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[Das Gericht vertagt sich bis

27. August 1946, 10.00 Uhr.]

Zweihundertzwölfter Tag.

Dienstag, 27. August 1946.

Vormittagssitzung.

DR. HANS LATERNSER, VERTEIDIGER FÜR GENERALSTAB UND OBERKOMMANDO: Ich werde das Gericht nur zwei Minuten in Anspruch nehmen. Mir ist gestern nach Abschluß der Vernehmung des Zeugen Schreiber eine schriftliche Mitteilung zugegangen, daß erstens die Forschungsarbeiten auf dem Gebiete der Bakteriologie ausdrücklich befehlsgemäß auf Abwehr beschränkt waren, und daß zweitens eine Anregung der Heeressanitätsinspektion im Herbst 1943, alle Mittel zu einem Angriff auszuschöpfen durch das OKW und insbesondere durch den Feldmarschall Keitel eine strenge Ablehnung erhielt mit dem Hinweis, daß dies verboten sei und auf keinen Fall in Frage komme.

Das entnehme ich aus einem Brief, der mir gestern auf den Tisch gelegt wurde und den ich gestern abend erst gelesen habe.

Diese beiden Punkte, die ich hiermit ausdrücklich unter Beweis stelle, kann bezeugen der Oberst im Generalstab, Birkhoff, der sich zur Zeit im Lager in Dachau befindet. Ich beantrage, diesen Zeugen zu vernehmen und ihn dem Zeugen Schreiber gegenüberzustellen.

Ich vermute sogar, daß dieser Offizier derjenige Oberst ist, der den Vorsitz in dieser geheimen Besprechung, die von dem Zeugen Schreiber zitiert worden ist, geführt hat. Der Zeuge befindet sich in Dachau. Er könnte morgen hier erscheinen. Die Vernehmung würde durch mich höchstens 20 Minuten in Anspruch nehmen. Ich halte die Erhebung dieses Beweises im Interesse der Wahrheitsfindung für unbedingt erheblich. Ich habe den Antrag schriftlich dem Gericht formuliert.

DER VORSITZENDE, LORD JUSTICE SIR GEOFFREY LAWRENCE: Der Gerichtshof wird Ihren Antrag in Erwägung ziehen. Vielleicht sollte der Gerichtshof hören, ob die Anklagebehörde irgend etwas auf diesen Antrag zu erwidern hat. Der Gerichtshof möchte auch den Bericht und den Brief sehen, auf den sich Dr. Laternser bezieht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE, STELLVERTRETENDER HAUPTANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Einen Augenblick bitte, Euer Lordschaft, bis ich mit Oberst Smirnow gesprochen habe.

VORSITZENDER: Gewiß.

DR. LATERNSER: Herr Präsident! Der Brief ist von General Warlimont, der sich zur Zeit in Nürnberg befindet. Er hat diesen Brief am 23. August geschrieben hier in Nürnberg, und dieser Brief ist mir gestern zugegangen. Er lag, nachdem ich von der Vernehmung nach oben kam, auf meinem Tisch; ich habe ihn in meine Mappe gepackt, ohne ihn vorher zu lesen, und gestern von ihm Kenntnis genommen, als ich nach Hause gekommen war. Ich darf vielleicht das Hohe Gericht darauf hinweisen, daß in diesem Brief geschildert wird, daß nach der Bekanntgabe dieser bakteriologischen Absichten im Rundfunk, dieser Oberst Birkhoff, den ich eben als Zeugen benannt habe, zu dem damals noch in Dachau befindlichen General Warlimont gekommen ist und ihm die Tatsachen angegeben hat, die ich jetzt unter Beweis gestellt habe. Vor einigen Tagen ist nun inzwischen General Warlimont wieder nach Nürnberg verlegt worden. Das sind die Zusammenhänge.

VORSITZENDER: Von wem stammt der Bericht?

DR. LATERNSER: Ich habe mich bezogen auf diesen Brief des Generals Warlimont, in dem dieser mir, und zwar in direkter Rede, die Angaben schildert, die der Oberst Birkhoff ihm gegenüber vor einigen Tagen im Lager Dachau gemacht hat. Diese Angaben sind in Paranthese gesetzt und ich bin gern bereit, diesen Brief dem Gericht zu unterbreiten.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte zweierlei dazu sagen: Erstens: Wenn Dr. Laternser uns den Brief zeigen würde, wäre es vielleicht möglich, die Angelegenheit dadurch abzukürzen, daß man die in dem Brief enthaltene Erklärung irgendwie zuläßt. Andernfalls wäre es vielleicht angebracht, ein Affidavit von dem Offizier zu bekommen, um zu wissen, was er zu sagen hat, bevor wir Zeit für sein Verhör aufwenden.

Wenn Dr. Laternser zustimmt, daß die Anklage den Brief übersetzen läßt und ihn überprüft, könnten wir uns mit ihm und falls notwendig, mit dem Gerichtshof heute noch in Verbindung setzen.

VORSITZENDER: Das scheint eine gute Lösung zu sein, besonders, da der Gerichtshof annimmt, daß das Beweisverfahren diese Woche abgeschlossen wird, bestimmt am Samstag abend. Es würde schwierig sein, ein Affidavit von Oberst Bürker vor diesem Zeitpunkt zu erhalten. Wenn die Anklagebehörde damit einverstanden ist, daß der Oberst Bürker eine Aussage abgibt, wäre dies wahrscheinlich die beste Art, die Sache zu erledigen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Wenn Dr. Laternser uns den Brief also gibt, werden wir ihn im Laufe dieses Tages übersetzen lassen und dann prüfen.

DR. LATERNSER: Herr Präsident! Wenn der Zeuge durch telephonischen Abruf hierher gebracht würde, würde ich dazu vielleicht hier ein Affidavit von ihm aufnehmen oder ihn kurz vernehmen. Das wäre der schnellste Weg. Wenn ich erst in das Lager schreiben muß, um das Affidavit zu erlangen, das würde mehr Zeit in Anspruch nehmen. Ich nehme an, daß die telephonische Verbindung so ist, daß noch heute in Dachau angerufen werden kann, um den Zeugen nach hier zu bringen und dann könnten wir ja die weitere Art, wie dieses Beweismittel unterbreitet wird, besprechen.

VORSITZENDER: Wir werden zuerst sehen, was die Anklage sagt, nachdem sie das Dokument gesehen hat.

OBERST J. W. POKROWSKY, STELLVERTRETENDER HAUPTANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Herr Vorsitzender! Ich möchte dem Gerichtshof mitteilen, daß ich versucht habe, den Zeugen des Dr. Laternser Schreiber gegenüberzustellen. Leider ist das nicht mehr möglich, da der Zeuge Schreiber schon wieder in das Kriegsgefangenenlager zurückgeschickt worden ist. Weil Dr. Laternser seinen Antrag zu spät gestellt hat, können die Zeugen nicht gegenübergestellt werden. Die Anklagebehörde der Sowjetunion hält es nicht für ratsam, den von Dr. Laternser erbetenen Zeugen zu rufen, insbesondere da der Zeuge, den Dr. Laternser rufen will, nicht widerlegt, daß eine Geheimsitzung des OKW stattgefunden hat. Darum halte ich es für notwendig, dem Gerichtshof die Stellungnahme der Anklagevertretung der Sowjetunion mitzuteilen.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird die Mitteilung der Anklagebehörde erwarten und die Angelegenheit prüfen. Dr. Gawlik!

DR. HANS GAWLIK, VERTEIDIGER FÜR DEN SD: Hoher Gerichtshof! Ich bin gestern bei der Frage stehengeblieben, ob es überhaupt möglich ist, die Tatbestandsmerkmale festzustellen, die erforderlich sind, um eine Organisation für verbrecherisch zu erklären. Ich fahre fort:

Aus meinen bisherigen Ausführungen dürfte sich ergeben, daß sich der Beweis der Schuld nicht summarisch dadurch erbringen läßt, daß von der Zahl der Verbrechen und dem Gebiet, auf dem sie begangen worden sind, auf die Kenntnis sämtlicher Mitglieder von den Taten und auf ihr Bewußtsein der Rechtswidrigkeit geschlossen wird. Es ist vielmehr erforderlich, daß der Beweis der Kenntnis und das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit nun bei jedem einzelnen Mitglied der Organisationen in besonderen Verfahren erörtert wird; denn es kommt gerade hierbei auf die Umstände an, so daß den einzelnen Mitgliedern Gelegenheit gegeben werden muß, hierzu Stellung zu nehmen.

Selbst wenn die Mitglieder von den objektiven Tatbeständen einzelner strafbarer Handlungen Kenntnis gehabt haben sollten, ist noch nicht der Beweis erbracht, daß ihnen auch bekannt war, daß ihre Organisation hieran beteiligt war.

Ich komme nunmehr zum nächsten Abschnitt.

Einer Verurteilung der Organisationen steht ferner der strafrechtliche Grundsatz »nulla poena sine lege« entgegen. Dieser Grundsatz ist bereits von den Verteidigern der Hauptangeklagten eingehend behandelt worden. Ich will diese Ausführungen nicht wiederholen, sondern nur kurz auf folgende Gesichtspunkte hinweisen:

In seiner Anklagerede am 20. November 1945 hat der Herr amerikanische Hauptanklagevertreter ausgeführt, daß sich die Angeklagten auf diesen Grundsatz nicht berufen könnten, weil sie sich selbst über diesen Grundsatz hinweggesetzt hätten. Diese Begründung trifft keinesfalls für die Mitglieder der Organisationen zu, denn die Mitglieder hatten auf die Gesetzgebung keinen Einfluß sondern waren selbst Objekte der Gesetzgebung.

Der Herr Anklagevertreter der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken hat in Seiner Schlußrede am 29. Juli 1946 bei der Erörterung dieses Grundsatzes darauf hingewiesen, daß das Statut des Internationalen Militärtribunals ein unverbrüchliches Gesetz sei und unbedingt durchgeführt werden müsse.

