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DR. LATERNSER: Ich komme nun zu dem Kapitel: »Verbrechen gegen Kriegsrecht und Humanität.«

Die Beschuldigung, daß die betroffenen militärischen Führer erstens an der Planung und zweitens an der Durchführung eines verbrecherischen totalen Krieges, insbesondere auch an Verbrechen gegen die feindlichen Armeen und gegen Kriegsgefangene, sowie gegen die Bevölkerung in den besetzten Gebieten beteiligt gewesen seien, trifft die deutsche Generalität besonders stark. Für die Generale geht es nicht um die Verkleinerung etwaiger eigener Schuld sondern um die Feststellung geschichtlicher Wahrheit.

Will man das furchtbare Geschehen des letzten Weltkrieges gerecht beurteilen, so muß man sich vergegenwärtigen, daß das Tun und Lassen der einzelnen wie der Völker nicht allein das Produkt freien Willens oder guter oder schlechter Gesinnung ist, es erwächst vielmehr aus den geistigen Grundlagen der Zeit, deren Einnüssen sich niemand zu entziehen vermag.

Schon von Beginn des 19. Jahrhunderts an haben sich die Völker mit den Problemen der Macht in jeglicher Gestalt auseinandersetzen müssen. Die verschiedenen Lehren, die seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts allgemein festzustellende materialistische Einstellung, und schließlich auch die in allen Kontinenten bemerkbare Übersteigerung des Nationalgefühls sind Erscheinungen, die – gleichgültig, ob sie gut oder schlecht waren – auf die Einstellung und das Handeln der Völker nicht ohne Einfluß geblieben sind. Wenn auch diese Ideen nicht zu den Resultaten zu führen brauchten, vor denen wir heute stehen, so sind sie doch letzten Endes der geistige Ausgangspunkt für das Zustandekommen des zweiten Weltkrieges mit seinen Folgen.

Ein anderer Gesichtspunkt, der bei einer gerechten Würdigung des gesamten Geschehens, insbesondere der ungeheuren Menschenopfer, nicht übersehen werden darf, ist die Abwertung des Menschen. Sie beruht einmal auf der seit dem 19. Jahrhundert bei fast allen Kulturnationen festzustellenden »Vermassung«. Je stärker die Völker sich vermehrten, desto mehr sank bedauerlicherweise der Wert des einzelnen Menschen. Vor allem hat aber auch die fortschreitende Entwicklung der Technik zu dieser Abwertung erheblich beigetragen. Wenn die moderne Technik den Menschen die Mittel in die Hand gibt, mit einem Schlag Zehntausende von Menschenleben zu vernichten, wenn die Luftangriffe einer einzigen Nacht 200000 Menschenopfer verursachen – wie in Dresden – wenn ein oder zwei Atombomben genügen, 100000 Menschen ums Leben zu bringen, dann muß die Bewertung des Menschen sinken. Diese Erscheinung zeigte sich schon im ersten Weltkrieg, wie in der russischen Revolution und im spanischen Bürgerkrieg. Die deutschen militärischen Führer sträubten sich gegen diese Entwicklung, als Kinder ihrer Zeit aber konnten sie sich ebensowenig wie die Soldaten der anderen Länder dem Geist ihrer Epoche entziehen. Der zweite Weltkrieg war aber nicht nur ein rein militärischer Krieg, sondern daneben, in seinen Auswirkungen sogar vorwiegend, ein Krieg der Weltanschauungen. Wann immer auch Weltanschauungen aufeinanderprallten, wurde der Kampf zu einem Vernichtungskampf, zum totalen Kampf. Von jeher forderten weltanschauliche Kämpfe Ströme von Blut und brachten unvorstellbare Greuel mit sich. Man erinnere sich der Religionskriege und denke an die Opfer und Grausamkeiten der großen Revolutionen. So wurde auch der zweite Weltkrieg als weltanschauliche Auseinandersetzung von beiden Seiten mit einer Schärfe und Ausdauer geführt, die schließlich zur vollen Ausschöpfung der menschlichen Kräfte und materiellen Mittel der eigenen Völker, das heißt zum »totalen Krieg« im wahrsten Sinne des Wortes, führte.

Wenn darüber hinaus der Begriff »totaler Krieg« von den Politikern beider Seiten im Sinne der totalen Ausrottung der gegnerischen Weltanschauung erweitert wurde, so zeigt dies, was eine weltanschauliche Auseinandersetzung bedeutet.

Wie standen die Generale diesen Problemen gegenüber? Der von der Anklage erfaßte Kreis von Generalen bestand ausschließlich aus Männern, die den Soldatenberuf als Lebensaufgabe gewählt hatten. Sie waren reife Männer mit Lebenserfahrung, die nicht erst unter dem nationalsozialistischen Regime den Soldatenrock angezogen hatten. Gerade der gereifte Mensch aber hat ein stärkeres Gefühl für Überlieferungen, Recht und Gesetz als der junge. So zeigt sich auch hier schon bald nach Kriegsbeginn, daß die militärischen Führer mit den revolutionären Ideen Hitlers über die Methoden der Kriegführung keineswegs übereinstimmten und es ablehnten, sie sich zu eigen zu machen. Die Generale waren fest entschlossen, den Kampf in alter Tradition unter genauester Beachtung der Kriegsregeln zu führen. Der von Hitler im November 1939 den Generalen gemachte Vorwurf über ihre »rückständigen Auffassungen ritterlicher Kriegführung« spricht eine deutliche Sprache. Daß sich diese Einstellung bei ihnen auch in späterer Zeit nicht geändert hat, geht daraus hervor, daß im weiteren Verlauf des Krieges ein großer Teil der hier unter Anklage stehenden Generale wegen dieser Haltung, trotz ihrer militärischen Erfolge, abgelöst wurde.

Vor dem Hohen Gericht sind drei Generalfeldmarschälle als Zeugen aufgetreten. Hat man von diesen Männern den Eindruck gewonnen, daß sie etwa Verbrecher gegen die Regeln des Kriegsrechts und der Humanität waren? Diese Offiziere wußten aus dem ersten Weltkrieg, daß Verstöße gegen das Kriegsrecht sich immer gegen die eigenen Soldaten kehren. Sie haben bis zuletzt den Kampf gegen die bewaffneten Streitkräfte der Gegner nach den Regeln des Kriegsrechts geführt.

Die gleiche Einstellung hatten die Generale auch gegenüber der Zivilbevölkerung und bei der Verwaltung der besetzten Feindgebiete.

Der militärische Führer, der für den Kampf an der Front die Verantwortung trägt, hat nur ein Interesse, nämlich, daß in seinem Rücken Ruhe herrscht. Schon aus diesem Grunde wird er alles tun, um jegliche Beunruhigung der Bevölkerung zu vermeiden. Er weiß zu genau, daß alle unnötigen Zwangsmaßnahmen nur zu feindlichen Reaktionen, diese zu verschärften Repressalien, und diese wiederum zum Aufstand führen müssen.

Wenn man schon der soldatischen Ehrauffassung und der christlichen Einstellung der militärischen Führer keinen Glauben schenken will, so möge man wenigstens glauben, daß die Vernunft sie veranlaßt hat, die Bevölkerung der besetzten Gebiete entsprechend dem Völkerrecht zu behandeln, ihr Privateigentum zu schonen, und sie im Rahmen des Möglichen in ihrer friedlichen Arbeit zu unterstützen.

