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[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

DR. LATERNSER: Am grellsten freilich wird die ganze Absurdität dieses »Gruppen-Experimentes« beleuchtet durch die Einreihung Himmlers in diesen Kreis der Wehrmachtsoffiziere. Es ist weltbekannt, daß Himmler der Todfeind des Heeres war und daß zwischen den Führern der Wehrmacht und denen der Waffen-SS außerhalb des rein soldatischen Kampfes an der Front keinerlei Beziehungen bestanden. Gerade die Einbeziehung Himmlers und einzelner Führer der Waffen-SS ist ein überzeugender Beweis gegen das Bestehen dieses tatsächlich unmöglichen Gebildes.

Auch das zeitliche Moment läßt die Annahme einer »Organisation« nicht zu. Die militärischen Führer waren nicht gleichzeitig in ihren Dienststellen, sondern erreichten diese oft in so weit auseinander liegenden Zeitabschnitten, daß immer nur ein Bruchteil von ihnen gleichzeitig die Mitgliedschaft gehabt haben könnte. Das ergibt sich am deutlichsten auf den dem Gerichtshof vorliegenden Schaubildern. Darnach waren 1938 nur 7 Generale, am 1. September 1939 nur 22 Generale, am 22. Juni 1941 nur 31 Generale und im November 1944 nur 52 Generale – das heißt also bei weitem nicht einmal die Hälfte der angeklagten Offiziere – in den Stellungen, die die Anklage betrifft.

Es gab keinen einheitlichen Willen der Gesamtheit dieser 129 Offiziere. Jeder von ihnen war zwar einem einzigen, ihm übergeordneten Willen unterworfen, aber nur in militärischem Sinne, nicht im Hinblick auf einen bestehenden, organisatorischen Zusammenschluß. Wie hätten diese Offiziere irgendwann einmal eigene Organe zum Ausdruck ihres Willens bestellen sollen? Der ständige Wechsel in den in Betracht kommenden Dienststellen schloß schon jede derartige Möglichkeit aus. Nur neun Generale und Admirale hatten während der ganzen Dauer des Krieges Dienststellungen inne, auf Grund deren sie zur sogenannten »Gruppe« gerechnet werden können. Am 4. Februar 1938 befanden sich nur sechs Generale in solchen Dienststellungen. 21 Generale waren höchstens 2 bis 21/2 Jahre lang in Dienststellungen, die unter die sogenannte »Gruppe« fallen und 61 Offiziere sind zur »Gruppe« gerechnet, die noch nicht einmal ein Jahr derartige Dienststellungen innegehabt haben.

Wie es an eigenen Organen fehlte, so fehlte es auch an einer Verfassung oder einem Statut, das den Beitritt oder das Ausscheiden der Mitglieder, die Zuständigkeit und Tätigkeit der Organe, ihre Wahl oder Ernennung regelte. Es gab überhaupt keine einzige Bestimmung in schriftlicher oder mündlicher Form, die sich auf eine wie immer geartete Gemeinschaft bezog. Die Anklage konnte deshalb auch kein Schriftstück vorlegen, das das Bestehen einer »Gruppe« oder »Organisation« beweist. Die von der Anklage dem Gerichtshof unterbreiteten eidesstattlichen Versicherungen, die auf Grund der Angaben der Generale von Brauchitsch, Halder und Blaskowitz das Vorhandensein einer »Gruppe« beweisen sollen, haben sich durch die erfolgten Richtigstellungen für diesen Beweis als völlig ungeeignet erwiesen. Die Vernehmungen des Generalfeldmarschalls von Brauchitsch vor Gericht und des Generaloberst Halder vor der Kommission haben ergeben, daß die wörtlich übereinstimmenden Affidavits beider Generale der von dem Vernehmungsoffizier schriftlich formulierte, ihnen zur Unterschrift vorgelegte Niederschlag mehrerer vorausgegangener mündlicher Besprechungen war und daß diese schriftlichen Erklärungen ohne die Erläuterungen, die die Zeugen vor der Unterschriftsleistung zusätzlich dazu gegeben haben, in allen hier entscheidenden Punkten nicht verständlich waren. Infolgedessen ist die von der Anklage diesen Erklärungen unterlegte Deutung falsch. Die jetzt erfolgten Klarstellungen, die keine Widerlegung erfahren haben, haben damit die Anklage ihrer Hauptstütze und jeden Beweises für eine »Gruppen«-Bildung beraubt.

Gleiches gilt für die dem Gerichtshof im Beweisverfahren vorgelegte eidesstattliche Aussage des Generaloberst Blaskowitz, die ebenfalls eine Erläuterung und vollkommene Klarstellung durch das Affidavit Nummer 55 erfahren hat. Damit haben sich auch in diesem Falle die Schlüsse der Anklage als falsch herausgestellt.

Auch eine Verbandshandlung, die als Ausdruck eines kollektiven Willens der Organisation angesehen werden könnte, ist in keinem Falle nachgewiesen worden. Die Führung eines solchen Nachweises ist auch unmöglich, da dieser Offizierskreis weder in rechtlichem noch in natürlichem Sinne eine Handlungsfähigkeit gehabt hat und somit auch keine Verbandshandlung getätigt haben kann.

Diese Offiziere haben auch keine Zusammenkünfte abgehalten, aus denen sich das Bestehen irgendeiner Art von Organisation schließen ließe. Die Anklage glaubt ganz zu Unrecht, die militärischen Besprechungen bei Hitler und einzelne Zusammenkünfte von Frontbefehlshabern als Beweis heranziehen zu können.

Wenn verschiedentlich Besprechungen des Oberbefehlshabers des Heeres mit den Oberbefehlshabern der Heeresgruppen oder Armeen stattgefunden haben, so war der Anlaß immer ein rein militärischer und die Besprechung diente nur der Erörterung militärischer Fragen. Schon der Einsatz der Oberbefehlshaber auf den verschiedenen, weit auseinander liegenden Kriegsschauplätzen und ihre dauernde, starke militärische Inanspruchnahme schloß von vornherein aus, daß sie aus anderen als rein militärischen Gründen hätten zusammenkommen können. Aus den gleichen Gründen bestand nicht einmal zwischen den obersten militärischen Befehlshabern ein enger Kontakt, zumal der vielfach hier erörterte Führerbefehl Nummer 1 die Kenntnis jedes Befehlshabers, welche Stellung er immer hatte, auf sein ureigenstes Gebiet beschränkte. Da die drei Wehrmachtsteile, abgesehen von dem operativen Zusammenarbeiten in Einzelfällen, völlig selbständig nebeneinander standen, kamen auch aus diesem Grunde gemeinsame Besprechungen der Befehlshaber aus den verschiedenen Wehrmachtsteilen nur höchst selten in Frage.

Wenn die Anklage sich zum Gegenbeweis auf ein Affidavit des Generaloberst Blaskowitz bezogen hat, so ist durch dessen ergänzendes Affidavit Nummer 55 erwiesen, daß er auch in diesem Punkte mißverstanden worden ist.

Häufige Beratungen der hohen Generalität im Sinne der Anklage haben niemals stattgefunden. Die Anklage hat Vorgänge, die sich aus der rein militärischen Durchführung ergaben, falsch ausgelegt.

Die bekannten Besprechungen bei Hitler können zum Beweis für das Vorhandensein eines organisationsähnlichen Gebildes noch weniger herangezogen werden, da sie – wie in diesem Verfahren wiederholt erörtert worden ist – nur der Entgegennahme einer Ansprache Hitlers und einem sich daran anschließenden Befehlsempfang dienten, also vom Standpunkt der Befehlshaber aus rein militärischen Charakter trugen.

Ich fasse zusammen:

1. Die betroffenen 129 Offiziere stellen eine rein tatsächliche Personenvielheit dar, die weder rechtlich noch tatsächlich handlungsfähig ist und daher auch nicht Objekt einer gesonderten rechtlichen oder gar strafrechtlichen Beurteilung sein kann.

2. Die Bezeichnung »Generalstab und OKW« ist irreführend, und falsch.

3. Der betroffene Offizierskreis war weder eine »Gruppe« noch eine »Organisation« noch ein organisationsähnliches Gebilde.

4. Der bei jeder Organisation feststehende Mitgliederkreis muß hier erst langatmig erläutert werden.

5. Keiner der Offiziere hat jemals den Beitritt zu einer Organisation erklärt, noch auch nur das Bewußtsein gehabt, einer solchen beigetreten zu sein oder ihr angehört zu haben. Die sogenannten »Mitglieder« kannten sich zum größten Teil nicht einmal persönlich, ihre Einstellung zu dem herrschenden System war sehr verschiedenartig.