Das Statut wird jedoch in keiner Weise verletzt und wird auch dann durchgeführt, wenn das Tribunal mit Rücksicht auf den Grundsatz »nulla poena sine lege« von der Verurteilung der Organisationen absieht, denn Artikel 9 des Statuts ist lediglich eine Kann- Vorschrift. Der Herr Hauptanklagevertreter der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken hat ferner geltend gemacht, daß das Statut Prinzipien darstelle, die in einer Reihe von internationalen Abmachungen und in der Gesetzgebung aller zivilisierter Völker enthalten seien.

Aus den internationalen Abmachungen und den Gesetzen der zivilisierten Völker ergibt sich jedoch lediglich, daß Straftaten in Einzelverfahren abgeurteilt werden sollen.

Ein Prinzip der kollektiven Verurteilung von Personengemeinschaften war dem internationalen Recht bisher unbekannt. Es wird im Gegenteil, wie bereits ausgeführt worden ist, von der Völkerrechtswissenschaft abgelehnt.

Bis zum ersten Weltkrieg war es üblich, in die Friedensverträge Amnestieklauseln für begangene Kriegsverbrechen aufzunehmen. Nach dem ersten Weltkrieg war der allgemeine Grundsatz in Entwicklung, daß einzelne Angehörige von Streitkräften nach Kriegsende für die Verletzung der Kriegsgesetze persönlich zur Verantwortung gezogen werden können. Ich verweise hierbei auf Fenwick, International Law, 1924, Seite 578.

Auch die von dem Herrn Anklagevertreter der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken angeführte Deklaration der Staatsoberhäupter der Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritanniens und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 2. November 1943 ordnet ausdrücklich an, daß einzelne Personen zur Verantwortung gezogen werden sollen. Diese Deklaration enthält keine Bestimmung, daß die kollektive Verurteilung von Personengemeinschaften zulässig ist.

Artikel 9 des Statuts ist somit nicht die Formulierung eines international anerkannten Rechtssatzes. Diese Bestimmung schafft vielmehr neues Recht und kann daher nicht mit rückwirkender Kraft etwa für die Zeit seit 1921, wie der Herr Hauptanklagevertreter der Vereinigten Staaten beantragt hat, oder auch nur für die Zeit von 1933 an, wie der Herr Anklagevertreter der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken in seinem Schlußvortrag am 29. Juli 1946 beantragt hat, angewendet werden.

Der Verurteilung der Organisationen steht somit auch der Grundsatz »nulla poena sine lege« entgegen.

In dem zweiten Abschnitt des ersten Teiles komme ich zu der Erörterung der prozeßrechtlichen Fragen, die sich aus Artikel 9 des Statuts ergeben.

Prozeßrechtlich kann nach Artikel 9 des Statuts eine Organisation oder Gruppe für verbrecherisch erklärt werden

a) in dem Prozeß gegen ein Mitglied der Organisation oder Gruppe und

b) in Verbindung mit irgendeiner Handlung, deretwegen der Angeklagte verurteilt wird.

Beide Voraussetzungen müssen erfüllt sein. Von den Hauptangeklagten kommt als Mitglied des SD lediglich der Angeklagte Kaltenbrunner, der Chef der Sicherheitspolizei und des SD, in Betracht.

Aus den Worten »in Verbindung mit irgendeiner Handlung, deretwegen der Angeklagte verurteilt wird« könnte entnommen werden, daß jede Handlung des Mitgliedes der Organisation oder Gruppe genügt, um die Organisation oder Gruppe für verbrecherisch zu erklären. Dies kann jedoch nicht der Sinn und Zweck dieser Bestimmung sein, wie ich an dem schon einmal zitierten Gesetz der Vereinigten Staaten vom 28. Juni 1940 erläutern möchte.

Werden Personen, die einer der in dem Gesetz vom 28. Juni 1940 genannten Vereinigungen angehören, in verschiedenen Verfahren vor Gericht gestellt, so müßte in jedem Verfahren eine vielleicht umfangreiche und im Ergebnis zweifelhafte Beweisaufnahme durchgeführt werden, ob die Vereinigung, der die Person angehört, die in der genannten Gesetzesbestimmung angeführten Voraussetzungen erfüllt. Es könnte dann eintreten, daß in dem einen Verfahren festgestellt wird, daß die Vereinigung den in dem Gesetz vom 28. Juni 1940 genannten Zweck verfolgt hat, während in anderen Verfahren das Ergebnis der Beweisaufnahme nicht als ausreichend angesehen wird.

Um diese Schwierigkeiten zu vermeiden, könnte durch eine Gesetzesbestimmung angeordnet werden, daß das Verfahren gegen ein oder mehrere Mitglieder der Organisationen durchgeführt wird, den anderen noch nicht angeklagten Mitgliedern die Möglichkeit des rechtlichen Gehörs gegeben wird, und der Gerichtshof, falls ein Mitglied wegen der Zugehörigkeit zu einer Vereinigung im Sinne des Gesetzes vom 28. Juni 1940 verurteilt wird, mit Wirkung für alle Mitglieder der Vereinigung feststellt, daß die Vereinigung den in dem Gesetz vom 28. Juni 1940 erwähnten Zweck erfüllt. Durch eine derartige Bestimmung würde erreicht werden, daß

erstens: die Beweisaufnahme über die Ziele, Aufgaben und Tätigkeiten der Organisation nur einmal durchgeführt wird, und

zweitens: widersprechende Entscheidungen über die objektiven Aufgaben, Ziele und Tätigkeiten der Organisation vermieden werden.

Dieser Zweck soll anscheinend auch mit Artikel 9 des Statuts erreicht werden. Es soll vermieden werden, daß die Militärgerichte in den einzelnen Besatzungszonen in den Verfahren gegen die Mitglieder der angeklagten Organisationen jedesmal in einem umfangreichen Beweisverfahren die Frage des Charakters der Organisation prüfen müssen und vielleicht zu widersprechenden Entscheidungen kommen. Allerdings würde es zur...

VORSITZENDER: Dr. Gawlik! Argumentieren Sie dahin, daß wenn irgend jemand auf Grund dieses Gesetzes vom Juni 1940 unter Anklage gestellt ist, daß die Entscheidung des Gerichtshofs nach Artikel 9 auf Verfahren auf Grund des Gesetzes vom Juni 1940 Einfluß haben würde? Ist das Ihre Argumentation?

DR. GAWLIK: Nein, Euer Lordschaft! Ich wollte nur die Bestimmung des Artikels 9 erläutern an Hand des Gesetzes vom Juni 1940. Das Gesetz vom Juni 1940 ist ja etwas ganz anderes; das hängt ja mit Artikel 9 nicht zusammen. Ich wollte nur an dem Gesetz vom Juni 1940, das von dem Herrn amerikanischen Hauptanklagevertreter angeführt worden ist, erläutern, welche Bedeutung eine Bestimmung hatte, wie sie hier in Artikel 9 niedergelegt ist.

VORSITZENDER: Welche Bedeutung messen Sie ihr bei?

DR. GAWLIK: Artikel 9, wie ich weiter darlegen werde, hat folgende Bedeutung:

Es muß ein Mitglied angeklagt werden wegen der Zugehörigkeit zu einer Organisation, die Verbrechen verfolgt nach Artikel 6 des Statuts. Dann muß in diesem Verfahren gegen ein Mitglied der gesamte Sachverhalt gegen dieses Mitglied erörtert werden wegen der Zugehörigkeit zu der Organisation, und dann kann man den Tatbestand, den man festgestellt hat wegen der Ziele, Aufgaben, Tätigkeiten der Organisationen, wenn man zu einer Verurteilung kommt, verwenden in dem Verfahren gegen die anderen Mitglieder; den objektiven Tatbestand nur, nicht die Schuld; denn die Schuld ist personengebunden.

Darf ich das an einem Beispiel, Euer Lordschaft, erklären. Man müßte eigentlich hier ein Mitglied des SD herausnehmen und das Mitglied müßte man anklagen – wie ich dazu noch weiter erörtern werde – wegen der Zugehörigkeit zum SD, zu einer Organisation, die Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Kriegsgesetze und gegen die Menschlichkeit verfolgt. Wenn man das Mitglied nun bestraft wegen der Zugehörigkeit zu einer derartigen Organisation – man stellt objektiv fest, daß der SD eine derartige Organisation ist –, dann kann man diese objektiven Tatbestandsmerkmale verwerten, diese Feststellung über die Ziele, Aufgaben und Tätigkeiten des SD für die Verfahren gegen die anderen Mitglieder.

VORSITZENDER: Nun, ich glaube, ich verstehe die Argumentation über den ersten Absatz des Artikels 9. Sie beruht auf Ihrer Auslegung des ersten Absatzes des Artikels 9, nicht wahr?

DR. GAWLIK: Jawohl.

VORSITZENDER: Wollen Sie sagen, daß eine diesbezügliche Entscheidung des Gerichtshofs auf ein Verfahren auf Grund des Gesetzes von 1940 irgendeinen Einfluß haben würde?

DR. GAWLIK: Nein, das ist nur ein Beispiel.

MR. FRANCIS BIDDLE, MITGLIED DES GERICHTSHOFS FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Das Gesetz von 1940 ist ein Aufruhrgesetz, nicht wahr? Das ist das Aufruhrgesetz von 1940?

DR. GAWLIK: Jawohl.

MR. BIDDLE: Sie sagen, die Anklagebehörde – wie sie es in ihrer Argumentation getan hat – habe sich auf dieses Gesetz gestützt, um zu zeigen, daß von dieser Art von Gruppenverurteilung auch in anderen Ländern Gebrauch gemacht würde; dort wurde diese Analogie gebraucht.

DR. GAWLIK: Ja, ich weiß...

MR. BIDDLE: Ja, Sie sagen also, daß keine wirkliche Analogie bestehe.

DR. GAWLIK: Jawohl.

MR. BIDDLE: Und der Grund, warum Sie das sagen, ist, daß, wenn jemand auf Grund des Gesetzes vom Juni 1940 unter Anklage gestellt würde... folgen Sie?

DR. GAWLIK: Jawohl.

