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[Das Gericht vertagt sich bis

16. August 1946, 10.00 Uhr.]

Zweihundertfünfter Tag.

Freitag, 16. August 1946.

Vormittagssitzung.

[Der Zeuge Jüttner im Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Herr Dr. Böhm!

RA. BÖHM: Herr Präsident! Ich habe gestern auf die Frage hin, wie lange ich das Rückkreuzverhör durchführen werde, eine sicherlich zu lange Zeit angegeben. Nach Sichtung des Materials glaube ich festzustellen, daß vieles mit der SA überhaupt nichts zu tun hat und ich deswegen das Rückverhör stark kürzen kann.

[Zum Zeugen gewandt:]

Im Zusammenhang mit Dokument 4011-PS, Herr Zeuge, wollte ich Sie nur noch einmal fragen im Zusammenhang mit der Meldung, daß sich 21 Gruppen mit dem Transport von Gefangenen beschäftigt haben. Wie ist diese Meldung zustande gekommen, und auf wessen Veranlassung haben diese Leute die Gefangenen transportiert, das heißt, waren diese Leute zum Transport von Gefangenen von der SA abgestellt, oder wurde diese Tätigkeit ausgeübt im Rahmen der Eigenschaften dieser Leute als Soldaten?

JÜTTNER: Die Meldung ist zustande gekommen durch die Tätigkeitsberichte, die die Gruppen allmonatlich, später vierteljährlich, einreichten. Die Männer unterstanden zur Bewachung der Gefangenen der Wehrmacht; diese hob sie aus und setzte sie ein.

RA. BÖHM: Ist Ihnen die Zahl bekannt von denjenigen SA-Angehörigen, die hier als Wehrmachtsangehörige tätig waren im Zusammenhang mit dem Transport von Gefangenen?

JÜTTNER: Die Zahl ist mir nicht bekannt; aber es handelt sich um ganz kleine Abteilungen.

RA. BÖHM: Der Herr Vertreter der Anklage hat gestern behauptet, die sogenannte Wehrerziehung vor Beginn und nach Beginn des zweiten Weltkrieges wäre dieselbe gewesen. Ich möchte Sie fragen, Herr Jüttner: Wurde vor dem 1. September 1939 Schießdienst mit gefechtsmäßigem Verhalten geübt, oder handelte es sich nur um Kleinkaliberschießen?

JÜTTNER: Es handelte sich nur um Kleinkaliberschießen, wie wir es vorher auch geübt haben.

Ich habe aber gestern betont, daß bald nach Kriegsbeginn vermehrter Wert auf die wehrsportlichen Übungen gelegt wurde, während sportliche Übungen, die Leibesübungen, etwas zurücktraten.

RA. BÖHM: Stimmen Sie überein mit zahlreichen eidesstattlichen Versicherungen, die in diesem Zusammenhang besagen, daß es in der SA verboten war, bei Geländeübungen militärische Lagen zugrunde zu legen?

JÜTTNER: Das war verboten, und dazu waren wir auch gar nicht in der Lage, weil die SA-Führer zu einem sehr großen Teil militärisch gar nicht vorgebildet waren, um militärische Lagen für die Übungen zugrunde zu legen.

RA. BÖHM: Dann eine kleine geschichtliche Frage auf Grund von Behauptungen der Anklage im Zusammenhang mit Ausführungen auf Seite 14 des Dokuments 4011-PS: Wissen Sie noch, Herr Jüttner, wann das Memelland ins Dritte Reich gekommen ist? Ist Ihnen vielleicht bekannt, daß das der März des Jahres 1939 war?

JÜTTNER: So genau kann ich das nicht sagen, es wird aber zutreffen.

RA. BÖHM: Gehorte die Landschaft des Memellandes zu Lettland, Estland und Litauen, oder handelt es sich um einen Teil, der zur Provinz Ostpreußen gehörte? Ich glaube feststellen zu können, daß die Anklage hier verwechselt die SA-Gruppe Ostland mit dem sogenannten Reichskommissariat.

