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[Dem Zeugen wird das Dokument überreicht.]

GÖRING: Ja, das wollte ich nämlich feststellen. Dieser Erlaß hat mit Experimenten nicht das geringste zu tun, sondern er beginnt damit – ich will es frei übersetzen, weil ich es nicht so gut kann: »Die Beanspruchung von Personal und Material auf dem Gebiet der Gesundheit und des gesamten Sanitätswesens erfordert eine koordinierte und planmäßige Zusammenfassung. Daher ordne ich folgendes an:...« Es wurde damals der Chef des Gesundheitswesens – ich weiß nicht mehr genau den Ausdruck – geschaffen, um den Ausgleich zwischen den knapp werdenden Ärzten und dem knapp werdenden Material, was hier ganz besonders betont ist, herbeizuführen und außerdem selbstverständlich auch, wenn es notwendig war, gemeinsame Forschungen. Daß wir selbstverständlich auf dem Gebiet Forschungen gemacht haben, ist ja doch absolut klar, besonders während des Krieges.

Da nun die Armee den Hauptteil der Ärzte stellte, die Hauptanforderung an Medizinen und Material, wurde der Sanitätsinspekteur an die Spitze gestellt. Da die Luftwaffe der zweitstärkste Wehrmachtsteil war, wurde der Stabschef von der Luftwaffe genommen. Das ist vollkommen erklärlich.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Was ich Ihnen vorwerfe – und ich glaube, Sie haben es verstanden – ist, daß dieses zusätzliche Interesse an medizinischen Experimenten und Forschungen Hitler am 28. Juli 1942 veranlaßte, diesen Lenkungsstab zu bilden. Ich möchte, daß Sie sich daran erinnern, wie dieses Interesse an medizinischen Angelegenheiten auch in Ihrem eigenen Wehrmachtsteil in Erscheinung trat. Einen Monat später, am 31. August 1942, hat Ihr Stellvertreter Milch Himmler einen Brief geschrieben. – Euer Lordschaft! Es ist 343-PS, US-463.

»Lieber Herr Himmler!

Haben Sie vielen Dank für Ihren Brief vom 25. August. Ich habe mit großem Interesse die Ausführung von Dr. Rascher und Dr. Romberg gelesen. Ich bin über die laufenden Versuche unterrichtet. In nächster Zeit werde ich die beiden Herren bitten, vor meinen Herren einen Vortrag mit Filmvorführung zu halten.«

Angenommen, daß Milch über den Zweck dieser Bitte die Wahrheit sagte und daß der Brief ihm vom Chef Ihrer Sanitätsinspektion zur Unterschrift vorgelegt wurde – nehmen Sie das an, wenn Sie wollen –, warum sollte auch der Chef Ihres Sanitätswesens in dem Brief, den er Milch vorgelegt hat, lügen – es liegt auch kein Grund vor anzunehmen, daß der Brief unwahr sei – und wo doch in Ihrem Wehrmachtsteil für die Soldaten Vorträge über diese Experimente mit Filmvorführungen gehalten wurden, erzählen Sie dann immer noch dem Gerichtshof, daß Sie als Chef dieses Wehrmachtsteils über diese Experimente, die für Ihren Wehrmachtsteil durchgeführt wurden, nichts wußten?

GÖRING: Ich sage dem Gericht nur die Wahrheit. Erstens, dieser Brief braucht durchaus nicht von der Sanitätsinspektion Milch vorgelegt worden sein, weil er ein direkter Brief zwischen Himmler und Milch war.

Zweitens, hat Milch hier im Zeugenstand...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche – ich zitiere nur Milchs Aussage – und ich bat Sie, für einen Augenblick anzunehmen, daß Milchs Aussagen wahr seien. Man hat Milch erklärt, er habe nicht die Wahrheit gesagt, und Ihre Behauptung, der Brief stamme von ihm, sei wahr. Nehmen Sie bitte einmal an, daß Milch die Wahrheit gesagt hat und daß dieser Brief ihm wirklich von Ihrer Sanitätsabteilung vorgelegt wurde. Darum habe ich mich so ausgedrückt. Fahren Sie fort mit Ihrer Antwort!