MR. BIDDLE:... so wäre es vor allem nötig zu beweisen, daß er einer Organisation angehörte, deren Ziel es war, die Regierung mit Gewalt zu stürzen. Stimmt das?

DR. GAWLIK: Ja.

MR. BIDDLE: Nun; dann müßte der Gerichtshof vor allem das Ziel der Organisation feststellen.

DR. GAWLIK: Jawohl.

MR. BIDDLE: Nun, Sie sagen auch, daß, wenn eine zweite Person zu einem späteren Zeitpunkt auf Grund des Gesetzes unter Anklage gestellt wird, die Regierung nochmals beweisen müsse...

DR. GAWLIK: Jawohl.

MR. BIDDLE:... daß es das Ziel der Organisation war, die Regierung mit Gewalt zu stürzen. Stimmt das?

DR. GAWLIK: Ja.

MR. BIDDLE: Und demzufolge, daß diese Analogie nicht richtig ist; denn das Ergebnis bezüglich der Organisationen im Verfahren gegen den ersten Angeklagten würde keine Wirkung haben...

DR. GAWLIK: Ja.

MR. BIDDLE:... auf das zweite Verfahren gegen den zweiten Angeklagten; und daß dieses Prinzip dem ganzen angelsächsischen Recht eigen sei, da die Feststellung einer Tatsache gegen den einen das Verfahren gegen den zweiten keineswegs beinflussen könne. Ist das Ihre Argumentation?

DR. GAWLIK: Ja.

Allerdings würde es zur Erreichung dieses Zweckes genügen, wenn sich die Rechtskraftwirkung lediglich auf die objektive Feststellung der Aufgaben, Ziele und Tätigkeiten der Organisation erstrecken würde, und die Feststellung der Schuld den Nachverfahren überlassen bliebe.

Im Hinblick auf das Gesetz Nummer 10 enthält, wie bereits ausgeführt worden ist, die Verurteilung der Organisationen nach Artikel 9 des Statuts nicht nur die objektive Feststellung der Ziele, Aufgaben und Tätigkeiten der Organisationen, sondern über diesen Zweck hinaus noch die Feststellung der Schuld der Mitglieder.

Artikel 9 des Statuts hat somit außer der materiell- rechtlichen Feststellung objektiver und subjektiver Tatbestandsmerkmale noch eine strafprozeßrechtliche Bedeutung.

Dieser prozeßrechtliche Zweck, der mit Artikel 9 des Statuts offensichtlich verfolgt wird, kann jedoch nur dann erreicht werden, wenn diese Bestimmung dahin ausgelegt wird, daß das Mitglied wegen der Zugehörigkeit zu einer Organisation, deren Ziele oder Mittel nach Artikel 6 des Statuts strafbar sind, und nicht wegen irgendeiner Handlung verurteilt wird.

Eine andere Auslegung hätte keinen Sinn und Zweck.

Nur eine Verurteilung des Angeklagten Kaltenbrunner wegen Zugehörigkeit zu einer derartigen Organisation könnte demnach nach Artikel 9 des Statuts die Verurteilung des SD rechtfertigen.

Unter Berücksichtigung dieser Ausführungen erscheinen mir somit schon die formellen Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 9 des Statuts nicht gegeben.

Es wäre Voraussetzung, daß der Angeklagte Kaltenbrunner wegen der Zugehörigkeit zum SD als einer verbrecherischen Organisation im Sinne des Statuts angeklagt worden wäre, und daß in diesem Verfahren gegen den Angeklagten Kaltenbrunner der Charakter des SD geprüft wird. Nur in diesem Falle wäre, wie der Herr Hauptanklagevertreter der Vereinigten Staaten ausgeführt hat, eine Tat vorhanden, auf Grund deren die Kriminalität des SD geprüft werden könnte.

Eine derartige Anklage ist jedoch gegen den Angeklagten Kaltenbrunner nicht erhoben worden.

Der Angeklagte Kaltenbrunner ist nicht wegen der Zugehörigkeit zum SD als einer verbrecherischen Organisation angeklagt worden, sondern soll wegen sonstiger Straftaten verurteilt werden.

Es muß demnach unter Zugrundelegung der Ausführungen des Herrn amerikanischen Hauptanklagevertreters als unzulässig angesehen werden, daß zur Prüfung der Kriminalität des SD Beweismittel vorgelegt worden sind, die mit den dem Angeklagten Kaltenbrunner zur Last gelegten strafbaren Handlungen in keinem Zusammenhang stehen.

Es bedarf schließlich noch einer Prüfung, welcher Zusammenhang zwischen dem Zeitabschnitt bestehen muß, während dessen das angeklagte Mitglied der Organisation angehört hat, und dem Zeitabschnitt, für den die Organisation für verbrecherisch erklärt werden soll. Diese rein prozeßrechtliche Frage ist völlig verschieden von der Frage des Zeitabschnitts, während dessen sich eine Organisation verbrecherisch betätigt hat. Hier handelt es sich lediglich um folgendes: Kann in dem Verfahren gegen einen Angeklagten die Organisation, deren Mitglied er war, auch für den Zeitraum für verbrecherisch erklärt werden, während dessen er der Organisation nicht angehört hat?

Nach den Ausführungen des Herrn amerikanischen Hauptanklagevertreters ist lediglich auf Grund der Tat eines Angeklagten die Kriminalität der Organisation zu prüfen. Die Tat des Angeklagten begrenzt die Prüfung, ob die Organisation für verbrecherisch erklärt werden kann, auch zeitlich. Das Beweisergebnis in dem Verfahren gegen ein angeklagtes Mitglied kann nur die Entscheidung hinsichtlich der Organisation für den Zeitraum rechtfertigen, während dessen der Angeklagte der Organisation angehört hat.

Diese zeitliche Begrenzung ist auch aus folgenden Gründen gerechtfertigt: wer verurteilt werden soll, dem steht das Recht zu, gehört zu werden. Diesem Recht zum Gehör ist nicht mit der Abgabe von Erklärungen bei Gericht Genüge getan. Es umfaßt vielmehr das Recht der Teilnahme an dem gesamten Prozeßverfahren. Durch Artikel 9 des Statuts soll dieses Recht der Teilnahme an dem gesamten Verfahren offensichtlich nicht aufgehoben, sondern im Interesse der Prozeßökonomie lediglich auf eine Person der genannten Organisation beschränkt werden, weil davon ausgegangen wird, daß die Aussagen der weiteren Mitglieder über die Ziele, Aufgaben und Tätigkeiten der Organisation kumulativ wären. Ein Angehöriger, der der Organisation nicht während des gesamten Zeitraums angehört hat, für den die Organisation für verbrecherisch erklärt werden soll, kann zu der Frage nach den Zielen, Aufgaben und Tätigkeiten der Organisation nur für die Dauer seiner Mitgliedschaft Stellung nehmen. Nach dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs ist es daher erforderlich, daß ein Mitglied in dem Verfahren als Angeklagter teilnimmt, das während des gesamten Zeitraums, für den die Organisation für verbrecherisch erklärt werden soll, Mitglied der Organisation war.

Auch aus diesen prozeßrechtlichen Gründen kann die Organisation nur für den Zeitraum für verbrecherisch erklärt werden, während dessen das angeklagte Mitglied ihr angehört hat. Soll eine Organisation für die gesamte Dauer ihres Bestehens für verbrecherisch erklärt werden, so muß ein Mitglied angeklagt werden, das ihr während des gesamten Zeitraumes angehört hat.

Der SD konnte daher aus prozeßrechtlichen Gründen nur für den Zeitraum für verbrecherisch erklärt werden, während dessen der Angeklagte Kaltenbrunner Chef der Sipo und des SD war, also seit Januar 1943.

Die den Ämtern III und VI zur Last gelegten Verbrechen müßten mithin in diesem Zeitraum liegen.

Ich komme nunmehr zu der tatsächlichen Würdigung des Sachverhaltes auf Grund des Ergebnisses der Beweisaufnahme. Es ist dies mein zweiter Hauptteil, und zwar habe ich zunächst allgemeine Ausführungen.

Die Anklagebehörde hat eine große Anzahl von Dokumenten vorgelegt, in denen der SD erwähnt ist, und hat damit beweisen wollen, daß hierfür die Ämter III und VI verantwortlich sind. Die Anklagebehörde hat jedoch selbst vorgetragen, daß im gewöhnlichen Gebrauch und sogar in Verordnungen und Erlassen »SD« als Abkürzung für »Sipo und SD« gebraucht worden seien. Ich verweise auf den Trial-Brief gegen die Gestapo und SD, Seite 19, deutsch, und auf das Sitzungsprotokoll vom 3. Januar 1946, Nachmittagssitzung (Band IV, Seite 364).

Schon nach dem eigenen Vortrag der Anklagebehörde ergibt daher ein Dokument, in dem vom SD die Rede ist, keinen Beweis dafür, daß diese Tat von Angehörigen der Ämter III und VI begangen worden sein muß. Es kann sich auch um Handlungen der Sipo handeln. Dies ist auch auf Grund der durchgeführten Beweisaufnahme erwiesen.

Vor dem Tribunal ist der Zeuge von Manstein vernommen worden, einer der höchsten militärischen Führer der ehemaligen deutschen Wehrmacht. Dieser Zeuge hat in seiner Vernehmung vor dem Tribunal und der Kommission wiederholt vom SD gesprochen. Als ich dem Zeugen die Frage stellte, was er unter SD verstehe, hat er erklärt, daß er dies nicht genau wisse. Meine weitere Frage, ob er hiermit die Ämter III und VI gemeint habe, hat er verneint (Vormittagssitzung des 10. August 1946, Band XX, Seite 6821).