Daß andererseits offener Widerstand im Rücken einer Armee nicht geduldet werden kann und in derartigen Fällen auch von den militärischen Führern entsprechende Gegenmaßnahmen getroffen wurden, ist selbstverständlich. Die schweren Strafandrohungen der alliierten Militärregierungen gegen jede Auflehnung und jeden Waffenbesitz in Deutschland, jetzt nach Beendigung des Kampfes, beweisen das auch.

Als Auswirkung des Doppelgesichtes des zweiten Weltkrieges – des militärischen einerseits und des weltanschaulichen andererseits – ist die Kriegführung von den obersten Stellen unmittelbar unter der Person Hitlers bis herab zu den untersten Ausführungsorganen ganz scharf abgegrenzt gewesen. Nur die rein militärische Kriegführung war Sache der Wehrmacht, während alles, was mit dem danebenlaufenden weltanschaulich-politischen Kampf im Zusammenhang stand, politischen Stellen und deren Ausführungsorganen übertragen war. So wurden entgegen früheren Gepflogenheiten die von der Wehrmacht eroberten Teile des Feindeslandes grundsätzlich sofort nach der Besetzung der Territorialgewalt der Oberbefehlshaber entzogen und Vertretern der politischen Führung unterstellt.

Deshalb muß alles, was an etwaigen Verbrechen in Gebieten begangen wurde, die nicht der Territorialgewalt des angeklagten Personenkreises unterstanden, in diesem Verfahren über die Frage der Verantwortlichkeit der sogenannten »Gruppe«, ausscheiden.

Das Protektorat und das Generalgouvernement, Norwegen, Belgien und Nordfrankreich, das restliche besetzte Frankreich, Luxemburg und Elsaß-Lothringen, Kroatien, Jugoslawien und Griechenland, Slowakei, Ungarn und Italien unterstanden nicht der Territorialgewalt der militärischen Führer.

In der Sowjetunion wurden auf Befehl Hitlers die Operationsgebiete von vornherein so eng wie möglich abgegrenzt. Sie haben daher nur das im unmittelbaren Bereich der militärischen Operationen liegende Gebiet umfaßt, bis die Territorialhoheit schließlich auf die unmittelbare Kampfzone, das heißt auf den Raum etwa zehn Kilometer hinter der vorderen Linie beschränkt wurde. Außerhalb dieses Gebietes lag die Verwaltungshoheit bei politischen Stellen.

Vorwürfe gegen die in den einzelnen Ländern und Gebieten eingesetzten »Militärbefehlshaber« oder »Wehrmachtsbefehlshaber« sind hier unbeachtlich, weil diese Offiziere nicht in die Anklage einbezogen sind.

Diese Regelung der Verwaltung zeigt, daß Hitler aus Mißtrauen gegen die militärischen Führer wegen ihrer Einstellung zu den Fragen der Kriegführung und Humanität die Durchführung des weltanschaulich-politischen Kampfes ganz konsequent den politischen Stellen und deren Ausführungsorganen übertragen hatte.

Die Oberbefehlshaber hatten also räumlich gesehen nur die Territorialhoheit, soweit und solange irgendwelche Gebiete im Feindesland zum Operationsbereich gehörten, mithin auch nur insoweit die Verantwortung.

Selbst innerhalb der Operationsgebiete waren aber alle nicht unbedingt mit dem Kampfgeschehen zusammenhängenden Aufgaben dem Einfluß der Wehrmacht entzogen und der verantwortlichen Führung vollkommen selbständiger politischer Stellen übertragen. So zum Beispiel alle politisch-polizeilichen Maßnahmen, die wirtschaftliche Ausnutzung der besetzten Gebiete, die kulturellen Maßnahmen und der Arbeitseinsatz der Bevölkerung. Es verblieben also den Oberbefehlshabern als Aufgaben außer dem rein militärischen Kampf an der Front nur die militärische Sicherung und die Einrichtung der örtlichen Verwaltung innerhalb der Operationsgebiete.

Im übrigen waren sie im Operationsgebiet durch die Aufgabe der Kampfführung, der Versorgung ihrer Truppen und durch die militärischen Sicherungsaufgaben ganz außerordentlich stark in Anspruch genommen, so daß sie sich um andere Aufgaben selbst nicht kümmern konnten. Ihr Platz war im Kampfbereich der unterstellten Verbände. Ihr Sorgen und Planen mußte in erster Linie dem unaufhörlichen Kampf und ihren Truppen gelten. Diese Tatsachen sind die einfache Erklärung dafür, daß viele Dinge und Maßnahmen anderer, nicht zur Wehrmacht gehörender Dienststellen, selbst in den Operationsgebieten geheimgehalten werden konnten und nicht zur Kenntnis der militärischen Befehlshaber gelangten.

Die Verbände der Waffen-SS unterstanden den Kommandobehörden der Wehrmacht als Kampftruppe ausschließlich für den Kampfeinsatz selbst und hinsichtlich der Versorgung. Sowohl organisatorisch als auch personell, disziplinär und gerichtlich hatte allein der Reichsführer-SS Himmler Befehlsbefugnis.

Alle sonstigen Organisationen Hitlers, zum Beispiel Einsatzgruppen, Polizei, SD, Organisation Todt und so weiter erhielten ihre Weisungen und Befehle ausschließlich von ihren eigenen vorgesetzten Stellen und nicht vom Oberbefehlshaber des Operationsabschnitts.

Durch diese Befehlsregelung und Teilung der Verantwortlichkeit waren die Oberbefehlshaber praktisch auf die Führung der ihnen unterstellten Truppen im Operationsgebiet beschränkt.

Nach dieser Klarstellung des Verantwortungsbereiches der militärischen Oberbefehlshaber wende ich mich nunmehr der Behandlung einiger Sondergebiete zu und muß hierbei einleitend zu den von der Anklage verwendeten Dokumenten darauf hinweisen, daß aus dem Zusammenhang herausgerissene Auszüge von deutschen Befehlen den wirklichen Sinn des Befehls oft nicht erkennen lassen und zu falschen Schlußfolgerungen führen. Bei anderen Dokumenten, insbesondere der Russischen Anklage, handelt es sich zum Teil um Feststellungen irgendwelcher Kommissionen. Niemand kann nachprüfen, ob die in diesen Dokumenten enthaltenen Zahlen, zum Beispiel über Ermordete, zutreffen, zumal alle näheren Angaben über den Zeitpunkt der Begehung dieser Verbrechen und über die sonstigen tatsächlichen Grundlagen fehlen. Nicht die tatsächliche Zahl an Toten beweist schon, daß es sich um Tote handelt, die durch Deutsche ermordet worden sind.

So schmilzt das scheinbar so erdrückende Beweismaterial der Anklage bei näherer Betrachtung zusammen, zumal wenn man auch noch berücksichtigt, daß dieses Material von zahlreichen Kommissionen in allen Ländern, von Hunderten von Zeugen in monatelanger Arbeit zusammengetragen ist und Geschehnisse umfaßt, die sich nicht in einem engen Befehlsbereich, sondern in riesigen Räumen und über einen langen Zeitraum hin zugetragen haben.

Trotz der großen Schwierigkeiten, die sich der Verteidigung bei der Beschaffung des Verteidigungsmaterials entgegengestellt haben, habe ich dem Gericht bei meinem Beweisvortrag ein außerordentlich umfangreiches Entlastungsmaterial vorgelegt und dazu Ausführungen gemacht, soweit mir Gelegenheit gegeben wurde.

Die auch jetzt begrenzte Zeit macht es mir unmöglich, das beigebrachte Gegenbeweismaterial hier auch nur annähernd erschöpfend auszuwerten.

