[Das Gericht vertagt sich bis
26. August 1946, 10.00 Uhr.]
Zweihundertelfter Tag.
Montag, 26. August 1946.
Vormittagssitzung.
OBERST POKROWSKY: Herr Vorsitzender! Ich gestatte mir mitzuteilen, daß gemäß der Anordnung des Gerichtshofs in der Morgensitzung des 12. August dieses Jahres bezüglich des Zeugen Schreiber dieser Zeuge nach Nürnberg gebracht wurde und sich jetzt hier befindet. Er kann jederzeit, sei es heute oder in den nächsten Tagen, verhört werden.
VORSITZENDER: Oberst Pokrowsky! Könnte man ihn jetzt sofort vernehmen?
OBERST POKROWSKY: Er kann sofort vernommen werden, Herr Vorsitzender.
VORSITZENDER: Ich glaube, das wäre das beste, ehe wir mit den Plädoyers für die Organisationen fortfahren.
OBERST POKROWSKY: Sehr wohl, Herr Vorsitzender! General Alexandrow wird ihn gleich verhören.
DR. LATERNSER: Herr Präsident! Ich widerspreche der Vernehmung des Zeugen, und zwar aus folgenden Gründen: Es ist für das Verfahren der Organisationen durch das Gericht zunächst bestimmt worden, daß alle Zeugen zuvor vor der Kommission vernommen werden müssen. Was für die Verteidigung gilt, muß nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen auch für die Anklagebehörde gelten. Aus diesen Gründen ist die Vernehmung dieses Zeugen unzulässig.
VORSITZENDER: Ich habe den Beschluß des Gerichtshofs vom 12. August 1946 vor mir, welcher folgendermaßen lautet:
Bezüglich des Einspruchs Dr. Laternsers gegen die Aussage des Generalmajors Walter Schreiber ist der Gerichtshof nicht willens, zu einem so späten Zeitpunkt weitere Beweisführung zuzulassen oder Fragen, die vor dem Gerichtshof bereits vollständig erörtert wurden, wieder aufzunehmen. Andererseits aber mit Rücksicht auf die Wichtigkeit der Aussagen des Generalmajors Schreiber und ihrer Erheblichkeit, nicht nur für das Verfahren gegen die einzelnen Angeklagten, sondern auch für das Verfahren gegen das OKW, wird der Gerichtshof genehmigen, daß Generalmajor Schreiber als Zeuge vernommen wird, wenn er vor Ende des Verfahrens vorgeführt wird; andernfalls kann von seiner Aussage kein Gebrauch gemacht werden.
Herrn Dr. Laternsers gegenwärtiger Einwand wird deshalb zurückgewiesen.
[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]
VORSITZENDER: Geben Sie bitte Ihren vollen Namen an.
ZEUGE WALTER SCHREIBER: Walter Schreiber.
VORSITZENDER: Sprechen Sie mir diesen Eid nach: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.«
[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]
VORSITZENDER: Sie können sich setzen.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Herr Zeuge! Schildern Sie dem Gerichtshof kurz Ihren Lebenslauf, Ihre amtliche, wissenschaftliche und pädagogische Tätigkeit.
SCHREIBER: Ich bin 53 Jahre alt, geboren in Berlin, Professor der Medizin. Mein ärztliches Studium habe ich an den Universitäten Berlin, Tübingen und Greifswald absolviert, in Greifswald 1920 die ärztliche Staatsprüfung bestanden, die Approbation erhalten und zum Doktor der Medizin promoviert.
1940 wurde ich Dozent für Hygiene und Bakteriologie an der Universität Berlin.
1942 wurde ich Professor an der Militärärztlichen Akademie.
Aktiver Militärarzt bin ich seit 1921. Ich war in verschiedenen Stellungen als Garnisonsarzt, Divisionsarzt seit 1929, jedoch nur in wissenschaftlicher Tätigkeit als Hygieniker und Bakteriologe. Meine wissenschaftliche und pädagogische Arbeit habe ich an den Universitäten Berlin und Freiburg im Breisgau geleistet. In der Zeit nach 1929 war ich zuerst in Freiburg, nachher Hygieniker beim Wehrkreiskommando in Berlin und schließlich nacheinander während des zweiten Weltkrieges Hygieniker und Bakteriologe im Hauptquartier des Oberkommandos des Heeres, danach Abteilungschef im Oberkommando des Heeres für Wissenschaft und Gesundheitsführung bei der Heeres-Sanitäts-Inspektion und zuletzt Leiter der wissenschaftlichen Abteilung, Lehrgruppe C, der Militärärztlichen Akademie. In dieser Eigenschaft unterstanden mir die wissenschaftlichen Institute der Akademie in Berlin.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Was war Ihr letzter militärischer Rang, und welche Stellung nahmen Sie in der deutschen Armee ein?
SCHREIBER: Ich war zuletzt Generalarzt, also Generalmajor des ärztlichen Dienstes. Meine letzte Stellung war leitender Arzt für den militärischen und zivilen Sektor von Berlin, jedoch nur in den Tagen vom 20. bis zum 30. April 1945.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Wann und unter welchen Umständen gerieten Sie in russische Kriegsgefangenschaft?
SCHREIBER: Am 30. April war ich in einem großen Lazarett im Bunker am Reichstagsgebäude in Berlin. Da der größte Teil der Stadt Berlin bereits in den Händen der russischen Truppen war, gab es für mich keine eigentliche Leitungsarbeit mehr. Infolgedessen habe ich selbst ein großes Kriegslazarett dort aufgemacht und mehrere hundert Verwundete versorgt.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Man wird Ihnen jetzt Ihr Affidavit vom 10. April 1946 vorlegen, das Sie an die Sowjetregierung gerichtet haben. Erinnern Sie sich dieser Erklärung?
SCHREIBER: Ja, das ist der Bericht, den ich...
VORSITZENDER: Einen Augenblick!
General Alexandrow! Der Gerichtshof würde es vorziehen, wenn Sie den Beweis mündlich und nicht durch das Dokument erheben würden. Wenn Sie deshalb dem Zeugen über dessen Inhalt Fragen stellen...
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Herr Vorsitzender! Ich werde das tun.