Bei der Vernehmung des Angeklagten Jodl als Zeuge ist die Erschießung eines Kommandotrupps in Norwegen erörtert worden, Dem Angeklagten Jodl ist vorgehalten worden, daß die Gefangenen durch den SD erschossen worden seien. Daraufhin hat der Angeklagte Jodl erklärt; er verweise auf das Sitzungsprotokoll vom 6. Juni 1946, Nachmittag (Band XV, Seite 535): »Nicht durch den SD, das ist falsch, sondern mit der Sicherheitspolizei.«

Ich verweise ferner auf die eidesstattliche Versicherung des Angeklagten Keitel – SD-52 –, der an Eides Statt erklärt hat, daß ihm während des Prozesses in Nürnberg klargeworden sei, daß die vielfach auch in militärischen Kreisen bestehende Auffassung über die Aufgaben und Zuständigkeiten des SD als polizeiliches Exekutivorgan nicht zutreffend gewesen sei. Es sei daher vielfach im militärischen Sprachgebrauch und in Verfügungen vom SD die Rede gewesen, wenn das zuständige Organ der Polizei mit Exekutivgewalt gemeint war. Keitel hat weiter erklärt, daß hinsichtlich der Befugnisse des SD in dieser Hinsicht eine irrtümliche Auffassung bestanden habe, die zu falscher Bezeichnung der Abkürzung SD geführt habe.

Ich verweise ferner in diesem Zusammenhang auf die eidesstattliche Erklärung des ehemaligen Chefs des Generalstabs der Luftwaffe, Koller (Dokument Jodl-58, Seite 179 ff., im Dokumentenbuch Jodl). Koller berichtet in dieser eidesstattlichen Erklärung über eine Lagebesprechung bei Hitler. Bei dieser Lagebesprechung habe Hitler den Befehl erteilt, sämtliche Bomberbesatzungen der alliierten Streitkräfte an den SD zu übergeben und durch den SD zu liquidieren. Koller gibt sodann eine Unterredung wieder, die er im Anschluß an diese Lagebesprechung mit Kaltenbrunner gehabt hat. Bei dieser Besprechung hat Kaltenbrunner nach den Angaben von Koller folgendes erklärt: »Der Führer hat ganz falsche Vorstellungen. Auch die Aufgaben des SD werden dauernd falsch verstanden. Derartige Dinge sind keine Angelegenheiten des SD.«

Die Französische Anklagebehörde hat eine große Anzahl von Dokumenten vorgelegt, in denen der SD erwähnt ist. Ich habe diese Dokumente dem Zeugen Knochen, der vor der Kommission vernommen worden ist, vorgelegt. Knochen war Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD in Frankreich. Er hat zu diesen Dokumenten bekundet, daß es sich um eine Sprachverwechslung handle, und daß unter SD die Feldpolizei zu verstehen sei. Auf meine Frage: »Was bedeutet Übergabe an den SD«, hat der Zeuge Knochen wörtlich erklärt: »Dies bedeutet Übergabe an die Exekutivabteilung IV der Sicherheitspolizei.«

Vor der Kommission habe ich dem Zeugen Dr. Hoffmann das Dokument 526-PS vorgelegt. Hoffmann war ein Beamter der Sicherheitspolizei und hat nie dem SD angehört. Bei dem Dokument 526-PS handelt es sich um die Durchführung des Kommandobefehls in einem norwegischen Fjord. In diesem Bericht heißt es: Führerbefehl durch SD vollzogen.

Auf meine Frage an den Zeugen Hoffmann, was unter SD zu verstehen sei, hat er wörtlich geantwortet: »Da es sich offenbar um eine Exekutivmaßnahme handelt, ist hier unter SD die Sicherheitspolizei zu verstehen, da die Wehrmacht beide Begriffe oft verwechselte.«

Die Anklagebehörde hat ferner das Dokument 1475-PS vorgelegt. Es handelt sich um den Bericht des Vorstehers des Gefängnisses in Minsk, vom 31. Mai 1943, der mitteilt, daß durch den SD – und zwar Hauptscharführer Rübe – Juden in das Gerichtsgefängnis eingeliefert worden seien, denen die Goldbrücken, Plomben und Kronen ausgebrochen waren. Hierzu habe ich das Affidavit SD-69 von Gerty Breiter vorgelegt, einer Stenotypistin bei dem Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD in Minsk. Gerty Breiter hat bekundet, daß Rübe ein Beamter der Staatspolizei gewesen sei, und daß der SD in Minsk mit Juden-Angelegenheiten nichts zu tun gehabt habe. Die Tätigkeit des SD in Minsk habe lediglich in der Abfassung von Berichten über allgemeine Stimmung und Meinungsbildung bestanden. In Minsk habe es keine SD-Gefängnisse gegeben.

Diese Sprachverwechslung ist offensichtlich darauf zurückzuführen, daß die Angehörigen der SS-Sonderformation »SD«, die, wie ich einleitend ausgeführt habe, etwas völlig Verschiedenes von dem SD-Nachrichtendienst war, die SS-Uniform mit dem SD-Abzeichen getragen haben.

In den von Deutschland besetzten Gebieten trugen alle Angehörigen des Reichssicherheitshauptamtes, somit auch alle Angehörigen der Stapo und der Kripo, und zwar auch soweit sie nicht Angehörige der SS oder SS-Anwärter waren, die SS-Uniform mit dem SD-Abzeichen. Daher wurde jeder Angehörige der Sipo als SD-Mann bezeichnet und die von der Sicherheitspolizei durchgeführten Maßnahmen wurden als Maßnahmen des SD angesehen. Ich verweise hierzu insbesondere auf das Kommissionsprotokoll Seite 446-448, deutsch, und auf das Sitzungsprotokoll der Nachmittagssitzung des 1. August 1946, Band XX, Seite 227, 230.

VORSITZENDER: Sagen Sie, daß alle Mitglieder der SS einschließlich der Kripo und Stapo, wenn sie im Osten beschäftigt waren, die SS-Uniform mit dem SD-Abzeichen trugen?

DR. GAWLIK: Jawohl, das ist von dem Zeugen bekundet worden, Euer Lordschaft.

VORSITZENDER: Gut, fahren Sie fort.

DR. GAWLIK: In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, daß etwa 90 Prozent aller Angehörigen der Ämter III und VI ehrenamtlich tätig waren, von denen nur ein geringer Teil der SS angehörte oder SS-Anwärter war (Affidavit SD-32). Während des Krieges war ein großer Teil der Angehörigen des SD, Amt III und VI, Frauen. Diese Personen waren nicht berechtigt, die Uniform der SS-Formation SD zu tragen.

Ich werde nunmehr, entsprechend der Gliederung des Trial-Briefes gegen die Gestapo und SD erörtern:

a) den Vorwurf der Verschwörung,

b) die Verbrechen gegen den Frieden,

c) die Kriegsverbrechen,

d) die Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Ich komme zur Verschwörung. Es fehlt mir noch Evidence III des englischen Trial-Briefes gegen Gestapo und SD.

Die Ämter III und VI sind angeklagt, an einer Verschwörung zur Begehung von Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit teilgenommen zu haben.

Es gibt drei Möglichkeiten, nach denen eine Organisation mit einem Verschwörerkreis in Verbindung stehen kann:

Erstens: Die Organisation kann zu dem Verschwörerkreis gehören. Dies setzt voraus, daß sämtliche Angehörigen der Organisation an der Vereinbarung oder dem geheimen Plan, ungesetzliche Handlungen zu begehen oder gesetzliche Handlungen durch ungesetzliche Mittel auszuführen, teilgenommen haben.

Es muß also nachgewiesen werden, daß

a) ein derartiger Plan bestanden hat,

b) sämtliche Angehörige sich diesen Plan zu eigen gemacht haben (Archbold, Pleading, Evidence, Practice Seite 1426).

Zweite Möglichkeit: Die Organisation kann das Ziel und den Zweck haben, Teilnehmer einer Verschwörung zu unterstützen. Hierzu ist erforderlich:

a) ein geheimer Plan oder eine Vereinbarung,

b) die Organisation muß objektiv den. Zweck verfolgt haben, einem oder mehreren Teilnehmern bei der Durchführung des Planes behilflich zu sein, und

c) sämtliche Mitglieder müssen es gewußt und gewollt haben.

Dritte Möglichkeit: Die Organisation kann objektiv von Verschwörern zur Ausführung des geheimen Planes benutzt werden, ohne daß dies die Mitglieder erkennen.

In diesem Falle kann von einer strafbaren Teilnahme der Organisation nicht gesprochen werden, weil es an dem Tatbestandsmerkmal der Schuld fehlt. Die Organisation ist nur ein strafloses Werkzeug und kann nicht für verbrecherisch erklärt werden.

Zu Eins: Die Anklagebehörde hat vorgetragen, daß nicht alle an der Verschwörung teilgenommen haben, aber alle zu den Vergehen beigetragen hätten (Nachmittagssitzung des 20. Dezember 1945, Band IV, Seite 256). Daraus ergibt sich, daß die Anklagebehörde nicht behaupten will, daß die Organisationen Teilnehmer an der Verschwörung waren. Ich werde mich daher mit dieser Frage nicht weiter beschäftigen.

Eine strafbare Unterstützung einer Verschwörung, Fall zwei, erfordert gleichfalls

a) das Bestehen eines geheimen Planes,

b) die Kenntnis der Mitglieder.

Es muß demnach gleichfalls das Bestehen eines geheimen Planes und die Kenntnis der Mitglieder hiervon nachgewiesen werden.

Bisher ist in keiner Weise dargetan, daß ein derartiger Plan zur Begehung von Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit tatsächlich bestanden hat.

Dies ist bereits von den Verteidigern der Hauptangeklagten eingehend dargelegt, und ich will diese Ausführungen nicht wiederholen, möchte jedoch kurz auf folgende Gesichtspunkte hinweisen:

Eine Verschwörung kann solange nicht als erwiesen angesehen werden, solange nicht der Nachweis dafür erbracht ist,

1. wann,

2. wo,

3. zwischen welchen Personen diese gemeinsame Verabredung getroffen worden ist, und

4. welchen Inhalt sie gehabt hat.

Selbst wenn ein derartiger Plan bestanden haben sollte, so ist in keiner Weise dargetan, daß er den Angehörigen des SD bekannt war, und sie daher mit ihrer Tätigkeit den Zweck verfolgten, eine derartige Verschwörung zu unterstützen. Die Anklagebehörde hat den Tatbestand einer Verschwörung insbesondere aus den in den sogenannten Schlüsseldokumenten erwähnten Tatsachen hergeleitet. Die in diesen Dokumenten genannten Tatsachen wurden jedoch streng geheimgehalten und waren nur den unmittelbar beteiligten Personen bekannt. Die Mitglieder der beteiligten Organisationen hatten hiervon keine Kenntnis, wie als gerichtsbekannt vorausgesetzt werden kann.