Ich greife nur einige Einzelfälle heraus, denen ich besondere Bedeutung beimesse:

Eine große Rolle spielt der Kommissarbefehl, durch den die sofortige Erschießung der politischen Kommissare angeordnet worden war. Als Hitler diesen allein von ihm geplanten Befehl im März 1941 zunächst mündlich bekanntgab, stieß er sofort bei sämtlichen anwesenden Generalen, aus ihrer soldatischen und menschlichen Einstellung heraus, auf stärkste innere Ablehnung. Nachdem alle Versuche der Generale des OKW und des OKH, die Herausgabe dieses Befehls Hitlers zu verhindern, keinen Erfolg gehabt hatten und der Kommissarbefehl einige Zeit später in schriftlicher Form erlassen worden war, gaben die Oberbefehlshaber der Heeresgruppen und Armeen diesen Befehl entweder überhaupt nicht an ihre Truppen weiter, oder sie ordneten von sich aus die Umgehung dieses Befehls an. Sie taten es in voller Erkenntnis der Gefahr, wegen offenen Ungehorsams gegen einen Befehl des Obersten Befehlshabers im Krieg schwer bestraft zu werden. Der vom Oberbefehlshaber des Heeres im Anschluß an den Kommissarbefehl erlassene Befehl über die Wahrung der Disziplin hatte den beabsichtigten Erfolg. Er gab den Oberbefehlshabern der Front die Handhabe, ihrer Auffassung entsprechend zu handeln. So erreichten die militärischen Führer, daß der Kommissarbefehl im Bereich der Heeresgruppen und Armeen generell nicht zur Durchführung gelangte. Endlich wurde auf das energische Vorgehen des Generalstabschefs Zeitzler der Kommissarbefehl wieder aufgehoben.

VORSITZENDER: Besteht irgendein schriftlicher Beweis für die Aufhebung dieses Befehls?

DR. LATERNSER: Jawohl, Herr Präsident. Dieser Beweis ergibt sich aus den von mir überreichten Affidavits, und der letzte von mir eben verlesene Absatz wird bewiesen durch die Urkunde 301 b.

VORSITZENDER: Sie meinen, daß ein schriftlicher Befehl des Chefs des Generalstabs Zeitzler bestanden habe, der diesen Befehl aufgehoben hätte?

DR. LATERNSER: Ich glaube, ich bin mißverstanden worden. Nach dem letzten Absatz, den ich eben verlesen habe, Herr Präsident, hat der Generalstabschef Zeitzler durch seine Gegenvorstellung bei Hitler erreicht, daß der Befehl aufgehoben worden ist. Das wird bewiesen durch die Urkunde 301 b, die ich dem Hohen Gericht unterbreitet habe; die Urkunde liegt auch in Übersetzung vor.

Was wollte man von den militärischen Führern mehr verlangen?

Der Befehl stammte nicht von ihnen, sie haben ihn nicht weitergegeben, nicht ausgeführt, und sie haben seine Aufhebung betrieben und erreicht. Hierin lag das Gemeinschaftliche und ihre Einmütigkeit, und gerade diese Behandlung des Kommissarbefehls ist ein Leumundszeugnis beweiskräftigster Art für die einwandfreie Einstellung der Generale.

Auch der Befehl über die Einschränkung der Militärgerichtsbarkeit im Osten stieß schon bei der mündlichen Bekanntgabe durch Hitler auf den Widerstand der anwesenden Oberbefehlshaber. Auf ihre ablehnende Haltung ist es zurückzuführen, daß Hitler seinen ursprünglichen Plan aufgab, die Militärgerichtsbarkeit im Osten vollkommen auszuschalten, und sich auf ihre Einengung beschränkte.

Gerade auch in diesem Zusammenhang gewinnt der vom Oberbefehlshaber des Heeres herausgegebene Zusatzbefehl über die Aufrechterhaltung der Manneszucht größte Bedeutung. Die Oberbefehlshaber der Heeresgruppen und Armeen handelten in ihrer Gesamtheit nach den Bestimmungen dieses Zusatzbefehles und schritten bei allen Verstößen von Wehrmachtsangehörigen gegenüber der Zivilbevölkerung unnachsichtig ein. Sie ließen in schweren Fällen Todesurteile fällen und vollstrecken. Selbst einfache Kraftfahrzeugunfälle, bei denen russische Einwohner verletzt wurden, wurden von den Militärgerichten verfolgt und die Schuldigen zur Verantwortung gezogen. Das beweist unter anderem die Aussage des Generalfeldmarschalls von Leeb.

Auch in diesem Fall haben also gerade wieder die von der Anklage betroffenen Offiziere dafür Sorge getragen, daß ein Befehl Hitlers, der ihrer inneren Einstellung widersprach, nicht zur vollen Durchführung gelangte.

Die Einstellung der militärischen Führer zu dem Kommandobefehl Hitlers war von vornherein derart ablehnend, daß Hitler diesen Befehl nicht nur persönlich verfassen mußte, sondern er sah sich darüber hinaus auch gezwungen, ungewöhnlich harte Strafen für seine Nichtbefolgung anzudrohen.

Dennoch vernichtete der Oberbefehlshaber in Afrika, Generalfeldmarschall Rommel, aus innerer Ablehnung diesen Befehl sofort nach Empfang. Der Oberbefehlshaber West, Generalfeldmarschall von Rundstedt, sorgte dafür, daß er nicht durchgeführt, sondern umgangen wurde. Der Oberbefehlshaber Südwest, Generalfeldmarschall Kesselring, gab Zusatzanordnungen heraus, durch die sichergestellt wurde, daß die Kommandotrupps auch weiterhin als Kriegsgefangene behandelt wurden.

Für den östlichen Kriegsschauplatz hatte der Befehl ohnehin keine Bedeutung.

Diese Beispiele zeigen deutlich, daß auch hier wieder die militärischen Führer Mittel und Wege gefunden haben, die Durchführung des ihrer soldatischen Auffassung widersprechenden Kommandobefehls zu verhindern.

Die von der Anklage erwähnten Einzelfälle müssen im Rahmen dieser Erörterungen außer Betracht bleiben, da es sich hierbei um Einzeltaten handelt, die in besonderen Verfahren ihre Untersuchung bereits gefunden haben oder noch finden müssen. Sie ergeben aber keineswegs die typische Einstellung der militärischen Führer, auf die es in diesem Prozeß allein ankommen dürfte.

Hier scheinen mir folgende Fragen noch von Wichtigkeit zu sein:

Konnten die militärischen Führer nicht darauf vertrauen, daß die in diesem Befehl enthaltenen tatsächlichen Feststellungen der Wahrheit entsprachen? Mußten sie nicht annehmen, daß der Befehl vor seiner Ausgabe völkerrechtlich geprüft war? Ist dieser Befehl völkerrechtlich überhaupt unhaltbar? Ist er noch eine zulässige Repressalie?

Das wird das Gericht zu entscheiden haben, falls es diesem Befehl Hitlers für die Beurteilung des von mir vertretenen Personenkreises Bedeutung beimessen sollte.

Bei der Frage der Kriegsgefangenenbehandlung ist nur zu untersuchen, ob von den Oberbefehlshabern in Ausführung eines gemeinsamen Planes irgendwelche Mißhandlungen Kriegsgefangener in Operationsgebieten befohlen oder schuldhaft geduldet worden sind.

Wenn in der ersten Zeit des Rußlandfeldzuges die russischen Kriegsgefangenen nicht entsprechend den Bestimmungen der Genfer Konvention untergebracht und verpflegt werden konnten, so ist dies ausschließlich darauf zurückzuführen, daß bei den Hunderttausenden von Gefangenen gewisse Schwierigkeiten unvermeidbar waren. Wenn sich nach Kriegsschluß auch bei den Alliierten ähnliche Schwierigkeiten bei dem plötzlichen Massenanfall deutscher Kriegsgefangener ergaben, so werden sie deshalb den Vorwurf von Humanitätsverbrechen gewiß nicht hinnehmen.