6. Niemals hat es ein handelndes »Verbandsorgan«, niemals eine »Verfassung« oder ein, »Statut« gegeben, es ist auch niemals ein »Verbandswille« zutage getreten oder eine »Verbandshandlung« erkennbar geworden.

7. Die betroffenen Offiziere, die nach Namen und Zahl genau feststehen, können deshalb nur als Einzelpersonen und nur für solche Verbrechen, die sie persönlich begangen haben sollten, zur Rechenschaft gezogen werden. Sie waren niemals kollektiv zusammengefaßt, sie können auch jetzt nicht, nur um eine Bestrafung zu erleichtern, kollektiv zusammengefaßt werden.

Schon im Altertum – nach der Schlacht bei Aigospotamoi – sollten einmal Feldherren durch Kollektivurteil wegen einer Art Humanitätsverbrechen verurteilt werden. Sie hatten ihre Gefallenen nicht bestattet.

Da stand in der Beratung des Gerichtes Sokrates auf, wehrte sich in leidenschaftlicher Rede dagegen, und verlangte von dem Gericht die Wahrung des Grundgesetzes, das unbedingte Voraussetzung jedes gerechten Richterspruches sei, nämlich: daß jeder Feldherr als Einzelperson anzuklagen und nach dem Maß seiner persönlichen Schuld zu verurteilen sei. Damals drang Sokrates mit seiner Warnung durch. Das Gericht hielt trotz der gegenteiligen Volksmeinung an dem Grundsatz fest und lehnte die Kollektivverurteilung ab.

Sollte die Neuzeit etwas, was über 2000 Jahre als fundamentaler Rechtsgrundsatz galt, so leicht über Bord werfen?

Ich glaube: Eine Kollektivanklage und -verurteilung ist nicht möglich, das Gericht wird schon aus den bisher dargelegten Gründen den Antrag, die sogenannte »Gruppe« »Generalstab und OKW« als verbrecherische Organisation zu erklären, ablehnen müssen.

Verfolgt man aber die Thesen der Anklage weiter – ohne daß man sie sich zu eigen macht – so müßte die »Verbrecherischkeit« der Gesamtheit der 129 Offiziere einer Prüfung unterzogen werden. Das heißt, es müßte festgestellt werden, ob diese Gesamtheit Verbrechen im Sinne des Artikels 6 des Statuts begangen hat. Diese Frage verneine ich.

Der Vorwurf der Anklage gegenüber den militärischen Führern, sich zu irgendeiner Zeit mit der Nazi- Partei zusammengetan zu haben zu einem gemeinsamen Plan, der Angriffskriege, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Humanität zum Ziele hatte, setzt gedanklich voraus, daß ein solcher Gesamtplan bestand, daß er als gemeinsam bekannt war und endlich, daß die militärischen Führer als Gesamtheit diesen Plan sich zu eigen gemacht haben.

Die Anklage hat diese Vorwürfe gegen den beschuldigten Personenkreis als Gesamtheit erhoben. Wie ich aber glaube bereits bewiesen zu haben, existierte eine »Organisation« oder »Gruppe« als handelnde Einheit dieser Personen nicht. Die Anklage umgeht diese zwangsläufig sich ergebende Schwierigkeit dadurch, daß sie behauptet, 1. Charakter und Handlungen der fünf militärischen Hauptangeklagten seien für die gesamten 129 Offiziere bezeichnend; 2. im übrigen sei an dem verbrecherischen Charakter der Gesamtheit kein Zweifel.

Wenn der amerikanische Hauptankläger in seiner Anklagerede ausgeführt hat, daß die menschlichen Handlungen, die den Gegenstand dieses Prozesses bildeten, seit Kains Zeiten als Verbrechen angesehen werden, so setze ich ihm den Satz entgegen: Seit Kains Zeiten ist aber auch schon die Forderung erhoben worden, daß bei der Sühne von Verbrechen nicht die Gerechten mit den Gottlosen umgebracht werden sollen. Das Erfordernis individueller Sühne von begangenen Verbrechen gehört zum ältesten Erbe europäischer Sittlichkeit.

Ich meine, es könnte für die vier großen siegreichen Nationen nicht schwer sein, praktisch in 107 Einzelverfahren über die individuelle Schuld oder Unschuld dieser 107 lebenden Männer genauso zu entscheiden, wie es in dem Verfahren gegen die fünf militärischen Hauptangeklagten geschieht. Wo liegt die innere Berechtigung und die rechtliche Notwendigkeit zu einem Kollektivverfahren gegen diese Männer? Allzu leicht wird das schuldlose Individuum durch ein vorgefaßtes Kollektivurteil vernichtet.

Die Ansicht der Anklage, die Gedanken und Handlungen der fünf Hauptangeklagten seien »mit voller Sicherheit« auch für die anderen Mitglieder der sogenannten »Gruppe«, und damit zugleich für den verbrecherischen Charakter der ganzen »Gruppe« typisch, widerspricht den tatsächlichen Verhältnissen. Die Zugehörigkeit zur »Gruppe« beruht nur auf bestimmten Dienststellungen. Typisch für die »Gruppe« kann daher nur der Inhaber einer typischen Dienststellung sein. Da 95 Prozent der betroffenen Offiziere Oberbefehlshaber von Armeen oder Heeresgruppen waren, konnten allenfalls die Inhaber dieser Dienststellungen als typisch für die »Gruppe« angesehen werden, keinesfalls aber die fünf Hauptangeklagten, von denen nicht ein einziger jemals eine derartige Stelle bekleidet hat. Umgekehrt sind die fünf Hauptangeklagten insofern ausgesprochen untypisch, als ihre Dienststellungen bei keinem anderen Mitglied der »Gruppe« wiederkehren. In dieser gibt es keinen zweiten Chef OKW oder Chef Wehrmachtführungsstab, keinen zweiten Oberbefehlshaber der Kriegsmarine und erst recht keinen zweiten Reichsmarschall. Da die Hauptangeklagten in dem militärischen Gebäude sozusagen ein ganzes Stockwerk höher stehen als die typischen militärischen Führer, ist ihre Lage in den entscheidenden Punkten anders. Wenn der eine oder andere Hauptangeklagte vielleicht theoretisch die Möglichkeit hatte, auf die militärischen Entschlüsse der obersten Führung einzuwirken, so bestand für das typische Gruppenmitglied auch diese theoretische Möglichkeit nicht. Wenn die Hauptangeklagten mindestens auf ihrem Sektor Kenntnis der Zusammenhänge und Hintergründe von erteilten Befehlen hatten oder erlangen konnten, so konnten das die typischen Gruppenmitglieder nicht. Wenn bei den Hauptangeklagten als den obersten Stellen schließlich eine Berührung mit der Politik unvermeidlich war, so fehlte auch diese bei den Frontbefehlshabern völlig. Dieser kurze Hinweis zeigt besonders plastisch die ganze Willkür der Anklage, wenn sie heterogene Elemente zusammenpreßt und Vorwürfe, die sie mit Recht oder Unrecht gegen die Hauptangeklagten im einzelnen erheben zu können glaubt, ohne weiteres auf die Gesamtheit dieser heterogenen Elemente ausdehnt.

Ich kann der Anklage auf diesem Wege nicht folgen, und werde deshalb in meinen Erörterungen nicht die untypischen Hauptangeklagten betrachten, sondern nur diejenigen Mitglieder, die als typisch für den überwiegenden Teil der »Gruppe« angesehen werden könnten. Nur wie diese sich zu den angeblichen Nazi- Plänen verhalten haben, nur was sie von den Plänen gewußt und inwieweit sie daran mitgewirkt haben, könnte im Sinne der Anklage überhaupt zu einer Belastung der »Gruppe« führen.