VORSITZENDER: Gut, Herr General! Der Gerichtshof würde es vorziehen, wenn Sie die Beweisaussagen vom Zeugen mündlich erhalten und das Dokument nicht verwenden.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich werde das tun, Herr Vorsitzender, aber ich wollte den Zeugen nach einigen Umständen fragen, die mit dem Dokument in Zusammenhang stehen. Das Wesentliche wird der Zeuge mündlich aussagen.
VORSITZENDER: Gut.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: [zum Zeugen gewandt] Bestätigen Sie die von Ihnen in dem Bericht aufgestellten Tatsachen?
SCHREIBER: Ja, die bestätige ich.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Was hat Sie veranlaßt, diesen Bericht an die Sowjetregierung zu richten?
SCHREIBER: Im zweiten Weltkrieg sind auf deutscher Seite Dinge geschehen, welche auch gegen die alten ewigen Gesetze der ärztlichen Ethik auf das schwerste verstoßen haben. Im Interesse des deutschen Volkes, der ärztlichen Wissenschaft Deutschlands und der Erziehung des Nachwuchses, des ärztlichen Nachwuchses in der Zukunft, halte ich eine gründliche Bereinigung für notwendig. Die Dinge, um die es sich handelt, sind die Vorbereitung des bakteriologischen Krieges mit Erregung der Pest und die Versuche an Menschen.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Warum haben Sie diesen Bericht erst am 10. April 1946 verfaßt und nicht schon vorher?
SCHREIBER: Ich habe zunächst einmal sehen und abwarten müssen, ob nicht vor diesem Forum aus sich selbst heraus die Frage des bakteriologischen Krieges zur Erörterung kommt. Als das nicht geschah, habe ich mich dann im April zu der Erklärung entschlossen.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Demnach konnten Sie in der Gefangenschaft den Prozeß in Nürnberg verfolgen?
SCHREIBER: Ja, und zwar im Gefangenenlager in Zeitungen, die aus Deutschland kamen und dort im Klubzimmer ausgelegt und zugänglich gemacht wurden. Außerdem gab es die in der Sowjetunion gedruckten Nachrichten für Kriegsgefangene, in denen über den Prozeß regelmäßig berichtet wurde.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Herr Zeuge! Teilen Sie uns bitte mit, was Ihnen über die Vorbereitung eines bakteriologischen Krieges durch das deutsche Oberkommando bekannt ist.
SCHREIBER: Im Juli 1943 wurde ich vom Oberkommando der Wehrmacht zu einer geheimen Besprechung einberufen, an der ich als Vertreter der Heeres- Sanitäts-Inspektion teilnahm. Diese Besprechung fand in den Räumen des Allgemeinen Wehrmachtsamtes in Berlin in der Bendlerstraße statt und wurde von dem Chef des Stabes des Allgemeinen Wehrmachtsamtes, einem Oberst, geleitet. Des Namens dieses Obersten erinnere ich mich nicht. Der Oberst erklärte eingangs, daß... durch die Kriegslage bedingt, zur Frage der Anwendung von Bakterien als Waffe im Kriege die obersten Kommandobehörden nunmehr einen anderen Standpunkt einnehmen müßten, als den von der Heeres-Sanitäts-Inspektion bis dahin vertretenen Standpunkt. Infolgedessen habe der Führer Adolf Hitler den Reichsmarschall Hermann Göring mit der Leitung der Durchführung aller Vorbereitungen des bakteriologischen Krieges beauftragt und ihm die dazu notwendigen Vollmachten erteilt. Es wurde bei dieser Besprechung dann eine Arbeitsgemeinschaft »Bakteriologischer Krieg« gegründet. Die Mitglieder dieser Arbeitsgemeinschaft waren im wesentlichen dieselben Herren, die auch an der Besprechung teilnahmen, das heißt, der Ministerialdirektor Professor Schuhmann von der Abteilung Wissenschaft des Heereswaffenamtes; der Ministerialrat Stantin vom Heereswaffenamt, Abteilung Waffen und Prüfwesen; der Generalveterinär Professor Richter als Vertreter der Heeres-Veterinär-Inspektion; dazu noch ein jüngerer Veterinäroffizier der Heeres-Veterinär-Inspektion; von der Heeres-Sanitäts-Inspektion der Professor Oberstabsarzt Klieve, dieser jedoch nur als Beobachter. Außerdem gehörte zur Arbeitsgemeinschaft ein Stabsoffizier der Luftwaffe als Vertreter des Oberkommandos der Luftwaffe; ein Stabsoffizier des Waffenamtes als Vertreter des Waffenamtes; und auch noch ein namhafter Zoologe, Botaniker. Die Namen all dieser Herren sind mir aber nicht bekannt. Es wurde bei der Geheimbesprechung gesagt, daß ein Institut geschaffen werden soll, in dem Bakterien, Kulturen gezüchtet – in Großem gezüchtet –, in dem aber auch wissenschaftliche Versuche und Experimente zur Prüfung der Einsatzmöglichkeiten durchgeführt werden sollten. Außerdem sollten auch Schädlinge, die gegen Nutztiere und Nutzpflanzen angewendet werden sollen, in dem Institut geprüft und eventuell, wenn sich das als zweckmäßig ergibt, für den Einsatz bereitgestellt werden. Das ist im wesentlichen der Inhalt der Besprechung im Juli 1943 gewesen.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Was geschah dann? Was wissen Sie darüber?
SCHREIBER: Einige Tage später erfuhr ich dann vom Chef des Stabes der Heeres-Sanitäts-Inspektion, Generalarzt Schmidt-Bruecken, der mein direkter Vorgesetzter war, daß Reichsmarschall Göring den stellvertretenden Reichsärzteführer Blome seinerseits nun zum Leiter der Durchführung sämtlicher Arbeiten ernannt und ihm den Auftrag gegeben hätte, das Institut in Posen oder bei Posen schleunigst zu errichten. In diesem Institut in Posen waren dann der Ministerialdirektor Schuhmann tätig, der Ministerialrat Stantin und eine ganze Reihe anderer Ärzte, Wissenschaftler, die ich aber nicht kenne. Ich selbst habe über diese Geheimbesprechung dem Chef des Stabes am gleichen Tage, und dem Heeres-Sanitäts-Inspekteur, Generaloberstabsarzt Professor Handloser einige Tage später – er war an diesem Tage nicht in Berlin – Vortrag gehalten.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Was wissen Sie über die Versuche, die im Zusammenhang mit dem Problem eines Bakterienkrieges gemacht wurden?
