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Gewaltsame Beschlagnahme.

Aus dem Dokument 1015-PS ergibt sich einwandfrei, daß für die Beschlagnahme von öffentlichem und privatem Besitz in sämtlichen besetzten Gebieten der Einsatzstab Rosenberg zuständig war.

Die Anklagebehörde hat sich auf die Dokumente R-101, 071-PS und 2620-PS berufen. Aus dem Dokument R-101 ergibt sich, daß die Beschlagnahme von der Haupttreuhandstelle Ost angeordnet und durchgeführt worden ist. Aus dem Dokument 2620-PS, betreffend Einsatzgruppen A, B, C, D und Einsatzkommandos, ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß die Ämter III oder VI irgendwelche Beschlagnahme von öffentlichem oder privatem Besitz durchgeführt haben.

Aus dem Dokument 071-PS ist zu ersehen, daß die Beschlagnahme von Kunstgegenständen von der Polizei durchzuführen war. Es ist ausdrücklich von der »von der Polizei durchgeführten Beschlagnahmung« und von der »polizeilichen Bearbeitung« die Rede. Es heißt dann weiter, daß von der »Polizei« historische Werke und Urkunden angefordert werden. Weiter ist die Rede von Material, das die Polizei für ihre polizei-politischen Zwecke mit Recht für sich beschlagnahmt hat. Dieses Dokument ist wieder nur ein Beweis dafür, daß unter »SD« die Polizei verstanden wird, denn es heißt, daß die Beschlagnahmungen seitens des SD beziehungsweise der Polizei geschahen. Aus dem weiteren Inhalt ist zu ersehen, daß die Beschlagnahmungen nur von der Polizei durchgeführt worden sind. Wenn in diesem Dokument daher vom SD die Rede ist, so dürfte damit nur die Polizei gemeint sein.

Schon aus dem von der Anklagebehörde vorgelegten Beweismaterial ergibt sich, daß der SD an diesen von der Anklagebehörde behaupteten Strafhandlungen nicht beteiligt war. Ich verweise ferner auf die Aussage des Zeugen Dr. Rößner.

Ferner haben der Zeuge Franz Straub für Belgien und der Zeuge Knochen für Frankreich bekundet, daß die Beschlagnahme von Kunstschätzen nicht vom SD durchgeführt worden ist.

Ferner nehme ich Bezug auf die eidesstattliche Erklärung von Klauke (SD-15), der bekundet hat, daß das Amt III niemals Eigentum von Juden, Kommunisten, Freimaurern oder sonstigen politischen Gegnern beschlagnahmt hat. Außerdem hat Kutter an Eides Statt versichert (SD-20), daß es dem SD im Reichsgebiet grundsätzlich verboten war, irgendwelche Exekutivmaßnahmen, wozu auch die Beschlagnahmungen gehörten, vorzunehmen.

Für die Ämter VI und VII haben Schellenberg (SD-61) und Dittel (SD-63) erklärt, daß auch diese beiden Ämter keinerlei Beschlagnahmungen von öffentlichem und privatem Besitz durchgeführt haben.

Ich habe ferner 495 eidesstattliche Erklärungen vorgelegt, aus denen steh ergibt, daß der SD in der Zeit von 1934 bis 1945 im gesamten deutschen Gebiet sowie in den besetzten Gebieten von Elsaß, Frankreich, Rußland, Eupen-Malmedy, Polen, Italien, Lothringen, Luxemburg, Tschechei nicht zur Beschlagnahme und Aufteilung von öffentlichem und privatem Besitz verwendet worden ist.

Verhöre dritten Grades.

Der SD war auch für die Durchführung der Verhöre dritten Grades nicht zuständig.

Zum Beweis für die Behauptung hat sich die Anklage auf Dokument 1531-PS berufen. Aus den Aussagen und den von mir vorgelegten Dokumenten ergibt sich, daß der SD keine Exekutive hatte und daher keinerlei Verhöre, somit auch keine Verhöre dritten Grades durchführen konnte. Aus den Anklagedokumenten 1531-PS und L-89 ergibt sich, daß für die Durchführung der verschärften Vernehmung allein die Staatspolizei zuständig war. Die in dem Dokument 1531-PS enthaltenen Verfügungen vom 26. Oktober 1939 und 12. Juni 1942 tragen das Aktenzeichen IV und sind von Müller gezeichnet. Die Ämter III, VI und VII sind In diesem Schreiben auch nicht einmal nachrichtlich beteiligt. Auch das Schreiben des Kommandeurs der Sicherheitspolizei und des SD für den Distrikt Radom vom 24. Februar 1944 ist von der Abteilung IV A erlassen. Die in diesem Schreiben enthaltenen Anordnungen über die Handhabung der verschärften Vernehmung sind, wie in dem Text des Schreibens ausdrücklich erwähnt wird, lediglich an die Sicherheitspolizei im Generalgouvernement gerichtet. Es ist ferner in dem Schreiben ausdrücklich angeordnet, daß die Art und der Umfang der verschärften Vernehmung an die Abteilungsleiter IV und V, also an die Staatspolizei und Kriminalpolizei übertragen wird.

Der Zeuge Hoeppner hat bekundet, daß der SD überhaupt keine Verhöre durchführte. Er konnte daher auch keine Verhöre dritten Grades durchführen.

Aus der eidesstattlichen Erklärung Kutter (SD-20) ergibt sich, daß es sämtlichen SD-Angehörigen grundsätzlich verboten war, im Reichsgebiet irgendwelche exekutiven Verhöre durchzuführen.

Für Frankreich verweise ich auf das Protokoll über die Vernehmung des Zeugen Knochen, der erklärt hat, daß der SD in Frankreich nicht das Recht hatte, Verhöre oder Vernehmungen durchzuführen. Schellenberg und Dittel haben in den Affidavits SD-61 und SD-63 erklärt, daß auch die Ämter VI und VII nicht das Recht hatten, irgendwelche Verhöre durchzuführen.

Ferner habe ich 76 listenmäßig erfaßte eidesstattliche Erklärungen für die Zeit von 1934 bis 1945 vorgelegt für das deutsche Reichsgebiet, Polen, Tschechoslowakei, Jugoslawien und Rußland, aus denen sich ergibt, daß der SD keinerlei Verhöre, also auch nicht Verhöre dritten Grades, durchgeführt hat.

VORSITZENDER: Können Sie dem Gerichtshof sagen, was der SD nach Ihrer Meinung mit den Konzentrationslagern zu tun hatte?

DR. GAWLIK: Der SD hatte mit den Konzentrationslagern nichts zu tun, Euer Lordschaft. Man muß zweierlei unterscheiden: die Einweisung in das Konzentrationslager durch den Schutzhaftbefehl – der Schutzhaftbefehl wurde erlassen von der Geheimen Staatspolizei; dafür war der SD nicht zuständig – und zweitens die Verwaltung der Konzentrationslager. Die Konzentrationslager unterstanden dem Wirtschafts- Verwaltungshauptamt, Obergruppenführer Pohl. Das war eine selbständige Organisation neben dem Reichssicherheitshauptamt. Also, wenn der Schutzhaftbefehl durch die Geheime Staatspolizei erlassen wurde, dann kam der Häftling in den Machtbereich des Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes. Das Wirtschafts-Verwaltungshauptamt unterstand unmittelbar Himmler, genau wie das Reichssicherheitshauptamt.