Im übrigen sind die von der Anklage vorgetragenen Einzelfälle durch das über alle Kriegsschauplätze beigebrachte Gegenbeweismaterial entkräftet und widerlegt worden. Die militärischen Führer haben auf allen Kriegsschauplätzen etwaigen Ausschreitungen gegen Kriegsgefangene durch Befehle vorgebeugt und bei Verstößen die Schuldigen zur Verantwortung gezogen.

Irgendwelche Mißhandlungen oder gar Tötungen von Kriegsgefangenen sind von ihnen weder befohlen noch wissentlich geduldet worden.

Der Partisanenkampf als eine neuartige illegale Form der Kriegsführung wurde von Splittern feindlicher Armeen oder Aufständischen entfacht, die von ihren Regierungen unterstützt wurden. Ihr Kampf wurde nicht nach Kriegsbrauch offen mit der Waffe, sondern versteckt mit allen Mitteln der Tarnung geführt. Die russischen Anweisungen für die Partisanenkriegsführung sind hierfür ein deutlicher Beweis. Die Partisanen konnten infolgedessen die Schutzbestimmung der Artikel 1 und 2 der Haager Landkriegsordnung für sich nicht in Anspruch nehmen. Durchgreifende deutsche Gegenmaßnahmen in der Form von Repressalien waren somit »durch die Erfordernisse des Krieges erheischt«. So wurden deutscherseits 1942 und in einer Neuausgabe von 1944 entsprechende Vorschriften für die Partisanenbekämpfung herausgegeben. Auch die sonst hierzu erlassenen Befehle, in denen von »schärfstem Durchgreifen« oder der »Vernichtung des Gegners«, das heißt der Vernichtung seiner Kampfkraft, gesprochen wird, waren die Folge der heimtückischen Kampfesweise der Partisanen: sie meinten nur militärisch erlaubtes scharfes Durchgreifen, nicht aber Grausamkeiten und Willkür. Daß Ausschreitungen auch der deutschen Truppen in Einzelfällen vorkamen, war eine unvermeidliche Reaktion auf bestialische Ermordung deutscher Soldaten.

Wenn die Anklage aber darüber hinaus behauptet, daß die militärischen Führer den Partisanenkampf dazu benutzt hätten, die Zivilbevölkerung der besetzten Gebiete auszurotten, so entbehrt diese Behauptung jeder Grundlage.

Das Affidavit Nummer 15 des Generals Röttiger, auf das sich die Anklage stützt und das sie selbst aufgesetzt hat. Ist durch das Kreuzverhör ganz eindeutig aufgeklärt worden. Der Zeuge hat niemals völkerrechtswidrige Befehle für den Bandenkampf erhalten, er bestätigt obendrein die Einhaltung der militärischen Regeln auch für diese Kampfesart.

Der Kampf gegen die Partisanen mußte wegen ihrer illegalen Kampfesweise zwar scharf, durfte aber nur mit erlaubten Mitteln geführt werden. Es handelte sich somit um notwendige deutsche Abwehrmaßnahmen, die sich in keiner Weise gegen die Zivilbevölkerung der besetzten Gebiete als solche richteten, geschweige denn deren Ausrottung zum Ziele hatten.

Wohl die schwerste Beschuldigung liegt in der Behauptung der Anklage, daß die Oberbefehlshaber von den Aufgaben und der Tätigkeit der angeblich ihnen unterstellten Einsatzgruppen in vollem Umfange Kenntnis gehabt, daß sie die Durchführung nicht nur geduldet, sondern sogar aktiv unterstützt hätten.

Die Anklage stützt sich hierbei auf die Aussagen der hohen SS-Führer Ohlendorf, Schellenberg und Rhode, sowie auf die Urkunde L-180.

Sind das nicht höchst fragwürdige Beweismittel? Können diese wirklich dem Gericht die Überzeugung vermitteln, daß die Generale der deutschen Wehrmacht ihre Hand zu den scheußlichsten Massenvernichtungen geboten haben? Ich verneine diese Frage aus vollster Überzeugung. Die Aussage des Zeugen Ohlendorf, unter dessen Befehl Tausende von Juden ermordet wurden, ist durch die des Generals Woehler in allen wesentlichen Punkten widerlegt. Schellenberg, der eine der maßgeblichen Stellungen in der berüchtigtsten Behörde Deutschlands – dem RSHA – innegehabt hat, ein Freund von Himmler, kann keine positiven Tatsachen angeben, aber er stellt Vermutungen auf. Er glaubt vermuten zu können, daß General Wagner von Heydrich im Juni 1941 über geplante Massenvernichtungen aufgeklärt worden sei. Wann kommt diesem Zeugen diese belastende Vermutung? Ende des Jahres 1945, als er in Haft genommen ist und für sich Vorteile sucht. Er kann, durch mich im Kreuzverhör danach befragt, keine Tatsachen aus dem Jahre 1941 für diese Vermutung angeben, aber er stellt sie dennoch auf, und zwar erstmals im Jahre 1945. Und General Wagner, ein besonders qualifizierter Offizier, der im Verlaufe des 20. Juli 1944 sein Leben im Kampf gegen den Nationalsozialismus eingebüßt hat, soll seinem direkten Vorgesetzten, dem Generalfeldmarschall von Brauchitsch, dem er lange Jahre besonders nahe stand und zu dem er als Generalquartiermeister jederzeit Zutritt hatte, nichts von dieser abscheulichen Aufklärung gemeldet haben? Unmöglich diese Annahme – das hat auch Generalfeldmarschall von Brauchitsch auf dem Zeugenstand bestätigt.

Schellenberg glaubt weiter, die Vermutung aufstellen zu können, daß die Ic-Offiziere auf einer Tagung im Juni 1941 über die Aufgaben der Einsatzgruppen, was Massenvernichtungen anlangt, unterrichtet worden seien. Er beläßt es nicht bei dieser Vermutung, nein, er fügt noch die weitere Vermutung hinzu, daß diese Ic-Offiziere die Oberbefehlshaber davon in Kenntnis gesetzt haben. Also zwei von Schellenberg aneinander gereihte Vermutungen sollen den Beweis dafür erbringen, daß die Oberbefehlshaber Kenntnis von diesen geplanten Massenvernichtungen gehabt haben.

Wie stellt sich nun Schellenberg im Kreuzverhör zu diesen von ihm aufgestellten Vermutungen?

Ich lege ihm eine beschworene Aussage eines Teilnehmers dieser Ic-Besprechungen vor, in der General Kleikamp ausdrücklich bekundet, daß von geplanten Massenvernichtungen nicht die Rede gewesen sei, wodurch Schellenbergs Lügengebäude zusammenbrechen muß.

Seine Antwort lautet, daß er über den Wert beider Eidesleistungen nicht zu entscheiden habe. Er setzt damit seine gegenteilige, reine Vermutung, die sich auf keinerlei Tatsachen gründet auf gleiche Stufe mit der positiven Bekundung eines Besprechungsteilnehmers, daß eine Unterrichtung über geplante Massenvernichtungen nicht erfolgt ist.

Soviel zur Aussage Schellenbergs. Ich bitte das Gericht, von dem Protokoll über das Kreuzverhör dieses Zeugen vor der Kommission in vollem Umfange Kenntnis zu nehmen.