SCHREIBER: Es sind Versuche in dem Institut in Posen vorgenommen worden. Einzelheiten darüber weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß vom Flugzeug aus Abspritzversuche mit Bakterien-Emulsion, sogenannte Modellversuche, gemacht wurden, und daß auch sonst an Pflanzenschädlingen experimentiert wurde. Käfer... aber darüber kann ich im einzelnen keine Angaben machen, da ich das selbst nicht miterlebt habe und die Einzelheiten nicht weiß.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Sie haben ausgesagt, daß die erste Geheimkonferenz, die dieser Frage gewidmet war, ein Oberst aus dem Allgemeinen Stab des OKW abhielt. In wessen Namen führte er sie durch?
SCHREIBER: Er führte sie durch im Namen des Generalfeldmarschalls Keitel und des Chefs des Allgemeinen Wehrmachtsamtes, General Reinecke.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Wer hat Sie beauftragt, an dieser Konferenz teilzunehmen?
SCHREIBER: Mich hat der Chef des Stabes, Generalarzt Schmidt-Bruecken, beauftragt.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: War das OKH darüber in Kenntnis gesetzt, und wußte es von der Vorbereitung eines bakteriologischen Krieges?
SCHREIBER: Ich nehme an, ja. Denn der General- Oberstabsarzt Handloser, der Sanitätschef, der von mir über den Verlauf und den Ausgang der Besprechung informiert worden war, war ja in seiner Eigenschaft als Heeresarzt, das heißt als oberster Sanitätsoffizier des Heeres, dem Chef des Generalstabes des Feldheeres unmittelbar unterstellt, mußte ihm also nun wieder darüber Vortrag halten.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Was wissen Sie über die Teilnahme des Angeklagten Jodl an der Ausführung dieser Maßnahmen?
SCHREIBER: Über eine Mitarbeit des Generaloberst Jodl ist mir nichts bekannt.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Präzisieren Sie bitte: Womit begründete das OKW die Vorbereitung eines bakteriologischen Krieges?
SCHREIBER: Das ging in gewissem Sinne aus den Worten des Leiters der Geheimbesprechung hervor. Die Niederlage bei Stalingrad, die ja im Gegensatz zu den verlustreichen Kämpfen vor Moskau damals im Winter 1941/1942 einen ganz schweren Schlag für Deutschland bedeutete, muß zu einer neuen Beurteilung der Lage gezwungen und damit zu neuen Entschlüssen geführt haben. Man wird überlegt haben, ob man nicht andere Waffen einsetzen könnte, mit denen man den Ausgang des Krieges doch noch zum Guten wenden konnte.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Wie erklären Sie, daß das deutsche Oberkommando diese Pläne, einen bakteriologischen Krieg zu führen, nicht ausführte?
SCHREIBER: Das Oberkommando führte die Pläne aus folgendem Grunde wohl nicht aus:
Im März 1945 besuchte mich in meinem Geschäftszimmer in der Militärärztlichen Akademie Professor Blome. Er kam aus Posen, war sehr aufgeregt und bat mich, ich möchte doch ihn und seine Leute in den Laboratorien der Sachsenburg unterbringen, damit sie dort ihre Arbeit fortsetzen könnten, denn er sei durch den Vormarsch der Roten Armee aus seinem Institut in Posen herausgedrängt, er habe das Institut fluchtartig verlassen müssen, er habe es nicht einmal mehr sprengen können. Er sei in großer Sorge, daß die Einrichtungen für Menschenversuche, die sich in diesem Institut befanden und als solche kenntlich waren, nun außerordentlich leicht von den Russen erkannt werden würden. Er habe noch versucht, das Institut durch eine Stuka-Bombe vernichten zu lassen. Das sei aber auch nicht mehr möglich gewesen; und nun bat er mich, ich möchte dafür Sorge tragen, daß er mit seinen Pestkulturen, die er gerettet hatte, in der Sachsenburg weiterarbeiten könnte. Ich habe dem Herrn Blome darauf gesagt, daß mir die Sachsenburg seit langem nicht mehr unterstände, daß ich ihm deshalb eine solche Genehmigung nicht geben könnte und habe ihn an den Chef des Wehrmachtssanitätsdienstes, Generaloberstabsarzt Handloser, verwiesen.
Generaloberstabsarzt Handloser hat mich dann am nächsten Tage angerufen und mir gesagt, daß Blome bei ihm sei und einen Befehl des Befehlshabers des Ersatzheeres, Heinrich Himmler, bei sich hätte und daß er auf Grund dieses Befehls leider gezwungen sei, dem Blome eben die Arbeitsplätze in der Sachsenburg zur Verfügung zu stellen. Ich habe davon Kenntnis genommen, ich hatte selbst damit nichts zu tun.
Damit war also Blome aus dem Posener Institut herausgeworfen. Man muß sich die Arbeit eines solchen Instituts und eines solchen Vorhabens doch recht schwierig vorstellen. Es müssen, wenn man die Pest im großen kultivieren will, erst geeignete Laboratorien mit geeigneten Vorsichtsmaßnahmen geschaffen werden. Das Personal muß erst angelernt und eingearbeitet werden, denn der Deutsche, auch der Fachbakteriologe, hat ja mit Pestkulturen keine Erfahrung. Darüber vergeht viel Zeit, und so war also die Angelegenheit Posen nach der Bestimmung, daß das Institut geschaffen werden sollte, doch erst geraume Zeit später zum Anlaufen gekommen. Nun war es wieder vorbei, erhielt einen schweren Schlag. Es sollte nun in der Sachsenburg losgehen. Blome sagte mir bei seinem Besuch auch, daß er ein Ausweichinstitut in Thüringen hätte, daß dieses Ausweichinstitut aber noch nicht fertig sei, daß es erst in einigen Tagen, vielleicht auch Wochen fertig werden würde und daß er bis dahin unterkommen müßte. Dazu kam nun noch, daß, wenn Pest verwendet werden sollte, bei einer so starken großen Nähe der militärischen Operationen vor den Grenzen Deutschlands, wo ja doch schon sogar Truppen der Roten Armee auf deutschem Gebiet standen, selbstverständlich an einen besonderen Schutz der Truppen, aber auch der Zivilbevölkerung gedacht werden mußte. Es mußten also Impfstoffe hergestellt werden. Darüber war wieder Zeit vergangen. Infolge all dieser Verzögerungen ist dann schließlich die Angelegenheit überhaupt nicht mehr zum Tragen gekommen.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Herr Zeuge! Teilen Sie uns bitte mit, was Sie über die ungesetzlichen Versuche, die die deutschen Ärzte mit Menschen durchführten, wissen. Ich bitte Sie, die Aussage hierüber so kurz wie möglich zu geben, da dies im Laufe des Prozesses bereits genügend erörtert worden ist.
