und auch äußerlich zu erziehen versucht. Die Frage der Eindeutschung und so weiter spielte bei unserer Arbeit keine Rolle.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sehen Sie sich den Vorgang näher an. Der Stabschef war im Jahre 1941 Lutze. Damals war er noch am Leben. Im nächsten Absatz heißt es:

»Der Stabschef hat gerade diese Gebiete im Osten und Westen während der Berichtszeit... aufgesucht und hat sich – keineswegs nur in den Hauptstädten, sondern vornehmlich in den kleinen und kleinsten Standorten der SA – Einblick... verschafft.«

Hat der Stabschef Sie als seinen Stellvertreter zu irgendeiner dieser Besichtigungen mitgenommen?

JÜTTNER: Im Osten war ich einmal dabei, im Westen nicht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Vielleicht hatten Sie Glück, daß Sie im Osten waren. Waren Sie je in Wilna?

JÜTTNER: Nein.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Vielleicht können Sie uns helfen mit Ihrer umfassenden Kenntnis der SA, von der Sie heute morgen sprachen. Kannten Sie einen SA-Führer Hinkst, der Stadtkommandant von Wilna war?

JÜTTNER: Nein, den kenne ich nicht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Den kannten Sie nicht? Denken Sie nur nach. Sie erinnern sich seiner nicht? Stadtkommandant von Wilna, Hinkst.

JÜTTNER: Nein.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie werden sich erinnern, daß in Wilna die alten Baracken als SA-Kasernen – SA-Baracken – übernommen wurden? Wußten Sie das?

JÜTTNER: Ich bin in meinem Leben nie in Wilna gewesen und weiß auch nicht, wer von der SA oder anderen Stellen dort tätig war.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wußten Sie nicht, daß eine der aufgestellten Gruppen in Wilna war?

JÜTTNER: Nein.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Eine sehr interessante Gruppe. Ihre Aufgabe war nicht ganz so groß wie die der SS; immerhin töteten sie 10000 Juden im Herbst 1941. Sie sagen, Sie haben nie davon gehört?

JÜTTNER: Ich habe das nicht verstanden.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich habe Ihnen eben vorgehalten, daß im September 1941 in Wilna 10000 Juden getötet wurden und daß es Männer der SA-Gruppe in Wilna waren, die sie aus den Ghettos zur Liquidierung trieben.

JÜTTNER: Ich bestreite das ganz entschieden. Die SA hat mit diesen Angelegenheiten nichts zu tun. SA war dabei nicht beteiligt. Wir hatten in Wilna keine SA.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dann sehen wir uns einmal dieses Affidavit an. Sehen Sie sich dieses Affidavit an...

VORSITZENDER: Haben Sie das Dokument unterschrieben, das Ihnen eben vorgelegt wurde, diesen Bericht?

JÜTTNER: Jawohl.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun sehen Sie sich das Dokument D-964 an, eine eidesstattliche Erklärung von Szloma Gol.

Euer Lordschaft! Es ist GB-597, Seite 55. Ich bitte um Verzeihung, Euer Lordschaft. Dieser Mann sagt folgendes:

»1. Ich bin ein Jude und lebte in Wilna in Litauen. Während der deutschen Besatzungszeit lebte ich im Wilnaer Ghetto.

2. Die Verwaltung des Ghettos in Wilna wurde von der SA durchgeführt. Der Stadtkommissar von Wilna war ein SA-Führer namens Hinkst. Der Landkommissar von Wilna war ein SA-Führer namens Wolf. Der Sachbearbeiter für jüdische Fragen war ein SA-Führer namens Murer.«

Erinnern Sie sich an SA-Führer Hinkst oder an SA- Führer Wolf in Litauen?

JÜTTNER: Ich habe weder den Namen Wolf noch den Namen Hinkst jemals gehört und bestreite ganz entschieden, daß wir eine SA-Gruppe in Wilna hatten.

RA. BÖHM: Verzeihung, Herr Präsident! Die Belastungen, die man versucht, der SA zuzuschieben, sind derartig horrend und dem Zeugen offensichtlich nicht bekannt, daß ich bitten müßte, falls man von dieser eidesstattlichen Versicherung oder ihrem Inhalt Gebrauch macht, diesen Zeugen Gol hierher zu bringen und ihn zu vernehmen. Wenn er hier in Nürnberg ist, kann er vor Gericht vernommen werden.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Mit dem größten Vergnügen. Herr Gol ist hier, und mein Herr Kollege kann ihm alle Fragen stellen, die er will. Er kann die Gegenstände, die den Leichen der erschossenen Juden abgenommen wurden, hier vorzeigen.

VORSITZENDER: Ist der Mann in Nürnberg?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jawohl, Euer Lordschaft! Von diesen sechs Affidavits habe ich vier zurückbehalten, die die hauptsächlichen strittigen Punkte beweisen sollen. Ich habe Gol, Belg, Sigall und Kibart hier behalten. Die anderen beiden mußten zu der Arbeit zurück, die man für sie gefunden hatte. Euer Lordschaft, in Anbetracht dessen, was diese Männer erlitten hatten, wäre es nicht richtig, sie alle zurückzubehalten. Immerhin habe ich vier zurückgehalten, und ich bin der Ansicht, daß die Verteidigung reichlich Gelegenheit zu Kreuzverhören hat.