Wenn sich somit aus den Schlüsseldokumenten die Tatsache eines geheimen Planes zur Begehung von Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ergibt, so kannten die Mitglieder des SD diese Tatsache nicht und hatten daher auch nicht die Absicht, durch ihre Tätigkeit einen derartigen Verschwörerkreis zu unterstützen.

Die von der Anklagebehörde vorgetragenen Tatsachen dafür, daß die Angehörigen des SD von einer Verschwörung Kenntnis gehabt haben, können weder als »violente« Vermutungen, noch als »probable« Vermutungen, sondern höchstens als »light« oder »rash« Vermutungen angesehen werden, die ohne Bedeutung sind (Archbold; Pleading, Evidence, Practice, 1938, Seite 404/405).

Im übrigen glaube ich, daß durch die Vernehmung der Zeugen und durch die eidesstattlichen Erklärungen der Beweis erbracht worden ist, daß die Angehörigen des SD keine Kenntnis davon hatten, daß ein geheimer Plan zur Begehung von Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit bestanden hat, und daß somit nicht die Absicht bestand, durch die Tätigkeit im SD einen derartigen Verschwörerkreis zu unterstützen.

Der SD kann daher wegen Teilnahme an einer Verschwörung nicht verurteilt werden, weil der Nachweis fehlt, daß

a) ein Verschwörerkreis tatsächlich bestanden hat.

b) die Angehörigen des SD hiervon Kenntnis hatten und durch ihre Tätigkeit einen Verschwörerkreis unterstützen wollten.

Es kommt demnach in diesem Verfahren vor dem Internationalen Militär-Tribunal nicht darauf an, ob der SD die SS, die Geheime Staatspolizei, die Partei oder einzelne Personen der Staatsführung unterstützt hat, solange nicht von der Anklagebehörde der Beweis für die von mir angeführten Voraussetzungen

a) Vorliegen eines geheimen Planes zur Begehung von Verbrechen nach Artikel 6, und

b) Kenntnis der Angehörigen des SD, erbracht worden ist.

Im übrigen bedarf der tatsächliche Vortrag der Anklagebehörde hinsichtlich der Zusammenarbeit des SD mit der SS, der Geheimen Staatspolizei oder anderen Personen einer Richtigstellung.

Ich habe bereits ausgeführt, daß der SD kein Teil der SS, sondern daß der Inlandsnachrichtendienst und der Auslandsnachrichtendienst selbständige Organisationen waren. Haben nun die selbständigen Organisationen des SD die selbständige Organisation SS bei der Verfolgung ihrer Ziele und Aufgaben unterstützt?

Von der Anklagebehörde ist dies zwar behauptet worden.

Demgegenüber verweise ich auf die Aussage des Zeugen Hoeppner und auf die eidesstattliche Erklärung SD-27, von Albert, die angegeben haben, daß der SD nur bis zur Wende der Jahre 1933/1934 als SS-mäßiger Nachrichtendienst anzusehen sei, daß diese Aufgabe jedoch seit diesem Zeitpunkt weggefallen sei und der SD das allgemeine Nachrichtenorgan für Staat und Partei geworden sei.

Diese Angaben sind von den Zeugen Ohlendorf, Hoeppner sowie auch von den Zeugen der SS, Pohl, Hauser und Reinecke bestätigt worden.

Was das Verhältnis des SD zur Polizei betrifft, so ist von der Anklagebehörde vorgetragen worden, der SD sei Teil eines einheitlichen Polizeisystems gewesen und beide seien als ein starkes, politisch-zentralisiertes Polizeisystem zusammengeschlossen gewesen (Sitzungsprotokoll vom 19. Dezember 1945, Band IV, Seite 208 bis 210, 216).

Der SD ist insbesondere nicht durch die Ernennung Himmlers zum stellvertretenden Chef der Gestapo in Preußen, die Ernennung Heydrichs zum Chef der Sipo und des SD im Juni 1936, und die Einrichtung des RSHA im September 1939, Teil der Polizei oder eines Polizeisystems geworden.

Hierzu verweise ich auf die Aussagen der Zeugen Hoeppner, Rößner, Wisliceny und Best.

Demgegenüber ist festzustellen, daß der SD nie Teil der Polizei war (Affidavit SD-2, 27, 28, 33, 34, 35, 61, 63).

Der SD hatte auch zu keiner Zeit polizeiliche Erhebungen auf den Lebensgebieten durchzuführen (Aussage Hoeppner, Dokumente SD-2, 18, 63).

Das organisatorische Verhältnis zwischen SD und Sicherheitspolizei war im Inland anders als in den besetzten Gebieten. Ich nehme insoweit Bezug auf das von mir als Dokument SD-70 eingereichte Handbuch des Hauptquartiers der Vereinten Nationen, in dem die Organisation der Ämter III und VI richtig dargestellt ist, sowie auf die Aussagen der Zeugen Best, K. H. Hoffmann, Hoeppner, Dr. Ehlich, Dr. Knochen, Straub und die Affidavits SD-25 und 56.

Daraus ergibt sich folgendes:

Im Inland waren die Dienststellen des SD, Amt III und VI, gegenüber der Sicherheitspolizei stets selbständig.

Eine Verbindung zwischen dem SD und der Sicherheitspolizei ist weder durch die Höheren SS- und Polizeiführer noch durch die Inspekteure der Sicherheitspolizei und des SD hergestellt worden. Letztere, vereinigten in einer Person Inspektionsbefugnis gegenüber den Dienststellen der Sicherheitspolizei und denen des SD. Aus diesem Grund erhielten sie auch von einem Teil der Erlasse Kenntnis, die eine der ihnen unterstellten Dienststellen betraten. Man kann jedoch nicht daraus, daß sie irgendeine Verfügung erlassen oder erhalten haben, ohne weiteres darauf schließen, daß jede solche Verfügung auch zu der Zuständigkeit des SD gehörte. Entscheidend vielmehr ist, wie bei allen Verfügungen des Chefs, der Inspekteure, Befehlshaber und Kommandeure der Sicherheitspolizei und des SD, ob sie von den Abteilungen III und VI bearbeitet worden sind. Dies erkennt man an den Aktenzeichen. Nur Verfügungen, die die Aktenzeichen III und VI tragen, gehörten zum Aufgabenbereich des Inlandsnachrichtendienstes und könnten dem SD zur Last gelegt werden. Wegen der Höheren SS- und Polizeiführer verweise ich auf Affidavit SD-34, wegen der Inspekteure der Sicherheitspolizei und des SD auf das Affidavit SD-35 und die Aussage Hoeppner.

In den von Deutschland besetzten Gebieten wurden die Sicherheitspolizei und der SD organisatorisch in Personalunion unter Befehlshabern der Sicherheitspolizei und des SD vereinigt. Der Inlandsnachrichtendienst wurde in Abteilung III, der Auslandsnachrichtendienst in der Abteilung VI bearbeitet, die Geheime Staatspolizei war Abteilung IV, die Kriminalpolizei Abteilung V.

Man kann naher nicht von einer einheitlichen Organisation der Ämter III und VI im Inland und im Ausland sprechen.

Es waren vielmehr verschiedene Organisationen, der Inlandsnachrichtendienst in Deutschland, der Auslandsnachrichtendienst in Deutschland und die unter den Befehlshabern der Sicherheitspolizei und des SD dienststellenmäßig zusammengefaßten Tätigkeiten der Staatspolizei, Kriminalpolizei und des SD in den besetzten Gebieten.

Hierbei ist wiederum zu berücksichtigen, daß aufgabengemäß die Selbständigkeit der Abteilungen III und VI im Ausland gewahrt blieb (Affidavit SD-56).

Einer besonderen Erörterung bedarf noch das Verhältnis des SD zur Gestapo. Die Anklagebehörde hat vorgetragen, daß die Geheime Staatspolizei das Vollstreckungsorgan, der SD das Spionageorgan gewesen sei (Sitzungsprotokoll vom 19. Dezember 1945, Band IV, Seite 210).

In dieser Form ist die Darstellung des Verhältnisses zwischen Gestapo und SD nicht richtig. Klar und eindeutig dürfte das Verhältnis zwischen Gestapo und SD für den gesamten Zeitraum von 1931 bis 1945 nicht festzulegen sein. Das Verhältnis zwischen Gestapo und SD war zeitlich und örtlich verschieden. Für den Zeitraum bis 1934 ist bereits dargelegt worden, daß keinerlei Beziehungen zwischen Gestapo und SD bestanden haben dürften, denn während dieser Zeit war der SD ein Nachrichtendienst der SS.

Von entscheidender Bedeutung dürfte der Funktionstrennungserlaß von Mitte 1938 sein, der der Gestapo neben der Gegnerbekämpfung auch die Gegnererforschung zuwies. Damit entfiel für das SD-Hauptamt die Tätigkeit der damaligen Zentralabteilung II/1, die sich mit der Gegnererforschung beschäftigte, im Gegensatz zur Zentralabteilung II/2, die die Lebensgebietsbeobachtung hatte. Die Zentralabteilung II/1 des SD-Hauptamtes wurde daher aufgelöst (Affidavit SD-27).

Das angeklagte Amt III des Reichssicherheitshauptamtes war die frühere Zentralabteilung II/2, Lebensgebietsnachrichtendienst (Affidavit SD-27).

Die Tätigkeit der Zentralabteilung II/1, die Gegnererforschung, kann dem angeklagten Amt III nicht zur Last gelegt werden.