SCHREIBER: Es sind mir dienstlich einige. Dinge zur Kenntnis gekommen. Im Jahre 1943 – ich glaube, es, war im Oktober – hatten wir an der Militärärztlichen Akademie eine wissenschaftliche Tagung von qualifizierten Medizinern, sogenannten beratenden Ärzten, und vor der Fachsparte Bakteriologie, der etwa 30 Herren angehörten, hielt ein Obersturmbannführer Dr. Ding einen Vortrag über die Prüfung von Fleckfieber-Impfstoffen. Aus dem Vortrag ging hervor, daß dieser Dr. Ding im Konzentrationslager Buchenwald Häftlinge mit Impfstoffen gegen Fleckfieber schutzgeimpft hatte, daß er dann diese Geimpften nach einiger Zeit – ich weiß nicht mehr, wie lange es war – mit Fleckfieber infizierten Läusen behaftete, sie also künstlich mit Fleckfieber infizierte, und daß er nun an den Erkrankten und dem Ausbleiben der Erkrankung seiner Versuchspersonen Schlußfolgerungen zog aus dem Schutz, den die Impfung den betreffenden Menschen gewährt oder nicht gewährt hatte. Da Impfstoffe verschiedener Qualität geprüft wurden, sind natürlich auch Todesfälle zu beklagen gewesen. Das war...
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Welchen wissenschaftlichen Wert hatten die Versuche dieses Dr. Ding?
SCHREIBER: Sie stellten meines Erachtens überhaupt keinen wissenschaftlichen Wert dar, denn wir hatten ja nun im Laufe des Krieges auf diesen Gebieten empirisch schon sehr viel gewonnen, große Erfahrung gesammelt, wir kannten unsere Impfstoffe ganz genau, und es bedurfte einer solchen Prüfung nicht mehr; und eine ganze Reihe von Impfstoffen, die Ding geprüft hatte, wurden überhaupt nicht mehr angewandt und abgelehnt.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Fahren Sie bitte mit Ihren Ausführungen fort.
SCHREIBER: Eine zweite Angelegenheit, die mir dienstlich zur Kenntnis kam, ist folgende:
Der Leiter der Krankenanstalten in Hohenlychen, der SS-Gruppenführer Professor Gebhardt, ein an sich gottbegnadeter Chirurg, hatte russischen Kriegsgefangenen Schädel operiert, dann die Operierten in bestimmten Abständen getötet, um die pathologischen Veränderungen, das Fortschreiten der Knochenveränderungen auf Grund der Trepanation, Operationsfolgen und so weiter studieren zu können. Und drittens habe ich hier in Nürnberg teilgenommen an einer wissenschaftlichen Tagung, die vom Oberkommando der Luftwaffe durchgeführt wurde.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Wann war das?
SCHREIBER: Die Tagung war im Jahre 1943; ich kann nicht mehr genau sagen, wann sie gewesen ist, ich glaube im Herbst 1943; es kann aber auch im Sommer gewesen sein, und auf dieser Tagung, die hier im Hotel am Bahnhof stattfand, trugen zwei Ärzte, der Dr. Kramer und der Professor Holzlehner, Direktor des Psychologischen Instituts der Universität Kiel, über Versuche vor, die sie im Auftrage des Oberkommandos der Luftwaffe in Dachau an Insassen des Konzentrationslagers durchgeführt hatten. Die Versuche hatten den Zweck, die Unterlagen zu schaffen für die Herstellung eines neuen Schutzanzuges für Flieger im Kanal. Im La Manche waren zahlreiche deutsche Flieger abgeschossen worden, in Seenot geraten und in dem kalten Wasser in kurzer Zeit zu Tode gekommen, noch bevor das Seenotflugzeug zur Stelle sein konnte. Man wollte jetzt also einen Anzug schaffen, der in irgendeiner Form isolierend wirkte, einen Wärmeschutz für den Körper darstellte. Zu diesem Zwecke hat man die Versuchspersonen in Wasser verschiedener niedrigerer Temperaturen – in Eiswasser, in Null-Grad-Wasser, in weit-über-fünf-Grad- Wasser, ich weiß nicht mehr genau wie die Temperaturen alle waren – gebracht und nun durch Messungen festgestellt, wie der Abfall der Körpertemperatur, in welcher Kurve der Abfall der Körpertemperatur vor sich geht und wo der Minustod, wo also die Grenze des Lebens... bei welcher Temperatur die Grenze des Lebens erreicht wird. Und die Versuchspersonen hatten nun auch verschiedene Anzüge an, solche gewöhnlicher Art, wie sie damals üblich waren und auch andere. Ich entsinne mich eines besonderen Anzuges, der einen Schaum entwickelte. Zwischen Anzug und Haut entstand eine Schaumschicht, also eine ruhende Luftschicht, die ja bekanntlich gleich isolierend wirkt, und man konnte mit diesem Schaumanzug nun den Minustod um eine beträchtliche Zeit hinausschieben. Selbstverständlich sind bei diesen Versuchen, die unter Narkose vorgenommen wurden, eine ganze Reihe von Versuchspersonen zugrunde gegangen.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Sagen Sie bitte, in welchem Zusammenhang stand der Angeklagte Göring mit der Durchführung dieser Versuche in Dachau?
SCHREIBER: Der Stabsarzt Kramer sagte eingangs seines Vortrages, daß der Reichsmarschall Göring diese Versuche angeordnet und daß der Reichsführer- SS Heinrich Himmler liebenswürdigerweise die Versuchspersonen dazu zur Verfügung gestellt hätte.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Lassen Sie persönlich die Möglichkeit zu, daß derartige Versuche ohne Wissen des Angeklagten Göring durchgeführt werden konnten?