VORSITZENDER: Sie sagen also daß das RSHA und Pohls Organisation und die Einsatzgruppen alle drei voneinander völlig unabhängig waren und Himmler unterstanden; ist das richtig?

DR. GAWLIK: Jawohl.

VORSITZENDER: Und welchen Namen hatte Pohls Organisation?

DR. GAWLIK: Wirtschafts-Verwaltungshauptamt.

VORSITZENDER: Wirtschafts- und was noch?

DR. GAWLIK: Wirtschafts-Verwaltungshauptamt.

Der Befehlsweg, Euer Lordschaft, in den Konzentrationslagern war: Himmler, Pohl und die Kommandanten der Konzentrationslager.

VORSITZENDER: Und Sie sagen, daß keine SS- oder SD-Leute oder Gestapo-Angehörige oder Sipo im Wirtschafts-Verwaltungshauptamt angestellt waren?

DR. GAWLIK: SD-Männer waren nicht im Wirtschafts-Verwaltungshauptamt, also keine SD-Männer im Sinne von Amt III und VI. Soweit ich im Bilde bin, waren auch einige Gestapo-Männer...

VORSITZENDER: Arbeitete niemand mit SD-Ärmelabzeichen in den Konzentrationslagern?

DR. GAWLIK: Das kann ich nicht genau sagen, Euer Lordschaft. Ich glaube es; das kann ich nicht sagen.

VORSITZENDER: Sie werden sich erinnern, daß eine große Anzahl von Beweismaterial darüber vorgebracht wurde, daß SD-Männer in Konzentrationslagern arbeiteten, und der Gerichtshof möchte gern Ihre Erklärung zu diesem Beweismaterial hören.

DR. GAWLIK: Ich kann mich nur erinnern, Euer Lordschaft, was wohl der Zeuge Milch gesagt hat; er sagte folgendes nach meiner Erinnerung: Der Kommandant war ein SD-Mann. Das muß auf einem Irrtum beruhen; denn die Ämter III und VI hatten damit nichts zu tun. Es kann möglich sein, daß diese Männer von den Konzentrationslagern zu der SS-Sonderformation »SD« gehörten; ich kann die Frage nicht mit Bestimmtheit beantworten, Euer Lordschaft. Ich kann es nur...

VORSITZENDER: Was war denn das für eine Sonderformation der SS, die »SD« genannt wurde?

DR. GAWLIK: Das waren alle Angehörigen des Reichssicherheitshauptamtes, aller sieben Ämter, Amt I, Amt II, Amt III Inlands-SD, Amt IV Gestapo, Amt V Kripo, Amt VI Auslandsnachrichtendienst, und Amt VII. Diese Angehörigen, die Mitglieder der SS oder Anwärter waren, wurden zusammengefaßt zur SS-Formation »SD«, damit sie nicht bei den örtlichen Stürmen der SS Dienst zu machen brauchten.

VORSITZENDER: Soweit ich Sie verstehe, sagen Sie, daß in der Abteilung des Reichssicherheitshauptamtes SS-Angehörige waren, die mit »SD« bezeichnet wurden?

DR. GAWLIK: Die Angehörigen, soweit die Mitglieder der SS angehörten; wenn also ein Gestapo-Beamter Mitglied der SS war, dann gehörte er der SS-Sonderformation »SD« an.

VORSITZENDER: Bitte fahren Sie fort, Dr. Gawlik.

DR. GAWLIK: Euer Lordschaft! Vielleicht darf ich hierzu folgendes noch sagen: Hinzukommt, daß im Ausland, in den Ostgebieten alle Angehörigen der Sicherheitspolizei, auch soweit sie nicht Mitglieder der SS waren, diese SS-Uniform mit dem SD-Abzeichen trugen.

Ich komme nun zu den Verbrechen gegen die Menschlichkeit, und zwar zu der Judenverfolgung; Statement of evidence VII des englischen Trial-Briefes gegen die Gestapo und SD.

Die strafrechtliche Verfolgung einzelner Personen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit war bisher im Völkerrecht unbekannt. Es war lediglich anerkannt, daß die Verletzung der Prinzipien der Menschlichkeit durch einen Staat andere Staaten zur Intervention berechtigte. Ich erwähne hier als Beispiel die Intervention Englands, Frankreichs und Rußlands gegen die Türkei im Jahre 1827, gegen die Balkanstaaten im Jahre 1878 und die Intervention wegen Unmenschlichkeiten in Armenien und Kreta im Jahre 1891 und 1896. (Fenwick; International Law, 1924, Seite 154 ff).

Dieses Interventionsrecht wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit war nicht allgemein anerkannt. So hält zum Beispiel Oppenheim, International Law, Band I, Seite 229 bis 237, eine Intervention, um im Interesse der Menschlichkeit religiöse Verfolgung und fortgesetzte Grausamkeiten im Krieg und Frieden zu beenden, für zweifelhaft. Nach Oppenheim sei als Regel anzuerkennen, daß Interventionen im Interesse der Menschlichkeit zulässig seien; sie müßten jedoch in kollektiver Form erfolgen. Diese Intervention richtet sich, entsprechend dem allgemeinen völkerrechtlichen Grundsatz, daß nur die Staaten Subjekte des Völkerrechts sind, nur gegen den Staat, in dessen Gebiet die Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen worden sind.

Das Statut bringt nunmehr insoweit etwas völlig Neues, als es die strafrechtliche Verfolgung einzelner Personen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit anordnet. Daher ist wohl auch nach Artikel 6 c des Statuts die Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen kein selbständiges Delikt. Es ist vielmehr erforderlich, daß diese Verfolgung in Ausführung eines Verbrechens oder in Verbindung mit einem Verbrechen, für das der Gerichtshof zuständig ist, begangen wird. Es genügt daher nicht, wenn die Anklagebehörde auf Seite 53 des Trial-Briefes gegen Gestapo und SD vorbringt, eine der Funktionen des SD sei es gewesen, der Gestapo Auskunft über die Juden zu verschaffen, vielmehr ist erforderlich, daß nachgewiesen wird, zu welchem Zweck diese Auskünfte erteilt worden sind.

Über die Bearbeitung der Judensachen beim SD sind von der Kommission die Zeugen Wisliceny und Dr. Ehlich vernommen worden. Wisliceny hat erklärt, daß das Amt III des Reichssicherheitshauptamtes kein Judenreferat gehabt habe. Beim SD hat es von 1936 bis 1939 in der Zentralabteilung II/1 ein Judenreferat gegeben. Dieses Judenreferat habe nicht den Zweck gehabt, die Ausrottung der Juden vorzubereiten.

Dr. Ehlich hat weiter bekundet, daß sich auch im Amt III kein Referat mit der Bearbeitung der Judenfrage befaßt habe, insbesondere auch nicht das Amt III B 3. Durch die Anordnung über die Abgrenzung der Aufgaben des Amtes III und der Aufgaben des Amtes IV war festgelegt, daß alle Judenfragen nur vom Amt IV zu bearbeiten seien.

Ferner verweise ich auf die Affidavits SD-27, SD-16 und SD-17. Für die Ämter VI und VII haben Schellenberg – SD-61 – und Dittel – SD-63 – erklärt, daß auch diese Ämter mit der Verfolgung der Juden nichts zu tun hatten. Es liegen ferner 259 Sammelerklärungen von ehemaligen SD-Angehörigen für das gesamte Reichsgebiet und für die Zeit von 1933 bis 1945 vor.

