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[Pause von 10 Minuten.]

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Ich habe drei dieser Zeugen ausgewählt, um über jede der drei Städte etwas zu bringen. Szloma Gol wird Wilna behandeln, Kagan Kaunas und Kibart Schaulen.

Sie sind jetzt nicht im Gerichtssaal, damit sie beim Kreuzverhör nicht anwesend sind. Sie werden zur rechten Zeit zur Verfügung stehen.

RA. BÖHM: Herr Präsident! Ich kann auf die Einvernahme dieser Zeugen verzichten. Ich habe nichts dagegen, wenn diese eidesstattlichen Versicherungen verwendet werden, weil ich den Sachverhalt in diesem Zusammenhang mit dem Zeugen Kibart im Kreuzverhör klären kann. Diese Leute hatten mit der SA gar nichts zu tun, und der Zeuge Jüttner wird den Sachverhalt aufklären. Es waren Beamte des Ostministeriums, die dort als SA-Leute genauso betrachtet wurden, als man zum Beispiel einen Wehrmachtssoldaten, der früher bei der SA war, wenn er Wehrmachtssoldat ist, nicht als SA-Mann betrachten konnte. Ich lege also auf die Einvernahme dieser Zeugen keinen Wert. Ich verzichte darauf, diese Zeugen ins Kreuzverhör zu nehmen.

VORSITZENDER: Sehr gut. Dann, Sir David, brauchen Sie wohl diese Zeugen nicht zu rufen, wenn der Verteidiger keinen Wert darauf legt.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich füge mich ganz Dr. Böhm und der Entscheidung des Gerichtshofs. Ich möchte nur betonen, daß die Anklagevertretung gegen die Vorladung dieser Zeugen, die bereit sind, Ihre Aussagen abzugeben, nichts einzuwenden hat.

VORSITZENDER: Sie können also die Affidavits bringen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wie Sie wünschen, Euer Lordschaft.

Zeuge! Haben Sie eine Abschrift des Dokuments D-964 in deutscher Sprache?

JÜTTNER: D-964, ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das ist ein Affidavit eines Herrn Gol, und ich habe Ihnen den ersten und zweiten Absatz vorgelesen. Wenn Sie sich den dritten Absatz ansehen wollen, so heißt es dort:

»3. Im Dezember 1943 wurden 80 Juden aus dem Ghetto, darunter vier Frauen, ich selbst und mein Freund Joseph Belic von einem SA-Sturmführer, dessen Namen ich vergessen habe, ausgewählt und mußten auf dessen Befehl in einer breiteren Grube in einiger Entfernung von der Stadt leben. Diese Grube war ausgehoben worden, um als unterirdischer Benzinbehälter zu dienen. Die Grube war kreisrund, 60 Meter im Durchmesser und 4 Meter tief. Während wir in dieser Grube lebten, würde sie teilweise mit Brettern zugedeckt. Zwei Wohnräume aus Brettern wurden abgeschlagen und desgleichen eine Küche und eine Latrine. Wir lebten 6 Monate in dieser Grube, bevor wir entkamen. Die Grube wurde von SA-Leuten bewacht, über die ich weiter unten Einzelheiten angeben will.«

Sie sehen dann im fünften Absatz, daß er erklärt:

»5. Daraufhin warfen SA-Leute Ketten in die Grube, und der Sturmführer befahl den jüdischen Vorarbeitern (wir waren eine Werksgemeinschaft) uns die Ketten anzulegen. Die Ketten wurden um meine Fußknöchel und ebenso rund um den Leib gelegt. Sie wogen je 2 kg, und wir waren nur imstande, kleine Schritte mit ihnen zu machen. Wir trugen diese Ketten für 6 Monate dauernd. Die SA sagte uns, daß jeder, der die Ketten ablege, gehängt werden würde. Die vier Frauen, die in der Küche arbeiteten, wurden nicht erfaßt.«

Bevor wir zu der Arbeit kommen, möchte ich Sie auf den Absatz 10 verweisen; dort ist eine Beschreibung der Wächter:

»10. Diese Arbeit, die im öffnen der Gräber und Aufbauen der Scheiterhaufen bestand, wurde von etwa 80 Wachmannschaften überwacht. Über 50 von diesen waren SA-Leute in braunen Uniformen, mit Pistolen und Dolchen und automatischen Waffen bewaffnet. (Die Waffen waren ständig schußbereit und auf uns gerichtet.) Die übrigen 30 Wächter bestanden zum Teil aus Litauern und zum Teil aus SD und SS. Im Verlaufe dieser Arbeit wurden die litauischen Wächter selbst erschossen, wahrscheinlich, damit sie nicht ausplaudern konnten, was gemacht worden war. Der Befehlshaber des gesamten Platzes war der SA-Führer Murer, (der Sachbearbeiter der jüdischen Fragen), aber er beaufsichtigte die Arbeiten nur von Zeit zu Zeit. Der SA-Führer Legel befehligte an Ort und Stelle. In der Nacht wurde unsere Grube Von 10 oder 12 dieser Wächter bewacht.«

Dann sagt er:

»11. Die Wächter... schlugen und stachen uns«...

und daß er auf einen Haufen von Leichen gestoßen wurde. Weiter sagt er, wenn jemand mehr als zwei Tage krank war wurde er erschossen.