Da Hitler tot ist, läßt die Anklage seine Person im Hintergrund und sucht andere Verantwortliche. Niemand kann aber leugnen, daß Hitler allein die Macht des Reiches in Händen hatte und damit auch die alleinige und gesamte Verantwortung. Das Wesen jeder Diktatur besteht letzten Endes darin, daß der Wille eines Mannes allmächtig ist, daß sein Wille in allem entscheidet In keiner Diktatur ist dieser Grundsatz zu solcher Ausschließlichkeit entwickelt worden, wie in der Hitlers. Wenn alle Militärs und alle Politiker das immer wieder betonen, so kann man wohl nicht jedem von ihnen Mangel an Bekennermut unterstellen, sondern es muß Tatsache gewesen sein. Der Diktator übte die ihm gegebene Macht mit einer an das Dämonische grenzenden Willenskraft. Neben ihm gab es keinen Willen, keinen Plan, keine Verschwörung. Für die Soldaten war es von besonderer Bedeutung, daß Hitler noch durch den Reichspräsidenten von Hindenburg zur Macht berufen war und dann durch Reichsgesetz und Volksabstimmung unumschränktes Staatsoberhaupt wurde. Die gesetzmäßige, die formelle Korrektheit bei der Übertragung der Gesetzgebungsgewalt und der Befehlsbefugnis bewirkte, daß die Soldaten sich auch der Persönlichkeit Hitlers unterworfen haben. Es kam hinzu, daß er es verstand, einen gegen den anderen auszuspielen, aber er hatte bei seinen entscheidenden Entschlüssen weder Ratgeber noch duldete er selbständige Pläne.

Hitlers Gestalt ist wahrhaft der des Luzifer zu vergleichen. Wie dieser in rasendem Tempo mit ungeheurem Schwung seine Lichtbahn aufwärtszieht, die höchste Höhe erreicht und dann in das tiefste Dunkel hinabstürzt, so war es auch mit Hitler. Wer hat je gehört, daß ein Luzifer bei seinem rasenden. Aufstieg Helfer, Ratgeber und Antreiber brauchte? Reißt er nicht vielmehr durch die Wucht seiner Erscheinung alle anderen mit sich auf die Höhe und dann ebenso mit hinab in die Tiefe? Ist es denkbar, daß ein Mensch dieser Art einen Plan von langer Hand vorbereitet, sich mit einem Verschwörerkreis umgibt und sich bei diesem für seinen Aufstieg Rat und Hilfe sucht?

Dieses Bild möge nicht als Versuch gedeutet werden, der Verantwortung auszuweichen. Jeder deutsche General ist Manns genug, für seine Taten einzustehen. Aber wenn Recht gefunden werden soll, so müssen die tatsächlichen Verhältnisse so, wie sie wirklich waren, erkannt und der Rechtsfindung zu Grunde gelegt werden. Den besten Beweis gegen die Beteiligung der Generale an seinen Planungen ergibt aber das Wort Hitlers selbst: »Ich verlange nicht, daß meine Generale meine Befehle verstehen, sondern daß sie sie befolgen!«

Wie am Ende des ersten Weltkrieges dem Generalstab, so wird es diesmal den militärischen Führern schlechthin – wiederum zusammengefaßt unter dem irreführenden Sammelbegriff »Generalstab« – zum Verhängnis, daß auf dem deutschen Offizier das Vorurteil lastet, er sei nicht von soldatischer, sondern von »militärischer« Geisteshaltung besessen. Schrifttum und Presse der Welt behaupten vielstimmig, der deutsche Offizier betreibe sein Soldatenhandwerk nicht nur als Pflicht, sondern für ihn sei – als Mittelpunkt all seines Sinnens und Trachtens – der Krieg höchster Wert alles persönlichen und nationalen Lebens. Der amerikanische Hauptankläger formuliert diesen Standpunkt dahin, daß »der Krieg eine edle und notwendige Beschäftigung für die Deutschen sei«.

Aus solcher Glorifikation des Krieges soll seit Generationen das Denken des deutschen Offizierskorps ausschließlich auf Angriff, Eroberung, Unterjochung und Vergewaltigung anderer Völker eingestellt sein. Wenn es manchmal auch Mühe macht, Vorurteile zu widerlegen – dieses Schlagwort als unsinnig und unbegründet zu erweisen, bereitet geringe Schwierigkeiten.

Haltung und Geist, die dem Generalstab die charakteristische Form gaben, wurden bekanntlich durch Friedrich den Großen, Scharnhorst, Moltke, Schlieffen und Seeckt geprägt. Wenn man das Leben und Werk dieser Männer auf Zeugnisse militaristischen Geistes durchsucht, so ist das Ergebnis eindeutig negativ. Kaum jemals hat ein Monarch so begeisterte Fürsprecher gefunden, wie Friedrich der Große in dem Engländer Thomas Carlyle und dem Amerikaner George Bancroft, der in der »Geschichte der Vereinigten Staaten« erklärt, Friedrich der Große habe nicht weniger für die Freiheit der Welt gewirkt, als Washington und Pitt. Helmut von Moltke, der die Gestalt des deutschen Generalstäblers geformt hat, wie niemand vor und nach ihm, nennt den Krieg ausdrücklich »das letzte Mittel, das Bestehen, die Unabhängigkeit und die Ehre eines Staates zu behaupten.« Er erklärt weiter: »Hoffentlich wird dieses letzte Mittel bei fortschreitender Kultur immer seltener zur Anwendung kommen. Wer möchte in Abrede stellen, daß jeder Krieg, auch der siegreiche, ein Unglück für das eigene Volk ist, denn kein Landerwerb, keine Milliarden können Menschenleben ersetzen und die Trauer der Familien aufwiegen.«

Von Moltkes berühmtestem Nachfolger, Graf Schlieffen, stammt der so oft mißdeutete Wahlspruch: »Mehr sein als scheinen«, der von jedem Generalstäbler Bescheidenheit, stille Arbeit und restlosen Verzicht auf jedes persönliche Hervortreten in der Öffentlichkeit verlangt.

Ist es möglich, den fundamentalen Unterschied, der zwischen einer solchen Einstellung und der nationalsozialistischen besteht, in wenig Worten schärfer zum Ausdruck zu bringen?

Als der deutsche Generalstab 1914 in seine große Feuerprobe eintrat, stand in dem jüngeren Moltke ein Mann der Resignation an seiner Spitze, der als Antroposoph militaristischen Gedankengängen noch ferner stand als alle seine Vorgänger. Was schließlich Generaloberst von Seeckt, den Schöpfer der Reichswehr anlangt, so sind seine Leitsätze in der 1929 erschienenen programmatischen Abhandlung zu dem Thema »Staatsmann und Feldherr« derart, daß dieser Aufsatz sofort ohne wesentliche Änderung in jedes Handbuch für den britischen, amerikanischen oder französischen Offizier übernommen werden könnte.

Zum Schluß dieser Übersicht will ich noch ein Zitat aus den Denkwürdigkeiten des Feldmarschalls von Mackensen vortragen, eines Mannes also, der bekanntlich zusammen mit Hindenburg als Hauptvertreter des Offizierskorps Wilhelm II. angesprochen werden muß. An dem Tage, an dem er die Befehle für die große Durchbruchsschlacht bei Gorlice unterzeichnete – es war der 28. April 1915- brachte er folgendes zu Papier:

»Heute beschäftigen sich meine Erwartungen mit einer männermordenden Schlacht... Einen großen Erfolg er wartet man von mir, einen entscheidenden, und große Erfolge sind im Kriege meist auch nur mit großen Verlusten zu erreichen. Wie viele Todesurteile enthält mein Befehl zum Angriff? Dieser Gedanke ist es, der mich vor jedem Befehl bedrückt. Aber ich handle nur auf Befehl im Zuge unabänderlicher Notwendigkeit. Wie mancher von den kräftigen, frischen Jünglingen, die gestern und heute an mir nach der Front hin vorbeimarschierten, wird in wenigen Tagen auf dem Schlachtfeld liegen, zur letzten Ruhe gebettet... Manches von den leuchtenden Augenpaaren, in das ich schauen konnte, wird bald gebrochen sein.... Das ist die Kehrseite der Führerstelle!«

Das also sind die Tatsachen! Wie wenig sind die führenden Männer der deutschen Generalität nach dem Bilde geformt gewesen, das eine mißgünstige, tendenziöse und schlecht unterrichtete Propaganda in der Welt von ihnen entworfen hat. Das hier einmal klar herauszustellen, halte ich für meine Pflicht in diesem einmaligen, geschichtlichen Prozeßverfahren. Ist das deutsche Offizierskorps, vor allem die Generalität, seit 1933 anders geworden? Ist sie unter Hitler, ihren Lehrmeistern untreu werdend, in ein »militaristisches« Fahrwasser abgeglitten? Waren der Geist eines Moltke, eines Schlieffen, eines Seeckt in ihnen erloschen? Hat die Generalität sich einem verbrecherischen Nazi-Plan zugewandt und sich an ihm aktiv beteiligt? Ich glaube, daß die Tatsachen hier eine Sprache von genügender Deutlichkeit sprechen.