VORSITZENDER: Behandeln alle Zeugen das gleiche Thema?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, Euer Lordschaft! Sie behandeln Wilna, Kaunas und Schaulen, drei Orte.

VORSITZENDER: Sir David! Beabsichtigen Sie, diese Affidavits jetzt einzuführen oder zu verlesen, oder wollen Sie sie im Kreuzverhör bringen?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Ich hatte die Absicht, die Hauptpunkte der Affidavits im Kreuzverhör zu bringen, um zu zeigen, worauf sie sich stützen. Ich wollte sie nicht ganz verlesen, sondern habe ungefähr drei Punkte aus den Affidavits herausgesucht, die ich verlesen wollte.

VORSITZENDER: Jawohl. – Dr. Böhm?

RA. BÖHM: Bevor diese eidesstattlichen Versicherungen verlesen werden, würde ich zunächst bitten, diese eidesstattlichen Erklärungen auf ihre Echtheit zu prüfen. Das Dokument, das Sie in die Hand bekommen, ist D-964.

VORSITZENDER: Dr. Böhm! Wir werden Ihren Antrag dann berücksichtigen, wenn der Mann zum Kreuzverhör vorgeladen werden soll. Das dürfte wohl genügen?

RA. BÖHM: Nein, nur unter der Voraussetzung, daß dieses Dokument, diese eidesstattliche Versicherung, die hier vorgelegt wurde, überhaupt echt und unterschrieben ist.

VORSITZENDER: Sir David sagte, daß der Mann hier ist. Sie können den Zeugen dann fragen, ob das Affidavit echt ist oder nicht.

RA. BÖHM: Ich habe keine Veranlassung, einen Zeugen hier einzuführen, Herr Präsident, der keine eidesstattliche Versicherung abgegeben hat.

VORSITZENDER: Niemand sagt, daß Sie ihn als Ihren Zeugen einführen sollen. Ihr Antrag, den wir jetzt behandeln, geht dahin, daß der Zeuge zum Kreuzverhör hierher gebracht werden soll; damit wird er aber nicht Ihr Zeuge.

RA. BÖHM: Herr Präsident! Unter der Voraussetzung, daß er überhaupt eine eidesstattliche Versicherung abgegeben hat, habe ich beantragt, ihn hier zu hören.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Das Original-Affidavit liegt dem Zeugen vor. Mir wird gesagt, daß es vor Major Wurmser beschworen worden ist. Die tatsächlichen Angaben, die der Mann gemacht hat, ehe er unterschrieb, sind im Original enthalten.

RA. BÖHM: Deswegen erhebe ich Einwand, weil sich nämlich aus meinem Dokument nicht ergibt, daß es unterschrieben ist.

VORSITZENDER: Zeuge! Geben Sie uns das Original-Dokument. Dr. Böhm! Sie sollten sich die Mühe nehmen, das Original anzusehen, bevor Sie solche Einwendungen machen.

RA. BÖHM: Herr Präsident! Ich habe keine Anschuldigungen gemacht; ich habe nur gebeten, festzustellen, ob es unterzeichnet ist; denn auf meinem Dokument ist es nicht unterzeichnet.

VORSITZENDER: Sir David! Um Zeit zu sparen, wäre es nicht ausreichend, nur zwei Affidavits zu benützen und zwei Zeugen im Kreuzverhör zu vernehmen?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Ich schlug drei vor, nachdem es sich um drei Orte handelt, Wilna, Kaunas und Schaulen. Ich will mich gerne darauf beschränken.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof bewilligt die Verwendung dieser Affidavits im Kreuzverhör unter der Bedingung, daß die drei Zeugen zum Kreuzverhör hierher gerufen werden. Es wäre das beste, wenn sie unmittelbar nach dem Kreuzverhör und Wiederverhör dieses Zeugen hierher gerufen würden.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Eine kleine Schwierigkeit besteht in Bezug auf Schaulen, weil die beiden Zeugen, die abreisen mußten, über den Vorfall in Schaulen sprechen sollten. Euer Lordschaft, ich habe einen Zeugen,... ich bitte um Entschuldigung, Euer Lordschaft, ich habe mich geirrt, ich sagte Schaulen, es hätte aber Kaunas heißen müssen. Ich werde die Tatsachen in das Affidavit bringen und werde nur die Affidavits in Bezug auf Wilna und Schaulen benützen; denn beide Zeugen sind hier.

VORSITZENDER: Der Marschall wird dafür sorgen, daß die beiden Zeugen bereit sind und nach Abschluß der Aussagen dieses Zeugen zum Kreuzverhör gerufen werden können, wenn Dr. Böhm sie vernehmen will.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gewiß, Euer Lordschaft! Sie werden bereit sein. Ich möchte nun den Zeugen hier über Wilna befragen.

VORSITZENDER: Sir David! Ich sehe, es ist jetzt 11.35 Uhr. Ehe Sie anfangen, werden wir eine Pause einschalten.