JÜTTNER: Dazu möchte ich sagen: Wir haben in Ostpreußen, also SA-Gruppe Ostland, SA-Truppen gehabt und organisiert und auch geführt. Im übrigen wurde in Ostland, Litauen, Lettland und so weiter niemals eine deutsche SA organisiert, aufgebaut oder von uns geführt. Diese Frage hängt wohl zusammen mit anderen, gestern von der Anklagebehörde auszugsweise vorgelesenen Dokumenten.

Ich darf vielleicht Euer Lordschaft dazu erklären, daß ich seit Beginn des Kreuzverhörs in Einzelhaft bin und keinerlei Verbindung mit der Verteidigung der SA habe. Deshalb glaube ich, zu den gestern vorgelegten Dokumenten mit ihren ungeheuerlichen und unzutreffenden Beschuldigungen der SA-Führer und der SA als Organisation folgende drei knappe Sätze sagen zu dürfen:

1. Zu so schwerwiegenden Dokumenten kann man nur erschöpfend Stellung nehmen, wenn man sie eingesehen und in Ruhe hat prüfen können. Das war mir nicht möglich.

2. Zu zahlreichen, auszugsweise vorgelesenen Dokumenten wurde überhaupt keine Frage gestellt, zum Beispiel zum Brief Blombergs.

3. Zu den mir vereinzelt vorgelegten Dokumenten wurden nur Fragen gestellt, die auf den sachlichen Inhalt kaum Bezug hatten, so zum Beispiel über die Meldung der Brigade 50 über die Zerstörung der Synagogen.

Ich halte auch heute noch diese Meldung für unecht, weil diese angebliche Meldung sowohl ihrem Inhalt nach unmöglich ist und zweitens, weil das, was in der Meldung ausgeführt ist, zeitlich gar nicht durchführbar war. Ich glaube aber, daß die Verteidigung durch Fragen die Zweifel klären wird.

RA. BÖHM: Aus dem Dokument 4011-PS zieht die Anklage den Schluß, daß sich die SA-Führung mit fremden Völkern beschäftigt habe, und ich möchte Sie im Zusammenhang fragen: Haben Sie das getan, und wäre das jemals Ihre Absicht gewesen?

JÜTTNER: Wir haben uns mit fremden Völkern in der SA nicht beschäftigt, und es war auch nie unsere Absicht.

RA. BÖHM: Herr Zeuge! Ihnen ist sicher die Verfügung der Reichsregierung bekannt, daß im Reichskommissariat Ostland die Einrichtung der Parteigliederungen untersagt war. Konnte daher in Estland, Litauen oder Lettland eine SA-Gruppe oder eine SA- Brigade »Wilna« bestehen?

JÜTTNER: Nein, da konnte keine bestehen; es ist von uns auch keine organisiert und keine aufgestellt worden. Männer, die von der SA dort tätig waren, unterstanden nicht der SA-Führung. Zum Beispiel waren die gestern genannten SA-Führer Kunze, Kramer z. V.-Führer, Führer zur besonderen Verfügung. Sie unterstanden nicht der SA-Führung, als sie da drüben eingesetzt waren. Diese Männer trugen auch eine andere Uniform als die SA. Vielleicht beruhen darauf Verwechslungen.

RA. BÖHM: Hätten Sie gegen eine derartige Anordnung der Reichsregierung verstoßen?

JÜTTNER: Unter gar keinen Umständen.

RA. BÖHM: Wäre es deshalb möglich gewesen, daß die SA mit der Verwaltung des Ghettos in Wilna betraut worden wäre?

JÜTTNER: Die SA hat weder Ghettos aufgestellt noch verwaltet; es wurde auch die SA als Organisation oder die Führung mit derartigen Aufgaben zu keiner Zeit betraut.

VORSITZENDER: Herr Dr. Böhm, wenn Sie von einem Befehl der Reichsregierung sprechen, beziehen Sie sich auf ein Dokument?

RA. BÖHM: Nein, sondern auf eine Anordnung der Reichsregierung, auf einen Befehl der Reichsregierung, der allgemein bekannt ist.