GÖRING: Ich habe hier das nicht ganz klar verstanden. Haben Sie mir einen Brief des Feldmarschalls Milch vorgelesen, oder haben Sie mir die Zeugenaussage Milchs im Protokoll vorgelesen? Das kam nicht klar durch.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich las Ihnen eine Stelle aus dem Brief des Feldmarschalls Milch an Himmler vor und unterrichtete Sie davon – für den Fall, daß Sie sich nicht daran erinnern –, daß Feldmarschall Milch sagte, ihm sei dieser Brief von Ihrer Sanitätsabteilung vorgelegt worden, und er habe ihn, ohne ihn durchzulesen, unterschrieben. Das war Milchs Aussage. Ich bat Sie, jetzt einmal anzunehmen, daß Milch die Wahrheit gesagt habe. Aber das meine ich im Augenblick nicht. Was ich von Ihnen als Chef Ihres Wehrmachtsteils wissen möchte, ist, ob diese Experimente das Thema der Vorträge und Filmvorführungen bildeten, die Ihren eigenen, Ihnen unterstellten Leuten geboten wurden.

Wollen Sie dem Gerichtshof immer noch sagen, daß Sie nichts davon wußten?

GÖRING: Daß ich selbst nichts davon wußte, habe ich eindeutig klar und deutlich gesagt. Ich sage nicht, daß Feldmarschall Milch die Unwahrheit gesprochen hat. Er muß ja wissen, ob ihm der Brief von der Inspektion vorgelegt wurde oder nicht. Soweit ich seine Aussage hier im Zeugenstand im Kopf habe, hat er die Sache absolut aufgeklärt und selbst betont, daß er mir keinerlei Vortrag über die Details dieser Versuche oder dergleichen gehalten hat.

Ich darf aber, Sir David, Sie nochmals auf diesen Erlaß hinweisen, den Sie mir geschickt haben. Ich habe ihn mittlerweile ganz überflogen. Das hat mit diesen Versuchen überhaupt nichts zu tun, sondern, wie ich vorhin sagte, regelt Ziffer 1 die drei Wehrmachtsteile sanitätsmäßig, und Ziffer 2 das Verhältnis der Wehrmachts-Gesundheitspflege zur zivilen Gesundheitspflege rein auf dem Gebiet der Organisation und Verwaltung.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Zeuge! Sie wissen, ich habe Ihnen eben diesen Befehl überreicht. Ich möchte jetzt Ihre Antwort. Sagen Sie also, daß Sie von den Lichtbildervorträgen über diese Experimente, die den Ihnen unterstellten Männern vorgeführt wurden, nichts wußten? Ich möchte Ihre Antwort ganz klar haben, ja oder nein. Wußten Sie davon oder nicht?

GÖRING: Nein, davon wußte ich nichts. Ich bitte, noch einmal zu bedenken, daß das Ministerium eine Verwaltung für sich war und ich im Hauptquartier mich mehr mit den strategisch-taktischen Dingen befaßte. Ich würde solchen Versuchen entgegengetreten sein; wenn auch – ich glaube, es war die Russische Anklage – dies einmal verdreht hat, so bleibe ich dabei. Ich habe im Jahre 1934 die Versuche an lebendigen Tieren und die Quälereien aufs strengste verboten. Nehmen Sie bitte nicht von mir an, daß ich sie an Menschen hätte durchführen lassen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Es ist nicht meine Angelegenheit, Erläuterungen dazu zu machen. Es gibt viele Menschen, die Tieren gegenüber Prinzipien haben, die sie aber nicht auf ihre Mitmenschen anwenden. Das ist Ansichtssache, und ich will mich damit nicht weiter befassen. Im November 1942 – Sie erwähnten es in Ihrer Aussage – wurde Dr. Rascher bald darauf von der Luftwaffe zur SS versetzt. Vor dieser Versetzung schrieb Himmler an Milch über diese Angelegenheit, nachdem er ihm zuerst die Experimente über das Verhalten des menschlichen Organismus in großer Höhe, nach längerer Abkühlung und ähnliche Probleme beschrieben hatte. Ich zitiere Himmlers Worte:

»Die Arbeiten, die sich mit dem Verhalten des menschlichen Organismus' in großen Höhen, sowie mit den Abkühlungserscheinungen des menschlichen Körpers bei längerem Verweilen im kalten Wasser und ähnlichen, gerade für die Luftwaffe lebensnotwendigen Problemen befassen...«

Und dann fährt er fort:

»Leider hatten Sie kürzlich keine Zeit, als Dr. Rascher einen Vortrag im Luftfahrtministerium halten wollte. Ich hatte sehr darauf gehofft, da ich glaubte, daß damit die wohl in erster Linie in konfessionellen Gründen liegenden Schwierigkeiten für die Arbeiten Dr. Raschers – deren Verantwortung ja ich übernommen habe – behoben sein würden.