Der »gemeinsame Plan«, die »Verschwörung«, mit dem Ziel der Machterweiterung, die schließlich zum Angriffskrieg führen sollte, hatte zunächst, wie die Anklage immer wieder herausstellt, in erster Linie die Unterjochung des eigenen Volkes, die Austilgung aller widerstrebenden Elemente im eigenen Volk zum Ziel. Dabei sollten angeblich die Grundlagen und Erfahrungen für die geplante Unterjochung und Ausrottung anderer Völker gewonnen werden.

Ein so allumfassender Plan hätte aber unter allen Umständen eine innere Übereinstimmung der militärischen Führer mit diesen angeblichen Zielen und Grundsätzen zur Voraussetzung gehabt.

Wie waren die Tatsachen? Das Verhältnis des Offizierskorps zur Partei war alles andere als gut. Bei der Betrauung der Partei mit der Führung auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens und der Einrichtung der totalitären Kontrolle auf wirtschaftlichem Gebiet hatte das Offizierskorps nichts zu sagen. An keiner politischen Entscheidung wurde das Offizierskorps beteiligt. Ausschreitungen höherer Parteifunktionäre, terroristische Methoden der Partei, das Vorgehen gegen die Juden, die Art der politischen Jugenderziehung und die Haltung der Partei unter Führung Himmlers und Bormanns gegen die Kirchen wurden scharf abgelehnt. Die Versuche der SA, sich an die Stelle der Wehrmacht zu setzen, und die der SS, eine zweite bewaffnete Macht neben der Wehrmacht zu bilden, stießen auf stärksten Widerstand.

So also sieht die typische Einstellung der militärischen Führer tatsächlich aus! Wo also war die ideologische Grundlage, die allein eine gemeinsame Planung möglich gemacht hätte? Die Persönlichkeit Hitlers schloß jeden Plan oder jede Verschwörung unter, neben und mit ihm aus. Für die militärischen Führer bestand schon verfassungsmäßige ebenso wie tatsächlich, kein Raum für die Vertretung politischer Ziele oder politischer Pläne. Darüber hinaus wurde aus den Reihen der unter die Anklage fallenden Offiziere gegen die seit 1935 eingeschlagene Politik, die sich später als »Vabanque-Politik« erwies, Warnung erhoben. Der Generalstabschef unternahm es unter Einsatz seiner Stellung und Person, dem verhängnisvollen Treiben eines zum äußersten entschlossenen Staatsoberhauptes Einhalt zu gebieten. Aus denselben Kreisen wurde schließlich mitten im Krieg ein Staatsstreich versucht. Wer kann da noch ernsthaft behaupten, daß die ganze Geisteshaltung dieser Männer, ihr ganzes Sinnen und Trachten immer nur auf Krieg und nichts als Krieg und auf Unterstützung einer den Angriffskrieg bezweckenden Politik gegangen sei? Ich glaube, diese Frage stellen, heißt zugleich, sie verneinen. Wenn der amerikanische Generalstabschef Marshall, dessen Nachrichtenquellen doch unzweifelhaft sehr gut waren, selbst in seinem Bericht an den Präsidenten seiner Überzeugung dahin Ausdruck verleiht, daß zwischen Generalstab und Partei kein gemeinsamer Plan bestanden habe, sondern daß viel öfters scharfe Gegensätze zwischen den beiden aufgetreten seien, dann ist das gewiß ein gewichtiges und beweiskräftiges Zeugnis, dem ich nichts mehr hinzuzufügen brauche.

Ich nehme nun Stellung zu dem Vorwurf der Anklage, daß die militärischen Führer als Gesamtheit das Verbrechen der Planung und Ausführung eines Angriffskrieges bewußt, absichtlich und hinterlistig begangen hätten.

Die schwerwiegenden rechtlichen Bedenken gegen die Charakterisierung des Angriffskrieges als eines Verbrechens auf Grund des Kellogg-Paktes sind von der Verteidigung so oft erörtert worden, daß ich mich darauf beziehen kann. Besonders verweise ich auf die Ausführungen des Professors Jahrreiss. Ich lenke in diesem Zusammenhang die Aufmerksamkeit des Hohen Gerichts nur auf die Tatsache, daß es sich bei der Gesamtheit der von mir vertretenen Personen nicht um Politiker, nicht um Staatsmänner, nicht um Völkerrechtsjuristen, sondern allein um Soldaten handelt.

Will man von den Soldaten eines Landes verlangen, was in 20 Jahren vorher die Diplomaten und Juristen des Völkerbundes nicht zustande gebracht haben? Der Soldat urteilt vorwiegend nach seiner Umwelt. In mindestens drei Fällen des letzten Jahrzehnts sah der Soldat, daß das angebliche Verbrechen des Angriffskrieges nicht verfolgt wurde. Weder nach dem Krieg Italiens gegen Griechenland, noch nach dem Abessinienkrieg, noch nach dem Krieg der Sowjetunion gegen Finnland sind die Soldaten dieser Staaten vor Gericht gestellt worden.

Es bleibt immer Tatsache, daß von Soldaten nur Kriege, keine Angriffskriege, geplant werden. Die Bewertung eines Krieges hat mit strategischer Defensive oder Offensive, wie die Anklage selbst zugibt, nichts zu tun. Auch nach der Anklage ist es erlaubt, militärische Pläne vorzubereiten, auch Offensivpläne, solche durchzuführen und endlich, am Kriege teilzunehmen. Die Bewertung eines Krieges als Angriffskrieg ist ein rein politisches Urteil. Das Planen von Angriffskriegen durch Soldaten ist also nur möglich, wo sich Soldaten in den politischen Bereich begeben. Entscheidend ist also, daß der an einer Planung teilnehmende Offizier wußte, daß es sich um den politischen Plan zu einem bestimmten Angriffskrieg handele, daß dieser Angriffskrieg ein Unrecht sei, und daß er durch seine Mitwirkung selbst Unrecht begehe.

Wie stellt sich nun für die militärischen Führer die Geschichte der letzten Jahre vor dem zweiten Weltkrieg dar? Nicht, wie heute nach Krieg und Niederlage dieses Geschehen in seinem Ablauf klar erkennbar ist, sondern wie es sich damals dem typischen deutschen militärischen Führer abgezeichnet hat, das ist entscheidend für die Schlüsse, die hinsichtlich Schuld oder Unschuld daraus zu ziehen sind.

Immer, wenn die Welt durch die Erschütterungen schwerer Kriege gegangen ist, taucht die Sehnsucht nach ewigem Frieden auf. Diese Sehnsucht empfinden am stärksten die, die im Krieg die größten Opfer gebracht haben. Das waren im ersten Weltkrieg die deutschen Offiziersfamilien, aus denen die Mehrzahl der angeklagten Führer stammt. Wer das Sterben der eigenen jungen Generation miterlebt hat, legt keinen Wert darauf, in einem neuen Krieg die eigenen Söhne zu opfern. Und gerade diese Männer sollten geistig einem Angriffskrieg zugeneigt gewesen sein?

Nicht das Kriegführen, sondern die Erziehung der Jugend zu anständiger Gesinnung, sauberer Haltung, Ehrlichkeit und Kameradschaft sah der Offizier als seine eigentliche Aufgabe an.

Die Aufhebung des Versailler Vertrags war kein Sonderziel der deutschen Generalität, sondern das selbstverständliche Ziel der deutschen Politik schlechthin. Der gewiß unverdächtige Reichskanzler Brüning stellte am 15. Februar 1932 fest: »Die Forderung nach Gleichberechtigung und der gleichen Sicherheit wird vom ganzen deutschen Volke geteilt. Jede deutsche Regierung wird diese Forderung vertreten müssen.«

Ich werde nunmehr die folgenden Seiten bis Seite 39 überschlagen, sie behandeln die Stärkeverteilung und Fragen der Aufrüstung.

Das Bestreben nach Wiedererlangung der verlorenen deutschen Gebiete war keine Sache der Generalität, sondern Gemeingut aller Deutschen und gewiß nicht unmoralisch. Ich erinnere nur an das gleiche Bestreben Frankreichs bezüglich Elsaß-Lothringens nach 1870/1871. Als Hitler vor dem Reichstag endgültig auf Elsaß-Lothringen verzichtete, empfand auch die Generalität diese Erklärung als politische Notwendigkeit und war mit dieser Dokumentierung des Willens, keinen Krieg zu beginnen, durchaus einverstanden. Das Bestreben nach Änderung der Grenzen im Osten war Allgemeingut des deutschen Volkes. Die Abtrennung Danzigs und die Schaffung des Korridors wurden von ganz Deutschland als unerträglich empfunden, übrigens auch von alliierten Staatsmännern nach 1918 scharf kritisiert.