Der Zeuge Rhode, gleichfalls ein hoher SS-Führer, will auch belasten. Er behauptet, daß die Einsatzgruppen den Oberbefehlshabern voll unterstellt gewesen seien, schränkt dies aber mit dem Zusatz ein: »Soweit mir bekannt ist.« Damit ist dieses Zeugnis für die Anklage wertlos.

Nun zur Urkunde L-180, nach der der Oberbefehlshaber der Panzergruppe 4, Generaloberst Höppner, besonders eng mit den Einsatzgruppen gearbeitet habe.

Besteht in der Verwertung eines solchen Berichts nicht eine große Gefahr für die Wahrheitsfindung, zumal nur die Ansicht des Berichterstatters in ihm enthalten sein kann? Es ist in ihm auch keine Angabe enthalten, worin die Zusammenarbeit bestanden und worauf sie sich bezogen hat. Die Einsatzgruppen und -kommandos hatten aber, wie bewiesen, auch Überwachungs- und Überprüfungsaufgaben und nur diese waren den Oberbefehlshabern bekannt. Wenn überhaupt eine Zusammenarbeit stattgefunden haben sollte, dann kann sich diese niemals auf Massenexekutionen von Juden bezogen haben.

Generaloberst Höppner, der gleichfalls als Opfer des 20. Juli 1944 sein Leben lassen mußte, wäre der letzte gewesen, der zum Massenmord seine Hand geboten hätte. Kann man denn wirklich glauben, daß ein General, der ein System sicherlich insbesondere wegen dessen Methoden unter Einsatz seines Lebens beseitigen will, sich vorher an dessen Massenmorden beteiligt?

Ich bedauere außerordentlich, daß ich die Generale Wagner und Höppner nicht mehr auf den Zeugenstand rufen kann, sie beide hatten sich nicht mit diesem System verschworen, sondern gegen es, und beide opferten ihr Leben dafür. Es ist merkwürdig, daß hier die Anklage, die so leicht ironisch wird, wenn die Angeklagten sich zu ihrer Entlastung auf tote Zeugen beziehen, die Kenntnis der militärischen Führer über geplante Massenvernichtungen und die Beteiligung daran in diesem Falle selbst mit Toten dokumentieren will, die sich leider hiergegen nicht mehr selbst wehren können. Diesem keineswegs schlüssigen Beweisvorbringen der Anklage gegenüber habe ich mit zahlreichen Affidavits bewiesen, daß

1. die Einsatzgruppen den militärischen Führern nicht unterstanden haben, was auch besonders deutlich aus dem Anklagedokument 447-PS hervorgeht,

2. dies General Wagner dem Generalrichter Mantel gegenüber zum Ausdruck gebracht hat und

3. eine Unterrichtung der militärischen Führer über geplante Massenvernichtungen nicht stattgefunden hat.

Das Hohe Gericht hat nun darüber zu entscheiden, ob es den SS-Führern Schellenberg, Ohlendorf und Rhode, die in ihrem Haß zum letztenmal versuchen, die militärischen Führer in das eigene Verderben mit hineinzuziehen, mehr glauben will als den Offizieren, von denen das Gericht sich selbst ein Bild machen konnte.

Was die übrigen Anklagepunkte, wie »Mißhandlung der Zivilbevölkerung«, »Zerstörungen und Plünderungen«, anlangt, so verweise ich auf meinen Beweisvortrag zu diesen Punkten, aus dem sich mit Deutlichkeit ergeben hat, daß die militärischen Führer in allen ihnen bekanntgewordenen gesetzwidrigen Fällen mit den schärfsten Mitteln eingeschritten sind.

Für die Beteiligung der militärischen Führer an Arbeiterdeportationen hat die Anklage kein stichhaltiges Beweismaterial vorgebracht. Die Frage der Geiselerschießungen muß im Rahmen dieses Verfahrens außer Betracht bleiben, weil die territorialen Militärbefehlshaber für die besetzten Gebiete, soweit sie überhaupt Geiselerschießungen angeordnet haben sollten, nicht unter den von mir vertretenen Personenkreis fallen.

Wenn ich hiermit wegen der knapp bemessenen Zeit meine Ausführungen zu den Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Humanität abschließe, so hat sich eines mit aller Deutlichkeit gezeigt:

Die militärischen Führer haben nicht in Ausführung irgendwelcher Pläne, die die Begehung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Humanität zum Ziele hatten, gehandelt. Sie haben vielmehr im Zeichen anständigen Soldatentums den Krieg in ritterlicher Form geführt und alle Befehle Hitlers, die ihrer eigenen Einstellung widersprachen, in der praktischen Durchführung zu verhindern gewußt.

Es mag vielleicht auffällig erscheinen, daß ich mich in all diesen Ausführungen nur mit den Frontbefehlshabern des Heeres und der Kriegführung zu Lande befaßt habe, nicht aber mit den Generalen der Luftwaffe und den Admiralen der Marine, die doch auch zu der sogenannten »Gruppe« gehören sollen. Ich kann nur verteidigen, was angegriffen wird. Alle Behauptungen der Anklage über die Begehung von Kriegs- und Humanitätsverbrechen betreffen die Oberbefehlshaber der Marine oder Luftwaffe überhaupt nicht. Der einzige Vorwurf gegen die Kriegsmarine, nämlich der über die Befehle für den U-Boot-Krieg, richtet sich allein gegen die beiden Großadmirale, die dafür auch die volle Verantwortung übernommen haben, während die Marine-Oberbefehlshaber im Felde damit nicht das geringste zu tun hatten. Gegen die Luftwaffenbefehlshaber sind überhaupt keine Vorwürfe erhoben. Wenn 17 Admirale und 15 Generale der Luftwaffe nur wegen ihrer Stellung in die sogenannte »Gruppe« hineingerechnet worden sind, während sie nicht einmal von der Anklage mit den gegen die »Gruppe« erhobenen Vorwürfen belastet werden, so ist das der Schlagendste Beweis gegen die These von dem Bestehen dieser »Gruppe« und erübrigt jede besondere Verteidigung für die Admirale und Generale der Luftwaffe.

Der letzte Vorwurf der Anklage, die militärischen Führer seien mitschuldig, weil sie in der Praxis die verbrecherischen Pläne und Taten Hitlers geduldet hätten, anstatt sich dagegen aufzulehnen, führt wieder auf das eigentliche Kernproblem dieses ganzen Verfahrens gegen die Soldaten zurück: auf das Problem der Gehorsamspflicht. Es ist wiederholt erörtert worden, daß der Führerbefehl nicht nur ein militärischer Befehl war, sondern darüber hinaus auch gesetzgebende Wirkung hatte.

Mußten also die militärischen Führer nicht einfach dem Gesetz gehorchen? Wenn eine Gehorsamspflicht nicht besteht gegenüber dem Befehl, der ein bürgerliches Verbrechen bezweckt, so liegt der Grund darin, daß der Befehl eine Tat fordert, die sich gegen die Staatsgewalt richtet. Kann aber überhaupt ein Verbrechen dann vorliegen, wenn der Befehl ein Handeln fordert, das nicht gegen die Staatsgewalt geht, sondern gerade von dieser gefordert wird? Und wenn man selbst diese Frage bejaht: welcher Staatsbürger in der Welt kann dann die Verbrechensnatur seines Handelns erkennen?

