Schlußfolgerung.
Der Gerichtshof findet Keitel nach allen vier Anklagepunkten schuldig.
VORSITZENDER:
Kaltenbrunner.
Kaltenbrunner ist nach den Anklagepunkten Eins, Drei und Vier angeklagt. Er trat der österreichischen Nazi-Partei und der SS im Jahre 1932 bei. 1935 wurde er Führer der SS in Österreich. Nach dem Anschluß wurde er zum österreichischen Staatssekretär für die öffentliche Sicherheit ernannt, und bei Abschaffung dieses Amtes im Jahre 1941 wurde er Höherer SS- und Polizeiführer.
Am 30. Januar 1943 wurde er zum Chef der Sicherheitspolizei und des SD und Chef des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) ernannt, eine Stellung, die Heydrich bis zu seiner Ermordung im Juni 1942 innehatte. Er hatte den Rang eines Obergruppenführers in der SS.
Verbrechen gegen den Frieden.
Als Führer der SS in Österreich war Kaltenbrunner an der Nazi-Intrige gegen die Schuschnigg-Regierung beteiligt. In der Nacht des 11. März 1938, nachdem Göring den österreichischen Nationalsozialisten befohlen hatte, die Kontrolle der Österreichischen Regierung an sich zu reißen, umstellten 500 österreichische SS-Männer unter Leitung Kaltenbrunners das Bundeskanzleramt, und eine Sonderabteilung, die unter dem Befehl seines Adjutanten stand, drang in das Bundeskanzleramt vor, während Seyß-Inquart mit dem Präsidenten Miklas verhandelte. Es liegt jedoch kein Beweismaterial vor, durch das Kaltenbrunner mit Plänen zum Führen eines Angriffskrieges an irgendeiner anderen Front in Verbindung gebracht wird. Der Anschluß, obwohl er eine Angriffshandlung darstellt, wird nicht als Angriffskrieg unter die Anklage gebracht, und nach Ansicht des Gerichtshofs wird durch das unter Anklagepunkt Eins gegen Kaltenbrunner vorgelegte Beweismaterial seine unmittelbare Teilnahme an irgendeinem Plane zum Führen eines solchen Krieges nicht erwiesen.
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Als Kaltenbrunner am 30. Januar 1943 Chef der Sicherheitspolizei und des SD und Chef des RSHA wurde, übernahm er die Leitung einer Organisation, die die Hauptämter der Gestapo, des SD und der Kriminalpolizei mit einbegriff. Als Chef des RSHA hatte Kaltenbrunner die Befugnis, Schutzhaft in Konzentrationslagern und die Entlassung aus Konzentrationslagern anzuordnen. Befehle dieser Art wurden normalerweise mit seiner Unterschrift ausgegeben. Kaltenbrunner kannte die Zustände in den Konzentrationslagern. Er hatte zweifellos Mauthausen besucht, und Zeugen haben ausgesagt, daß er der Tötung von Gefangenen durch die verschiedenen Hinrichtungsmethoden, Erhängen, Genickschuß und Vergasen als Teil einer Vorführung beigewohnt habe. Kaltenbrunner selbst befahl die Hinrichtung von Gefangenen in diesen Lagern, und sein Amt wurde dazu benützt, Hinrichtungsbefehle an die Lager weiterzugeben, die aus Himmlers Amt stammten. Am Ende des Krieges war Kaltenbrunner an den Vorkehrungen für die Evakuierung von Konzentrationslager-Insassen, sowie an der Vernichtung einer großen Anzahl von ihnen beteiligt mit der Absicht, zu verhindern, daß sie von den alliierten Armeen befreit würden.
Während des Zeitraumes, da Kaltenbrunner Chef des RSHA war, verfolgte dieses ein weitreichendes Programm von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Zu diesen Verbrechen gehörte die Mißhandlung und Ermordung von Kriegsgefangenen. Unter der Kontrolle der Gestapo arbeitende Einsatzkommandos führten die Untersuchung von sowjetischen Kriegsgefangenen durch. Juden, Kommissare und andere, von denen angenommen wurde, daß sie auf Grund ihrer Weltanschauung dem Nazi-System feindlich gegenüberstanden, wurden dem RSHA gemeldet, das ihre Überführung in ein Konzentrationslager und ihre Ermordung veranlaßte. Ein Befehl des RSHA, der während Kaltenbrunners Regime erlassen wurde, setzte den »Kugel«-Erlaß in Kraft, auf Grund dessen gewisse Kriegsgefangene, die geflohen und wieder ergriffen worden waren, nach Mauthausen gebracht und erschossen wurden.