Der Anschluß Österreichs war ein zunächst von Österreich ausgehender Gedanke, dessen Berechtigung im Wege der Freiwilligkeit nicht zu bestreiten ist.

Daß diese Ziele nicht mit Gewalt und Krieg erreicht werden könnten, war dem nüchternen Soldaten klarer als jedem anderen.

Wenn aber dem russischen Soldaten die Eroberung von Teilen Finnlands, Polens und Bessarabiens nicht als Verbrechen angerechnet wird, wie könnte man dann dem deutschen Offizier daraus einen Vorwurf machen, daß er sich die Verbesserung der internationalen Stellung Deutschlands auf friedlichem Wege zum Ziel setzte? Wie könnte man aus dieser Einstellung den Schluß rechtfertigen, daß er die Erreichung dieses Zieles nur im Wege des Angriffskrieges erstrebt hätte?

Ich fasse zusammen: Die von der Anklage betroffenen militärischen Führer als Gesamtheit wollten nicht den Versailler Vertrag beseitigen, um Krieg zu führen, sondern um Deutschland die Gleichberechtigung und Sicherheit zu geben. Sie wollten nicht die halbe Welt erobern, sondern eine moralisch, militärisch und wirtschaftlich untragbare Grenze korrigieren, sie wollten nicht um jeden Preis Angriffskriege oder Krieg überhaupt führen, sondern sie betrachteten den Krieg so, wie alle Soldaten der Welt es tun, nämlich als eine unabänderliche letzte Entscheidung, wenn alle anderen Mittel erschöpft sind.

Der Plan zu einem späteren Angriffskrieg soll sich nach der Anklage bereits dokumentieren in der Aufrüstung und in der Rheinlandbesetzung.

Die Anklage zieht hier wieder das Schlagwort des deutschen »Militarismus« heran, der eigenständig und älter als die Partei sei und auch bereits vor der Machtergreifung im Sinne der späteren Pläne Hitlers gearbeitet habe.

Wie war die tatsächliche militärische Lage etwa um 1935?

Deutschland hatte eine Heeresstärke von höchstens 250000 Mann einschließlich der Reservisten, keine modernen Waffen, keine Geschütze über 10,5 cm Kaliber, keine Luftwaffe, gänzlich veraltete Befestigungen. Die Marine bestand nur aus 15000 Köpfen, sie durfte kein Schiff von mehr als 10000 Tonnen haben, sie hatte keine U-Boote.

Der über die militärischen Bestimmungen des Versailler Vertrags hinausgehende sogenannte »Grenzschutz« war nach Organisation, Bewaffnung und Munitionsausstattung so unbedeutend, daß er nur zur Abwehr für begrenzte Zeit verwendbar und seinem militärischen Wert nach einer fast unausgebildeten Miliz gleichzusetzen war. Die in der Propaganda so oft hervorgehobene »Schwarze Reichswehr« war bereits 1923 aufgelöst worden.

Diesem so schwach gerüsteten Reich standen gegenüber: Frankreich mit 600000 Mann Friedensstärke, 1,5 Millionen Mann im Kriegsfall, die Tschechoslowakei mit 600000 Mann im Kriegsfall, Polen mit 1 Million Mann im Kriegsfall.

Alle diese Staaten hatten modernste Bewaffnung, Luftstreitkräfte und Panzerformationen.

Kann wirklich ein Mensch diese bescheidenen – gemessen an modernen Kriegserfordernissen geradezu lächerlichen – deutschen Rüstungsmaßnahmen im Verhältnis zu denen der Umwelt als Vorbereitung und Grundlage für die späteren Angriffskriege ansehen?

Auch das ganze Denken der damaligen militärischen Kreise war ausschließlich auf Verteidigung gerichtet. In der Truppenausbildung ging das Ziel auf Heranbildung von Unterführern, die ausreichen sollten, um im Konfliktsfalle das Heer zu verdreifachen. Das hätte bestenfalls gerade noch zur Abwehr eines der möglichen Gegner ausgereicht. In der Gefechtsausbildung nahm die Kampfform des hinhaltenden Widerstandes den Hauptraum ein, auch die Führerausbildung sah nur die Abwehr oder das zeitweilige Aufhalten eines feindlichen Angriffs – meist erst im Inneren Deutschlands – vor. Für eine erstmalig zum 1. April 1930 vorgesehene Kriegsgliederung mit einer ungefähren Verdreifachung des Heeres für den Kriegsfall reichten die Waffenbestände zur Bewaffnung bei weitem nicht aus. Bis 1935 fand irgendeine Aufmarschbearbeitung nicht statt.

Man wende nicht ein, daß schon diese bescheidenen Maßnahmen durchaus überflüssig gewesen seien – auch als Verteidigungsmaßnahmen, da ja niemand Deutschland bedroht habe.

Frankreich hatte sich nur unter starkem anglo-amerikanischen Druck zum Verzicht auf das linke Rheinufer bewegen lassen. Die Tschechoslowakei erhob Ansprüche auf das Glatzer Bergland und die Lausitz. In Polen wurde ganz offen die Annektion Oberschlesiens gefordert.

Wo ist von einem deutschen »Militarismus« als Vorläufer und Vorbereiter für Hitlers Angriffspläne auch nur eine Spur zu finden? Die damaligen Offiziere haben nur im Geiste des Friedens und der Humanität gearbeitet, um im Falle eines Feindangriffes eine Verteidigung zu ermöglichen.

An den in den Jahren 1935 bis 1937 folgenden politischen Ereignissen, der tatsächlichen Aufhebung des Versailler Vertrags, dem Austritt aus dem Völkerbund und der Erklärung der Wehrhoheit hatten die militärischen Führer keinerlei Anteil. Die Erklärung Hitlers, die territorialen Grenzen des Versailler Vertrags würden respektiert und die Locarno-Vereinbarung innegehalten, wurde von den militärischen Führern genauso geglaubt wie vom ganzen deutschen Volk und der übrigen Welt. Die Punkte, die die Anklage übergeht, weil sie nicht in das Bild der von ihr konstruierten Verschwörung passen: der Verzicht auf Elsaß-Lothringen, das Abkommen mit Polen und der Flottenvertrag mit England bedeuteten für den Soldaten das endliche Aufhören des »Cauchemar des Coalitions«. Nur die zunehmende Entfremdung von Rußland wurde mit Sorgen betrachtet.

Die Wiederbesetzung des Rheinlandes war für den Soldaten eine moralische Selbstverständlichkeit, die sich aus der Stellung Deutschlands als eines gleichberechtigten und souveränen Staates ergab. Trotzdem warnte der Oberbefehlshaber des Heeres so nachdrücklich, daß die Zahl der auf das linke Rheinufer vorgeschobenen Garnisonen auf nur 3 Bataillone beschränkt wurde.

Ich fahre auf Seite 39 oben fort:

Die von der Anklage betroffenen militärischen Führer als Gesamtheit waren ohne jeden Einfluß auf den Gang der Ereignisse, ja sie selbst wurden davon überrascht. Wenn in all diesen Jahren die Handlungen Hitlers von dem Ausland hingenommen und mindestens de facto anerkannt wurden, so mag das, wie Herr Justice Jackson meint, seinen Grund darin haben, daß dort »schwache Regierungen« am Ruder waren. Tatsache war und blieb aber die internationale Anerkennung. Wenn das Ausland schon in alledem keinen »Anfang der Ausführung« von Angriffskriegen erkannte, wie sollten die deutschen militärischen Führer als Ganzes die Erkenntnis von solchen Planungen Hitlers gewonnen haben?

Für den militärischen Fachmann wird der letzte Zweifel von der Absicht der militärischen Führer durch die Einsichtnahme in die militärischen Planungen jener Zeit behoben, die reinste Verteidigungsanordnungen enthielten. Bezeichnend ist die Schlußansprache des Generaloberst Beck vor einem Kreis höherer Offiziere nach Abschluß einer operativen Aufgabe mit dem Thema »Kampf mit der Tschechoslowakei«. Wenn er in dieser mit außerordentlichem Ernst als Ergebnis der Studie hervorhob, daß Deutschland zwar das tschechische Heer innerhalb einiger Wochen niederwerfen könne, dann aber nicht in der Lage sei, den inzwischen über den Rhein nach Süd- und Mitteldeutschland eingedrungenen französischen Kräften irgendeine nennenswerte Gegenwehr entgegenzusetzen, so daß der Anfangserfolg gegen die Tschechoslowakei sich in seiner weiteren Auswirkung in eine unabsehbare Katastrophe für Deutschland verwandeln müsse, so kann das wohl nicht als Zeichen der Kriegslüsternheit der Generale, als Zeichen der Zustimmung zu etwaigen Angriffsplänen Hitlers, gedeutet werden.