VORSITZENDER: Einen Moment. Sind irgendwelche dieser Affidavits, auf die Sie sich beziehen, übersetzt worden?

DR. GAWLIK: Nein, Euer Lordschaft! Es ist nur die Sammelerklärung übersetzt.

VORSITZENDER: Einige Ihrer Affidavits sind aber doch übersetzt worden?

DR. GAWLIK: Einige sind übersetzt, jawohl; aber diese 259 sind nicht übersetzt, Euer Lordschaft. Die sind in meiner Zusammenfassung enthalten, SD-70.

Für eine Beteiligung des SD an der Verfolgung der Juden im Jahre 1938 hat die Anklagebehörde drei Fernschreiben bezüglich antisemitischer Maßnahmen vom 10. November 1938, Dokument 3051-PS, vorgelegt. Hierzu verweise ich auf die von mir vorgelegten Affidavits SD-27, SD-16 und SD-53, wonach sich der SD an dem Judenpogrom im November 1938 in keiner Weise beteiligt hat. Ich verweise ferner auf 107 eidesstattliche Erklärungen aus dem gesamten Reichsgebiet, daß der SD an dem Pogrom nicht beteiligt war.

Wenn in dem Affidavit Gestapo-14 davon gesprochen wird, daß die Angehörigen der SD-Dienststelle Magdeburg wegen Beteiligung an den Ausschreitungen verhaftet, bestraft und in ein KZ eingewiesen wurden, so spricht dies

erstens: dafür, daß der SD keine Weisungen hatte, sich an dem Pogrom zu beteiligen und

zweitens: dafür, daß, wo dies geschehen ist, gegen die beteiligten Angehörigen des SD eingeschritten worden ist.

Die Beweisaufnahme hat auch nicht ergeben, daß der SD, die Ämter III und VI des Reichssicherheitshauptamtes, an der Vernichtung der Millionen von Juden beteiligt war. Alle jüdischen Angelegenheiten wurden vom Amt IV, und zwar vom Referat Eichmann bearbeitet. Eichmann gehörte dem Amt IV an und war Leiter des Referats IV B 4. Dies ergibt sich aus den von der Anklagebehörde überreichten Geschäftsverteilungsplänen des Reichssicherheitshauptamtes vom 1. Januar 1941 und 1. Oktober 1942. Es sind dies die Dokumente L-185 und L-219.

Der Befehlsweg für die Massenvernichtung der Juden war: Hitler, Himmler, Müller und Eichmann. Aus keiner Zeugenaussage ergibt sich, daß die Ämter III, VI und VII oder Dienststellen dieser Ämter bei der Vernichtung der Juden mitgewirkt haben. Ich verweise hierzu im einzelnen auf die Aussage Wisliceny, wonach keine Verbindung zwischen dem Referat Eichmann und den Ämtern III, VI und VII bestand, und ferner auf das Protokoll Dr. Hoffmann. Hoffmann hat erklärt, daß für die Deportation das Amt IV zuständig gewesen sei und Eichmann die Verantwortung für die Endlösung der Judenfrage hatte.

Auch in den besetzten Gebieten wurden alle Angelegenheiten der Juden vom Amt IV, Referat Eichmann, behandelt. Aus dem von der Anklagebehörde vorgelegten Dokument RF-1210 ergibt sich aus dem Aktenzeichen IV J, daß die Judenfragen in Frankreich durch ein Referat des Amtes IV bearbeitet wurden. Dies wird bestätigt durch die Aussagen des Zeugen Knochen und das von mir vorgelegte Affidavit Laube, SD-54. Daraus ergibt sich insbesondere, daß der von Eichmann nach Frankreich entsandte Hauptsturmführer Dannecker gleichfalls dem Amt IV angehörte und seine Weisungen unmittelbar von Eichmann erhielt. Es bestand demnach keine Verbindung der Ämter III und VI mit dem Judenreferat, mit dem Referat Eichmann.

Der Zeuge Dr. Hoffmann hat für Dänemark und Holland bekundet, daß der Abtransport der Juden aus diesen Bereichen von der Dienststelle Eichmann allein bearbeitet worden sei.

Darüber hinaus hat Wisliceny vor diesem Tribunal am 3. Januar 1946 umfangreiche Ausführungen darüber gemacht, daß auch die Deportation der Juden in den Balkanländern durch das Referat Eichmann durchgeführt wurde.

Die Verhandlung hat in keiner Weise ergeben, daß der SD, Amt III, VI oder VII in irgendeiner Weise die Dienststelle Eichmann unterstützt hat.

VORSITZENDER: Einen Augenblick. Dann ist dies noch eine Organisation, die direkt Himmler verantwortlich ist, diese Abteilung Eichmann! Sie haben uns das RSHA, die Pohl-Organisation und noch eine Organisation, deren Namen ich im Augenblick vergessen habe, genannt... oh, die Einsatzgruppen; das sind nun drei Organisationen, die vollständig außerhalb der SS, des SD oder der SA waren, und jetzt bringen Sie noch eine vor, und zwar die Organisation Eichmann.

DR. GAWLIK: So ist die Rechtslage nicht wie bei diesen drei Organisationen, die ich angeführt habe. Eichmann war immerhin im Amt IV. Aber es ist vielleicht besser, wenn mein Kollege Merkel diese Frage beantwortet. Ich möchte meinem Kollegen Merkel, dem Verteidiger der Gestapo, nicht vorgreifen. Eichmann hatte ein Referat im Amt IV in der Gestapo.

VORSITZENDER: Bitte fahren Sie fort.

DR. GAWLIK: Es ist nun richtig, daß Eichmann und eine Reihe anderer Personen, die in dem Referat Eichmann im Amt IV gearbeitet haben, vorher im SD tätig waren. Wisliceny hat hierüber vor dem Tribunal bekundet, daß diese Personen zum Teil zum Amt IV kommandiert, zum Teil aber auch versetzt waren. Ihre Befehle erhielten sie ausschließlich vom Amt IV. Der Zeuge Hoffmann hat erklärt, daß Eichmann vom SD zur Gestapo versetzt worden sei.

Die Tatsache, daß Personen, bevor sie im Referat Eichmann tätig waren, im SD beschäftigt waren, dürfte in keiner Weise ausreichen, um den SD als eine verbrecherische Organisation zu erklären. Durch die Übernahme, aber auch schon durch die Kommandierung in das Amt IV waren diese Personen aus der Tätigkeit des SD vollkommen ausgeschieden.

Entscheidend ist, ob die Judenvernichtung zu den Zielen und Aufgaben der Ämter III, VI oder VII gehörte. Gerade daraus, daß diese Personen aus ihrer Tätigkeit im SD ausschieden und in das Amt IV übernommen wurden, ergibt sich zwingend, daß diese Tätigkeit nicht zu den Zielen und Aufgaben des SD gehörte. Im übrigen kommt noch hinzu, daß dem größten Teil der Angehörigen der Ämter III, VI und VII unbekannt war, daß einzelne Personen, die früher beim SD tätig waren, nunmehr bei der Endlösung der Judenfrage im Amt IV beschäftigt wurden.

Ich komme nunmehr zu der Kirchenverfolgung.