SCHREIBER: Das kann ich mir nicht vorstellen.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Herr Vorsitzender! Ich habe keine Fragen mehr an den Zeugen.
DR. LATERNSER: Herr Zeuge! Sie sind in einem russischen Gefangenenlager?
SCHREIBER: Jawohl.
DR. LATERNSER: Wo?
SCHREIBER: Bei Moskau.
DR. LATERNSER: Haben Sie irgendein Amt in diesem Gefangenenlager?
SCHREIBER: Nein, ich habe kein Amt in dem Gefangenenlager.
DR. LATERNSER: Wie ist es zu Ihrer Niederschrift am 10. April gekommen? Haben Sie selbst die Initiative dazu ergriffen oder sind Sie dazu aufgefordert worden?
SCHREIBER: Ich habe selbst die Initiative dazu ergriffen, und zwar bin ich schon seinerzeit, als ich hier in Nürnberg den Vortrag von Dr. Kramer und Professor Holzlehner hörte, auf das tiefste erschüttert gewesen über die Verirrung, der ein Teil der deutschen Ärzte offenbar zum Opfer gefallen ist. Infolgedessen... ich habe auch damals schon zu dem Sanitätschef Generaloberstabsarzt Handloser, der meine Meinung im übrigen teilte, darüber gesprochen, und als nun jetzt immer mehr nach den Zeitungen von derartigen Dingen bekannt wurde, habe ich es für meine Pflicht gehalten, und wie ich schon sagte, im Interesse der Zukunft unseres Ärztestandes und unseres Nachwuchses ein für allemal mit diesen Dingen aufzuräumen.
DR. LATERNSER: Was ist Ihnen von derartigen Dingen bekanntgeworden?
SCHREIBER: Was ich vorhin gesagt habe.
DR. LATERNSER: Nein, ich meine damit die Orientierung im Gefangenenlager.
SCHREIBER: Ja, aus den Zeitungen, die wir da kriegten.
DR. LATERNSER: Ja, was haben Sie da entnommen?
SCHREIBER: Ich habe da entnommen, daß Ärzte...
DR. LATERNSER: Einen Augenblick, Herr Zeuge, haben Sie einen Zettel vor sich liegen?
SCHREIBER: Ja.
DR. LATERNSER: Was steht auf diesem Zettel?
SCHREIBER: »Sie können schneller reden.«
DR. LATERNSER: Eine Frage: Ist Ihre Aussage, die Sie heute auf Befragen des Herrn russischen Anklägers gemacht haben, vorbereitet worden?
SCHREIBER: Ich bin vernommen worden gelegentlich, als ich meine Vernehmung machte. Dort steht ja das, was ich sagte, in der Erklärung drin.
DR. LATERNSER: Ich frage Sie, Herr Zeuge, ob Sie vor der heutigen Vernehmung durch den russischen Ankläger orientiert worden sind, worüber Sie vernommen werden, und ist Ihre Aussage festgelegt worden?
SCHREIBER: Nein, meine Aussage ist nicht festgelegt worden; daß ich natürlich über die Frage »bakteriologischer Krieg und Menschenversuche« vernommen werde, das habe ich gewußt.
DR. LATERNSER: Nun zur Niederschrift. Sie haben die Niederschrift vor sich liegen?
SCHREIBER: Jawohl, hier liegt sie.
DR. LATERNSER: Da befindet sich am Ende der Niederschrift ein Vermerk. Würden Sie sich bitte mal die Niederschrift ansehen?
SCHREIBER: Ja.
DR. LATERNSER: Ist dieser Vermerk in Ihrer Gegenwart auf dieses Schriftstück gesetzt worden?
SCHREIBER: Nein, dieses Schriftstück habe ich hier vorhin bekommen, hier im Saal erhalten.
DR. LATERNSER: Ich meine etwas anderes; ist Ihre Unterschrift auf dem Original beglaubigt worden, oder haben Sie das Original zur Absendung gebracht, so daß der Vermerk vor der Absendung nicht daraufgesetzt worden ist, der sich jetzt am Schluß dieses Berichts befindet.
SCHREIBER: Ja, also ich habe meine Niederschrift abgegeben; ein Vermerk wurde in meiner Gegenwart nicht darauf geschrieben.
DR. LATERNSER: Ist Ihnen für diesen Bericht irgendein Vorteil versprochen worden?
SCHREIBER: Nein, mir ist kein Vorteil versprochen worden. Ich lasse mir auch keine Vorteile versprechen.
DR. LATERNSER: Ja, das weiß ich ja nicht, deswegen frage ich ja. Bestand zu irgendeiner Zeit bei dem deutschen Heeres-Sanitätswesen die Befürchtung, daß von der Sowjetunion krankheitserregende Bakterien als Kampfmittel verwendet werden könnten?
SCHREIBER: Bei der Heeres-Sanitäts-Inspektion nicht, aber beim Generalstab. Es wurde vom Generalstab im Jahre 1942 eine Anfrage an die Heeres-Sanitäts-Inspektion gerichtet, ob mit der Anwendung krankheitserregender Bakterien als Waffen von seiten des Gegners im Osten zu rechnen wäre. Ich selbst habe die Antwort, das Gutachten, geschrieben, und zwar auf Grund von Abwehrnachrichten. Von den Meldungen der Armeeärzte der Ostfront und von der Seuchenlage unserer Truppe konnten wir die Befürchtung verneinen. Wir haben damals diese Befürchtung verneint. Das Gutachten wurde im Jahre 1942 – ein umfangreiches Gutachten – von mir angefertigt und von Generaloberstabsarzt Handloser unterschrieben. Ein anderes derartiges Gutachten wurde schon einmal 1939 gefordert, das auch im gleichen Sinn etwa bearbeitet war, damals unterschrieben von Generaloberstabsarzt Waldmann.
DR. LATERNSER: Im Jahre 1943 soll – wie Sie sagen – nach der Niederlage von Stalingrad ein Befehl zur Vorbereitung dieses bakteriologischen Krieges gegen Rußland erlassen sein. Wissen Sie, wer diesen Befehl erteilt hat, diesen Krieg vorzubereiten?
SCHREIBER: Ja, also ich...
DR. LATERNSER: Ich frage Sie: Wissen Sie, wer diesen Befehl erteilt hat? Eine klare Frage – und ich bitte Sie, die Frage ebenso klar zu beantworten.