Zu einer Schuldfeststellung genügt es nicht, wenn die Anklage ausführt, was die Angeklagten nicht hätten tun dürfen, sondern sie müßte zugleich auch darlegen, was sie hätten tun dürfen, sollen oder müssen, denn jedes gesetzliche Verbot muß zugleich in sich auch ein Gebot enthalten. Wenn ich einmal unterstelle, daß trotz des Bestehens der Souveränität der einzelnen Staaten auf Grund von Völkerrecht und Moralgebot eine Rechtspflicht zum Handeln für die Generale auch gegen das Gesetz des eigenen Staates bestand, so könnte eine solche Rechtspflicht doch nur dann bejaht werden, wenn das Handeln Aussicht auf Erfolg bot, denn schließlich, sich hängen zu lassen, nur um sich seinen Pflichten zu entziehen, sein Land zu verraten, ohne Aussicht die Dinge zu ändern, dürfte mit keiner Moral zu fordern sein. Niemand ist letzten Endes verpflichtet, Märtyrer zu werden.

Welche Möglichkeiten passiven oder aktiven Handelns gegen Befehle und Gesetze gab es überhaupt für die angeklagten Generale? Wie waren die Erfolgsaussichten? Die einfache Ablehnung rechtswidriger Pläne oder Befehle, etwa durch Widerspruch, Warnung, Vortrag von Bedenken oder dergleichen war zwar möglich, blieb aber in der Praxis ohne jeden Erfolg. Zum Teil scheiterte diese Möglichkeit einfach schon daran, daß die Generale von vielen zu beanstandenden Dingen keine Kenntnis erhielten. Im politischweltanschaulichen Kampf wurden die Methoden vor den Generalen so sorgfältig geheimgehalten, daß sie von den Massenexekutionen nicht einmal etwas erfuhren, geschweige denn, daß sie sie hätten verhindern können. Im militärischen Sektor der Kriegsführung wurden die engsten Mitarbeiter Hitlers vielleicht zu dem »Wie« der militärischen Ausführung eines Entschlusses, nie zu dem Entschluß selbst gehört. Die hier angeklagten militärischen Führer erfuhren meist erst etwas davon, wenn sie als Soldaten die fertigen Entschlüsse militärisch durchzuführen hatten. Soweit möglich, erhoben sie Gegenvorstellungen. Der Oberbefehlshaber des Heeres, Freiherr von Fritsch, warnte vor der Rheinlandbesetzung, vor einer Politik, die zu einem Zweifrontenkrieg führen könnte, vor der Aufrüstung und – wurde abgesetzt. Der Generalstabschef Beck erhob politische Warnungen und – wurde entlassen. Generaloberst Adam sprach sich ebenfalls gegen die eingeschlagene Politik aus und – wurde entlassen. Das OKH nahm gegen die Westoffensive und die Neutralitätsverletzungen Stellung und – wurde ausgeschaltet. Der Oberbefehlshaber des Heeres wurde wegen gelegentlicher Übergriffe in Polen vorstellig, die Folge war – die Ausschaltung der militärischen Dienststellen von der Verwaltung der besetzten Gebiete. Warnungen, Bedenken, sachliche Gegenvorstellungen führten nie zum Erfolg, sondern meist nur dazu, daß Hitler erst recht bei seinen Ansichten beharrte und darauf bestand, daß sie in die Tat umgesetzt wurden. Blieben die Schritte der höchsten Befehlshaber so schon ohne Erfolg, was hätten die sonst von der Anklage betroffenen niedrigen Befehlshaber auf diesem Gebiet erreichen können?

Ein demokratischer Politiker wird sagen, sie hätten zurücktreten können. Das kann ein parlamentarischer Minister in einem demokratischen Land. Ein deutscher Offizier konnte das nicht. Ihn band der, Fahneneid, der für den alten Offizier, mehr noch als für jeden anderen, höchste Verpflichtung bedeutete. Der deutsche General konnte nur um die Genehmigung seines Rücktritts bitten. Ob diese Bitte Erfolg hatte, lag nicht in seiner Hand. Hitler verbot überdies im Kriege jedes derartige Gesuch, und stellte einen Rücktritt fast der Fahnenflucht gleich. Ein kollektives Rücktrittsgesuch, praktisch schon undurchführbar, wäre Meuterei gewesen und hätte nur willfährige Elemente an die Führung gebracht, nie aber Hitler so beeindruckt, daß er seine Politik, seine Befehle oder seine Methoden geändert hätte. Die tatsächlichen Versuche des Rücktritts einiger Feldmarschälle, insbesondere auch des Oberbefehlshabers des Heeres im November 1939, führten zu einer glatten Ablehnung. Die spätere Entlassung erfolgte durch Hitler auf Grund eigenen Entschlusses. Der Rücktritt der Frontbefehlshaber wäre trotzdem selbstverständliche Pflicht gewesen und hätte mit allen Mitteln durchgesetzt werden müssen, wenn diese Führer einmal vor Aufgaben gestellt worden wären, in denen nach ihrer Auffassung die Ehre des deutschen Volkes auf dem Spiele gestanden hätte. Aber gerade mit diesen Aufgaben, zu denen ich die Massenausrottungen rechne und die Greueltaten in den Konzentrationslagern, wurden die Generale nicht befaßt, gerade diese Dinge wurden vor ihnen sorgfältig geheimgehalten.

Wäre nun offener Ungehorsam leichter möglich oder erfolgversprechender gewesen?

Der amerikanische Hauptankläger sagt dazu in seinem Bericht an den Präsidenten der USA:

»Wenn ein auf Grund seiner Dienstpflicht eingezogener Soldat in ein Hinrichtungskommando eingereiht wird, so kann er für die Rechtsgültigkeit des Urteils, das er vollstreckt, nicht verantwortlich gemacht werden. Aber dort, wo ein Mann infolge seines Ranges oder der Dehnbarkeit der ihm erteilten Befehle nach eigenem Ermessen handeln kann, wird der Fall wahrscheinlich anders liegen.«

Diesen Standpunkt teilen die Generale nicht. Im Gegenteil, der Ungehorsam des einfachen Soldaten wird in seiner Wirkung leicht durch die Strafe aufgehoben, der Ungehorsam eines hohen militärischen Führers aber erschüttert das Gefüge der Wehrmacht, ja des Staates selbst, dem er angehört.

Wenn etwas in der Welt unteilbar ist, dann ist es der militärische Gehorsam.

Niemand hat Sinn und Charakter der soldatischen Gehorsamspflicht treffender geschildert als der englische Feldmarschall Lord Montgomery. Er führt in seiner am 26. Juli 1946 in Portsmouth gehaltenen Ansprache aus:

»Als Dienerin der Nation steht die Armee über der Politik und das muß so bleiben. Ihre Ergebenheit gilt dem Staat, und es steht dem Soldaten nicht zu, seine Ergebenheit wegen seiner politischen Ansicht zu ändern. Es muß klargestellt werden, daß eine Armee nicht eine Ansammlung von Individuen ist, sondern eine kämpfende Waffe, geformt durch Disziplin und kontrolliert durch den Führer. Das Wesen der Demokratie ist Freiheit, das Wesen der Armee Disziplin. Es hat nichts zu sagen, wie intelligent der Soldat ist. Die Armee würde die Nation im Stich lassen, wenn sie nicht gewohnt wäre, Befehlen augenblicklich zu gehorchen. Das schwierige Problem, strikten Gehorsam gegenüber den Befehlen zu erreichen, kann in einem demokratischen Zeitalter durch Einschärfung von drei Prinzipien erreicht werden:

1. Die Nation ist etwas, was der Mühe wert ist.

2. Die Armee ist die notwendige Waffe der Nation.

3. Pflicht der Soldaten ist es, ohne zu fragen allen Befehlen zu gehorchen, die die Armee, das heißt die Nation ihm gibt.«

Und die deutschen Generale – sie hätten nach Ansicht der Anklage nicht nur fragen sollen, als sie dem Obersten Befehlshaber und der Nation gehorchten, sondern sie hätten sich offen auflehnen sollen?