Im Absatz 12 lesen wir dann:

»12. Von den 76 in der Grube befindlichen Personen wurden elf bei der Arbeit erschossen.«

Jetzt möchte ich Sie ganz kurz auf die Absätze 6, 7, 8, 9 hinweisen, in welchen die Arbeiten beschrieben werden. In Absatz 7 heißt es:

»7. Unsere Arbeit bestand darin, Massengräber zu öffnen und Leichen herauszubefördern, um sie dann zu verbrennen. Ich war damit beschäftigt, diese Leichen auszugraben. Mein Freund Belic war mit Sägen und Zurechtmachen von Holz beschäftigt.«

Dann im Absatz 8 finden Sie:

»8. Wir haben insgesamt 80000 Leichen ausgegraben. Ich weiß dieses daher, weil zwei Juden, die mit uns in der Grube lebten, von den Deutschen dazu angestellt worden waren, diese Leichen zu zählen. Das war die einzige Aufgabe dieser beiden. Die Leichen bestanden aus einem Gemisch von Juden, polnischen Priestern und russischen Kriegsgefangenen. Unter denen, die ich ausgrub, befand sich mein eigener Bruder. Ich fand seine Personalausweise bei ihm. Er war seit zwei Jahren tot, als ich ihn ausgrub; ich weiß dieses deshalb, weil er zum Haufen von 10000 Juden gehörte, die vom Wilnaer Ghetto stammten und im September 1941 erschossen wurden.«

Und dann beschreibt er, wie Scheiterhaufen aus Lagen von Holzstößen gebaut, die Leichen daraufgelegt, mit Öl überschüttet und dann angezündet wurden.

Wollen Sie dem Gerichtshof sagen, daß Sie niemals gehört haben, was sich in Wilna abgespielt hat oder daß die SA nicht daran beteiligt war?

JÜTTNER: Ich habe dazu folgendes zu erklären: Mit Bewachung von Ghetto...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Zu allererst, bevor Sie eine Erklärung abgeben, wollen Sie bitte meine Frage beantworten: Wollen Sie sagen, daß Sie nie von diesen Ereignissen in Wilna gehört haben oder daß die SA damit nichts zu tun hatte?

JÜTTNER: Das behaupte ich ganz entschieden. Ich höre heute zum erstenmal davon. Ich habe auch damit nichts zu tun gehabt, und wir hatten keine SA in Litauen. Wir hatten nur versucht, eine SA im ehemaligen Generalgouvernement aufzubauen. Das waren SA-Anwärter und Deutsche. In Litauen hatten wir keine SA organisiert. Mit Bewachung von Ghettos und diesen Scheußlichkeiten, wenn sie vorgekommen sein sollten und als solche gebrandmarkt werden müssen, hatte weder die SA-Führung noch die SA-Organisation je etwas zu tun gehabt. Wohl könnte ich mir vorstellen, daß hier auch ein Mißbrauch mit SA-Uniformen und der Zugehörigkeit zur SA getrieben worden ist, nämlich von Litauern.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich verstehe. Ihre Erklärung ist also, daß man jemanden, der ein braunes Hemd getragen hat, verkannt hat. Ist das Ihre Erklärung? Sie trugen Hakenkreuzbinden am Arm, um die Sache zu komplizieren. Sie wollen wirklich diesem Gerichtshof, der hier seit neun Monaten anhört, was sich in diesen Gebieten zugetragen hat, erklären, daß man Leute, die ein braunes Hemd trugen, verkannt hat. Ist das Ihre Erklärung?

JÜTTNER: Es ist eine von den Erklärungen, die ich vorhin gegeben habe.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Ich möchte nun – ich brauche im Hinblick auf die Erklärung des Zeugen keine Zeit damit zu verlieren, – Dokument D-975, eine zusätzliche Erklärung des Herrn Gol, vorlegen. Das wird GB-598. In diesem Dokument wird der Vorgang beschrieben, wie die Goldzähne aus den Leichen entfernt wurden. Ich möchte nicht auf Einzelheiten eingehen, Euer Lordschaft; es ist schon oft genug behandelt worden, wie das normalerweise vor sich ging. Euer Lordschaft! Ich möchte lediglich feststellen, daß Murer persönlich die Schachteln mitgenommen hat.