SCHREIBER: Wer ihn erteilt hat, wurde bei der Besprechung nicht gesagt.
DR. LATERNSER: Also Sie wissen es nicht?
SCHREIBER: Wer ihn erteilt hat, nein.
DR. LATERNSER: Sie kennen deswegen auch nicht... oder kennen Sie den genauen Inhalt des Befehls?
SCHREIBER: Nein, ich habe keinen schriftlichen Befehl bekommen, sondern der Chef des Stabes des Allgemeinen Wehrmachtsamtes hat gesagt, daß der Reichsmarschall vom Führer mit der Vollmacht und so weiter zur Durchführung aller Vorbereitungen ausgestattet sei.
DR. LATERNSER: Also ist das, was Sie darüber gesagt haben, Hörensagen? Sie selbst wissen es nicht?
SCHREIBER: Das ist mir dienstlich bei der Besprechung gesagt worden, selbstverständlich kein Hörensagen, sondern dienstlich. Bei einer dienstlichen Besprechung wurde uns, die wir dort versammelt waren, das eingangs mitgeteilt.
DR. LATERNSER: Als Ihnen das mitgeteilt worden ist in dieser Besprechung, in welcher Eigenschaft waren Sie da?
SCHREIBER: Wie ich schon sagte, als Vertreter der Heeres-Sanitäts-Inspektion.
DR. LATERNSER: Als nun dieser Vorschlag bekanntgegeben worden ist, was haben Sie selbst getan?
SCHREIBER: Ich habe darauf hingewiesen, daß Bakterien eine unzuverlässige und gefährliche Waffe sind. Weiter habe ich nichts getan.
DR. LATERNSER: Da waren Sie doch Fachmann...
SCHREIBER: Ja.
DR. LATERNSER:... denn Sie waren ja seit 1942 Professor geworden?
SCHREIBER: Ja.
DR. LATERNSER: Und Sie haben mehr nicht gesagt?
SCHREIBER: Nein – nein, mehr nicht.
DR. LATERNSER: Warum haben Sie nicht mehr gesagt?
SCHREIBER: Weil wir ganz klar vor eine vollendete Tatsache gestellt wurden.
DR. LATERNSER: Vollendete Tatsache? Sie sagen doch, es sollte erst besprochen werden?
SCHREIBER: Nein, es wurde uns mitgeteilt, nicht besprochen. Es wurde uns mitgeteilt: Das ist entschieden – diese Entscheidung ist gefallen.
DR. LATERNSER: Aber eine vollendete Tatsache ist es doch erst dann, wenn diese Bakterien tatsächlich angewendet werden. Es sollten ja erst die Vorbereitungen dazu begonnen werden; dann hätte doch ein starker Widerspruch eines Professors in dieser hohen Stellung vielleicht – Sie hätten es vielleicht darauf ankommen lassen müssen – etwas ausgemacht und eine Änderung dieser Meinung hervorgerufen?
SCHREIBER: Nach unseren Erfahrungen war gegen eine derartige Entscheidung nichts zu machen, und ich habe sachlich darauf hingewiesen: Gefährliche und unzuverlässige Waffe.
DR. LATERNSER: Sie hätten ja auch aufstehen können und rausgehen oder irgendeinen ganz starken Protest loslassen können in dieser Angelegenheit.
SCHREIBER: Das wäre besser gewesen, wenn ich es getan hätte.
DR. LATERNSER: Gut, das genügt mir zu diesem Punkt. Die Arbeitsgemeinschaft soll einmal im Monat in den Räumen des Allgemeinen Wehrmachtsamtes in Berlin getagt haben. Wissen Sie, wie viele Sitzungen stattgefunden haben?
SCHREIBER: Nein, das kann ich nicht sagen.
DR. LATERNSER: Wissen Sie, wann die letzte Sitzung war?
SCHREIBER: Kann ich auch nicht sagen.
DR. LATERNSER: Haben überhaupt Sitzungen stattgefunden?
SCHREIBER: Ja, es haben Sitzungen stattgefunden.
DR. LATERNSER: Wissen Sie, ob Niederschriften über diese Sitzungen vorhanden sind?
SCHREIBER: Ja, ich nehme mit Sicherheit an. Professor Klieve hat mich von Zeit zu Zeit unterrichtet.
DR. LATERNSER: Gehörten Sie selbst dieser Arbeitsgemeinschaft an?
SCHREIBER: Nein.
DR. LATERNSER: Wann und auf welche Weise hat Professor Blome Vollmacht von Göring erhalten, sich mit der unmittelbaren praktischen Durchführung aller ärztlich-fachlichen Aufgaben der Vorbereitung zu befassen?
SCHREIBER: Unmittelbar nach dieser Besprechung, vielleicht schon am selben Tage oder vorher; denn es wurde damals schon von Blome gesprochen bei der Besprechung, allerdings wurde da gesagt, er sei in Aussicht genommen, während Herr Schmidt-Bruecken mir zwei Tage später sagte: »Blome ist es geworden.«
DR. LATERNSER: Und woher wissen Sie das?
SCHREIBER: Von meinem direkten Vorgesetzten, dem Generalarzt Schmidt-Bruecken.
DR. LATERNSER: Zu welcher Zeit fanden diese Absprühversuche von Flugzeugen statt?
SCHREIBER: Das kann ich nicht sagen.
DR. LATERNSER: Was wissen Sie überhaupt über diese Absprühversuche?
SCHREIBER: Folgendes: Es wurden aus Flugzeugen Bakterien-Emulsionen mit nicht pathogenen Bakterien, die man leicht wieder auffinden – leicht kulturell nachweisen kann – über ein Versuchsfeld abgelassen, welches dicht bei dem Institut bei Posen war.
DR. LATERNSER: Haben Sie selbst solche Absprühversuche gesehen?
SCHREIBER: Nein.
DR. LATERNSER: Woher wissen Sie, daß diese Absprühversuche stattgefunden haben?
SCHREIBER: Klieve sprach mit mir über die Absprühversuche und sagte mir, daß man zuerst einen Farbstoff genommen hätte, der etwa spezifisch die gleiche Dichte hat wie eine Bakterien-Emulsion, den Farbstoff im Gelände ausgegossen und dann erst mit Modellen versucht hätte.