Die Anklagebehörde hat hierzu vorgetragen, Gestapo und SD seien führende Ämter für die Verfolgung der Kirchen gewesen, der SD habe verdeckte Ziele mit Scheinverfahren gegen die Kirchen verfolgt, der SD habe mit der Gestapo zusammengearbeitet, der SD habe die Kirche in ihrer Opposition zum Nazi-Staat behandelt, die Verfolgung der Kirchen sei einer der grundlegenden Vorsätze des SD gewesen (Sitzungsprotokoll vom 3. Januar 1946, Band IV, Seite 343).

Ich bin der Ansicht, daß diese allgemeinen Behauptungen nicht ausreichen, um den SD wegen Verfolgung der Kirchen für verbrecherisch zu erklären. Artikel 6 c des Statuts spricht nicht von Verfolgung der Kirchen, sondern von Verfolgung aus religiösen Gründen.

Die von der Anklagebehörde vorgelegten Urkunden, die lediglich allgemein die Behauptung enthalten, die Kirchen seien verfolgt worden, genügen somit nicht. Vielmehr hätte dargelegt werden müssen, daß diese Verfolgung aus religiösen Gründen erfolgt.

Einer Erklärung wird ferner der Begriff »Verfolgung« bedürfen. Hierunter wird nicht jede Maßnahme zu verstehen sein, die gegen Angehörige der Konfessionen seitens des Staates getroffen worden ist. Vielmehr wird hierbei von dem Begriff der Menschenrechte auszugehen sein. Das Statut definiert nicht, was als Verletzung der Menschenrechte aus religiösen Gründen zu verstehen ist.

Eine Anzahl Schriftsteller des Völkerrechts, zum Beispiel Bluntschli, Martens, Bonfils und andere, verstehen hierunter das Existenzrecht, das Recht auf Schutz der Ehre, des Lebens, der Gesundheit, der Freiheit, des Eigentums und der freien Religionsausübung.

Ich verweise hierzu auf Oppenheim, International Law, Band I, Seite 461. Nur eine Verletzung dieses Rechtes aus...

VORSITZENDER: Behaupten Sie, Deutschland hatte das Recht, außerhalb der Reichsgrenze die dortigen Kirchen so zu behandeln, wie Deutschland es für richtig hielt; zum Beispiel in Rußland, in der Sowjetunion? Behaupten Sie, Deutschland durfte die Kirche und Kircheneigentum so behandeln, wie es Deutschland für richtig erschien, auch wenn es nicht mit dem Völkerrecht übereinstimmte?

DR. GAWLIK: Man muß unterscheiden die Verhältnisse innerhalb Deutschlands und die Verhältnisse außerhalb Deutschlands; außerhalb Deutschlands gelten die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts. Meine Ausführungen beziehen sich auf die Verhältnisse in Deutschland. Dem SD ist auch, und zwar insbesondere in dem Dokument 1815-PS – das ist ein Dokument aus Aachen – die Kirchen Verfolgung innerhalb von Deutschland vorgeworfen worden. Das muß man meiner Ansicht nach streng unterscheiden; und das, was ich sagte, bezog sich nur auf die Verhältnisse innerhalb Deutschlands.

Nur eine Verletzung dieses Rechtes aus religiösen Gründen wird daher unter diese Strafbestimmung fallen.

Die Beweisaufnahme hat zu diesem Anklagepunkt folgendes ergeben:

Der Zeuge Rößner hat bekundet, daß seit dem Bestehen des Amtes III keine Kirchenfragen, sondern nur allgemeine Fragen des religiösen Lebens in der Weise bearbeitet worden und, daß die religiösen Strömungen, Wünsche und Sorgen aller Bevölkerungskreise erfaßt wurden, ohne die konfessionellen Bekenntnisse im Sinne einer Kirchenverfolgung zu beurteilen und polizeiliche Maßnahmen zu veranlassen oder zu unterstützen. Der Zeuge hat insbesondere auch angegeben, daß der SD keine Scheinverfahren zur Verfolgung der Kirchen durchgeführt hat. Der Zeuge Dr. Best, ein Zeuge für die Gestapo, hat ausgesagt, daß die polizeiliche Behandlung kirchlicher Einzelfälle Aufgabe der Stapo gewesen sei. Nach den Angaben des Zeugen Rößner war der Erlaß vom 12. November 1941, der anordnete, daß die Kirchensachbearbeitung vom Amt III völlig auf das Amt IV übergehen solle, nur der formale Abschluß eines längst bestehenden Zustandes.

Für die Zeit vor 1939 nehme ich Bezug auf die eidesstattlichen Erklärungen von Fromm (Affidavit SD-19) und insbesondere auf SD-55 von Theo Gahmann. Ich verweise ferner darauf, daß das englische Dokumentenbuch H, das sich mit der Kirchenverfolgung beschäftigt, keinerlei Belastungen des SD enthält. Die in diesem Dokumentenbuch enthaltenen Dokumente D-75, D-101, D-145, 848-PS, 1164-PS, 1481-PS, 1521-PS, waren rein polizeiliche Vorgänge.

VORSITZENDER: Bitte fahren Sie fort.

DR. GAWLIK: Die Anklagebehörde hat das Dokument 1815-PS vorgelegt. Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, daß es lediglich einen örtlichen Vorgang aus dem Bezirk der Staatspolizeistelle in Aachen wiedergibt. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß diese Aachener Vorgänge auf das Reich verallgemeinert werden können. Sämtliche Tatsachen, die in diesem Schreiben enthalten sind, stammen von der örtlichen Staatspolizeistelle Aachen oder vom Amt IV Berlin. Es ist kein Schreiben darin enthalten, das vom SD stammt oder an den SD gerichtet ist. Schon diese Tatsache spricht gegen eine Zusammenarbeit zwischen SD und Gestapo, denn dann hätte dieser umfangreiche Vorgang auch irgendwelche Schriftstücke mit Befehlen und Weisungen an den SD enthalten müssen. Einzelne Vorfälle sind in dem Dokumente überhaupt nicht enthalten. Aus der Tatsache, daß einzelne Angehörige des SD zur Kirchenbearbeitung des Amtes IV versetzt worden sind, ergibt sich die scharfe Aufgabentrennung. Der im Dokument 1815 (vergl. Aussage Rößner) enthaltene Erlaß vom 12. Mal 1941, also nach der Übernahme des SD auf kirchlichem Gebiet durch die Gestapo, worin für zahlreiche Stapostellen Befehl gegeben wird, endlich mit dem Ausbau eines geeigneten Nachrichtendienstes zu beginnen, besagt eindeutig, daß der SD – Amt III, keine Kirchenfragen bearbeiten durfte, daß der vom SD an die Gestapo abgegebene Nachrichtendienst für polizeiliche Aufgaben im Sinne einer Kirchenverfolgung unbrauchbar war und daß vor und nach diesem Zeitpunkt der SD keine Hilfsdienste für die Gestapo geleistet hat.

Ich habe ferner 259 eidesstattliche Erklärungen von SD-Angehörigen aus dem ganzen Reichsgebiet für die Zeit von 1935 bis 1945 vorgelegt, aus denen sich ergibt, daß der SD keine Kirchen verfolgt hat.

Ich glaube dargelegt zu haben, daß die von der Anklagebehörde beantragte kollektive Verurteilung sämtlicher Angehörigen der Ämter III und VI den Aufgaben und Tätigkeiten der Ämter III und VI nicht gerecht würde.