Auch in der Folgezeit betonten die militärischen Führer immer wieder mit Ernst, daß die deutsche Politik – welche Ziele sie auch verfolgen möge – nie eine Lage herbeiführen dürfe, die einen Zweifrontenkrieg zur Folge habe. Damit war jeder Gedanke, einen Angriffskrieg zu führen, angesichts der Fülle von Beistandspakten, Garantieverpflichtungen und Bündnissen zwischen allen Nachbarn Deutschlands grundsätzlich ausgeschlossen.

Die Geschichte hat den Generalen Recht gegeben. Hitler hat auf ihre Warnungen nicht gehört, sondern ausgerufen: »Was sind das für Generale, die ich als Staatsoberhaupt womöglich zum Kriege treiben muß. Wäre es richtig, so dürfte ich mich doch vor dem Drängen der Generale nach Krieg nicht retten können!« Nur wer die Wahrheit nicht sehen will, kann an diesen Tatsachen vorbeigehen. Wenn jemals eine Einmütigkeit der militärischen Führer bestanden hat, so gewiß nicht im Planen von Angriffskriegen, sondern – aus ganz nüchterner Erkenntnis der Gefahren und Folgen jedes Krieges für Deutschland und die Welt – in der Ablehnung solcher Pläne des Staatsoberhauptes.

Hitler, der Mann, der es am besten wissen mußte, hielt diese Männer als »Teilnehmer« an seinen Plänen nicht für geeignet und setzte sie ab. Er sah auch keinen anderen Offizier aus dem sogenannten »Verschwörerkreis« als geeignet zum obersten Befehlshaber und zum künftigen Teilnehmer an etwaigen Planungen an, sondern übernahm nun persönlich den Oberbefehl über die Wehrmacht und wurde damit ihr unmittelbarer Vorgesetzter.

Seine Willensäußerungen und Weisungen der Wehrmacht gegenüber erhielten nunmehr den Charakter des militärischen Befehls. Gegenvorstellungen waren zwar noch möglich, – aber wenn der Befehlende auf seiner Auffassung beharrte, gab es nur die Pflicht der Untergebenen, zu gehorchen. Das dürfte in allen Armeen der Welt Grundsatz sein.

An dieser Stelle muß ich ein Dokument besprechen, das der Anklage in besonderem Maße als Beweis der Pläne der »verbrecherischen Organisation« dient, das sogenannte »Hoßbach-Protokoll« über die Besprechung am 5. November 1937. Was ist tatsächlich geschehen?

Nicht eine »einflußreiche Gruppe der Nazi-Verschwörer traf zur Überprüfung der Lage mit Hitler zusammen«, sondern Hitler ließ als Staatsoberhaupt einige militärische Führer und den Außenminister kommen. Er entwickelte seine Gedanken: Zunächst erklärte er, die Fragen Österreich und Tschechoslowakei sollten 1943 bis 1945 gelöst werden; dann bezeichnete er Polen als möglichen Angreifer. Keine Rede war von der Lösung der Korridorfrage oder von Eroberungen im Osten und dergleichen.

Was die Zuverlässigkeit des Protokolls angeht, so ergibt sich aus dem von mir vorgelegten Affidavit Nummer 210 des Generals Hoßbach klar, daß Hoßbach den Wortlaut der Rede nicht mitgeschrieben, sondern ihren Inhalt einige Tage später aus dem Gedächtnis heraus schriftlich niedergelegt hat. Wer wüßte nicht, wie leicht bei solchen nachträglichen Niederschriften durch die Verwendung eigener Worte oder durch Gedächtnislücken Fehler vorkommen, die den tatsächlichen Vorgang entstellen!

Fest steht jedenfalls folgendes:

1. Der Reichskriegsminister und der Oberbefehlshaber des Heeres haben nicht nur nicht irgendeinem kriegerischen Plan zugestimmt, sondern ernst und eindringlich auf die von England und Frankreich drohende Gefahr unter Betonung der Schwäche Deutschlands hingewiesen.

2. Was immer der Sinn der Ansprache Hitlers gewesen sein mag, so haben alle militärischen Führer von den geäußerten Gedanken Hitlers überhaupt nichts erfahren. Generaloberst von Fritsch hat bei seiner Entlassung noch nicht einmal seinen Nachfolger davon unterrichtet.

3. Selbst wenn ein einzelner Offizier von dem Inhalt dieser Besprechung erfahren hätte, dann könnte man auch daraus noch keine Schlüsse gegen die Gesamtheit der militärischen Führer ziehen. Wenn Hitler in sechs bis acht Jahren einen Krieg in Aussicht stellte, so lag noch kein Grund zur Beunruhigung vor. In einem so langen Zeitraum waren noch zahlreiche politische Lösungen möglich. Auch waren die wahren Gedanken Hitlers aus dieser Ansprache genau so wenig zu erkennen wie aus seinen sonstigen Ansprachen.

4. Aus der Ansprache mußten die wenigen anwesenden Offiziere zum mindesten den positiven Schluß ziehen, daß Hitler selbst für die Jahre bis 1943 nur an eine unbedingt friedliche Entwicklung denke.

Wo also ist der Beweis für eine Beteiligung der Generale an den Planungen Hitlers? Aus dem Verhalten der Generalität bei dem Anschluß Österreichs und in der tschechischen Frage will die Anklage wiederum Rückschlüsse auf die Einstellung der Generale zu dem Gesamtplan ziehen. Die besonders betonte Bedeutung der Mitwirkung einiger Offiziere bei der Besprechung im Februar 1938 auf dem Obersalzberg zwischen Hitler und den österreichischen Staatsmännern beleuchtet nichts besser als der spätere Ausspruch Hitlers: »Ich habe meine am brutalsten aussehenden Generale als Statisten hingestellt, um Schuschnigg den Ernst der Lage zu dokumentieren.«

Der tatsächliche Einmarch und die Besetzung Österreichs waren eine politische Maßnahme, deren Hintergründe die Gesamtheit der Generale nicht kannte. Der Offizier sah nur, daß bei dem Einmarsch seine Truppen überall mit Blumen überschüttet und von Hunderttausenden begeistert begrüßt wurden und daß kein Schuß fiel.

Der von der Anklage herangezogene Aufmarschplan »Grün« gegen die Tschechoslowakei war nicht etwa die Folge der Besprechung vom 5. November 1937, sondern eine reine Vorsichtsmaßnahme für den Fall eines Krieges mit Frankreich, und lag bereits am 1. Oktober 1937, also vor der Besprechung, im Generalstab vor.

Obwohl es auch in diesem Falle zu einem Abkommen kam, in dem der Einmarsch der deutschen Truppen vereinbart wurde, warnte der Generalstabschef Generaloberst Beck mit Billigung des Oberbefehlshabers des Heeres in einer Denkschrift vor einer Politik, die zum kriegerischen Konflikt führen könne. Er betonte darin, daß jeder von Deutschland ausgelöste Krieg in Europa letzten Endes zu einem Weltkrieg mit tragischem Ende für Deutschland führen müsse. Generaloberst Beck wurde abgesetzt.

Als am 10. August 1938 Hitler sich unmittelbar an die Generalstabschefs der Armeen wandte, offenbar in der Hoffnung, auf diesem Weg über die jüngere Generation den Widerstand der älteren Oberbefehlshaber zu überwinden, wurden ihm auch in diesem Kreis solche Bedenken entgegengebracht, daß er noch mißtrauischer gegen die Generale wurde. Wo also war die Begeisterung der Generale für Hitlers Pläne, wo ihre Beteiligung daran?

Die ständig wechselnden Äußerungen Hitlers in der Sudetenangelegenheit ließ bei den militärischen Führern erst recht nicht die Erkenntnis aufkommen, daß er ernstlich einen Krieg planen könne.

Am 5. November 1937 erklärte er, er werde die tschechische Frage 1943 bis 1945 lösen.

Am 20. Mai 1938 gab er in einer militärischen Weisung bekannt: »Es ist nicht meine Absicht, die Tschechoslowakei ohne Provokation in naher Zukunft durch militärische Aktion zu zerschmettern.«

Am 30. Mai 1938 gab er an die Wehrmacht die Weisung: »Es ist mein unabänderlicher Entschluß, die Tschechoslowakei durch militärische Aktion in naher Zukunft zu zerschmettern.«

Am 18. Juni 1938 hieß es in einer neuen Weisung: »Das unmittelbare Ziel ist die Lösung der tschechischen Frage durch meine freie Entscheidung.«

Am 24. August 1938 legte er als Vorbedingung eines deutschen Angriffs einen »Zwischenfall« in der Tschechoslowakei fest.