DR. LATERNSER: Hat Klieve diese Absprühversuche selbst gesehen?
SCHREIBER: Ich glaube, ja.
DR. LATERNSER: Sie können es also sicher nicht sagen?
SCHREIBER: Ich möchte es als sicher nicht auf meinen Eid nehmen, aber es ist sehr, sehr wahrscheinlich.
DR. LATERNSER: Sie sagten, daß bei dieser Besprechung im Juli 1943 der Oberst im Auftrag von Feldmarschall Keitel und General Reinecke...
SCHREIBER: Ja.
DR. LATERNSER:... tätig gewesen sei. Woher wissen Sie das?
SCHREIBER: Erstens war es das Geschäftszimmer von General Reinecke, in dem die Besprechung stattfand, und der Oberst, der sie leitete, war sein Chef des Stabes, und wir waren befohlen zum Allgemeinen Wehrmachtsamt zur Besprechung um so und so viel Uhr, und der Oberst erwähnte auch den Namen von Generalfeldmarschall Keitel.
DR. LATERNSER: Aber ob es tatsächlich von ihm befohlen worden ist, können Sie ja doch wohl nicht sagen?
SCHREIBER: Nein, ich habe ja den Befehl nicht gelesen.
DR. LATERNSER: Also, Sie wissen es nicht?
SCHREIBER: Nein, also ich weiß nur, was der Oberst uns dienstlich gesagt hat.
DR. LATERNSER: Sie sagten auch, daß Sie annehmen, daß das Oberkommando des Heeres benachrichtigt worden sei, und zwar durch Professor Handloser.
SCHREIBER: Ja.
DR. LATERNSER: Welche Tatsachen können Sie für diese Annahme angeben?
SCHREIBER: Ich persönlich habe dem Generaloberstabsarzt Handloser Vortrag gehalten, und Handloser hat zu mir dann auch seine Meinung über die Sache gesagt. Es war für uns Ärzte das Ganze ja eine ungeheuer gefährliche Angelegenheit; denn wenn das tatsächlich dazu kam und nun eine Pestepidemie auftrat, dann war es ja selbstverständlich, daß diese Epidemie an den Fronten nicht Halt machte, sondern rücksichtslos nun auf unsere Seite ging. Infolgedessen mußten wir eine sehr große Verantwortung tragen.
DR. LATERNSER: Wir sind etwas abgekommen, wir kommen auf diesen Punkt nochmals zurück. Ich wollte von Ihnen wissen, ob Sie Tatsachen dafür angeben können, daß das Oberkommando des Heeres benachrichtigt worden ist?
SCHREIBER: Nein, kann ich nicht angeben.
DR. LATERNSER: Es ist also eine Vermutung?
SCHREIBER: Ja, aber es ist sehr naheliegend...
DR. LATERNSER: Ob das naheliegend ist oder nicht – ich will wissen, ob Sie Tatsachen wissen.
SCHREIBER: Nein, die Tatsache... das kann ich nicht sagen.
DR. LATERNSER: Wissen Sie, wem Professor Handloser unterstand?
SCHREIBER: Er hatte ein dreifaches Unterstellungsverhältnis. Er war in Personalunion Chef des Wehrmachts-Sanitätswesens und unterstand in dieser Eigenschaft Generalfeldmarschall Keitel, OKW; er war Heeres-Sanitäts-Inspekteur und unterstand in dieser Eigenschaft dem Befehlshaber des Ersatzheeres, Generaloberst Fromm, später Reichsführer-SS Himmler beziehungsweise Jüttner, und er war drittens Heeresarzt, das heißt oberster Sanitätsoffizier des Feldheeres und unterstand in dieser Eigenschaft dem Chef des Generalstabs des Feldheeres.
DR. LATERNSER: Sie wurden auch über die Gründe befragt, weshalb dieser bakteriologische Krieg dann später nicht ausgeführt worden ist. Welche Gründe sind Ihnen dafür positiv bekannt?
SCHREIBER: Die Zerstörung, der Verlust des Instituts in Posen, den der Leiter des Instituts, der Professor Blome, bei seinem Besuch mir mitteilte, wobei er seine ganze Not zum Ausdruck brachte.
DR. LATERNSER: Wissen Sie selbst, ob eine militärische Kommandobehörde den positiven Befehl gegeben hat, daß dieser bakteriologische Krieg nicht nur vorzubereiten, sondern auch durchzuführen war?
SCHREIBER: Nein, den Befehl habe ich nicht gesehen.
DR. LATERNSER: Es sind also zunächst reine Vorbereitungshandlungen gewesen?
SCHREIBER: Vorbereitung des bakteriologischen Krieges habe ich gesagt.
DR. LATERNSER: Mit welchem General, und zwar hochgestelltem General, haben Sie selbst über diesen bakteriologischen Krieg gesprochen?
SCHREIBER: Mit keinem General.
DR. LATERNSER: Wissen Sie also aus eigener Kenntnis, ob irgendein hochgestellter General über diese Absichten orientiert war?
Ich frage Sie, ob Sie es wissen.
SCHREIBER: Also ich bin nicht dabeigewesen, daß ein General darüber orientiert wurde.
DR. LATERNSER: Also Sie wissen es nicht?
SCHREIBER: Nein.
DR. LATERNSER: Wissen Sie, wie weit damals gewöhnlich an der Front feindliche und eigene Truppen voneinander entfernt waren?
SCHREIBER: Ja, das war wohl außerordentlich verschieden.
DR. LATERNSER: Was war das Normale?
SCHREIBER: Ich bin kein Frontsoldat und möchte mich auf ein solches Gebiet hier, von dem ich nichts verstehe, nicht begeben.
DR. LATERNSER: Wir wollen mal annehmen, die feindlichen Truppen sind normalerweise 600 bis 1000 Meter von der eigenen Truppe entfernt. Würden Sie als Arzt dann die Anwendung von Pestbakterien für ungefährlich für die eigene Truppe halten?
SCHREIBER: Ich würde die Anwendung von Pestbakterien völlig unabhängig von der Entfernung der Fronten stets für gefährlich halten.
DR. LATERNSER: Wir wollen mal annehmen, daß ein derartig teuflischer Gedanke, Pestbakterien tatsächlich anzuwenden, bestanden hat. Wäre damit nicht eine ungeheuere Gefahr für die eigene Truppe selbst damit verbunden?