Sollte jedoch das Gericht entgegen meinen Ausführungen zu einer Verurteilung des SD kommen, so wird gerade im Hinblick auf das Gesetz Nummer 10 der Umfang des von der Entscheidung betroffenen Personenkreises genau zu begrenzen sein. Die allgemeine Bezeichnung »SD« dürfte wegen der Vielseitigkeit der Bedeutung dieses Wortes nicht genügen.

Es wird klarzustellen sein, ob von der Entscheidung betroffen werden:

erstens: Nur die Angehörigen der Ämter III und VI, die erst im September 1939 gegründet worden sind, oder auch die Angehörigen der Zentralabteilung II/1 des SD-Hauptamtes,

zweitens: nur die hauptamtlichen oder auch die ehrenamtlichen Angehörigen,

drittens: von den ehrenamtlichen nur die Mitarbeiter oder auch die Vertrauensmänner,

viertens: von den Vertrauensmännern nur die ständigen oder auch die, die gelegentliche Berichte geliefert haben,

fünftens: auch das technische Personal, Schreibkräfte, Kraftfahrer, Telephonistinnen und dergleichen.

Hoher Gerichtshof! Ihre Entscheidung wird ein Markstein in der Rechtsgeschichte sein, sie könnte aber auch ein Markstein in der Geschichte der Menschheit sein.

Das Streben der Völker geht nach Frieden. Sowohl die maßgebenden Politiker als auch die Vertreter der Rechtswissenschaft sind sich darüber einig, daß dieser Wunsch des Menschengeschlechtes nur durch ein unabhängiges, über den Staaten stehendes Gericht erfüllt werden kann.

James Brown Scott, der Präsident des amerikanischen Instituts für Internationales Recht, hat im Jahre 1926 in einem Vortrag nachgewiesen, daß die Geschichte der Menschheit nur die Geschichte von Einzelpersonen in einem großen Maßstab sei. In der Geschichte der Einzelpersonen hat das Selbsthilferecht einem Schiedsverfahren durch Parteivereinbarung Platz gemacht...

VORSITZENDER: Fahren Sie fort.

DR. GAWLIK:... und aus diesem hat sich später das richterliche Verfahren durch Ernennung von Richtern und Vollstreckung ihrer Urteile entwickelt.

Gewalt ist Gewalt – mag sie sich zwischen bewaffneten Männern ausdrücken oder aber zwischen ganzen Völkern, denen im Falle eines Krieges die letzten Hilfsmittel ihrer Regierung zur Verfügung stehen.

Die Völker befinden sich heute, wenn ihre Entwicklung mit der der Einzelperson verglichen wird, im Übergang vom Schiedsverfahren zum richterlichen Verfahren. Die Natur wiederholt sich von Tag zu Tag, von Generation zu Generation, mag es in Einzelpersonen oder in denjenigen Gruppen von Einzelpersonen geschehen, welche wir Staat oder Nation nennen. Das internationale Schiedsverfahren wird die Grundlage für das über den Staaten stehende richterliche Verfahren der Völkergemeinschaft sein, genauso, wie innerhalb der Völker das richterliche Verfahren sich aus dem Schiedsverfahren entwickelt hat.

Wir stehen vor dem Beginn dieser Epoche in der Geschichte der Völker, einer Epoche, die das Ende kriegerischer Auseinandersetzung bedeuteten, und damit den Wunschtraum aller Völker erfüllen würde. Das Internationale Militärtribunal könnte diese Aufgabe in der Weltgeschichte erfüllen...

VORSITZENDER: Dr. Gawlik! Ich habe die englische Übersetzung ihrer Rede vor mir liegen. Auf Seite 113 dieser Rede beziehen Sie sich unter »erstens« auf das SD-Hauptamt. Ich möchte gern wissen, was Sie mit SD-Hauptamt bezeichnen. Stimmen Ihre Seiten überein?

DR. GAWLIK: Jawohl, Euer Lordschaft! Das SD-Hauptamt bestand bis zum Jahre 1939. Das hatte folgende Abteilungen: römisch II, arabisch 1, das war »Gegnererforschung«, und diese Abteilung ist bei der Gründung des Reichssicherheitshauptamtes zur Geheimen Staatspolizei gekommen.

VORSITZENDER: Das SD-Hauptamt wurde also zur Gestapo überführt.

DR. GAWLIK: Nein, nicht das ganze Hauptamt, Euer Lordschaft. Bis zum Jahre 1939 gab es ein SD-Hauptamt und im September 1939 wurde das Reichssicherheitshauptamt gegründet. Das Reichssicherheitshauptamt besteht ja erst seit September 1939. Vorher war das SD-Hauptamt; das hatte verschiedene Abteilungen und eine Abteilung dieses SD-Hauptamtes kam zur Geheimen Staatspolizei als das Reichssicherheitshauptamt gegründet wurde. Das war die Abteilung II/1.

VORSITZENDER: Das SD-Hauptamt hörte also nach 1939 auf zu bestehen?

DR. GAWLIK: Jawohl; da hörte es auf und da wurde die Abteilung 11/2 zum Amt III im Reichssicherheitshauptamt.

VORSITZENDER: Sie sagen also, daß II/1, eine Abteilung des SD-Hauptamtes, zum RSHA überführt wurde. Es wurde dann dort II, oder Amt II des RSHA, nicht wahr?

DR. GAWLIK: Nein, Euer Lordschaft, das Amt II/1 kam zum Amt IV im Reichssicherheitshauptamt, zur Geheimen Staatspolizei. Die Abteilung 11/2 wurde das Amt III im Reichssicherheitshauptamt.

VORSITZENDER: Das SD-Hauptamt hörte also auf zu bestehen, und alles wurde auf die verschiedenen Ämter des RSHA verteilt?

DR. GAWLIK: Jawohl.

VORSITZENDER: Jawohl.

DR. GAWLIK: Wir stehen vor dem Beginn dieser Epoche in der Geschichte der Völker, einer Epoche, die das Ende kriegerischer Auseinandersetzung bedeutet und damit den Wunschtraum aller Völker erfüllen würde. Das Internationale Militärtribunal könnte diese Aufgabe in der Weltgeschichte erfüllen, wenn es durch seine Entscheidung zu erkennen gäbe, daß es das von den Politikern und der Rechtswissenschaft erstrebte, über den Völkern stehende Gericht sein will. Durch die kollektive Verurteilung der Mitglieder der Organisationen könnte dieses Ziel jedoch nicht erreicht werden, weil dadurch auch Unschuldige bestraft würden. Dieses Gericht kann nur auf dem Grundsatz aufgebaut werden: Keine Strafe ohne Feststellung der Einzelschuld.

VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß der Gerichtshof eine genaue Reihenfolge festgesetzt hat, und ich weiß nicht, wie weit die Übersetzung der verschiedenen Plädoyers fortgeschritten ist. Aber vielleicht können die Verteidiger der Organisationen uns sagen, wie weit ihre Reden übersetzt sind und welche sie jetzt am besten vortragen könnten.

Sind Sie das, Dr. Laternser?

DR. LATERNSER: Jawohl, Herr Präsident.

VORSITZENDER: Wir nehmen dann also jetzt das Oberkommando.

DR. LATERNSER: Soweit mir bekannt ist, ist die englische Übersetzung meines Plädoyers völlig hergestellt. Die französische liegt anscheinend auch zum größten Teil vor. Es ist ein Exemplar hier, wie ich sehe, und die russische Übersetzung... darüber ist mir nichts bekannt.