Die Aufgaben und Ziele der Zentralabteilung II/1 waren völlig verschieden von denen des angeklagten Amtes III. Zum Amt III hat die Zentralabteilung II/1 nie gehört. Man kann sie auch nicht als Vorgängerin des Amtes III ansehen. Der Vorgänger des Amtes III war lediglich die Abteilung II/2 des SD-Hauptamtes. Auf diese Entwicklungsgeschichte des SD und die Änderung der Aufgabenstellung sind zweifellos die widersprechenden Angaben von Zeugen über die Zusammenarbeit von SD und Gestapo zurückzuführen. Die Zusammenarbeit zwischen dem Amt III, das sich aus der Zentralabteilung II/2 entwickelt hat, und der Gestapo ist nicht enger und umfangreicher gewesen als mit sonstigen Behörden.

Aber auch die Zentralabteilung II/1 war kein Nachrichtendienst für die Gestapo, sondern arbeitete völlig unabhängig von ihr (Affidavit SD-16 bis 19, 27, 55).

Dr. Best, ein Zeuge der Gestapo, hat vielleicht das Verhältnis richtig wiedergegeben, wenn er erklärt hat: »Man experimentierte in jenen Jahren ständig mit dem SD.«

Zum Beweis der engen Zusammenarbeit zwischen Staatspolizei und SD hat sich die Anklage vor allem auf das Buch von Dr. Werner Best »Die Deutsche Polizei« (1940), Dokument 1852-PS, berufen. Der Verfasser dieses Buches, Dr. Best, der vernommen worden ist, hat hierzu erklärt, daß es sich um eine Privatarbeit handle, die keinen offiziellen Charakter habe. Best hat ferner erklärt, er habe lediglich eine in der Zukunft erstrebte Entwicklung dargestellt.

Ferner hat sich die Anklagebehörde auf die Dokumente 1956-PS, »Das Archiv«, und 1680-PS, den Aufsatz »10 Jahre Sipo und SD« und auf eine Äußerung Heydrichs auf dem Tag der Deutschen Polizei berufen.

Weiter hat die Anklagebehörde das Dokument 1638-PS, den Erlaß des Reichsministers des inneren vom 11. November 1938 über die Zusammenarbeit der Behörden der allgemeinen und inneren Verwaltung mit dem SD angeführt. Zur Widerlegung der von der Anklagebehörde angeführten Auslegung dieses Erlasses verweise ich auf die Aussage der Zeugen Best, Hoeppner und auf das Affidavit SD-36.

Hinsichtlich der Aussagen der Zeugen Albath, Oldach, Hülf (Affidavit vom 15. Juni 1946, Dokument F-964) verweise ich auf das Affidavit SD-71 von Schräpel, auf das Affidavit SD-36, Ziffer 4c, und SD-28.

Hinsichtlich des Verhältnisses Stapo-SD nehme ich ferner Bezug auf die Aussagen Ehlich, Rößner, Hoeppner sowie ferner auf Affidavit SD-70, Teilgebiet 6.

Wegen des Dokumentes RF-1540 nehme ich Bezug auf die Aussage des Zeugen Rößner.

Dafür, daß es durchaus nicht unrichtig sein dürfte, wenn Zeugen vor dem Tribunal, der Kommission oder in ihren eidesstattlichen Erklärungen angegeben haben, die Aufgabe des SD habe nicht darin bestanden, der Geheimen Staatspolizei Material zur Verfolgung politischer Gegner zu verschaffen, führe ich zwei Beweismittel von Personen an, die nicht die geringste Veranlassung haben, den SD in Schutz zu nehmen.

Es handelt sich zunächst um die eidesstattliche Erklärung des bekannten Professors für neuere Geschichte an der Universität Freiburg, Dr. Ritter. Professor Dr. Ritter war ein Gegner des Nationalsozialismus, Er war nie Mitglied der Partei oder einer ihrer Gliederungen. Er gehörte zum Kreise um Goerdeler, und war vorgesehen als Kultusminister in einem Kabinett Goerdeler nach dem 20. Juli 1944.

Die Vorlesungen von Professor Dr. Ritter sind lautend vom SD, Amt III, beobachtet worden. Aus der eidesstattlichen Erklärung von Professor Dr. Ritter ergibt sich jedoch, daß der SD das Material gegen den ihm als Gegner bekannten Professor Dr. Ritter nicht der Geheimen Staatspolizei übergeben hat. Denn als Professor Dr. Ritter nach dem 20. Juli 1944 verhaftet worden Ist, hatten seine Angaben vor der Geheimen Staatspolizei durch das Material, das das Amt III über ihn hatte, widerlegt werden können, was nicht geschehen ist.

Ich habe weiter als Dokument SD-71 einen Brief vorgelegt, der sich auf das Anklagedokument R-142 bezieht, das in diesem verfahren wiederholt zur Sprache gekommen ist. Es handelt sich um den Brief der Außenstelle Kochem, in dem mitgeteilt worden ist, daß die Volksabstimmung am 10. April 1938 in Simmern überwacht worden sei und festgestellt worden ist, daß der Pfarrer Wolferts eine Nein-Stimme abgegeben habe. Der Pfarrer Wolferts ist in der Zwischenzeit verstorben. Aus dem Brief seiner Tochter ergibt sich jedoch, daß wegen der Abgabe der Nein-Stimme weder vom SD noch von der Geheimen Staatspolizei gegen den Pfarrer irgend etwas veranlaßt worden ist.

Diese Tätigkeit des SD hatte somit nicht den Zweck, der Geheimen Staatspolizei Material zur Verfolgung politischer Gegner zu verschaffen.

Zu diesem Dokument verweise ich ferner auf die Aussagen der Zeugen Hoeppner und Rößner.

In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, daß es die Aufgabe des SD war, mit allen Behörden zusammenzuarbeiten. Dies ergibt sich aus den von mir überreichten Dokumenten SD-3 bis 8.

Über das Verhältnis des SD zur Partei hat sich der Zeuge Hoeppner eingehend geäußert.

Der SD hatte zwar die Aufgabe, die Partei zu unterrichten. Eine unmittelbare Verbindung zwischen Partei und SD hat jedoch nicht bestanden. Dies ergibt sich nicht nur aus den Bekundungen der Zeugen des SD (Dokument SD-15 a, Affidavit SD-27), sondern insbesondere auch aus den Angaben der von der Partei vernommenen Zeugen. Ich beziehe mich hierbei auf die Aussage von Kühl, von Rödern, Biedermann, Schneider, Lauterbacher, Hirth, Wolf. Der Zeuge Meyer-Wendeborn hat bekundet, daß sich der SD selbständig entwickelt und keinerlei Weisungen empfangen habe. Ich verweise ferner auf die Aussage des Zeugen Kaufmann, Gauleiter in Hamburg, der erklärt hat, er habe gewußt, was in seinem Gau geschah mit Ausnahme dessen, was die Staatspolizei und der SD taten.

Die Anklagebehörde hat zur Unterstützung ihrer Behauptung, daß der SD Wahlzettel im geheimen gekennzeichnet habe, um so imstande zu sein, die Identität von Personen festzustellen, die Nein-Stimmen und ungültige Wahlzettel in der Volksabstimmung abgaben, ein weiteres Dokument der Außenstelle Erfurt vom Mal 1938 vorgelegt (Dokument GB-541). Auch bei diesem Dokument ist darauf hinzuweisen, daß es sich um eine Außenstelle, mithin um eine untergeordnete Dienststelle handelt, wobei im Hinblick auf das von mir vorgelegte Dokument SD-69 gleichfalls die Vermutung besteht, daß gegen die Personen, die Nein-Stimmen abgegeben haben, überhaupt nichts veranlaßt worden ist. Hierauf allein kommt es jedoch entscheidend an.

Diese beiden Dokumente reichen daher in keiner Weise aus, um den Beweis dafür zu erbringen, daß der SD allgemein die Aufgabe hatte, die Wahlen mit dem Ziel zu überwachen, Gegner einer Verschwörung unschädlich zu machen. Als Gegenbeweis dafür, daß es sich bei den Maßnahmen der Außenstellen Erfurt und Kochem um Tätigkeiten handelt, die völlig außerhalb der Tätigkeit des SD lagen, verweise ich auf das Affidavit Albert, SD-27, der in der Zentrale in Berlin nie irgendwelche Weisungen gegeben hat, bei Wahlen und Abstimmungen Wahlzettel im geheimen zu kennzeichnen.

Zwischen den Dokumenten Erfurt und Kochem besteht im übrigen kein Zusammenhang. Erfurt verlangt Meldung von vermutlichen Nein -Stimmen vor der Wahl. Kochem berichtet nach der Wahl, daß Personen des Wahlausschusses in einer kleinen Ortschaft des Außenstellenbereichs Wahlzettel gekennzeichnet haben. Dieser Wahlausschuß hat mit der SD-Außenstelle nichts gemeinsam.

Ich nehme ferner auf die von mir in der Sammelliste zusammengefaßten 196 eidesstattlichen Erklärungen für das gesamte deutsche Reichsgebiet Bezug, in denen bekundet worden ist, daß es nicht zu der Aufgabe des SD gehörte, Wahlzettel zu kennzeichnen oder ähnliche Handlungen vorzunehmen, um Nein- Wähler festzustellen. Derartige Weisungen und Befehle seien von der Zentrale nie erteilt worden.

Die Anklagebehörde hat weiter vorgetragen, der SD habe unmittelbar maßgeblichen Einfluß auf die Auswahl von Nazi-Führern besessen, und als Beweismittel hierfür das Affidavit von Dr. Höttl – Dokument 2614-PS – vorgelegt. In dem von mir überreichten Ergänzungsaffidavit SD-27 hat Höttl erklärt, daß der SD keinen unmittelbaren Einfluß auf die Auswahl der Nazi-Führer hatte. Ich nehme weiter Bezug auf Affidavits SD-4 bis 10 und 39, 61 und 63 sowie auf die in der Sammelliste zusammengefaßten eidesstattlichen Erklärungen (SD-70).

Ferner ist von der Anklagebehörde behauptet worden, daß der SD die Treue und Verläßlichkeit von Staatsbeamten geprüft habe. Insoweit nehme ich auf die Aussage der Zeugen Höngen, Rößner und auf die Affidavits SD-3, 7, 8, 9, 61, 63 sowie auf das Dokument SD-14 und auf die in der Sammelliste zusammengefaßten eidesstattlichen Erklärungen (SD-70) Bezug.