Die Schwierigkeiten sind nach wie vor die gleichen. In diesen christlichen Ärztekreisen steht man auf dem Standpunkt, daß es selbstverständlich ist, daß ein junger deutscher Flieger sein Leben riskieren darf, daß aber das Leben eines Verbrechers – der nicht zum Militär eingezogen ist – dafür zu heilig ist und daß man sich damit nicht beflecken will.«

Dann fährt Himmler angesichts der Wichtigkeit für die Luftwaffe und auch für die Waffen-SS fort:

»Hier schlage ich allerdings vor, daß in Anbetracht der Verbindung zwischen Ihnen und Wolff« – das heißt zwischen Milch und Wolff – »ein nichtchristlicher Arzt... ausgesucht wird, an den die Ergebnisse mitgeteilt werden könnten.« (1617-PS, US-466.)

Erklären Sie, Herr Angeklagter, daß Sie niemals davon hörten, obwohl sogar Hitler davon gehört hatte, daß christliche Ärztekreise gegen diese Experimente protestierten?

GÖRING: Ich glaube, Sie meinen Himmler, nicht Hitler.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Himmler, Verzeihung. Obwohl Himmler davon wußte, sagen Sie, Sie selbst hätten nicht gewußt, daß offensichtlich christliche Ärztekreise – wie aus diesem Brief hervorgeht – öffentlich und nachdrücklich gegen diese Experimente protestierten; wußten Sie das nicht?

GÖRING: Nein, sie haben auch nicht öffentlich protestiert. Ich bin Ihnen aber sehr dankbar, daß Sie mir dieses Schreiben, das mir zumindest unter den vielen Dokumenten, die mir vorgelegt wurden, nicht mehr in Erinnerung war, nun hier gebracht haben; denn es unterstreicht mit eindeutiger Klarheit das, was ich vorhin sagte. Ich bin beglückt, daß unter diesen christlichen Ärzten meine Luftwaffeninspektion scheinbar gemeint ist; denn nur diese konnte dagegen protestieren. Und das ist ja der Grund, weshalb scheinbar dieser Rascher aus der Luftwaffe ausscheiden mußte, weil seine Zusammenarbeit mit der Inspektion nicht mehr zur Zufriedenheit von Herrn Himmler klappte, und deshalb wurde er von ihm in die SS übernommen. Das unterstreicht vollkommen, was ich ausführte.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte, daß Sie noch einmal gut über folgendes nachdenken: Sie und Himmler standen doch noch im Jahre 1942 auf gutem Fuße miteinander, nicht wahr?

GÖRING: Himmler stand bis zum Schluß immer mir gegenüber auf sehr höflichem Fuß, was ihm auch zukam.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie waren sogar mehr als höflich. Einige Tage nach diesem Brief sandten Sie ihm eine krokodillederne Aktenmappe, ein Kistchen Zigarren und ein Notizbuch als Weihnachtsgeschenk. Das zeigt doch, daß Sie auf sehr gutem Fuße mit Himmler standen. Wollen Sie dennoch behaupten, daß Sie niemals davon hörten, daß Himmler Ihnen niemals davon erzählte, daß Milch Ihnen niemals erzählt hat und daß Ihre Sanitätsoffiziere Ihnen niemals erzählt haben, daß diese Experimente durchgeführt wurden und daß seitens der christlichen Ärzteschaft protestiert wurde. Hatten denn alle miteinander konspiriert, Herr Angeklagter, um Sie über alles, was Sie in Verlegenheit bringen könnte, in Unkenntnis zu halten; ist das Ihre Antwort?

GÖRING: Die Experimente und ihre Kenntnisse haben mit der Krokodiltasche und dem Notizbuch nichts zu tun. Im letzteren Fall handelt es sich um ein Weihnachtsgeschenk als Gegengabe gegen ein Geschenk, das mir Himmler im Namen der SS immer zu Weihnachten gab; ich wollte das immer erwidern. Zweitens wurde nicht herumkonspiriert, um mich künstlich in Unkenntnis zu halten, sondern die Aufgabengebiete waren verteilt, es gab wichtige Dinge, wichtigste, und Dinge, die in Ressorts behandelt wurden. Dazu gehörte auch das Sanitätswesen. Es war unmöglich, mir das alles zur Kenntnis zu bringen. Im übrigen, möchte ich nochmals betonen, habe ich nirgends von einem öffentlichen Protest christlicher Kreise oder Ärzte in Deutschland während des Krieges gegen solche Experimente gehört; derartige Äußerungen wären auch nicht möglich gewesen.

VORSITZENDER: Dr. Stahmer! Haben Sie noch Fragen zu stellen?

DR. STAHMER: Ich habe keine Fragen mehr.

VORSITZENDER: Der Angeklagte kann sich auf seinen Sitz zurückbegeben.