VORSITZENDER: Sehr gut. Bitte, Herr Dr. Laternser.

DR. LATERNSER: Euer Lordschaft! Meine Herren Richter! In der Geschichte der Völker sind nicht selten nach einem Krieg die militärischen Führer der unterlegenen Partei gerichtet worden.

Konnte man unterlegenen Feldherrn oder Generalen nicht Unfähigkeit oder Vernachlässigung ihrer militärischen Pflichten vorwerfen, so hat man sie des Verrates geziehen, politischer Ziele verdächtigt oder ihnen die Überschreitung der Kriegsregeln oder des Rahmens ihrer militärischen Befugnisse zum Vorwurf gemacht.

Eines ist allerdings zu bemerken: In der Regel gingen Verfahren und Urteile vom eigenen Staat, nicht von der Seite des feindlichen Siegers aus. Um für den letzten Fall Beispiele zu finden, muß man schon über 2000 Jahre in der Geschichte zurückgehen. Die Römer haben ihren Feind Jugurtha im Kerker erdrosselt und Hannibal mit ihrer Rache verfolgt, bis sie ihm an dem Hof seines Gastfreundes den Giftbecher in die Hand zwingen konnten. In der neueren Geschichte steht als Beispiel allein Napoleon I. vor uns, der, durch die Siegermächte verbannt, auf St. Helena verstarb, aber er wurde von den Siegerstaaten nicht zur Rechenschaft gezogen, weil er als französischer General seinem Lande gedient hatte, sondern weil er der Kaiser der Franzosen und damit das politische Oberhaupt seines Landes war. Hitler, zugleich Reichsoberhaupt wie Oberster Befehlshaber der Wehrmacht, hat sich der gerichtlichen Verantwortung durch den Tod entzogen. Da man ihn nun nicht mehr treffen kann, setzt die Anklage die höchsten militärischen Befehlshaber an die Stelle des obersten Befehlshabers und Staatsoberhauptes, stempelt sie kurzerhand auch zu politischen Führern und versucht auf diese Weise, sie zur Rechenschaft zu ziehen.

Dieses Verfahren ist allerdings erstmalig und einmalig in der Geschichte der Völker und wird wohl von allen Soldaten der Welt mit eigenen Gefühlen betrachtet werden.

Wenn die Beweisaufnahme – ich werde es noch im einzelnen darlegen – über irgend etwas völlige Klarheit gebracht hat, so ist es die Tatsache, daß die deutschen militärischen Führer ihr Land nicht beherrscht und es nicht in den Krieg getrieben haben, daß sie nicht Politiker waren, sondern nur – und vielleicht sogar zu sehr nur, das ist das tragische – Soldaten waren. Wären Sie Politiker gewesen, so wäre Deutschland nicht in diesen Abgrund geraten. Wenn man sich das vor Augen hält, so wird klar, daß diese Männer vor Gericht stehen in Wahrheit nur, weil sie als Soldaten ihrem Lande gedient haben. Wenn der Ankläger General Taylor dahingehend argumentiert, daß Hitler seine Kriege ohne Hilfe der Wehrmacht nicht hätte führen können, so ist das nicht zu entkräften. Es hat noch niemand ohne Soldaten Krieg führen können. Für die deutschen militärischen Führer gilt jedoch wie für alle Soldaten das, was Carlyle sagt: »Wenn jemand Soldat wird, so gehört er nach Seele und Körper seinem kommandierenden Offizier. Er darf nicht darüber entscheiden, ob die Sache gut oder schlecht ist, für die er in den Kampf zieht. Seine Feinde werden für ihn, und nicht von ihm, gewählt. Seine Pflicht ist, zu gehorchen und nicht zu fragen.«

Wenn heute vor diesem Forum die deutschen militärischen Führer als eine angeblich »verbrecherische Organisation« stehen, so trifft diese Anklage nicht nur sie, sondern sie zielt – so sehr sie das auch nach außen hin ableugnen möchte – in Wahrheit auf das Soldatentum oder mindestens auf das soldatische Führertum überhaupt.

Indem die Anklage den soldatischen Führer, der im Gehorsam gegen die Befehle seiner Regierung seine militärische Pflicht erfüllt, vor Gericht stellt, weil sie die Handlung seiner Regierung für ungesetzlich erklärt, und ihn als Teilnehmer der Regierungshandlung hinstellt, schiebt sie ihm die Pflicht zu, die Gesetzmäßigkeit der Politik seines Landes zu prüfen, und macht letzten Endes damit den soldatischen Führer zum Richter über die Politik seines Staates.

Es kann nicht meine Aufgabe sein, die Folgen eines solchen geistigen Umsturzes für die Soldaten aller Welt darzulegen. Ich kann nur das Hohe Gericht bitten, daß es die besonderen Umstände bei der Anwendung der Grundsätze des Statuts auf die eine tatsächliche und rechtliche Sonderstellung einnehmenden Soldaten mit besonderer Sorgfalt und in dem Bewußtsein der besonderen Verantwortungspflicht überprüft. Die edle Richterpersönlichkeit wird immer gerade dann, wenn sie bei sorgfältiger Selbstprüfung zu dem Ergebnis kommt, daß allerlei Gründe sie zu einer Voreingenommenheit gegen die Angeklagten verführen könnten, sich verpflichtet fühlen, ganz besonders sorgfältig abzuwägen und immer wieder zu überprüfen, ob sie einer echten Erkenntnis oder einer gefühlsmäßigen Einstellung folgt.

Hier nun, wo eine Partei über die andere zu Gericht sitzt – die Anklage nennt es bescheiden einen Schönheitsfehler –, wo die Richter nur den Völkern angehören, gegen die die Angeklagten als Soldaten die Waffen geführt haben, hier wird von dem Richter das menschlich fast Unmögliche verlangt, daß er sich von allen Empfindungen des beendeten Kampfes und der aufgepeitschten Leidenschaften im Interesse der Zukunft der Menschheit freimacht. Ich führe die Verteidigung in der Erwartung, daß dieser Gerichtshof den von mir vertretenen deutschen militärischen Führern gegenüber nicht Vergeltung üben, sondern in Wahrheit und in höchstem Sinne Recht sprechen wird.

Die ganze Anklage basiert auf dem Versuch, 129 hohe Offiziere der deutschen Wehrmacht, die gewisse Dienststellen der militärischen Hierarchie innehatten, unter der Doppelbezeichnung »Generalstab und OKW« zu einer rechtlichen und tatsächlichen »Gruppe« zusammenzufassen.

Bevor ich mich mit dem angeblichen »Gruppencharakter« rechtlich auseinandersetze, muß ich mich mit der Bezeichnung »Generalstab und OKW« befassen.

Einen Generalstab für die gesamte Wehrmacht, wie ihn die Anklage offenbar im Sinne des »Großen Generalstabs« der ehemals kaiserlichen Armee meint, hat es zur Zeit Hitlers nie gegeben.

Die Kriegsmarine hatte weder einen Admiralstab, noch Admiralstabsoffiziere. Die im Herbst 1938 geschaffene »Seekriegsleitung« war auch nichts einem Generalstab Ähnliches. An den Aufgaben des Heeres und der Gesamtwehrmacht war die Kriegsmarine nur insoweit beteiligt, als in Einzelfällen eine operative Zusammenarbeit erforderlich war.