SCHREIBER: Ja, nicht nur für die Truppe, sondern für das ganze deutsche Volk, denn die Flüchtlinge, das ging doch alles in der Richtung von Ost nach West... mit rasender Geschwindigkeit wäre ja die Pest nun nach Deutschland hineingetragen worden.
VORSITZENDER: Dr. Laternser! Es hat keinen Zweck, dieselbe Frage immer wieder zu stellen. Der Zeuge hat das schon gesagt.
DR. LATERNSER: [zum Zeugen gewandt] Würde das nicht vielleicht einer der Gründe gewesen sein, weshalb dieser Krieg nicht zur Anwendung gekommen ist?
SCHREIBER: Nach den Äußerungen, die Herr Blome, der Leiter des Instituts und Beauftragter des Reichsmarschalls, mir gegenüber tat, nicht; denn er war ja doch mit aller Energie dahinter, nun seine Kulturen wo anders zu kultivieren.
DR. LATERNSER: Herr Präsident! Darf ich vielleicht um die Pause bitten, um dann nachher noch einige Fragen an den Zeugen zu richten?
VORSITZENDER: Nein, Dr. Laternser! Der Gerichtshof ist der Meinung, daß Sie jetzt abschließen sollten.
DR. LATERNSER: [zum Zeugen gewandt] Sie sagen auf Seite 7 Ihrer schriftlichen Erklärung, daß in Norwegen 400 jugoslawische Kriegsgefangene, weil eine Epidemie unter ihnen ausgebrochen war, kurzerhand erschossen worden seien. Sie sagten, daß es sich dabei um ein Arbeitslager der Waffen-SS gehandelt habe...
VORSITZENDER: Fahren Sie fort.
DR. LATERNSER: Ihnen ist dieser Vorfall gemeldet worden?
SCHREIBER: Jawohl.
DR. LATERNSER: Haben Sie diesen Vorfall Ihrem Vorgesetzten gemeldet?
SCHREIBER: Jawohl.
DR. LATERNSER: Was wurde veranlaßt?
SCHREIBER: Es wurde sofort ein Schreiben an den Reichsarzt-SS und Polizei gerichtet, Professor Grawitz, und die Angelegenheit also auf diesem dienstlichen Wege der Stelle gemeldet, die die Aufsichtsbehörde für dieses Lager war.
DR. LATERNSER: Wissen Sie, ob gerichtlich eingeschritten worden ist?
SCHREIBER: Die Vorgänge und Verfahren der SS-Gerichte kenne ich nicht; das weiß ich nicht.
DR. LATERNSER: Sie schreiben dann weiter auf Seite 7:
»Besonders grausam behandelte das Oberkommando der Wehrmacht die russischen Kriegsgefangenen.«
SCHREIBER: Ja.
DR. LATERNSER: Sie schreiben dann weiter, daß die russischen Kriegsgefangenen unzureichend ernährt worden waren.
SCHREIBER: Ja.
DR. LATERNSER: Ich frage Sie nun: Wann wurden diese Feststellungen der unzureichenden Ernährung getroffen? Unmittelbar nach der Gefangennahme in den Auffanglagern hinter der Front oder in Lagern in Deutschland?
SCHREIBER: Ich spreche nicht von den Vorgängen unmittelbar nach den Kampfhandlungen in den Auffanglagern, denn da hat auch bei bestem Willen der Staat, der die Gefangenen gemacht hat, es nicht immer in der Hand, für sie so zu sorgen, wie es notwendig wäre. Ich spreche von einer späteren Periode, als die Gefangenen sich schon wochenlang in dem Gewahrsam der Deutschen befanden, und ich spreche hier von Lagern, die sich im Baltikum befanden. Die waren nicht nach Deutschland gekommen, sondern waren noch da. Die russischen Gefangenen sind ja erst später nach Deutschland gekommen, und die Verhältnisse in diesen Lagern waren außerordentlich trübe.
DR. LATERNSER: Waren diese Mißstände auf bösen Willen zurückzuführen?
SCHREIBER: Ich nehme an, daß diese Mißstände zurückzuführen sind auf grundsätzliche Weltanschauungsfragen, wie sie die Lehre...
VORSITZENDER: Dr. Laternser! Der Gerichtshof hat nacht zugelassen, daß die Aussage vorgelegt wird, und Sie verhören ihn jetzt über ein Thema, das vollständig verschieden ist von den Themen, über die der Zeuge Aussagen gemacht hat.
DR. LATERNSER: Diese Aussagen befinden sich in der schriftlichen Erklärung des Zeugen.
VORSITZENDER: Jawohl! Sie müssen aber doch gehört haben, daß wir die Vorlage der schriftlichen Erklärung als Beweisstück nicht zugelassen haben. Wir verlangten, daß der Zeuge mündlich befragt werden soll. Dies ist geschehen, und die schriftliche Aussage liegt noch nicht als Beweismaterial vor.
DR. LATERNSER: [zum Zeugen gewandt] Ich habe dann noch eine Frage, Herr Zeuge! Haben Sie all Ihre Bedenken gegen diesen bakteriologischen Krieg einmal schriftlich niedergelegt?
SCHREIBER: Ja, in dem Gutachten, von dem ich vorhin sprach.
DR. LATERNSER: Wann war dieses Gutachten abgegeben worden durch Sie?
SCHREIBER: 1942, aber – darf ich jetzt...
DR. LATERNSER: Es genügt mir. Nun hat aber diese Besprechung im Juli 1943 stattgefunden. Haben Sie danach Ihre abweichende Meinung zu diesem Punkt schriftlich niedergelegt?
SCHREIBER: Nein, da habe ich nichts schriftlich niedergelegt.
DR. LATERNSER: Hat Ihr Vorgesetzter nach Meldung durch Sie seine Bedenken schriftlich niedergelegt?
SCHREIBER: Das ist mir nicht bekannt, denn der Generaloberstabsarzt Handloser war ja im Hauptquartier und ich in Berlin. Er kam alle Wochen, alle 14 Tage zu uns, dann trugen wir ihm vor, und dann fuhr er ins Hauptquartier zurück.
DR. LATERNSER: Ich habe keine weiteren Fragen.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich jetzt vertagen.