Am 16. September 1938 begannen die militärischen Vorbereitungen an der Grenze. Aber gleichzeitig begannen auch die politischen Verhandlungen.

Am 1. Oktober 1938 erfolgte auf Grund der politischen Vereinbarung die friedliche Besetzung des abgetretenen Gebietes.

Die Einnahme des Protektorats über die Tschechoslowakei erfolgte als rein politische Maßnahme, die militärischen Führer erhielten nur den Befehl zum friedlichen Einmarsch.

Als nun im Dezember 1938 in einem schriftlichen Befehl an das OKH angeordnet wurde, daß das Heer sich bis 1945 nur den Aufgaben seines organisatorischen Aufbaus und seiner Ausbildung zu widmen habe und daß jede Art von Vorbereitungen für einen Kriegsfall einschließlich der Vorbereitungen für eine Grenzsicherung unterbleiben sollte, gewannen die militärischen Führer die feste Überzeugung, daß eine friedliche Entwicklung gesichert wäre. Welches dieser Ereignisse ließe den Schluß zu, daß die militärischen Führer sich an einem Gesamtplan mit der Zielrichtung auf einen Angriffskrieg beteiligt hätten? In allen Fällen taten die militärischen Führer nichts anderes, als daß sie nach vollzogener politischer Entscheidung ihre rein militärischen Befehle ausführten.

Die politische Entwicklung, die zum Kriege mit Polen führte, ist in diesem Verfahren zur Genüge behandelt. Ich habe hier nur noch darzustellen, wie sie sich in den Augen der militärischen Führer ausnahm. Wie war jetzt das Verhältnis der Generale Hitler gegenüber? Er war der Oberste Befehlshaber der Wehrmacht, also ihr unmittelbarer militärischer Vorgesetzter. Ihre politischen Bedenken waren überall ad absurdum geführt worden: bei der Rheinlandbesetzung, bei dem Anschluß Österreichs, in der Sudetenfrage, bei der Errichtung des Protektorats.

Es ist leicht, aus der heutigen Kenntnis der Dinge diese Tatsachen einfach wegzuleugnen, aber damals war der Glaube an Hitlers politisches Geschick bei der Mehrzahl der Bürger und Soldaten greifbare Wirklichkeit. Und alle Erfolge hat er nur auf dem Wege der Politik, in keinem Falle durch Krieg erreicht. Um zu erkennen, daß er es zu einem Krieg, zu einem Angriffskrieg mit Polen kommen lassen würde, hätten die militärischen Führer Hellseher sein müssen. Wie sollten sie seine Ziele erkennen? Dem Auswärtigen Amt war ihre Unterrichtung über die politische Lage verboten. Weder als einzelne noch als Gesamtheit konnten sie an politischen Entscheidungen mitwirken. Die Vorschläge des Reichsaußenministers im Oktober 1938 gegenüber dem Polnischen Botschafter, die Besprechungen Hitlers selbst mit dem Polnischen Außenminister in Warschau, konnten von dem Standpunkt des Soldaten nur als Versuche einer politischen Lösung des polnischen Problems gewertet werden, aber nie als Hinweis auf einen beabsichtigten Angriffskrieg.

Der erste militärische Befehl im April 1939 bedeutete nicht mehr als die Vorbereitung für eine »Eventualität«. Wenn man als militärischer Führer nüchtern dachte, so ließe die Zusicherung englischer und französischer Hilfe für Polen jeden Gedanken an einen Angriffskrieg gegen Polen absurd erscheinen.

Die Besprechung vom 23. Mai 1939 war eine einseitige Ansprache des Obersten Befehlshabers an die von ihm befohlenen militärischen Führer. Wenn Hitler dabei wörtlich erklärte: »Ich müßte ein Idiot sein, wenn ich wegen der lausigen Korridorfrage in einen Weltkrieg hineinschlittern würde wie die unfähigen Männer des Jahres 1914« und wenn Hitler dabei auf die Bemerkung des Feldmarschalls Milch, daß die Produktion an schweren Bomben für den Fall eines Krieges völlig unzulänglich sei und umgehend vermehrt werden müsse, antwortete, solche Maßnahmen hätten noch Zeit, so mußten die militärischen Führer daraus schließen, daß Hitler die militärischen Vorbereitungen nur zur Unterstützung der eingeleiteten politischen Maßnahmen getroffen habe, daß er es aber auf keinen Fall auf einen bewaffneten Konflikt mit Polen ankommen lassen würde.

Auch die Besprechung vom 22. August 1939 war keine Beratung mit Ratgebern, sondern die Ansprache des Obersten Befehlshabers an die von ihm befohlenen militärischen Führer. Wenn Hitler dabei die Worte gebrauchte: »Wir haben keine andere Wahl, wir müssen handeln,« so sagte er damit nicht, wie er sich dieses »Handeln« dachte. Jedenfalls hatten die militärischen Führer noch keineswegs den Eindruck, daß ein Krieg gegen Polen beschlossene Sache sei, im Gegenteil, die sichtliche Erleichterung mit der Hitler den soeben mit der Sowjetunion abgeschlossenen Handelsvertrag bekanntgab, ließ bei den Teilnehmern den festen Glauben zurück, er werde auch in der polnischen Frage eine diplomatische Lösung finden.

Hitler war bis dahin ein Meister im Ergreifen der richtigen Gelegenheit. Niemand hat wohl das Mittel des Bluffs virtuoser gehandhabt als er. Bluff und militärischer Druck sind aber erlaubte Mittel der Politik. Daraus den Schluß zu ziehen, daß, wer das eine tut oder unterstützt, damit auch den Angriffskrieg billigt ist völlig verfehlt. Wenn Hitler wirklich den Plan zu einem Angriff auf Polen längere Zeit vorher gefaßt haben sollte, so haben die militärischen Führer diesen Plan als solchen nicht einmal erkennen können. Sie wurden letzten Endes selbst »geblufft«.

Als dann die Würfel gefallen waren, was sollten sie tun? Sollten sie etwa erklären: »Wir machen nicht mit«, oder sich weigern anzutreten?

Sie hatten ihre Pflicht zu tun. Sie waren in genau der gleichen Lage, in der die russischen Heerführer waren, als diese auf Stalins Befehl einige Tage später ebenfalls in Polen einrückten.

Nachdem der Krieg einmal begonnen hatte, galt für die militärischen Führer das Wort Napoleons: »Merken Sie sich, meine Herren daß im Kriege der Gehorsam höher steht als die Tapferkeit.«

Die Anklage macht die militärischen Führer aber ferner nicht nur für den Beginn des Krieges, sondern auch für seine Ausweitung und seine Führung überhaupt verantwortlich.

Die Gründe politischer oder militärischer Art, die zur Ausweitung und Gestaltung der Kriegsgeschehnisse geführt haben, sind in diesem Verfahren so oft und so vielseitig erörtert, daß ich es mir an dieser Stelle – zumal bei der beschränkten Zeit, die mir zur Verfügung steht – versagen muß, sie noch einmal in einem großen Überblick zu erörtern.

Für die militärischen Führer stellten sich die politischen Hintergründe des zweiten Weltkrieges als deutliche Folgen der im Vertrag von Versailles geschaffenen Verhältnisse dar. Dadurch erschien ihnen das deutsche Vorgehen gegen Polen letzten Endes moralisch gerechtfertigt.

Den Krieg im Westen haben die deutschen Generale am allerwenigsten gewünscht. Wenn England und Frankreich den Krieg erklärten, so war das sicher keine Tatsache, die die deutschen militärischen Führer vertreten hätten. Was im weiteren Kriegsverlauf sich an Ausweitungen ergab, kann nicht mehr als die Folge freier Entschlüsse oder eines vorbedachten Planes angesehen werden. Der Zwang des Kampfes um Sieg oder Niederlage, wenn erst einmal ein Krieg ausgebrochen ist, schreibt schon den Staaten ihren Weg vor. Der Soldat ist dann nichts anderes als das Schwert, das zuschlagen muß und der Schild, der die Hiebe auffängt, um den Tod des eigenen Volkes zu verhindern. Die Beweisaufnahme im Falle Raeder hat einwandfrei klargestellt, welche Erwägungen den engen Kreis der Offiziere beherrschten, die die Besetzung Dänemarks und Norwegens vorbereiteten. Wir wissen, daß hier das Deutsche Reich einer alliierten Unternehmung knapp zuvorkam. Wenn schon der Oberbefehlshaber der Marine zu der Überzeugung kam, daß es sich um eine zwingende Notwendigkeit zur Abwendung schwerster Gefahren für Deutschland handelte, wie könnte dann den zur sogenannten Gruppe gehörenden Befehlshabern die Einsicht gekommen sein, daß so schwerwiegende Gefahren nicht zu befürchten seien! Hätten die alliierten Generalstabs- und Truppenführer etwa das Recht oder die Möglichkeit gehabt, die Einschiffung ihrer Truppen, die zu dem gleichen Zwecke – vor der deutschen Aktion – erfolgte, zu verweigern? Im übrigen waren es wenige militärische Führer, die von der Aktion Kenntnis hatten. Alle übrigen von der Anklage betroffenen Offiziere erfuhren von der Unternehmung erst durch den Rundfunk. Wie also können sie der Teilnahme an der Planung gegen diese Länder bezichtigt werden?