Die Luftwaffe hatte einen eigenen Generalstab, bestehend aus dem Chef des Generalstabs und den Generalstabsoffizieren. Sein Aufgabenkreis war aber scharf von dem des Generalstabs des Heeres getrennt und auf das selbständige Gebiet der Luftwaffe beschränkt. Nur bei Durchführung gemeinsamer operativer Unternehmungen fand zwischen beiden eine Zusammenarbeit statt.

Der Generalstab des Heeres selbst war auch nicht, wie die Anklage anzunehmen scheint, eine Zentralbehörde, sondern er bestand ebenfalls nur aus dem Chef des Generalstabs und den Generalstabsoffizieren.

Wie wenig die Stellung des Generalstabs dem von der Anklage entworfenen Bild entspricht, geht schon daraus hervor, daß sein erster Generalstabschef, Generaloberst Beck, in seiner ganzen Amtszeit von 1935 bis 1938 nur zweimal von Hitler empfangen wurde.

Die »Generalstäbe« des Heeres und der Luftwaffe, die tatsächlich bestanden, haben mit der Anklage nicht das geringste zu tun. Denn die angeklagten 129 Offiziere stellten nicht als Gesamtheit diese beiden Generalstäbe dar, sondern Angehörige dieser Generalstäbe waren aus dem ganzen Kreis allein Generaloberst Jodl als Chef des Wehrmachtführungsstabs, der stellvertretende Chef dieses Stabes und die Chefs der Generalstäbe des Heeres und der Luftwaffe. Alle anderen Generale waren nicht Generalstabsoffiziere, sondern Truppenführer. Ein großer Teil von ihnen, und zwar 49 von 129 Offizieren, hat auch nicht einmal früher dem Generalstab angehört. Wenn die Anklage dennoch diesem Kreis den Namen »Generalstab« beilegt, so ist das etwa dasselbe, wie wenn man in der katholischen Kirche den Jesuitenorden anklagt, aber die Kardinäle treffen will.

Die Bezeichnung »Generalstab« trifft also nicht die 129 angeklagten Offiziere, sondern alle die Generalstabsoffiziere, die gar nichts mit der Anklage zu tun haben. Sie ist irreführend und willkürlich. Eine Verurteilung unter Anwendung der Bezeichnung »Generalstab« würde eine Einrichtung diskriminieren, deren Angehörige gar nicht angeklagt sind.

Das »OKW« hatte erst recht nicht die Bedeutung einer selbständigen Führungszentrale. Wie in diesem Verfahren eindeutig nachgewiesen wurde, war es nur der militärische Arbeitsstab Hitlers ohne selbständige Befehlsbefugnis. Nur vier von den 129 Personen gehörten jemals dem OKW an. Alle übrigen trifft die Bezeichnung überhaupt nicht.

Die Doppelbezeichnung »Generalstab und OKW« bessert an diesen Tatsachen nichts. Was hier als »Generalstab und OKW« bezeichnet wird, stellt in Wahrheit die Gesamtheit der Offiziere dar, die im Laufe des Krieges die höchsten Dienststellen innehatten. Sie waren nichts anderes, als die Spitzen der militärischen Hierarchie, scharf in sich getrennt, nach den drei Wehrmachtsteilen. Was diese hohen Offiziere allein verband, war das militärische Unterordnungsverhältnis, das gemeinsame Berufsethos und die Kameradschaft, wie das in allen Armeen der Fall ist.

Die Bezeichnung »Generalstab und CKW« ist also eine Häufung falscher Bezeichnungen – willkürlich gewählt, um eine Zusammenfassung vorzutäuschen von etwas, das nicht zusammengefaßt war und auch nicht zusammenfaßbar ist. Für die 129 Offiziere gibt weder der Name »Generalstab« noch die Bezeichnung »OKW«, noch die Zusammenziehung beider Bezeichnungen »Generalstab und OKW« einen sinnentsprechenden und alle Personen umfassenden Begriff.

Die unzutreffende Bezeichnung allein würde vielleicht eine Verurteilung nicht hindern, sofern sie durch eine richtige Bezeichnung ersetzt werden könnte. Der von der Anklage öfters benutzte Ausdruck »höchste militärische Führer« oder die Bezeichnung »Inhaber der höchsten Rangstufen der deutschen Wehrmacht« träfen sachlich die Gesamtheit der angeklagten Offiziere besser, als die falsche Bezeichnung »Generalstab und OKW«. Aber beide Bezeichnungen wären nur Umschreibungen und der klare Hinweis auf eine rein tatsächliche Personenvielheit, niemals aber der Beweis für das Bestehen eines irgendwie gearteten Zusammenschlusses dieser Personenzahl.

Andere beweiskräftige Bezeichnungen gibt es nicht. Im Gegenteil: Gerade die Tatsache, daß man suchen und suchen muß, um überhaupt eine Bezeichnung zu finden, und daß man dennoch nur einen Ausdruck findet, der 129 Einzelpersonen trifft, nicht aber einen organisierten Zusammenschluß auch nur irgendwie erkennen läßt, zwingt zu dem Schluß, daß ein rechtliches oder tatsächliches Gebilde, mag man es nennen, wie man will, nie bestanden hat.

Sind so schon die falsche Namensgebung und die Unmöglichkeit der Wahl einer treffenden Bezeichnung starke Argumente gegen die Annahme einer »Gruppe oder Organisation«, so bedarf es doch noch eines Eingehens auf die rechtlichen Voraussetzungen, die gegeben sein müßten, um die angeklagten 1,29 Offiziere überhaupt als »Gruppe« oder »Organisation«, wenn auch als namenlose, ansehen zu können.

Da das Statut den Begriff »Gruppe« und »Organisation« nicht definiert, muß die Begriffsbestimmung kurz erläutert werden:

Zunächst erhebt sich die Frage, ob die Bezeichnung »Gruppe« etwas anderes als die Bezeichnung »Organisation« bedeuten soll, oder ob beide Begriffe identisch sind. Da das Statut beide Begriffe unmittelbar nebeneinander, sogar in demselben Satze, verwendet, muß man davon ausgehen, daß die Wahl beider Bezeichnungen absichtlich erfolgt ist, um mindestens einen tatsächlichen Begriffsunterschied hervorzuheben.

Artikel 9 des Statuts läßt freilich berechtigte Zweifel darüber aufkommen, ob tatsächlich zwei verschiedene Erscheinungsformen gekennzeichnet werden sollten, denn nach diesem Artikel ist der Gerichtshof nur ermächtigt, die Gruppen und Organisationen als »verbrecherische Organisationen« zu erklären, das Gericht kann also eine Gruppe dann nicht als verbrecherische Organisation erklären, wenn sie nicht die entsprechenden Eigenschaften besitzt, das heißt, nicht auch selbst eine »Organisation« ist. Dann wäre also im Bereich des Artikels 9 die Gruppeneigenschaft rechtlich unerheblich, eine unorganisierte Gruppe könnte nicht für verbrecherisch erklärt werden.

Gleichwohl bedarf die Frage der »Gruppenbildung« der Nachprüfung.