Wer diese Frage gerecht entscheiden will, müßte selbst einmal Armeeführer im Kriege, und zwar an der Front und unter besonders schweren Bedingungen gewesen sein, denn es ist ein großer Unterschied, ob jemand als Befehlshaber an einer schwer ringenden Front die Verantwortung für Leben und Sterben von Hunderttausenden von Soldaten trägt, oder ob es sich um einen Offizier handelt, der keine Frontverantwortung oder nur die an einem ruhigen Frontabschnitt trägt. Wenn die militärischen Führer gleichwohl unentwegt für ihre soldatischen Auffassungen gekämpft und im Rahmen des Möglichen nach ihnen gehandelt haben, so hat auch das keinen anderen Erfolg gehabt, als daß sie selbst gegen Kriegsende völlig ausgeschaltet waren. Ein kurzer Blick auf das Schicksal der militärischen Führer beweist das:

Von 17 Feldmarschällen, die im Heer Dienst taten, wurden zehn im Laufe des Krieges ihrer Stellungen enthoben, drei büßten ihr Leben ein im Zusammenhang mit den Vorgängen des 20. Juli 1944, zwei fanden im Felde den Tod, einer wurde gefangengenommen. Nur ein einziger blieb bis zum Kriegsende ungemaßregelt im Dienst.

Von 36 Generalobersten wurden 26 aus ihren Posten entfernt, darunter drei, die im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 hingerichtet wurden, zwei, die in Unehren verabschiedet wurden, sieben fielen im Felde und nur drei blieben ungemaßregelt bis zum Kriegsende im Dienst.

Die Gemaßregelten waren hochqualifizierte und an der Front bewährte Führer.

Ich fasse zusammen:

1. Der militärische Ungehorsam ist und bleibt eine Pflichtverletzung; im Kriege ein todeswürdiges Verbrechen.

2. Eine Pflicht zum Ungehorsam besteht für keinen Soldaten der Welt, solange es noch Staaten mit eigener Souveränität gibt.

3. In der Diktatur Hitlers hätte der offene Ungehorsam nur zur Vernichtung des Untergebenen, nie aber zur Aufhebung des gegebenen Befehls geführt.

4. Kein Stand hat seinen überkommenen, im Gegensatz zu den Methoden Hitlers stehenden Anschauungen, solche Opfer in seinen höchsten Spitzen gebracht, wie der Kreis der hier angeklagten Offiziere.

Bei der Unmöglichkeit und Wirkungslosigkeit jedes passiven Mittels wäre nur der Weg der Gewalt, des Umsturzes und Staatsstreiches geblieben. Wer immer einen solchen Weg erwog, mußte sich darüber klar sein, daß er nur über die Beseitigung Hitlers und der führenden Männer der Partei gehen konnte, und zwar so, daß diese Männer aus dem Leben ausgetilgt wurden. Also stand am Anfang jedes Staatsstreiches der unerbittliche Zwang der Beseitigung Hitlers und der führenden Männer der Partei. Für den Soldaten bedeutet das Mord und Eidbruch. Selbst wenn man verlangt, daß die Generale aus Gründen einer höheren Weltmoral ihre persönliche und soldatische Ehre hätten zum Opfer bringen müssen, woher hätten sie die Legitimation nehmen können, eine solche Tat gegen den Willen des Volkes zu tun, und wann wäre diese Tat mit Aussicht auf Erfolg und zum Wohle des Volkes ausführbar gewesen? Nach der Eingliederung des Protektorats stand Hitler auf der Höhe seiner Erfolge und galt einem großen Teil des deutschen Volkes als der größte Deutsche. Wenn Churchill am 4. Oktober 1938 von ihm sagte: »Unsere Führung muß wenigstens ein Stück vom Geist jenes deutschen Gefreiten haben, der, als alles um ihn in Trümmer gefallen war, als Deutschland in alle Zukunft in Chaos versunken schien, nicht zögerte, gegen die gewaltige Schlachtreihe der siegreichen Nationen zu ziehen,« ist das nicht Beweis genug dafür, daß ein Sturm des deutschen Volkes die Generale hinweggefegt hätte, die sich an Hitler vergriffen hätten? Hätten die Generale Hitler beseitigen sollen zu einer Zeit, als eine friedliche Lösung mit Polen durchaus noch möglich war, als das deutsche Volk nicht voraussehen konnte, daß der Krieg tatsächlich kommen und welche Folgen er haben würde – so wie es heute vor aller Augen offen daliegt?

Dann kam der Krieg und mit ihm eine entscheidende weitere Bindung der militärischen Führer. Jeder Aufruhr im Krieg hätte die Katastrophe für das Reich bedeutet. Solange die Siege dauerten, hätte sowieso jede Chance für ein Gelingen des Umsturzes gefehlt. Als aber nach Stalingrad klar wurde, daß der Kampf nunmehr um die nackte Existenz des deutschen Volkes geführt werden müsse, hatten die militärischen Führer erst recht kein moralisches Recht, Front und Heimat durch einen Staatsstreich zum Zusammenbruch zu bringen. Damals glaubten noch große Teile des deutschen Volkes an Hitler. Wären die militärischen Führer nicht für alles verantwortlich gemacht worden, was heute als Folge der Kapitulation von dem deutschen Volk so schwer empfunden wird? Kann man in einem Krieg um Leben und Sterben des Volkes Staatsstreich, Eidbruch und Mord wirklich als Rechtspflicht des Soldaten ansehen? Wie sagte Feldmarschall von Rundstedt im Zeugenstand: »Geändert hätte sich für das deutsche Volk nichts, aber mein Name wäre als der des größten Verräters in die Geschichte eingegangen.«

Wie sehr jeder derartige Versuch zum Scheitern verdammt war, beweist das Mißlingen des Attentats vom 20. Juli 1944. Selbst die jahrelange Vorbereitung dieses Attentats, die Beteiligung von Männern aus allen Kreisen, haben nicht zu einem Gelingen geführt. Wie also hätten die 129 angeklagten Offiziere einen Staatsstreich mit Erfolg durchsetzen können?

Gewiß, wenn sie die geschlossene Vereinigung gewesen wäre, die die Anklage so gern in ihnen sehen möchte, dann hätte vielleicht auch ein gemeinsam geplanter gewaltsamer Umsturz in Erwägung gezogen werden können. Aber da sie eben keine geschlossene Organisation darstellten, da sie nicht Politiker, sondern »nur« Soldaten waren, konnten sie von sich aus nichts tun, um eine Änderung der Verhältnisse herbeizuführen, sie konnten nur trotz ihrer Erkenntnis der militärischen Lage bis zum letzten gehorchen.

Die deutschen militärischen Führer standen zwischen dem Recht als Mensch und der Pflicht als Soldat.

Als bürgerliche Menschen hätten sie für sich das Recht in Anspruch nehmen können, den Dienst einem Führer und einem System zu versagen, das sich, je länger der Krieg dauerte, desto mehr als schädlich erwies. Sie hätten sich damit der persönlichen Verantwortung entziehen können, sie hätten, wie der Ankläger sagt, »ihre Haut gerettet«. Vielleicht stünden sie jetzt nicht vor diesem Gericht. Mit dieser Entscheidung hätten sie zugleich aber ihre Soldaten, die ihnen vertrauten und für die sie sich verantwortlich fühlten, im Stich gelassen. Darum blieb ihnen als Soldaten nur die Pflicht zum Kämpfen. Diese »Pflicht« hätte in einem höheren Sinne auch sein können, das System zu stürzen.