Auch die Gründe und Voraussetzungen des Westfeldzuges sind abschließend erörtert. Die Haltung der Generale ist hier ganz besonders bezeichnend gegen die Annahme der Anklage. Schon das OKH wandte sich scharf gegen den Entschluß Hitlers zu einem Angriff im Westen, insbesondere wegen der beabsichtigten Neutralitätsverletzung. Die Zusammenstöße mit Hitler waren so schwer, daß Hitler in seiner Ansprache an die Oberbefehlshaber vom 23. November 1939 ungewöhnlich scharfe Angriffe gegen die Generale richtete, ihnen Unkenntnis in außenpolitischen Fragen vorwarf und von einer »überfälligen Oberschicht« sprach, die schon 1914 versagt habe. Noch am Abend dieses Tages erklärte der Oberbefehlshaber des Heeres seinen Rücktritt, der jedoch nicht angenommen wurde.

Wenn also das OKH Hitlers Plänen scharf widersprach, schwere Auseinandersetzungen zwischen Hitler und den Generalen erfolgten, und schließlich der Oberbefehlshaber des Heeres seinen Rücktritt forderte, welches andere Vorgehen könnte man sonst noch von den Generalen verlangen? Hätten sie sich etwa zu einer Meuterei vor dem Feinde entschließen sollen? Selbst eine solche wäre bei der starken Stellung des damals siegreichen Hitler im deutschen Volke völlig wirkungslos geblieben. Darüber hinaus hat das OKH immer in der Hoffnung, es könne sich doch noch eine Friedensmöglichkeit finden, den Angriffsbeginn bis in das Frühjahr 1940 hinein verzögert. Selbst wenn, juristisch gesehen, in dem Vormarsch durch Belgien und Holland eine objektive Neutralitätsverletzung gesehen werden sollte, so mußten doch die militärischen Führer diese Maßnahme als durch die Kriegserfordernisse geboten und nach den ihnen bekanntgewordenen Nachrichten über den drohenden Neutralitätsbruch von alliierter Seite aus auch als berechtigt ansehen. Dies um so mehr, als sie die politischen Verhältnisse nicht überblickten, und auf den Entschluß zum Einmarsch keinerlei Einfluß gehabt hatten.

Die Gründe für das Vorgehen gegen Jugoslawien und Griechenland sind in der Beweisaufnahme Göring, Keitel und Jodl ausreichend geklärt worden. Der Krieg gegen Griechenland war eine zwangsläufige Folge des eigenmächtigen Vorgehens Italiens, der Krieg gegen Jugoslawien eine Folge des plötzlichen Staatsstreichs in Belgrad. Was die militärischen Führer anlangt, so hatten sie einen Krieg auf dem Balkan nicht einmal in den Kreis ihrer Erwägungen gezogen, geschweige denn, daß sie dafür irgendeine Art von Verantwortung trugen.

Mit der Möglichkeit einer Wendung gegen die Sowjetunion rechneten die militärischen Führer im Anfang des Krieges keineswegs. Es wurden auch von ihnen keinerlei Vorbereitungen für einen solchen Fall getroffen. Noch nicht einmal Karten waren dafür im OKH vorhanden. Als Hitler später sie zu solchen Plänen veranlaßte, begründete er das mit der Notwendigkeit, einem drohenden Eingreifen Rußlands in den Krieg zuvorzukommen. Das russische Vorgehen gegen Finnland, das Baltikum und Bessarabien schien die Richtigkeit dieser Auffassung zu bestätigen. Glaubhafte Nachrichten von starken russischen Truppenmassierungen waren für sie weitere Anzeichen drohender Gefahr. Wie sich aus der Aussage des Generalfeldmarschalls von Rundstedt und des Generals Winter ergibt, stieß der deutsche Angriff in starke russische Aufmarschvorbereitungen hinein, die erst recht bei den militärischen Führern die Überzeugung bekräftigten, daß Hitler mit seiner Erklärung, es handle sich um einen echten Präventivkrieg, recht gehabt habe.

Die Bodenorganisation der sowjetischen Luftwaffe war so weit zur Grenze vorgezogen, daß allein schon daraus mit Sicherheit auf eine russische Angriffsabsicht geschlossen werden mußte. 10000 Sowjet-Panzer, 150 Sowjet-Divisionen und eine Vermehrung der Flugplätze, in Ostpolen allein von 20 bis 100, wurden damals festgestellt. Wenn die militärischen Führer unter solchen Umständen den Entschluß Hitlers zum Präventivkrieg als militärisch gerechtfertigt ansahen, so war auch ihre Teilnahme an diesem Krieg in Ausübung ihrer soldatischen Pflicht niemals ein Verbrechen. Die von der Anklage als Planung eines Angriffskrieges angesehene militärische Planung mit dem Kennwort »Barbarossa« war bis zuletzt als reiner Eventualfall gedacht, als eine vorsorgliche Maßnahme für den Fall, daß die Sowjetunion ihre Haltung ändern würde. Selbst nach dem Februar 1941 hatten – außer den führenden Persönlichkeiten des OKW, OKH und dem Oberbefehlshaber der Luftwaffe – nur 18 von 129 angeklagten militärischen Führern überhaupt von dieser Planung, und zwar auch nur als Planung für den Eventualfall, erfahren. Der Oberbefehlshaber des Heeres, Feldmarschall von Brauchitsch, hatte auch für diesen Eventualfall Hitler gewarnt, indem er auf schwerwiegende militärische Bedenken hinwies. Die Masse der hier betroffenen Offiziere hat aber erst unmittelbar vor Beginn des Krieges, als die Würfel schon gefallen waren, dadurch Kenntnis erhalten, daß sie ihre Befehle empfing.

Wie hätten sich die 18 Offiziere, die von der Planung erfuhren, mit Erfolg Hitlers Absichten entgegenstellen können? Die von Hitler angegebenen Gründe rechtfertigten den Krieg. Ein Abwarten, bis die sowjetische Bedrohung zum wirklichen Angriff würde, mußte nach militärischer Voraussicht zur Vernichtung des Reiches führen. Für die anderen militärischen Führer war überhaupt keine Möglichkeit gegeben, Hitlers Entschluß abzulehnen.

Der Beginn des Krieges gegen die USA ist gleichfalls schon erörtert worden. Er wurde erklärt, ohne daß die obersten militärischen Führer vorher überhaupt dazu gehört wurden. Wenn selbst das OKH erst die vollendete Tatsache erfuhr, wie sollen dann die übrigen militärischen Führer von der Absicht Hitlers, diesen Krieg zu beginnen, etwas gewußt haben? Für die Kriegsmarine, die allein für die Kriegführung in Frage kam, solange nicht die Land- und Luftstreitkräfte der USA in Europa oder Afrika eingriffen, steht fest, daß die Feindseligkeiten praktisch schon lange vor der Kriegserklärung durch Roosevelts Schießbefehl eröffnet worden waren, obwohl die deutschen Streitkräfte die völkerrechtlich nicht gerechtfertigte 300-Seemeilen-Grenze streng respektierten. Die Beweisaufnahmen Raeder und Dönitz haben eindeutig ergeben, daß alle Befehle des Oberkommandos der Kriegsmarine darauf abzielten, einen Konflikt mit den Vereinigten Staaten unter allen Umständen zu vermeiden.

Ich komme zum Abschluß dieses Kapitels:

Welche Schuld tragen die von der Anklage betroffenen 129 Offiziere als Gesamtheit an dieser Ausweitung des Krieges?

Ich glaube, keine andere als die, die jeder Soldat trägt, wenn er im Kriege dort für sein Vaterland kämpft, wo man ihn hinstellt.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird eine 10 Minuten lange Pause einlegen.