Während Kaltenbrunner Chef des RSHA war, wurde von der Gestapo der Befehl zur Tötung von Kommandotrupps auf Fallschirmspringer ausgedehnt. Ein von Kaltenbrunner unterzeichneter Befehl wies die Polizei an, sich bei Angriffen auf abgesprungene alliierte Flieger nicht einzumischen. Im Dezember 1944 nahm Kaltenbrunner an der Ermordung eines der kriegsgefangenen französischen Generale teil.
Während des Zeitraumes, da Kaltenbrunner Chef des RSHA war, setzten die Gestapo und der SD in den besetzten Gebieten die Ermordung und Mißhandlung der Bevölkerung fort, wozu sie Methoden benutzten, zu denen Folterung und Gefangensetzung in Konzentrationslagern gehörten, im allgemeinen auf Grund von Befehlen, die mit Kaltenbrunners Namen unterzeichnet waren.
Die Gestapo war dafür verantwortlich, daß den Sklavenarbeitern eine strenge Arbeitsdisziplin aufgezwungen wurde, und Kaltenbrunner richtete zu diesem Zweck eine Anzahl von Arbeitserziehungslagern ein. Als die SS ein eigenes Sklavenarbeitsprogramm einleitete, wurde die Gestapo dazu benutzt, die benötigten Arbeiter dadurch zu beschaffen, daß sie Arbeiter in Konzentrationslager überführte.
Das RSHA spielte eine führende Rolle bei der »Endlösung« des jüdischen Problems durch Ausrottung der Juden. Eine besondere Abteilung wurde unter dem Amt IV des RSHA zur Überwachung dieses Programms geschaffen. Unter ihrer Leitung wurden ungefähr sechs Millionen Juden ermordet, von denen zwei Millionen von Einsatzgruppen und anderen Einheiten der Sicherheitspolizei getötet wurden. Kaltenbrunner war von der Tätigkeit dieser Einsatzgruppen in Kenntnis gesetzt worden, als er Höherer SS- und Polizeiführer war, und sie setzten ihre Tätigkeit fort, nachdem er Chef des RSHA geworden war.
Die Ermordung von ungefähr vier Millionen Juden in Konzentrationslagern wurde in vorstehendem bereits beschrieben. Auch dieser Teil des Programms unterstand der Aufsicht des RSHA, als Kaltenbrunner Chef dieser Organisation war, und vom RSHA ausgesandte Sondergruppen durchreisten die besetzten Gebiete und die verschiedenen Vasallenstaaten der Achse, um die Deportation der Juden nach diesen Ausrottungsinstitutionen einzurichten. Kaltenbrunner wußte über diese Tätigkeiten Bescheid. Ein von ihm am 30. Juni 1944 verfaßter Brief beschrieb die Verfrachtung von 12000 Juden nach Wien zu diesem Zweck und ordnete an, daß alle diejenigen, die nicht arbeiten konnten, zur »Sonderaktion« bereitzustellen seien, was Mord bedeutete. Kaltenbrunner verleugnete seine Unterschrift auf diesem Brief, was er auch mit Bezug auf eine große Anzahl von Befehlen getan hatte, auf die sein Name gestempelt oder mit Schreibmaschine geschrieben, und in wenigen Fällen handschriftlich vorhanden war. Es ist nicht glaubhaft, daß seine Unterschrift in Angelegenheiten von so großer Wichtigkeit ohne seine Ermächtigung so oft erschienen sein könnte.
Kaltenbrunner hat behauptet, daß er sein Amt als Chef der Sicherheitspolizei und des SD und Chef des RSHA auf Grund einer Vereinbarung mit Himmler übernommen hat, die vorsah, daß er seine Tätigkeit auf Angelegenheiten des ausländischen Nachrichtendienstes beschränken solle, während er die Gesamtverantwortung für die Tätigkeit des RSHA nicht zu übernehmen hatte. Er behauptet, daß das verbrecherische Programm vor seinem Amtsantritt bereits eingesetzt hatte; daß er selten wußte, was vorging, und daß er sein möglichstes tat, es aufzuhalten, wenn er in Kenntnis gesetzt wurde. Es ist richtig, daß er für Angelegenheiten des ausländischen Nachrichtendienstes besonderes Interesse zeigte. Er hat jedoch die Kontrolle über die Tätigkeit des RSHA ausgeübt; er wußte Bescheid über die von diesem Amt begangenen Verbrechen, und an vielen hat er aktiv teilgenommen.