Für die Begriffsbestimmung ist mit dem amerikanischen Hauptankläger von dem natürlichen Sprachgebrauch auszugehen. Das bedeutet:

Das Hauptmerkmal für das Vorhandensein einer »Gruppe« von Menschen ist ein räumliches Zusammensein einer Vielzahl von Personen, Man spricht von einem »Gruppenbild«, wenn mehrere Personen nebeneinander abgebildet sind, von einer »Gruppe Neugieriger«, wenn eine Anzahl Menschen nebeneinanderstehend einen Vorgang beobachtet. Daraus folgt zugleich, daß die Voraussetzung einer »Gruppe« auch ein gleichzeitiges Zusammensein von Personen ist. Da diese beiden Merkmale bei dem von der Anklage bezeichneten Kreis hoher Generale und Admirale fehlen – diese Offiziere in den verschiedensten Dienststellen waren weder vor, noch während des Krieges jemals räumlich zusammengefaßt oder gleichzeitig gemeinschaftlich tätig – so kann von einer »Gruppe« schon im sprachlichen und tatsächlichen Sinne keine Rede sein.

Ist dieser Offizierskreis mangels der tatsächlichen Voraussetzungen nicht als »Gruppe« anzusehen, so bleibt die Frage noch offen, ob er vielleicht eine »organisationsähnliche Gruppe« oder gar eine »Organisation« war. Geht man auch hier vom natürlichen Sprachgebrauch aus, so gehört zu einer Organisation vor allen Dingen ein »Organisiertsein«. »Organisiert« ist aber eine Verbindung von Menschen nur dann, wenn sie eigene für die Verbindung handelnde Organe besitzt, während Einrichtung, Zuständigkeit und Tätigkeit auf einer irgendwie gearteten Verfassung beruhen. Außerdem muß dieser Verband – mag er juristische Relevanz besitzen, oder nur ein soziologisch tatsächliches Dasein haben – aus sich heraus durch eigene Organe eigenen Willen entfalten. Ein organisierter Verband muß, wie auch der Ankläger anerkennt, »Wesenhaftigkeit« -»entity«- besitzen.

Diese Wesenhaftigkeit braucht zwar nicht so fester Form zu sein, daß sie als besonderes Rechtssubjekt erscheint, sie muß aber nach außen hin wenigstens die eben aufgeführten charakteristischer Merkmale aufweisen, und außerdem ihrem Inhalt nach eine bewußt gewollte, freiwillige Vereinigung mehrerer Personen zur Verfolgung gemeinsamer Zwecke sein.

Das Hauptmerkmal einer »Organisation« ist nach dieser Definition der »innere Zweck« des Zusammenschlusses. Nicht die äußere Gestalt allein ist für das Vorhandensein entscheidend, eine verbundene Personenvielzahl wird vielmehr erst dann zu einer »Organisation«, wenn die Erreichung gemeinsamer Ziele ihr innerer Zweck ist.

Bei dem betroffenen Offizierskreis fehlen die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen, die die Annahme einer organisationsähnlichen Gruppe oder einer Organisation rechtfertigen können, vollkommen. Schon die markanteste Voraussetzung, nämlich die Freiwilligkeit des Mitgliederbeitritts, ist nicht gegeben.

Diese Offiziere sind nicht freiwillig in ihre Dienststellungen gekommen und auch nicht freiwillig in ihnen verblieben. Daß die Freiwilligkeit des Beitritts aber gegeben sein muß, hat das Gericht schon durch die Bestimmung der als erheblich bezeichneten Beweispunkte zu erkennen gegeben, und auch die Anklagebehörde hat diese Voraussetzung als wesentlich bezeichnet. Die militärischen Führer haben zwar freiwillig die militärische Laufbahn gewählt. Sie sind auch im Jahre 1920 freiwillig in die Reichswehr übergetreten und haben sich dabei vertraglich auf 25 Jahre verpflichten müssen. In die Stellungen, die unter die Anklage fallen, sind sie aber allein auf Grund ihrer Fähigkeiten ohne eigenes Zutun berufen worden. Auf Grund der eingegangenen Verpflichtung konnten sie auch, solange sie dienstfähig waren, nicht ihre Verabschiedung verlangen, erst recht nicht im Kriege, in dem ihnen jeder Rücktritt ausdrücklich verboten war.

Diese Vorgänge und Tatsachen bedürfen keines Beweises, da sie bei allen Armeen der Welt gleich oder ähnlich gegeben sind. Sie beruhen auf der militärischen Befehlsgewalt einerseits, und auf der militärischen Gehorsamspflicht andererseits.

Damit ist der Beweis erbracht, daß »Generalstab und OKW« keinesfalls ein auf der Grundlage der Freiwilligkeit beruhender Personenverband waren.

Eine »Organisation« kann aber auch deshalb nicht angenommen werden, weil die weitere Voraussetzung: das Bewußtsein dieser Offiziere, einer Vereinigung im Augenblick ihrer Berufung beigetreten zu sein, gefehlt hat.

Jeder Bürger, der in irgendeine Organisation freiwillig eintritt, weiß zum mindesten, daß die Organisation besteht und daß er seinen Eintritt in diese vollzieht.

Diese Offiziere aber wurden ohne Befragung in die Stellungen kommandiert, die erst jetzt von der Anklage in willkürlicher Gestaltung als »Gruppe« oder »Organisation« zusammengefaßt werden sollen. Wie könnte ihnen also zum Bewußtsein gekommen sein, daß ihre Einberufung in die verschiedensten Dienststellungen ihren Beitritt zu einer Art von Verband bedeutet?

Der Hinweis der Anklage darauf, daß schon früher ein ähnlicher Zusammenschluß der Generalstabsoffiziere in der sogenannten »Schlieffen-Gesellschaft« bestanden habe, ist für die hier zu findende rechtliche Beurteilung bedeutungslos. Die »Schlieffen-Gesellschaft«, die nur einmal im Jahre zu einem Vortrag und Bericht zusammentrat, diente ausschließlich der Pflege der Kameradschaft zwischen den ehemaligen und den aktiven Generalstabsoffizieren.

Für die aus den verschiedensten Truppengattungen der drei Wehrmachtsteile hervorgegangenen aktiven deutschen und österreichischen Offiziere lag keinerlei Veranlassung vor, während des Krieges eine ähnliche Vereinigung zu begründen.

Die Begründung einer politischen Gemeinschaft war erst recht bei der traditionsgemäß unpolitischen Einstellung des gesamten deutschen Offizierskorps ausgeschlossen. Der Gedanke, daß ein krimineller Zweck, wie die Anklage es wahrhaben möchte, einen Zusammenschluß veranlaßt haben könnte, ist geradezu absurd.

Wenn diese Offiziere also weder freiwillig in ihre Stellungen eintraten, noch auch nur das Bewußtsein hatten, einem Verband beizutreten oder sich organisiert zusammenzuschließen, so kann die Tatsache der Inhaberschaft der Anklagestellungen allein die Annahme einer »Organisation« nicht begründen.

Gegen einen beabsichtigten Zusammenschluß, das Bestehen einer »Organisation«, sprechen aber auch noch folgende Tatsachen:

Eine große Anzahl der betroffenen Offiziere war persönlich überhaupt nicht miteinander bekannt, nur ein Teil dieser Offiziere ist jemals miteinander in dienstliche Berührung gekommen.

Jede innere Homogenität fehlte diesem angeblich so gleichgesinnten Kreis hoher Offiziere. Gerade dieses Verfahren hat wie nichts anderes je zuvor ein Schlaglicht auf die Meinungsverschiedenheiten und inneren Gegensätzlichkeiten geworfen, die unter den hohen militärischen Führern bestanden haben.

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