»Kugel«-Erlaß.
Auch für die Durchführung des »Kugel«-Erlasses war der SD-Inland, Amt III, nicht zuständig und ist hierfür nicht verwendet worden. Die Verantwortung und Zuständigkeit dieses Erlasses ist bereits von dem Verteidiger des Angeklagten Göring (Plädoyer Göring) richtig dargestellt worden. Es ist dargelegt, daß Hitler in Abwesenheit von Keitel den Befehl zur Erschießung an Himmler gab, der den Befehl an Müller und Nebe unmittelbar weiterleitete. Müller war Amtschef der Geheimen Staatspolizei, Nebe war Amtschef der Kriminalpolizei. Daraus ergibt sich, daß für die Durchführung des Befehls die Staatspolizei und die Kriminalpolizei zuständig waren.
Dies ergibt sich auch eindeutig aus dem Dokument D-569 nebst der Anlage. Es handelt sich um den Erlaß des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD vom 11. Dezember 1941 nebst einer Verfügung des Oberkommandos der Wehrmacht vom 22. November 1941.
In dem Erlaß vom 11. Dezember 1941 ist angeordnet worden, daß die sowjetischen Kriegsgefangenen von den Staatspolizeileitstellen beziehungsweise von den Einsatzkommandos zu übernehmen seien. In dem Erlaß vom 22. November des Oberkommandos der Wehrmacht ist verfügt, daß flüchtige sowjetische Kriegsgefangene in jedem Falle der nächsten Dienststelle der Geheimen Staatspolizei zu übergeben seien. Die Abgabe an die Geheime Staatspolizei sei der Wehrmachtsauskunftsstelle zu melden.
Ich verweise ferner auf das Fernschreiben Müllers vom 4. März 1944 (Dokument 1650-PS, US-246), das nur an die Staatspolizeileitstellen und an die Inspekteure der Sicherheitspolizei und des SD gerichtet ist. In dem genannten Fernschreiben ist die Anordnung erteilt worden, daß die Staatspolizeileitstellen die Durchführung zu berichten haben. Es heißt dann weiter in Absatz 2 ausdrücklich, daß die Kriegsgefangenen der örtlich zuständigen Poilzeistelle zu übergeben seien. In Absatz 3 ist davon die Rede, daß wiederergriffene flüchtige britische und amerikanische Offiziere und nichtarbeitende Unteroffiziere in Polizeigewahrsam am Ort einer Staatspolizeidienststelle unterzubringen sind. Im Absatz 5 ist mitgeteilt, daß die Orts- und Polizeibehörden von diesem Erlaß unterrichtet worden sind. Die Ämter III und VI sind nicht benachrichtigt worden, was aber notwendig gewesen wäre, wenn sie an diesen Maßnahmen beteiligt gewesen wären.
Die Anklagebehörde hat die Beteiligung des SD offensichtlich daraus entnommen, daß der Amtschef der Gestapo, Müller, den Erlaß unter der Bezeichnung als Vertreter des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD herausgegeben hat. Aus diesen Titelbezeichnungen ist jedoch eine Beteiligung des SD nicht zu entnehmen.
Die Anklagebehörde hat sich dann weiter auf das Schreiben des Wehrkreiskommandos VI vom 27. Juli 1944 (Dokument 1514-PS) berufen. Auch aus diesem Dokument ergibt sich keine Beteiligung des SD. Im Kopf vor Ziffer 1 ist ausdrücklich von der Überstellung an die Gestapo die Rede. Unter Ziffer 1 a ist angeführt, daß der Lagerkommandant die Gefangenen der Geheimen Staatspolizei zu übergeben habe. In Ziffer 1 b wird bestimmt, daß die Gefangenen der nächsten Polizeidienststelle zu übergeben seien. In Ziffer 1 c heißt es, daß wiederergriffene Offiziere der Gestapo zu übergeben seien. In Ziffer 1 d wird bestimmt, daß arbeitsverweigernde sowjetische Offiziere der nächsten Staatspolizeistelle zu übergeben seien. Auch in den Ziffern e, g, 3, 4 ist nur davon die Rede, daß die Gefangenen der Gestapo zu übergeben seien. Das Dokument enthält in keiner Weise eine Anordnung, daß hieran auch der SD beteiligt war. In Ziffer 1 f sind die Aussonderungskommandos erwähnt, die hier als Einsatzkommandos der Sicherheitspolizei und des SD bezeichnet werden. Ich habe bereits ausgeführt, daß der Sicherheitsdienst auch an diesen Einsatzkommandos nicht beteiligt war. Es handelt sich somit offensichtlich um eine sprachliche Unrichtigkeit.
Auch die eidliche Erklärung des Willi Litzenberg (Dokument 2478-PS) ist ein Beweis dafür, daß an diesen Maßnahmen nur die Sicherheitspolizei beteiligt war. Der SD, Amt III, VI und VII, ist in diesem Schreiben überhaupt nicht erwähnt.
Die vor dem Tribunal durchgeführte Beweisaufnahme hat ergeben, daß der »Kugel«-Erlaß von der Geheimen Staatspolizei und der Kriminalpolizei durchgeführt worden ist und der SD hieran nicht beteiligt war. Ich verweise hier insbesondere auf die Aussagen des Generals Westhoff (Sitzungsprotokoll vom 10. April 1946, Band XI, Seite 181, 183, 187, 188, 189).
Ich verweise ferner auf die Aussage des Oberregierungs- und Kriminalrats der Kriminalpolizei Max Wielen, der zu der Erschießung der 50 englischen Fliegeroffiziere aus dem Lager Sagan vernommen worden ist, Wielen hat bekundet, daß die Erschießung durch Beamte der Geheimen Staatspolizei durchgeführt worden ist (Sitzungsprotokoll vom 10. April 1946, Band XI, Seite 214).
Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Aussage von Keitel. Keitel hat angegeben, Hitler habe befohlen, daß die Kriegsgefangenen nicht an die Wehrmacht zurückzugeben seien, sondern bei der Polizei zu bleiben hätten.
Ferner haben die Zeugen Rößner und Ehlich bekundet, daß der SD bei der Durchführung des »Kugel«-Erlasses weder beteiligt war noch davon Kenntnis hatte.
Für das Amt VI hat der frühere Amtschef Schellenberg unter SD-61 die gleiche Erklärung, und Dittel, zuletzt stellvertretender Amtschef VII, unter SD-63 dieselbe Erklärung abgegeben. Ich berufe mich ferner auf das Affidavit 56, in dem Fromm für das Generalgouvernement und auf die Aussagen Knochen, der für Frankreich die gleichen Erklärungen abgegeben hat.
Ich habe ferner 288 eidesstattliche Erklärungen vorgelegt, daß im gesamten Reichsgebiet, sowie im besetzten russischen Gebiet und in den besetzten Gebieten Frankreich, Lothringen, Italien, Tschechoslowakei, Jugoslawien und Polen der SD mit der Durchführung des sogenannten »Kugel«-Erlasses nichts zu tun hatte. Die Erklärungen umfassen den Zeitraum von 1939 bis 1945.