Für die Ziele, Aufgaben und Methoden des angeklagten Amtes III berufe ich mich auf die Ausführungen in den von mir als Dokument SD-70 vorgelegten Handbuch des Obersten Hauptquartiers der Vereinten Nationen vom April 1945. Dort heißt es:

»Der SD unterhielt für seine Zwecke ein Netz von Nachrichtenmännern auf allen Gebieten des deutschen Lebens« – es fehlen einige Worte –, »die aus allen sozialen Schichten und Berufen herangezogen wurden. Die von diesen Nachrichtenmännern gelieferten Informationen wurden zu Lageberichten verarbeitet...

Diese Berichte sind außerordentlich freimütig und enthalten ein vollständiges und ungeschminktes Bild von der Stimmung und Haltung in Deutschland...«

Daß diese Angaben den tatsächlichen Sachverhalt richtig wiedergeben, ergibt sich auch aus den von mir in der Sammelliste zusammengestellten 649 eidesstattlichen Erklärungen von ehemaligen haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern, Vertrauensmännern für Gesamt- und Teilbereiche des deutschen Reichsgebietes.

Die Ziele, Aufgaben und Tätigkeiten des Amtes VI ergeben sich aus den Affidavits SD-61, 62 und 66 sowie aus dem Dokument SD-1. Wegen des Amtes VI verweise ich insbesondere auf das Affidavit SD-66.

Ich komme zum Abschnitt B:

Verbrechen gegen den Frieden; Statement of evidence V des englischen Trial-Briefes gegen Gestapo und SD.

Als Verbrechen gegen den Frieden wird dem SD vorgeworfen, er habe vor Ausbruch des Krieges sogenannte Grenzzwischenfälle künstlich geschaffen, um Hitler eine Ausrede zu geben, den Krieg zu beginnen. Die Anklagebehörde hat jedoch lediglich einen Grenzzwischenfall vorgetragen, an dem der SD beteiligt gewesen sein soll. Es handelt sich um den angeblichen Anschlag auf den Gleiwitzer Sender.

Die Anklagebehörde hat sich hierbei auf die eidesstattliche Erklärung von Alfred Naujocks vom 20. November 1945 berufen. Es ist dies das Anklagedokument 2751-PS. Der Aussteller dieses Dokuments, Alfred Naujocks, ist vor der Kommission vernommen worden. Bei dieser Vernehmung hat Naujocks erklärt, daß die Ausführung des Anschlages auf den Gleiwitzer Sender nicht zu den Zielen und Aufgaben der Ämter III und VI gehörte.

Der Zeuge hat weiter bekundet, daß auch keine Teile der Ämter III und VI zur Ausführung des Grenzzwischenfalls in Gleiwitz verwendet worden sind und daß die Männer, die zusammen mit ihm den Anschlag auf den Gleiwitzer Sender ausgeführt haben, nicht dem SD, Amt III, angehörten.

Der Zeuge hat ferner erklärt, daß er mit dem Ausdruck »SD-Männer« in seinem Affidavit vom 20. November 1945 keine Angehörigen irgendeines bestimmten Amtes des Reichssicherheitshauptamtes gemeint habe, sondern unter SD-Männer seien im Sprachgebrauch des Reichssicherheitshauptamtes Angehörige aller Dienststellen und Ämter, die Heydrich unterstanden, zu verstehen gewesen.

Ferner hat der Zeuge angegeben, daß er nicht auf Grund seiner Zugehörigkeit zum Amt VI und seiner dortigen Tätigkeit mit der Ausführung des Grenzzwischenfalles in Gleiwitz betraut worden ist, sondern hierfür lediglich persönliche Gründe entscheidend waren. Der Zeuge hat bekundet, daß er auf Grund der Unterredung, die er mit Heydrich hatte, den Eindruck gewonnen hatte, daß Heydrich ihm auch dann den Auftrag erteilt hätte, wenn er nicht dem Amt VI und nicht der SS angehört hätte. Der Befehl zur Ausführung dieses Auftrages ist dem Zeugen Naujocks nicht auf dem Dienstweg über die Amtschefs III oder VI erteilt worden. Die Amtschefs der Ämter III und VI hatten von dieser Tätigkeit keine Kenntnis.

Die Angehörigen des SD, Amt III und VI, hatten keine Kenntnis davon, daß dieser Anschlag von Naujocks, einem Angehörigen des Amtes VI, ausgeführt worden ist. Insbesondere hatten auch die Angehörigen des für Gleiwitz örtlich zuständigen SD-Leitabschnittes und der Außenstelle des SD von seiner Tätigkeit keine Kenntnis, und haben auch keine Kenntnis haben können, weil es Naujocks verboten war, mit irgendeinem Angehörigen des SD in diesem Gebiet irgendwie Fühlung zu nehmen.

Die Angaben dieses Zeugen sind bestätigt worden durch den Zeugen Somman und durch das Affidavit SD-11 von Dr. Marx.

Ich habe ferner 215 eidesstattliche Erklärungen für die Dienststelle des Reichssicherheitshauptamtes sowie für sämtliche Bereiche der SD-Leitabschnitte und Abschnitte, insbesondere auch für die Bereiche Kattowitz, Danzig und Sachsen vorgelegt. In diesen eidesstattlichen Erklärungen ist bekundet worden, daß die Angehörigen des SD zu keiner beweiserheblichen Zeit von den vorgetäuschten Grenzzwischenfällen oder einer Beteiligung des SD an diesen Grenzzwischenfällen Kenntnis hatten.

Die eidesstattliche Erklärung des Zeugen Dr. Mildner (2479-PS) wird durch die Bekundung des Zeugen Naujocks und das Affidavit SD-11, Dr. Marx, widerlegt.

Diese Sachlage reicht nicht aus, um den SD für verbrecherisch zu erklären, denn dann müßte nachgewiesen werden, daß der SD als Organisation zum Überfall verwendet worden ist und die Angehörigen hiervon Kenntnis gehabt haben.

Die Anklagebehörde hat ferner das Dokument USSR-509 überreicht zum Beweis dafür, daß der SD an den Vorbereitungen für eine gewaltsame Lösung der Probleme der Tschechoslowakei beteiligt gewesen sei. Das erste Schreiben mit dem Zeichen III 225 ist ein Entwurf, der kein Aktenzeichen und kein Datum trägt und nur von dem Sachbearbeiter gezeichnet ist, der den Entwurf gefertigt hat. Seine weiteren Vorgesetzten haben den Entwurf nicht gezeichnet, sondern abgelehnt.

Das weitere Schreiben dürfte für die Organisation SD schon aus dem Grunde unerheblich sein, weil nicht nachgewiesen ist, daß diese Tätigkeiten sämtlichen Mitgliedern bekanntgeworden sind. Aus dem Schreiben ist zu entnehmen, daß dies offensichtlich nicht der Fall war.

Die Anklage hat in der Hauptverhandlung am 2. August 1946 behauptet, daß in dem Dokument auch die Vorbereitung zu Liquidierungen vorgesehen sei. Dies trifft nicht zu, wie sich aus der Seite 7 des ersten Schreibens des Dokuments ergibt.

Für die Entscheidung der Frage, ob der SD wegen der Tätigkeit der Einsatzgruppen für verbrecherisch erklärt werden kann, sind folgende Fragen zu prüfen:

Erstens: Gehörten die im Osten bei den Heeresgruppen eingesetzten Einsatzgruppen A, B, C und D zu der Organisation der Ämter III, VI oder VII?

Zweitens: Sind Teile dieser Ämterorganisation bei diesen Einsatzgruppen verwendet worden?

Drittens: Sind durch die Ämter III, VI oder VII Befehle an die Einsatzgruppen gegeben worden, zur Begehung von Verbrechen gegen die Kriegsgesetze und die Menschlichkeit?

Viertens: Hatten die Angehörigen des Inlandsnachrichtendienstes, Amt III, oder des Auslandsnachrichtendienstes, Amt VI, von einer Tätigkeit der Einsatzgruppen Kenntnis, die Verbrechen im Sinne des Statuts sind?

Ich muß zunächst einen Irrtum richtigstellen. Die Einsatzgruppen sind wiederholt in diesen Verfahren und vor der Kommission, und zwar bis in die jüngste Zeit, als Einsatzgruppen des SD bezeichnet worden. Ich verweise insbesondere als Beispiel auf das Protokoll Keitel, Dr. Best, Hauser, von Manstein.

Diese Bezeichnung ist falsch.

Die vier im Osten eingesetzten Einsatzgruppen führten die Bezeichnung A, B, C, D; ihnen unterstanden die Einsatzkommandos, die die Bezeichnung 1 bis 12 führten. Das Wort »SD« kommt somit weder in der Bezeichnung der Einsatzgruppen noch der Einsatzkommandos vor. Hierzu bestand auch keine Veranlassung; denn nach der von der Anklagebehörde vorgelegten Aufstellung waren nur 3 Prozent der Angehörigen Mitglieder des SD, Amt III oder VI. Die Angehörigen des SD kamen der Stärke nach erst an achter Stelle. Ich verweise insoweit auf die Aufstellung im Anklagedokument L-180.

Die Bezeichnung der Einsatzgruppen ergibt sich auch aus dem Verteiler des Anklagedokumentes D-569. Daraus ist die Gliederung zu ersehen. Der Einsatzgruppe A unterstanden die Einsatzkommandos 1 a, 1 b, 2, 3; der Einsatzgruppe B unterstanden die Einsatzkommandos 7 a, 7 b, 8, 9, Moskau; der Einsatzgruppe C: 4 a, 4 b, 5, 6; der Einsatzgruppe D: 10 a, 10 b, 11 a, 11 b und 12.