Im Kriege hätte das aber praktisch nichts anderes bedeutet, als die Niederlage herbeizuführen. Das konnte kein Soldat auf sich nehmen. Man fordert nicht Jahre hindurch von seinen Soldaten das Leben, um dann selbst die Waffen hinzuwerfen und als Verräter seines Volkes in die Geschichte einzugehen.

So blieb den deutschen militärischen Führern nur die Pflicht, bis zum letzten gegen den Feind zu kämpfen. Vor die tragische Entscheidung zwischen persönlichem Recht und soldatischer Pflicht gestellt, entschieden sie sich für die Pflicht und handelten damit im Sinne der Moral des Soldaten.

Welches Mittel blieb ihnen dann noch, um verbrecherische Dinge von sich und ihren Soldaten fern zu halten?

Es gab nur die eine Möglichkeit: die verbrecherischen Befehle zu umgehen, ihnen auszuweichen und sie durch Zusatzbefehle so umzugestalten, daß das Ergebnis dem Rechtsempfinden und dem Anstandsgefühl des Soldaten entsprach. Das haben sie bis zur Grenze des Möglichen getan, um den militärischen Krieg, dessen Führung allein ihnen oblag, nach den Geboten des Völkerrechts und der Humanität zu führen. Wenn daneben der politisch-weltanschauliche Krieg mit Methoden geführt worden ist, die heute die Verachtung der Welt über das deutsche Volk gebracht haben, dann haben die deutschen Generale in ihrer Gesamtheit an diesem Teil des Krieges keinen Anteil gehabt.

Ich bin am Ende meiner Ausführungen.

Ich glaube bewiesen zu haben,

1. daß die 129 militärischen Führer, die die Anklage treffen will, keinesfalls eine »Organisation« oder »Gruppe«, und noch weniger eine Willenseinheit zur Durchführung verbrecherischer Handlungen gewesen sind. Diese Männer sind keine Verbrechergilde.

2. daß die von der Anklage vorgenommene Zusammenfassung dieser Offiziere unter dem erfundenen Sammelbegriff »Generalstab und OKW« in Wahrheit eine rein willkürliche Zusammenstellung von einander verschiedener Dienststelleninhaber aus ganz verschiedenen Zeiten und noch dazu grundverschiedenen Wehrmachtsteilen ist. Ohne jede innere Berechtigung und ohne jede rechtliche Notwendigkeit gewählt, kann sie nur den Zweck haben, die von vielen Staaten zum Vorbild genommene Einrichtung des Generalstabes zu diffamieren. Welches Schlagwort für die Weltpresse: »Der deutsche Generalstab eine Verbrecherorganisation.«

Ich glaube ferner bewiesen zu haben, daß die militärischen Führer im Staate Hitlers nicht einmal die Möglichkeit gehabt haben, an einem politischen Plan, einer politischen Verschwörung mit dem Ziele des Angriffskrieges mitzuwirken, geschweige denn, daß sie sich daran aktiv beteiligt haben. Sie haben stets gewarnt, immer wieder gewarnt, und sind von der politischen Führung selbst überrannt worden.

Ich glaube schließlich bewiesen zu haben, daß nach erfolgtem Kriegsausbruch die militärischen Führer gegen die das Kriegsrecht und Humanität mißachtenden Methoden Hitlers passiven Widerstand geleistet haben. Sie haben dadurch praktisch Verbrechen gegen Kriegsrecht und Humanität im Rahmen des Möglichen verhindert und das Christentum als Soldaten hochgehalten.

Wenn einzelne unter den Betroffenen gefehlt haben, so werden sie sich zu verantworten wissen. Die Gesamtheit trägt keine Schuld an den begangenen Verbrechen, im Gegenteil, dieser Kreis war noch einer der Horte anständigen, humanen und christlichen Denkens und Handelns, hier wurden noch die Ideale wahrer Humanität und Christlichkeit gepflegt. Nur wer die ungeheuer schwierige Situation, in die jeder einzelne dieser Männer gestellt war, aus nächster Nähe erlebt hat, kann ihrer Haltung gerecht werden. Sie mußten ihren Gewissenskampf auf sich allein gestellt durchfechten, und konnten in Bedrängnis und Gewissensnot keinen Rückhalt suchen bei den Abgeordneten eines Parlaments, den Schriftleitern einer freien Presse oder bei irgendwelchen anderen einflußreichen Männern des öffentlichen Lebens – wie etwa die militärischen Führer auf der Gegenseite.

Diese Männer gerade sind mit Spott und Haß verfolgt worden, Sie wurden offen und mehr noch insgeheim als »reaktionäre Generale«, als »verstaubte Ritter mit mittelalterlicher Ehrauffassung« hingestellt. Nicht der »große Hitler«, sondern sie waren, nach der Parteipropaganda, für jeden militärischen Fehlschlag verantwortlich, sie waren die Verräter und Saboteure, die an allem Unheil die Schuld trugen. Ohne sie hätte Hitler seinen Krieg gewonnen.

Der abgrundtiefe Haß der Massenmörder aus dem Kreis um Himmler verfolgt sie bis in diesen Saal und sucht sie durch Lügen und Entstellungen in das eigene Verderben mit hineinzuziehen. Und der Ankläger sieht nicht, wie sehr er durch die These, Hitler sei durch Anstifter und Ratgeber getrieben und immer wieder getrieben worden, die Generale seien letzten Endes an allem schuld, dazu beiträgt, daß der Nimbus um Hitler wieder erstehen könnte, daß Hitler eines Tages dastünde, nicht als politischer Verbrecher und millionenfacher Mörder, sondern als der tragische Held, der durch die grauen Gestalten um ihn herum in den Abgrund gestürzt worden sei. Wünscht der Ankläger wirklich so das Urteil der Geschichte herauszufordern?

Die Geschichte hat ihre eigene Art zu urteilen. Die hier geforderte summarische Art der Aburteilung ist weltgeschichtlich so gut wie einzig dastehend. Es gibt eigentlich nur eine Parallele und sie ist Warnung und Lehre zugleich. Am 16. Februar 1568 verdammte ein Beschluß des Heiligen Amtes alle Einwohner der Niederlande mit Ausnahme einiger weniger namentlich genannten Personen, als Ketzer zum Tode. Der Herzog von Alba, seinem königlichen Herrn in blindem, fanatischem Gehorsam ergeben, wurde zum Vollstrecker dieses Massenverdikts bestellt. Das Urteil der Geschichte über diese erste große Betätigung des Gedankens der Kollektivschuld ist bekannt.

Die Geschichte wird ihr eigenes Urteil auch über die hier betroffenen militärischen Führer schreiben, und die deutschen Generale glauben, vor diesem Urteil bestehen zu können. Heute aber handelt es sich um das Urteil dieses Internationalen Militärgerichtshofs. Möge der Gerichtshof nicht außer acht lassen, daß die Erkenntnis, die er heute über das gesamte Geschehen – den äußeren Ablauf und die Hintergründe dazu – hat, diese Männer nicht gehabt haben, als sie die Entscheidungen trafen, für die sie heute verantwortlich gemacht werden sollen.

Diese Männer bangen nicht um ihr Leben, sondern um die Gerechtigkeit. Möge ihnen hier in Nürnberg ein Urteil werden, das, wie ich eingangs schon erwähnte, unberührt von den Leidenschaften des Alltags, weitab von blinder Rachsucht und kleinlichem Vergeltungstrieb, rein und unverfälscht aus dem Blickpunkt der Ewigkeit und im Hinblick auf eine bessere Zukunft der Völker nichts anderes ist als gerecht!

VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt sich.