Die Aufstellung der Einsatzgruppen ist nicht von den Ämtern III, VI oder VII, sondern von Himmler auf Grund einer Vereinbarung mit dem OKH befohlen worden. Ich verweise insoweit auf die Aussagen Dr. Best, Schellenberg, Ohlendorf, auf das Dokument US-557 und auf die Affidavits SD-41 und SD-46. Die Beweisaufnahme hat ferner ergeben, daß die Einsatzgruppen und Einsatzkommandos nicht den Ämtern III, VI oder VII unterstanden. Ich verweise auch hier auf das Dokument US-557, Affidavit SD-41, SD-44, SD-46, auf das Sitzungsprotokoll vom 3. Januar 1946 (Band IV, Seite 346 und 378) auf das Anklagedokument L-180, Seite 2 und 3, auf das Sitzungsprotokoll vom 5. Juni 1946 und auf das Dokument 2620-PS.

Berücksichtigt man hierbei insbesondere die Zusammensetzung der Einsatzgruppen, die sich aus dem Sitzungsprotokoll vom 20. Dezember 1945 (Band IV, Seite 246) ergibt, so wird man sagen müssen, wie es von dem Zeugen Hoeppner bekundet worden ist, und von dem Zeugen Bendt in der eidesstattlichen Erklärung SD-41 bestätigt wird, daß es sich hier um einen Personenzusammenschluß eigener Art handelt, der nicht zu den Organisationen der Ämter III, VI oder VII gehörte.

Die Beweisaufnahme hat auch ferner ergeben, daß zu den Einsatzgruppen und Einsatzkommandos keine Teile der Organisationen der Ämter III, VI oder VII verwendet worden sind, und daß die Ämter III, VI und VII keine Befehle in Bezug auf die von den Einsatzgruppen durchgeführten Massenvernichtungen erteilt haben. Ich verweise hier auf das Affidavit SD-61, auf das Affidavit SD-41, insbesondere auf die Antwort zu Ziffer 6 und Ziffer 9, auf das Affidavit SD-44, Ziffer 4 und 5. Es handelt sich bei den Einsatzgruppen und Einsatzkommandos um besondere Verbände, die in ihrer Zusammensetzung völlig von dem Aufbau der Sicherheitspolizei und des SD im Reichsgebiet abwichen. Ich nehme hierbei Bezug auf die Aussage der Zeugen Ohlendorf und Hoeppner, auf die Affidavits SD-41 und SD-46. Der Zeuge Best (Sitzungsprotokoll vom 31. Juli 1946) hat hierzu bekundet: Sie waren sicherheitspolizeiliche Einheiten eigener Art.

Es sind – was für die Frage ob die Organisation als verbrecherisch erklärt werden kann, von entscheidender Bedeutung ist – keine Teile des SD Amt III, VI oder VII bei den Einsatzgruppen verwendet worden, sondern es sind lediglich einzelne Angehörige zu diesen Einsatzgruppen auf Grund einer gesetzlichen Anordnung kommandiert worden. In diesem Zusammenhang erscheint mir die eidesstattliche Erklärung von Höttl vom 10. April 1946 besonders wichtig. Ich betone, daß es sich hierbei um ein Anklagedokument handelt. Höttl hat in dem genannten Affidavit erklärt, daß die Mitgliedschaft der Angehörigen des SD während ihrer Zugehörigkeit bei den Einsatzgruppen ruhte.

Soweit Angehörige der Ämter III, VI und VII zu den Einsatzgruppen und Einsatzkommandos im Osten auf Grund gesetzlicher Anordnung kommandiert wurden, nehme ich wegen ihrer Aufgaben und Tätigkeiten auf die Aussage von Dr. Ehlich, von Manstein und auf das Affidavit SD-69 Bezug.

Die Auswahl der Angehörigen des Sicherheitsdienstes zu den Einsatzgruppen und Einsatzkommandos erfolgte nicht auf Grund ihrer Dienststellung und Diensttätigkeit in den Heimatdienststellen. Insoweit verweise ich auf die Aussage Ohlendorf (Sitzungsprotokoll vom 3. Januar 1946, Band IV, Seite 359) und die Affidavits SD-41 und SD-45.

Ich komme somit zu dem Ergebnis:

Erstens: Die Einsatzgruppen A, B, C, D gehörten nicht zum Inlandsnachrichtendienst Amt III, zum Auslandsnachrichtendienst Amt VI oder zum Amt VII.

Zweitens: Es sind keine Teile dieser Organisation hierzu verwendet worden, sondern einzelne Angehörige zu den Einsatzgruppen kommandiert worden.

Drittens: Das Rechtsverhältnis dieser Kommandierten war das gleiche wie zum Beispiel von Personen, die zum Wehrdienst einberufen wurden. Ihre Zugehörigkeit zu den Ämtern III, VI oder VII ruhte. Sie waren nicht mehr der Weisungsbefugnis ihrer Heimatdienststellen unterworfen.

Die nächsten Seiten lese ich nicht vor. Das ist 64, 65, 66, 67; die Seiten 68 bis 71 beziehen sich auf die Einsatzkommandos in Kriegsgefangenenlagern.

VORSITZENDER: Dr. Gawlik! Soweit der Gerichtshof versteht, leugnen sowohl die SS, als auch die Gestapo und der SD, für die Einsatzgruppen verantwortlich gewesen zu sein. Könnten Sie dem Gerichtshof also mitteilen, wer war für die Einsatzgruppen verantwortlich?

DR. GAWLIK: Die Einsatzgruppen unterstanden... Die Verantwortlichkeit ergibt sich aus meinen Ausführungen auf Seite 61. Ich verweise hierfür auf die Aussagen von Dr. Best, Schellenberg, Ohlendorf und auf das Dokument...

VORSITZENDER: Dr. Gawlik! Der Gerichtshof möchte gern wissen, wer Ihrer Ansicht nach für die Einsatzgruppen verantwortlich war. Wir wünschen keinen Hinweis auf eine Unzahl von Dokumenten und Zeugen; wir wollen Ihre Ansicht hören.

DR. GAWLIK: Die Einsatzgruppen waren meiner Ansicht nach Organisationen besonderer Art, die einmal Himmler unmittelbar unterstanden, und im übrigen gehen die Aussagen der Zeugen auseinander, inwieweit sie den Oberbefehlshabern unterstanden. Ein Teil der Zeugen hat bekundet, daß sie den Oberbefehlshabern unterstanden hätten, ein Teil der Zeugen hat dies bestritten. Zu dieser Frage kann ich keine Stellung nehmen.

VORSITZENDER: Wäre es Ihrer Ansicht nach möglich gewesen, daß Himmler diese Einsatzgruppen ohne irgendeine Organisation kontrollierte, und wenn nicht, welche Organisation kontrollierte dann die Einsatzgruppen?

DR. GAWLIK: Die Einsatzgruppen hatten ja einen Chef und dieser ist aus dem Anklagedokument L-180 ersichtlich, das ist der Stahlecker-Bericht. Stahlecker war Chef der Einsatzgruppe A und der hat den Bericht, der gefunden worden ist, wohl Himmler unmittelbar geschickt, so daß ich daraus entnehmen möchte, daß die Chefs der Einsatzgruppen unmittelbar Himmler unterstanden. Das war eine Nebenorganisation neben dem Reichssicherheitshauptamt für die besetzten Gebiete. Ich darf Euer Lordschaft...

VORSITZENDER: Könnten Sie dem Gerichtshof sagen, aus was für Leuten die Einsatzgruppen bestanden? Bestanden sie aus SS-, SA- oder SD-Leuten, oder aus Männern der Wehrmacht?

DR. GAWLIK: Euer Lordschaft! Die Zusammensetzung ergibt sich aus dem Sitzungsprotokoll vom 20. Dezember 1945, Band IV, Seite 246. Ich habe sie nicht mehr genau im Kopf, Euer Lordschaft. Ich weiß es nur, es waren drin Waffen-SS, Kriminalpolizei, Staatspolizei, SD...

VORSITZENDER: Sie sprechen zu schnell. – Waffen-SS?

DR. GAWLIK: Waffen-SS, Kriminalpolizei, Staatspolizei, SD; dann sind auf dieser Seite – soweit ich mich erinnere – angeführt Kraftfahrer, ich glaube Dolmetscher. Kann ich aber nicht genau sagen. Die einzelnen Gruppen sind auf dieser Seite, Euer Lordschaft, genau angegeben. Es ist...

VORSITZENDER: Das letzte hier ist NSKK. Was haben Sie dann gesagt?

DR. GAWLIK: Nein, nicht, Euer Lordschaft, nicht NSKK.

VORSITZENDER: Waffen-SS, Kriminalpolizei...

DR. GAWLIK: Ja.

VORSITZENDER: Staatspolizei?

DR. GAWLIK: Ja.

VORSITZENDER: SD?

DR. GAWLIK: Ja.

VORSITZENDER: NSKK?

DR. GAWLIK: Nein, Kraftfahrer.

VORSITZENDER: Gut, ich habe NSKK ausgestrichen.

DR. GAWLIK: Euer Lordschaft, es ist ein Irrtum. NSKK ist nicht daran beteiligt.

VORSITZENDER: Ich habe NSKK ausgestrichen. Kommt dann noch irgend jemand sonst, vielleicht Gestapo?

DR. GAWLIK: Jawohl, Gestapo. Euer Lordschaft, Staatspolizei und Gestapo ist das gleiche. Dolmetscher steht in dem Dokument. Das waren, glaube ich, die Hauptgruppen. Ich kann es im Augenblick nicht genau sagen, Euer Lordschaft; ich habe es nur in Erinnerung.

VORSITZENDER: Danke.

DR. GAWLIK: Verzeihung, Euer Lordschaft! Wollten Euer Lordschaft wissen die Chefs der Einsatzgruppen oder die Mitglieder?

VORSITZENDER: Ich meine die Mitglieder.

DR. GAWLIK: Jawohl, das ist richtig. Euer Lordschaft; ich wollte noch sagen, es waren insgesamt 1000 bis 1200 Mann bei den vier Einsatzgruppen.

VORSITZENDER: Wie viele, sagen Sie?

DR. GAWLIK: 1000 Mann bis ungefähr 1200. Und vom SD waren davon 3 Prozent, das ergibt sich auch aus dem Dokument. Es ist das Dokument L-180. Dort ist alles zusammengestellt.

VORSITZENDER: Wir wollen nun eine Pause einschalten.